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UNILEBEN<br />
Vom Kaffeekränzchen bis zum Feierabendbier<br />
Alle Studierenden brauchen einen Ort, um einfach zu sein. Einen Ort, um sich auszutauschen,<br />
zu arbeiten, zu geniessen. Um einzukehren.<br />
ALEA SUTTER<br />
Ja genau, darum geht es: um Cafés, genauer<br />
ums Cyclo – das moderne, im Vintage-Stil<br />
gehaltene Lokal am Boulevard de<br />
Pérolles, wo man von Kaffee über Bier zu<br />
Burger alles erhält. Die Türen stehen allen<br />
offen, doch bevölkert wird das Lokal<br />
hauptsächlich von Studierenden. Es bietet<br />
Platz, um Triumphe zu feiern, aber auch<br />
um Niederlagen zu vergessen. Es taugt als<br />
Arbeitsplatz, als Ort für intime Gespräche<br />
und für gesellige Runden im grossen<br />
Freundeskreis. An einem Mittwochnachmittag<br />
fühlte <strong>Spectrum</strong> den Puls dieser<br />
stark frequentierten Beiz in der Nähe des<br />
Universitätskomplexes Pérolles.<br />
15:06 Uhr. Eine erste Bestandsaufnahme:<br />
23 Gäste, Kaffee, Bier, Französisch,<br />
Schultaschen, Computer, mehr Frauen als<br />
Männer, Durchschnittsalter 25, laute Soulmusik.<br />
© Foto: Facebook Cyclo Café<br />
15:18 Uhr. Das Gerücht, an der Uni Pérolles<br />
studierten viel mehr Deutschsprachige,<br />
muss angezweifelt werden. Oder umgedacht.<br />
Vielleicht kommen sie einfach nicht<br />
so gerne hierher oder haben keine Zeit, um<br />
Kaffee zu trinken. Jedenfalls ist an diesem<br />
Mittwochnachmittag eindeutig Französisch<br />
die dominierende Sprache. Wobei<br />
das mit dem Kaffeetrinken auch nicht zu<br />
ernst genommen werden sollte: Es stehen<br />
hauptsächlich Biergläser auf den Tischen.<br />
Kurz nach 15:00 Uhr und schon Feierabend<br />
– das können sich wohl auch nur Studierende<br />
leisten. Obwohl, nicht wirklich. Die<br />
Idylle des Nichtstuns, Verweilens und<br />
Geniessens trügt. Viele der Besucherinnen<br />
und Besucher verlassen bereits nach<br />
zwanzig Minuten das Lokal. Studierende<br />
haben ein vollgepacktes Leben.<br />
Auch eine grosse Gruppe von Freundinnen<br />
und Freunden löst sich auf. Zurück bleiben<br />
die Hartgesottenen. Ihre Gesprächsthemen:<br />
Ferienplanung und geplanter<br />
Rauchstopp.<br />
15:39 Uhr. Versteckt zwischen dem Vorhang<br />
und einem Regal, drehen sich die<br />
Gespräche um ganz andere Dinge. An den<br />
roten Wangen des jungen Mannes erkennt<br />
man seinen Gefallen an der attraktiven<br />
Gesprächspartnerin. Gleichzeitig treffen<br />
zwei Sportstudentinnen ihre trendig gekleidete<br />
Freundin. Sie bestellen zwei Cappuccini<br />
und einen Café nature. Die Sportlerinnen<br />
sind in enge schwarze Leggins,<br />
Sneakers sowie Daunenjacke gekleidet.<br />
Komplettiert wird das Bild durch 7/8-Hosen,<br />
einen oversized Pulli und die lockere<br />
Hochsteckfrisur der Freundin. Im Cyclo<br />
sind alle willkommen. Stile vermischen<br />
sich.<br />
16:03 Uhr. Langsam wird es eng, nur noch<br />
sechs Plätze sind unbesetzt. Mehr Leute,<br />
mehr Lärm, doch die Musik wird nicht leiser<br />
gestellt. Die ersten deutschsprachigen<br />
Frauen löschen ihren Bierdurst. Und die<br />
erste Sprachbarriere gilt es zu überwinden:<br />
Wie sagt man schon wieder „ein trübes<br />
Bier“ auf Französisch?<br />
16:16 Uhr. Alles ist vergänglich. Wo zuvor<br />
das (zukünftige?) Pärchen sass, hat jetzt<br />
eine Vierergruppe Platz genommen. Neue<br />
Getränke stehen auf dem Tisch, neue Gespräche<br />
füllen den Raum.<br />
16:29 Uhr. Ein älterer Mann in seinen<br />
Sechzigern sitzt, zeitunglesend und biertrinkend,<br />
alleine in der Mitte des Raumes.<br />
Er ist umgeben von lauter Studierenden.<br />
Ist es seine Gewohnheit, hierher zu kommen<br />
oder hat sein eigentliches Stammlokal<br />
ausnahmsweise geschlossen? Er wirkt<br />
wie aus einer anderen Welt. Weit weg von<br />
den Studierenden, die sich lang und breit<br />
über ihre vielen Prüfungen, anstrengenden<br />
Kommilitoninnen und Kommilitonen<br />
oder inkompetenten Professoren und Professorinnen<br />
beschweren.<br />
16:35 Uhr. Das nächste Bier für die drei<br />
Deutschschweizerinnen. Diesmal ohne<br />
Kommunikationsprobleme.<br />
16:58 Uhr. Der ältere Herr hat seinen<br />
Zweiertisch verlassen. Er steht mit seinem<br />
zweiten Bier an der Bar und spricht mit<br />
dem Personal. Ein Café ist auch ein Ort für<br />
Einsame, das Servicepersonal Ersatz für<br />
mangelnde Gesprächspartnerinnen und<br />
Gesprächspartner.<br />
Es wird langsam ruhig. Auch das Gästepublikum<br />
scheint sich zu wandeln; es sind<br />
kaum mehr Studierende hier. Die Berufstätigen<br />
nehmen überhand.<br />
17:24 Uhr. Kerzen werden angezündet,<br />
das Café wird langsam zum Restaurant.<br />
Fast keine Studierenden mehr. Zeit, zu gehen.<br />
05.<strong>2018</strong><br />
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