download - Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für ...
download - Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für ...
download - Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
36 10/2003 epd-Dokumentation<br />
ren Vertreters dieser Richtung, des Jenauer Neutestamentlers<br />
Walter Grundmann, kann man<br />
bereits vor 1933 als eine christlich-antisemitische<br />
Gestalt nationalsozialistischen Denkens bezeichnen.<br />
Seine Strategie, mit <strong>der</strong> er gegenüber völkischen<br />
Ideologen wie Alfred Rosenberg das Verdikt<br />
<strong>der</strong> »Verjudung« des Christentums wi<strong>der</strong>legen<br />
wollte, charakterisierte er selbst als »Entjudung<br />
des religiösen kirchlichen Lebens«. 1938<br />
gründete er in Eisenach das »Institut zur Erforschung<br />
und Beseitigung des Einflusses des Judentums<br />
auf das deutsche kirchliche Leben«, in<br />
dem viele namhafte Theologen an dem Projekt<br />
arbeiteten, den christlichen Glauben im Sinne<br />
eines unüberbrückbaren Gegensatzes zum Judentum<br />
zu deuten und von seinen jüdischen<br />
Wurzeln zu »befreien« - bis hin zur Ablehnung<br />
des Alten Testaments und zu massiven Eingriffen<br />
in den neutestamentlichen Text. 34<br />
<strong>Der</strong> historische Rückblick lässt<br />
erkennen, dass theologischer<br />
Antijudaismus zu keiner Zeit ein »rein<br />
theologisches« Phänomen war, son<strong>der</strong>n mit<br />
seinen Bil<strong>der</strong>n und Mythen stets den konkreten<br />
politischen Umgang mit <strong>der</strong> jüdischen<br />
Min<strong>der</strong>heit beeinflusste, sei es unmittelbar,<br />
sei es durch die Prägung einer Mentalität,<br />
die Verfolgung, Entrechtung und<br />
Gewalt, mindestens aber die Min<strong>der</strong>privilegierung<br />
von Juden als selbstverständlich<br />
und berechtigt hinnahm.<br />
Am wichtigsten war natürlich die Frage nach Jesu<br />
jüdischer Herkunft. Grundmann griff die nicht<br />
mehr ganz neue Idee auf, Jesus sei Arier gewesen<br />
und habe sich deshalb, also aus rassischen Gründen,<br />
in den Konflikt mit dem Judentum seiner<br />
Zeit begeben müssen. Jesus war, so seine These,<br />
Galiläer und deshalb rassisch kein Jude. Grund-<br />
<strong>Der</strong> historische Rückblick lässt erkennen, dass<br />
theologischer Antijudaismus zu keiner Zeit ein<br />
»rein theologisches« Phänomen war, son<strong>der</strong>n mit<br />
seinen Bil<strong>der</strong>n und Mythen stets den konkreten<br />
politischen Umgang mit <strong>der</strong> jüdischen Min<strong>der</strong>heit<br />
beeinflusste, sei es unmittelbar, sei es durch die<br />
Prägung einer Mentalität, die Verfolgung, Entrechtung<br />
und Gewalt, mindestens aber die Min<strong>der</strong>privilegierung<br />
von Juden als selbstverständlich<br />
und berechtigt hinnahm. Ob nun die theologischen<br />
Motive <strong>der</strong> Kreuzzüge, Martin Luthers Eintreten<br />
<strong>für</strong> eine »scharfe Barmherzigkeit«, zu <strong>der</strong><br />
auch die Zerstörung von Synagogen und Vertrei-<br />
III. Fazit<br />
mann konnte sich dabei auf religionsgeschichtliche<br />
Forschungen berufen, die davon ausgingen,<br />
dass die Assyrer nach <strong>der</strong> Zerstörung des Nordreichs<br />
Israel 722 v. Chr. in Galiläa fremde<br />
(=»arische«) Volksstämme angesiedelt hatten.<br />
Aus Jesu »arischer Herkunft« war <strong>für</strong> Grundmann<br />
verständlich, dass Jesus zwangsläufig in Gegensatz<br />
zum Judentum geraten musste. Er wollte das<br />
Judentum nicht vollenden, son<strong>der</strong>n zerstören.<br />
Sein neues Gottesverständnis und seine neue<br />
Gotteserfahrung verdankten sich gerade seinem<br />
Ariertum. Weil Jesus das Judentum verwarf,<br />
wurde er gekreuzigt, die jüdische Feindschaft<br />
gegen Jesus war umgekehrt Beweis <strong>für</strong> seine Ablehnung<br />
des Judentums. Religiöser Antijudaismus<br />
und rassischer Antisemitismus verbanden sich in<br />
dieser These zu einem Gedankengebäude, in dem<br />
sich beide Elemente wechselseitig bestärkten.<br />
So betonte Grundmann etwa die kollektive Verantwortung<br />
<strong>der</strong> Juden <strong>für</strong> die Kreuzigung Jesu<br />
und redete im gleichen Zusammenhang von <strong>der</strong><br />
ewigen Christentumsfeindschaft des Judentums<br />
bis hin zur Bedrohung Deutschlands, des jüngsten<br />
Opfers jüdischer Weltverschwörung.<br />
Deutschland habe daher das geschichtliche Recht,<br />
gegen das Judentum zu kämpfen. Das wichtigste<br />
Fundament <strong>für</strong> christlichen Wi<strong>der</strong>stand gegen die<br />
Judenfeindschaft war mit <strong>der</strong> These vom »arischen<br />
Jesus« beseitigt: die Solidarität Jesu mit<br />
seinem jüdischen Volk. Und war die Zerstörung<br />
des Judentums Jesu Ziel, so waren auch christlich<br />
legitimierte Vernichtungsstrategien nicht mehr<br />
prinzipiell ausgeschlossen. Tatsächlich gab<br />
Grundmann damit seinen theologischen Segen <strong>für</strong><br />
die Vernichtung jüdischer Menschen. O<strong>der</strong>, wie<br />
es Susannah Heschel ausdrückte: Die Vernichtung<br />
des Judentums konnte zu einer Form <strong>der</strong> »imitatio<br />
Christi« werden. 35<br />
bung <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung gehörte, die<br />
religiös inspirierten Bil<strong>der</strong> vom verbrecherischen,<br />
fremden Judentum, die Jud Süß zum Verhängnis<br />
wurden, o<strong>der</strong> die Distanzierung christlicher<br />
Theologen vom Judentum vor und während <strong>der</strong><br />
Nazi-Zeit - stets waren religiöse, kulturelle und<br />
politisch-gesellschaftliche bzw. wirtschaftliche<br />
Gründe auf das Engste miteinan<strong>der</strong> verwoben,<br />
nie blieb theologisches Denken über Juden und<br />
Judentum ohne konkrete existenzielle Wirkung<br />
auf jene, über die man nachdachte.