carte blanche - Slow Food Convivium Bern
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<strong>carte</strong> <strong>blanche</strong><br />
Mit Stadtgärten die Ernährungssouveränität<br />
zurückerobern<br />
Von den mittelalterlichen Klöstern bis zum heutigen Urban Gardening sorgen Gärten für das leibliche und geistige Wohl<br />
zugleich. Vielleicht gelingt es uns im verstädterten Umfeld dank ihnen, das Land wieder näher heranzuholen und so unsere<br />
Lebensqualität zu steigern.<br />
• 2 •<br />
Text und Fotos von Alberto Meyer<br />
Bereits die Römer legten in ihren Landvillen Gärten an,<br />
um sich selber mit den nötigsten Lebensmitteln zu versorgen.<br />
Ihre hoch entwickelte Gartenbaukultur diente<br />
später den Benediktinermönchen als Vorbild. Zuerst in<br />
Italien, später auch nördlich der Alpen legten sie Klostergärten<br />
an, um die sogenannte monastische Autarkie zu<br />
bewahren, das heisst die Unabhängigkeit vom Mutterkloster<br />
und vor allem von weltlichen Herren. Damit war<br />
eine doppelte Autarkie gemeint: Ernährung und Gesundheit.<br />
Für erstere bauten sie Obst, Gemüse und Wein an,<br />
für letztere Heilkräuter. «Wenn ein Kloster seine Mönche<br />
nicht mehr ernähren konnte, verliessen sie den Standort,<br />
um neue Gebiete zu erschliessen. Für die Gründung eines<br />
neuen Klosters nahmen sie Pflanzen und Saatgut mit<br />
(1)». Obwohl es seltsam klingen mag: Die Klostergärten<br />
waren damals schon mobil, wenigstens ein Stück weit.<br />
Materielle und geistige Nahrung. Klostergärten waren<br />
in erster Linie Nutzgärten. Aber nicht ausschliesslich.<br />
Arbeit und Kontemplation gehen bei den Benediktinern<br />
Hand in Hand. Die Stille dieser Gärten, der Reichtum der<br />
Formen und Farben und die Vegetationsrhythmen gaben<br />
willkommenen<br />
Anlass zu Betrachtungen<br />
und zum Gebet.<br />
Spätestens seit dem<br />
Hochmittelalter spielt<br />
also die geistige Dimension<br />
der gestalteten<br />
Natur in den<br />
Kloster gärten, zunehmend<br />
aber auch in<br />
den aufkommenden<br />
Schlossgärten eine<br />
immer wichtigere Rolle.<br />
Die Bedeutung verschiebt<br />
sich vom Nutz-<br />
zum Ziergarten. Die<br />
Anlagen werden zum<br />
Ort der Begegnung<br />
und Erholung, zuerst<br />
Frau Gerolds Garten in Zürich: Wäschetrommel<br />
als Pflanztrog<br />
ganze Bevölkerung.<br />
für die Familie der Eigentümer<br />
und ihre<br />
Gäste, später für die<br />
Die Vielfalt bewahren. Heute haben historische Gärten<br />
in unseren Breitengraden eine brandaktuelle Funktion<br />
übernommen: Sie sind eine wichtige Stütze bei der<br />
Urban Gardening<br />
Erhaltung alten Wissens und der Artenvielfalt. Im ehemaligen<br />
Kloster Kappel zum Beispiel gedeihen 32 Sorten<br />
Tomaten. Im Kräuter- und Gemüsegarten der Kartause<br />
Ittingen wachsen unter den rund 200 Heilpflanzen allein<br />
20 Sorten Thymian.<br />
Eigentliche Trutzburg für die Biodiversität von Nutzpflanzen<br />
ist der prächtige Garten des Schlosses Wildegg. Hier<br />
experimentiert Pro Specie Rara mit Samen rar gewordener<br />
Pflanzen wie die rote Gartenmelde, die Etagenzwiebel<br />
oder die Zuckerwurzel. Und hier werden diese Pflanzen<br />
an einem viel beachteten Setzlingsmarkt einmal im<br />
Jahr an die Bevölkerung weitergegeben.<br />
Weiteres Beispiel: Im Garten des Château de Prangins am<br />
Genfersee werden alte Gemüse- und Obstsorten gezogen,<br />
die zwar zum historischen Erbe der Region zählen,<br />
heute aber teilweise in Vergessenheit geraten sind. Laut<br />
Prangins «bildet dieses lebende Konservatorium den<br />
Hort für ein zerbrechliches und bedrohtes Kulturerbe<br />
und offenbart die historischen, botanischen und ethnologischen<br />
Facetten zahlreicher einheimischer Gemüse-<br />
und Gartenpflanzen.»<br />
Von der Entfremdung der Städter. Die Stadt gilt traditionell<br />
als Gegenort zum Land. Mitverantwortlich dafür<br />
ist Oswald Spengler. Er hat 1918 in seinem Buch «Der<br />
Untergang des Abendlands» den Grossstädter als traditionslosen<br />
Parasiten mit einer tiefen Abneigung gegen<br />
das Bauerntum charakterisiert; ein Parasit, der vom Umland<br />
lebt, das ihn ernährt (2). Auf der anderen Seite gilt<br />
das Leben auf dem Land als einfach, echt, natürlich und<br />
gesund. Diese Idealisierung ist besonders in der Schweiz<br />
noch tief verwurzelt. Tatsache ist: Die Stadtbevölkerung<br />
ist nicht nur ausserstande, die notwendigen Lebensmittel<br />
selber zu produzieren: Viele Stadtmenschen haben<br />
sich auch von den Grundlagen der Ernährung entfremdet.<br />
Die Milch stammt nicht von der Kuh, sondern vom<br />
Tetrapack.<br />
Mehr noch: War früher das Umland in der Lage, wenigstens<br />
einen erheblichen Teil des städtischen Ernährungsbedarfs<br />
zu decken, trifft das heute immer weniger zu. Die<br />
Metropole Zürich frisst sich mit Überbauungen in die<br />
Landschaft und verdrängt die Landwirtschaft. Die Zahl<br />
der Zürcher Bauernhöfe hat seit 1985 von 6‘600 auf rund<br />
4‘000 abgenommen.<br />
Familiengärten: Gegenbewegung der ersten<br />
Stunde. Es gibt allerdings Kräfte, welche die Autarkie<br />
wenigstens im kleinen Massstab wieder herstellen<br />
wollen. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts etabliert<br />
sich die Schrebergarten-Kultur. Ursprünglich aus schierer<br />
materieller Not von Guts- und Fabrikbesitzern, Stadt-