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Compendium Volume 8 German

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AUF ZUR NÄCHSTEN RUNDE

AUF ZUR NÄCHSTEN RUNDE Die Winzer der nächsten Generation, die traditionsreiche Familien-Weingüter von der Champagne bis nach Kalifornien übernehmen, beschreiten neue Wege: mit ökologisch bewusster Produktion, wissenschaftlichem Verständnis und vor allem mit aufregenden Weinjahrgängen. Von Jeffrey T Iverson Illustrationen von DANILO AGUTOLI 92

Im Weinbau ist nie etwas vollendet. Ich werde das Gut nicht am Ende meiner Karriere an die nächste Generation übergeben und sagen: ‚Okay, die Arbeit ist erledigt.‘ Es ist ein Kreislauf, der sich immer weiterdreht. — Murray Barlow Der Weinbau ist eine Kunst, die so alt ist wie die moderne Zivilisation. Aus Saatgut und Boden entstand eine Welt, die ihren eigenen Gesetzen von Wachstum und Ernte, Gärung und Reifung folgt. Diejenigen, die ihr Leben dem Weinbau widmen, werden bestätigen, dass in dieser Welt ein anderes Zeitgefühl herrscht. Ein Gefühl, das in Mehrgenerationen-Familienbetrieben am stärksten zu spüren ist, wo die Erstellung eines Fruchtfolgeplans eigentlich schon die Zustimmung der noch nicht geborenen Nachkommen einschließt. Für Murray Barlow, dessen Familie das legendäre südafrikanische Weingut Rustenberg besitzt, das 1682 gegründet wurde, ist die Weinherstellung eine Lektion in Sachen Demut. „Im Weinbau ist nie etwas vollendet“, meint er. „Ich werde dieses Weingut nicht am Ende meiner Karriere an die nächste Generation übergeben und sagen: ‚Okay, die Arbeit ist erledigt.‘ Es ist ein Kreislauf, der sich immer weiterdreht.“ Doch seit Beginn des 21. Jahrhunderts scheint sich dieser Zyklus zu beschleunigen. „Der Wein verändert sich heute, weil sich unsere Kulturen, unsere Gesellschaften so stark verändern“, sagt der Sommelier Enrico Bernardo, der 2004 die Auszeichnung „Bester Sommelier der Welt“ erhielt. „Der Informationsaustausch hat rapide zugenommen und die Menschen sind stärker vernetzt. Junge Winzer studieren inzwischen rund um den Globus und bringen neue Ideen mit nach Hause.“ In der nächsten Generation findet ein Paradigmenwechsel statt, durch den die Nachfolge in großen Weingütern auf spannende Weise neu gestaltet wird, sowohl mit Respekt als auch mit neuen Ideen, sowohl mit Kontinuität als auch mit Konflikten. Guillaume Selosse, der seit 2018 in dritter Generation an der Spitze der Domaine Jacques Selosse steht, weiß, wie man ein großes Erbe in einer Zeit großer Veränderungen antritt. Sein Vater Anselme machte aus dem Familienanwesen ab 1974 das einflussreichste und renommierteste Weingut der Champagne. Er war der Erste, der die burgundische Terroir-Philosophie und die Techniken der Weinherstellung in die Region brachte. „Seine Nachbarn hielten ihn für einen Verrückten, weil seine Methoden revolutionär waren, aber die Zeiten waren damals noch ruhiger, es gab keine sozialen Medien und es war einfacher, sich ganz auf die Natur und den Weinberg zu konzentrieren“, sagt Guillaume. Aber Selosse räumt ein, dass Hyperkonnektivität heute ein fester Bestandteil seiner Arbeit ist. Er tauscht sich regelmäßig mit einem Netzwerk von Fachleuten aus, die er während seines Önologiestudiums in Bordeaux kennenlernte. „Im Vergleich zu meinem Vater, der sich am liebsten in seine Bücher vertieft, lese ich etwas weniger, bin dafür aber öfter von Freunden aus der Weinbranche umgeben“, sagt er. „Meine Leidenschaft ist es, Weingüter auf der ganzen Welt zu besuchen. Und immer, wenn ich nach Hause komme, wimmelt es in meinem Kopf nur so von Ideen für Experimente.“ Seinen Leidenschaften nachzugehen, bereitete ihn auch auf die Übernahme des Weinguts vor, nachdem er ein Jahr lang mit dem Rucksack durch Australien gereist war und seit 2012 neue Champagnersorten unter seinem eigenen Label, Guillaume S., kreiert. Mit seiner Cuvée Largillier hat er die Methode seines Vaters für den Ausbau auf der Hefe (36 Monate in Fässern und ein Jahr im Tank) meisterhaft weiterentwickelt. Kinder haben schon immer versucht, sich von ihren Eltern zu emanzipieren, aber noch nie hatten junge 93

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