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epd-Dokumentation 10/2003 25<br />

»Gottesmör<strong>der</strong> - Blutsauger - Fremde«.<br />

Die politische Dimension des christlichen Antijudaismus<br />

von <strong>der</strong> Frühen Neuzeit bis zur Schoa<br />

Von Dr. Christian Wiese<br />

Gesellschaft <strong>für</strong> Christlich-Jüdische Zusammenarbeit<br />

Görlitz und Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

(Büro Dresden): »Antisemitismus – Erscheinungsformen<br />

<strong>der</strong> Judenfeindschaft gestern und<br />

heute«, Görlitz, 7. 10. 2002. <strong>Der</strong> Autor ist evangelischer<br />

Theologe. Er ist Mitglied im Vorstand<br />

des <strong>Deutsche</strong>n KoordinierungsRates <strong>der</strong> <strong>Gesellschaften</strong><br />

<strong>für</strong> Christlich-Jüdische Zusammenarbeit<br />

(Bad Nauheim).<br />

Eine <strong>der</strong> kompliziertesten und umstrittensten<br />

Fragen <strong>der</strong> Antisemitismusforschung und <strong>der</strong><br />

christlichen Selbstreflexion nach 1945 ist jene<br />

nach dem historischen Zusammenhang zwischen<br />

<strong>der</strong> jahrhun<strong>der</strong>tealten kirchlichen Tradition <strong>der</strong><br />

Judenfeindschaft und dem mör<strong>der</strong>ischen Antisemitismus<br />

<strong>der</strong> Nazis. Die heftigen Diskussionen<br />

über Daniel Goldhagens jüngstes Buch »Die katholische<br />

Kirche und <strong>der</strong> Holocaust «, das über die<br />

konkrete Verstrickung von Theologen und Theologie<br />

in die Verfolgung und Vernichtung des europäischen<br />

Judentums hinaus die Frage nach dem<br />

Umgang mit Schuld aufwirft, 1<br />

lässt erkennen, wie<br />

herausfor<strong>der</strong>nd diese Problematik <strong>für</strong> die Kirchen<br />

nach wie vor ist - man kann sich ihr auch durch<br />

den Nachweis historischer Nachlässigkeiten nicht<br />

wirklich entziehen.<br />

Die schmerzliche Frage, mit <strong>der</strong> Goldhagen die<br />

Kirchen konfrontiert, lautet, ob es nicht eine Linie<br />

ist, die von <strong>der</strong> traditionellen christlichen Judenfeindschaft,<br />

wie sie schon in Texten des Neuen<br />

Testaments anklingt, über den mittelalterlichen<br />

Judenhass, über Luthers so genannte »Judenschriften«<br />

und die neuzeitliche Aufklärung bis hin<br />

zum mo<strong>der</strong>nen Antisemitismus verläuft, ob also<br />

die jüdische Leidensgeschichte bis zur Schoa<br />

nicht eine unmittelbare Folge christlichen Denkens<br />

über das Judentum war. An<strong>der</strong>e jüdische<br />

Stimmen scheinen zu entlasten, etwa die <strong>für</strong> die<br />

innerjüdische Diskussion über den christlichjüdischen<br />

Dialog entworfene und von zahlreichen<br />

amerikanischen Rabbinerinnen und Rabbinern<br />

unterzeichnete Erklärung Dabru Emet, die <strong>für</strong><br />

eine deutlich akzentuierte Unterscheidung zwischen<br />

christlicher Judenfeindschaft und Nazi-<br />

Ideologie eintritt:<br />

»<strong>Der</strong> Nazismus war kein christliches Phänomen.<br />

Ohne die lange Geschichte des christlichen Antijudaismus<br />

und christlicher Gewalt gegen Juden<br />

hätte die nationalsozialistische Ideologie keinen<br />

Bestand finden und nicht verwirklicht werden<br />

können. Zu viele Christen waren an den Grausamkeiten<br />

<strong>der</strong> Nazis gegen die Juden beteiligt<br />

o<strong>der</strong> billigten sie. An<strong>der</strong>e Christen wie<strong>der</strong>um<br />

protestierten nicht genügend gegen diese Grausamkeit.<br />

Dennoch war <strong>der</strong> Nationalsozialismus<br />

selbst kein zwangsläufiges Produkt des Christentums.<br />

Wäre den Nationalsozialisten die Vernichtung<br />

<strong>der</strong> Juden in vollem Umfang gelungen, hätte<br />

sich ihre mör<strong>der</strong>ische Raserei weitaus unmittelbarer<br />

gegen die Christen gerichtet. Mit Dankbarkeit<br />

gedenken wir jener Christen, die während <strong>der</strong><br />

nationalsozialistischen Herrschaft ihr Leben riskiert<br />

o<strong>der</strong> geopfert haben, um Juden zu retten.<br />

Dessen eingedenk unterstützen wir die Fortsetzung<br />

<strong>der</strong> jüngsten Anstrengungen in <strong>der</strong> christlichen<br />

Theologie, die Verachtung des Judentums<br />

und des jüdischen Volkes eindeutig zurückzuweisen.<br />

Wir preisen jene Christen, die diese Lehre<br />

<strong>der</strong> Verachtung ablehnen und klagen sie nicht <strong>der</strong><br />

Sünden an, die ihre Vorfahren begingen.« 2<br />

An<strong>der</strong>s als manche christlichen Dokumente (etwa<br />

das 1998 von <strong>der</strong> päpstlichen Kommission <strong>für</strong> die<br />

religiösen Beziehungen zu den Juden verfasste<br />

Dokument »Wir erinnern: Eine Reflexion über die<br />

Schoa« 3 ) zielt diese Passage nicht auf eine »Entschuldung«<br />

des Christentums, son<strong>der</strong>n auf einen<br />

differenzierten Umgang mit historischer Wirklichkeit,<br />

ohne allerdings wirklich die schwierigen<br />

geschichtlichen Fragen zu beantworten: Gibt es<br />

so etwas wie eine »ewige Judenfeindschaft«, die<br />

seit den Anfängen des Christentums die Geschichte<br />

des Abendlandes durchzieht, bis es zwischen<br />

1933 und 1945 zur Katastrophe kam, o<strong>der</strong><br />

gibt es Brüche und Wandlungen, in denen Judenfeindschaft<br />

eine völlig neue Qualität annahm?<br />

Für die Kirchengeschichte und die christliche<br />

Selbstreflexion, die allzu häufig den religiösen<br />

Aspekt isolieren und die Frage nach <strong>der</strong> Verantwortung<br />

des Christentums <strong>für</strong> den mo<strong>der</strong>nen<br />

Antisemitismus ohne Berücksichtigung an<strong>der</strong>er<br />

Disziplinen zu beantworten versuchen, scheint<br />

die Erkenntnis von beson<strong>der</strong>er Bedeutung, dass<br />

die kritische Aufarbeitung judenfeindlichen Denkens<br />

und Handelns in <strong>der</strong> christlichen Tradition

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