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Thomaskantor Georg Christoph Biller - Naxos Music Library

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angesehen. Jüngste Schriftuntersuchungen (Peter Wollny)<br />

haben jedoch ergeben, dass diese Abschrift nicht von<br />

Altnickol selbst, sondern von der Hand seines Schülers<br />

Johann <strong>Christoph</strong> Farlau (geb. um 1735) stammt. Offenbar<br />

war dem Kopisten die schon erwähnte Reinschriftpartitur<br />

von 1736 nicht zugänglich, weshalb er auf eine ältere<br />

Vorlage zurückgreifen musste. Farlau hat seine Abschrift −<br />

wohl in den Jahren um 1756 − anscheinend unter Heranziehung<br />

des verschollenen Partiturautographs (der Fassung<br />

von 1729) angefertigt. In seiner Partiturkopie erscheint am<br />

Ende des ersten Teils („vor der Predigt“) nicht der groß angelegte<br />

Choralchor „O Mensch bewein dein Sünde groß“<br />

(Satz 29), sondern der vierstimmige Choralsatz „Jesum lass<br />

ich nicht von mir“. Die Arie der Tochter Zion „Ach! Nun<br />

ist mein Jesus hin!“ (Satz 30) ist dem Bass statt dem Alt<br />

zugewiesen; das Bass-Accompagnato „Ja freilich will in<br />

uns das Fleisch und Blut“ (Satz 56) und die anschließende<br />

Arie „Komm, süßes Kreuz“ (Satz 57) sind mit einer Laute<br />

statt einer Gambe besetzt. Der Choral „Es dient zu meinen<br />

Freuden“ (Satz 17) fehlt in seiner Abschrift aus nicht<br />

erkennbaren Gründen ganz; anscheinend wurde er beim<br />

Abschreiben lediglich übersehen. In den doppelchörigen<br />

Sätzen ist der Basso continuo noch nicht auf zwei getrennten<br />

Systemen notiert. Durch Farlaus Abschrift ist uns die<br />

Passion anscheinend in der (ersten?) doppelchörigen Fassung<br />

von 1729 überliefert.<br />

Wiederaufführungen nach 1729<br />

Als Bach seine Matthäus-Passion in späteren Jahren überarbeitete,<br />

nahm er − im Gegensatz zur Johannes-Passion<br />

− am Gesamtkonzept des Werkes keine prinzipiellen Veränderungen<br />

mehr vor. Seine Eingriffe beziehen sich im<br />

Wesentlichen auf Änderungen in der Stimmführung und<br />

22<br />

der instrumentalen Besetzung. Nicht selten nahm er einen<br />

Stimmentausch (namentlich bei den mittleren Instrumentalund<br />

Vokalstimmen) vor. Prinzipiell diente seine Überarbeitung<br />

der Vervollkommnung der Textanpassung und der Verfeinerung<br />

musikalischer Strukturen. Die Tenorarie „Geduld“<br />

(Satz 35) erfuhr eine eingreifende Umgestaltung. Nicht unwesentlich<br />

verändert wurde auch der Eingangschor. Dass<br />

Bach in der späteren Fassung seiner Matthäus-Passion alle<br />

„willkürlichen Manieren“ (Verzierungen) ausnotierte und<br />

nicht dem Improvisationsvermögen seiner Ausführenden<br />

überlassen hat, dürfte den musikästhetischen Auffassungen<br />

der jüngeren Komponistengeneration − etwa denen<br />

eines Johann Adolph Scheibe − mit der Forderung nach<br />

mehr Durchsichtigkeit und Klarheit des musikalischen Satzes<br />

wohl kaum entsprochen haben.<br />

In dieser überarbeiteten Fassung erklang die Matthäus-<br />

Passion am Karfreitag (30. März) des Jahres 1736 in der<br />

Thomaskirche und – wie aus den Aufzeichnungen des<br />

Küsters Johann <strong>Christoph</strong> Rost hervorgeht – „mit beyden<br />

orgeln“. Dabei wurde der Choral „Jesum lass ich nicht von<br />

mir“ durch den großangelegten Choralchor „O Mensch,<br />

bewein dein Sünde groß“ ersetzt, der erste Teil somit von<br />

einem weit ausladenden und kompliziert strukturierten Satz<br />

beschlossen. Dass dieser ursprünglich eine Passionsmusik<br />

einzuleiten hatte und dementsprechend als Exordium<br />

konzipiert worden war, ist freilich nicht zu übersehen. Eine<br />

spätere (und vielleicht sogar letztmalige?) Darbietung der<br />

Matthäus-Passion erfolgte im Jahre 1742 und wird durch<br />

zusätzlich angefertigte Aufführungsstimmen (Soprano in<br />

ripieno, Viola da Gamba und Cembalo) belegt. Der Einsatz<br />

eines dem zweiten Orchester zugewiesenen Cembalos erfolgte<br />

sicherlich aus praktischen Erwägungen – entweder,<br />

weil die zweite, 1736 verwendete Continuo-Orgel nicht<br />

verfügbar war – oder, weil Bach einen klanglichen Kontrast

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