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Spectrum #2 2018

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„So etwas wie die 68er-Bewegung wird es<br />

sicher wieder geben“<br />

DOSSIER<br />

Fünfzig Jahre 1968: Ob in Deutschland, Frankreich, den USA oder auch in der Schweiz,<br />

zumeist in der westlichen Welt revoltierte die Jugend vor fünf Jahrzehnten für eine neue,<br />

bessere Gesellschaft – so auch Adam Wyden.<br />

REBEKKA CHRISTEN<br />

In den 1960er Jahren studierte Adam<br />

Wyden aus Brig Architektur an der<br />

ETH Zürich. Während seiner Studienzeit<br />

setzte er sich leidenschaftlich für die<br />

68er-Bewegung ein. Gründe dafür gab<br />

es für ihn genug: der Vietnamkrieg, die<br />

Autoritätsgläubigkeit der Nachkriegsgeneration,<br />

die massive Gewalt der Polizei<br />

am Globuskrawall, das „ETH-Gesetz“.<br />

Die Gesellschaft reformieren<br />

© Foto: zVg<br />

Teil der Bewegung waren Studierende<br />

wie der 1943 geborene Adam Wyden,<br />

aber auch viele Lernende und Angestellte.<br />

„Wir wollten die alte, verknöcherte<br />

Gesellschaft reformieren und<br />

nicht mehr so gestresst leben wie unsere<br />

Elterngeneration“, beschreibt er die damalige<br />

Grundstimmung. Innerhalb der<br />

Bewegung war er Teil der Gruppe Wallis-Zürich,<br />

die die Rebellion nach Brig<br />

brachte. Dort veranstalteten sie Freiluftkonzerte<br />

und politische Podiumsgespräche<br />

und gründeten die heute noch<br />

bestehende Zeitung Rote Anneliese.<br />

Kampf gegen die Autoritäten<br />

Nicht nur im Wallis, sondern auch in<br />

seiner Studienstadt Zürich engagierte<br />

sich Adam Wyden. So war etwa die Architektur-Abteilung<br />

der ETH, der er angehörte,<br />

eine der führenden Kräfte in<br />

der Besetzung des Globusprovisoriums<br />

und im Globuskrawall im Juni 1968.<br />

Besonders wichtig war ihm der Kampf<br />

gegen das ETH-Gesetz, das im Herbst<br />

1968 als Reaktion auf die Rebellionen<br />

desselben Jahres wie den Pariser Mai<br />

oder den Globuskrawall erlassen wurde.<br />

„Das Gesetz war strikt autoritätsgläubig,<br />

wodurch wir als Studierende kein Mitspracherecht<br />

hatten“, so Wyden. „Nach<br />

den Rebellionen in den Monaten zuvor<br />

hat uns das schwer enttäuscht. So<br />

ergriffen wir das Referendum, welches<br />

wir im folgenden Jahr auch gewannen.“<br />

Adam Wyden (Mitte) mit einigen Mitgliedern seiner damaligen Wohngemeinschaft in Zürich.<br />

Ein Wandel auf allen Ebenen<br />

In der 68er-Bewegung drehte sich nicht<br />

alles nur um politisches Engagement.<br />

Schliesslich gab es so einiges Neues aus<br />

Amerika zu entdecken. „Da waren plötzlich<br />

neue Filme, Drogen, Musik. In allen<br />

Bereichen ist wahnsinnig viel passiert.<br />

Zudem wurden unter Einfluss der Hippie-Bewegung<br />

erstmals Wohngemeinschaften<br />

gegründet. „Wir waren eine<br />

internationale Studierendenschaft aus<br />

etwa zehn Personen und bewohnten<br />

ein ganzes Haus, in dem wir alles zusammen<br />

machten“, berichtet Wyden,<br />

der mit seiner Frau dort lebte. Noch<br />

während dieser Zeit bekamen sie ihre<br />

beiden Kinder, die sie antiautoritär erzogen.<br />

„Sie sind in einer Freiheit aufgewachsen,<br />

wie man sie sich heute nicht<br />

mehr vorstellen kann“, erinnert er sich.<br />

Was vom Engagement geblieben ist<br />

Mitte der 70er Jahre ebbte die Jugendbewegung<br />

in Zürich ab und die Wohngemeinschaft<br />

löste sich auf, alle gingen<br />

ihren eigenen Weg. Adam Wyden kehrte<br />

mit seiner Familie in seine Heimat Brig<br />

zurück. „Das Experiment Zürich war inspirierend<br />

für mich, wir hatten eine<br />

schöne Zeit“, hält er fest. Hat sich denn<br />

das Engagement im Rahmen der Bewegung<br />

rückblickend gelohnt? „Für mich<br />

sehr“, meint Adam Wyden. „Die Gesellschaft<br />

war nach 1968 eine andere als<br />

davor. Es hat sich alles etwas gelockert.“<br />

Die Autoritäten begriffen, dass man in<br />

Zusammenarbeit mehr erreichen kann,<br />

wodurch die Hierarchien flacher wurden.<br />

„Der Umgang untereinander hat<br />

sich meiner Meinung nach grundsätzlich<br />

verbessert, vor allem auch zwischen<br />

Mann und Frau“, fährt er fort. Doch<br />

nicht nur im Zwischenmenschlichen,<br />

sondern in allen Bereichen habe sich<br />

ein Wandel vollzogen. Durch die neuen<br />

kulturellen Einflüsse wurde etwa farbig,<br />

was früher grau und schwarz gewesen<br />

war – es herrschte ein völlig neues, freieres<br />

Lebensgefühl.<br />

Jugend ohne Engagement?<br />

Nicht selten wird den heutigen Jugendlichen<br />

nachgesagt, dass sie sich nicht<br />

mehr engagieren und sich nur für sich<br />

selbst interessieren würden. Dem widerspricht<br />

Adam Wyden: „Ich habe eine<br />

gute Meinung von der Jugend und sehe,<br />

dass sie sehr wohl weiss, wie man sich<br />

engagiert.“ Jede Generation müsse sich<br />

ihren Problemen stellen und daher ist er<br />

überzeugt: „So etwas wie die 68er-Bewegung<br />

wird es sicher wieder geben – denn<br />

Missstände, gegen die es sich zu kämpfen<br />

lohnt, gibt es genug auf der Welt.“<br />

04.<strong>2018</strong><br />

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