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Compendium Volume 8 German

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DAS SAMMLER- DILEMMA

DAS SAMMLER- DILEMMA Sechs Wege zu einem bleibenden Vermächtnis. Von Claire Wrathall Im Leben eines jeden Sammlers stellt sich irgendwann die Frage nach dem Vermächtnis und dem Verbleib der Kunstsammlung nach dem Tod. Wird das Interesse der Erben die Erbschaftssteuer aufwiegen? Und was, wenn nicht? Sollte man seine Schätze einer Stiftung übertragen? Oder sie einfach verschenken? Die zweite Etage des von Renzo Piano entworfenen Anbaus des Art Institute of Chicago bietet den Rahmen für die Galerien der Edlis/Neeson Collection – eine Assemblage mit neun grandiosen Warhols (Twelve Jackies, Mona Lisa Four Times, Liz #3, zwei Selbstporträts und ein Big Electric Chair) sowie 35 Werken von großen Namen wie Damien Hirst, Jasper Johns, Jeff Koons, Brice Marden, Takashi Murakami, Robert Rauschenberg, Gerhard Richter, Ugo Rondinone, Cindy Sherman oder Cy Twombly, die wie eine Zeitkapsel die Geschichte der Pop Art erzählt. Der Direktor des AIC, James Rondeau, sieht in ihr eine der „wahrhaft transformativen Schenkungen in der Geschichte des Museums“. Große Worte in Anbetracht all der Nachlässe, die das Museum seit seiner Eröffnung seines neuen Zuhauses 1893 bereits erhalten hat. Gewissermaßen als Trendsetterin fungierte Mrs. Henry Field, als sie eine Sammlung französischer Gemälde aus dem 19. Jahrhundert stiftete und Louis Comfort Tiffany mit dem Bau einer Galerie beauftragte, in der die Gemälde zum Gedenken an ihren Mann eine neue Heimat finden sollten. Stefan Edlis hat sein Vermögen in der Kunststoffbranche gemacht und war fast 90, als er sich mit seiner Frau Gael Neeson für eine Schenkung entschied – laut Neeson schlicht und ergreifend deshalb, weil es keine Enkelkinder gab. Um sicherzustellen, dass die zugesagten Gemälde und Skulpturen in einem Gesamtwert von über einer halben Milliarde Dollar nicht einfach in einer Lagerhalle verstauben, waren Bedingungen an die Schenkung geknüpft: Die Werke dürfen nur in ihrer Gesamtheit gezeigt werden, und das mindestens 25 Jahre lang. „Wir wollten, dass die Sammlung zusammenbleibt, weil sie ein Spiegel unseres Lebens ist“, so Neeson. „Es bedeutet uns sehr viel, sie mit anderen zu teilen. Die herzlichen Zuschriften von Menschen, die ihre Ergriffenheit zum Ausdruck brachten, hat uns mit tiefer Freude erfüllt. Stefan kam [1941] als Flüchtling [aus Wien] mit 5 Dollar in der Tasche in die USA. Er war immer großzügig und konnte gar nicht anders, als zu geben. Es vermittelt das Gefühl, wirklich etwas getan zu haben.“ W ährend Edlis und Neeson die Glanzstücke ihrer Sammlung in die Obhut einer etablierten Institution gaben, eröffnen andere gleich ein eigenes Museum. Der Economist etwa berichtete 2014, dass in China täglich ein neues Museum eröffnet wird. Nach Angaben der China Museums Association gibt es dort heute mehr als 5.500 Privatmuseen, darunter Einrichtungen wie die drei Long-Museen von Wang Wei und Liu Yiqian oder das Yuz Museum Shanghai des verstorbenen Budi Tek. Auch in den USA geht die Zahl in die Hunderte (eine offizielle Liste gibt es nicht), aus denen das Glenstone vor den Toren von Washington D.C. heraussticht. Mitchell Rales erinnert sich, dass ihn sein Vater 1998 kurz vor der 86

FOTO © NAARO Entscheidung, das Museum einzurichten, fragte, ob er der reichste Mann auf dem Friedhof zu werden gedenke. Der US-Milliardär, Mitbegründer der Danaher Corporation und selbst ernannter „Wissenschafts- und Technologieinnovator“, erstand 1990 seinen ersten Jackson Pollock – und war vom Sammelfieber gepackt. Acht Jahre später überlebte er einen Helikopterunfall in Russland. Die Selbstverständlichkeit des Lebens entpuppte sich als Illusion, und beim Sinnieren über die Frage, was er seiner Familie Bedeutungsvolles hinterlassen könnte, wurde ihm klar, dass es die Kunst war, die ihn mehr als alles andere mit dem Gefühl von Lebendigkeit erfüllte (Kunsthändler Larry Gagosian hat ihn als einen der größten Sammler unserer Zeit geadelt). Schließlich entschloss sich Rales zum Erwerb eines Grundstücks in Potomac im US-Bundesstaat Maryland, gründete eine Stiftung, der er seine Kunst übertrug, und baute ein Museum, in dem er sie ausstellte. Im 2006 eröffneten und 2018 um einen Neubau erweiterten Museum ist eine erstklassige Sammlung mit Werken des abstrakten Expressionismus zu sehen (u. a. Pollock, de Kooning, Rothko, Lee Krasner, Joan Mitchell) – nicht zu vergessen auch Arbeiten von Louise Bourgeois, die es mit den Stücken im MoMA aufnehmen können, sowie die, wie er es nennt, „größte und profundeste Sammlung“ der Werke von Roni Horn, einer Vertreterin der wachsenden Gruppe noch lebender Kunstschaffender. Die bislang größte Installation des japanischen Bambuskünstlers Tanabe Chikuunsai IV im OMM Keine Frage, die Herausforderungen beim Aufbau einer solchen Einrichtung sind immens. „Ein Museum für zeitgenössische Kunst ist nur so lange zeitgenössisch, wie die Sammlung durch Erweiterungen am Puls der Zeit bleibt“, so die Kunstmarktkommentatorin und Autorin des Buches The Rise and Rise of the Private Museum, Georgina Adam. Sie betont, dass zur dauerhaften Finanzierung nicht nur ein beträchtliches Stiftungskapital erforderlich sei, sondern auch ausreichende Mittel für ein kontinuierliches Ankaufprogramm. „Kosten zu unterschätzen ist eine der größten Stolperfallen.“ Nur wenige Einrichtungen sind so gut ausgestattet wie Glenstone. Adam zufolge spendeten die Raleses der Stiftung, deren Vermögenswert laut Steuerunterlagen 2018 bei 1,8 Milliarden USD lag, zwischen 2012 und 2014 Kunst im Wert von 450 Millionen USD. Abgesehen von dem mit dem eigenen Namen verbundenen Vermächtnis führen Sammler weitere Argumente für die Gründung von Museen ins Feld, die weit über das Teilen ihrer Kunst mit einer breiten Öffentlichkeit hinausgehen. „An ein Museum hatte ich ursprünglich überhaupt nicht gedacht“, so der türkische Bauunternehmer und Sammler Erol Tabanca, dessen Odunpazarı Modern Müze (besser bekannt als OMM) 2019 in seinem Geburtsort Eskişehir eröffnet wurde. Mit dem 60. Geburtstag rückte auch die Frage näher, was er mit seiner über 1.000 Stücke umfassenden Sammlung moderner und zeitgenössischer (überwiegend türkischer) Kunst anstellen sollte und wie er seine Heimatstadt unterstützen könnte. „Eskişehir ist eine aufstrebende Universitätsstadt mit recht hohem Anteil an jungen Menschen“, so Tabanca. Allerdings gab es weder nennenswerte Kunstgalerien noch Tourismusangebote. „Wir nahmen uns das Guggenheim in Bilbao zum Vorbild und wollten unbedingt diesen Bilbao-Effekt erzeugen.“ Sehr ambitioniert, wenn man bedenkt, dass ebenjenes Museum von der Solomon R. Guggenheim Foundation getragen wird und die Sammlung noch immer bis zu einer Million Besucher pro Jahr anzieht. Tabanca war klar, dass es mit einer einfachen Galerie nicht getan sein würde – ein echtes Wahrzeichen musste her. Anfangs erwog der gelernte Architekt (der sich sein Studium als Profi-Basketballer finanzierte), das Design in die eigenen Hände zu nehmen: „Aber dann dachte ich, dass eine Investition dieser Größenordnung nicht nur in der Türkei, sondern in der ganzen Welt für Aufsehen sorgen sollte.“ Ein Freund schlug ihm Kengo Kuma vor, dessen KKAA auch das Nationalstadion in Tokio für die 87

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