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Die Funktion des Orgasmus

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I<br />

Der neurotische Konflikt<br />

FREUD’s psychologische Entdeckung, die die gesamte Psychopathologie auf eine<br />

neue Grundlage stellte und ihr durch fruchtbare Fragestellungen neue Wege wies,<br />

war<br />

erstens, dass je<strong>des</strong> scheinbar noch so sinnlose neurotische und psychotische<br />

Symptom einen sinnvollen Inhalt hat, der sich in das Gesamterleben <strong>des</strong> Kranken<br />

bei genauer Kenntnis <strong>des</strong>selben restlos einfügen lässt;<br />

zweitens, dass die neurotischen Symptome durch einen Konflikt zwischen primitiven<br />

Triebansprüchen und moralischen Forderungen entstehen, die die Triebbefriedigung<br />

verbieten.<br />

<strong>Die</strong> „innere Versagung" der Triebbefriedigung, die wir bei Kranken immer antreffen,<br />

leitet sich aus der äusseren Einschränkung der Triebhaftigkeit ab, die der Kranke<br />

seinerseits als Kind durch die Eltern und ihre Stellvertreter erfuhr. Der Konflikt zwischen<br />

Trieb-Ich und moralischem Ich war also ursprünglich ein solcher zwischen<br />

Trieb-Ich und Aussenwelt und hat diesen Charakter bei manchen Psychosen<br />

(FREUD) und triebhaften Psychopathen 6 dauernd beibehalten. Bei der Neurose hingegen<br />

hat ein wichtiger Teil der Persönlichkeit die Realitätsanpassung zustande gebracht,<br />

während ein anderer Teil eine Entwicklungshemmung auf einer frühen Stufe<br />

der seelischen Entwicklung erfuhr, so dass ein Konflikt zwischen konträren Strebungen<br />

entstehen musste. Es ist nun für die neurotische Persönlichkeit bezeichnend,<br />

dass das moralische Ich weder den Mut hat, die Triebbefriedigung in toleranter Weise<br />

zuzulassen, noch auch die Kraft aufbringt, die Triebansprüche zu verurteilen oder<br />

in irgendeiner geeigneten Form zu erledigen, weil die erste Voraussetzung dazu, die<br />

Bewusstheit der Triebregungen fehlt oder unvollständig ist. Das Ich erschrickt bei der<br />

leisesten Andeutung einer „unmoralischen" Regung und entledigt sich ihrer durch<br />

den Akt der „Verdrängung", der verschiedene Formen haben kann: vom einfachen<br />

Nicht-Wahr-Haben-Wollen oder Vorbeisehen über die kompensative Betonung <strong>des</strong><br />

Gegenteils der verpönten Triebregung bis zur totalen Aussperrung der Vorstellung<br />

aus dem Bewusstsein (hysterische Amnesie) und Unterbindung jeder motorischen<br />

Erledigung <strong>des</strong> entsprechenden Affektbetrages. Der verdrängte Triebanspruch büsst<br />

aber keineswegs an Stosskraft ein, sondern wird im Gegenteil durch die „Stauung"<br />

der nicht erledigten Triebenergie verstärkt. <strong>Die</strong> Gefahr besteht nun darin, dass er der<br />

Kontrolle der bewussten Überlegung nicht mehr ausgesetzt ist. Er durchbricht bei<br />

Anlässen, die entsprechende Situationen bieten, die „Gegenbesetzung beziehungsweise<br />

den „Widerstand" <strong>des</strong> Ichs. <strong>Die</strong>ser „Durchbruch der Verdrängung'', der den<br />

zweiten Akt <strong>des</strong> neurotischen Prozesses darstellt, kann aber nur kompromisshaft<br />

erfolgen, weil auch das Ich sich in seiner Abwehr auf mächtige seelische Instanzen<br />

stützt, die man mit dem Begriffe „Moral" im populären Sinne umfassen kann. Das<br />

Resultat ist eine verstellte Triebbefriedigung, die als solche vom Bewusstsein nicht<br />

erkannt oder, sofern sie weniger verhüllt erscheint, als nicht zum Ich gehörig, als<br />

Zwang empfunden und abgelehnt wird.<br />

Soweit wäre gegen die psychoanalytischen Ergebnisse FREUDs nichts einzuwenden<br />

gewesen. Der heftigste Widerspruch erhob sich erst gegen die Lehre Freuds, dass<br />

6 Vgl. AICHHORN; Verwahrloste Jugend (Internationale Psychoanalytische Bibliothek Nr. XIX,<br />

1925), und REICH: Der triebhafte Charakter (Neue Arbeiten zur Srstlicheii Psychoanalyse Nr. IV,<br />

1925).<br />

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