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Direkte Demokratie und völkerrechtliche Verpflichtungen im Konflikt ...

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1004 Reich<br />

Art. 123a BV schreibt vor, dass ein als “extrem gefährlich (...) <strong>und</strong> nicht therapierbar”<br />

eingestufter “Sexual- oder Gewaltstraftäter (...) bis an sein Lebensende zu<br />

verwahren” <strong>und</strong> die Überprüfung dieser sichernden Massnahme nur dann zulässig<br />

ist, “wenn durch neue, wissenschaftliche Erkenntnisse erwiesen wird, dass der Täter<br />

geheilt werden kann <strong>und</strong> somit keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellt”.<br />

Art. 123a BV steht damit <strong>im</strong> Widerspruch zu Art. 5 Abs. 4 EMRK <strong>und</strong> dem<br />

ähnlich gelagerten Art. 9 Abs. 4 IPBPR, die nach ständiger Praxis einen Anspruch<br />

auf regelmässige Prüfung des Freiheitsentzugs vermitteln, sofern letzterer von veränderlichen<br />

Umständen wie psychischer Krankheit oder gemeingefährlichen Persönlichkeitsstörungen<br />

abhängig ist. 85 Auf Antrag des B<strong>und</strong>esrates st<strong>im</strong>mte die<br />

B<strong>und</strong>esversammlung konkretisierenden Best<strong>im</strong>mungen auf b<strong>und</strong>esgesetzlicher<br />

Stufe zu, da “Art. 123a BV seiner unbest<strong>im</strong>mten Rechtsbegriffe wegen ohne Ausführungsgesetzgebung<br />

zu viele Fragen offen” lasse. 86<br />

Die getroffene Regelung erscheint<br />

als Anwendungsfall völkerrechtskonformer Auslegung<br />

von B<strong>und</strong>esverfassungsrecht durch die B<strong>und</strong>esversammlung i m S c h a t -<br />

ten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. V.,<br />

B., 3.): Nach der einfachgesetzlichen Regelung ist die periodische Überprüfung des<br />

Freiheitsentzugs weiterhin möglich, die Aufhebung der Verwahrung aber an ein<br />

mehrstufiges Verfahren geknüpft. Das gegen die entsprechenden Änderungen des<br />

StGB zulässige fakultative Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV) unterblieb; die<br />

Best<strong>im</strong>mungen sind seit 1. August 2008 in Kraft. 87<br />

E. Zwischenfazit: Beharrungsvermögen des Status quo<br />

Die Rechtsprechung der B<strong>und</strong>esversammlung zur inhaltlichen Gültigkeit von<br />

Volksinitiativen erscheint weitgehend a m E i n z e l f a l l o r i e n t i e r t , s i t u a t i v<br />

<strong>und</strong> k o m p r o m i s s h a f t . Dieser in anderem Zusammenhang als “decisional mi-<br />

lyse der eidgenössischen Abst<strong>im</strong>mungen vom 8. Februar 2004, Vox 82 (2004), 23-29 (wonach gr<strong>und</strong>rechtliche<br />

Überlegungen eine untergeordnete Rolle spielten).<br />

85<br />

Zu Art. 5 Abs. 4 EMRK EGMR, Urteil vom 26. September 2000, Oldham v. Vereinigtes Königreich,<br />

Nr. 36273/97, Ziff. 30-32; Urteil vom 28. März 2000, Curley v. Vereinigtes Königreich, Nr.<br />

32340/96, Ziff. 32; Urteil vom 12. Mai 1992, Megyeri v. Deutschland, Nr. 13770/88 Ziff. 22; Urteil<br />

vom 25. Oktober 1990, Thynne, Wilson <strong>und</strong> Gunnell v. Vereinigtes Königreich, Nr. 11787/85,<br />

11978/86, 12009/86, Ziff. 76; Urteil vom 28. Mai 1986, Ashingdane v. Vereinigtes Königreich, Nr.<br />

8225/78, Ziff. 52; Urteil vom 24. Juni 1982, van Droogenbroeck v. Belgien, Nr. 7906/77 Ziff. 47; Urteil<br />

vom 24. Oktober 1979, Winterwerp v. Niederlande, Nr. 6301/73, Ziff. 63; BGE 121 I 297 E 3b/cc,<br />

302-306. – Zu Art. 9 Abs. 4 IPBPR [UN] Human Rights Committee, Rameka, Harris <strong>und</strong> Tawara v.<br />

Neuseeland, 15. Dezember 2003, Nr. 1090/2002, Ziff. 7.3; Bawan Heman Baban et al. v. Australien,<br />

6. August 2003, Nr. 1014/2001, Ziff. 7.2.<br />

86 Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezem-<br />

ber 2002, BBl. 2006, 889-918, 897.<br />

87<br />

Vgl. Art. 64c E-StGB. Ungenutzter Ablauf der Referendumsfrist: 17. April 2008 (BBl. 2008, 23-<br />

26). Inkrafttreten: 1. August 2008 (AS 2008, 2961-2964).<br />

ZaöRV 68 (2008)<br />

http://www.zaoerv.de/<br />

© 2008, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht <strong>und</strong> Völkerrecht

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