PDF 46 - Deutsche Sprachwelt
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Seite 8 Besprechungen<br />
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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>46</strong>_Winter 2011/12<br />
„Ein besonders lebensnahes Zeitdokument“<br />
Peter Fischer legt den zweiten Band seiner Nachkriegstrilogie vor<br />
Von Eberhard Grünert<br />
Z<br />
um 21. Jahrestag des Mauerfalls<br />
ist unter dem Titel „Der<br />
Fall“ Peter Fischers neuer Roman erschienen.<br />
Er ist als zweiter Teil einer<br />
als Trilogie angelegten Nachkriegschronik<br />
über eine Jugend im geteilten<br />
Deutschland anzusehen. Der erste<br />
Teil der Chronik, der Roman „Der<br />
Schein“, verfolgte exemplarisch den<br />
Lebensgang der Hauptfigur Michael<br />
Sahlok in der DDR über Schule und<br />
Studium (siehe DSW 21, Seite 8). Er<br />
endete mit der Verhaftung Sahloks<br />
durch die Staatssicherheit und seinem<br />
Freikauf durch die Bundesregierung.<br />
Daran anschließend scheint im<br />
Roman „Der Fall“ in der Biographie<br />
Michael Sahloks eine entscheidende<br />
Hürde genommen zu sein: Er lebt<br />
nach einer kurzen Zwischenstation,<br />
die er im Notaufnahmelager Gießen<br />
verbringt, im Westteil Berlins und arbeitet<br />
als Redakteur.<br />
Doch bald muß er erkennen, daß Vergangenheit<br />
sich nicht einfach löst,<br />
sich nicht abstreifen läßt wie eine<br />
Von Jürgen Honig<br />
D<br />
as Englische dringt immer<br />
schneller in die Nationalsprachen<br />
ein. Das Unbehagen dagegen schwillt<br />
an; nicht nur in Deutschland, sondern<br />
auch in Schweden, das auch sonst dem<br />
„Neumodischen“ so sehr zugewandt<br />
ist. Vor knapp zehn Jahren fanden sich<br />
zahlreiche Schweden zusammen, von<br />
der Liebe zu ihrer Sprache angetrieben.<br />
Sie gründeten das Netzportal „Språkförsvaret“<br />
– www.sprakforsvaret.se<br />
– auf deutsch am besten mit „Sprachwehr“<br />
übersetzt. Im Laufe weniger Jahre<br />
hat sich daraus ein Netzwerk entwikkelt,<br />
eine Art Lobbyisten-Plattform, die<br />
sich wortgewaltig für die Eindämmung<br />
des im Muttersprachgebiet wild wuchernden<br />
Englischen einsetzt. Vorrangiges<br />
Anliegen der Sprachfreunde war<br />
bislang das Zustandekommen eines<br />
schwedischen Sprachgesetzes, das am<br />
1. Juli 2009 in Kraft trat.<br />
Professor Frank-Michael Kirsch hat<br />
in der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />
(„Das Schwedische verteidigen“, DSW<br />
45, Seite 4) Beweggründe und Auftreten<br />
der Sprachwehr-Aktivisten eingehend<br />
und anschaulich dargestellt. Jetzt<br />
hat „Språkförsvaret“ unter Federführung<br />
des Vorsitzenden Per-Åke Lindblom<br />
und seines Stellvertreters Arne<br />
Rubensson die aussagestärksten netzwerkeigenen<br />
Schriften zu einer Anthologie<br />
zusammengestellt: „Svenskan<br />
– ett språk att äga, älska och ärva“, also<br />
„Schwedisch haben, lieben, erben“<br />
oder in Alliteration wie im Original:<br />
„… schätzen, schützen, schenken“.<br />
In zehn Hauptkapiteln und 33 Einzelbeiträgen<br />
sowie einem Manifest arbei-<br />
übergestülpte Haut. Sie bleibt haften,<br />
sie prägt Lebenszeit, formt Gefühle,<br />
fixiert Denkgewohnheiten: sie gerät<br />
zudem zum Maßstab für Vergleiche<br />
mit der neuen Lebenswirklichkeit. Die<br />
Bedrängnisse der Haftzeit wirken auf<br />
immer neue Weise nach, sie stehen gegen<br />
neu gewonnene Eindrücke: Breit<br />
gestreuter Wohlstand<br />
muß nicht unbedingt<br />
zu größerer Solidarität<br />
führen, Phantasie<br />
und Empfindsamkeit<br />
steigern. Vorurteile<br />
und Desinformation<br />
sind auch hier keineswegs<br />
fremd. Was<br />
treibt schließlich Westdeutsche um,<br />
was wissen sie über den sogenannten<br />
Arbeiter- und Bauernstaat, der immer<br />
stärker durch die vielfältigsten Widersprüche<br />
in seinem Fortbestehen<br />
erschüttert wird, und seine Bewohner?<br />
Die Ära kurz vor 1989 ist voller<br />
Widersprüche, Spannungen, Hoffnungen.<br />
Doch die Kräfte der Vergangenheit<br />
bleiben noch wirkmächtig.<br />
Berühmte Zeitgenossen kreuzen Michael<br />
Sahloks Lebensweg und prägen<br />
seine Ansichten neu: Reiner Kunze, der<br />
Dichter, Willy Brandt, der vormalige<br />
Kanzler, auf den er über einen obskuren<br />
politischen Zirkel trifft, namhafte Journalisten<br />
und ein Künstler, ein Maler,<br />
der nicht nur gehörig klugen Abstand<br />
zu den Mächtigen der<br />
Epoche wahrt, sondern<br />
Sahloks Blicke auf die<br />
Dinge der Welt zu weiten<br />
weiß.<br />
Plötzlich taucht eine<br />
Jugendfreundin aus<br />
Thüringen auf. Sie<br />
bittet um Fluchthilfe für ihren Mann.<br />
Lange vor den spektakulären Fluchten<br />
vom Sommer 1989 taucht der Fluchtwillige<br />
auf einen Rat Michael Sahloks<br />
hin in der westdeutschen Botschaft in<br />
Warschau auf. Doch es gibt ungeahnte<br />
Schwierigkeiten. Günter Gaus, der<br />
Ständige Vertreter der Bundesrepublik<br />
bei der DDR, wird eingeschaltet, der<br />
sucht die Gunst Erich Honeckers …<br />
Dem Autor gelingt es, durch die Vielzahl<br />
der exemplarisch handelnden Personen<br />
Zeitgeschichte so zu verdichten,<br />
daß daraus ein Bild jener Epoche vor<br />
1989 entsteht, in deren Gefolge sich<br />
das Gesicht Europas entscheidend<br />
veränderte. Dabei beschränkt sich der<br />
Schriftsteller nicht so sehr auf die äußerlich<br />
offensichtlichen Geschehnisse<br />
jener Ära, sondern spürt in äußerst einfühlsamer<br />
Weise den Inneneinsichten<br />
jener Menschen nach. Er verfolgt ihre<br />
widersprüchlichen, oft gegenläufigen<br />
Gefühle und Regungen an scheinbar<br />
nebensächlichen Objekten, die er<br />
schließlich so zu weiten versteht, daß<br />
daraus ein nuancenreiches und farbiges<br />
Bild jener Epoche entsteht, das<br />
Schatten keineswegs ausspart.<br />
Peter Fischer, geboren in Suhl, Jahrgang<br />
1943, erfolgreich auch als Lyriker<br />
(„Ananke“), Lyrikpreisträger der<br />
Zeitschrift „Dulzinea“, ist mit seinem<br />
Roman ein großer belletristischer Wurf<br />
gelungen. Der Dichter Reiner Kunze urteilte<br />
nach der Lektüre des Romans, daß<br />
Schwedisch schätzen, schützen, schenken<br />
„Språkförsvaret“ hat einen anspruchsvollen Sammelband herausgegeben<br />
ten die Sprachwehr-Autoren so gut wie<br />
lückenlos alles ab, was derzeit ihrem<br />
Urteil nach die eigene Muttersprache<br />
gefährdet; und was die Folgen sein<br />
könnten, wenn – wehret den Anfängen<br />
– dem nicht Einhalt geboten wird. Den<br />
Gegner verorten sie auf vielen Gebieten<br />
des täglichen Lebens. Beharrlich<br />
ist er auf dem Vormarsch: in der Wirtschaft,<br />
allen voran deren willige Helfer,<br />
die Werbe-Fuzzis; in den Druck-,<br />
Ton- und Bildmedien, wo das Angelsächsische<br />
geradezu grassiert; in den<br />
Behörden aller Ebenen, wo man sich<br />
ohne Not des Englischen befleißigt;<br />
in der Bildung, die ebenfalls gern die<br />
angelsächsische Karte spielt. Das sind<br />
ausnahmslos Entwicklungen, wie sie<br />
auch im deutschen Sprachraum nur<br />
allzu bekannt sind.<br />
Die Autoren versichern wiederholt –<br />
und durchaus glaubhaft –, nicht auf<br />
einer fremdenfeindlichen Welle zu<br />
schwimmen. Überdies verkennen sie<br />
keineswegs, daß das Englische meist<br />
gar nicht als Angreifer daherkommt,<br />
sondern ihm wie einem Trojanischen<br />
Pferd geflissentlich Einlaß gewährt<br />
wird. Warum? fragen wir. Aus Einfalt?<br />
Bequemlichkeit? Hochstapelei?<br />
Aus Angst, im mörderischen globalen<br />
Wettbewerb nicht mithalten zu<br />
können? Aus Neigung, dem jeweils<br />
stärksten Häuptling nachzueifern?<br />
Beredtes Beispiel sind Hörfunk und<br />
Fernsehen in Schweden. Zugegeben,<br />
bei knapp neun Millionen Einwohnern<br />
können die öffentlich-rechtlichen Anstalten<br />
nicht aus Mitteln schöpfen, wie<br />
sie ARD, ZDF, ORF, SR und anderen<br />
Peter Fischer<br />
zur Verfügung stehen. Dementsprechend<br />
mager ist die Schar der Berichterstatter,<br />
die zudem fast nur des Englischen<br />
mächtig sind. Die fatale Folge:<br />
Pidgin A fragt, Pidgin B antwortet.<br />
An groben Unfug grenzt es dabei, daß<br />
erst die englische Aussage kommt und<br />
danach das Ganze noch einmal auf<br />
schwedisch. Und im Fernsehen sind<br />
vor allem die privaten Sender reine<br />
Abspielstationen für durchgehend<br />
nicht-synchronisierte US-Filme.<br />
Das klingt übertrieben und böswillig.<br />
In Wirklichkeit haben wir es aber mit<br />
einem höchst bedenklichen Phänomen<br />
zu tun: Es bleibt immer etwas hängen.<br />
So sickern denn fast unmerklich die für<br />
Schweden kulturfremde Sprache und<br />
Denkweise ein und breiten sich aus. Die<br />
Leute hören nichts anderes, und dann<br />
wollen sie auch nichts anderes, denn<br />
dann kennen sie auch nichts anderes.<br />
Solche Mißstände prangert das Buch<br />
an und wird so zu einer vorbildlichen<br />
ideegebenden Mustersammlung für<br />
all jene, die mit einem ähnlichen<br />
Anliegen am Werke sind. Besonders<br />
fesselnd sind die Bemühungen der<br />
Sprachwehr, die entscheidend zum<br />
Zustandekommen des schwedischen<br />
Sprachgesetzes beigetragen haben.<br />
Einige vermeidbare Schwachpunkte<br />
sollen hier nicht verschwiegen werden:<br />
Es mindert die Aktualität, daß die abgedruckten<br />
Texte meist älteren Datums<br />
sind. Außerdem druckt die Sprachwehr<br />
zwar den von ihr erarbeiteten Entwurf<br />
eines schwedischen Sprachgesetzes im<br />
Wortlaut ab. Das letztlich am 1. Juli<br />
2009 ausgefertigte Gesetz suchen wir<br />
jedoch vergeblich. Verwunderlich ist<br />
auch, daß das Sprachwehr-Manifest<br />
etwas versteckt erst am Ende der Anthologie<br />
steht. Wünschenswert wären<br />
auch mehr Hinweise auf konkrete Erfolge<br />
der Sprachwehr-Arbeit.<br />
Das Buch bietet des weiteren zwar<br />
hervorragende Zustandsdiagnosen,<br />
doch deren Ursachen werden zu wenig<br />
erörtert. Warum hat es das Englische<br />
so leicht, andere Sprachen zu<br />
infizieren? Das Schwedische ist keine<br />
Sprache der Technik, keine der<br />
philosophischen Erörterung, keine<br />
der Bankleute. Schwedisch, in dem<br />
sich noch eine Menge Altgermanisches<br />
erahnen läßt, ist die Sprache<br />
der Lyrik, die der wild lodernden<br />
Gefühle. Zu Recht ist Tomas Tranströmer<br />
2011 mit dem Nobelpreis<br />
belohnt worden, verschlingen die<br />
Leute die Bücher Henning Mankells<br />
und Stieg Larssons. In einer solchen<br />
<strong>Sprachwelt</strong> findet das auf einzelnen<br />
Gebieten kolossal praktische Englisch<br />
einen guten Resonanzboden.<br />
Auch solche Überlegungen hätten in<br />
das Buch hineingehört.<br />
So ist dieses anspruchsvolle Werk<br />
trotz seines schönen Titels für ausländische<br />
Beobachter, die immer wieder<br />
auf das „große Vorbild“ Schweden<br />
verweisen, nur bedingt empfehlenswert.<br />
Die Zustandsanalysen sind für<br />
ausländische Leser eher traurig. Dennoch<br />
sind die Artikel, Denkschriften<br />
und so weiter durchaus geeignet,<br />
Sprachwahrern außerhalb Schwedens<br />
brauchbare Anregungen zu geben.<br />
Egal ob auf Deutsch, Englisch oder Denglisch:<br />
KENNEN SIE DIE W���EN �OLGEN DE� POPUL$�EN MUSIK&<br />
Klaus Miehling:<br />
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Populäre Musik und Werteverfall<br />
epubli, Berlin / 352 S., € 27,10<br />
ISBN: 978-3-86931-605-5<br />
Populäre Musik erweist sich als der<br />
eigentliche Urheber und Motor des<br />
Werteverfalls. Die Sozialisation unserer<br />
Jugend mit dieser Musik muss aufhören,<br />
wenn wir eine ehrlichere und<br />
friedlichere Gesellschaft wollen.<br />
Klaus Miehling:<br />
Lautsprecher aus!<br />
>wangsbeschallung contra<br />
akustische Selbstbestimmung<br />
epubli, Berlin / 248 S., € 22,43<br />
ISBN: 978-3-86931-606-2<br />
Dieses Buch verleiht den Opfern der<br />
Spaßgesellschaft eine Stimme, enthüllt<br />
skandalöse Behördenpraktiken und dokumentiert<br />
die verstreuten Paragraphen<br />
zum Schutz vor (Musik-)Lärm sowie über<br />
200 Gerichtsentscheide.<br />
bei www.epubli.de und im Buchhandel<br />
es sich um ein „besonders lebensnahes<br />
Zeitdokument“ handelt, und lobte, „so<br />
detailgenau … wird bald niemand mehr<br />
über jene Zeit berichten können“.<br />
Peter Fischer: Der Schein. Roman,<br />
Ludwigsfelder Verlagshaus, Ludwigsfelde<br />
2004, 179 Seiten, 22,00 Euro.<br />
Peter Fischer: Der Fall. Roman, Ludwigsfelder<br />
Verlagshaus, Ludwigsfelde<br />
2011, 174 Seiten, 22,00 Euro.<br />
Das Buch ist vor allen Dingen von<br />
dem guten Willen getragen, der schleichenden<br />
Durchdringung der schönen<br />
hochkulturellen Sprache Schwedisch<br />
mit Angelsächsischem entgegenzutreten.<br />
Dieses Unterfangen ist aller<br />
Ehren wert, und die Netzwerker des<br />
Språkförsvaret werden diesem Vorsatz<br />
meisterlich gerecht. So bleibt zu wünschen,<br />
daß das Buch zahlreiche schwedische<br />
Leser wachrüttelt, so daß diese<br />
ihre Sprache schätzen, schützen und<br />
ihren Nachfahren schenken können.<br />
Jürgen Honig ist Übersetzer und<br />
lebt in Schweden.<br />
Språkförsvaret, Per-Åke Lindblom<br />
und Arne Rubensson (Herausgeber):<br />
Svenskan – ett språk att äga, älska<br />
och ärva. En antologi från Språkförsvaret<br />
(Schwedisch schätzen,<br />
schützen, schenken), Stockholm<br />
2011, 153 Seiten, ISBN 978-91-633-<br />
9292-4. Bezug über den Netzbuchhandel<br />
oder unmittelbar beim Herausgeber<br />
(sprakforsvaret@yahoo.<br />
se) zum Preis von 10 Euro zuzüglich<br />
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