PSC 1-06 - FSP
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d o s s i e r<br />
S c h m e r z t h e r a p i e<br />
an die Voraussetzungen und Bedürfnisse<br />
der türkischsprachigen PatientInnen<br />
angepasst. Angewendet werden klassische<br />
Elemente wie etwa Patienteninformation<br />
über Schmerzmechanismen,<br />
Schmerzbewältigungsstrategien, die<br />
Rolle psychosozialer Faktoren oder depressiver<br />
Entwicklung bei der Chronifizierung<br />
der Schmerzen sowie Muskelrelaxationstraining<br />
nach Jacobson,<br />
aber wie erwähnt kulturspezifisch an<br />
die Möglichkeiten der PatientInnen angepasst.<br />
Kulturspezifisch meint: Kenntnis des<br />
kulturellen Hintergrundes, Offenheit<br />
für die Verschiedenheiten, Bereitschaft,<br />
den eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen.<br />
So ist z.B. in der türkischbäuerlichen<br />
Kultur die Vorstellung verbreitet,<br />
dass die Krankheit von aussen<br />
in den Körper eindringt und diesen<br />
meist ganzheitlich befällt. Darum ist<br />
eine diffuse Beschwerdebeschreibung<br />
nicht einfach Undifferenziertheit oder<br />
Aggravation. Es ist wichtig, zu betonen,<br />
dass wir Kultur im Sinne von<br />
Kleinman interpretieren, das heisst<br />
unter Einbezug von Bildung, sozialer<br />
Schicht und Lebensbezügen.<br />
So wird in unserem Ansatz beispielsweise<br />
das Fremdsein als sozialer Stress<br />
thematisiert und die Bewältigung dieses<br />
Stresses angegangen, das Versicherungs-<br />
und Gesundheitssystem erklärt<br />
und auf die Unterschiede zur Türkei<br />
eingegangen. Die Themen werden vor<br />
allem mit Hilfe kognitiver Umstrukturierung,<br />
mit Verhaltensexperimenten<br />
und mit Rollenspielen angegangen.<br />
Psychoedukation anpassen<br />
Während man in einem standardisierten<br />
CBT-Programm in der Psychoedukation<br />
davon ausgeht, dass die Patient-<br />
Innen die vermittelte Information<br />
automatisch auf sich selbst übertragen<br />
und anwenden, muss man in der türkischen<br />
Gruppe auf EinzelpatientInnen<br />
eingehen und die Information anhand<br />
ihres konkreten Leidens erläutern.<br />
Weil sich besonders türkische Frauen<br />
aufgrund ihrer geringen Schulbildung<br />
wenig zutrauen, muss vor der Wissensvermittlung<br />
daran gearbeitet werden,<br />
dass sie sich für fähig halten, abstraktes<br />
Allgemeinwissen überhaupt aufzunehmen<br />
respektive auf sich anzuwenden.<br />
Wunderfrage stellen<br />
Zum Erarbeiten konstruktiver Copingstrategien<br />
bei Schmerzen führen die<br />
PatientInnen in den Standardprogrammen<br />
eine Verhaltensanalyse durch. Für<br />
unsere PatientInnen in den türkischsprachigen<br />
Gruppen ist es meist eine<br />
absolut abwegige Idee, sich über Gedanken<br />
Gedanken zu machen. Auf die<br />
Frage «Was denken Sie, wenn es<br />
schmerzt?» lautet die Antwort oft ziemlich<br />
ratlos: «Nichts». Um an die kognitiven<br />
Konstrukte der PatientInnen zu<br />
gelangen, arbeiten wir mit konkreten<br />
Situationen. So wird als eine einfache<br />
und nachvollziehbare Technik die<br />
«Wunderfrage» gestellt. Die PatientInnen<br />
sollen sagen, was sie gerne tun<br />
würden, jetzt aber der Schmerzen wegen<br />
nicht mehr tun können. Sie setzen<br />
somit persönliche Ziele, zu deren Erreichung<br />
sie lösungsorientiert konkret<br />
arbeiten können. Die Ziele werden in<br />
Form von Bildern definiert, etwa auf<br />
Ansichtskarten, welche die PatientInnen<br />
an bestimmten Orten aufhängen<br />
sollten.<br />
Beratung durch die Gruppe<br />
Während PatientInnen aus unserem<br />
Kulturkreis ein relativ egozentrisches<br />
Weltbild haben und ihr Wohlbefinden<br />
vor allem über die sie direkt betreffenden<br />
Faktoren definieren, geschieht dies<br />
bei türkischen Patientinnen sehr oft<br />
über ihre Rolle in der Familie. Es geht<br />
deshalb nicht nur darum, direkt für die<br />
Schmerzen Erleichterung zu finden.<br />
Einen Teil an Erleichterung erfährt die<br />
Patientin auch, wenn ein Weg gesucht<br />
und gefunden wird, welcher ihr das Gefühl<br />
gibt, den ihr zustehenden (oder oft<br />
auch zugeteilten) Platz in der Gesellschaft<br />
wieder ausfüllen zu können,<br />
ohne sich schämen zu müssen.<br />
Die lösungsorientierte Gruppenarbeit<br />
soll den Patientinnen zeigen, dass es<br />
verschiedene Wege und Umwege gibt,<br />
um dieses Ziel zu erreichen, oder dass<br />
man die eigene Einstellung zu unerreichbaren<br />
Zielen ändern kann. In der<br />
Gruppenarbeit werden Ressourcen aktiviert,<br />
indem man gemeinsam nach Lösungen<br />
sucht. Dies bedeutet für die Patientinnen<br />
auch eine positive Verstärkung.<br />
Die Teilnehmenden werden so zu «Co-<br />
Therapeutinnen»: Sie suchen gemeinsam<br />
für jede Patientin konkrete Lösungsmöglichkeiten<br />
und erzählen sich<br />
in den folgenden Sitzungen, ob und wie<br />
es funktioniert hat. Durch diese Gespräche<br />
und Vergleiche untereinander<br />
erarbeiten die Patientinnen Möglichkeiten,<br />
sich durch Ablenkung und Aktivität<br />
mehr Lebensqualität zu verschaffen.<br />
Sie lernen aber auch, um ein Beispiel<br />
zu nennen, dass man in den Augen der<br />
Schwiegermutter nicht unbedingt eine<br />
schlechte Mutter ist, wenn man den<br />
Kindern nicht zweimal täglich ein dreigängiges<br />
Menü kocht und daneben<br />
noch eine Vollzeitstelle als Putzfrau<br />
hat.<br />
Integrationswille wecken<br />
Einer der belastenden Faktoren für<br />
unsere Gruppe ist die schlechte Integration<br />
in die schweizerische Gesellschaft.<br />
Die PatientInnen sind oft sehr stark<br />
isoliert und erleben ein Gefühl von Hilflosigkeit.<br />
Ein Teil der Therapie beinhaltet deshalb<br />
auch, ihnen die enorme Wichtigkeit<br />
der Integration zu erklären und in ihnen<br />
den Wunsch zu wecken, Deutschkenntnisse<br />
zu erwerben, lesen und schreiben<br />
zu lernen und nicht nur in der türkischen<br />
Welt zu verkehren. Auch dies<br />
wird spielerisch gemacht. Man stellt<br />
Résumé<br />
Selon l’origine culturelle des<br />
patient(e)s, les traitements thérapeutiques<br />
utilisés ne donnent pas toujours<br />
les mêmes résultats.<br />
Brigitta Wössmer et Marina<br />
Sleptsova, deux psychologues <strong>FSP</strong>,<br />
décrivent pourquoi certaines méthodes<br />
traditionnelles n’ont pas le succès<br />
escompté et elles présentent leur<br />
propre concept de thérapie qu’elles<br />
utilisent, avec succès, principalement<br />
avec des migrant(e)s provenant de<br />
Turquie.