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Spectrum_05_2022

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ANIMAE LIBERAE

Text Selina Keiser

Foto Pixabay

Krachende Mail – anstatt

Meerwellen ab Semesterbeginn

emesterstart war nicht Montag. Semesterstart

ist eigentlich nie Montag.

S

Dennoch werden Studierende von der Universität

kontaktiert, als sei es Montag. Und

ist dann Montag, ist wirklich Montag. Genügend

Montag. Der Kommunikationskanal

der Universität läuft gelinde gesagt rege.

Eigentlich sprintet er mehr, als das er läuft.

Jedes Semester scheint er neue Bestzeiten

in der Informationsgeschwindigkeit erreichen

zu wollen. Die ersten Mails trudeln

nicht ein, sie krachen durch die Tür. Dies

wie in Harry Potter die Einladungsbriefe für

Hogwarts durch Onkel Vernons Barrikade

des Briefkastenschlitzes platzen.

Nicht alle am selben Tag und dennoch: Ab

dem erwähnten Montag muss die Studentin

Vorbereitungen treffen. Sie selbst wird

zu einem Filtersystem mutieren, das aus

den meterhohen Mailwellen die wichtigen

Informationen selektiert. Nimmt sie diese

Funktion nicht wahr, werden in den Unmengen

Nachrichten die Antworten auf

Fragen und Einschreibebestätigungen von

Prüfungen sanft, leise und unbemerkt auf

den Meeresboden des Mailservers sinken.

Doch in der Eile des Semesterbeginns ist das

studentische Filtersystem überfordert. Aus

dem wohlüberlegten, die Mails lesenden Individuum

wird eine boshafte Löschmaschine,

die sich mit keiner weiteren Information

zu möglichen Anlässen auseinandersetzen

möchte. Einige Wochen später, kurz nachdem

die Löschmaschine in ihre Ursprungsgestalt

der disziplinierten Studentin zurückgefunden

hat, stösst diese über andere

Kommunikationskanäle auf einige derselben

Informationen. Trotz dem hochfunktionalen

studentischen Tratschsystem dringen

die exakten Angaben zu Zeit und Ort neben

der Information über die Existenz des Anlasses

jedoch nicht weiter durch und dümpeln

weiterhin im Papierkorb des Meerservers.

Unerwartet, unerwünscht, unbemerkt

und vergessen. An so manchem Anlass findet

sich die Studentin dennoch wieder.

Hat sie sich endlich im Studierendenalltag

eingefunden, sich ihren Kurseinschreibungen

und der Anzahl Credits gewidmet, ihre

Alkoholtoleranz hochgeschraubt und sogar

die Mail mit dem Einzahlungsschein der Fakultätsrechnung

im Meer entdeckt und bezahlt,

sitzt sie in der Spectrum Redaktionssitzung.

Nach einem langen, erleichterten,

kollektiven Seufzen verfasst sie ein höfliches

Schreiben an die Universität. Argument für

Argument legt sie dar, wie die Studierenden

kontaktiert werden möchten und sollten,

so dass keine der liebevollen Initiativen und

Anlässe der Studentenorganisationen ertrinken.

Und dass sich das Layout der Mails

wirklich von einem Gerichtsschreiben in

Helvetica Regular abheben könnte. P

10.22

spectrum

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