PORTRÄT30 VERWANDTE AUS SYRIEN IN DIE SCHWEIZ GEHOLTLärmschutzfensterstatt BombenTEXT: HARRY ROSENBAUM / FOTO: REGINA KÜHNEDie El Soudis sind Menschen wie du und ich. Sie hatte nur das Pech,in Syrien zu leben – einem Land, das im Bürgerkriegschaos versinkt.Dank Verwandten und einem humanitären Visum konnten sie in dieSchweiz kommen.8 Juli/August 2015 – extra
PORTRÄTZU DEN PERSONENHoussam El Soudi (36), Donia Gudeh (24),Ahmad (5) und Bisan (3) sind froh, in derSchweiz Schutz erhalten zu haben.Eigentlich ist alles wie bei einer ordentlichenSchweizer Familie: Die Schuhe stehen aufgereihtvor der Wohnungstüre, die Trottinettsder beiden Kinder sind im Erdgeschoss abgestellt.Es ist kurz vor zwölf, mittags. Die Mutterist noch in der Küche beschäftigt und entschuldigtsich unsichtbar, aber mit freundlicherStimme. Vater Houssam El Soudi bittetdie Fotografin und den Schreibenden auf derPolstergruppe in der Wohnstube Platz zunehmen. Der fünfjährige Ahmad und diedreijährige Bisan spielen mit einem riesigenFeuerwehrauto am Boden. Ab und zu blickensie auf, wie um sich zu vergewissern, dasswir sie auch wahrnehmen. Ahmad imitiertdas «Dü-da-do» seines Spielzeugs. Bisan lächeltund richtet die Drehleiter. Man könnteauch noch Wasser auf die Gäste spritzen. Dastun die Kinder aber nicht. Dafür sind sie vielzu scheu.Noch vor einem Jahr war die kleine Familiegefangen mitten im syrischen Bürgerkrieg.Sie entging ganz knapp dem Tod. EineBombe zerstörte ihr Wohnhaus im palästinensischenFlüchtlingsquartier Yarmuk inDamaskus. Viele Tote und Verletzte. Die Familieüberlebte unter schwerem Schock. Ihrgelang die Hals-über-Kopf-Flucht in ein provisorischesAufnahmecamp in der Türkei;dort sollen nach Schätzungen des UNHCRmittlerweile etwa 1,6 Millionen Syrier untergekommensein.Lieber Arbeit statt SozialhilfeDonia Gudeh kommt aus der Küche, lächeltund fragt noch bevor sie sich gesetzt hat, obwir zum Essen bleiben wollen. Nichts kannorientalische Gastfreundschaft zerstören,auch wenn man selber nur Gast ist. – Die Familiemit palästinensischen Wurzeln istdankbar, dass sie auf unbürokratische Weiseüber die humanitäre Aufnahmeaktion für syrischeKriegsvertriebene in der Schweiz Zufluchtgefunden hat (siehe Kasten). Sie fühltsich in der Vierzimmerwohnung im sanft renoviertenAltbau an der vielbefahrenenSt. Galler Ausfallstrasse wohl. «Wir habenLärmschutzfenster», sagt Houssam El Soudiund jongliert die Worte. Man merkt ihm denSprachkurs an und den Willen, sich möglichstperfekt auszudrücken.Donia Gudeh sagt: «Für die Kinder ist esideal hier. Spielplatz, Kindergarten und dieSchule sind ganz in der Nähe.» Ahmad gehtzurzeit in den Kindergarten und Bisan in dieSpielgruppe. Houssam El Soudi hatte in Syrienzwei Jobs: selbständiger Mechanikerund Angestellter in einem Restaurant. Ermöchte in der Schweiz so schnell wie möglichwieder arbeiten. Am liebsten in einem«Für die Kinderist es ideal hier.»technischen Beruf. Donia Gudeh arbeiteteim Sportamt in der Verwaltung von Damaskus.Sie hat eine Multimedia-Ausbildungund sucht eine Weiterbildung im Bereich Videound Videoanimation. Die Wohnungsmietevon 1150 Franken und einen monatlichenPauschalbetrag von 1100 Franken fürden Lebensunterhalt bezahlt das Sozialamt.Dank Verwandten in der SchweizDie Familie konnte ausserhalb des ordentlichenVerfahrens in die Schweiz einreisenund hat als vorläufig Aufgenommene denFlüchtlingsstatus F, der zwölf Monate giltund dann wieder verlängert werden muss.Nach fünf Jahren kann der Antrag für denAufent haltsstatus B gestellt werden. Dieserbedeutet die Anerkennung als Flüchtling; erbringt viele Erleichterungen für den Aufenthaltund ebnet den Weg für eine spätere Einbürgerung.Die El Soudis wurden von Ahmad und NejuaGahre über die humanitäre Hilfsaktiondes Bundes in die Schweiz geholt. Das palästinensischeEhepaar mit Wurzeln in Syrienbetreibt ein bekanntes arabisches Restaurantin St. Gallen, hat zwei erwachsene Söhneund das Schweizer Bürgerrecht. Vor zwanzigJahren kam Ahmad Gahre, ein Kunstmalerund Cartoonist, als politischer <strong>Flüchtlinge</strong> indie Schweiz. Er liess nach der Anerkennungals Flüchtling seine Familie nachkommen.Die El Soudis sind mit Nejua Gahre verwandt.«Sie gehören zu einer Gruppe vondreissig Personen zwischen 1 und 78 Jahren,die alle mit meiner Frau verwandt sind undmitten im Kriegsgebiet in Syrien lebten»,sagt Ahmad Gahre. Als er und seine Frau vonder humanitären Aufnahmeaktion derSchweiz erfuhren, wurden sie sofort aktiv.«Wir sind in St. Gallen sehr gut vernetzt.Über eine Spendenaktion und mit Hilfe desstädtischen Sozialamtes schafften wir die finanzielleGrundlage für die Aufnahme unsererVerwandten.» Viele Bekannte hätten siesehr unterstützt. So konnte Nejua Gahre, diesich in die Wohnungssuche kniete, schliesslichfür alle eine passende Bleibe finden –vorwiegend in privaten Unterkünften.Schweiz nimmt3000 Schutzbedürftigeaus Syrien aufIn diesem und in den beiden nächstenJahren nimmt die Schweiz 3000 schutzbedürftigePersonen aus dem Syrienkonfliktauf. 1000 Personen können miteinem humanitären Visum einreisen underhalten vorübergehend Schutz. Weitere2000 Personen werden umgesiedelt.Durch die humanitäre Aufnahmeaktionerhalten alle Personen, die schon inder Schweiz sind, die Möglichkeit, engeFamilienangehörige auf sicherem Wegin die Schweiz reisen zu lassen.Juli/August 2015 –extra9