04.06.2018 Views

Spectrum #3 2018

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UNILEBEN<br />

Vom Kaffeekränzchen bis zum Feierabendbier<br />

Alle Studierenden brauchen einen Ort, um einfach zu sein. Einen Ort, um sich auszutauschen,<br />

zu arbeiten, zu geniessen. Um einzukehren.<br />

ALEA SUTTER<br />

Ja genau, darum geht es: um Cafés, genauer<br />

ums Cyclo – das moderne, im Vintage-Stil<br />

gehaltene Lokal am Boulevard de<br />

Pérolles, wo man von Kaffee über Bier zu<br />

Burger alles erhält. Die Türen stehen allen<br />

offen, doch bevölkert wird das Lokal<br />

hauptsächlich von Studierenden. Es bietet<br />

Platz, um Triumphe zu feiern, aber auch<br />

um Niederlagen zu vergessen. Es taugt als<br />

Arbeitsplatz, als Ort für intime Gespräche<br />

und für gesellige Runden im grossen<br />

Freundeskreis. An einem Mittwochnachmittag<br />

fühlte <strong>Spectrum</strong> den Puls dieser<br />

stark frequentierten Beiz in der Nähe des<br />

Universitätskomplexes Pérolles.<br />

15:06 Uhr. Eine erste Bestandsaufnahme:<br />

23 Gäste, Kaffee, Bier, Französisch,<br />

Schultaschen, Computer, mehr Frauen als<br />

Männer, Durchschnittsalter 25, laute Soulmusik.<br />

© Foto: Facebook Cyclo Café<br />

15:18 Uhr. Das Gerücht, an der Uni Pérolles<br />

studierten viel mehr Deutschsprachige,<br />

muss angezweifelt werden. Oder umgedacht.<br />

Vielleicht kommen sie einfach nicht<br />

so gerne hierher oder haben keine Zeit, um<br />

Kaffee zu trinken. Jedenfalls ist an diesem<br />

Mittwochnachmittag eindeutig Französisch<br />

die dominierende Sprache. Wobei<br />

das mit dem Kaffeetrinken auch nicht zu<br />

ernst genommen werden sollte: Es stehen<br />

hauptsächlich Biergläser auf den Tischen.<br />

Kurz nach 15:00 Uhr und schon Feierabend<br />

– das können sich wohl auch nur Studierende<br />

leisten. Obwohl, nicht wirklich. Die<br />

Idylle des Nichtstuns, Verweilens und<br />

Geniessens trügt. Viele der Besucherinnen<br />

und Besucher verlassen bereits nach<br />

zwanzig Minuten das Lokal. Studierende<br />

haben ein vollgepacktes Leben.<br />

Auch eine grosse Gruppe von Freundinnen<br />

und Freunden löst sich auf. Zurück bleiben<br />

die Hartgesottenen. Ihre Gesprächsthemen:<br />

Ferienplanung und geplanter<br />

Rauchstopp.<br />

15:39 Uhr. Versteckt zwischen dem Vorhang<br />

und einem Regal, drehen sich die<br />

Gespräche um ganz andere Dinge. An den<br />

roten Wangen des jungen Mannes erkennt<br />

man seinen Gefallen an der attraktiven<br />

Gesprächspartnerin. Gleichzeitig treffen<br />

zwei Sportstudentinnen ihre trendig gekleidete<br />

Freundin. Sie bestellen zwei Cappuccini<br />

und einen Café nature. Die Sportlerinnen<br />

sind in enge schwarze Leggins,<br />

Sneakers sowie Daunenjacke gekleidet.<br />

Komplettiert wird das Bild durch 7/8-Hosen,<br />

einen oversized Pulli und die lockere<br />

Hochsteckfrisur der Freundin. Im Cyclo<br />

sind alle willkommen. Stile vermischen<br />

sich.<br />

16:03 Uhr. Langsam wird es eng, nur noch<br />

sechs Plätze sind unbesetzt. Mehr Leute,<br />

mehr Lärm, doch die Musik wird nicht leiser<br />

gestellt. Die ersten deutschsprachigen<br />

Frauen löschen ihren Bierdurst. Und die<br />

erste Sprachbarriere gilt es zu überwinden:<br />

Wie sagt man schon wieder „ein trübes<br />

Bier“ auf Französisch?<br />

16:16 Uhr. Alles ist vergänglich. Wo zuvor<br />

das (zukünftige?) Pärchen sass, hat jetzt<br />

eine Vierergruppe Platz genommen. Neue<br />

Getränke stehen auf dem Tisch, neue Gespräche<br />

füllen den Raum.<br />

16:29 Uhr. Ein älterer Mann in seinen<br />

Sechzigern sitzt, zeitunglesend und biertrinkend,<br />

alleine in der Mitte des Raumes.<br />

Er ist umgeben von lauter Studierenden.<br />

Ist es seine Gewohnheit, hierher zu kommen<br />

oder hat sein eigentliches Stammlokal<br />

ausnahmsweise geschlossen? Er wirkt<br />

wie aus einer anderen Welt. Weit weg von<br />

den Studierenden, die sich lang und breit<br />

über ihre vielen Prüfungen, anstrengenden<br />

Kommilitoninnen und Kommilitonen<br />

oder inkompetenten Professoren und Professorinnen<br />

beschweren.<br />

16:35 Uhr. Das nächste Bier für die drei<br />

Deutschschweizerinnen. Diesmal ohne<br />

Kommunikationsprobleme.<br />

16:58 Uhr. Der ältere Herr hat seinen<br />

Zweiertisch verlassen. Er steht mit seinem<br />

zweiten Bier an der Bar und spricht mit<br />

dem Personal. Ein Café ist auch ein Ort für<br />

Einsame, das Servicepersonal Ersatz für<br />

mangelnde Gesprächspartnerinnen und<br />

Gesprächspartner.<br />

Es wird langsam ruhig. Auch das Gästepublikum<br />

scheint sich zu wandeln; es sind<br />

kaum mehr Studierende hier. Die Berufstätigen<br />

nehmen überhand.<br />

17:24 Uhr. Kerzen werden angezündet,<br />

das Café wird langsam zum Restaurant.<br />

Fast keine Studierenden mehr. Zeit, zu gehen.<br />

05.<strong>2018</strong><br />

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