THEMASCHWIERIGE WOHNUNGSSUCHE FÜR FLÜCHTLINGESteiniger Weg zu einemwirklichen ZuhauseTEXT: HARRY ROSENBAUM / FOTO: URSULA MARKUSAsylsuchende freuen sich, wenn das Aufnahmeverfahren mit einempositiven Entscheid zu Ende gegangen ist. Doch was darauf folgt,ist ernüchternd. Die Menschen, darunter viele Familien, müsseneine Wohnung finden – und das ist alles andere als einfach.Das Flüchtlingswesen ist ein bürokratischerDschungel. Daraus ragen die Aufenthaltsbewilligungenfür Schutzsuchende wie Termitenhügelheraus. Drumherum breitet sichein Meer mit komplizierten rechtlichen Bestimmungenaus, die je nach Kanton variieren.Gäbe es eine «Foxtrail»-Schatzsuche zudiesem Thema, könnten die Rätselfragen etwaso aussehen:Was bedeutet ein blauer Ausweis mit demBuchstaben «N»?Asylsuchende erhalten ihn für die Dauer desAsylverfahrens. Sie werden in einem derfünf Empfangs- und Verfahrenszentren desBundes untergebracht. Dabei handelt es sichum Kollektivunterkünfte, meist an den Landesgrenzen;bei Engpässen werden zusätzlicheUnterkünfte geöffnet, beispielsweise inZivilschutzanlagen. Wird das Asylgesuch amFlughafen gestellt, erfolgt die Unterbringungauf dem Flughafenareal.Die Aufenthaltsdauer in den Bundeszentrenbeträgt maximal drei Monate. Währenddieser Zeit gilt ein Arbeitsverbot. Nimmt dasGesuch mehr Zeit in Anspruch, können dieAsylsuchenden einem Kanton zugewiesenund dort in Durchgangs- oder Entlastungszentrenplatziert werden. Danach werden siein rund der Hälfte der Kantone in Gemeindeunterkünfteverteilt. Das Staatssekretariatfür Migration fällt nach der ersten oder zweitenAnhörung den Asylentscheid. Wird dasGesuch abgelehnt, kann beim BundesverwaltungsgerichtBeschwerde erhoben werden.Nach Abschluss des Verfahrens, das unterschiedlichlange dauern kann, erlischt dieAnwesenheitsberechtigung. Erfolgt ein Nichteintretensentscheid,müssen die Gesuchstellerdie Schweiz umgehend verlassen.Was bedeutet ein blauer Ausweis mit demBuchstaben «F»?Er wird für <strong>Flüchtlinge</strong> ausgestellt, die einevorläufige Aufnahme erhalten – aber nur,weil sie nicht ausgewiesen werden können,da dies wegen einer Gefährdung unzumutbar,aus völkerrechtlichen Gründen unzulässigoder technisch unmöglich ist. Der F-Ausweiswird für zwölf Monate ausgestellt undkann verlängert werden. Nach fünf Jahrenkönnen vorläufig Augenommene ein Härtefallgesuchstellen; wird dieses gutgeheissen,erhalten sie einen B-Ausweis.Was bedeutet ein beiger Ausweis mit demBuchstaben «B»?Er wird für anerkannte <strong>Flüchtlinge</strong> ausgestellt.Damit haben sie ein Recht auf Familiennachzugund erhalten einen Flüchtlingspassnach der Genfer Flüchtlingskonvention.10 Juli/August 2015 – extra
THEMAJa oder nein? Wartenauf den Asylentscheidim DurchgangszentrumBuch (SH).Die Ausweise «F» und «B» sind das Ende derBergetappe auf dem Flüchtlings-Foxtrail. Siemarkieren das abgeschlossene Verfahren.Erstmals ist damit für <strong>Flüchtlinge</strong> in derSchweiz ein Leben in der «eigenen» Wohnungmöglich. Vorläufig Aufgenommenemüssen dabei allerdings innerhalb des zugewiesenenKantons eine Bleibe suchen.Zuunterst in der HierarchieAnerkannte <strong>Flüchtlinge</strong> und vorläufig Aufgenommenemüssen die Unterbringungsstrukturen,in denen sie während des Verfahrenslebten, verlassen und eine Wohnungmieten. Das ist schwierig und ohne professionelleUnterstützung fast unmöglich. Es fehlenReferenzen, Budgets, Sprachkenntnisse,eine Anstellung – und <strong>Flüchtlinge</strong>n wird oftmit Vorurteilen begegnet.Weil <strong>Flüchtlinge</strong> auf dem Wohnungsmarktzuunterst in der Hierarchie stehen,hat die Caritas Bern die «Fachstelle <strong>Wohnen</strong>»eingerichtet. Sie vermittelt im Auftrag desKantons Mietwohnungen an neu anerkannte<strong>Flüchtlinge</strong>. Dies geschieht im Rahmen einesLeistungsvertrags. Ähnliche Unterstützungsangebotegibt es vereinzelt auch in anderenStädten; sie sind aber meist beschränkt imUmfang oder vermitteln wie die IG <strong>Wohnen</strong>in Basel oder die Stiftung Domicil in Zürichnicht nur <strong>Flüchtlinge</strong>n günstigen Wohnraum,sondern generell Menschen, die aufdem Wohnungsmarkt benachteiligt sind.Unterstützung speziell für <strong>Flüchtlinge</strong> bietenausserdem Nichtregierungsorganisationenund kirchliche Hilfswerke.Auch Vorteile für VermieterUm Wohnungen sehr schnell vermitteln zukönnen, hat die Fachstelle <strong>Wohnen</strong> eine eigeneDatenbank angelegt. Im Angebot sindWohnungen mit günstigen Mieten, die innerhalbder von den sozialen Diensten vorgegebenenBudgetlimite liegen, erklärtFachstellenleiterin Judith Ledezma. DieFachstelle arbeitet mit vielen Vermieternschon länger zusammen und bekommt vondiesen auch Wohnungen angeboten. Zudemsucht sie über Inserate geeignete Mietobjektefür <strong>Flüchtlinge</strong>. Für diese organisiert sieWohnungsbesichtigungen, bei Bedarf mitBegleitung zu den Terminen.Für die Mietkosten definiert die SozialhilfeMaximalbeträge; im Kanton Bern liegendiese beispielsweise bei einer Vierzimmer-wohnung bei 1300 Franken. Das macht dieWohnungssuche für <strong>Flüchtlinge</strong> schwierig.Für die Vermieter kann es aber durchaus vonVorteil sein, Wohnungen an <strong>Flüchtlinge</strong> zuvermieten – weil sie eine Mietzinsgarantiedes Sozialamtes haben, solange die <strong>Flüchtlinge</strong>über kein eigenes Einkommen verfügen.Zudem werden sie sozialhilferechtlichund von Sozialarbeitern betreut. Für dieÜberbrückung von Verständigungsproblemenstehen interkulturelle Dolmetscher zurVerfügung. Das beruhigt viele Vermieter.Vermittelbarkeit auch ein Frage derEthnie«Als Wohnungsmieter müssen die <strong>Flüchtlinge</strong>aber auch Bürgschaften leisten und Versicherungenabschliessen», sagt Judith Ledezma.«Das belastet sie, weil diese Leistungenauf Kosten des Sozialbudgets gehen, das ihnenzur Verfügung steht.» Die Vermittelbarkeitist je nach Ethnie unterschiedlich. BeiTibetern etwa, die schon seit langem in derSchweiz leben, sei es einfacher als bei Eritreern,die als Gruppe neu sind. Zudemschätzten es viele Vermieter, wenn die<strong>Flüchtlinge</strong> aus einer städtischen und nichtaus einer ländlichen Umgebung kämen, wasdie Gewöhnung an die schweizerischen Verhältnisseeinfacher mache.Nach dem Abschluss des Mietvertrageswerden die <strong>Flüchtlinge</strong> zur Wohnungsübergabebegleitet. Damit ist gewährleistet, dassdiese nach mietrechtlichen Usanzen erfolgt.Die Fachstelle <strong>Wohnen</strong> organisiert zwölf Kurseim Jahr mit dem Thema «<strong>Wohnen</strong> in derFoto: Christoph Engeli«Ohne professionelleUnterstützung istdie Wohnungssuche fastunmöglich.»Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen (TG).Schweiz». Dabei sollen <strong>Flüchtlinge</strong> mit derhiesigen Wohnkultur vertraut gemacht werden,behandelt werden etwa Themen wieWaschküchenbenützung oder Hausordnung.Schwierigkeiten zwischen Vermieternund <strong>Flüchtlinge</strong>n, die zur Auflösung desMietverhältnisses führen, sind die Ausnahme.Tauchen Probleme auf, können sie meistenseinvernehmlich gelöst werden. Die<strong>Flüchtlinge</strong> sind froh über die Betreuungdurch die Fachstelle. Auch die Vermieterschätzen diese Dienstleistung.Noch mehr Druck zu erwartenIm Kanton Bern müssen <strong>Flüchtlinge</strong> nach positivemAbschluss des Asylverfahrens dasAsylzentrum innert wenigen Tagen verlassenund in eine Wohnung umziehen. Wirdihnen ein zumutbares Angebot gemacht,müssen sie es annehmen, auch wenn es entgegenden Wünschen nicht in städtischer,sondern in ländlicher Umgebung und ausserhalbder gewohnten gesellschaftlichenUmgebung liegt.Die Anerkennungsquoten sind in denletzten Jahren höher geworden, was bei derWohnungssuche mehr Druck verursacht.2012 wurden von der Fachstelle in Bern 220Wohnungen vermittelt. Das war die bisherhöchste Zahl. Auch jetzt stehen wegen der<strong>Flüchtlinge</strong> aus Bürgerkriegsgebieten vielepositive Entscheide an. Vor allem aus Syriengibt es Asylsuchende, die bereits nach vierMonaten anerkannt werden und sehr schnellauf den Wohnungsmarkt kommen. Damit erhöhtsich auch die Gefahr, dass skrupelloseVermieter die Situation ausnutzen. Fälle, wiesie in letzter Zeit Schlagzeilen machten, weil<strong>Flüchtlinge</strong> in völlig unzureichenden Unterkünftenzu Wucherpreisen dichtgedrängthausen, könnten sich häufen. Den Behördensind dabei meist die Hände gebunden, wenndie <strong>Flüchtlinge</strong> die Mieterverträge selber abschliessen.Juli/August 2015 –extra11