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karriereführer recht<br />

2.2011<br />

„<br />

Das Recht ist heute so spezialisiert, dass niemand<br />

Experte auf allen Gebieten sein kann. Aber was<br />

wir Juristen mitbringen müssen, ist die Fähigkeit,<br />

uns in neue Problemstellungen einzuarbeiten.”<br />

Top-Juristin<br />

Entsteht im Laufe <strong>de</strong>r Arbeit eine gewisse<br />

Routine – o<strong>de</strong>r ist und bleibt je<strong>de</strong>r Fall<br />

eine beson<strong>de</strong>re Sache, die Sie neugierig<br />

macht?<br />

Ich bin tatsächlich immer neugierig,<br />

weil wir es hier in Straßburg mit einem<br />

sehr weiten Spektrum an verschie<strong>de</strong>nen<br />

Sachverhalten zu tun haben. Das<br />

geht von Fällen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>sentführung<br />

über Folter in Gefängnissen bis hin zu<br />

völkerrechtlichen Fragen. Je<strong>de</strong> Akte<br />

kann etwas ganz Neues beinhalten.<br />

Sie lernen also auch als Richterin am<br />

Gerichtshof für Menschenrechte je<strong>de</strong>n<br />

Tag etwas hinzu.<br />

Ganz bestimmt. Es gibt Län<strong>de</strong>r Europas,<br />

mit <strong>de</strong>ren Rechtssystem ich mich<br />

nicht sehr gut auskenne, Irland zum<br />

Beispiel. Und dann beginne ich zu studieren:<br />

Ich informiere mich über die<br />

rechtlichen Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s jeweiligen<br />

Staates und erkun<strong>de</strong> frühere<br />

Urteile <strong>de</strong>s Gerichtshofs zu ähnlichen<br />

Problemen, <strong>de</strong>nn wir müssen konsistent<br />

entschei<strong>de</strong>n und auch die Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>r Entscheidung für das jeweilige<br />

Land verstehen.<br />

Sprich: Nach vielen Jahren als Professorin<br />

<strong>de</strong>r Rechtwissenschaft sind Sie nun<br />

selber noch einmal eine Einsteigerin.<br />

Ja, es ist wie<strong>de</strong>r ein Neuanfang. Je<strong>de</strong>r<br />

Richter hier hat zwar bereits eine lange<br />

Karriere in <strong>de</strong>n Rechtswissenschaften<br />

hinter sich, wird dann aber am<br />

Gerichtshof vor neue Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

gestellt. Das Recht ist heute so<br />

spezialisiert, dass niemand Experte auf<br />

allen Gebieten sein kann. Aber was wir<br />

Juristen mitbringen müssen, ist die<br />

Fähigkeit, uns in neue Problemstellungen<br />

einzuarbeiten. Auch wenn ich auf<br />

eine Rechtsfrage treffe, zu <strong>de</strong>r ich noch<br />

gar nichts weiß, muss ich über die<br />

Technik verfügen, mir <strong>de</strong>n Bereich zu<br />

erschließen. Ein Einsteiger darf keine<br />

Angst davor haben, auf Fragen zu treffen,<br />

auf die er ad hoc keine Antwort<br />

weiß. Das wird in seiner Karriere<br />

immer wie<strong>de</strong>r vorkommen – und er<br />

wird lernen, sich die Antwort zu erarbeiten.<br />

Viele Kanzleien sind heute international<br />

aufgestellt. Kenntnisse in vergleichen<strong>de</strong>r<br />

Rechtswissenschaft sind wichtig<br />

und bieten gute Karrierechancen.<br />

Trotz<strong>de</strong>m wird <strong>de</strong>r Bereich in Deutschland<br />

eher stiefmütterlich behan<strong>de</strong>lt.<br />

Warum ist das so?<br />

Die Beobachtung stimmt. Das hat vielleicht<br />

etwas damit zu tun, dass das<br />

<strong>de</strong>utsche Rechtssystem sehr ausgefeilt<br />

ist. Viele Juristen <strong>de</strong>nken daher schon<br />

an <strong>de</strong>r Uni: Ich muss so viel über das<br />

eigene Recht wissen, dass ich die an<strong>de</strong>ren<br />

Län<strong>de</strong>r erst einmal weniger beachte.<br />

Aber mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen<br />

ist es sehr ratsam, sich hier<br />

stärker zu öffnen.<br />

Sie haben sich früh in Ihrer Karriere auf<br />

das Recht osteuropäischer Staaten konzentriert.<br />

Warum dieser Fokus?<br />

Die Umbrüche, die diese Län<strong>de</strong>r erlebt<br />

haben, waren enorm. Viele Staaten<br />

mussten vom Eigentumsbegriff bis zu<br />

<strong>de</strong>n Grundrechten alles komplett neu<br />

erfin<strong>de</strong>n, und es war für mich sehr<br />

spannend, mich mit Rechtssystemen<br />

zu befassen, die sich gera<strong>de</strong> im Aufbau<br />

„Ein Einsteiger darf keine Angst davor haben,<br />

auf Fragen zu treffen, auf die er ad hoc keine<br />

Antwort weiß.”<br />

befan<strong>de</strong>n. Ein Punkt war aber auch,<br />

dass ich es eine beson<strong>de</strong>re Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

fand, einen Weg zu gehen, <strong>de</strong>n<br />

nicht alle gehen.<br />

Eine Entscheidung, die Ihrer Karriere<br />

schon sehr früh einen Schub gab.<br />

Ja, wobei ich tatsächlich das historische<br />

Glück hatte, dass ich mein Studium<br />

begann, als die Umbrüche noch<br />

gar nicht zu erkennen waren, und es<br />

abschloss, als gera<strong>de</strong> die Grenzen aufgingen.<br />

Sie haben 1994 und 1995 ein Forschungsjahr<br />

in Harvard verbracht. Der Name ist<br />

schillernd – haben Sie von dort etwas<br />

mitgebracht, was Ihrer Karriere bis<br />

heute nützt?<br />

Es muss nicht unbedingt Harvard sein.<br />

Ich wür<strong>de</strong> rückblickend sogar sagen,<br />

dass meine Russlandaufenthalte<br />

Mitte, En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 80er-Jahre für mich<br />

noch prägen<strong>de</strong>r waren. Dort habe ich<br />

mit meinen eigenen Augen eine<br />

gesellschaftliche Wirklichkeit gesehen,<br />

die ich mir vorher nicht vorstellen<br />

konnte – während ich von Harvard<br />

eine ganz gute Vorstellung hatte, da<br />

gab es nicht so viel völlig Neues und<br />

Überraschen<strong>de</strong>s.<br />

Als Richterin in Straßburg sprechen Sie<br />

mit Ihren Urteilen für rund 800 Millionen<br />

Europäer, nicht selten haben Ihre<br />

Urteile Auswirkungen auf Staatsverfassungen.<br />

Wie gehen Sie mit <strong>de</strong>n Erwartungen<br />

an Ihre Arbeit um?<br />

Ich weiß, wie unsere Urteile rezipiert<br />

wer<strong>de</strong>n und wie sie das Leben <strong>de</strong>r<br />

Menschen beeinflussen können. Ich<br />

fühle die Verantwortung und arbeite<br />

daran, dass je<strong>de</strong>s Urteil unmittelbar<br />

einleuchtet und <strong>de</strong>m hohen Standard<br />

entspricht, <strong>de</strong>n das Gericht sich selbst<br />

gesetzt hat. Wir müssen sehr gut argumentieren<br />

und die Menschen von<br />

unseren Urteilen überzeugen – sonst<br />

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