<strong>BILDUNG</strong> KULTURSCHOCK DDR-LEHRERForsches VergessenAuch nach 25 Jahren deutscher Einheit ist der Autoritarismusin der DDR sozialisierter Lehrer präsent.// TEXT // MARKO MARTIN18 4.2015 liberal
Illustration: E. Merheim; Fotos: ddrbildarchiv.de/Manfred Uhlenhu, privatLängst zu Tode zitiert ist das William FaulknerscheDiktum, nach dem die Vergangenheit nicht tot, janoch nicht einmal vergangen sei. Die BerlinerRepublik nämlich gibt sich hip, Millionen Touristenbestaunen das Areal zwischen East Side Gallery undCheckpoint Charlie, posten ihre Smartphone-Bilder,nuckeln an nachhaltig produziertem Coffee to go. Dochauch die permanent Ansässigen dürfen der Illusionhuldigen, das Vergangene sei längst Stein und Attraktiongeworden – harmloser Grusel, ein historischer Kick.Wer schulpflichtige Kinder hat oder nach einemKita-Platz sucht, kann allerdings ganz schnell völlig andereErfahrungen machen. Zynisch ausgleichende Gerechtigkeit:Häufig trifft es gerade jene ökologisch hyperbewusstenZuzügler aus den sogenannten alten Bundesländern,die sich im Prenzlauer Berg, im Friedrichshain oder im„Speckgürtel“ zwischen der Hauptstadt und dem brandenburgischenUmland eine neue, idyllische Bleibegeschaffen haben. Denn plötzlich wird ihr Nachwuchs –kommunikativ gewaltfrei erzogen und mit garantiertumweltverträglichen Lebensmitteln und Spielzeug gepäppelt– unerwartet rüde angeherrscht. Wenn alle aufsTöpfchen gehen, werden wir für dich keine Extrawurstbraten. Egoistische Einzelgänger kann unser Klassenkollektivnicht gebrauchen.Autoritäre Kindergärtnerinnen mit ostentativ präsentierterDDR-Sozialisation, Lehrer mit realsozialistischemSchmiss, die noch heute von „BRD“ und „Hitlerfaschismus“reden, jedoch plötzlich vor den Ferien kaum nochZeit finden, die obligatorische „Unterrichtseinheit DDR“abzuhandeln. Allzu überraschend sollte dies freilich nichtsein: Wer im Wendejahr 1989 im berühmt-berüchtigten„IFL“, dem DDR-Institut für Lehrerbildung, seinen Abschlussgemacht hatte, steht jetzt mit Mitte Ende vierzig inSaft und Kraft – und stammt statistisch mehrheitlich auseinem Elternhaus, das ebenfalls schon der ostdeutschenFunktionselite angehörte. Weshalb also sollten sich dieaus solch hartleibigem Milieu Hervorgegangenen densanften Diskursmodalitäten der Bundesrepublik anpassen?Man hatte es ihnen ja auch denkbar leicht gemacht:Außer besonders eklatant stasi- oder SED-belastetenDirektoren oder bejahrten Staatsbürgerkundelehrernübernahm der Staat nach 1990 en masse Lehrer in seinenDienst. Die damalige Gewerkschaft GEW ließ gegen die„Zwangsdurchmischung“ demonstrieren: Weder solltenOstlehrer in den Westen versetzt werden noch allzu vieleWestlehrer in den Osten gehen. Taten es Letztere ausIdealismus doch, wurden sie nicht selten gemobbt. ProminentesterFall: der Westberliner Lehrer Peter Klepper, dervor der Hardcore-Mentalität in Lichtenberg bald wiederins heimische Tempelhof flüchtete.Wirklich schockierend aber ist etwas anderes: BundesdeutscheWohlfühlbürger scheinen erst dann aufzumerken,wenn der eigene Nachwuchs die atmosphärischenNachwehen der DDR-Ideologie zu spürenbekommt. Der totalitäre Charakter des SED-Staates, derunter Margot Honeckers Ägide vor allem im Bildungsbereichpeinlich darauf achtete, ein Gehorsamsmilieu wiederund wieder zu reproduzieren – er bleibt bis heuteeher unbekannt, mögen ihn Wissenschaftler und Zeitgeschichtlerinzwischen auch bis ins letzte Detail analysierthaben.Bis in die Gegenwart hinein rächt sich, dass nach 1990bundesrepublikanische Lehrpläne einfach übergestülptwurden und westliche Bildungspolitiker ebenso naiv wiearrogant von einer gemeinsamen Wissens- und Wertebasisausgingen. Wie aber sollten diejenigen, die dank ihrergeschmeidigen oder überzeugten Anpassung in einerDiktatur Lehrer geworden waren, nun das „Unrechtssystemder DDR“ plausibel analysieren? Der Autor dieserZeilen, häufig auf Schullesungen in den neuen Bundesländernunterwegs, wird immer wieder Zeuge, wie Schülerbedauern, dass zwischen den Themen Zweiter Weltkriegund Brandtsche Ostpolitik kaum noch Zeit für jenen Staatbleibt, in dem ihre Eltern geboren und erzogen wurden.Denn so anregend es auch sein mag, als SchullesestoffBernhard Schlinks „Der Vorleser“ und Daniel Kehlmanns„Die Vermessung der Welt“ zu besprechen – und nichtmehr die masochistisch altbundesdeutschen Evergreens„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ und „Biedermannund die Brandstifter“ –, die Namen von DDR-Dissidentenwie Freya Klier, Jürgen Fuchs oder Erich Loestbleiben den Teenagern Hekuba. Dabei böte sich geradeKliers äußerst lesbares Buch „Lüg Vaterland. Erziehung inder DDR“ für Lehrer und Schüler gleichermaßen an, überdas Spannungsfeld zwischen Fanatismus, Opportunismusund tapfer bewahrtem pädagogischen Anspruch, den esselbstverständlich auch gab, zu diskutieren und ein wirklichesGenerationsgespräch zu wagen. Genau das aberbleibt aus – auch nach einem Vierteljahrhundert sogenannterdeutscher Einheit. ●MARKO MARTIN,Jahrgang 1970,verließ im Mai 1989 alsKriegsdienstverweigererdie DDR und lebt alsSchriftsteller in Berlin.Ende Juni erschiensein neues Buch„Madiba Days. Einesüdafrikanische Reise“(Wehrhahn Verlag).redaktion@libmag.deliberal 4.201519