WIRTSCHAFT STUDIUMDu bist nicht alleinExakte Zahlen gibt es nicht, aber Zehntausende junge Menschen brechen Jahr fürJahr ihr Studium ab – ein volkswirtschaftliches Desaster. Nun reagieren einigeUniversitäten und unterstützen Abbrecher beim Neustart. // TEXT // CHRISTINE MATTAUCHWie funktioniert eigentlich ein Unternehmen?Die Frage faszinierte SusanneKreiske (Name geändert) schon währendihrer Schulzeit. Jetzt studiert sie imdritten Semester Betriebswirtschaft an der Uni Passau,aber die Erfolge bleiben aus. Das Fach ist ganz anders, alssie es sich vorstellte. Bei Prüfungen schneidet sie ziemlichschlecht ab. Wenn sie ehrlich ist, liegt ihr das ganzeStudium nicht. Aber einfach aufhören? „Ich habe michbis jetzt nicht getraut, diesen Schritt zu wagen“, schreibtdie 20-Jährige ihrem Studienberater in einer E-Mail.Es ist eine Situation, die jedes Jahr Zehntausendevon Studenten in Deutschland erleben – vielleicht sindes sogar Hunderttausende. Exakte Zahlen gibt es nicht,weil nicht zentral erfasst wird, wer wann wo aufhörtund sich vielleicht neu einschreibt. RepräsentativeStudien des Deutschen Zentrums für Hochschul- undWissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover zeigenaber, dass 28 Prozent derjenigen, die sich für einenBachelor einschreiben, das Studium nicht vollenden.Bei den Ingenieuren schafft gar nur jeder Dritte einenAbschluss, in Mathematik scheitern fast 50 Prozent.Früher wurde das als Privatsache betrachtet, alspersönliches Versagen, Selbstüberschätzung oderschlicht Mangel an Fleiß. Inzwischen wächst in derGesellschaft die Einsicht: Wenn so viele junge Menschenscheitern, ist das auch ein wirtschaftliches Problem –eine gigantische Ressourcenverschwendung. Wie vielebleiben ihr ganzes Leben lang unter ihren Möglichkeiten,weil der erste Anlauf nicht klappte? Und was läuft eigent-32 4.2015 liberal
Fotos: N. Aksic/Getty Images; AFP/Getty Images; dpalich an den Hochschulen selbst verkehrt? „Die Universitätenhaben ein Legitimationsproblem, wenn sie diejungen Leute vom Arbeitsmarkt abziehen und ohneAbschluss wieder ausspucken“, sagt Carola Jungwirth,Professorin für Internationales Management an derUniversität Passau. Sie findet, dass die HochschulenStudienabbrecher bei der Umorientierung unterstützenund alternative Perspektiven aufzeigen sollte – etwa inder betrieblichen Ausbildung, wo qualifizierte Bewerberhäufig fehlen.Neuer Mut zur Karriere 2.0In Passau zeigen sie, dass das auch ohne Bürokratie undgroßes Budget möglich ist. Vor eineinhalb Jahren brachtenJungwirth und ihr Kollege Achim Dilling Studienberater,Vermittler der Arbeitsagentur sowie Vertreter derIndustrie- und Handelskammer (IHK) Niederbayern undder Handwerkskammer (HWK) Niederbayern/Oberpfalzan einen Tisch. Die Initiative „Neustart – Karriere 2.0“ wargeboren. Seit November 2014 fängt sie Studierende mitProblemen auf. Thomas Genosko, Leiter des BereichsBerufliche Ausbildung bei der IHK, beschreibt den Ansatzso: „Jeder macht, was er am besten kann, wir arbeitenaber viel enger zusammen als früher.“Es kostete Zeit, sich über Rollen und Erwartungen zuverständigen, aber nur wenig Geld: 1.800 Euro. Diewurden in einen Flyer investiert, auf dem alle Ansprechpartnerstehen und alle Adressen und dessen pureExistenz den jungen Leuten schon Mut macht, weil ersignalisiert: Du bist nicht allein, vielen geht es so wie dir,und wir sind darauf vorbereitet. „Auch für die Berater istes leichter, wenn sie auf einen klaren Weg verweisenkönnen“, sagt Jungwirth.Susanne Kreiske war eine der Ersten, die von demProjekt profitierte. Sie wandte sich Ende vergangenenJahres mit ihren Sorgen an Dilling. Der 41-Jährige istFachstudienberater an der WirtschaftswissenschaftlichenFakultät und häufig erste Anlaufstelle für Studenten,die sich eingestehen, dass sie die falsche Wahl getroffenhaben. „Für viele bricht damit eine Welt zusammen“,weiß Dilling. Auch Kreiske war der Verzweiflung nah. „Esist eine schwierige Zeit, wenn man merkt, dass es sonicht weitergehen kann“, sagt sie rückblickend. „Das‚Neustart‘-Projekt kam für mich wie gerufen.“ Mit Dillingbesprach sie die Alternativen, IHK und Arbeitsagenturvermittelten Kontakte zu Unternehmen. Inzwischen hatKreiske einen Ausbildungsvertrag als Industriekauffraubei einem mittelständischen Unternehmen der Metallindustrie.Im September beginnt ihre neue Karriere.Ein Idealfall, findet Genosko. Nach hauseigenenPrognosen fehlen Niederbayerns Unternehmen bis zumliberal 4.2015Kai Diekmann, geboren 1964, schrieb sich nachseiner Bundeswehrzeit 1985 an der Uni Münster ein.Sein Studium brach er ab, als er kurz daraufseine journalistische Karriere als Volontär beimAxel- Springer-Verlag in Hamburg begann.Autoverleiher Erich Sixt, geboren 1944, studierteBetriebswirtschaftslehre in München. Das Studiumbrach er ab. Begründung: Es sei für den weiterenVerlauf seines Lebens „irrelevant“.Steve Jobs, geboren 1955, hielt es 1972 nurein Semester lang am Reed College in Portlandaus. Zunächst arbeitete er bei Atari alsSpieledesigner. Im Jahr 1976 gründete erdann mit Steve Wozniak die Firma Apple.33