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1 year ago

Compendium Volume 8 German

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WURZELN ZIEHEN

WURZELN ZIEHEN Wachsendes Umweltbewusstsein und der Hunger nach neuen Geschmäckern und Zubereitungsmethoden befeuert die Faszination der Gourmetwelt für pflanzenbasierte Haute Cuisine. Von Patricia Bröhm Illustrationen von LINA EKSTRAND Gemüse ist die Zukunft“, sagt Zizi Hattab und wer einmal ihren geräucherten Kohlrabi probiert hat, dem Aguachile pikante Schärfe, Algen jodige Noten und geröstete Erdnüsse kontrastierenden Crunch verleihen, der glaubt ihr jedes Wort. 2020 eröffnete die studierte Software-Ingenieurin, die über Praktika bei Massimo Bottura und Andreas Caminada den Einstieg in die gehobene Küche schaffte, in Zürich ihr Restaurant Kle – und landete einen Überraschungserfolg. Vegane Küche auf Gourmetniveau, das traf einen Nerv. Tiefgründige Saucen, markante Gewürze und aufwendig verarbeitete Gemüse sind ihr Markenzeichen, für ihren innovativen Stil wurde sie 2022 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs? „Wir machen ein Angebot, das es so vorher nicht gab und das die Gäste offenbar schätzen“, sagt sie. Und dabei geht es ihr nicht nur um den Küchenstil, sondern auch um andere Werte, für die ihr Konzept steht: „Nachhaltigkeit, Teamwork und die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten.“ 42

Weltweit ticken immer mehr Küchenchefs, gerade der jungen Generation, wie die in Marokko geborene Wahlschweizerin. Fine Dining wird in unserer globalisierten Welt nicht nur von Jahr zu Jahr spannender und vielfältiger, die Szene entwickelt, befeuert durch die jüngsten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, auch eine neue Nachdenklichkeit. Während der Pandemie und der Zeit der Restaurant-Schließungen hatten Gastronomen – oft zum ersten Mal seit Jahren – Gelegenheit, innezuhalten und sich Gedanken darüber zu machen, wie sie in Zukunft kochen wollen und was ihre Gäste sich wünschen. Nicht selten führte das zu Kurskorrekturen oder sogar echten Konzeptwechseln. Der hohe CO2-Ausstoß in der Rinderzucht, Massentierhaltung, die Überfischung der Meere – gerade die junge Generation kocht mittlerweile mit einem anderen Bewusstsein für ethische Fragen und die Endlichkeit der Ressourcen. Und orientiert sich zunehmend an einer Küche, wie sie für unsere Großeltern und Urgroßeltern selbstverständlich war. Einer Küche, die von den Schätzen der Natur lebt, die Saison respektiert und vor allem auf Getreide und Pflanzen setzt. Die amerikanische Unternehmensberatung Kearney schätzt, dass der Konsum tierischer Produkte in den kommenden 20 Jahren um ein gutes Drittel zurückgehen wird. Wenn tierische Produkte wegfallen, sind Köche kreativ anders gefordert, müssen neue Wege finden, ihren Menüs Geschmacksfülle, Texturenvielfalt und reizvolle Optik mit auf den Weg zu geben. Fleisch und Meeresfisch spielen auf zeitgemäßen Speisekarten schon heute eine kleinere Rolle. Und wenn, dann immer öfter nose-to-tail, bis hin zu den lange verschmähten Innereien, zu Knochen und Gräten, aus denen sich tiefgründige Fonds kochen lassen. Analog gilt auch bei den Pflanzen leaf-to-root, weil etwa in den Gemüsestrünken der geballte Geschmack sitzt. „Unser derzeitiges Lebensmittelsystem ist einfach in vielerlei Hinsicht nicht nachhaltig“, sagt auch Daniel Humm. Der gefeierte New Yorker Küchenchef pokerte hoch, als er bei der Wiedereröffnung seines Eleven Madison Park nach der Corona-Zwangspause mit der Ankündigung verblüffte, er werde in Zukunft ein rein pflanzenbasiertes Menü servieren. Ein kühner Schritt für ein Drei-Sterne-Restaurant, das auch sonst alle denkbaren Auszeichnungen abgeräumt hatte. Zumal er auch an das neue Konzept mit den höchsten Ambitionen heranging: „Mein Anspruch ist, dass unsere neuen Kreationen an die Signature Dishes der Vergangenheit heranreichen müssen“, stellte er klar. „Es ist eine riesige Herausforderung, aus pflanzlichen Zutaten etwas zu schaffen, das es mit unserer mit Lavendelhonig glasierten Ente oder dem in Butter pochierten Hummer aufnehmen kann.“ Um dem selbst gesetzten Ziel gerecht zu werden, treibt der 46-Jährige riesigen Aufwand, allein 60 Köche beschäftigt er für den Abendservice. Es hat sich gelohnt: Der Michelin zeichnete Humms Küche im Oktober erneut mit drei Sternen aus, was man durchaus als Meilenstein für die Gourmetakzeptanz veganer Küche nehmen kann. N icht jeder Küchenchef ist bereit, so weit zu gehen, aber zahlreiche Beispiele zeigen, dass auch an der Spitze ein Umdenken begonnen hat. Weltweit nehmen immer mehr Herdkünstler die Herausforderung an und bieten neben ihrem Omnivore-Menü auch eine Plant-based-Speisefolge an oder setzen andere Akzente. In Hongkong verzichtet Richard Ekkebus im Amber seit geraumer Zeit auf jegliche Milchprodukte, in New York erweiterte der durch und durch klassisch geprägte Jean-Georges Vongerichten sein Restaurantimperium um das vegetarische abcV und in Kopenhagen verzichtet Rasmus Kofoed seit Ende 2021 ganz auf Fleisch. Weil er für sein Geranium nicht nur mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde, sondern derzeit auch Nummer eins des Rankings „World’s 50 Best Restaurants“ ist, hat diese Geste weltweit Signalwirkung. Kofoed jedenfalls fühlt sich wohl damit: „Veränderung ist etwas Gutes, wir verlassen unsere Komfortzone und das ist immer auch ein Moment, um Neues kennenzulernen.“ Alain Passard, französische Koch-Ikone und Gemüse-Maestro, hat Erfahrung mit der inspirierenden Wirkung radikaler Entscheidungen. Der heute 66-Jährige verbannte rotes Fleisch schon um die Jahrtausendwende aus seiner Küche und stellte Pflanzliches in den Mittelpunkt, zu einer Zeit, als er damit noch vielfach auf Unverständnis stieß. Es war damals keine ideologische Entscheidung, eher ein emotionaler Drang: „Ich war auf der Suche nach neuen Düften, neuen Texturen, neuen Aromen.“ Passard war auch der erste namhafte Spitzenkoch, der sich, südwestlich von Paris, einen eigenen Garten zulegte (heute hat er drei, in verschiedenen Regionen). 43

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