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52<br />

ReZeNsIoN<br />

“Ehre ist ein<br />

Chamäleon.<br />

Ständig wechselt<br />

sie den Inhalt<br />

und den Namen.“<br />

academicus 1/2012<br />

rezension zu<br />

„Eine Geschichte der Ehre“<br />

<strong>Burschenschaft</strong>en führen den Begriff<br />

„ehre“ an prominenter stelle<br />

in ihrem Wahlspruch. Da müsste<br />

das Buch von Winfried speitkamp bei<br />

uns auf besonderes Interesse stoßen.<br />

Der professor für <strong>Neue</strong> und <strong>Neue</strong>ste<br />

Geschichte an der universität Kassel,<br />

der sich gern in Grenzbereichen von<br />

Geschichte, soziologie und anderen<br />

Gesellschaftswissenschaften tummelt<br />

und dabei zu sehr anregenden ergebnissen<br />

kommt, hat sich vorgenommen,<br />

eine „Geschichte der ehre“ zu schreiben.<br />

schon das weckt Interesse. Denn<br />

wer denkt bei „ehre“ gleich daran,<br />

dass es dabei auch eine geschichtliche<br />

entwicklung gegeben hat? und<br />

wer vermutet, dass „ehre“ auch heute<br />

noch eine große Rolle spielt? Auf diese<br />

und viele andere Fragen gibt speitkamp<br />

in seinem Buch Antworten:<br />

ehre heute Wichtiger<br />

Als VerMutet<br />

In einem Vorwort, sechs Kapiteln<br />

und einem schlusswort behandelt<br />

speitkamp sein Thema. Im Vorwort<br />

liefert er den Nachweis, dass ehre<br />

auch heute noch eine weit größere<br />

Rolle spielt als viele vermuten, dass<br />

aber die Vorstellungen von ehre einem<br />

ständigen Wandel unterliegen,<br />

also eine Geschichte haben. Das veranschaulicht<br />

speitkamp dann an den<br />

Beispielen der ohrfeige – der symbolhaften<br />

„kleinen“ Gewalt –, des Duells<br />

– der disziplinierten und kodifizierten<br />

Gewalt – und des ehrenmords – der<br />

entfesselten Gewalt.<br />

Im ersten Kapitel „Körper und ehre.<br />

eine kurze Geschichte der ohrfeige“<br />

(s. 25 - 67) geht es um die gesell-<br />

von arnulf BauMann<br />

<strong>Burschenschaft</strong> der Bubenreuther (1951)<br />

schaftliche Bedeutung dieser scheinbar<br />

alltäglichen handlungsweise.<br />

speitkamp geht auf den ort der<br />

ohrfeige in der erziehung ein und<br />

auf ihre vor allem in den vergangenen<br />

Jahrzehnten erfolgte allmähliche<br />

Ausscheidung aus dem Katalog der<br />

bei lehrern und auch eltern vertretbaren<br />

pädagogischen Maßnahmen.<br />

Jedoch spielt die ohrfeige auch unter<br />

erwachsenen eine nicht zu unterschätzende<br />

Rolle, wie speitkamp an<br />

berühmten Beispielen aus Geschichte<br />

und literatur verdeutlicht. ohrfeigen<br />

sind nach wie vor eine gebräuchliche<br />

Form der ehrverletzung, der<br />

Beleidigung.<br />

Das bringt den Verfasser zum nächsten<br />

Kapitel „‘Der heilige Dienst der<br />

ehre’. Kulturen der ehre bis ins 19.<br />

Jahrhundert“ (s. 69 - 127): es setzt<br />

ein bei Beispielen von ehrverletzung<br />

und -wiederherstellung aus der klassischen<br />

Antike, geht über zum Nibelungenlied,<br />

zum mittelalterlichen Fehderecht<br />

der Ritter, zur standesehre der<br />

handwerker und Kaufleute, der Bauern<br />

und der Frauen. Vor allem in der<br />

Zeit von humanismus und Aufklärung<br />

setzten Versuche ein, die ehre durch<br />

ihre Bestimmung als Menschenrecht<br />

auf eine höhere ebene zu heben, die<br />

seit den Napoleonischen Kriegen<br />

durch den Begriff der nationalen ehre<br />

abgelöst wurde. In diesem Zusammenhang<br />

kommt der Autor auf die<br />

Rolle der ehre innerhalb der akademischen<br />

Jugend zu sprechen, wobei er<br />

kurz auf die Grundsätze der „Allgemeinen<br />

deutschen <strong>Burschenschaft</strong>“<br />

von 1818 und die zweite strophe des<br />

Deutschlandliedes eingeht. Dies alles<br />

sieht er als Ausdruck des Ringens um<br />

gesellschaftliche Anerkennung.<br />

„Moloch ehre“<br />

Nach dieser einführung spricht speitkamp<br />

im dritten Kapitel vom „‘Moloch<br />

ehre.’ Die Kultur der ehre im 19. Jahrhundert“<br />

(s. 129 - 172). er beschreibt,<br />

wie das Duell zu einem vor allem bei<br />

Militärs, bei Beamten, wohlhabenden<br />

Bürgern und studenten juristisch zwar<br />

strafbewehrten, in der Gesellschaft<br />

aber anerkannten Mittel der Regelung<br />

von Auseinandersetzungen wurde. Dies<br />

übrigens nicht nur in Deutschland, sondern<br />

in ganz europa und darüber hinaus.<br />

er erwähnt auch den Zusammenhang<br />

des Duellwesens zum allgemeinen<br />

streben nach äu-<br />

ßererAnerkennung, das trotz<br />

immer wieder<br />

auf flammender<br />

Kritik daran eine<br />

Abschaffung verhinderte.<br />

Im vierten Kapitel „eine ‘sache des Blutes’.<br />

Der Kult der ehre im Zeitalter der<br />

Weltkriege“ (s.173 - 213) berichtet der<br />

Verfasser von der „politisierung der<br />

ehre“ durch das „Weltkriegserlebnis“,<br />

das in Deutschland, aber auch in anderen<br />

ländern zur Bildung von Kampfbünden<br />

führte, die sich durch Marschformationen,<br />

uniformen und generell<br />

martialisches Auftreten von „zivilen“<br />

Bürgern abhoben und erhebliche Gewaltbereitschaft<br />

zeigten. Besonders<br />

im Nationalsozialismus kam dabei ein<br />

übersteigerter ehrbegriff zum Tragen,<br />

der persönliche, nationale und parteiehre<br />

zu einer einheit verschmolz. Dem<br />

entsprach eine wachsende Inflation der<br />

ehrungen, die millionenfach verliehen<br />

wurden, wie etwa das sogenannte „Mutterkreuz“.<br />

speitkamp vermutet dahinter<br />

eine massive „Angst vor entehrung und<br />

schande“. „Wer an die ehre appellierte,<br />

wer ehre anbot oder entzog, traf einen<br />

Nerv der Zeit“ (s. 211). Die Kehrseite<br />

davon war die systemimmanente entehrung<br />

einzelner oder ganzer Menschengruppen,<br />

beispielsweise der Juden, die<br />

„so massenhaft praktiziert wurde wie<br />

nie zuvor in der deutschen Geschichte“<br />

(s. 213).<br />

geächtete ehre<br />

“Man möchte fast<br />

wünschen, dass<br />

es Fuchsmajoren<br />

zur Pflichtlektüre<br />

gemacht wird.“<br />

Das nächste Kapitel „‘ehrensenf’. Niedergang<br />

und Renaissance der ehre<br />

nach 1945“ (s. 215 - 265) behandelt<br />

die Folgen der hypertrophie der ehre<br />

im Ns-staat. Während in der DDR die<br />

politik der massenhaften ehrungen –<br />

nun unter sozialistischem Vorzeichen<br />

– unbekümmert fortgesetzt wurde,<br />

verfiel der Begriff „ehre“ in der Bundesrepublik<br />

weitgehend der Ächtung. Das<br />

brachte die dahin-<br />

terstehende sache<br />

jedoch nicht zum<br />

Verschwinden. Anhand<br />

von Beispielen<br />

aus sport und politik<br />

weist speitkamp<br />

nach, dass es durchaus<br />

auch in der Bundesrepublik um<br />

Fragen der ehre geht, nicht zuletzt im<br />

Zusammenhang mit Beleidigungsprozessen<br />

oder mit öffentlichen ehrungen.<br />

Im Grunde gehe es um das streben<br />

nach Anerkennung beziehungsweise<br />

die Angst vor deren Verlust. Das stecke<br />

auch hinter den Bemühungen um<br />

eine „Wiedergutmachung“ der in der<br />

Ns-Zeit begangenen untaten, ein „als<br />

kollektive Reue daherkommender Nationalstolz“<br />

(s. 264).<br />

Im sechsten Kapitel „ehrenmorde?<br />

ehre, schande und Gewalt in transnationalen<br />

Räumen“ (s. 265 -315) geht der<br />

Verfasser auf einen weiteren Aspekt<br />

ein, dessen Zusammenhang mit der<br />

Thematik für manchen überraschend<br />

erscheinen wird: hier behandelt er erscheinungen,<br />

die vielfach als fremdartig<br />

angesehen werden, weil sie häufig<br />

mit einwanderern oder gar mit weit<br />

entfernten ländern wie Japan oder<br />

Afrika zusammenhängen. er vermag<br />

jedoch darzustellen, dass hinter scheinbar<br />

völlig unverständlichen Verhaltensweisen<br />

– etwa gegenüber der AIDs-<br />

Gefahr im süden Afrikas – gleichfalls<br />

das streben nach Anerkennung, beziehungsweise<br />

die Angst vor ihrem Verlust<br />

stehen können.<br />

„deM biederen ehr und<br />

Achtung!“<br />

Der schlussteil „ein schmaler Grat“ (s.<br />

317 - 323) versucht, ein Fazit zu ziehen.<br />

Das ist zunächst die erkenntnis, dass<br />

„ehre“ eine viel größere Rolle spielt,<br />

als viele meinen. Zum anderen geht<br />

es um die einsicht: „ehre ist ein chamäleon<br />

... ständig wechselt sie ... den<br />

Inhalt und den Namen“ (s. 329), vor allem<br />

aber: „Das Feld der ehre ist ... ein<br />

Raum, in dem über den standort des<br />

einzelnen in der Gesellschaft verhandelt<br />

wird“ (s. 322).<br />

Das wird alles in gut lesbarer sprache<br />

und mit vielen einprägsamen Beispielen<br />

vorgetragen und gibt viel Anlass zum<br />

Nachdenken über „ehre“ – man möchte<br />

fast wünschen, dass es Fuchsmajoren<br />

zur pflichtlektüre gemacht wird.<br />

eines habe ich mich allerdings beim<br />

lesen ständig gefragt: Warum wird<br />

fast ausschließlich nach der eigenen<br />

persönlichen oder kollektiven ehre und<br />

nach ihrer möglichen Verletzung durch<br />

andere gefragt? Warum kommt kaum<br />

in den sinn, dass es ein Teil der eigenen<br />

ehre ist, auch anderen ehre zu erweisen?<br />

„Die ehre des anderen“ – das<br />

könnte der Titel eines mindestens ebenso<br />

spannenden Buches sein. Möglicherweise<br />

hängt der von mir empfundene<br />

Mangel damit zusammen, dass speitkamp<br />

mit der ehre Gottes als Grundlegung<br />

menschlicher ehre kaum etwas<br />

anfangen kann (s. 13) – von Gottes ehre<br />

aus kommt die ehre des Mitmenschen<br />

unweigerlich ins Blickfeld. Das wusste<br />

die urburschenschaft: „Dem Biederen<br />

ehr und Achtung!“<br />

Winfried Speitkamp, Ohrfeige, Duell<br />

und Ehrenmord. Eine Geschichte der<br />

Ehre, Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart<br />

2010, 366 S., 24.95 Euro.<br />

academicus 1/2012<br />

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