MENSCHEN IM TAXI Mama Gül, Cansu, Gökay und Papa Simi. Die Uhr für „sein“ Taxigewerbe zeigt fünf vor zwölf. TAXI FÜR DIE BILDUNG DER KINDER Kaum ein Berliner Taxiunternehmer setzt sich so für das Taxigewerbe ein wie Kollege „Simi“. Profitieren sollen davon vor allem seine Kinder. Es mag romantischere Orte geben, um seine zukünftige Frau kennenzulernen, aber bei Hayrettin Şimşek, im Gewerbe nur als „Simi“ bekannt, passt sein erstes Treffen wie die buchstäbliche Faust aufs Auge. Simi hat seine Frau Gül im Jahr 2002 auf der „Palette“ kennengelernt, jenem Wartebereich am Flughafen Tegel, an dem Tag für Tag viele Taxifahrerinnen und Taxifahrer anstehen. So lange, bis Mann (oder Frau) von diesem Ort in den Ladebereich an den Terminals hochfährt, wo sie dann abgehetzte, fröhliche, neugierige, reiselustige oder einheimische Fahrgäste einladen und zu ihren Hotels, Geschäftsterminen, Freunden, oder Familien fahren. Allzu oft ist die Wartezeit lang genug, dass man sich auf der Palette mit Kollegen unterhalten kann, einen Tee gemeinsam trinkt, Schach oder Backgammon spielt, sich über die neuesten gewerbepolitischen Themen austauscht – oder sich ineinander verliebt. Gül und Simi haben nach und nach entdeckt, dass „Taxifahren“ nicht das einzige gemeinsame Interesse ist, und sie haben 2007 geheiratet. „Aus der Kollegin wurde der Mensch für mein Leben“, erzählt Simi, der damals schon Taxiunternehmer mit einem Fahrzeug (seit 2000) war. Gül wechselte nach der Hochzeit den „Chef“, ist seitdem bei ihrem Mann angestellt. 2009 kam dann ihr Sohn Gökay auf die Welt und zwei Jahre später freute sich Gökay mit seinen Eltern über eine kleine Schwester. Heute ist Cansu sieben Jahre alt und ihr „großer“ Bruder zehn. Beide gehen auf eine bilinguale Schule, in der Englisch nicht nur unterrichtet, sondern auch im Schulalltag gesprochen wird. Solch eine Schule kostet natürlich zusätzliche Gebühren, und Gül und Simi verzichten dafür auf manchen Schnickschnack im Alltag und begnügen sich mit bescheidenen Urlauben, die sie oft in der Heimat in Kuşadası in der Türkei verbringen. „Unser Taxiverdienst wird in die Bildung unserer Kinder investiert“, sagt Simi. Damit das klappt, ist der Alltag bei der Familie Şimşek streng getaktet. Um halb sechs klingelt Simis Wecker, dann heißt es aufstehen, das Frühstück und die Pausenbrotzeit für die Kinder vorbereiten – und sie dann wecken. Nach dem Frühstück werden beide in die Schule gefahren. All das ohne die Mama, denn die sitzt zu diesem Zeitpunkt längst in der gemeinsamen Taxe. Meist beginnt ihre Schicht um fünf Uhr, wenn Vorbestellungen vorliegen auch entsprechend früher. Zwischen zehn und elf Uhr ist dann „Feierabend“, dann übernimmt Simi den Toyota RAV4, ein bewusst ausgewähltes Hybrid-Taxi. Schließlich hat man die Verantwortung für die nächste Generation nicht nur bei der Bildung, sondern auch bei der Umwelt, die man hinterlässt. Beim Schichtwechsel nehmen sich die beiden meist noch Zeit für ein gemeinsames Frühstück. Im Mai 2018 hat das einmal nicht geklappt, denn da hat Gül noch eine Funk-Vorbestellung nach Magdeburg angenommen, die Simi dann ausgeführt hat. „Da war Simi gerade im Supermarkt und die Schlüsselübergabe fand an der Kasse statt“, erzählt Gül. „Ich habe dann die Lebensmittel bezahlt und mein Mann hat an diesem Tag gute Kasse gemacht.“ Leider sind Tage mit guter Kasse immer seltener im Berliner Taxigewerbe. Die vielen unkontrollierten Uber-Fahrzeuge sorgen für heftige Umsatzeinbußen, auch bei Gül und Simi, die seit FOTO: Taxi Times 18 MÄRZ/APRIL 2019 TAXI
MENSCHEN IM TAXI Monaten rund 30 Prozent weniger einnehmen. Immer öfter muss Simi abends um 20 Uhr nochmal für 2-3 Stunden raus auf die Straße, weil der Tagesumsatz zu wenig war. Somit fehlt die Zeit, die er sonst mit seinen Kindern verbracht hat. Wenn es finanziell zu eng wird, hilft die Familie. Und das wiederum ermöglicht dem Simi, auch weiterhin nicht nur hinter dem Lenkrad zu sitzen, sondern sich zusätzlich mit ganzer Kraft und auf vielfältige Weise für das – für „sein“ – Taxigewerbe einzusetzen. Als Mitglied des Redaktionsteams ist er beispielsweise bei Taxi Times für die Übersetzungen der zahlreichen Meldungen ins Türkische zuständig, die dann in der Taxi-Times-App erscheinen. Das freut nicht nur die türkisch sprechenden Berliner, sondern findet auch im Rest Deutschlands und der Welt Beachtung. Die zweithäufigsten Aufrufe der türkischen Seite stammen aus Istanbul. Dazu betreut Simi diverse Facebook-Seiten als Administrator und recherchiert etliche Themen zu Uber und sonstigen Wettbewerbsverzerrern. Meist kann er das mit seinen Schichten verbinden. Am Ende einer Wartezeit am Halteplatz ist oft eine Meldung ins Türkische übersetzt. Nur an der Palette in Tegel klappt das nicht so gut, denn dort steht er maximal drei Minuten, schon kommt ein Kollege und will irgendetwas Gewerbepolitisches von Simi wissen. Oder ihn auch einfach auf einen Tee einladen, als Dank für die türkischen Übersetzungen. Viel Lob bekam er letztens auch für seine „Live-Übertragung“ auf Facebook: Simi war dafür am 28. März extra zur Taxidemo nach Hannover gefahren. Vier Stunden im ICE für neunzig Minuten live (und laut) vom hupenden Taxikorso und von der Kundgebung mit Michael Müller vom Bundesverband Taxi und dem niedersächsischen Verkehrsminister. Der hat an diesem Tag versprochen, dass Scheuers Eckpunktepapier in dieser Version nochmal grundlegend diskutiert wird, weil vor allem der geplante Wegfall der Rückkehrpflicht eine massive Benachteiligung für das Taxigewerbe wäre. Die Kollegen vor Ort haben das mit Beifall honoriert, und Simi hat dafür gesorgt, dass es live auch überall in Deutschland zu hören war. „Hoffentlich hat auch Minister Scheuer zugehört“, sagt Simi. Die Demo in Hannover hat Simi selbst auch ein wenig optimistischer in die Zukunft blicken lassen. Schließlich wollen er und Gül ihre Kinder bis zum Abitur auf der bilingualen Schule lassen. jh Wenn Herr Scheuer seine Eckpunkte durchsetzt und die FDP weiterhin die Freigabe der Taxitarife fordert, müssten Gül und Simi wahrscheinlich ihren Beruf an den Nagel hängen. Wie soll man dann Gökay und Cansu erklären, dass sie die Schule wechseln müssen? Simi mit seiner Fußballmannschaft beim SC Westend Ü40, wo viele Taxikollegen kicken GEMEINSAM TORE SCHIESSEN Die Taxibranche ist das, was man üblicherweise als kleinteiliges Gewerbe bezeichnet. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Jeder muss selber sehen, dass er am Ende des Tages auf genügend Fahrten kommt. Doch wenn es darauf ankommt, halten Taxifahrer zusammen. Das zeigt sich auch beim Sport. Simi spielt Fußball, in der Ü40-Mannschaft des SC Westend. In der Mannschaft sind viele Taxikollegen. Kein Zufall, denn der Club trainiert nahe dem Flughafen Tegel. Da sind die Kollegen nach dem Training und frisch geduscht schnell wieder mittendrin im Geschehen. Bei den Punktspielen geht es ernst zur Sache, aber nie unfair. Da zieht man lieber zurück, als sich oder andere zu verletzten. Schließlich sind Simi und die Kollegen selbstständig und können sich keinen Ausfall leisten. Ein Punktspiel gegen eine Mannschaft, die dafür bekannt ist, mehr auf die Knochen als auf den Ball zu gehen, hat man abgesagt und als verloren werten lassen. Die Gesundheit ist wichtiger. So einfach ist es im Kampf gegen Uber nicht. Simi wüscht sich schon lange, dass endlich jemand Uber die rote Karte zeigt. Dem US-Konzern das Feld kampflos zu überlassen, kommt allerdings nicht in Frage. Wir bauen Ihr Inklusions-Taxi Fordern Sie jetzt ein Angebot an! TAXI MÄRZ/APRIL 2019 im Doorgrund 13 D-26160 Bad Zwischenahn 19 fon +49 4403 58902 fax +49 4403 58903 info@reha-automobile.de www.reha-automobile.de
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