FOCUS_06_2023_Schaeuble
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AUSGABE 6 4. Februar <strong>2023</strong> € 4,90 DAS MAGAZIN /// HIER SIND DIE FAKTEN /// SEIT 1993<br />
Wolfgang<br />
Schäuble<br />
<strong>FOCUS</strong>-Gespräch über<br />
Merkel, Maaßen, Merz<br />
Ach, Berlin<br />
Nach der Wahl ist vor der<br />
Wahl – ein Dramolett<br />
Dr. Elon &<br />
Mr. Musk<br />
Die Selbstzerstörung<br />
eines Tech-Giganten<br />
KAMPF UM<br />
DAS BARGELD<br />
Schein oder nicht Schein?<br />
Karte, Krypto und Smartphone gegen das<br />
liebste Zahlungsmittel der Deutschen
POLITIK<br />
„Zurzeit wollte<br />
ich nicht Kanzler sein“<br />
Seit 50 Jahren ist Wolfgang Schäuble im Bundestag.<br />
Das macht aus ihm einen Freigeist, der nicht<br />
nur über Merkel, Maaßen, Merz und die Zukunft<br />
der CDU ganz offen spricht<br />
INTERVIEW VON FRANZISKA REICH UND THOMAS TUMA<br />
FOTOS VON JELKA VON LANGEN<br />
28
DEUTSCHLAND<br />
<strong>FOCUS</strong> 6/<strong>2023</strong><br />
Zimmer mit Aussicht<br />
Vom Schreibtisch in seinem<br />
Berliner Abgeordnetenbüro<br />
kann Wolfgang<br />
Schäuble direkt auf den<br />
Reichstag schauen<br />
29<br />
Kunst: Sibylle Springer/VG Bild-Kunst, Bonn, <strong>2023</strong>
P OL I T I K<br />
E<br />
Es wird seine letzte Legislaturperiode<br />
sein. So viel steht fest. Wolfgang Schäuble<br />
wird sich der nächsten Wahl nicht mehr<br />
stellen. Er ist jetzt 80 und seit 50 Jahren<br />
im Parlament, war Fraktions- und Parteichef<br />
der CDU, Innen-, Finanzminister und<br />
Präsident des Bundestags, auf den er in<br />
seinem Büro wieder schaut. Mehr politischen<br />
Weitblick hat ohnehin niemand.<br />
Herr Schäuble, wenn Sie noch in<br />
Regierungsverantwortung stünden –<br />
hätten Sie früher entschieden, deutsche<br />
Panzer in die Ukraine zu schicken?<br />
Ich bin froh, dass ich solche Entscheidungen<br />
nicht mehr fällen muss. Zurzeit<br />
wollte ich nicht Kanzler sein. In diesem<br />
Amt ist man am Ende bei solchen Fragen<br />
sehr einsam.<br />
Haben Sie also Verständnis für die<br />
Zögerlichkeit von Olaf Scholz?<br />
Seine Art zu kommunizieren habe ich<br />
nicht verstanden. Aber ich weiß, dass es<br />
in diesem Amt Dinge gibt, die man nicht<br />
bereden kann. Wenn er sich nicht gänzlich<br />
erklären will, ist es so.<br />
Erleben wir gerade die schwerste Zeit seit<br />
Gründung der Bundesrepublik Deutschland?<br />
Man muss mit Superlativen immer ein<br />
bisschen vorsichtig sein. Für Adenauer<br />
dürfte der Bau der Mauer 1961 auch nicht<br />
einfach gewesen sein.<br />
Damals kulminierten aber nicht mehrere<br />
Krisen zeitgleich – Krieg, Inflation, Klima.<br />
Nun ja, kurz nach dem Mauerbau kam<br />
die Kubakrise, und die Welt hatte Angst<br />
vor einem Atomkrieg der Supermächte. Ich<br />
gebe aber zu: Einen so barbarischen Krieg<br />
wie den von Putin hätte ich im 21. Jahrhundert<br />
nicht mehr für möglich gehalten.<br />
Ich sehe Parallelen zu der Idiotie des Ersten<br />
Weltkriegs, als die Staaten über Jahre hinweg<br />
für ein paar Meter Geländegewinne<br />
Hunderttausende Menschen abgeschlachtet<br />
haben. Und dann dauernd mit der nuklearen<br />
Option zu spielen …! Eigentlich war<br />
es seit den siebziger Jahren tabu, mit der<br />
Atombombe zu drohen.<br />
Sind Sie froh, in dieser Situation keine<br />
politische Verantwortung mehr zu tragen?<br />
Diese Zeiten können einen um den<br />
Schlaf bringen. Aber wenn ich gefragt<br />
werde, gebe ich gern noch einen Rat.<br />
Dann fragen wir mal nach Ihrem Rat für<br />
Ihre eigene Partei. Wie geht’s der CDU?<br />
Sie ist in relativ gutem Zustand, finde ich.<br />
Wirklich? Manche sehen sie eher<br />
in einer Identitätskrise.<br />
Die CDU macht ihre neue Aufgabe in<br />
der Opposition unter der Führung von<br />
Friedrich Merz gut. Er hält die Balance<br />
zwischen notwendiger Kritik und staatspolitischer<br />
Verantwortung. Nach dem<br />
schmerzhaften Machtverlust bei der letzten<br />
Bundestagswahl und der schwierigen<br />
Ablösung von Angela Merkel ist das<br />
alles ja keine einfache Sache. Die CDU<br />
hat zwar längst nicht alle Probleme gelöst,<br />
aber Friedrich Merz musste sie erst mal<br />
wieder zusammenführen. Es geht auch um<br />
die Integrationskraft einer großen bürgerlichen<br />
Partei der Mitte.<br />
Jüngst wurde Merz heftig dafür<br />
kritisiert, dass er den randalierenden<br />
Migrantennachwuchs „kleine Paschas“<br />
nannte. Man warf ihm da eher Spaltung<br />
der Gesellschaft vor.<br />
Über die Aussage wurde viel diskutiert.<br />
Im Kern geht es aber um die Interferenz<br />
der veröffentlichten und der öffentlichen<br />
Meinung. In solchen Momenten hat er die<br />
Selbstsicherheit, den eigenen Kurs zu halten<br />
und nicht sofort umzufallen.<br />
Welchen Kurs?<br />
Er hat eben auch im Blick, dass die<br />
Bevölkerung ohne Migrationshintergrund<br />
nicht das Gefühl bekommt, bestimmte<br />
Dinge dürfe man gar nicht mehr sagen.<br />
Kritik an der „Pascha“-Äußerung kam auch<br />
aus der eigenen Partei …<br />
Mir ist diese Debatte<br />
zu verengt. Geht es bei<br />
Silvester wirklich um<br />
Migration? Es waren junge<br />
Leute, die – nach zwei<br />
Jahren Corona – kräftig<br />
böllern wollten. Welchen<br />
kulturellen Hintergrund<br />
die Randalierer haben,<br />
ist da zweitrangig. Es<br />
geht um den fehlenden<br />
Respekt gegenüber Polizei<br />
und Rettungskräften,<br />
den übrigens auch das<br />
Gros der Menschen mit<br />
Migrationshintergrund<br />
beklagt. Der Respekt<br />
ist generell sehr gesunken.<br />
Das sieht man auch<br />
Polit-Souvenirs Ein 100-Euro-<br />
Schein mit Schäubles Konterfei erinnert<br />
an seine Zeit als Finanzminister<br />
nach Autounfällen, wenn Menschen Bilder<br />
machen wollen und auf Rettungskräfte<br />
losgehen. Alle müssen sich an Regeln halten,<br />
mit oder ohne Migrationshintergrund!<br />
2005 haben Sie die erste Islamkonferenz<br />
einberufen …<br />
… und damals haben mir Menschen mit<br />
ausländischen Wurzeln das hoch angerechnet,<br />
weil es klarmachte, dass ab sofort<br />
auf Augenhöhe miteinander gesprochen<br />
wird. Das war und ist wichtig.<br />
Gleichzeitig sagten Sie damals, Deutschland<br />
sei kein Einwanderungsland, und<br />
verschärften 20<strong>06</strong> das Aufenthaltsrecht.<br />
Wie passte das zusammen?<br />
Das passte gut. Sicher, es geht um<br />
Empathie, aber immer auch um Klarheit.<br />
„Härte mit Herz“ nannte das mal mein<br />
Schwiegersohn, der baden-württembergische<br />
Innenminister. Wir brauchen Zuwanderung,<br />
schon wegen der demografischen<br />
Entwicklung. Aber das Zusammenleben<br />
muss funktionieren. Integration ist für beide<br />
Seiten Herausforderung. Die, die zu uns<br />
kommen, haben sicher den längeren Weg.<br />
Aber auch die aufnehmende Gesellschaft,<br />
also wir alle müssen uns anstrengen, um<br />
ein Miteinander zu ermöglichen.<br />
Wie sollte die CDU in diesem<br />
Spannungsfeld agieren?<br />
Einerseits sollte sie klarmachen, dass<br />
jeder Mensch hier im Land seine Rechte<br />
und seine Würde hat. Das fordern schon<br />
unsere christlichen Grundwerte. Andererseits<br />
kann das nicht heißen, dass alle, die<br />
im Rest der Welt in Not und Elend leben,<br />
nach Deutschland oder Europa kommen<br />
können. Und wer da ist, muss sich an die<br />
Regeln halten.<br />
Experten gehen davon aus, dass dieses<br />
Jahr der Druck an Europas Außengrenzen<br />
wieder steigen wird.<br />
Wie kann die Bundesrepublik<br />
dem begegnen?<br />
Die Frage muss Europa<br />
gemeinsam lösen.<br />
Seit Jahren schon ma -<br />
chen wir den Fehler, die<br />
Ankömmlinge auf alle<br />
Mitgliedsländer gleichermaßen<br />
verteilen zu<br />
wollen. So wird das nie<br />
was.<br />
Sondern?<br />
Wir müssen denen<br />
zuhören, die ihren eigenen<br />
Wählern den Zu -<br />
zug schlicht noch nicht<br />
zumuten können. Vielleicht<br />
auch, weil an manchen<br />
Stellen die Erfah-<br />
30 <strong>FOCUS</strong> 6/<strong>2023</strong>
ung fehlt. Ausländerfeindlichkeit wächst<br />
ja oft dort am stärksten, wo es kaum Ausländer<br />
gibt.<br />
Soll Deutschland also mehr Verantwortung<br />
übernehmen?<br />
Das tun wir ja bereits. Aber aus dieser<br />
Verantwortung heraus sollten wir andere<br />
nicht belehren: Polen zum Beispiel tut sich<br />
etwas schwerer mit Flüchtlingen jenseits<br />
Europas, macht aber gerade wahnsinnig<br />
viel für die Menschen aus der Ukraine,<br />
unterstützt das Land auch materiell im<br />
Kampf gegen Putin und übernimmt eine<br />
große Verantwortung an der Nato-Außengrenze.<br />
Wie kommen wir dann dazu, die<br />
Polen zu belehren?<br />
Ihre Antwort?<br />
Wir sollten generell aufhören, anderen<br />
dauernd erklären zu wollen, wie sie zu<br />
leben und zu agieren haben. Innenpolitisch<br />
erwartet unsere Gesellschaft aber zu<br />
Recht Führung, womit wir dann auch wieder<br />
bei der CDU sind: Es geht nicht darum,<br />
der Bevölkerung zu sagen, was sie vielleicht<br />
hören will. Wir müssen ihr sagen,<br />
was sie unserer Meinung nach hören sollte.<br />
Was bedeutet es im Jahr <strong>2023</strong>,<br />
konservativ zu sein?<br />
Das ist nicht einfach zu beantworten. Die<br />
Union definiert sich zunächst mal über eine<br />
auf Werten gründende politische Vorstellung.<br />
Das Menschenbild ist wichtig: Wir<br />
sind zur Freiheit begabt, aber – theologisch<br />
gesprochen – in der Sünde gefangen. Der<br />
christliche Glaube hat da bei uns keinen<br />
Monopolanspruch mehr. Christen müssen<br />
nicht CDU wählen, und CDU-Anhänger<br />
müssen keine Christen sein.<br />
Aber?<br />
Wer um dieses Menschenbild weiß,<br />
versucht, politisch unserer menschlichen<br />
Ambivalenz gerecht zu werden. Dazu<br />
braucht es Grenzen und Regeln, aber auch<br />
die Möglichkeit der Eigenverantwortung.<br />
Nur so war das deutsche Wirtschaftswunder<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg möglich.<br />
Die Bürger der DDR waren nicht weniger<br />
klug oder fleißig, aber ihr System entsprach<br />
diesem Potenzial nicht.<br />
Früher ging es um soziale und ökonomische<br />
Fragen. Und heute?<br />
Auch um ökologische. Darüber haben<br />
wir aber schon in den neunziger Jahren<br />
gestritten. So altbacken ist die CDU nun<br />
auch wieder nicht. Es ging da immer um<br />
die Frage: Hat die Menschheit das Potenzial,<br />
die Grundlagen ihres Lebens nachhaltig<br />
zu beschädigen? Seit das klar ist, arbeiten<br />
wir an Lösungen und Korrekturen. Die<br />
CDU vertritt nicht das Modell der ungezügelten<br />
liberalistischen Marktwirtschaft,<br />
„Auch Klimaschützer<br />
müssen sich<br />
an Recht und<br />
Gesetz halten<br />
und um<br />
Mehrheiten<br />
kämpfen“<br />
Wolfgang Schäuble<br />
sondern immer eine Politik der Verantwortung<br />
und des Augenmaßes. Vielleicht<br />
haben wir ein bisschen länger gebraucht<br />
als die Grünen, aber der CDU ist die Verantwortung<br />
gegenüber der kommenden<br />
Generation vollkommen klar.<br />
Verstehen Sie die Wut der Jugend?<br />
Es geht nicht um Verständnis, sondern<br />
um die Frage des richtigen Wegs. Man<br />
kann nicht alles mit den Mitteln teils illegalen<br />
Protests durchsetzen. Auch Klimaschützer<br />
müssen sich an Recht und Gesetz<br />
halten und um Mehrheiten kämpfen. Die<br />
Eskalation erfüllt mich mit Sorge.<br />
Sehen Sie Anzeichen für eine Radikalisierung<br />
der Klimabewegung?<br />
Ja. Ich kann nur sagen: Wehret den<br />
Anfängen! Auch der Terrorismus im Deutschen<br />
Herbst 1977 begann mal mit den<br />
Protesten gegen das Monopol der Springer-Zeitungen.<br />
Wenn man nun hört, dass<br />
Linksextremisten versuchen, die Klimaszene<br />
zu kapern und für ihre Zwecke zu<br />
nutzen, muss der Staat wachsam sein. Ich<br />
sage: Euer Protest in allen Ehren, aber ihr<br />
dürft euren Willen nicht mit Gewalt durchsetzen.<br />
Die Bilder von Lützerath waren<br />
unerträglich. Mit Gewalt gegen Sachen<br />
fängt es an. Mit Gewalt gegen Personen<br />
geht es weiter.<br />
Diskutieren Sie mit Klimagruppen?<br />
Ich bekomme öfter mal Anfragen und<br />
sage immer: „Gern, wenn ihr mir garantiert,<br />
dass wir uns anständig unterhalten.<br />
Ohne Schreierei. Ihr sagt, was ihr denkt,<br />
ich sage, was ich denke, so einfach ist das.“<br />
BLINDBLIND<br />
Was halten Sie vom Mittel des vorbeugenden<br />
Gewahrsams, das Bayern einsetzt,<br />
auch gegen sogenannte „Klimakleber“?<br />
Das Instrument ist juristisch nicht einfach,<br />
aber unter bestimmten Voraussetzungen<br />
muss der Staat scharfe Mittel<br />
anwenden können, um die Gesellschaft zu<br />
schützen. Dafür habe ich auch als Innenminister<br />
immer gekämpft. Wir haben die<br />
Verpflichtung zur Prävention vor einer<br />
Straftat. Manchmal reicht Abschreckung<br />
nicht. Nicht um es eins zu eins zu vergleichen,<br />
aber um es plakativ zu machen: Ein<br />
Selbstmordattentäter lässt von seiner Tat<br />
nicht ab, weil ihm Gefängnis droht.<br />
Aber ist es verhältnismäßig, einen Bürger<br />
präventiv einzusperren, weil er vorhaben<br />
könnte, den Straßenverkehr zu blockieren?<br />
Ich empfehle, erst einmal den Austausch<br />
von Informationen zwischen Polizei und<br />
Nachrichtendiensten mit deren entsprechenden<br />
Mitteln zuzulassen. Natürlich<br />
mit richterlicher Genehmigung. Aber wir<br />
müssen alles tun, um Anschläge auf die<br />
freiheitliche Ordnung zu verhindern. Das<br />
ist der Job der Innenminister. Und darin<br />
sollte der Kanzler sie unterstützen.<br />
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass<br />
immer mehr Bundesbürger an den Parteien,<br />
ja an der Demokratie an sich zweifeln?<br />
Das ist kein spezifisch deutsches Problem.<br />
Auch in Frankreich, Großbritannien,<br />
Italien und natürlich den USA erlebt die<br />
Demokratie eine Krise.<br />
Wegen einer geplanten Flüchtlingsunterkunft<br />
haben Rechtsextreme jüngst versucht,<br />
<strong>FOCUS</strong> 6/<strong>2023</strong><br />
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