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„So etwas wie die 68er-Bewegung wird es<br />
sicher wieder geben“<br />
DOSSIER<br />
Fünfzig Jahre 1968: Ob in Deutschland, Frankreich, den USA oder auch in der Schweiz,<br />
zumeist in der westlichen Welt revoltierte die Jugend vor fünf Jahrzehnten für eine neue,<br />
bessere Gesellschaft – so auch Adam Wyden.<br />
REBEKKA CHRISTEN<br />
In den 1960er Jahren studierte Adam<br />
Wyden aus Brig Architektur an der<br />
ETH Zürich. Während seiner Studienzeit<br />
setzte er sich leidenschaftlich für die<br />
68er-Bewegung ein. Gründe dafür gab<br />
es für ihn genug: der Vietnamkrieg, die<br />
Autoritätsgläubigkeit der Nachkriegsgeneration,<br />
die massive Gewalt der Polizei<br />
am Globuskrawall, das „ETH-Gesetz“.<br />
Die Gesellschaft reformieren<br />
© Foto: zVg<br />
Teil der Bewegung waren Studierende<br />
wie der 1943 geborene Adam Wyden,<br />
aber auch viele Lernende und Angestellte.<br />
„Wir wollten die alte, verknöcherte<br />
Gesellschaft reformieren und<br />
nicht mehr so gestresst leben wie unsere<br />
Elterngeneration“, beschreibt er die damalige<br />
Grundstimmung. Innerhalb der<br />
Bewegung war er Teil der Gruppe Wallis-Zürich,<br />
die die Rebellion nach Brig<br />
brachte. Dort veranstalteten sie Freiluftkonzerte<br />
und politische Podiumsgespräche<br />
und gründeten die heute noch<br />
bestehende Zeitung Rote Anneliese.<br />
Kampf gegen die Autoritäten<br />
Nicht nur im Wallis, sondern auch in<br />
seiner Studienstadt Zürich engagierte<br />
sich Adam Wyden. So war etwa die Architektur-Abteilung<br />
der ETH, der er angehörte,<br />
eine der führenden Kräfte in<br />
der Besetzung des Globusprovisoriums<br />
und im Globuskrawall im Juni 1968.<br />
Besonders wichtig war ihm der Kampf<br />
gegen das ETH-Gesetz, das im Herbst<br />
1968 als Reaktion auf die Rebellionen<br />
desselben Jahres wie den Pariser Mai<br />
oder den Globuskrawall erlassen wurde.<br />
„Das Gesetz war strikt autoritätsgläubig,<br />
wodurch wir als Studierende kein Mitspracherecht<br />
hatten“, so Wyden. „Nach<br />
den Rebellionen in den Monaten zuvor<br />
hat uns das schwer enttäuscht. So<br />
ergriffen wir das Referendum, welches<br />
wir im folgenden Jahr auch gewannen.“<br />
Adam Wyden (Mitte) mit einigen Mitgliedern seiner damaligen Wohngemeinschaft in Zürich.<br />
Ein Wandel auf allen Ebenen<br />
In der 68er-Bewegung drehte sich nicht<br />
alles nur um politisches Engagement.<br />
Schliesslich gab es so einiges Neues aus<br />
Amerika zu entdecken. „Da waren plötzlich<br />
neue Filme, Drogen, Musik. In allen<br />
Bereichen ist wahnsinnig viel passiert.<br />
Zudem wurden unter Einfluss der Hippie-Bewegung<br />
erstmals Wohngemeinschaften<br />
gegründet. „Wir waren eine<br />
internationale Studierendenschaft aus<br />
etwa zehn Personen und bewohnten<br />
ein ganzes Haus, in dem wir alles zusammen<br />
machten“, berichtet Wyden,<br />
der mit seiner Frau dort lebte. Noch<br />
während dieser Zeit bekamen sie ihre<br />
beiden Kinder, die sie antiautoritär erzogen.<br />
„Sie sind in einer Freiheit aufgewachsen,<br />
wie man sie sich heute nicht<br />
mehr vorstellen kann“, erinnert er sich.<br />
Was vom Engagement geblieben ist<br />
Mitte der 70er Jahre ebbte die Jugendbewegung<br />
in Zürich ab und die Wohngemeinschaft<br />
löste sich auf, alle gingen<br />
ihren eigenen Weg. Adam Wyden kehrte<br />
mit seiner Familie in seine Heimat Brig<br />
zurück. „Das Experiment Zürich war inspirierend<br />
für mich, wir hatten eine<br />
schöne Zeit“, hält er fest. Hat sich denn<br />
das Engagement im Rahmen der Bewegung<br />
rückblickend gelohnt? „Für mich<br />
sehr“, meint Adam Wyden. „Die Gesellschaft<br />
war nach 1968 eine andere als<br />
davor. Es hat sich alles etwas gelockert.“<br />
Die Autoritäten begriffen, dass man in<br />
Zusammenarbeit mehr erreichen kann,<br />
wodurch die Hierarchien flacher wurden.<br />
„Der Umgang untereinander hat<br />
sich meiner Meinung nach grundsätzlich<br />
verbessert, vor allem auch zwischen<br />
Mann und Frau“, fährt er fort. Doch<br />
nicht nur im Zwischenmenschlichen,<br />
sondern in allen Bereichen habe sich<br />
ein Wandel vollzogen. Durch die neuen<br />
kulturellen Einflüsse wurde etwa farbig,<br />
was früher grau und schwarz gewesen<br />
war – es herrschte ein völlig neues, freieres<br />
Lebensgefühl.<br />
Jugend ohne Engagement?<br />
Nicht selten wird den heutigen Jugendlichen<br />
nachgesagt, dass sie sich nicht<br />
mehr engagieren und sich nur für sich<br />
selbst interessieren würden. Dem widerspricht<br />
Adam Wyden: „Ich habe eine<br />
gute Meinung von der Jugend und sehe,<br />
dass sie sehr wohl weiss, wie man sich<br />
engagiert.“ Jede Generation müsse sich<br />
ihren Problemen stellen und daher ist er<br />
überzeugt: „So etwas wie die 68er-Bewegung<br />
wird es sicher wieder geben – denn<br />
Missstände, gegen die es sich zu kämpfen<br />
lohnt, gibt es genug auf der Welt.“<br />
04.<strong>2018</strong><br />
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