28.06.2013 Views

Flash-N°47-2007 - generations-mouvement-67.org

Flash-N°47-2007 - generations-mouvement-67.org

Flash-N°47-2007 - generations-mouvement-67.org

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

Weihnachten, sagte Frau Smolle leise. Seit<br />

vierzig Jahren wohnte sie nun in diesem<br />

kleinen Häuschen am Rande der Stadt.<br />

Immer war jemand da gewesen, bis im<br />

vergangen Sommer ihr Mann plötzlich<br />

gestorben war. Und nun war Heiliger Abend,<br />

und sie war zum ersten Mal an diesem Tag<br />

alleine.<br />

Sie erschrak durch das Läuten der<br />

Haustürglocke. Sie ging den schmalen Flur<br />

entlang und öffnete die Haustüre. Die Kälte<br />

kroch herein, und durch das Schneegestöber<br />

hindurch konnte sie eine fremde Gestalt<br />

stehen sehen.<br />

„Wer sind Sie“ fragte Sie laut.<br />

„Mir ist kalt“, antwortete ihr vom Gartentor<br />

her eine Frauenstimme.<br />

„Aber deswegen können Sie doch nicht<br />

einfach hier klingeln“<br />

„Bitte lassen Sie mich ein wenig aufwärmen“<br />

Frau Smolle nickte. „Also gut, kommen Sie<br />

herein“<br />

Die Person, die das Haus betrat, war dick<br />

vermummt, so dass nur ein wenig von ihrem<br />

hübschen Gesicht zu sehen war. Nur zwei<br />

blaue Augen, die verängstigt und bittend<br />

dreinblickten.<br />

„Kommen Sie mit in die Wohnung, jetzt, wo<br />

Sie schon da sind“<br />

„Sie meinen wirklich ? Aber nur eine viertel<br />

Stunde, dann verschwinde ich wieder“<br />

Die Unbekannte zog ihren Mantel aus und<br />

nahm den dicken Schal vom Kopf. Erst jetzt<br />

konnte Frau Smoll sehen, dass es sich um<br />

eine sehr junge Frau handelte. „Ich habe<br />

mich vorhin an der Haustür sehr töricht<br />

verhalten“ sagte Sie.<br />

„Ich heiße Katrin“, sagte die junge Frau. „Ich<br />

kenne sie“ stellte sie plötzlich fest.<br />

„Sie kennen mich ?“ „Ja, ich habe im Herbst<br />

auf dem Markplatz gebettelt. Sie haben mir<br />

fünf Euro gegeben, und da bin ich Ihnen<br />

nachgegangen bis hierher zu ihrem Haus. Es<br />

war Neugier. Wer gibt einer Bettlerin schon<br />

fünf Euro ?“<br />

„Wissen Sie, Karin, ich habe selbst als junger<br />

Mensch erfahren müssen, wie leicht man<br />

zum Bettler werden kann. Als wir nach dem<br />

BITTERKALTE WEIHNACHTEN<br />

Paul SZABO « Konradsblatt »<br />

25<br />

Krieg auf der Flucht waren, da haben wir nur<br />

durch Betteln überlebt.“ Sie schwieg und die<br />

Stille wurde nur durch das Knistern des<br />

Feuers im Kachelofen durchbrochen.<br />

„Ich habe keine Eltern mehr und auch keine<br />

Geschwister“ bemerkte die junge Frau in die<br />

Stille hinein. „Ich wohnte bei meiner<br />

Großmutter und war arbeitslos, als meine<br />

Großmutter starb. Der Vermieter wollte mir<br />

die Wohnung von Oma nicht überlassen. Und<br />

somit stand ich auf der Strasse.“<br />

Sie kämpfte mit den Tränen, und damit Frau<br />

Smolle es nicht sehen sollte, sagte Sie : „Ich<br />

muss jetzt gehen. Den Heiligen Abend will<br />

man doch nicht mit fremden verbringen“. Sie<br />

ging zur Tür. Frau Smolle stand so hastig<br />

auf, dass der Stuhl umfiel. „Sie können doch<br />

jetzt nicht gehen. Wohin denn auch in dieser<br />

bitterkalten Nacht ? Sie können hier auf dem<br />

Sofa schlafen.“<br />

Die beiden Frauen redeten in dieser Nacht<br />

noch lange miteinander, bis Karin schließlich,<br />

von der ungewöhnten Wärme übermannt,<br />

einschlief. Frau Smolle legte ihr eine Decke<br />

um und ließ Sie schlafen.<br />

Am nächsten Morgen, beim Frühstück, sagte<br />

Frau Smolle : „Wollen Sie hier bleiben ? Ich<br />

könnte das kleine Zimmer im Obergeschoss<br />

herrichten“<br />

Die junge Frau schaute auf : „Aber Sie<br />

kennen mich ja überhaupt nicht !“<br />

„Ist das denn so wichtig, Karin. Ich würde<br />

mich freuen, wenn Sie bleiben“<br />

Sie dachte an die Zeit ihrer Flucht und ihr<br />

Blick ging unbewusst zum Fenster. Es<br />

schneite noch etwas, aber ganz hinten im<br />

Osten kam langsam die Sonne durch. Es war<br />

Weihnachten, und Frau Smolle war nicht<br />

mehr allein.

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!