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Taxi Times Berlin - Juli/August 2017

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NACHHALTIGKEIT GROSSES

NACHHALTIGKEIT GROSSES NACHDENKEN ÜBER NEUE MOBILITÄT In einer groß angelegten Konferenz hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zahlreiche Fachleute zum Nachdenken über Wege zur Mobilitätswende eingeladen. Die Städte ersticken im Verkehr und seinen Ausdünstungen. Die innerstädtische Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt neun km/h. Der Verkehr trägt nichts zur CO2- Reduktion bei. Wir brauchen eine Aufbruchstimmung für eine neue Mobilität in der Energiewende. Es geht um Millionen Arbeitsplätze. Breitere Straßen sind nicht die Lösung. Das System Mobilität muss grundsätzlicher betrachtet werden. Dafür gibt es Forschungsmittel, wie der Staatssekretär im BMBF, Dr. Georg Schütte, am 22. Juni in seiner Begrüßungsrede sagte. Dr. Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastrukur (wir kennen ihn vom Aufsichtsrat des BER) haute in dieselbe Kerbe. Die gewaltige Herausforderung Digitalisierung umfasst alles, und die Mobilität ist ein großer Faktor darin. Bei der Umwälzung der gesellschaftlichen Grundlage Mobilität müssen die Menschen mitgenommen werden. Die wissen, was für sie gut ist. NEUERUNGEN KOSTEN WÄHLER Was bedeutet das? Neuerungen par Ordre du Mufti bringen Verdruss und kosten Wähler. Bomba setzt auf Zeit. Von den 44 Millionen Autos in der Bundesrepublik werden jedes Jahr 3,5 Millionen erneuert. Da kann man sich ausrechnen, wie lange es dauert, bis sich eine neue, umweltverträgliche Technologie flächendeckend ausgebreitet hat. Man kann den Verbrenner nicht von heut auf morgen verbannen. Bahnbrechende neue Technologie brauche Jahre, sagte er. Voraussetzung dafür, dass diese Ausbreitung neuer Technologie auf „natürlichem“ Wege überhaupt anfängt, wäre, dass die Autoindustrie etwas anbietet, von dem die Menschen glauben, dass es gut für sie ist. Nachdem die Politprominenz ihre Reden gehalten hatte und dann schnell verschwunden war, folgte ein zweitägiges, höchst anspruchsvolles Programm aus Vorträgen, Diskussionen und Arbeitskreisen in gelungener Ausgewogenheit von Theorie und Praxis. Prof. Dr. Achim Kampker berichtete von der Entwicklung des Streetscooters für die Post. Er war Leiter der Arbeitsgruppe, die den elektrischen Lieferwagen an der TH Aachen entworfen hat. Jetzt ist er an der Uni beurlaubt und organisiert stattdessen bei DHL den Einsatz des neuen Produkts. BVG FÄHRT ELEKTRISCH BVG-Chefin Dr. Sigrid Evelyn Nikutta verwies auf die lange Elektro-Tradition bei der BVG. Tram und U-Bahn fahren schon seit 100 Jahren elektrisch, und der restliche Betrieb soll nach Möglichkeit folgen. Auch für Verkehrsformen jenseits herkömmlicher Linien sei die BVG prinzipiell offen. Viele weitere Praktiker und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kommunen, Politik und Gesellschaft legten ihre Ideen zu vielen Aspekten einer nachhaltigen urbanen Mobilität dar und diskutierten sie auf dem Podium und mit den rund 350 Teilnehmern. Im Auditorium saß ebenfalls die geballte Kompetenz auf diesem Gebiet und steuerte in den Workshops ihren Teil zur Erstellung eines Themenkatalogs für künftige Verkehrsforschung bei. Die Zeiten, in denen sich Verkehrsforschung darauf beschränkte, an Kreuzungen die Verkehrsteilnehmer zu zählen, um daraus herzuleiten, wie breit die Straßen sein müssen und wie viele Busse dort fahren sollten, sind offenbar passé. In einer „Berliner Erklärung“ unter dem Titel „Neues wagen! Mehr Mut für innovative Wege in der Mobilität“ wurden zum Abschluss am 23. Juni Anforderungen und Ziele für eine anders geartete Verkehrsforschung genannt. Einige Kernsätze daraus: Forschung muss Mobilität als System betrachten. Der Kontext muss beachtet werden (Klimawandel, Dekarbonisierung, Digitalisierung der Arbeit). Kooperation zwischen Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und den Unternehmen, Kommunen und Bürgern auf der anderen Seite ist notwendig. Für Modellvorhaben müssen Experimentierräume her. Alle Beteiligten sollen sich anstrengen. Die Zeit drängt. wh Prof. Dr. Achim Kampker, „Erfinder“ des Streetscooters Viele Partner kümmern sich um urbane Mobilität, hier Dr. Michael Niedenthal vom Verband der Automobilindustrie. FOTOS: Wilfried Hochfeld / Taxi Times 28 JULI/AUGUST/ 2017 TAXI

NACHHALTIGKEIT DIE REVOLUTION LÄSST WARTEN Es liegt was in der Luft: zu viel CO 2 . Das muss aufhören. Zwei Professoren diskutierten, wie das gehen kann, und setzen große Erwartungen in die digitale Mobilitätsrevolution. FOTOS: Wilfried Hochfeld / Taxi Times, GRAFIK: panimoni - deposiphotos.de Im Rahmen einer Vortragsreihe von Infraneu (Hauptverband für den Ausbau der Infrastrukturen und Nachhaltigkeit) diskutierten Prof. Dieter Flämig und Prof. Andreas Knie am 13. Juni die Frage: „Führt die digitale Mobilitätsrevolution in die Nachhaltigkeitsgesellschaft?“ Prof. Flämig ist Mitbegründer von Infraneu und hatte verschiedene politische und wissenschaftliche Positionen zum Thema Energie inne. Er hat ein Buch geschrieben über Energiewende und Nachhaltigkeitsgesellschaft. Prof. Knie ist Soziologie-Professor an der TU Berlin und Mitbegründer des InnoZ (Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel) auf dem Euref-Campus. Er ist in verschieden Gremien zum Thema Mobilität und Wissenschaftspolitik tätig. DIE SCHWEINEREI IN DER LUFT Einig waren sich die beiden Professoren und das Auditorium, in dem weitere Professoren und einschlägige Aktivisten saßen, dass die Schweinerei mit der Luft eine andere werden muss. Luftverschmutzung, Klimaerwärmung und die fatalen Folgen sind unumstrittener Stand der Wissenschaft. Auch darüber, was eine Nachhaltigkeitsgesellschaft sein soll, herrschte Einigkeit. Die nachhaltige Gesellschaft wirtschaftet in Kreisläufen, die alles, was bislang Abfall war, sinnvoll weiter verwendet, und dadurch viel weniger von den begrenzten natürlichen Ressourcen verbraucht. Darüber, wie die zweifellos notwendige Mobilitätsrevolution eigentlich vonstatten gehen soll, kam wenig Konkretes heraus. Man klagte über die verkrusteten Verhältnisse in der Politik, der Verwaltung, der Industrie und der Gesellschaft. Digital soll es werden und elektrisch. Aber wie? Durch Autos mit fest eingebauten Batterien und Schnellladung oder mit Wechselbatterien, oder gleich mit Brennstoffzelle? Nichts von dem funktioniert zurzeit reibungslos. Schnellladen verkürzt die Lebensdauer von Prof, Dieter Flämig (sitzend), Prof. Andreas Knie (dozierend) Batterien enorm, bemerkte ein Professor vom Fach aus dem Publikum und erntete damit ungläubige Ablehnung. Oder rettet Uber digital die Welt? Revolution kümmert sich nicht um Gesetze! Die Verhältnisse, die schlechten, wurden in großer gedanklicher Freiheit überflogen. Den Abstand zwischen den Niederungen der Ebene und der beachtlichen gedanklichen Flughöhe der professoralen Revolutionäre zu überbrücken, ist eine Herausforderung – für wen eigentlich? Das Volk, das seine geliebten Gewohnheiten nicht aufgeben möchte? Die Politiker, die von eben diesem Volk wiedergewählt werden wollen? Irgendwie fehlt der Mobilitätsrevolution das revolutionäre Subjekt. Geht das Volk erst auf die Barrikaden, wenn ihm die Luft ausgeht? Der Grundstein ist gelegt. Die Klimaschutzabkommen sind unterschrieben. Eines Tages verlangen die Leute, was da verbindlich versprochen wurde. Geht es der Bundes-Diesel-Verbrenner-Republik wie der DDR? Die hatte einst die Schlussakte von Helsinki unterschrieben und nichts zu deren Umsetzung unternommen – bis das Volk aufstand und die verbindlich versprochenen Menschenrechte verlangte, alle, sofort. Die Folgen sind bekannt. Die nächste Revolution lässt warten. wh TAXI JULI/AUGUST/ 2017 29

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