13.08.2015 Views

Wohnen & Flüchtlinge

wox_2_2015_web_2730

wox_2_2015_web_2730

SHOW MORE
SHOW LESS

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

<strong>Wohnen</strong> &<strong>Flüchtlinge</strong>THEMA<strong>Flüchtlinge</strong> – der Härtetestfür GenossenschaftenINTERVIEWHerausforderungIntegrationPORTRÄTAus dem Bürgerkriegin die Schweiz


WOHNZIMMERWohnung in einer renovierten Altstadtliegenschaft der Genossenschaft WAK, Elgg.Foto: Ursula Markus2 Juli/August 2015 – extra


EDITORIALINHALTCover: Flüchtlingsfrau in privater Unterkunft/Foto: Ursula MarkusDas Bild werde ich nie vergessen. Gluthitzeim Juli 2001, Siestazeit auf einer griechischenInsel. Vier zugesperrte Metallcontainerin der prallen Sonne, kleine Fensterhineingeschnitten und mit Gitterstäben versehen,an die sich Hände klammern. VieleAugenpaare, niemand spricht. Währendweiter vorne Touristen ahnungslos demQuai entlang schlendern, versuchen hier amHafen ende zusammengepferchte MenschenLuft zu erhaschen. Wie es in den Containerndrin sein muss, wagt man sich nicht vorzustellen.Ein genauerer Blick ist unmöglich,weil Uniformierte uns weggestikulieren.Kein förderlicher Anblick für Touristen.So kann man <strong>Flüchtlinge</strong> auch unterbringen.Ich bin ausgesprochen froh, sind wir inder Schweiz fern einer solch menschenunwürdigenPraxis und verfügen über professionelleInstitutionen, die sich um Asylbewerberkümmern. Trotzdem stehen diesein vielen Lebensbereichen vor riesigen Hürden.So auch beim <strong>Wohnen</strong>. Als Erstunterkünftedienen Empfangs- und Durchgangszentren– zweckdienlich, aber kein Ort zumLeben. Steht dann nach einem positivenAsyl entscheid die Wohnungssuche an, beginnendie Probleme erst richtig: Gemeindenhaben nicht genügend Angebote, und Privatereis sen sich auch nicht um Mieter, die desDeutschen nicht mächtig und von Sozial hilfeabhängig sind, bis sie eine Arbeit haben.Was geht das Baugenossenschaften an?Sie können schliesslich nicht jedes gesellschaftlicheProblem lösen und die Versäumnisseanderer ausbügeln. Stimmt. Und doch:Zu ihren zentralen Werten zählt Solidarität.In ihrer Charta bekennen sie sich dazu,Wohnraum für alle Bevölkerungskreise anzubietenund Schwache nicht auszugrenzen.Dass <strong>Flüchtlinge</strong> dazu zählen, ist unbestritten.Zeit also, sich der Diskussion zu stellen.Liza Papazoglou, Redaktorin2 Wohnzimmer4 ThemaWohnbaugenossenschaften und <strong>Flüchtlinge</strong>:Beziehung mit Hindernissen.8 PorträtDie syrische Familie El Soudi und zwei Dutzend weiterePersonen wurden von Verwandten in die Schweiz geholt.10 ThemaSteiniger Weg zum Zuhause: Die Wohnungssucheist für <strong>Flüchtlinge</strong> schwierig.12 ThemaVon Tamil bis Baseldytsch – die Basler GenossenschaftMietshäuser Syndikat rettet günstigen Wohnraum in Hausmit bunter Bewohnerschaft.14 InterviewIntegration ist die grösste Herausforderung, meintStefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.16 Integration«Heks Neue Gärten»: Ein Projekt, das in jeder HinsichtFrüchte trägt.18 Tipps19 GastkommentarDie Wohnungs-Odyssee von Emine Braun.20 RätselIMPRESSUMextraDie MieterzeitschriftAusgabe Juli/August 2015Herausgeber: WohnbaugenossenschaftenSchweiz, Verband der gemeinnützigenWohnbauträger, Bucheggstrasse 109,8042 Zürich, www.wbg-schweiz.chRedaktionelle Verantwortung:Liza Papazoglouwww.wbg-schweiz.ch/zeitschrift_wohnenwohnen@wbg-schweiz.chKonzeption, Layout, Druckvorstufe:Partner & Partner AG, www.partner-partner.chDruck: Stämpfli AG, BernJuli/August 2015 –extra3


THEMAWOHNBAUGENOSSENSCHAFTEN UND FLÜCHTLINGEBeziehung mitHindernissenTEXT: LIZA PAPAZOGLOUSolidarität und soziale Durchmischung sind fürdie meisten Wohnbaugenossenschaften wichtigeWerte. Dass davon auch <strong>Flüchtlinge</strong> profitierenkönnen, zeigen beherzte Beispiele. Sie sind allerdingsrar und sollten vermehrt Schule machen.Helfen, weil grosse Not herrscht – das wollenganz pragmatisch die Bewohner einer ZürcherGenossenschaft. Angeregt von einerFeier zu Ehren des Schul- und SozialreformersHeinrich Pestalozzi, beschliessen siekurzerhand, Waisen und Halbwaisen aus einerzerbombten und kriegsversehrten Stadtzu einem Erholungsurlaub einzuladen.Schnell melden sich 120 Familien, die bereitsind, ein Kind für drei Monate bei sich zuhauseaufzunehmen. Dies notabene in einemQuartier, wo in kleinen Reihenhäuschen vielenicht eben auf Rosen gebettete Arbeiterfamilienwohnen, die in vielen Fällen bereitsselber vier Kinder zu ernähren haben.Beachtliche SolidaritätswelleSchliesslich verbringen 23 Mädchen und 65Buben bei temporären Pflegeeltern einenSommer, in dem sie eine sichere Unterkunftund genug zu essen haben, spielen können,an Festen teilnehmen, wieder lachen lernen.Dank Spenden von Genossenschaftern werdensie mit Schuhen und Wäsche ausstaffiert,Freiwillige leihen Kinderbetten und Matratzenaus, stricken Socken, schneidern Kleider,organisieren Ausflüge. Die Stadt stellt ausserdemSchulzimmer, Lehrer und ärztliche Betreuungzur Verfügung. Nach dem Aufenthaltbleiben viele der Kinder mit ihren Gastelternnoch über Jahrzehnte in Kontakt.Gross angelegt und vielbeachtet war dieAktion «Hilfe für Wien» der Familienheim-Genossenschaft Zürich (FGZ) von 1946. DieNot der Nachkriegszeit löste diese Solidaritätswelleaus, beflügelte die FGZ zu dieseraus serordentlichen Leistung und ihre Bewohnerzu viel persönlichem Engagement.Schwierige GrundsatzfragenSolche eindrücklichen Solidaritätsaktionensind das eine. Etwas anderes ist es, wenn esums Grundsätzliche geht. Wenn bedürftigeMenschen nicht eingeladen werden, sonderneinfach kommen – ungebeten und zahlreich,legal oder illegal, aus ganz verschiedenenund teils sehr fernen Gegenden derWelt. Wenn man sich als Genossenschaft derFrage stellen muss, ob man auch Wohnraumfür Leute bietet, die aus ihrer Heimat fliesehnmussten und hier versuchen, eine neueExistenz aufzubauen – mit rechtlich teils unsicheremStatus, manchmal ohne Arbeit undauf staatliche Unterstützung angewiesen.Wenn die genossenschaftlichen GrundwerteSolidarität, soziale Durchmischung undNichtausgrenzung der Schwachen, die in derCharta der gemeinnützigen Wohnbauträgerverankert sind, plötzlich vor einem veritablenHärtetest stehen.Einzelfälle statt StrategieDabei geht es nicht um Einzelfälle. Die gibtes durchaus, und immer wieder. So stiessenetwa die Ungarn, die nach dem gescheitertenVolksaufstand und dem Einmarsch derFoto: Stiftung DomicilSowjetarmee 1956/57 flohen, in der Schweizauf viel Sympathie. Dokumentiert sind einigeFälle, in denen Genossenschaften Familienaufnahmen und mit grosszügigen Spendenin Form von Geld, Möbeln, Hausgeräten,Geschirr, Bettwäsche, Kleidern und Lebensmittelnunterstützten. Auch in neuerer Zeitlassen sich immer wieder individuelleBeispiele finden, wo Flüchtlingsfamilien,manchmal auch eher zufällig, bei einer Genossenschaftunterkommen.Was hingegen bei den meisten Genossenschaftenfehlt, ist eine Strategie, wie sie mit<strong>Flüchtlinge</strong>n umgehen, oder ein Bekenntnis,dass diese willkommen sind. Und dies, obwohldas Thema seit Monaten traurige Aktualitätgeniesst. Kriege, Terror und Verfolgung,Bootsflüchtlinge und überforderteAufnahmestaaten machen regelmässigSchlag zeilen. Noch nie seit dem ZweitenWeltkrieg gab es so viele Menschen auf derFlucht. Das macht sich auch in der Schweiz4 Juli/August 2015 – extra


THEMAEs braucht mehr Mut«Selbstverständlich!» Diese dezidierte Meinungvertritt die junge Genossenschaft Kalkbreitein Zürich. GeschäftsleitungsmitgliedSabine Wolf und Doro Sacchi von der Vermietungskommissionsagen es klipp und klar:«Wir kontrollieren den Aufenthaltsstatus einesMenschen nicht, der interessiert unsnicht. Bei uns kommen grundsätzlich alle alsMieter in Frage, die zu einem StichdatumGenossenschafter waren.» Bei der Vermietunghält sich die Kalkbreite an die Grundbemerkbar,wo seit einigen Monaten dieZahl der Asylanträge deutlich steigt (sieheKasten Seite 7). Bei Genossenschaften hatdas bis jetzt erstaunlich wenig Widerhallausgelöst – Solidaritätsbekundungen, Hilfsaktionenoder gar Anpassungen der strengenVermietungspraxis sucht man vergebens.«Genossenschaften müssenihren gesellschaftlichenAuftrag ernst nehmen.»Kaum Chancen für Leute imAsylverfahrenAuch Zahlen fehlen weitgehend. Von rundeinem Dutzend angefragten Genossenschaftenerhebt zwar die Mehrheit den Anteil vonBewohnern mit Schweizer beziehungsweiseausländischem Pass. Ob oder wie vieleFlüchtlingsfamilien bei ihnen wohnen, wissensie aber meist nicht. Das hat zwei Grün-de: Genossenschaften vermieten Wohnungenin der Regel ausschliesslich an Personen,die mindestens eine B-Niederlassung besitzen,was bei <strong>Flüchtlinge</strong>n einen positivenAsylentscheid voraussetzt. Diese fallen dannstatistisch unter die übrigen Ausländer. Oderaber die Vergabe erfolgt über eine Drittorganisation,die Wohnungen an Menschen vermittelt,die es schwer haben auf dem Wohnungsmarkt;bei diesen Mietverhältnissenkennen die Genossenschaften den Aufenthaltsstatusder Bewohner meist nicht.Auch wenn also der Anteil von <strong>Flüchtlinge</strong>nin Genossenschaften nicht bezifferbarist: Die verfügbaren Informationen lassenden Schluss zu, dass er gering ist. Und sichhäufig auf Menschen beschränkt, die bereitseinigermassen integriert sind, eine Arbeitund gewisse Deutschkenntnisse haben. Indie Schweiz geflüchtete Menschen hingegen,die noch im Asylverfahren stehen odernur vorläufig aufgenommen sind, haben<strong>Flüchtlinge</strong> haben es oft schwer, beiGenossenschaften unterzukommen. Dankder Stiftung Domicil fand die Familie H.aus Somalia 2012 in der Siedlung Heizenholzder Zürcher Genossenschaft Kraftwerk1ein neues Heim.kaum Chancen, bei einer Genossenschaft unterzukommen.Doch ist das überhaupt derenAufgabe?Juli/August 2015 –extra5


THEMAsätze der sozialen Durchmischung, die in einemReglement klar festgehalten sind undsich am Quartier- sowie am SchweizerDurchschnitt orientieren. Neben der Nationalitätspielen dabei auch Faktoren wie Einkommen,Alter oder Ausbildung eine Rolle.Die Kalkbreite bekennt sich dazu, auchLeuten die Türe zu öffnen, die sonst nicht inGenossenschaften kommen. Sabine Wolf:«Genossenschaften müssen ihren gesellschaftlichenAuftrag ernst nehmen. Dazu gehört,sich mit drängenden Fragestellungenauseinanderzusetzen und eine Haltung dazuzu entwickeln.» Dass <strong>Flüchtlinge</strong> in dieSchweiz kommen und es besonders schwerhaben, günstigen Wohnraum zu finden, isteine Tatsache. Der müsse man sich stellen.Dabei seien Offenheit, pragmatisches Vorgehen– etwa bei Leuten mit wenig Geld fürAnteilscheine – und Mut gefragt. Bis jetzt habeman so noch meistens eine gute Lösunggefunden. Die Genossenschaft ist denn auchgut vernetzt mit Menschen und Organisationen,die sich des Themas annehmen. Sie vermietetRäume an die Sans-Papiers-AnlaufstelleZürich (SPAZ). Zudem bietet sie derAsylorganisation Zürich (AOZ) freiwilligRaum für Notwohnungen in ihrem geplantenzweiten Neubau an der Zollstrasse an und arbeitetmit der Stiftung Domicil zusammen.Foto: Ursula MarkusAuch eine Realität: So können Wohnungen aussehen, wenn <strong>Flüchtlinge</strong> auf sichselbst gestellt eine Unterkunft beschaffen müssen. Hier und heute, in der Schweiz.Der Weg über InstitutionenSo offensiv wie die Kalkbreite gehen nur wenigeGenossenschaften ans Thema heran.Immerhin gibt es einige, die klare Vorgabenzur Durchmischung der Bewohnerschaft machenoder einen bestimmten Anteil an Wohnungensozialen Organisationen zur Verfügungstellen – beim Vorzeigeprojekt mehr alswohnen in Zürich etwa sind es zehn Prozent,bei der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich(ABZ) drei, bei der FGZ eines. Dabeiwerden verschiedene Zielgruppen berücksichtigt,neben Menschen mit Migrationshintergrundzum Beispiel Behinderte, Betagte,Jugendliche oder Personen, die über städtischeÄmter platziert werden.Eine der Institutionen, die <strong>Flüchtlinge</strong>nden schwierigen Weg in eine Genossenschaftebnet, ist die Stiftung Domicil in Zürich. Wiebei den ähnlich funktionierenden IG <strong>Wohnen</strong>in Basel oder Casanostra in Biel steht ihrVermittlungsangebot grundsätzlich allenMenschen offen, die es schwer auf dem Wohnungsmarkthaben. Ganz auf <strong>Flüchtlinge</strong>spezialisiert ist einzig die Fachstelle <strong>Wohnen</strong>Bern (siehe Seite 11). Bei der Stiftung Domicilhaben gemäss Geschäftsleiterin AnnalisDürr neunzig Prozent der Leute, die beiihr anklopfen, einen Migrationshintergrund.«In Einzelfällen wirdgeholfen. Was fehlt,ist eine Strategie.»Durchzogene BilanzDie Stiftung vermittelte letztes Jahr insgesamt105 Wohnungen, rund dreissig davonvon Genossenschaften – so viele wie nie zuvor.Zu den fünfzig Genossenschaften, mitdenen Domicil in zwanzig Jahren zusammengearbeitethat, gehören traditionelleund neue, grosse und kleine, die zwischeneiner und hundert Wohnungen zur Verfügunggestellt haben. Erfreulich ist, dass jüngerewie Kraftwerk1, Kalkbreite oder mehrals wohnen bereits bei der Planung von Neubautenvon sich aus auf Domicil zugekommensind. Jedes Jahr sind es mehr, es gibtaber auch Genossenschaften mit riesigemWohnungsportfolio, die ganz verzichten. Dagebe es schon noch Luft nach oben, meintAnnalis Dürr. Eine Erfahrung, die sie mit derIG <strong>Wohnen</strong> in Basel teilt. Diese zählt zwarauch Genossenschaften zu ihren Partnern –deren Zahl lässt sich aber an einer Hand abzählen.Es sei wirklich «ganz, ganz schwierig»,Zugang zu ihnen zu erhalten, sagt AnnePlattner von der Geschäftsstelle.Dort, wo eine Zusammenarbeit besteht,sind die Erfahrungen in Zürich aber auf beidenSeiten positiv. Domicil übernimmt dieSolidarhaftung für die Mietverträge, womitdie Vermieter vor finanziellen Risiken durchAusfälle geschützt sind. Sie schlägt auch dieMietparteien vor. Dabei, so die Geschäftsleiterin,frage man aber immer, was bei einerPlatzierung gehe und was nicht – schliesslichsollen die Mieter in ihrem Umfeld akzeptiertwerden, was je nach Herkunft, Familiensituationoder Hautfarbe nicht immer der Fall sei.Erfolgsmodell BetreuungVor allem aber betreut und begleitet Domi cilseine Mieterinnen und Mieter intensiv: Esunterstützt sie bei der Integration, erklärt,wie eine Genossenschaft funktioniert undwas von den Bewohnenden erwartet wird.Annalis Dürr weist darauf hin, dass viele<strong>Flüchtlinge</strong> aus Kulturkreisen kommen, wodie Gemeinschaft und nicht das Individuumim Vordergrund steht. Sie seien deshalb prädestiniertfür Genossenschaften, müsstendas System aber verstehen und aktiv einbezogenwerden. Bei Bedarf führt Domicil auchWohntrainings durch, etwa zum Gebrauchvon Geräten oder der Hausordnung. Auchbei Konflikten vor Ort ist die Stiftung Anlaufs-und Vermittlungsstelle. Das wird vonden Verwaltungen sehr geschätzt. AnnalisDürr: «Für die Genossenschaften dürfte dieBegleitung durch uns der wichtigste Teil amGanzen sein.»Das bestätigen die Genossenschaften.Auch die ABZ, die am meisten Wohnungenan Domicil vermietet. «Wir machen sehr guteErfahrungen mit diesem Modell», sagtMartina Ulmann, die in der ABZ-Geschäfts-6 Juli/August 2015 – extra


THEMA«Wer noch im Asylverfahrensteht, kommt kaum bei einerGenossenschaft unter.»leitung für Mitglieder und <strong>Wohnen</strong> zuständigist. Dank der guten Begleitung funktioniertensolche Mietverhältnisse einwandfrei.Bei positivem Verlauf werden sie denn auchin reguläre umgewandelt und die Mieter zuGenossenschaftern. Auch Rita Feurer, dieGeschäftsführerin der BaugenossenschaftSüd-Ost Zürich, schätzt das professionelleBegleitangebot. «Wir selber hätten wederRessourcen noch Kompetenzen für eine intensiveBetreuung.» Es sei für die Genossenschafthilfreich, wenn eine klare Ansprechpersonda ist, die die Verantwortung übernimmt.Auch sie hat nur positive Erfahrungengemacht. Eine gute Betreuung könnezudem die Akzeptanz bei anderen Mieternverbessern.TabuzoneDie Akzeptanzproblematik erklärt mindestensteilweise die Zurückhaltung von Genossenschaftengegenüber <strong>Flüchtlinge</strong>n. Dennbisweilen sind Vorstände und Verwaltungendurchaus offen – nur spielen die Mieter nichtmit. Ein heikles Thema, geprägt von Ängstenund Vorurteilen. Rita Feurer bringt es so aufden Punkt: «Wir haben Liegenschaften mit50 Wohnungen und 13 Nationen, wo das Zusammenlebenohne grössere Probleme funktioniert.In anderen Siedlungen, wo vorwiegendSchweizer leben, gab es einen Riesenaufruhrund heftigste Vorwürfe, als die ersteFrau mit Kopftuch einzog.» Bei der Platzierungschaue sie daher sehr sorgfältig auf diebestehende Umgebung und die richtige Zusammensetzungund biete Domicil in kleinenLiegenschaften nicht mehr als eine Wohnungan.Deshalb findet Rita Feurer Quoten nichtsinnvoll. Man müsse fallweise entscheidenkönnen und angesichts der sehr unterschiedlichenSiedlungen schauen, was jeweils passe.«Da kann man nur mit einer ganz pragmatischenHandhabung weiterkommen.Macht man zu stark Druck, ist das kontraproduktiv».Sie setzt lieber auf behutsames Vorgehenund Massnahmen, die das gegenseitigeKennenlernen und Vernetzen ganz allgemeinunterstützen, wie Zuzügerapéros oderAktivitäten für Kinder. Durch direkten Kontaktwürden gegenseitige Vorurteile am einfachstenabgebaut.<strong>Flüchtlinge</strong> in ZahlenEs wäre mehr möglichDabei gibt es durchaus beherzte Lösungenmit hohem Verbindlichkeitsgrad, wie einBlick nach Deutschland zeigt. So hatdie Wankendorfer Baugenossenschaft fürSchles wig-Holstein, die in mehreren Ortenüber 8000 Wohnungen besitzt, 2014 den Gemeindenangeboten, jede zehnte freiwerdendeWohnung für <strong>Flüchtlinge</strong> zur Verfügungzu stellen. Dazu wurde mit dem regionalenStädteverband ein Mustervertrag erarbeitet,der den spe ziellen rechtlichen AnforderungenRechnung trägt. Bereits hat die Wankendorfermehr als 200 Wohnungen an Asylbewerberfamilienund -wohngemein schaftenvergeben. Die Erfahrungen sind überwiegendpositiv. Wesentlich dazu bei trägt nebeneiner sorgfältigen Auswahl der Nachbarschaftauch das Selbstverständnis der Genossenschaft:Sie spricht <strong>Flüchtlinge</strong> explizit anund bekennt sich zu einer Willkommenskultur.Auch hierzulande könnten Genossenschaftenmehr tun, findet Urs Hauser, Direktordes Verbands WohnbaugenossenschaftenSchweiz: «Mittlere Genossenschaften könnenes verkraften, einen gewissen Anteil an<strong>Flüchtlinge</strong>n aufzunehmen. Wenn der Bedarfda ist, sollten sie dies auch tun.» Dafürbrauche es aber professionelle Verwaltungen,die die besonderen rechtlichen und sozialenAnforderungen bewältigen könnten,einen entsprechenden Liegenschaftenbestandund eine externe Begleitung. Nochbesser genutzt werden könnten zudem Abbruchliegenschaften,die auch <strong>Flüchtlinge</strong>nmit unsicherem Status Unterkunft bieten. EinigeGenossenschaften machen dies bereits.Vielleicht findet er ja Gehör. Mehrere derbefragten Genossenschaften jedenfalls zeigensich offen gegenüber Appellen durch Gemeindenoder Organisationen und wärenbereit, an entsprechenden Aktionen teilzunehmen.Denn, so Rita Feurer: «Wir habeneine soziale Verpflichtung. Wir wohnen in einemLand mit einer traditionell offenen Haltunggegenüber <strong>Flüchtlinge</strong>n. Wir sollten ihneneine Chance geben, hier Fuss zu fassen.»– Derzeit liegt die Zahl der <strong>Flüchtlinge</strong>, Asyl suchenden und Binnenvertriebenen weltweit beinahezu 60 Millionen; 2013 war die 50-Millionen-Marke erstmals seit dem Zweiten Weltkriegüberschritten worden.– 23 765 Personen haben 2014 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt, etwa zehn Prozentmehr als im Vorjahr. Die wichtigsten Herkunftsländer waren Eritrea, Syrien, Sri Lanka, Nigeria,Somalia, Afghanistan, Tunesien, Marokko, Georgien und Kosovo.– Seit Ausbruch des Krieges in Syrien im März 2011 hat die Schweiz bis Ende 2014 7700Asylgesuche von syrischen Staatsangehörigen entgegengenommen. 95 Prozent der syrischen<strong>Flüchtlinge</strong> finden in den Nachbarländern Zuflucht; 1,6 Million sollen es in der Türkeisein, 1,2 Millionen im Libanon – das entspricht fast einem Viertel der Gesamtbevölkerung.– Das Staatssekretariat für Migration hat 2014 6199 Asylgesuche gutgeheissen. Die Anerkennungsquotebeträgt damit 25,6 Prozent.– 9367 Personen wurden 2014 in der Schweiz vorläufig aufgenommen, 2287 Personenerhielten dank der Härtefallregelung eine Aufenthaltsbewilligung.– Ende Dezember 2014 lebten in der Schweiz 34 724 anerkannte <strong>Flüchtlinge</strong> mit Ausweis Boder C, was 0,4 Prozent der gesamten Wohnbevölkerung entspricht. Rechnet man alle Personenhinzu, die sich noch im Asylverfahren befinden oder die mit vorläufiger Aufnahmebeziehungsweise negativem Asylentscheid hier leben, waren insgesamt 88 501 Personendem Asylbereich zuzurechnen. Dies macht rund ein Prozent der Wohnbevölkerung aus.– In der ersten Jahreshälfte 2015 gelangten 137 000 <strong>Flüchtlinge</strong> übers Mittelmeer nach Europa– 83 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Über 1800 Menschen ertranken.– Für 2015 rechnet man mit 27 000 bis 31 000 Asylanträgen in der Schweiz; seit Mai sind dieGesuchszahlen überdurchschnittlich hoch, was zu Engpässen bei den Asylstrukturen führte.Quellen: Staatssekretariat für Migration, UNHCRJuli/August 2015 –extra7


PORTRÄT30 VERWANDTE AUS SYRIEN IN DIE SCHWEIZ GEHOLTLärmschutzfensterstatt BombenTEXT: HARRY ROSENBAUM / FOTO: REGINA KÜHNEDie El Soudis sind Menschen wie du und ich. Sie hatte nur das Pech,in Syrien zu leben – einem Land, das im Bürgerkriegschaos versinkt.Dank Verwandten und einem humanitären Visum konnten sie in dieSchweiz kommen.8 Juli/August 2015 – extra


PORTRÄTZU DEN PERSONENHoussam El Soudi (36), Donia Gudeh (24),Ahmad (5) und Bisan (3) sind froh, in derSchweiz Schutz erhalten zu haben.Eigentlich ist alles wie bei einer ordentlichenSchweizer Familie: Die Schuhe stehen aufgereihtvor der Wohnungstüre, die Trottinettsder beiden Kinder sind im Erdgeschoss abgestellt.Es ist kurz vor zwölf, mittags. Die Mutterist noch in der Küche beschäftigt und entschuldigtsich unsichtbar, aber mit freundlicherStimme. Vater Houssam El Soudi bittetdie Fotografin und den Schreibenden auf derPolstergruppe in der Wohnstube Platz zunehmen. Der fünfjährige Ahmad und diedreijährige Bisan spielen mit einem riesigenFeuerwehrauto am Boden. Ab und zu blickensie auf, wie um sich zu vergewissern, dasswir sie auch wahrnehmen. Ahmad imitiertdas «Dü-da-do» seines Spielzeugs. Bisan lächeltund richtet die Drehleiter. Man könnteauch noch Wasser auf die Gäste spritzen. Dastun die Kinder aber nicht. Dafür sind sie vielzu scheu.Noch vor einem Jahr war die kleine Familiegefangen mitten im syrischen Bürgerkrieg.Sie entging ganz knapp dem Tod. EineBombe zerstörte ihr Wohnhaus im palästinensischenFlüchtlingsquartier Yarmuk inDamaskus. Viele Tote und Verletzte. Die Familieüberlebte unter schwerem Schock. Ihrgelang die Hals-über-Kopf-Flucht in ein provisorischesAufnahmecamp in der Türkei;dort sollen nach Schätzungen des UNHCRmittlerweile etwa 1,6 Millionen Syrier untergekommensein.Lieber Arbeit statt SozialhilfeDonia Gudeh kommt aus der Küche, lächeltund fragt noch bevor sie sich gesetzt hat, obwir zum Essen bleiben wollen. Nichts kannorientalische Gastfreundschaft zerstören,auch wenn man selber nur Gast ist. – Die Familiemit palästinensischen Wurzeln istdankbar, dass sie auf unbürokratische Weiseüber die humanitäre Aufnahmeaktion für syrischeKriegsvertriebene in der Schweiz Zufluchtgefunden hat (siehe Kasten). Sie fühltsich in der Vierzimmerwohnung im sanft renoviertenAltbau an der vielbefahrenenSt. Galler Ausfallstrasse wohl. «Wir habenLärmschutzfenster», sagt Houssam El Soudiund jongliert die Worte. Man merkt ihm denSprachkurs an und den Willen, sich möglichstperfekt auszudrücken.Donia Gudeh sagt: «Für die Kinder ist esideal hier. Spielplatz, Kindergarten und dieSchule sind ganz in der Nähe.» Ahmad gehtzurzeit in den Kindergarten und Bisan in dieSpielgruppe. Houssam El Soudi hatte in Syrienzwei Jobs: selbständiger Mechanikerund Angestellter in einem Restaurant. Ermöchte in der Schweiz so schnell wie möglichwieder arbeiten. Am liebsten in einem«Für die Kinderist es ideal hier.»technischen Beruf. Donia Gudeh arbeiteteim Sportamt in der Verwaltung von Damaskus.Sie hat eine Multimedia-Ausbildungund sucht eine Weiterbildung im Bereich Videound Videoanimation. Die Wohnungsmietevon 1150 Franken und einen monatlichenPauschalbetrag von 1100 Franken fürden Lebensunterhalt bezahlt das Sozialamt.Dank Verwandten in der SchweizDie Familie konnte ausserhalb des ordentlichenVerfahrens in die Schweiz einreisenund hat als vorläufig Aufgenommene denFlüchtlingsstatus F, der zwölf Monate giltund dann wieder verlängert werden muss.Nach fünf Jahren kann der Antrag für denAufent haltsstatus B gestellt werden. Dieserbedeutet die Anerkennung als Flüchtling; erbringt viele Erleichterungen für den Aufenthaltund ebnet den Weg für eine spätere Einbürgerung.Die El Soudis wurden von Ahmad und NejuaGahre über die humanitäre Hilfsaktiondes Bundes in die Schweiz geholt. Das palästinensischeEhepaar mit Wurzeln in Syrienbetreibt ein bekanntes arabisches Restaurantin St. Gallen, hat zwei erwachsene Söhneund das Schweizer Bürgerrecht. Vor zwanzigJahren kam Ahmad Gahre, ein Kunstmalerund Cartoonist, als politischer <strong>Flüchtlinge</strong> indie Schweiz. Er liess nach der Anerkennungals Flüchtling seine Familie nachkommen.Die El Soudis sind mit Nejua Gahre verwandt.«Sie gehören zu einer Gruppe vondreissig Personen zwischen 1 und 78 Jahren,die alle mit meiner Frau verwandt sind undmitten im Kriegsgebiet in Syrien lebten»,sagt Ahmad Gahre. Als er und seine Frau vonder humanitären Aufnahmeaktion derSchweiz erfuhren, wurden sie sofort aktiv.«Wir sind in St. Gallen sehr gut vernetzt.Über eine Spendenaktion und mit Hilfe desstädtischen Sozialamtes schafften wir die finanzielleGrundlage für die Aufnahme unsererVerwandten.» Viele Bekannte hätten siesehr unterstützt. So konnte Nejua Gahre, diesich in die Wohnungssuche kniete, schliesslichfür alle eine passende Bleibe finden –vorwiegend in privaten Unterkünften.Schweiz nimmt3000 Schutzbedürftigeaus Syrien aufIn diesem und in den beiden nächstenJahren nimmt die Schweiz 3000 schutzbedürftigePersonen aus dem Syrienkonfliktauf. 1000 Personen können miteinem humanitären Visum einreisen underhalten vorübergehend Schutz. Weitere2000 Personen werden umgesiedelt.Durch die humanitäre Aufnahmeaktionerhalten alle Personen, die schon inder Schweiz sind, die Möglichkeit, engeFamilienangehörige auf sicherem Wegin die Schweiz reisen zu lassen.Juli/August 2015 –extra9


THEMASCHWIERIGE WOHNUNGSSUCHE FÜR FLÜCHTLINGESteiniger Weg zu einemwirklichen ZuhauseTEXT: HARRY ROSENBAUM / FOTO: URSULA MARKUSAsylsuchende freuen sich, wenn das Aufnahmeverfahren mit einempositiven Entscheid zu Ende gegangen ist. Doch was darauf folgt,ist ernüchternd. Die Menschen, darunter viele Familien, müsseneine Wohnung finden – und das ist alles andere als einfach.Das Flüchtlingswesen ist ein bürokratischerDschungel. Daraus ragen die Aufenthaltsbewilligungenfür Schutzsuchende wie Termitenhügelheraus. Drumherum breitet sichein Meer mit komplizierten rechtlichen Bestimmungenaus, die je nach Kanton variieren.Gäbe es eine «Foxtrail»-Schatzsuche zudiesem Thema, könnten die Rätselfragen etwaso aussehen:Was bedeutet ein blauer Ausweis mit demBuchstaben «N»?Asylsuchende erhalten ihn für die Dauer desAsylverfahrens. Sie werden in einem derfünf Empfangs- und Verfahrenszentren desBundes untergebracht. Dabei handelt es sichum Kollektivunterkünfte, meist an den Landesgrenzen;bei Engpässen werden zusätzlicheUnterkünfte geöffnet, beispielsweise inZivilschutzanlagen. Wird das Asylgesuch amFlughafen gestellt, erfolgt die Unterbringungauf dem Flughafenareal.Die Aufenthaltsdauer in den Bundeszentrenbeträgt maximal drei Monate. Währenddieser Zeit gilt ein Arbeitsverbot. Nimmt dasGesuch mehr Zeit in Anspruch, können dieAsylsuchenden einem Kanton zugewiesenund dort in Durchgangs- oder Entlastungszentrenplatziert werden. Danach werden siein rund der Hälfte der Kantone in Gemeindeunterkünfteverteilt. Das Staatssekretariatfür Migration fällt nach der ersten oder zweitenAnhörung den Asylentscheid. Wird dasGesuch abgelehnt, kann beim BundesverwaltungsgerichtBeschwerde erhoben werden.Nach Abschluss des Verfahrens, das unterschiedlichlange dauern kann, erlischt dieAnwesenheitsberechtigung. Erfolgt ein Nichteintretensentscheid,müssen die Gesuchstellerdie Schweiz umgehend verlassen.Was bedeutet ein blauer Ausweis mit demBuchstaben «F»?Er wird für <strong>Flüchtlinge</strong> ausgestellt, die einevorläufige Aufnahme erhalten – aber nur,weil sie nicht ausgewiesen werden können,da dies wegen einer Gefährdung unzumutbar,aus völkerrechtlichen Gründen unzulässigoder technisch unmöglich ist. Der F-Ausweiswird für zwölf Monate ausgestellt undkann verlängert werden. Nach fünf Jahrenkönnen vorläufig Augenommene ein Härtefallgesuchstellen; wird dieses gutgeheissen,erhalten sie einen B-Ausweis.Was bedeutet ein beiger Ausweis mit demBuchstaben «B»?Er wird für anerkannte <strong>Flüchtlinge</strong> ausgestellt.Damit haben sie ein Recht auf Familiennachzugund erhalten einen Flüchtlingspassnach der Genfer Flüchtlingskonvention.10 Juli/August 2015 – extra


THEMAJa oder nein? Wartenauf den Asylentscheidim DurchgangszentrumBuch (SH).Die Ausweise «F» und «B» sind das Ende derBergetappe auf dem Flüchtlings-Foxtrail. Siemarkieren das abgeschlossene Verfahren.Erstmals ist damit für <strong>Flüchtlinge</strong> in derSchweiz ein Leben in der «eigenen» Wohnungmöglich. Vorläufig Aufgenommenemüssen dabei allerdings innerhalb des zugewiesenenKantons eine Bleibe suchen.Zuunterst in der HierarchieAnerkannte <strong>Flüchtlinge</strong> und vorläufig Aufgenommenemüssen die Unterbringungsstrukturen,in denen sie während des Verfahrenslebten, verlassen und eine Wohnungmieten. Das ist schwierig und ohne professionelleUnterstützung fast unmöglich. Es fehlenReferenzen, Budgets, Sprachkenntnisse,eine Anstellung – und <strong>Flüchtlinge</strong>n wird oftmit Vorurteilen begegnet.Weil <strong>Flüchtlinge</strong> auf dem Wohnungsmarktzuunterst in der Hierarchie stehen,hat die Caritas Bern die «Fachstelle <strong>Wohnen</strong>»eingerichtet. Sie vermittelt im Auftrag desKantons Mietwohnungen an neu anerkannte<strong>Flüchtlinge</strong>. Dies geschieht im Rahmen einesLeistungsvertrags. Ähnliche Unterstützungsangebotegibt es vereinzelt auch in anderenStädten; sie sind aber meist beschränkt imUmfang oder vermitteln wie die IG <strong>Wohnen</strong>in Basel oder die Stiftung Domicil in Zürichnicht nur <strong>Flüchtlinge</strong>n günstigen Wohnraum,sondern generell Menschen, die aufdem Wohnungsmarkt benachteiligt sind.Unterstützung speziell für <strong>Flüchtlinge</strong> bietenausserdem Nichtregierungsorganisationenund kirchliche Hilfswerke.Auch Vorteile für VermieterUm Wohnungen sehr schnell vermitteln zukönnen, hat die Fachstelle <strong>Wohnen</strong> eine eigeneDatenbank angelegt. Im Angebot sindWohnungen mit günstigen Mieten, die innerhalbder von den sozialen Diensten vorgegebenenBudgetlimite liegen, erklärtFachstellenleiterin Judith Ledezma. DieFachstelle arbeitet mit vielen Vermieternschon länger zusammen und bekommt vondiesen auch Wohnungen angeboten. Zudemsucht sie über Inserate geeignete Mietobjektefür <strong>Flüchtlinge</strong>. Für diese organisiert sieWohnungsbesichtigungen, bei Bedarf mitBegleitung zu den Terminen.Für die Mietkosten definiert die SozialhilfeMaximalbeträge; im Kanton Bern liegendiese beispielsweise bei einer Vierzimmer-wohnung bei 1300 Franken. Das macht dieWohnungssuche für <strong>Flüchtlinge</strong> schwierig.Für die Vermieter kann es aber durchaus vonVorteil sein, Wohnungen an <strong>Flüchtlinge</strong> zuvermieten – weil sie eine Mietzinsgarantiedes Sozialamtes haben, solange die <strong>Flüchtlinge</strong>über kein eigenes Einkommen verfügen.Zudem werden sie sozialhilferechtlichund von Sozialarbeitern betreut. Für dieÜberbrückung von Verständigungsproblemenstehen interkulturelle Dolmetscher zurVerfügung. Das beruhigt viele Vermieter.Vermittelbarkeit auch ein Frage derEthnie«Als Wohnungsmieter müssen die <strong>Flüchtlinge</strong>aber auch Bürgschaften leisten und Versicherungenabschliessen», sagt Judith Ledezma.«Das belastet sie, weil diese Leistungenauf Kosten des Sozialbudgets gehen, das ihnenzur Verfügung steht.» Die Vermittelbarkeitist je nach Ethnie unterschiedlich. BeiTibetern etwa, die schon seit langem in derSchweiz leben, sei es einfacher als bei Eritreern,die als Gruppe neu sind. Zudemschätzten es viele Vermieter, wenn die<strong>Flüchtlinge</strong> aus einer städtischen und nichtaus einer ländlichen Umgebung kämen, wasdie Gewöhnung an die schweizerischen Verhältnisseeinfacher mache.Nach dem Abschluss des Mietvertrageswerden die <strong>Flüchtlinge</strong> zur Wohnungsübergabebegleitet. Damit ist gewährleistet, dassdiese nach mietrechtlichen Usanzen erfolgt.Die Fachstelle <strong>Wohnen</strong> organisiert zwölf Kurseim Jahr mit dem Thema «<strong>Wohnen</strong> in derFoto: Christoph Engeli«Ohne professionelleUnterstützung istdie Wohnungssuche fastunmöglich.»Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen (TG).Schweiz». Dabei sollen <strong>Flüchtlinge</strong> mit derhiesigen Wohnkultur vertraut gemacht werden,behandelt werden etwa Themen wieWaschküchenbenützung oder Hausordnung.Schwierigkeiten zwischen Vermieternund <strong>Flüchtlinge</strong>n, die zur Auflösung desMietverhältnisses führen, sind die Ausnahme.Tauchen Probleme auf, können sie meistenseinvernehmlich gelöst werden. Die<strong>Flüchtlinge</strong> sind froh über die Betreuungdurch die Fachstelle. Auch die Vermieterschätzen diese Dienstleistung.Noch mehr Druck zu erwartenIm Kanton Bern müssen <strong>Flüchtlinge</strong> nach positivemAbschluss des Asylverfahrens dasAsylzentrum innert wenigen Tagen verlassenund in eine Wohnung umziehen. Wirdihnen ein zumutbares Angebot gemacht,müssen sie es annehmen, auch wenn es entgegenden Wünschen nicht in städtischer,sondern in ländlicher Umgebung und ausserhalbder gewohnten gesellschaftlichenUmgebung liegt.Die Anerkennungsquoten sind in denletzten Jahren höher geworden, was bei derWohnungssuche mehr Druck verursacht.2012 wurden von der Fachstelle in Bern 220Wohnungen vermittelt. Das war die bisherhöchste Zahl. Auch jetzt stehen wegen der<strong>Flüchtlinge</strong> aus Bürgerkriegsgebieten vielepositive Entscheide an. Vor allem aus Syriengibt es Asylsuchende, die bereits nach vierMonaten anerkannt werden und sehr schnellauf den Wohnungsmarkt kommen. Damit erhöhtsich auch die Gefahr, dass skrupelloseVermieter die Situation ausnutzen. Fälle, wiesie in letzter Zeit Schlagzeilen machten, weil<strong>Flüchtlinge</strong> in völlig unzureichenden Unterkünftenzu Wucherpreisen dichtgedrängthausen, könnten sich häufen. Den Behördensind dabei meist die Hände gebunden, wenndie <strong>Flüchtlinge</strong> die Mieterverträge selber abschliessen.Juli/August 2015 –extra11


THEMANEU GEGRÜNDETE GENOSSENSCHAFT MIT BUNTER BEWOHNERSCHAFTVon Tamil bis BaseldytschTEXT: LIZA PAPAZOGLOU/FOTOS: URSULA MARKUSAcht Wohnungen, fünf Nationalitäten, zwei Gewerbebetriebe,ein Hauskauf: Der Erstlingscoup der Genossenschaft MietshäuserSyndikat in Basel ist gelungen. Günstiger Wohnraumkonnte so für die Bewohner erhalten werden – und lauterMenschen mit Migrationshintergrund wurden unver sehenszu Genossenschaftern.Glücklich, in ihrer Wohnungbleiben zu können – undneu sogar als Genossenschafter:Familie Sivanesan.Es müssen Dutzende sein. Pokale füllen dieGlasvitrine in der Ecke des blitzsauberenWohnzimmers. Klötzliparkett, hohe Räume,moderne Einrichtung in rot und weiss. Aufmerksamsitzen Vallipuram Sivanesan undseine 17-jährige Tochter Rojini an einemTisch beim Fenster. Wegen einem Platzregenhaben sie ihren Besuch hereingebeten; stattauf der grossen Terrasse, die zum stattlichenAltbau im Basler Klybeckquartier gehört, findetdas Gespräch in der Dreieinhalbzimmerwohnungder tamilischen Familie statt. Rojinis13-jährige Schwester Thishani ist noch inder Schule, ihre Mutter Syjeeva ist zuhause,bleibt aber im Hintergrund. Rojini übersetztfliessend ins reinste Baseldytsch, wenn ihremVater die Worte fehlen.Die Pokale? Rojini lächelt – sie hat diezahlreichen Auszeichnungen für ihre Aufsätzein tamilischer Sprache und fürs Keyboardspielengewonnen. Die tamilische Schule hatsie im Juni abgeschlossen und darf nun ihreMuttersprache selber unterrichten; in einemJahr wird sie auch das Schweizer Gymnasiumbeenden. Dann will sie Medizin studieren,wie sie jetzt schon weiss. Ihre Schwesterkommt diesen Sommer ins Progymnasium.Eine Schicksal wie vieleAuch Vallipuram Sivanesan lächelt. Er istmächtig stolz auf seine Töchter. Eine eigentlicheErfolgsgeschichte für den zurückhaltendenMann, wie er sie sich 1990 nicht einmalzu erträumen gewagt hätte. Damals floher wie viele seiner Landsleute in die Schweiz,vor einem blutigen Bürgerkrieg mit vielenToten in seiner Heimat Sri Lanka. Was ererlebte, behält er für sich. Jedenfalls erhielter Asyl in Basel. Nach zwei Jahren Aufenthaltfand er schliesslich eine Anstellung alsKüchenhilfe in einem Altersheim, wo erauch heute noch arbeitet.Doch nicht nur die Jobsuche erforderteGeduld. Auch die Wohnsituation war langeschwierig. Am Anfang lebte Vallipuram Sivanesanin einer Einzimmerwohnung, die ihmvon den Asylbehörden zugewiesen wordenwar. Sobald er eine Stelle gefunden hatte,musste er die Wohnung freigeben. Unterschlupfbot ein Angestelltenzimmer des Altersheims,bis er 1994 gemeinsam mit zweiKollegen eine kleine Wohnung mieten konnte.Als er Ende 1996 seine künftige Frau kennenlernteund bald darauf heiratete, ging dieSuche nach einer passenden Unterkunft wiederlos. Das frischgebackene Ehepaar hattewenig Glück und musste in kurzer Zeit drei-,viermal sein Domizil wechseln. Mit dem bescheidenenEinverdienereinkommen kamennur günstige Wohnungen in Frage – dieselbst im Multikultiquartier in Basels Nordenkaum zu ergattern waren. Dann kam die ersteTochter zur Welt, und so war die tamilischeFamilie ausgesprochen froh, als sie1998 in die günstige Wohnung im KlybeckerEckhaus ziehen konnte.12 Juli/August 2015 – extra


THEMAMigranten als GenossenschafterDort lebt sie auch heute noch. Dass dem soist, betrachtet die Familie als grosses Glück.Nicht nur, weil sie gerne hier lebt, wie Rojinibetont: «Wir haben freundliche Nachbarn.Und es ist eine gute Gegend. Schule, Bibliothek,Läden, öffentliche Verkehrsmittel, derRhein – alles ist in der Nähe. Uns gefällt eshier!» Ein Glücksfall ist auch, dass die Liegenschaft,die letzten Spätherbst zum Verkaufausgeschrieben wurde, im April von derGenossenschaft Mietshäuser Syndikat übernommenwerden konnte. Die acht günstigenZwei- und Dreieinhalbzimmerwohnungenbleiben damit den bisherigen, teils langjährigenMieterinnen und Mietern erhalten – allesamtMenschen mit Migrationshintergrund,die aus Sri Lanka, Serbien, Kroatien,Portugal, Italien und Deutschland stammen.Hervorgegangen ist die Genossenschaftaus einer lose organisierten Initiativgruppeengagierter Quartierbewohner und Gewerbetreibender,wie Daniel Gelzer und FabianSchär vom Vorstand erzählen. Beide verfügenüber Genossenschaftserfahrung, sindwohnpolitisch aktiv und gut vernetzt. DieGruppe will günstigen Wohnraum erhaltenund wehrt sich bereits seit längerem gegendie «Aufwertung» des Quartiers, mit der Luxussanierungenund der Ersatz älterer Gebäudedurch teure Neubauten drohen. Deshalbwar man schon eine Weile auf Ausschaunach geeigneten Liegenschaften, die mankaufen und so der Spekulation entziehenkonnte. Da kam das über 100-jährige Hausmit Nettowohnungsmieten unter 900 Franken,einem Lebensmittelgeschäft und einerDruckerei wie gerufen.Günstige GelegenheitAls Fabian Schär via Druckerei vom geplantenHausverkauf erfuhr, war schnelles Handelngefragt. Man trat in Verhandlung mitder Liegenschaftenbesitzerin, gründete imDezember die Genossenschaft, kümmertesich um die Finanzierung, führte erste Gesprächemit den verunsicherten Mietern. Dieeben gegründete Genossenschaft erhieltschliesslich den Zuschlag, weil sie garantierte,alle Bewohner zu behalten und die Mietzinsegünstig zu belassen. Daniel Gelzer:«Die Eigentümerin war von der Idee überzeugt.Sie verlangte deshalb auch keinenspekulativen Preis. Mit 2,35 Millionen Frankenbezahlten wir aber eine durchausmarktübliche Summe.»Das nötige Eigenkapital von 600 000Franken konnte dank viel Goodwill gesichertwerden; die Pensionskasse Stiftung Abendrot,befreundete Genossenschaften und einigePrivatpersonen halfen mit überwiegendzinslosen Darlehen aus. Nicht alle Mieterwaren aber in der Lage, selber für die Anteilscheineaufzukommen, die sie mit dem Beitrittzur Genossenschaft erwerben mussten.«Wir fanden, das darf kein Hinderungsgrundsein. Denn gerade Leute mit besonders bescheidenenfinanziellen Mitteln sind dringendauf billigen Wohnraum angewiesen»,sagt Daniel Gelzer. Deshalb gewährte die Genossenschaftden Betroffenen Darlehen fürdie Anteilscheine, was zu kleinen monatlichenMietzinszuschlägen führt.«Am Anfang brauchte esviel Vertrauensarbeit.»Mitbestimmung will gelernt seinEbenfalls nicht ganz einfach war es, denpraktisch aus heiterem Himmel zu Genossenschafternund Hausmitbesitzern gewordenenMietern nahe zu bringen, was Genossenschaftenüberhaupt sind. Zumal solche,die sich Selbstverwaltung und Mitbestimmunggross auf die Fahne schreiben. AmAnfang, erinnert sich Fabian Schär, begegneteman den Gründern mit Skepsis: «Als wirals ‹Externe› vor einem halben Jahr in Kontaktmit den Leuten traten, mussten wir ersteinmal viel Vertrauensarbeit leisten. Esbrauchte einige Gespräche, um zu erklären,was wir beabsichtigen und wie eine Genossenschaftfunktioniert.»Auch Rojini und weitere Jugendlichenahmen an den Haussitzungen teil, als Dolmetscher.Die Bewohner hätten grosse Angstvor einem Rauswurf oder Mietzinserhöhungengehabt und nicht gewusst, was die Übernahmedurch eine Genossenschaft bedeutet.Diese Befürchtungen konnten aber zerstreutwerden, und sie seien schon sehr glücklich,wie sich das Ganze entwickelt, erzählt Rojini.Schön findet sie vor allem, dass die Altbauwohnungenunverändert bleiben. Undihr gefällt auch, dass nun alle die Geschickedes Hauses mitgestalten können. Beispielsweisegab es bereits eine Entrümpelungsaktiondes Estrichs, wo sich über die Jahre inverwaisten Abteilen viele herrenlose Gegenständeangehäuft hatten. Und im Mai feiertendie Hausbewohner zum ersten Mal überhauptzusammen ein Fest auf der Terrasse:«Alle Nachbarn beisammen – das gab es vorhernoch nie!», sagt sie. Toll sei das gewesen.Kleine SchritteSolche kleinen Dinge sind es, die den Alltagverändern. An Mieterversammlungen werdenProbleme und Anliegen diskutiert. Istman mit etwas unzufrieden ist, kann manselber Lösungen einbringen. So wurde etwadem Hauswart gekündigt und sein Amt jemandemintern anvertraut, und auch dasüberteuerte Waschsystem gehört der Vergangenheitan. «Die Leute merken allmählich,dass sie sich selber organisieren können –und dürfen!», stellt Fabian Schär fest. Allerdingsgebe es auch Grenzen. Man sei nochmitten in einem Prozess; die Begleitung seiaufwändig, manchmal auch schwierig, ergänztDaniel Gelzer. Eine echte Selbstverwaltungdurch die Bewohner, die auch komplexereFragen wie Finanzflüsse oder Renovationsplanungenbeinhaltet, ist unter dengegebenen Umständen kaum zu erwarten.Wichtiger als eine ideal funktionierendeSiedlung ist den Initianten aber letztlich,dass hier Menschen eine Chance erhalten,die es besonders schwer haben, in Genossenschaftenunterzukommen. Das Modell sollSchule machen – «wir wollen wachsen», hältDaniel Gelzer fest. Durch das Klybeckhausaufmerksam geworden, ist kürzlich bereitseine kleine Hausgemeinschaft an der Mattenstrasseauf den Vorstand zugekommen,da deren Haus verkauft werden soll. Wäreschön, wenn sich das Modell weiterzieht undweitere Erfolgsgeschichten wie die der FamilieSivanesan ermöglicht.www.viavia.ch/syndikat/Vorstandsmitglieder Daniel Gelzer undFabian Schär gründeten die GenossenschaftMietshäuser Syndikat mit.Juli/August 2015 –extra13


INTERVIEWGESPRÄCH MIT STEFAN FREY* VON DER SCHWEIZERISCHEN FLÜCHTLINGSHILFE«Integration istdie grössteHerausforderung»INTERVIEW UND FOTO: DANIEL KRUCKERFast 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht.Nur ein Bruchteil von ihnen nimmt die Risiken auf sichund schlägt sich nach Europa durch. Wie beurteilt dieSchweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die aktuelle Situationund die Herausforderungen der Zukunft?<strong>Wohnen</strong>extra: Die Schweizerische Flüchtlingshilferechnet dieses Jahr mit 30 000Asylgesuchen, eine markante Steigerunggegenüber dem Vorjahr. Die Menschennehmen derzeit sehr hohe Risiken auf sich,um nach Europa zu gelangen, viele sterbenim Mittelmeer. Wie können solche Tragödienwenn nicht verhindert, so doch wenigstensreduziert werden?Stefan Frey: Wir von der SchweizerischenFlüchtlingshilfe sind der Meinung, dass dasBotschaftsasyl, wie es die Schweiz noch bis2014 kannte, wieder eingeführt werdenmüsste. Das Botschaftsasyl ist sinnvoll, weildie Leute vor Ort ein Gesuch stellen können.Das hält die Menschen eher von einer riskantenFlucht ab und man könnte sie bei einempositiven Asylentscheid auf sicherem Wegins Zielland bringen.Zurzeit sieht es aber nicht danach aus, alsbewegte sich etwas in dieser Richtung.Nein, das stimmt leider. Darum konzentrierenwir uns mehr denn je auf unsere Kernaufgabe,nämlich die Unterstützung der<strong>Flüchtlinge</strong>, die in der Schweiz ankommen.Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat einMandat des Bundes, die unabhängigen Vertreterder Hilfswerke, die die Befragungender Asylsuchenden begleiten, aus- und weiterzubilden.Wir sind sozusagen das dritteAuge, das die Qualität im Schweizer Asylverfahrensichert. Wenn die Verfahren fair undtransparent sind, verstehen die Leute auch,worum es geht und – ein ganz wichtigerPunkt – sie können die Beurteilung bessernachvollziehen, wenn sie von Anfang an genugInformationen erhalten.Die Schweizerische Flüchtlingshilfe mischtsich aber auch in die politische Debatteein. Welches sind Ihrer Meinung nach derzeitdie grössten Herausforderungen imFlüchtlingswesen?Die grösste Herausforderung ist die Integrationder Leute, die kommen. Das ist nichtneu, sondern war, ist und bleibt unsererMeinung nach zentral. Wir meinen, dass dieIntegration mit dem ersten Tag beginnenmuss. Ungeachtet der Wahrscheinlichkeit,ob die Leute Schutzstatus erhalten odernicht. Wenn jemand ein, zwei Jahre im Asyl-14 Juli/August 2015 – extra


INTERVIEW*Stefan Frey (62) begann seine berufliche Laufbahn mit einer kaufmännischen Ausbildung, derspäter die Weiterbildung zum Journalisten folgte. Nach seiner Tätigkeit als Kommunikationschefbei einer grossen internationalen Umweltorganisation war er 25 Jahre lang Programmchef undschliesslich Initiator und Projektleiter eines privaten Entwicklungsprojektes in Madagaskar. Seit2012 ist er Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH).verfahren feststeckt und während dieser Zeitüberhaupt nichts machen kann, nichts gelernthat, wurde am Ende nur ein unglaublicherAufwand betrieben und die Personkann nichts mitnehmen. Das ist falsch undkostet nur viel Geld. Diese Sichtweise übernimmtzum Glück langsam auch die offizielleSchweiz und es laufen Pilotprojekte an,zum Beispiel in der Landwirtschaft oder imBaugewerbe. Dort werden gezielt vorläufigaufgenommene und anerkannte <strong>Flüchtlinge</strong>beschäftigt.Der Strom von <strong>Flüchtlinge</strong>n nach Europascheint noch zuzunehmen. EU-Mitgliedstaatenwie Italien oder Griechenland habengrösste Probleme bei der Bewältigungder Aufgaben. Viele Menschen in unseremLand sind erschüttert von den Tragödien,die sich abspielen. Was erwarten Sie indieser Situation von Europa?Die Flüchtlingsproblematik ist die grosseHerausforderung für Europa, gar keineFrage. Wenn die Europäer jetzt nicht zusammenstehenund sich solidarisch zeigen,spielt das nur den rechten Populisten in dieHände. Es braucht darum einen gerechtenVerteilschlüssel und die Aufnahmeverfahrenmüssen harmonisiert werden. Es geht dochnicht, dass einzelne Länder gut arbeiten undandere, wie Ungarn zum Beispiel, plötzlichwieder von Mauern reden. Im Irak und in Syrienherrschen offene Kriege, da leuchtet esauch noch dem Dümmsten ein, dass dieMenschen das Land verlassen. Wer flüchtet,ist verzweifelt, und das humanitäre Europamuss gemeinsam eine Antwort darauf finden.Schauen wir nochmals auf die Schweiz.Wie beurteilen Sie die Wohnsituation der<strong>Flüchtlinge</strong> hier?<strong>Flüchtlinge</strong> sind immer die Letzten in derganzen Reihe und werden somit auch zuletztbedient. Sie müssen nehmen, was übrigbleibt. Sogar wenn sie einen anerkanntenFlüchtlingsstatus haben, ist es für viele extremschwierig, eine angemessene Wohnungzu finden. Das hat auch damit zu tun, dass dieMenschen schlecht integriert sind, achtzigProzent der anerkannten <strong>Flüchtlinge</strong> sind vonder Sozialhilfe abhängig. Das ist ein extremhoher Wert und ein eigentlicher Skandal. Dienicht erfolgte Integration ist das grösste Problemim ganzen Flüchtlingswesen. Allein derTitel «vorläufig aufgenommen» ist ein Stigmabei der Arbeitssuche. Viele Eritreer zum Beispielsind junge Leute – die muss man ausbilden,in Lehren schicken. So werden sie eherbereit sein, zurückzukehren, wenn es in ihremLand menschenwürdig zugeht.Die private Aufnahme von <strong>Flüchtlinge</strong>nwird in letzter Zeit wieder vermehrt diskutiertund ist ebenfalls ein gutes Integrationsinstrument.Welche Erfahrungen machtdie Schweizerische Flüchtlingshilfe damit?Wir sind sehr optimistisch, dass man hiereinen Beitrag leisten kann. Natürlich wirddas nicht die grosse Masse sein, aber es kanngute Beispiele geben, die andere motivieren,Ähnliches zu machen. Hunderte von Leutenhaben uns schon kontaktiert, die bereit sind,jemanden aufzunehmen. Ich glaube sogar,dass die Solidarität mit <strong>Flüchtlinge</strong>n wiederzunimmt. Wir sind ein unglaublich reichesLand, wir haben die Mittel dazu und auchdas Wertesystem, das uns verpflichtet,Schutzsuchende zu unterstützen.Juli/August 2015 –extra15


THEMAEIN INTEGRATIONSPROJEKT, DAS FRÜCHTE TRÄGT – IN JEDER HINSICHTJäten, giessen,Wurzeln schlagenTEXT UND FOTO: BEN KRONSeit sechs Jahren betreibt das Heks Aargau/Solothurn dasProgramm «Neue Gärten»: Die gemeinsame Gartenarbeithilft Flüchtlingsfrauen, Land, Leute und Sprache kennen zulernen und sich selber in der neuen Heimat zu verwurzeln.Kartoffeln, Tomaten, Karotten, Buschbohnenund Lauch: Auf dem Areal in Baden-Rütihofwerden dieselben Nutzpflanzen angebautund geerntet wie in jedem anderenSchweizer Familiengarten. Um die Beetekümmern sich aber acht Frauen aus Zimbabwe,Palästina, Syrien, Libyen, Sri Lanka,Burma und Serbien. Sie sind Teilnehmerinnendes Programms «Heks Neue Gärten – Familiengärtenfür Flüchtlingsfrauen», dasvom Hilfswerk der Evangelischen KirchenSchweiz (Heks), Aargau/Solothurn, im Jahr2009 gestartet wurde.Das Heks pachtet dabei Gartenparzellenin öffentlichen Arealen, um diese zusammenmit Flüchtlingsfrauen zu bebauen und zupflegen. So lernen die Frauen die wichtigstenGartenarbeiten kennen, können ihreSprachkenntnisse verbessern, ihr allgemeinesSelbstwertgefühl stärken und Kontaktemit Einheimischen knüpfen, mit denen sieBeet an Beet im Garten arbeiten. Immerhinist der Familiengarten in der Schweiz traditionellnicht nur ein Nutzgarten, sondernauch ein Ort für soziale Kontakte.Austausch mit Einheimischen erwünschtDer Garten in Baden-Rütihof liegt auf einemStück Land, das die Reformierte KirchgemeindeBaden zur Verfügung stellt. Die gärtnerndenFlüchtlingsfrauen waren hier anfangsunter sich, doch 2013 erhielt man vonder Kirchgemeinde weitere Parzellen, damitdas Projekt zu einem interkulturellen Gartenerweitert werden konnte: Private haben dieneu dazugekommenen angrenzenden Parzellengepachtet, was den Austausch zwischenFlüchtlingsfrauen und Einheimischenfördert. «Dass hier möglichst oft gemeinsamgearbeitet und ein Austausch gepflegt wird,steht auf der Fahne unseres Gartens», soClaudia Rederer, Leiterin des Programms«Neue Gärten» beim Heks Aargau/Solothurn.An den anderen Standorten in Rheinfelden,Aarau, Buchs und Solothurn sind dieeinzelnen Projekte der «Neuen Gärten» jeweilsin öffentlichen Gartenarealen eingemietet,so dass auch hier nachbarschaftlicheKontakte möglich sind.Bei der Pflege ihrer Beete, Stauden undBüsche, zu der sich die Frauen jeden Montagnachmittagtreffen, werden sie von derGartenfachfrau Viviana Acquaroni vom Heksangelernt und unterstützt. Dazu kommen anjedem Standort mehrere freiwillige Helferinnen,ohne deren Mitarbeit das Projektnicht realisierbar wäre. Die Betätigung imeigenen Garten erfüllt dabei für die Teilnehmerinneneine Reihe von Funk tionen: «Ichversuche, den Frauen das Fachwissen zu vermitteln,um selbständig und biologisch gärtnernkönnen. Wir schauen zusammen an,welche Pflanzen bei uns gut gedeihen, wieman sie anbaut und pflegt und natürlichauch, wie man sie am Ende in der Küche verwendenkann», so Viviana Acquaroni.Nebenbei Deutsch lernenDie Gartensprache ist Hochdeutsch, wodurchdas Projekt ein niederschwelliges Angebotdarstellt, um erste Sprachkenntnissezu erwerben. Daneben lernen die Frauen die16 Juli/August 2015 – extra


THEMAGemüse, Beeren und Gartenwerkzeuge mitNamen kennen. «Wir schneiden auch andereThemen zum Alltag in der Schweiz an, oderwir geben Informationen weiter, die für dieFrauen von Interesse sein können.»Die Arbeit im Garten selbst hat eine ganzeReihe positiver Effekte: Zuerst natürlichkönnen die Frauen sehen, wie ihre Pflanzenwachsen und blühen, wie ihre Arbeit buchstäblichFrüchte trägt – das Glück eines jedenGärtners. «Das vermittelt eine Freudeund Bestätigung, die im Alltag oft schwierigzu erreichen ist. Wir sehen hier immer wieder,wie die Teilnehmerinnen Freude an der«Ich freue mich immerwieder, hier zu arbeiten.»Gartenarbeit bekommen.» Einige Frauenhätten im Rahmen des Programms gar einenveritablen grünen Daumen entwickelt.Gut fürs SelbstwertgefühlDazu unterstütze die Teilnahme am Projektdie Frauen in ihrem Alltag: Mitunter seiensie es nicht gewohnt, alleine in der fremdenUmgebung unterwegs zu sein. Viviana Acquaroni:«Sie sagen mir, dass es ein gutes Gefühlsei, selbständig in den Bus zu steigenund hierher zu kommen. Das stärkt Unabhängigkeitund Selbstwertgefühl.» Diesenpositiven Effekt bestätigt ProgrammleiterinClaudia Rederer: «Die Teilnehmerinnen legendeutlich an Selbstvertrauen zu; teilweisegeht es ihnen auch gesundheitlich besser.»Eine der Frauen, die schon seit einigenJahren in Baden gärtnert, ist Ayanda Mtoloaus Zimbabwe. «In meiner Heimat hatte ichkeinen Garten, das hat mich damals nicht interessiert»,erzählt sie. «Aber hier bin ich zurGärtnerin geworden und habe viel Freudedaran.» Am meisten Spass mache es ihr natürlich,das eigene Obst und Gemüse zu erntenund zu essen. «Am liebsten habe ich denButternusskürbis, aber der ist nicht so einfachzu ziehen. Auch die Karotten kommendieses Jahr nicht gut.» Dafür aber gedeihenihre gelben und grünen Zucchetti prächtig.Ayanda Mtolo aus Zimbabwe und VivianaAcquaroni vom Heks arbeiten im Garten inBaden-Rütihof seit Jahren zusammen.Niederschwelligkeit ist wichtigNeben der Arbeit im Garten schätzt AyandaMtolo die Möglichkeit, Hochdeutsch zu lernenund sich auszutauschen. «Wenn wir zusammensitzen,können wir miteinandersprechen. Dabei können wir Fragen stellenund lernen auch einiges.» So habe sie damalsihre ersten Sätze in Hochdeutsch gelernt –heute spricht sie die Sprache fliessend. DieserAspekt ist auch für Claudia Rederer wichtig:«Wir haben in den Auswertungen unseresKurses gelernt, dass die Niederschwelligkeitein zentraler Faktor ist.» In den «NeuenGärten» können Frauen gefördert werden,die einen nur geringen schulischen Hintergrundoder erst geringe Deutschkenntnissehaben. «Oft haben die Frauen sonst kaumGelegenheit, Deutsch zu sprechen und ihreKenntnisse zu erweitern.»Im Rahmen des seit sechs Jahren laufendenProgramms werden in Aargau und SolothurnGartenflächen von gut 3600 Quadratmeternan den fünf genannten Standortenbewirtschaftet, von fünfzig Teilnehmerinnenaus 16 Nationen. Dazu gibt es sechs Anschlusslösungen:Frauen, die an einem derauf zwei Jahre befristeten Projekte teilgenommenhaben, konnten eine eigene Gartenpachtübernehmen, anfangs noch begleitetvon den Kursleiterinnen. Wichtig für denErfolg der «Neuen Gärten» sind auch die inzwischenfünf Multiplikatorinnen. Das sindehemalige Kursteilnehmerinnen, die alsFreiwillige in den Gärten weiterarbeiten undein zentrales Bindeglied darstellen. ClaudiaRederer: «Es handelt sich um Frauen, diedank den erworbenen Deutsch- und Gartenkenntnissenund ihrer eigenen Migrationserfahrungeine wichtige Rolle als Vermittlerinneneinnehmen.»Multiplikatorin gewordenAyanda Mtolo aus Zimbabwe ist eine dieserMultiplikatorinnen, die im Gartenareal inBaden-Rütihof gemeinsam mit den anderenFrauen Gemüse züchten und das üppigspriessende Unkraut bekämpfen. «Ich freuemich immer wieder, hier zu arbeiten. Hiersehe ich die Resultate meiner Tätigkeit undkann diese auch mit meiner Familie zu Hausegeniessen. Zu sehen, wie alles wächst, wiemeine Arbeit Früchte trägt, ist für mich einegrosse Ermutigung.»«Heks Neue Gärten» gibt es inden Regionen Aargau/Solothurn,Basel, Bern, Zürich, Ostschweizund Westschweiz. Informationen:www.heks.ch > Themen > SozialeIntegration.Juli/August 2015 –extra17


TIPPSFUNDSTÜCKRECHT<strong>Flüchtlinge</strong> aufnehmenSie haben schon einmal daran gedacht, einen Flüchtling bei sich aufzunehmen?Oder liebäugeln Sie damit, Ihre Wohnung an Touristen zu vermieten?So oder so ist es von Vorteil, den rechtlichen Rahmen zu kennen.Radeln für einegute SucheDie Idee von «Radeln ohne Alter» ist,wie die meisten guten Ideen, simpel –nur musste erst mal jemand auf siekommen: Freiwillige laden Senioren,die selber nicht mehr dazu in der Lagesind, zu Fahrradausflügen ihrer Wahlein. Aus einer Privatinitiative vor dreiJahren in Dänemark entstanden, hatsich die Idee in Windeseile verbreitet.Heute kutschieren dort über tausendfünfhundertFreiwillige Menschen ausAlters- und Pflegeheimen mit Rikschasdurch die Gegend. 50 Gemeinden in Dänemarkund viele weitere in andereneuropäischen Ländern und Übersee bietenden Dienst mittlerweile an. Diesersoll nun auch in die Schweiz kommen.Der Grund für den Erfolg: das überwältigendeEcho. Die Ausfahrten sorgenbei den Passagieren für gute Laune,und auch die Erfahrungen mit dementenund depressiv verstimmten Menschensind überaus positiv. Sie profitierennicht nur von Bewegung und frischerLuft, sondern auch von den Begegnungen;entstanden sind viele Freundschaften.Anina Flury, die Radeln ohne Alterin der Schweiz lanciert, hat selber eineZeitlang in Dänemark gelebt und sichals Rikschafahrerin betätigt. Und hattedabei «viele super Begegnungen».Das Projekt ist startklar – in zwei bisdrei Monaten sollen die ersten, eigensfür die Schweiz entwickelten Rikschaslosfahren. Für den Verein, der hier gegründetwird, sucht Anina Flury nochMitglieder und vor allem freiwilligeRikschapiloten. Wer das Projekt unterstützenoder selber ab und zu in diePedalen treten möchte, findet alle Infosund Anmeldeformulare im Internet.www.radelnohnealter.chWas müssen Genossenschafterinnen undGenossenschafter beachten, wenn sie inihrer Wohnung <strong>Flüchtlinge</strong> aufnehmenwollen?Für die Unterbringung von vorläufig aufgenommenenAsylbewerbern zuständig sindgrundsätzlich die Gemeinden. Entsprechendmüssen für die Aufnahme von <strong>Flüchtlinge</strong>nderen Regelungen beachtet werden. Wer einenFlüchtling aufnimmt, erhält eine Entschädigung.Es handelt sich in diesem Fallum eine Art der Untervermietung. Entsprechendmuss der Genossenschaft Meldunggemacht werden. Die Genossenschaft kanndie Untermiete aufgrund der Bestimmungenim Obligationenrecht sowie aufgrund vonBestimmungen in ihren Statuten ablehnen.Allenfalls verbietet die Asylgesetzgebung eineUntermiete im Einzelfall. Wer beabsichtigt,<strong>Flüchtlinge</strong> in der eigenen Wohnung zubeherbergen, sollte aus diesen Gründen aufjeden Fall vorab Kontakt mit der Verwaltungder Genossenschaft aufnehmen.Kann man einen Flüchtling unbegrenzt beisich zu Hause beherbergen?Wenn die Statuten keine Begrenzung derUntermiete festhalten oder die Verwaltungdie längere Untervermietung genehmigt,dann kann ein Flüchtling auch für längereZeit aufgenommen werden.Es gibt Mieter, die ihre Wohnungen aus anderenGründen Fremden öffnen. Etwa,weil sie ihre Wohnung während ihrer Ferienan Touristen oder regelmässig ein Zimmerüber Onlineplattformen vermietenmöchten. Sie erhoffen sich einen lukrativenNebenverdienst. Kann ich als Genossenschafterauf diesen Zug aufspringen?Auch hier handelt es sich um eine Untervermietung.Deshalb rate ich, auf jeden Falldie Zustimmung der Verwaltung einzuholen.Der Vermieter muss über jede einzelneUntermiete in Kenntnis gesetzt werden unddiese genehmigen. Eine wiederkehrendeVermietung würde die Kapazität einer Verwaltungstrapazieren. Allenfalls könnte siemit dem Mieter eine Rahmenvereinbarungabschliessen. Zum Nebenverdienst: Der Mieterdarf mit der Untervermietung keinen Gewinnerwirtschaften. Nebst dem Mietzinsanteildürfen aber Risiken wie Gefahr übermässigerAbnützung oder Mietzinsausfall sowieeine Entschädigung für mitvermietete Einrichtungsgegenständein Rechnung gestelltwerden. Die Grenze dürfte bei etwa dreissigProzent über dem Mietzinsanteil fürdas Zimmer liegen. Wie ein übermässigerGewinn berechnet wird, wurde noch nichthöchstrichterlich entschieden. Da das Phänomenrelativ neu ist, gibt es auch keine gesetzlichenRegelungen zur Bed-&-Breakfast-Untervermietung.Was, wenn ich als Mieter selber vorübergehendeine Notunterkunft benötige, zumBeispiel wegen einem Brand oder einemWasserschaden in der Wohnung? Muss ichmich selber darum kümmern?Nein, der Vermieter ist verpflichtet, vertragsgemässeine Wohnung zur Verfügung zu stellen.Wenn er das nicht kann, weil die Wohnungausgebrannt ist, muss er für Ersatz aufkommen.Falls der Vermieter keine Ersatzwohnungzur Verfügung stellen kann, musser den Mietern ein Hotelzimmer bezahlen.Es versteht sich natürlich von selbst, dass dabeinicht die Kosten für eine noble Suite ineinem Luxushotel gedeckt werden.Lic. iur. Myriam Vorburgerist Beraterin beim Rechtsdienst vonWohnbaugenossenschaften Schweiz.18 Juli/August 2015 – extra


GASTKOMMENTARein Zimmer vermittelt, das ich aberohne zu zögern annahm, da ich ausdem Heim wollte. Rasch meldete ichmich auch für einen Deutschkursan. Über diesen erfuhr ich von einerZweizimmerwohnung in Schlieren, die ich mieten konnte,und bald darauf kam meine Tochter zu mir.In der Parterrewohnung machten sich wieder meine traumatischenErlebnisse bemerkbar, sodass ich in der Nacht dasLicht brennen liess und bis zum Morgen auf dem Bett sass.Tagsüber war ich erschöpft und vernachlässigte meinenSprachkurs. Als mein Berater von dieser Situation erfuhr,meldete er mich zu einer Therapie an. Dort empfahl man mirdringend, umzuziehen. So begann eine erneute verzweifelte,nervenaufreibende Suche nach einer Wohnung, die nicht imParterre liegen und auch noch günstig sein sollte. Sie dauertelange und war hoffnungslos. Die Asylorganisation bewilligtemir dann eine höhere Miete. Schliesslich fand ich eine Dreizimmerwohnungin Zürich im zweiten Stock. Dort wohnteich vier Jahre, meine Gesundheit stabilisierte sich.Ich absolvierte eine Lehre und wurde von der Sozialhilfeunterstützt. Nun sollte ich nach dem Abschluss wieder einebilligere Wohnung suchen. Von meinem ersten Lohn hätteich mir ohnehin keine hohe Miete leisten können – zumalals alleinerziehende Mutter. Meine beste Freundin machtemich auf eine günstige Genossenschaftswohnung aufmerksam.Mit ihrer Hilfe bewarb ich mich. Als wir merkten, dassmir die Wohnung wegen meines Flüchtlingsstatus verwehrtwurde, schrieb meine Sozialberaterin einen Referenzbrief, indem sie auch meine Traumabelastung erläuterte. Es dauer-Wohnungs-OdysseeVON EMINE BRAUN*In den neunziger Jahren flüchtete ich als junge Frau aus politischenGründen aus der Türkei in die Schweiz. Nachdemich ein Asylgesuch gestellt hatte, wohnte ich fünf Monate ineinem Asylbewerberheim. Ich teilte mir ein kleines Zimmermit einer jungen Frau. Mit anderen Asylbewerbern nutztenwir gemeinsam Küche, Bad und Wohnzimmer. Es gab nichtdie geringste Privatsphäre, was mich psychisch sehr belastete.So blieb ich meist im Zimmer. Ich hatte das Gefühl, zuersticken: Ich wollte Freiheit und keine Zelle. Das war jaauch der Grund, warum ich geflohen war. Jetzt fühlte ichmich wieder wie in einem Gefängnis und war traumatisiert.Nach meiner Anerkennung als Flüchtling durfte ich einegrössere Wohnung suchen, da ich meine neunjährige Tochterim Rahmen des Familiennachzugs zu mir holen wollte. Esbegann eine aufreibende Wohnungs-Odyssee: Schnell merkteich, dass ich ohne Beziehungen und Deutschkenntnissekeine Chance hatte. Ich erhielt nur«Ohne Beziehungenund Deutschkenntnissehatte ich keine Chance.»Foto: zVg.*Im Gastkommentar schildern Menschen,die etwas zum Heftthema zu sagen haben,ihre Erlebnisse und Gedanken.Emine Braun (44) ist Kurdin und wuchs inOstanatolien auf. Sie flüchtete 1995 indie Schweiz, 1997 durfte ihre Tochternachreisen. Nach einer Berufslehre imTextilbereich bildete sie sich weiter zurSozialarbeiterin und Berufs-, Studien- undLaufbahnberaterin. Emine Braun leiteteverschiedene Projekte zur Integration von<strong>Flüchtlinge</strong>n in den Arbeitsmarkt, 2013gründete sie ihre eigene Firma BerufsgangGmbH für interkulturelle Berufsberatung.Daneben arbeitet sie im Laufbahnzentrumder Stadt Zürich.Die Aussagen der Autoren decken sich nichtzwingend mit der Ansicht der Redaktion.te Wochen, bis die Genossenschaft einen humanitären Entscheidfällte und mir eine Wohnung zusprach. Leider lag diesewieder im Parterre. Notgedrungen nahm ich das Angebotan. Nach dem Einzug verschlechterte sich mein psychischerZustand prompt wieder. Zum Glück konnte ich dann dochnoch in ein oberes Stockwerk wechseln. Nach einiger Zeitwurde ich sogar in den Genossenschaftsvorstand gewählt,dessen Mitglied ich vier Jahre lang blieb.Aus meinen Erfahrungen weiss ich, wie schwierig und belastendes ist und wie viel Glück es braucht, eine bezahlbareWohnung zu finden. Deshalb unterstütze ich <strong>Flüchtlinge</strong> beider Suche. Dabei sehe ich, dass sie kaum Chancen bei Genossenschaftenhaben. Müssen <strong>Flüchtlinge</strong> lange in Heimenleben, beeinflusst das die Integration negativ. Gerade in Genossenschaftenkönnten sie viele Kontakte zu Menschen inder Aufnahmegesellschaft knüpfen. Tiefe Mietkosten würdenzudem grössere Anreize setzen, eine Arbeit zu suchen,da nicht der Grossteil des Einkommens für die Miete gebrauchtwird. So könnten <strong>Flüchtlinge</strong> sich schneller von derSozialhilfe lösen und sich in der neuen Heimat wohlfühlen.Juli/August 2015 –extra19


RÄTSELDie Gewinnerinnen und Gewinner des Rätsels vonextra 1/2015 sind:Ramon GerberDörflistrasse 148050 ZürichManuela HetzelAuenring 378303 BassersdorfKurt WyssBuchenweg 25316 GippingenFilm ab!Wir hoffen, Sie hatten bisher einen schönen Sommer undkamen dabei auch in den Genuss des einen oder anderenOpen-air-Kinos mit lauschiger Freiluftkulisse. Die kühlenTage kommen aber bestimmt – und damit pilgern echteFilmfans wieder in die guten alten Lichtspielhäuser. Umihnen den Filmgenuss zu versüssen, verlosen wir dreiMal Kinogutscheine im Wert von je 100 Franken.Schicken Sie das Lösungswort auf einer Postkarte anVerlag <strong>Wohnen</strong>, Bucheggstrasse 109, Postfach, 8042Zürich, oder mailen Sie uns den gesuchten Begriff biszum 30. Oktober an wettbewerb@wbg-schweiz.ch. DieGewinnerinnen und Gewinner werden ausgelost undschriftlich benachrichtigt. Über den Wettbewerb wirdkeine Korrespondenz geführt.

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!