<strong>BILDUNG</strong> SCHULAUTONOMIEMehrFreiheitwagenDas deutsche Schulwesen ist seiner Traditionals obrigkeitsstaatliche Einrichtung ausKaisers Zeiten treu: durchverwaltet, miteinem Übermaß an Erlassen und Vorschriftenausgestattet, von weisungsgebundenenBeamten exekutiert. Dieses schwerfälligeSystem ist den schnellen Veränderungenunserer Zeit nicht gewachsen. Schulebraucht Freiheit. // TEXT // WOLF-DIETER HASENCLEVERDAS BUCH ZUMSCHWERPUNKT:Bildung für AlleBildungsvielfalt imIdeenwettbewerb, vonPeter Altmiks/KathleenKlotchkov (Hrsg.),Peter Lang EditionIm November 1997 fand im Schauspielhaus amGendarmenmarkt das Berliner Bildungsforum statt.Einer der Redner war Roman Herzog. Seinen Vortragschloss der damalige Bundespräsident mit denWorten: „Setzen wir neue Kräfte frei, indem wir bürokratischeFesseln sprengen. Entlassen wir unser Bildungssystemin die Freiheit.“18 Jahre nach der wohlbegründeten Aufforderungdes damaligen Bundespräsidenten hat sich der Eindruckverfestigt, dass die einzige politische Kraft, die sichernsthaft um (relative) Autonomie, Eigenverantwortungund Gestaltungsfreiheit für die Schulen bemüht, in derTat die Liberalen waren und sind. Warum aber wird dasauch von anderen Parteien vorgetragene Bekenntnis zurFreiheit der Schulen in der Praxis der Länder – bis aufdie rühmliche Ausnahme Niedersachsens in der Zeit derCDU-FDP-Koalition – nicht oder nur höchst oberflächlichumgesetzt?Mehr Selbstverantwortung für die auch im Detailunmittelbar den Weisungen der Politik und Verwaltungunterworfenen Schulen bedeutet Machtverlust fürbeide. Entscheiden Schulen selbst über die Schwerpunktbildungbeim Unterricht oder gar über ihre Organisationsformen,kann nicht mehr durch Weisung desMinisteriums „mal eben“ eine pädagogisch weitgehendnutzlose Strukturänderung oder ein gerade modischesThema in die Bildungsstätten hineingebracht werden.Dabei ist die eigene Möglichkeit, sich an die jeweilsunterschiedlichen Voraussetzungen ihrer Schülerschaftanzupassen, wesentlich für die Qualität der Schulen.Nach den für Deutschland schlechten Ergebnissen derPISA-Studie wurden die Faktoren untersucht, die erfolg-12 4.2015 liberal
Illustration: E. Merheim; Fotos: SuperStock, Inc.; privatreichere Schulsysteme ausmachen. Als zentral erwiessich das Maß an Freiheit der einzelnen Schulen in folgendenBereichen: Lehrereinstellung, Verfügung über dasBudget, Bestimmung des Lernstoffs, Entscheidung überdas Fächer- und Kursangebot. Bei all diesen Faktoren lagDeutschland auf dem letzten Platz hinter den VergleichsstaatenKanada, Finnland, Schweden, Großbritannien,Niederlande.Der Grund: Historisch hat sich das deutsche Schulwesenals obrigkeitsstaatliche Einrichtung im Kaiserreichentwickelt: mit einem Übermaß an Erlassen und Vorschriftenausgestattet, durchverwaltet, von weisungsgebundenenBeamten ausgeführt. Dieses schwerfälligeSystem ist den schnellen Veränderungen unserer Zeit inWissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft nicht gewachsen.Das staatliche Schulwesen in Deutschland kanndaher als System bezeichnet werden, das durch Verwaltungsabläufeim Dienste einer eher statisch orientiertenGesellschaft gekennzeichnet war und in weiten Teilennoch ist. Einem solchen System sind Individualisierungund die Zentrierung auf die Schüler fremd. Reformen inder Schule können nicht schnell und pragmatisch vonunten kommen, sondern mussten und müssen denmühsamen und politisch belasteten Weg von den Landesregierungenüber die Verwaltungen nehmen. DerSchritt in die eigenverantwortete Freiheit ist daher weitmehr als eine Organisationsveränderung: Er bahnt denWeg für neue Formen des Unterrichtens und Erziehens,für mehr Individualisierung und Kreativität.Auch beim Personal mitentscheidenMehr Selbstständigkeit der einzelnen Bildungseinrichtungbedeutet aber auch mehr Verantwortung für dieQualität der eigenen Arbeit, für die Ergebnisse des Unterrichts,für die Erziehung, also für das, was herauskommt(Outcome). Eltern, Kinder und Jugendliche haben einRecht auf qualitativ gute Arbeit. Die Steuerzahler habenein Recht auf Effizienz der eingesetzten Mittel. Die Schulenhaben ein Recht auf die objektive Beurteilung ihresTuns: Dabei beurteilen zuallererst Eltern und Schüler,aber auch die Lehrkräfte selbst ihre Arbeit. Von außenmüssen zentrale Prüfungen und Schulinspektionendazukommen. Die Freiheit der Schulwahl für Eltern unddie Finanzierung der Schulbudgets über Bildungsgutscheinekönnen entscheidende Anreize für die weitereQualitätsentwicklung sein.Unter dem Begriff der Eigen- oder Selbstverwaltunghaben viele Bundesländer den Schulen einige Freiheitengegeben. Zum Beispiel Teilbudgets für Fortbildungen,Mitsprache bei der Personalauswahl, bei Beförderungenund bei der Verteilung der Lehrstoffpläne. Durch dieEinbindung der Schulen in das staatliche Personalrecht,die Anbindung an ein allzu detailliertes Haushaltsrechtund die immer noch anhaltende Erlassflut sind dieseFreiheiten bisher jedoch massiv eingeschränkt. NeueVerwaltungsvorschriften – beispielsweise zur Art undWeise von Leistungsstanddiagnosen – statt der unbedingterforderlichen Entbürokratisierung belasten undkonterkarieren den Freiheitsgedanken.Werden darüber hinaus bisher von den Schulbehördengeleistete Verwaltungsaufgaben unter dem Zeichenvon Selbstverwaltung auf die Schulen abgewälzt, ohneihnen die nötigen Ressourcen zu geben, entstehenUnmut und Skepsis gegenüber der – letztlich nur vermeintlichen– Freiheitsgewährung.Aus den Erfahrungen des Schulwesens in freierTrägerschaft lassen sich einige Grundbedingungenwirksamer, von den Beteiligten für wesentlich gehaltenerFreiheitsbedingungen herausdestillieren. Entscheidendfür die Schulen sind:1. Freiheit in der Verwendung der Ressourcen2. Freiheit in der Organisation des Unterrichtsund in der Lehrstoffverteilung3. Freiheit bei Personalmaßnahmenund –entscheidungen.Solche schwerwiegenden Änderungen in der Verfasstheitder Schulen können nur erfolgreich implementiertwerden, wenn man sie sorgfältig vorbereitet und dauerhaftunterstützt. Zumindest müssten folgende Rahmenbedingungengeschaffen werden: Gründliche Aus- undFortbildung für Führungskräfte im Schulbereich – nichtnur für Schulleiterinnen und Schulleiter –, hinreichendZeit für deren angewachsene Führungsaufgaben sowiedie Zusammenführung der Sach- und Personalbudgetsan den Schulen. Notwendig ist dazu eine weitgehendeVerfügungsfreiheit.So kann schrittweise aus dem alten Modell derdurchverwalteten das neue, freiheitliche und zukunfts–fähige Modell einer Schule in eigener Verantwortungentstehen. ●PROFESSORWOLF-DIETERHASENCLEVERist Mitgründer undGesellschafter der FreienSchule Panketal undwar von 2006 bis2010 Präsident desLandesamtes fürLehrerbildung undSchulentwicklung desLandes Niedersachsen.redaktion@libmag.deliberal 4.201513