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Direkte Demokratie und völkerrechtliche Verpflichtungen im Konflikt ...

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<strong>Direkte</strong> <strong>Demokratie</strong> <strong>und</strong> <strong>völkerrechtliche</strong> <strong>Verpflichtungen</strong> <strong>im</strong> <strong>Konflikt</strong> 999<br />

chung” in besonderem Mass in die Verantwortung der B<strong>und</strong>esversammlung <strong>und</strong><br />

des B<strong>und</strong>esrates stellt. Die schweizerische B<strong>und</strong>esverfassung ist mithin auf eine<br />

“Freiheits- <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechtspolitik” auch der politischen Behörden angewiesen. 66<br />

Die “Verfassungsverwirklichung” als Konzept, nach welchem verfassungsrechtlich<br />

vorgegebene m a t e r i e l l e Zielsetzungen <strong>und</strong> Wertungen der t a t s ä c h l i c h e n<br />

Durchsetzung in der Lebenswelt bedürfen, verlangt daher die Abgrenzung desjenigen<br />

Kompetenzrahmens, welche die betreffende mit der “Verfassungsverwirklichung”<br />

befasste Behörde aufgr<strong>und</strong> der ihr verfassungsrechtlich aufgetragenen<br />

Funktion zu beachten hat. Die materiellrechtliche Verfassungsinterpretation bedarf<br />

mithin einer funktionellrechtlichen Ergänzung. 67<br />

Zur präziseren Best<strong>im</strong>mung der jeweiligen Organkompetenz zur “V e r f a s -<br />

sungsverwirklichung” wird daher vorgeschlagen, diesen Begriff in drei<br />

funktionellrechtlich differenzierte Kategorien aufzuspalten:<br />

V e r f a s s u n g s p o l i t i k lässt sich als Verfahren der Erzeugung von positivem<br />

Verfassungsrecht definieren. Verfassungspolitik ist verfassungsrechtlich zwar<br />

durch die Verpflichtung zur Beachtung des Völkerrechts (Art. 5 Abs. 1 BV) <strong>und</strong> –<br />

absolut – durch die zwingenden Best<strong>im</strong>mungen des Völkerrechts (Art. 139 Abs. 2<br />

BV, Art. 193 Abs. 4, Art. 194 Abs. 2 BV) umgrenzt, darüber hinaus aber inhaltlich<br />

nicht vollständig determiniert. 68 Verfassungspolitik transzendiert das positive Verfassungsrecht<br />

notwendig. 69<br />

Institutionell sind nicht nur B<strong>und</strong>esversammlung, Bun-<br />

desrat, Volk <strong>und</strong> Stände sondern sämtliche Akteure der öffentlichen Meinungsbildung,<br />

insbesondere die politischen Parteien, Verbände <strong>und</strong> Massenmedien, aber<br />

auch die Rechtswissenschaft in die Verfassungspolitik eingeb<strong>und</strong>en. 70 Diese Öffnung<br />

des Verfassungsrechts zur “Zivilgesellschaft” bei seiner eigenen Erneuerung<br />

kommt positivrechtlich in Art. 147 BV zum Ausdruck: “Kantone, die politischen<br />

Parteien <strong>und</strong> die interessierten Kreise” werden “bei der Vorbereitung wichtiger Erlasse”,<br />

einschliesslich Verfassungsänderungen, “zur Stellungnahme eingeladen”. 71<br />

66<br />

René R h i n o w , Gr<strong>und</strong>rechtstheorie, Gr<strong>und</strong>rechtspolitik <strong>und</strong> Freiheitspolitik, in: Recht als<br />

Prozess <strong>und</strong> Gefüge. Festschrift für Hans Huber, Bern 1981, 427-446, 435, 443 f, 446; d e r s . (Anm.<br />

48), N 399, 403; ähnlich Georg M ü l l e r , Schutzwirkungen der Gr<strong>und</strong>rechte, in: Merten/Papier<br />

(Anm. 13), § 204, N 9 f.; Rainer J. S c h w e i z e r , Art. 35 BV, in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/<br />

Vallender (Anm. 43), N 14.<br />

67<br />

Im Anschluss an Horst E h m k e , Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20<br />

(1961), 53-102, 72 f., 102.<br />

68<br />

Stärker eingegrenzt ist die Verfassungspolitik freilich, wenn man jenseits der “zwingenden Best<strong>im</strong>mungen<br />

des Völkerrechts” weitere “materielle Schranken” befürwortet; vgl. dazu IV., A. <strong>und</strong> den<br />

Meinungsstand in Anm. 74.<br />

69<br />

Dieter G r i m m , Die Verfassung <strong>und</strong> die Politik. Einsprüche in Störfällen, München 2001, 21.<br />

70<br />

Die hier vorgenommene weite Umschreibung der “Akteure der Verfassungspolitik” adaptiert<br />

Elemente des Akteurbegriffs, wie er dem “extended model of dynamic representation” von Kriesi<br />

(Anm. 41), 151 f. zu Gr<strong>und</strong>e liegt.<br />

71<br />

Dieses sog. Vernehmlassungsverfahren – französisch <strong>und</strong> italienisch treffender als “procédure de<br />

consultation” bzw. “procedura di consultazione” bezeichnet – kommt aufgr<strong>und</strong> von Art. 3 Abs. 1<br />

Bst. a B<strong>und</strong>esgesetz über das Vernehmlassungsverfahren (SR 172. 061) auch bei Verfassungsänderungen<br />

zur Anwendung.<br />

http://www.zaoerv.de/<br />

© 2008, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht <strong>und</strong> Völkerrecht<br />

ZaöRV 68 (2008)

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