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SPIEGEL_2015_42

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Wissenschaft<br />

„Der Aufstieg Roms“<br />

Montag · 19. Oktober <strong>2015</strong><br />

20 Uhr<br />

Prof. Dr. Wolfgang Blösel<br />

diskutiert mit<br />

dem <strong>SPIEGEL</strong>-Redakteur<br />

Dr. Johannes Saltzwedel<br />

BUCERIUS KUNST FORUM<br />

Hamburg<br />

© Norbert Enker<br />

Wolfgang Blösel, geboren 1969,<br />

ist Althistoriker und Professor für<br />

Alte Geschichte an der Universität<br />

Duisburg-Essen. Die römische<br />

Geschichte ist ein Schwerpunkt<br />

seiner Forschung.<br />

FORUM GESCHICHTE<br />

Eine Kooperation von<br />

<strong>SPIEGEL</strong> GESCHICHTE und<br />

BUCERIUS KUNST FORUM<br />

www.spiegel-geschichte.de<br />

Die Eintrittskarte (€ 10,–/€ 8,–) berechtigt am Veranstaltungstag<br />

zum Besuch der Ausstellung „Von Poussin bis Monet. Die<br />

Farben Frankreichs (10. Oktober <strong>2015</strong> bis 17. Januar 2016)“.<br />

Die Ausstellung ist am Veranstaltungsabend von 19.00 – 19.45<br />

Uhr exklusiv für Veranstaltungsgäste geöffnet. Tickets sind<br />

im Bucerius Kunst Forum und in allen bekannten Vorverkaufsstellen<br />

erhältlich.<br />

112 DER <strong>SPIEGEL</strong> <strong>42</strong> / <strong>2015</strong><br />

von der Polizei wegen Alkohols aus dem<br />

Verkehr gezogen wurde, der habe ihn definitiv<br />

nicht im Griff.<br />

Einem solchen Selbsttest hat sich jetzt<br />

offenbar CC Sabathia, 35, von den New<br />

York Yankees unterzogen, einer der bestbezahlten<br />

Baseballwerfer der Geschichte.<br />

Nach einem durchsoffenen Wochenende<br />

hat er sich am Dienstag dieser Woche, vor<br />

einem wichtigen Meisterschaftsspiel, spontan<br />

selbst in eine Entzugsklinik einge -<br />

wiesen. In den USA ist der Schock darüber<br />

so groß, wie er es in Deutschland wäre,<br />

wenn sich Oktoberfestbesucher Thomas<br />

Müller vom FC Bayern München in Therapie<br />

geballert hätte.<br />

Immerhin: Die Deutschen trinken heute<br />

weniger Alkohol als noch vor 20 oder 40<br />

Jahren. Die Vieltrinker jedoch haben ihren<br />

Konsum hochgeschraubt. Die Zahl derer,<br />

die jegliche Kontrolle verlieren, steigt<br />

nach Gaßmanns Beobachtung rapide. „Innerhalb<br />

der letzten zehn Jahre“, sagt er,<br />

„hat sich die Zahl der Einlieferungen von<br />

Volltrunkenen in die Notaufnahmen mehr<br />

als verdoppelt.“ Das sogenannte Komasaufen<br />

– Trinken bis zum Umfallen – sei<br />

keineswegs mehr beschränkt auf junge Erwachsene.<br />

„Es hat in fast allen Altersgruppen zugenommen,<br />

selbst unter den 70- bis 80-Jährigen“,<br />

sagt Gaßmann. Die einzige Gruppe,<br />

die keinen weiteren Zuwachs verzeichne,<br />

sei die der Männer zwischen 40 und 50 Jahren<br />

– aber nur deswegen, „weil die immer<br />

schon extrem viel tranken, mehr geht gar<br />

nicht“. Männer im mittleren Alter bilden<br />

die Kernklientel der ambulanten und stationären<br />

Alkoholtherapie. Nur totale Abstinenz<br />

kann ihr Leben retten.<br />

Für all diejenigen aber, die ihren Konsum<br />

im Zaum haben, gibt es eine gute Botschaft:<br />

Wer wenig trinkt, lebt offenbar sogar<br />

gesünder als derjenige, der gar nicht<br />

trinkt. Denn anders als Zigaretten haben<br />

Bier und Wein auch gesundheitsfördernde<br />

Wirkungen. Wer seinen Konsum im empfohlenen<br />

Bereich belässt, so zeigen epidemiologische<br />

Studien, der senkt sogar sein<br />

Risiko für einen Herzinfarkt, für Arte -<br />

riosklerose, Diabetes, Osteoporose, selbst<br />

für Alzheimer und andere Demenzerkrankungen.<br />

Das Optimum beim Alkoholkonsum, so<br />

der heutige und natürlich nicht unum -<br />

strittene Stand der medizinischen Forschung,<br />

scheint für Männer und Frauen<br />

gleichermaßen bei sechs Gramm Alkohol<br />

pro Tag zu liegen. Das entspricht etwa<br />

einem halben Glas Sekt (0,05 Liter).<br />

Forscher wissen: Vergleicht man Sechs-<br />

Gramm-Trinker und Abstinenzler, so sind<br />

bei den Trinkern nach einem Jahr fast ein<br />

Fünftel weniger gestorben (siehe Grafik<br />

Seite 108).<br />

Doch es ist nur wenigen gegeben, sich<br />

damit zu begnügen. Wie auch? Das Zaubermolekül<br />

C 2 H 5 OH hat die Menschheit<br />

im Griff seit Anbeginn. Nicht ohne Grund<br />

wiesen es viele Kulturen in den Bereich<br />

des Göttlichen. C 2 H 5 OH lässt Sorgen und<br />

Zweifel schwinden, es macht gute Laune<br />

und frischen Mut, es macht je nach Bedarf<br />

munter, gesellig, spirituell oder müde.<br />

Und entspannt: Kaum hatte Noah Gottes<br />

Auftrag erfüllt und seine Arche wieder<br />

auf dem Trockenen, so die Bibel, legte er<br />

einen Weinberg an, von dessen Ertrag er<br />

sich umgehend so sehr besoff, dass er<br />

nackt im Zelt zusammenbrach.<br />

Vögel, Affen, selbst Fruchtfliegen können<br />

kaum widerstehen, wenn sie Gelegenheit<br />

finden, sich an vergorenen Früchten<br />

zu berauschen. Der US-Archäologe Patrick<br />

McGovern glaubt sogar, dass die<br />

Menschheit den Ackerbau nur erfand, um<br />

sich der Fermentation von Reis, Weizen,<br />

Gerste und Hirse zu widmen und leichter<br />

an Alkohol zu kommen. McGovern hat in<br />

rund 9000 Jahre alten Trinkgefäßen aus<br />

China Spuren alkoholischer Getränke<br />

nachgewiesen.<br />

Der Rausch ist offenbar ein Grundbedürfnis<br />

des Menschen. Um dem Alltagsbewusstsein<br />

zu entfliehen, bieten manche<br />

Kulturen ihren Mitgliedern Cannabis an,<br />

andere Coca, Khat, halluzinogene Pilze<br />

oder Pflanzenextrakte. Vieles spricht dafür,<br />

dass Alkohol zwar eine wirksame Wahl<br />

war, aber unter diesen Alternativen die<br />

schlechteste: Die tödliche Alkoholvergiftung<br />

zählt zu den tragischen Alltäglichkeiten,<br />

eine tödliche Cannabisvergiftung hingegen<br />

ist physiologisch unmöglich.<br />

Der Psychopharmakologe und Psychiater<br />

David Nutt, 64, war Drogenbeauftragter<br />

Großbritanniens, eines Trinkerlands<br />

von deutschem Format. 2009 vertrat er die<br />

These, dass LSD eine weniger schädliche<br />

Droge sei als Alkohol, weil auch LSD<br />

niemanden direkt töte. Kein Politiker<br />

mochte dies hören, also setzten sie ihn<br />

vor die Tür.<br />

Jetzt arbeitet Nutt in einem Labor am<br />

Londoner Imperial College. Dort hat er<br />

sich eine epochale Aufgabe gestellt: Er will<br />

den Alkohol abschaffen – nicht aber den<br />

Rausch. Nutt ist dabei, eine synthetische<br />

Konkurrenzdroge zu kreieren; eine trinkbare<br />

Substanz, die im Gehirn für Entspannung<br />

und Euphorie sorgt, aber kaum süchtig<br />

macht und nicht toxisch auf Körperzellen<br />

wirkt. Mit einem Gegengift soll sich<br />

der Anwender überdies jederzeit wieder<br />

nüchtern machen können.<br />

Nutts bislang noch geheimer Stoff verträgt<br />

sich geschmacklich wohl nicht mit<br />

Bier und Wein, aber in Cocktails könnte<br />

er sich fügen. Sollte seine Kreation wirklich<br />

in die Bars der Welt einziehen, dürfte<br />

Nutt einer von drei Nobelpreisen sicher<br />

sein – Medizin, Chemie oder Frieden, vielleicht<br />

alle drei.<br />

Marco Evers<br />

Mail: marco_evers@spiegel.de

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