WIRTSCHAFT BUNDESLIGAINTERVIEWKULTUR BEWAHRENDer Unternehmer Martin Kind hat erstritten, dass Investoren Bundesligavereineübernehmen dürfen. Zur Saison 2017/18 wird der Profifußball in Hannover einerGesellschaftergruppe mit Kind an der Spitze gehören. Dietmar Hopp hat bereitsvon der Ausnahmeregelung profitiert und die TSG Hoffenheim übernommen.Die Fans fürchten den Ausverkauf des deutschen Fußballs. Zu Recht?ist eine deutsche Besonderheit, die man international sonicht kennt. Diese Rechtslage erschwert deutlich dieKapitalbeschaffung.Spendabel: Martin Kind (rechts) hat den Erfolg von Hannover 96,Dietmar Hopp (links) den der TSG Hoffenheim ermöglicht.Liberal: Herr Kind, Sie haben jahrelang allein undletztlich erfolgreich für eine Änderung der deutschenSonderregelung „50-plus-1“ gekämpft. Sind Sie etwakein Fußballromantiker?MARTIN KIND: Ich habe großen Respekt vor denZuschauern und den Fans und akzeptiere auch dieunterschiedlichen Sichtweisen. Ich bin jedoch verantwortlichfür ein Fußballunternehmen und muss mich an dieSpielregeln halten, die der Markt entwickelt hat. Auch dieZuschauer und Fans mögen keinen Misserfolg.Was gefiel Ihnen denn nicht an derSperrklausel „50-plus-1“?Die Vorgeschichte ist, dass der Deutsche Fußball-Bund(DFB) den Ligaverband und die Deutsche Fußball Liga(DFL) gegründet hat. Die DFL ist eine eigenständigeGmbH – also eine Kapitalgesellschaft. Die Gesellschaftersind die Vereine der Ersten und Zweiten Bundesliga.Parallel zu dieser Entscheidung wurde es auch denBundesligavereinen ermöglicht, die steuerpflichtigenProfiabteilungen in die Rechtsform eines Wirtschaftsunternehmensauszugliedern. Verbandsrechtlich wurdeadditiv die 50-plus-1-Regelung beschlossen. Diesebesagt, dass die Mehrheit der Anteile an den Profiabteilungenbeim Mutterverein bleiben muss. Diese RegelungIn Ihrer Amtszeit als Präsident hat sich Hannover 96innerhalb von rund zehn Jahren aus der Drittklassigkeitzu einem etablierten Bundesligisten mit Ambition aufdie europäischen Plätze emporgearbeitet. Nun könnteman meinen, dass die Investorenbeschränkung durchdie DFL gar nicht so tragisch ist …Wir sind mit der Entwicklung zufrieden. Erlauben Sie mirjedoch den Hinweis, dass bei Hannover 96 schon deutlichKapital zugeführt wurde. Der Fußballmarkt entwickeltsich permanent weiter. Um unsere Wettbewerbsfähigkeitfür die Zukunft sicherzustellen, war die Modifikation der50-plus-1-Regel notwendig. Wesentliche Kapitalgeberwollen Einfluss nehmen auf die Besetzung derGeschäftsführung, die Genehmigung des Haushalts unddie Genehmigung der Investitionen. Sie wollen keinenEinfluss auf operative Entscheidungen.Dietmar Hopp beispielsweise fördert die TSG 1899Hoffenheim schon seit weit mehr als 20 Jahrengroßzügig. 240 Millionen Euro sollen bereits geflossensein. Dafür wurde der Milliardär in manchen Stadienunflätig beschimpft. Viele Fans fürchten durch IhreInitiative den Einzug „englischer Verhältnisse“, denAusverkauf des Sports an Scheichs und Spekulanten.Eine berechtigte Sorge oder German Angst?Die öffentliche Diskussion über „böse Investoren“ istunglücklich. Es ist doch so: Der Verein hält die Anteileund es liegt in seiner Verantwortung, an wen er dieseAnteile veräußert. Im Gesellschaftervertrag vonHannover 96 sind alle diese Fragestellungen geregelt. InHannover sind ausschließlich Personen und Unternehmenaus der Stadt und der Region Hannover engagiert.Weitere Entscheidungen sind nicht geplant. Für dieZuschauer und die Fans ändert sich gar nichts. Wirspielen in einer attraktiven Fußballarena. Wir spielen inder Ersten Bundesliga. Das Ticketpreisniveau ist moderat.Diese Kultur wollen wir bewahren.Fotos: picture alliance/augenklick/fi; privat38 4.2015 liberal
Sie haben einen Präzedenzfall geschaffen und die50-plus-1-Regelung quasi mit einem Verfallsdatumversehen. Warum haben Sie sich damit zufriedengegeben?Experten sehen in der Investorenbeschränkungeinen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit.Das Urteil ist ein gutes Urteil, ein Kompromiss. DFB, DFLund die Vereine können auch künftig Veränderungengemeinsam gestalten.Was hindert Sie und andere Investoren daran, IhreAnteile nach der Übernahme meistbietend weiterzuverkaufen?Sollte es überhaupt Regeln geben, die diesverhindern?Die deutsche Fußballkultur unterscheidet sich von derenglischen und anderen. Aus diesem Grunde empfehle ichder DFL, eine Regelungstiefe zu definieren, wie etwa eineHaltefrist von zum Beispiel zehn Jahren. Damit ist jeglicheSpekulation ausgeschlossen.ZUR PERSONDER AUFSTEIGERMartin Kind, 70, ist Gründer und Eigentümer derKindgruppe, ein Mischunternehmen mitZentralsitz in Großburgwedel bei Hannover, das weltweit2.400 Mitarbeiter beschäftigt. Der Hörgeräte-Akustik-Meister und Kaufmann entwickelte 1970 aus demelterlichen Hörgeräte-Fachgeschäft ein Filialunternehmenmit heute 570 Standorten in Deutschland und100 weiteren weltweit. 1997 übernahm Martin Kind alsPräsident die Verantwortung bei Hannover 96. Der Vereinspielte damals drittklassig und war praktisch bankrott.Kind professionalisierte die Strukturen, förderte den Klubüber sein Unternehmen finanziell und führte Hannover 96zurück in die Erste Bundesliga. In seiner Amtszeit, die miteiner einjährigen Unterbrechung bis heute andauert,wurde das alte Niedersachsenstadion zur modernenWM-Arena umgebaut. In der Saison 2010/11 qualifiziertensich die Roten erstmals seit 1993 wieder für eineneuropäischen Wettbewerb.zusammen fast zwei Milliarden Euro in Spieler investiert haben, istes nicht erlaubt, die Verluste aus der eigenen Tasche auszugleichen.Kritiker behaupten, dass die milliardenschweren Eigner ihre Klubsüber Umwege weiterhin päppeln werden, indem sie ihr Geld denSponsoren zufließen lassen. Die finanziell überwiegend gesundeBundesliga begrüßt FFP als Schritt in die richtige Richtung, dochmehr Geld bringt ihr die Regelung, die zunächst bis 2018 erprobtwird, auch nicht ein.Fußballvereine stehen unter ZugzwangDem Volkssport Fußball wird in Deutschland eine hohe gesellschaftlicheVerantwortung aufgebürdet. Und das hat ordnungspolitischeKonsequenzen. Nach dem Debakel der Nationalmannschaft bei derEuropameisterschaft 2000 schrieb der Deutsche Fußball-Bund(DFB) den 18 Erstligisten vor, zur Saison 2001/2002 Leistungszentrenfür den kickenden Nachwuchs einzurichten. Alle Clubs wurden imZuge des Lizenzierungsverfahrens dazu gezwungen, hauptamtlicheJugendtrainer einzustellen und Infrastrukturen für die Jugendförderungzu schaffen – vom Rasenplatz mit Flutlicht bis zum Massageraum.Ein Jahr später galten ähnliche Verpflichtungen auch für dieFußballunternehmen der Zweiten Bundesliga.Der Eingriff in die Investitionsentscheidungen der Clubs hatdazu geführt, dass die Profiabteilungen vergleichsweise weniger Geldfür die Kaderplanung ausgeben konnten als die internationale Konkurrenz.Langfristig hat vor allem die Nationalmannschaft von denMaßnahmen profitiert, die sich heute zahlreicher gut ausgebildeterTalente bedienen kann. Die Vereine sind verpflichtet, ihre Spieler fürinternationale Einsätze abzustellen.Doch das Gesicht der Bundesliga wird sich verändern. Das Endedes deutschen Sonderwegs „50-plus-1“ kommt langsam, aber sicherin Sicht (siehe Interview). Schlecht muss das nichtsein, außer vielleicht für die Nationalmannschaft.Investoren sind am Erfolg ihresFußballunternehmens interessiert, undnicht zuvorderst daran, deutschenJungkickern Spielminuten zu verschaffen.Die DFL wird dann Regeln definierenmüssen, die die Traditionspflege derMarken gewährleistet. Kein Verein musssich verkaufen. Doch das Geld von Audi inIngolstadt, von Dietmar Hopp in Hoffenheimoder von Dietrich Mateschitz in Leipzig wird allzuleicht von denen verachtet, die schon einen Platz inder Liga der Fans haben. ●RALF KALSCHEUR ist freier Autor und lebt in Berlin.Der Bayern-Anhänger freut sich über jeden Titel für dieMünchner. Er meint aber, die Bundesliga sollte es bessernicht zur Gewohnheit werden lassen, die Meisterschaftschon mehrere Spieltage vor Schluss abzuschenken.kalscheur@ktgb.deliberal 4.201539