download - Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für ...
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<strong>der</strong>te und verschleierte, dass Juden auf Grund<br />
ihrer Rasse nicht verän<strong>der</strong>bar seien. Die Auffassung<br />
von <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>barkeit <strong>der</strong> Juden hatte auf<br />
an<strong>der</strong>er Ebene auch die liberale Sicht seit <strong>der</strong><br />
Aufklärung bestimmt: »Juden« und »Judentum«<br />
standen <strong>für</strong> das Alte, Überlebte, Tote: Durch Aufgabe<br />
ihres Judentums, Bekehrung o<strong>der</strong> Assimilation<br />
konnten und sollten Juden aber am Fortschritt<br />
teilhaben, sich vom Judentum befreien. Im<br />
Zukunftsbild des Rassenantisemitismus war dagegen<br />
<strong>der</strong> Unterschied von Juden und Nichtjuden<br />
nicht aufhebbar.<br />
Dennoch ist das Urteil, man dürfe<br />
die Ideologie des christlichen<br />
Antijudaismus nicht einfach mit <strong>der</strong> des<br />
mo<strong>der</strong>nen Antisemitismus gleichsetzen,<br />
historisch sicher zutreffend.<br />
Gerade die Vermischung <strong>der</strong> »Rassen«, die geistige<br />
und rassische »Verjudung« <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
wurden als Ursache <strong>für</strong> den Nie<strong>der</strong>gang und die<br />
Zerstörung <strong>der</strong> eigenen Kultur angesehen. »Juden«<br />
und »Judentum« repräsentierten das gefährliche,<br />
unheimliche Neue, das die eigenen traditionellen<br />
Strukturen <strong>der</strong> Gesellschaft »zersetzte«.<br />
Das Gegenmodell war daher die »Entjudung«, die<br />
Befreiung aller geistigen und sozialen Bereiche<br />
von irgendwelchem wirklichen o<strong>der</strong> scheinbaren<br />
jüdischen Einfluss, bis hin zu Konzepten, das<br />
Christentum von jüdischen Einflüssen zu reinigen.<br />
Saul Friedlän<strong>der</strong> hat diese Form <strong>der</strong> Judenfeindschaft<br />
treffend als »Erlösungsantisemitismus«<br />
bezeichnet, da dieser die Erlösung von Deutschtum<br />
und arischer Welt von <strong>der</strong> Befreiung von den<br />
Juden abhängig machte: Rassenkampf und Vernichtungsstrategien<br />
waren die Konsequenz dieses<br />
Denkens.<br />
Auch bei dieser Unterscheidung von traditioneller<br />
Judenfeindschaft und rassischem Antisemitismus<br />
gilt es allerdings Einschränkungen zu machen.<br />
Forschungen zu den jüdisch-christlichen Beziehungen<br />
im Mittelalter machen zunehmend deutlich,<br />
dass die Vorstellung, Juden hätten im christlichen<br />
Europa durch Konversion das Stigma, das<br />
auf ihnen lag, einfach abschütteln können, nicht<br />
zutreffen. Bereits die mittelalterliche Judenfeindschaft<br />
redete von ewigen jüdischen Eigenschaften<br />
wie Sturheit, Hartnäckigkeit und Starrsinn o<strong>der</strong><br />
schrieb Juden abstoßende körperliche Merkmale<br />
zu - etwa einen typisch jüdischen Körpergeruch,<br />
<strong>der</strong> ihnen seit <strong>der</strong> Kreuzigung Jesu als Fluch anhafte,<br />
wobei nicht geklärt war, dass eine Konversion<br />
dies aufheben konnte. Auch getaufte Juden<br />
blieben als Juden erkennbar und stigmatisiert,<br />
weil sich letztlich doch vielfach die »rassistische«<br />
epd-Dokumentation 10/2003 33<br />
Vorstellung von <strong>der</strong> Unauslöschlichkeit jüdischer<br />
Merkmale durchsetzte.<br />
Zahlreiche Quellen lassen vermuten, dass es<br />
gleichsam eine geheime Vorgeschichte des rassischen<br />
Antisemitismus bereits im Mittelalter gegeben<br />
hat und dass sich diese Geschichte durch die<br />
Frühe Neuzeit bis ins 19. Jahrhun<strong>der</strong>t fortgesetzt<br />
hat. <strong>Der</strong> Historiker Haim Yosef Yerushalmi hat<br />
dies etwa am Beispiel Spaniens und Portugals<br />
eindrucksvoll gezeigt. 24 Nach den Wellen von<br />
Konversionen und Zwangstaufen im 14. und 15.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t gab es dort zahllose so genannte<br />
»conversos«, die sich zunächst erfolgreich in die<br />
iberische Gesellschaft integrierten. Sie stießen<br />
jedoch nach <strong>der</strong> Vertreibung <strong>der</strong> Juden 1492 und<br />
dann im 16. Jahrhun<strong>der</strong>t zunehmend auf tiefe<br />
Ressentiments. Folge war das Prinzip <strong>der</strong> »limpieza<br />
de sangre«, so genannte »Blutreinheitsgesetze«,<br />
die die »conversos« von öffentlichen Ämtern,<br />
Privilegien und Ehren ausschlossen. Die<br />
Ironie <strong>der</strong> Geschichte lag darin, dass die gleiche<br />
Gesellschaft, die so lange und mit Gewalt Juden<br />
zu bekehren versucht hatte, sich jetzt per Gesetz<br />
gegen das Eindringen <strong>der</strong> »conversos« wehrte. 25<br />
Über Jahrhun<strong>der</strong>te wurde in Spanien die Unterscheidung<br />
zwischen »neuen« und »alten« Christen<br />
aufrechterhalten: Es gab beurkundete Stammbäume<br />
zum Beweis da<strong>für</strong>, dass Anwärter auf<br />
öffentliche Ämter keinen Tropfen jüdischen Blutes<br />
hatten. Weil in den Quellen auch <strong>der</strong> Begriff<br />
<strong>der</strong> »raza«, <strong>der</strong> Rasse begegnet, spricht man hier<br />
von »Protoantisemitismus« o<strong>der</strong> »Frührassismus«.<br />
Zukünftige Forschungen werden vermutlich noch<br />
deutlicher machen, dass die Erforschung des Rassenantisemitismus<br />
auch das christliche Mittelalter<br />
einbeziehen muss und dass Antijudaismus und<br />
Antisemitismus bereits seit Jahrhun<strong>der</strong>ten historisch<br />
durchaus enge Parallelen aufweisen.<br />
Dennoch ist das Urteil, man dürfe die Ideologie<br />
des christlichen Antijudaismus nicht einfach mit<br />
<strong>der</strong> des mo<strong>der</strong>nen Antisemitismus gleichsetzen,<br />
historisch sicher zutreffend. Auch wenn viele<br />
traditionelle Motive und Stereotype des Antijudaismus<br />
im Antisemitismus erhalten blieben, bedeuteten<br />
sie im Kontext <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Weltanschauungen<br />
etwas an<strong>der</strong>es als im christlichen<br />
Weltbild und hatten an<strong>der</strong>e Auswirkungen. Allerdings<br />
sind die Übergänge auch seit dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
stets fließend gewesen. Die Kirchengeschichte<br />
zeigt, dass Teile <strong>der</strong> protestantischen wie<br />
katholischen Theologie in Europa von den jeweiligen<br />
Wandlungen <strong>der</strong> Judenfeindschaft nicht<br />
unbeeinflusst blieben, und dass Rassismus und<br />
völkisches Denken vor allem in Deutschland in<br />
<strong>der</strong> letzten Phase <strong>der</strong> Weimarer Republik und