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Quality Engineering 05.2023

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» TECHNIK Qualitätssicherung in der additiven Fertigung Jeder für sich statt Standards für alle Die Qualitätssicherung in der additiven Fertigung gestaltet sich nach wie vor schwierig: Die Kontrolle des Fertigungsprozesses stellt Anwender ebenso vor Herausforderungen wie vor- und nachgelagerte Prozesse. Auf Normen und Standards können Fertigungsunternehmen auch noch nicht zurückgreifen. » Sabine Koll Diese zahnmedizinischen Produkte wurden im Laser Powder Bed Fusion Verfahren mit einem Truprint-System von Trumpf gefertigt. Der Ditzinger Maschinenbauer hat bei Truprint zwei sensor-basierte Lösungen für die Prozessstabilität integriert: Das Powder Bed Monitoring überwacht das Pulverbett und das Melt Pool Monitoring das Schmelzbad. Bild: Trumpf Eine schlechte und eine gute Nachricht hat Dr. Kai Hilgenberg, Leiter des Fachbereichs Additive Fertigung metallischer Komponenten der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) für Anwender additiver Fertigungsverfahren: „Generell gestaltet sich die Qualitätssicherung in der additiven Fertigung oft schwierig, da alle Verfahren extrem empfindlich auf sich verändernde Umgebungseinflüsse und Parameterveränderungen reagieren. Doch einen Großteil möglicher Defekte bekommt man durch die richtige Einstellung der Prozessparameter der Anlage gut in den Griff – auch wenn dies in der Praxis nicht immer ganz einfach ist.“ Man müsse sich klarmachen, dass etwa beim pulverbettbasierten Laserstrahlschmelzen (Laser Powder Bed Fusion, kurz LPBF), dem wichtigsten additiven Verfahren für Metall, sowohl die Schmelzbadtiefe als auch die Schmelzbadlänge und -breite nicht immer zu 100 % konstant seien, die Werte schwanken vielmehr um Mittelwerte herum. Hilgenberg: „Bei einem kleinen Würfel mit 1 cm 3 Volumen haben wir circa 135 m geschweißte Strecke, also 135 m Vektoren, die 46 Quality Engineering » 05 | 2023

der Laser umschmolzen hat. Das heißt, es kommt auf eine hohe Stabilität der Prozessführung an – und die ist nicht immer einfach zu erreichen.“ Diese Einschätzung teilt Anne Rathje, Projektingenieurin am IPH - Institut für Integrierte Produktion Hannover. „Der Fertigungsprozess – ganz gleich, welches additive Verfahren man wählt – ist nicht zu 100 % kontrollierbar. Es gibt sehr viele Parameter und Umwelteinflüsse, die den Prozess beeinflussen, daher weiß man nie genau, wie die Qualität des Bauteils am Ende sein wird. Vor allem dann, wenn man einen Prozessfähigkeitsnachweis in der gesamten Lieferkette erbringen müsse – etwa in der Medizintechnik – stellt dies eine Herausforderung dar. Um diesen erbringen zu können, müssen Anwender laut Rathje „ihre Fertigungsanlagen für additive Fertigung sehr gut im Griff haben und kontinuierlich warten.“ Doch auch dies reicht nicht bei jeder Anlage: „Je günstiger eine Anlage ist, desto weniger Sensorik ist darin für die Prozesskontrolle verbaut, denn Sensoren sind teuer“, so ihre Einschätzung. „Daher integrieren viele Maschinenhersteller nur die notwendigste Sensorik.“ Im Forschungsprojekt Saviour hat das IPH daher in den vergangenen beiden Jahren mit dem Lehrstuhl für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen ein Sensorkonzept für die Überwachung von Prozessparametern sowie ein Qualitätsmodell entwickelt, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz die generierten Daten auswertet und Fehler im Prozess findet und prognostiziert. Eine App macht dies transparent. Aufhänger war, dass personalisierte Produkte für die Medizintechnik, also etwa Zahnschienen oder Orthesen in Losgröße 1 sehr gut additiv hergestellt werden können. „Die Herausforderung besteht aber derzeit darin, dass man dafür einen riesigen Prüfaufwand mit sehr vielen Proben betreiben muss, denn die Medical Device Regulation (MDR) fordert einen Prozessfähigkeitsnachweis in der gesamten Lieferkette, um die Risiken in der Fertigung einordnen zu könne“, so Rathje. Sensornetzwerk für alle additiven Fertigungsanlagen nutzbar Die Entwicklung am IPH erfolgte am Beispiel eines thermoplastischen Materialextrusionsverfahrens mit ABS-Kunststoff. „Die Idee ist aber, dass sich dieses offene Sensorkonzept als Grundgerüst auch für andere additive Fertigungsanlagen und -verfahren, also auch für metallverarbeitende, nutzen lässt – gegebenenfalls mit anderen Sensoren und Änderungen bei der Vorverarbeitung der Daten“, so Rathje. Hilgenberg ergänzt: „Gerade bei sicherheitsrelevanten Bauteilen ist es wichtig, Defekte sicher ausschließen zu Dr. Kai Hilgenberg, Leiter des Fachbereichs Additive Fertigung metallischer Komponenten an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM): „Aktuell gibt es noch keine allgemeingültigen Aussagen zu erlaubten Defekten in additiv gefertigten Teilen; anders als etwa in der Schweißtechnik. Bislang geben Auftraggeber noch individuell Höchstwerte für ihre Abnahmeprozesse an. Also zum Beispiel, wie groß eine Pore oder ein Riss sein darf.“ können – und da reichen in der Regel die Charakterisierung des Ausgangsmaterials und das Einstellen von Maschinenparametern alleine nicht aus. Da sollte man mit geeigneten Prüfverfahren wirklich genauer nachschauen.“ Der BAM-Experte nennt als Beispiel für einen typischen Defekt die sogenannte Keyhole-Porosität. Dabei handelt es sich um 20 bis 100 µm große Hohlräume, die bei Geschwindigkeitsänderungen des Lasers oder auch des Elektronenstrahls vorzugsweise bei den Umkehrpunkten der Vektoren an den Randpunkten eines Bauteils entstehen. „Kommen sie vereinzelt Wer für das Laser Powder Bed Fusion Verfahren Systeme von EOS einsetzt, kann den Fertigungsprozess mit der Inline-Softwarelösung AM In-Process von Zeiss überwachen. Sie klassifiziert sieben Defekttypen automatisch per künstlicher Intelligenz. Die Klassifizierung ermöglicht es, sowohl präventive als auch korrektive Maßnahmen für bestimmte Pulverbettdefekte durchzuführen. Bild: Zeiss Bild: BAM Quality Engineering » 05 | 2023 47

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