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Taxi Times Berlin - Juli/August 2017

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KOLUMNE UNVERSCHÄMTE

KOLUMNE UNVERSCHÄMTE TRINKGELDMUFFEL In vielen Branchen haben Beschäftigte Verständnis für die Sorgen und Nöte ihrer Berufskollegen. Für die der Kunden meist auch, aber das beruht nicht immer auf Gegenseitigkeit. An viele Dinge, die der Job so mit sich bringt, hab ich mich in meinem bald ausklingenden ersten Jahrzehnt als Taxifahrer gewöhnt: seltsame Routenansagen, erstaunlich offenherzige Fahrgäste mit mehr als nur einem Tabubruch im Gepäck und natürlich, dass man das Trinkgeld wohl nie wird vorhersagen können. Wir alle hatten schon die liebreizende Omi aus dem Umland im Auto, die einem mit ihren Beteuerungen, man sei aber der allerherzigste Taxifahrer der Welt, das Versprechen abringt, den Koffer noch in Etage fünf zu schleifen, um dort dann japsend mit 30 Cent zurückgelassen zu werden, die man zurücklegen soll für schlechte Zeiten. Und ebenso hatten wir andererseits schon diese langweiligen Fahrten mit finster dreinschauenden mundtoten Typen, die sich scheinbar Notizen über jeden Fehler machen und am Ende sagen: „Ich mag, dass Sie nicht die ganze Zeit quatschen, der Zehner hier ist für Sie!“ Tritt alles beizeiten mal auf, neben den vielen Durchschnittsgebern, 10-Prozent-Ausrechnern und dem ein oder anderen totalen Trinkgeldmuffel. Von letzteren bin ich jetzt in nur einer Woche zweimal erwischt worden. Und zwar von den ganz besonderen: jenen, die Geld zurückfordern. Eine Kundin gab mir für eine 22,70-Euro-Tour 23 Euro und meinte, das sei gut so – um dann fünf Sekunden später VERKEHRSRECHT BERLIN Rechtsanwalt Carsten Hendrych Fachanwalt für Verkehrsrecht Rechtsanwaltskanzlei Ruttge • Brettschneider •Tosberg • Hendrych Nürnberger Straße 49, 10789 Berlin Telefon: (030) 883 4031 – Fax: (030) 882 4709 E-Mail: hendrych@rbth-recht.de irritiert zu fragen, ob ich ihr das Wechselgeld nicht geben wolle. Ich halte nichts davon, den Kunden ihr Trinkgeld auf diese rabiate Weise abzunehmen, auch wenn sich bisweilen an der Halte Kollegen finden, die damit prahlen. Entsprechend unangenehm finde ich die Situation dann. SO ABSTRUS KANN MAN GAR NICHT DENKEN Der zweite Kunde war nochmal eine Spur verschärfter, man darf hier durchaus schon von Unverschämtheit sprechen, wobei ich ehrlich gesagt viel zu perplex war, um ihm das sofort vorzuwerfen. Wir hatten eine geradezu außergewöhnlich nette Fahrt um die 25 Euro hinter uns. Er war Tourist aus England, wir haben an jeder Ecke ein neues Gesprächsthema gefunden, er war von der Stadt, ebenso aber offensichtlich von meiner Dienstleistung begeistert. Ich hatte wie wohl alle Taxifahrer in Großstädten dutzende solche Fahrten, die dann mit mindestens einem Fünfer extra beglichen wurden, auch an sowas gewöhnt man sich ja. Er nun zahlte den aufgelaufenen Betrag mit einem Plus von mageren 50 Cent und schien kein Rückgeld zu erwarten. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr, aber wie gesagt: Ich halte das Geld nicht einfach zurück. Wir waren sowieso noch weiter am Reden, und erst als ich nach offensichtlichem Beenden des Bezahlvorgangs das Portemonnaie weggesteckt hatte, bat er mich, ihm doch bitte das Rückgeld auszuhändigen – allerdings nicht, ohne mir den Grund zu nennen. Und der war nicht das häufige mangelnde Kleingeld fürs letzte Bier oder dergleichen, sondern die Taxifahrt am Vortag, bei der er sich vom Kollegen irgendwie ungerecht behandelt gefühlt hatte, weil dieser nicht auf die letzten 70 Cent des Fahrpreises hatte verzichten wollen und ihn oben im Hotelzimmer noch Geld suchen ließ. Und deswegen – in welchem Universum auch immer dieses Verhalten Sinn macht – bezahle er seine Taxifahrten nun eben auf den Cent genau. Wenig verwunderlich, dass ich beim nächsten englischsprachigen Gast, der mir ein Ohr abkaute, irgendwie an diesen Gesellen denken musste und entsprechend skeptisch bezüglich Tip war. Aber der hat auf seinen Zehner einen lockeren Fünfer draufgelegt und mit einem Grinsen verkündet, er sei selbst Taxifahrer. In Island. Sieht also aus, als ob's jetzt wieder weitergeht wie gewohnt. sash Der Autor Sascha Bors betreibt als „Sash“ einen eigenen Taxiblog. FOTO: Stanislav Statsenko / Taxi Times 32 JULI/AUGUST/ 2017 TAXI

LESETIPP DIE KANTSTRASSE Die bei Autofahrern wenig beliebte alternative Durchfahrtstraße zu Ku'damm und Bismarckstraße hat viel erlebt und durchaus ihre Reize. Ein Buch gibt Auskunft. Birgit Joches, die ehemalige Leiterin des Heimatmuseums Charlottenburg, hat ein Buch geschrieben über die Kantstraße. In Büchern über Straßen steht oft viel über Gebäude, Architektur und historische Ereignisse. In „Die Kantstraße“ steht das auch. Das Hauptaugenmerk richtet sich aber auf die Menschen, die in der Kantstraße gewohnt haben. Sehr viele mehr oder weniger bekannte Berühmtheiten finden Erwähnung, die teilweise Bahnbrechendes auf ihrem Fachgebiet geleistet haben und außerhalb ihres Fachgebiets inzwischen in Vergessenheit geraten sind, wie der Bildhauer Gustav Seitz, der die bronzene Käthe Kollwitz auf dem Kollwitzplatz geschaffen hat. Allgemeiner bekannt sind vielleicht Arnold Schönberg, Wilhelm Liebknecht, Carl von Ossietzky, Rudolf Diesel und Hermann Oberth. Selbst Albert Einstein ging in der Kantstraße ein und aus. Er war eng mit dem Mediziner Moritz Katzenstein befreundet, der in der Kantstraße wohnte. Man erfährt viel über die gesellschaftlichen Verhältnisse seit 1890. Der Aufstieg der Kantstraße zum Ort bürgerlichen Lebens begann mit dem Bau des Theaters des Westens. Das Haus bewirkte den Zuzug von Künstlern, Literaten, Wissenschaftlern, Ärzten und Juristen. Unter Taxifahrern bekannt sind sicher die historischen Kantgaragen (Baujahr 1929/30) mit der immer offenen Tankstelle und dem Taxibetrieb. wh Birgit Jochens Die Kantstraße – Vom preußischen Charlottenburg zur Berliner City West vbb Verlag für Berlin-Brandenburg 26,– € BÜCHER FÜR NICHT-LESER Wer keine Lust auf lange Wälzer hat, aber trotzdem nicht auf Anregung, Information und Unterhaltung aus Büchern verzichten möchte, bekommt hier einen Tipp. FOTO: Berlin Story Verlag, GRAFIK: Stanislav Statsenko / Taxi Times Man kann natürlich auf Bände mit vielen Bildern und wenig Text oder gleich auf Comics zurückgreifen. Der zigste Bildband mit den Sehenswürdigkeiten Berlins ist vielleicht fad. Comics sind meist für Kinder oder sehr utopisch. Zwischen Bildband und Comic gibt es ein Genre, das gerade eine moderne Wiedergeburt erlebt. Es nennt sich neudeutsch Graphic Novel, frei übersetzt: Bildroman. Graphic Novels sind richtige Bücher mit gezeichneten Geschichten jenseits von Micky Maus, Batman und Asterix. Sie befassen sich mit ernsthaften Themen, oft mit realem Hintergrund. Ein solches Buch ist „Westend – Berlin 1983“ von Jörg Ulbert und Jörg Maillet. Seine Geschichte spielt, wie der Titel vermuten lässt, im West-Berlin der 80er Jahre mit seiner links-alternativen Szene und seinem politischen und gesellschaftlichen Establishment, das auch unter der Bezeichnung „Berliner Filz“ bekannt war. Hintergrund ist der Schmücker-Mord, der sich in diesen Jahren zu einem handfesten Skandal ausweitete. Der Student Ulrich Schmücker war 1974 im Grunewald erschossen worden. Er galt in linksterroristischen Kreisen als Verräter. Delikat war, dass alle an der Tat Beteiligten mehr oder weniger unter der Beobachtung diverser Berliner und westdeutscher Geheimdienste standen, so dass die Vermutung nahelag, der Mord habe praktisch unter den Augen der Polizei stattgefunden. Die Mordwaffe tauchte seltsamerweise 1989 in einem Berliner Polizeitresor auf. In den Machenschaften um die bis heute nicht erfolgte Aufklärung dieses Falles bewegen sich die Figuren des gezeichneten Romans – anregend, informativ, spannend. wh Jörg Ulbert, Jörg Maillet Westend – Berlin 1983 Berlin Story Verlag 24,95 € TAXI JULI/AUGUST/ 2017 33

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