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Heft Nr. 4/2003 - ev.-luth. Diakonissenanstalt Marienstift Braunschweig

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Propst<br />

Armin Kraft<br />

„Weihnachten“<br />

– S. 29 –<br />

Gemeindepastor Harald Merz mit<br />

Mercedes Otto (l.) und Swantje Görig<br />

Dr. Faust (MdB)<br />

über<br />

„Gesundheitspolitik“<br />

– S. 36 –<br />

MARIENSTIFT<br />

EV. LUTHERISCHE<br />

DIAKONISSENANSTALT<br />

<strong>Nr</strong>. 4/<strong>2003</strong><br />

Pastorin<br />

Karin Hille<br />

„Geschichten“<br />

– S. 12 –<br />

Chefarzt Dr.<br />

Reinhold Mäueler<br />

„Ärztlicher Rat“<br />

– S. 32 –<br />

Kinder in der Theodor-Fliedner-Kirche<br />

Carolin M. Bötzkes mit Sohn Johann Jakob A.


AUS DEM INHALT:<br />

10 Ausstellungseröffnung „Zum Jahr der Bibel“<br />

12 Helge Makrutzki als „Künstlerin aus Liebe“<br />

15 Landespfarrer Dr. Lothar Stempin zum Thema „Altenhilfe“<br />

17 Das Besondere des Spenger Altars<br />

22 Geschäftsführung des <strong>Marienstift</strong>s<br />

23 Der neue Verwaltungsdirektor Ralf Benninghoff<br />

29 Propst Armin Kraft zum Thema „Weihnachten“<br />

32 Chefarzt Dr. Reinhold Mäueler zum Thema „Kompletter Enddarmvorfall“<br />

36 MdB Dr. Hans Georg Faust zum Thema „Gesundheitssystem“<br />

40 Positives Echo auf „Abend der Begegnung“<br />

Zur Titelseite:<br />

Bild links: Gemeindepastor Harald Merz von der Johannis-Gemeinde in<br />

<strong>Braunschweig</strong> mit den Schülerinnen der Hans-Georg-Karg-Schule<br />

Mercedes Otto (l.) und Swantje Görig.<br />

Bild im Kreis oben: Die neuen Schüler der Hans-Georg-Karg-Schule probten in der<br />

Theodor-Fliedner-Kirche des <strong>Marienstift</strong>es für den Einschulungsgottesdienst.<br />

Bild im Kreis unten: Carolin M. Bötzkes freute sich über die Geburt ihres Kindes Johann<br />

Jakob Albert, das in der Frauenklinik am 25. September<br />

<strong>2003</strong> um 14.59 Uhr das Licht der Welt erblickte.<br />

Bitte schreiben Sie uns Ihre Meinung zu diesem „doppelpunkt“ oder auch zu<br />

einem Artikel unter E-Mail: B.Budde-<strong>Marienstift</strong>@t-online.de bzw. unter<br />

Fax: 05 31 / 70 11 -5 04 oder Redaktion „doppelpunkt“, <strong>Marienstift</strong>,<br />

Helmstedter Straße 35, 38102 <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Wir senden unseren „doppelpunkt“ gern regelmäßig und kostenlos zu.<br />

Bitte geben Sie uns entsprechende Anschriften bekannt.<br />

Herausgeber: Evangelisch-<strong>luth</strong>erische <strong>Diakonissenanstalt</strong> <strong>Marienstift</strong> in <strong>Braunschweig</strong><br />

Verantwortlich iSdP: Direktor Pastor Burkhard Budde<br />

Redaktionskreis: Heike Otto, Schwester Marlies Blume, Oberin i. R. Karin Hille<br />

Helmstedter Straße 35, 38102 <strong>Braunschweig</strong>, Telefon 05 31 / 7 01 13 04, Telefax 05 31 / 7 01 15 04<br />

Internet-Adresse: www.marienstift-braunschweig.de, E-Mail: B.Budde-<strong>Marienstift</strong>@t-online.de.<br />

Satz und Druck: Heckner Print-Service, Harzstraße 23, 38300 Wolfenbüttel, Telefon 0 53 31 / 80 08 50,<br />

Telefax 0 53 31 / 80 08 58


Dank und Abschied<br />

Der Vorsitzende des Stiftungsrates, Amtsgerichtspräsident a. D. Peter Brackhahn (r.) dankte<br />

der Oberstudienrätin i. R. Dr. Rosemarie Kamp, die seit 1982 im Stiftungsrat des <strong>Marienstift</strong>es<br />

ehrenamtlich tätig war und jetzt aus Altersgründen ausgeschieden ist; links das Stiftungsratsmitglied<br />

Prof. Dr. Ulrich Seiffert. Als Zeichen des Dankes erhielt sie das Kronenkreuz in<br />

Gold des Diakonischen Werkes.<br />

Freude über Mitarbeit<br />

Als neues Stiftungsratsmitglied konnte<br />

die <strong>Braunschweig</strong>er Ärztin Dr.<br />

Annette Rabens begrüßt werden. Als<br />

Zeichen des Dankes für ihre Bereitschaft<br />

zur ehrenamtlichen Mitarbeit<br />

erhielt sie die <strong>Marienstift</strong>snadel;<br />

links das Stiftungsratsmitglied Prof.<br />

Dr. Eckhart Neander. (Siehe auch<br />

Seite 56 des „doppelpunktes“).<br />

3


Gruppenbild mit der Diakonisse Schwester Luise Reitmann, die viele Jahre als beratendes<br />

Mitglied im Stiftungsrat tätig war und jetzt anlässlich ihres Ausscheidens ebenfalls das Kronenkreuz<br />

der Diakonie erhielt (v. l. n. r.): Die Stiftungsratsmitglieder Dr. Eckhart Neander,<br />

Dr. Annette Rabens, Dr. Ulrich Seiffert, Dipl.-Ing. Klaus Pietsch, Oberin Angela Tiemann<br />

(Vorstandsmitglied), Amtsgerichtspräsident a. D. Peter Brackhahn (Stiftungsratsvorsitzender),<br />

Dr. Rosemarie Kamp, Verwaltungsdirektor Ralf Benninghoff (Vorstandsmitglied) und<br />

Direktor Burkhard Budde (Vorstandsvorsitzender). Nicht auf dem Foto zu sehen sind die<br />

stimmberechtigten Stiftungsratsmitglieder Dipl.-Kfm. Dietrich Willeke (stv. Stiftungsratsvorsitzender)<br />

und Bankdirektor Matthias Battefeld. Foto: Irma Weber<br />

4<br />

Schwester Luise erhielt vom<br />

Stiftungsratsvorsitzenden<br />

Peter Brackhahn auch einen<br />

bunten Blumenstrauß.


Fröhlicher und lebendiger Gottesdienst<br />

Zum Einschulungsgottesdienst der neuen Schüler der Hans-Georg-Karg-Schule trafen sich<br />

Kinder, Eltern, Lehrer und Angehörige in der Theodor-Fliedner-Kirche. Foto: Heike Otto<br />

5


„Traumwelt“ von Christa Meinecke<br />

Christa Meinecke (l.) mit ihrem Mann und<br />

der Apothekerin Karin Wallis.<br />

Verwaltungsdirektor Ralf Benninghoff bewunderte ein Werk der Künstlerin.<br />

6<br />

Die Ausstellung von Christa Meinecke aus<br />

Bortfeld, die eine „Traumwelt“ zeigt, war im<br />

Eingangsbereich des <strong>Marienstift</strong>es zu sehen.<br />

Die Künstlerin hat Werke erstellt, die eine<br />

Mischung aus gegenständlichen und abstrakten<br />

Motiven darstellen. In ihrer Begrüßung<br />

während der Ausstellungseröffnung betonte<br />

Oberin Angela Tiemann die „Farbenfreude“<br />

sowie die „ermutigende Aussagekraft“ der<br />

Kunst, zu der auch literarische Bezüge möglich<br />

seien. Der Kunsterzieher Hans Manhart<br />

interpretierte in seiner Würdigung einzelne<br />

Werke: „Die grundsätzliche Offenheit und<br />

nicht Festgelegtheit der Bilder lässt einen<br />

sehr angenehmen Deutungsspielraum zu.“<br />

Christa Meineckes Thema seien im eigentlichen<br />

Sinne die Malerei selbst und das intensive<br />

Spiel und Experiment mit den bildnerischen<br />

Mitteln, Materialien und Wirkkräfte<br />

des Bildes.


Die Künstlerin<br />

im Gespräch<br />

mit Direktionsassistentin<br />

Heike Otto (l.)<br />

und Erika<br />

Sommerfeld.<br />

Oberin Angela<br />

Tiemann eröffnete<br />

die „farbenfrohe<br />

Ausstellung“.<br />

Kunsterzieher<br />

Hans Manhart<br />

würdigte die<br />

„grundsätzliche<br />

Offenheit“<br />

der Bilder.<br />

7


„Für Menschlichkeit in der Pflege“<br />

8<br />

Die Auftaktveranstaltung der Kampagne<br />

„Für Menschlichkeit in der Altenpflege“<br />

fand am 1. Oktober in der St. Martini-Kirche<br />

in <strong>Braunschweig</strong> statt. Landesbischof Dr.<br />

Friedrich Weber und Landespfarrer Dr.<br />

Lothar Stempin verdeutlichten in ihren<br />

Ansprachen die Notwendigkeit, das Thema<br />

„Alter und Pflege“ in der Öffentlichkeit unter<br />

diakonisch-kirchlichen Gesichtspunkten zu<br />

diskutieren. Die Versorgung der Pflegebedürftigen<br />

sei gefährdet, da die Finanzierung<br />

der Pflege mit der demografischen Entwicklung<br />

nicht mehr Schritt halte. Die Diakonie<br />

strebe eine Pflege und Betreuung an, die<br />

menschliche Zuwendung, Seelsorge und<br />

Sterbebegleitung einschließen.<br />

Das <strong>Marienstift</strong> war bei dieser Auftaktveranstaltung<br />

u. a. mit dem Direktor sowie der<br />

Pflegedienstleiterin Schwester Anne John<br />

vertreten.<br />

Landesbischof<br />

Dr. Friedrich Weber<br />

Die stellvertretende Heimleitung und Pflegedienstleitung Schwester Anne John (r.) erläuterte<br />

das Konzept des „Nachtcafés“ im <strong>Marienstift</strong>.


Waggumer Frauenchor brachte Ständchen<br />

Die Bewohnerin Martha Prinz des Altenpflegheimes Bethanien wurde am 14. Oktober <strong>2003</strong><br />

anlässlich ihres 88. Geburtstages vom Waggumer Frauenchor mit einem Geburtstagsständchen<br />

überrascht. Als langjährige Waggumerin war sie gewissermaßen ein „Fan“ des Waggumer<br />

Frauenchores. Oft hat sie bei den öffentlichen Auftritten des Chores in den Reihen der Zuhörer<br />

gesessen. Aus gesundheitlichen Gründen ist dies nun leider nicht mehr möglich. Auf die<br />

Bitte der Sangesschwester Erika Burgtorf, für sie doch in Bethanien zu singen, erfolgte im Chor<br />

spontane Zustimmung.<br />

Nicht nur ein kleiner Blumenstrauß mit Tönen, sondern auch ein dauerhaftes buntes Blumenbukett<br />

sollte ihr den Geburtstag verschönen. Folgende Lieder haben nicht nur ihr und ihren<br />

Gästen, sondern auch weiteren Zuhörern aus dem Haus Freude bereitet:<br />

„Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt“<br />

(Engelterzett aus dem Oratorium „Elias“ nach dem Psalm 121<br />

von F. Mendelsohn-Bartholdy);<br />

„Wenn ich ein Glöcklein wär, schön wollt ich läuten“<br />

von Otto Fischer;<br />

„Im Abendrot: O, wie schön ist deine Welt, Vater, wenn sie golden strahlet“<br />

von Franz Schubert.<br />

Um noch mehr Fröhlichkeit aufkommen zu lassen, sang der Chor zum Abschluss „Sia<br />

Hamba“, einen afrikanischen Gospelsong mit der Bedeutung „Wir wandern, marschieren, laufen<br />

in Gottes Licht“.<br />

Die Freude der Jubilarin hat auch deren Chorleiter, Rudolf Schäfer und alle Sangesschwestern<br />

tief bewegt. Es zeigte, dass sie sich uns am richtigen Ort befanden.<br />

E. B.<br />

9


Im hohen Alter künstlerisch tätig<br />

Von Kunsttherapeutin Christiane Ferno<br />

Zur Ausstellungseröffnung „Zum Jahr der<br />

Bibel“ am 30. September <strong>2003</strong> mit Bildern<br />

von Bewohnerinnen und Bewohnern des<br />

Altenpflegeheimes Bethanien kamen zahlreiche<br />

Besucher.<br />

Angeregt auf der<br />

Dienstkonferenz für<br />

Altenheimseelsorge<br />

der Landeskirche hatte<br />

sich eine Projektgruppe<br />

mit dem Altenheimseelsorger<br />

des<br />

<strong>Marienstift</strong>es Horst<br />

Frede „Zum Jahr der<br />

Bibel“ gebildet, die<br />

verschiedene Alteneinrichtungen<br />

um ihre<br />

Mitwirkung bat.<br />

Tatjana Flache-<br />

Brandt, Beauftragte<br />

für Altenheimseelsorge<br />

der Evangelischen<br />

Landeskirche, berichtete<br />

in ihren Begrüßungsworten<br />

von<br />

weiteren Projekten,<br />

die entstanden waren,<br />

so u. a. ein Theaterstück<br />

zu Frauengestalten<br />

in der Bibel<br />

und auch ein Videofilm, in dem junge Menschen<br />

Bewohner befragten.<br />

Doch die älteren Menschen von Bethanien<br />

waren die Einzigen, die sich dem Thema<br />

„malerisch“ genähert hatten. Ein halbes Jahr<br />

hatten sich die Bewohner auf Horst Fredes<br />

Vorschlag hin in der Kunsttherapie unter der<br />

Leitung von Christiane Ferno auf die Ausstellung<br />

vorbereitet.<br />

Der Sohn einer Bewohnerin, Pastor Joachim<br />

Vahrmeyer, sprach in seiner Eröffnungsrede<br />

von der „regen geistigen Vorarbeit“, die<br />

zunächst einmal geleistet werden musste:<br />

10<br />

Als „Dankeschön“ erhielten die Künstlerinnen<br />

eine Sonnenblume.<br />

„Da erinnere ich mich an eine biblische<br />

Geschichte. Sie liegt mir am Herzen. Sie<br />

möchte ich ins Bild bringen.<br />

Nun muss ich überlegen: Welchen Augenblick<br />

dieser Geschichte will ich wählen und<br />

darstellen? Dann:<br />

Von woher soll der<br />

Betrachter schauen,<br />

von oben, von der<br />

Seite oder von unten?<br />

Das alles hat Einfluss<br />

auf die Wirkung<br />

des Bildes. Dann:<br />

Was ist mir an dieser<br />

Szene besonders<br />

wichtig? Was will ich<br />

hervorheben, was<br />

weglassen?<br />

Nun kommt noch<br />

dazu, dass ich meine<br />

Fähigkeiten einschätzen<br />

muss: Was kann<br />

ich malen, was nicht?<br />

Wie muss ich also<br />

mit dem Motiv umgehen?“<br />

Entwürfe wurden<br />

angelegt, manches<br />

auch wieder verworfen.<br />

Manchmal war<br />

die Vorstellung eine andere, als das, was dann<br />

letztendlich auf dem Papier entstand. Eine<br />

Bildidee umzusetzen erfordert auch Mut.<br />

„Im hohem Alter noch etwas zu wagen“, so<br />

beschrieb es die Bewohnerin Dr. Eva Böhmig<br />

(90 Jahre) in ihrer Ansprache.<br />

„Das kann ich nicht.“ – „Da blamiere ich<br />

mich.“ – „Was soll das denn?“ –So „tönte es<br />

Frau Ferno oft entgegen.“<br />

„Am Anfang ist es ein Spiel. Farbe, Pinsel,<br />

weißes Papier wecken vielleicht Erinnerungen<br />

an spannende Erwartung in Kindertagen.<br />

Farben locken – sie vermischen sich –


unerwartete Wirkungen entstehen. Auch<br />

etwas trüb gewordene Augen erkennen das.<br />

Wenn die Hand zittert, stört das nicht.<br />

Hemmungen weichen, es macht Freude –<br />

der Mut wächst...<br />

Landschaften entstehen oft aus der Phantasie.<br />

Perfektion ist kein Maßstab. Oft ist Angedeutetes<br />

lebendiger als deutlich Ausgeführtes.<br />

Immer ist in den<br />

Bildern etwas von unserer<br />

eigenen Persönlichkeit“,<br />

sagte sie.<br />

Frau Böhmig hatte<br />

einen Engel gemalt,<br />

der auf einem Hügel<br />

vor einer modernen<br />

Großstadt steht.<br />

Wichtig war ihr in<br />

unseren Gesprächen<br />

auch immer der Zeitbezug<br />

biblischer Themen<br />

zu unserem heutigen<br />

Leben.<br />

„Im Alten und<br />

Neuen Testament<br />

kommen oft Engel<br />

vor,“ fuhr sie fort, „als<br />

Boten und Verkünder<br />

Gottes – ganz alltäg-<br />

lich oft: bedrohend,<br />

warnend, Unheil verkündend,<br />

Weg weisend,<br />

tröstend – sie<br />

können Nahrung bringen<br />

oder den Frieden<br />

verkünden und jubilieren. Immer dienen sie<br />

dem Frieden.“<br />

Weitere Bildinhalte der Ausstellung waren<br />

der Brennende Dornbusch, Noah, Jona, die<br />

Wüste, Gräser und andere christliche Symbole,<br />

Landschaften und abstrakte Malerei.<br />

Alle Malerinnen und Maler:<br />

Annemarie Bartkowiak, 80 Jahre; Eva<br />

Böhmig, 90 Jahre; Kurt Böhm, 73 Jahre;<br />

Heinz Borchers, 84 Jahre; Katharina End-<br />

Bewohnerin Dr. Eva Böhmig während ihrer<br />

Erläuterungen. Altenheimseelsorger Horst<br />

Frede sorgte sich auch um die Technik.<br />

res, 86 Jahre; Ilse Homann, 91 Jahre; Ilse<br />

Leichtweiß, 90 Jahre; Helga Orth, 76 Jahre;<br />

Henny Rissel, 94 Jahre, Viktor Seidl, 73<br />

Jahre; Ilse Schröder, 94 Jahre; Ursula<br />

Vahrmeyer, 91 Jahre und Hildegard Wittgens,<br />

84 Jahre, bekamen als Dankeschön<br />

vom <strong>Marienstift</strong> eine Sonnenblume überreicht<br />

und waren eingeladen im Anschluss<br />

mit Gebäck und einem Glas Sekt anzustoßen.<br />

Immer wieder war<br />

von Besuchern der<br />

Ausstellung zu hören:<br />

„Wie erstaunlich!“<br />

und „In so hohem<br />

Alter!“<br />

Frau Flache-<br />

Brandt, der die Arbeiten<br />

sehr gut gefielen,<br />

lieh sich gleich<br />

drei Bilder aus, um<br />

sie mit zum Seniorentag<br />

(SenNova)<br />

nach Hannover zu<br />

nehmen und auf dem<br />

dortigen Stand für<br />

Altenheimseelsorge<br />

der Ev. Landeskirche<br />

zu zeigen. Auch dort<br />

fanden sie große<br />

Anerkennung.<br />

Pastor Vahrmeyer<br />

lobte „welch große<br />

Leistung und welchen<br />

Erfolg diese<br />

kleine Ausstellung<br />

bedeutet, wie viel Mühe, Denken und Tun,<br />

Einstellung und Einfühlung hier nötig waren,<br />

damit die Ausstellung eröffnet werden konnte.“<br />

Er dankte den Menschen von Bethanien,<br />

die dies ermöglicht hatten und wünschte,<br />

dass der Geist, der aus dieser Ausstellung<br />

spreche, weiter wirke, „den alten Menschen<br />

bei allem Schweren zur Freude, Stärke,<br />

Ermutigung und Hoffnung und uns allen zur<br />

Erbauung.“<br />

11


Es wird mir warm ums Herz, als Helge<br />

Makrutzki mich vor ihrer Wohnungstür im<br />

Von-Campe-Haus des <strong>Marienstift</strong>es mit<br />

herzlichen Worten und einem Hauch „Berliner<br />

Schnauze“ begrüßt. Ich komme unangemeldet,<br />

aber ich spüre: Frau Makrutzki hat<br />

eine weit geöffnete Tür für Menschen. Und<br />

als sie mich dann einlädt Platz zu nehmen<br />

inmitten des Blumenparadieses auf ihrem<br />

Balkon, erlebe ich, das ihr Herz nicht nur für<br />

die Menschen, sondern für die Vielfalt des<br />

Lebens in Gottes Schöpfung schlägt. Und<br />

aus der Vielfalt der Schöpfung bezieht sie<br />

Anregungen und „Material“ für ihre Kunst.<br />

Aus gepressten Blüten und Blättern zum<br />

Beispiel gestaltet Frau Makrutzki auf Karten<br />

und in <strong>Heft</strong>en und<br />

Büchern ihre entzückenden,humorvollen<br />

Gestalten und<br />

Bilder, die so oft auch<br />

durch die beigefügten<br />

Aphorismen und<br />

Verse zum Nachdenken<br />

herausfordern.<br />

Während Frau<br />

Makrutzki in ihrer<br />

Wohnung hantiert<br />

und erzählt, bestätigt<br />

sich mir: sie ist ein<br />

Mensch, der nicht nur<br />

Kunst produziert,<br />

schafft, gestaltet, sondern<br />

sie ist Künstlerin<br />

mit ihrem ganzen<br />

Dasein, durch und<br />

durch. „In der Schule“,<br />

so erzählt sie,<br />

12<br />

Lebensgeschichte(n) im Alter<br />

„Künstlerin aus Liebe“<br />

Von Pastorin Karin Hille<br />

Die Künstlerin Helge Makrutzki im Jahre<br />

1985 vor ihren Werken.<br />

„habe ich meinen Schwerpunkt auf Kunst<br />

und Musik gelegt; für den Rest der Fächer<br />

hatte ich weder Zeit noch Neigung.“ Sie<br />

wurde Technische Zeichnerin, heiratete 1944<br />

in Berlin, ist begeisterte Mutter von zwei<br />

Töchtern und einem Sohn und inzwischen<br />

auch Großmutter. Bald nach dem Krieg kam<br />

sie nach <strong>Braunschweig</strong>. Schlimme Kriegserfahrungen<br />

blieben ihr nicht erspart. Ihr Mann<br />

war in französischer Kriegsgefangenschaft,<br />

ihre Mutter geriet in eine dreijährige russische<br />

Gefangenschaft.<br />

Der Durchbruch zu ihrem künstlerischen<br />

Lebenswerk bekam einen entscheidenden<br />

Impuls durch ein Buch von Max Wedemeyer,<br />

das kurz nach dem 2.<br />

Weltkrieg erschien<br />

mit dem Titel: „In der<br />

Welt habe ihr Angst.“<br />

„Wir alle hatte<br />

schlimme Erfahrungen<br />

mit der Angst<br />

hinter uns“, so erinnert<br />

sich Frau<br />

Makrutzki, „und ich<br />

erlebte, dass die<br />

Angst weiterhin in<br />

der Welt umhergeisterte,<br />

auch als der<br />

Krieg zuende war.<br />

Ich fragte mich, was<br />

ich in Gottes Auftrag<br />

tun könne für die<br />

Menschen und gegen<br />

ihre Angst.“<br />

Und dann hatte<br />

Frau Makrutzki eine


Idee, die sich als Vision wie ein roter Faden<br />

durch alle Varianten und Entwicklungen<br />

ihres kreativen Lebenswerkes hindurchzieht:<br />

Hilfe durch Kontemplation und gemeinsame<br />

Aktion.<br />

„Ich las und sammelte Texte aus Zeitschriften,<br />

Büchern und Kalendern,“ so erzählt<br />

sie, „ich schnitt aus und klebte Texte,<br />

Denkanstöße, Skizzen, Bilder, alles, was<br />

zum Betrachten und Nachdenken, zum Trost<br />

und zum Schmunzeln, zur Freude und Lebensbewältigung<br />

anregen konnte, in DIN A<br />

4-Schulhefte, die ich so zu Bildbänden<br />

gestaltete. Da ich gern malte und zeichnete,<br />

konnte ich immer wieder die Farbigkeit und<br />

Überraschungen in die Gestaltung einbringen.<br />

Und dann lieh ich die <strong>Heft</strong>e an junge und<br />

alte, gesunde und kranke Menschen aus mit<br />

der Bitte um Weitergabe, wenn sie ausgelesen<br />

hatten. So kamen immer wieder Menschen<br />

dadurch auch miteinander ins Gespräch.<br />

Und da man damals ja noch nicht<br />

photokopierte, brauchte ich viele Helferinnen<br />

und Helfer, und, Gott sei Dank, ich fand<br />

sie auch, z. B. im Mütterkreis der Pauli-<br />

Gemeinde. Einmal im Monat, wenn mein<br />

Mann sich früh auf den Weg zu seiner Arbeit<br />

gemacht hatte, wurde unsere ganze Wohnung<br />

zu einer Werkstatt umgestaltet. Abends,<br />

wenn er zurückkam, musste alles wieder aufgeräumt<br />

sein. Tagsüber wurden in allen Zimmern<br />

Arbeitstische eingerichtet; wir schnitten<br />

aus und klebten, diskutierten und malten<br />

und hatten unsere Freude an der gemeinschaftlichen<br />

Gestaltung der <strong>Heft</strong>e. Und wir<br />

verteilten Aufgaben für den nächsten<br />

gemeinsamen Arbeitstag. Nicht alle konnten<br />

kommen. Ich erinnere mich an einen schwer<br />

krebskranken Patienten, der das Bett nicht<br />

mehr verlassen konnte. Aber er hatte eine<br />

Arbeitsplatte auf seinem Bett und konnte<br />

dort schneiden und gestalten, und er tat es bis<br />

fast zuletzt. Seine Frau brachte jede Woche<br />

seine „gesammelten Werke“ und berichtete,<br />

dass solche Arbeiten den schweren Krankheitstagen<br />

ihres Mannes Lebensqualität vermittelten.“<br />

Nach einer Pause fügt Frau Makrutzki<br />

noch hinzu: „Ich war so mutig, den damaligen<br />

Oberlandeskirchenrat in Wolfenbüttel<br />

Max Wedemeyer, dessen Buch mir so viele<br />

Impulse gegeben hatte, um einen Gruß mit<br />

Unterschrift für jedes <strong>Heft</strong> zu bitten. Er war<br />

es dann auch, der meine Arbeiten an die<br />

Evangelische Buchhilfe in Kassel und mir<br />

dort das Lektorat vermittelte.<br />

Frau Makrutzkis Ideen und Einfälle werden<br />

nicht in abgehobenen Sphären, schon gar<br />

nicht am Schreibtisch, sondern mitten im<br />

Leben und in der Kommunikation mit Menschen<br />

geboren und entwickelt. Als sie einmal<br />

eine schwerkranke Patientin besuchte und ihr<br />

eine ihrer Mappen zum Lesen und Anschauen<br />

mitbrachte, stellte sie fest, dass die Patientin<br />

das <strong>Heft</strong> nicht mehr halten konnte. Aus<br />

dieser Erfahrung und dem Wunsch zu helfen<br />

entwickelte Frau Makrutzki das Projekt der<br />

Querbücher für Bettleser: Lese- und Bildhefte,<br />

die quer zu legen sind und nicht mit<br />

13


zwei Händen geblättert werden müssen, sondern<br />

mit einem Finger seitenmäßig herabgeklappt<br />

werden und so von dem Kranken<br />

betrachtet werden können. Seit Mitte der<br />

sechziger Jahre haben solche Querbücher, im<br />

Brendow-Verlag erschienen, ungezählten<br />

bettlägerigen Lesern ihre schweren Krankheitstage<br />

erleichtert und bereichert.<br />

Als in den sechziger Jahren eins ihrer Kinder<br />

im Krankenhaus liegen musste, hatte das<br />

zur Folge, dass auf kahlen Zimmer- und<br />

nüchternen Glaswänden des Holwede-Kinderkrankenhauses<br />

plötzlich erkältete Pinguine<br />

mit dickem Schal um den Hals oder Bären<br />

mit gebrochendem Bein schwer daherhumpelnd<br />

zu sehen waren. Schwestern, Ärzte und<br />

viele Kinder freuten sich über diese „Lichtblicke“.<br />

Der damalige Chefarzt Dr. Dannenbaum<br />

und die Stadt <strong>Braunschweig</strong> dankten der<br />

Malerin für diese Arbeit.<br />

In Altenheimen wurde auf Faschingsfesten<br />

von scharfen Blicken eine singende Zarah<br />

Leander plötzlich als Helge Makrutzki entlarvt.<br />

Gern gestaltete sie für alte Menschen<br />

auch mal eine Modenschau. Aber viel wichtiger<br />

war ihr, auch kranke und behinderte<br />

Menschen zu eigener Aktivität und Kreativität<br />

anzuregen: zum Lesen und Betrachten,<br />

zum Gespräch und Gestalten.<br />

Drei Arbeitshilfen von ihr für die Seniorenarbeit<br />

erschienen im Friedrich Bahn-<br />

Verlag Konstanz.<br />

Ihrer Dankbarkeit und Freude über ihre jetzige<br />

schöne Wohnung im Von Campe-Haus<br />

des <strong>Marienstift</strong>es möchte Frau Makrutzki<br />

dadurch Ausdruck geben, dass sie dem<br />

<strong>Marienstift</strong> 20 Aquarellbilder geschenkt hat,<br />

die demnächst im Pflegeheim Bethanien aufgehängt<br />

werden.<br />

Frau Makrutzki stellt ihre Kunst rundum in<br />

den Dienst der Menschen, vor allem kranker<br />

und hilfsbedürftiger Menschen. Nicht die<br />

Kunst um ihrer selbst willen liegt ihr am Herzen<br />

und schon gar nicht die Bewunderung<br />

ihrer Person, sondern die Freude und Sinner-<br />

14<br />

fahrung, die sie vor allem den Menschen vermitteln<br />

möchte, die es schwer im Leben<br />

haben. Immer wieder hat sie erlebt, wie nahe<br />

beieinander Leid und Freude sein können.<br />

Freude und Sinnerfahrung zu vermitteln<br />

gerade auch in Zeiten schwerer Krankheit,<br />

Schwäche und Angst ist das große Thema<br />

ihres Lebenswerkes. Unter diesen Auftrag<br />

hat sie ihre Kunst gestellt, die Kunst der bildnerischen<br />

Gestaltung, die Kunst des Wortes<br />

und die Kunst der Kommunikation.<br />

Auf eine ihrer Karten hat sie einen Satz<br />

geschrieben, den sie sich aus einem<br />

Gespräch mit ihrer Ärztin gemerkt hat: „Man<br />

sollte die Leute nicht fragen: Wie geht es<br />

Ihnen? sondern: Haben Sie heute schon mal<br />

gelacht?“ Frau Makrutzki, die seit einer Operation<br />

im vergangenen Jahr gehbehindert ist,<br />

möchte, auch wenn sie sich nicht mehr<br />

selbstständig fortbewegen kann, ihr Leben<br />

als Künstlerin weiterführen. So hat sie schon<br />

technische Vorrichtungen geplant, mit deren<br />

Hilfe sie auch im Bett – wenn das einmal sein<br />

müsste – weiterarbeiten und gestalten kann.<br />

Durch ihrer Kunst möchte sie auch mit allen<br />

möglichen Behinderungen des Alters Freude<br />

erleben und Freude weitergeben. Die folgenden<br />

Worte von Hedwig Maria Winkler sind<br />

ihr aus dem Herzen gesprochen:<br />

Freude,<br />

du Schwester des Dunkels,<br />

Schwester des Leids,<br />

größer denn alles,<br />

Bewegerin der Zeit.<br />

Freude,<br />

vom Herzen Gottes<br />

gesandt in die Zeit,<br />

flutend umhülle<br />

mein Licht und mein Leid.<br />

Der abschließende Wunsch von Frau<br />

Makrutzki ist: wenn sie eines Tages heimgerufen<br />

wird, möge nicht ein „Wust“ – wenn<br />

auch kostbarer – Materialien zurückbleiben.<br />

Vielmehr strebt sie an, DIN A4-Schulhefte in<br />

„ihrer Manier“ vorzubereiten. Lose Materialen<br />

darin laden zum Fertigstellen ein.


Die diakonische<br />

Altenhilfe ist<br />

keine Maschine.<br />

Mit diesem lakonischen<br />

Satz<br />

könnte der Kommentar<br />

zu diesem<br />

Thema erledigt<br />

sein. Man kann<br />

diesem technischen<br />

Bild aber<br />

auch eine Aussagekraft<br />

für die<br />

diakonische Altenhilfe zubilligen. Auf den<br />

Prüfstand kommen Prototypen, Autos vor<br />

der Produktion, um ihre Leistungsfähigkeit<br />

und Qualität zu messen, aber auch betagte<br />

Fahrzeuge, um festzustellen, ob sie noch<br />

verkehrstauglich sind. Gegenwärtig muss<br />

das Fahrzeug Altenhilfe auf den zuletzt<br />

genannten Prüfstand, weil es in seiner Fahrtüchtigkeit<br />

eingeschränkt ist und wesentliche<br />

seiner Bauteile gefährdet sind.<br />

Zunächst muss das Treibstoffsystem<br />

überprüft werden, Korrosion breitet sich<br />

aus. Der monetäre Mangel nagt an der<br />

Altenpflege wie der Rost am Blech: Die<br />

Entgelte stehen nicht mehr in einem ausgewogenen<br />

Verhältnis zu den erbrachten Leistungen.<br />

Die Zahlungen der Kostenträger<br />

decken nicht die Ausgaben für Personalund<br />

Sachkosten ab. Diese Spannung führt<br />

immer mehr diakonische Einrichtungen der<br />

Altenhilfe in Existenznot. Zusätzlich werden<br />

die Investitionskostenzuschüsse der<br />

öffentlichen Hand radikal zurückgefahren.<br />

Das Land Niedersachsen steigt aus der<br />

Investitionsförderung der stationären Altenhilfe<br />

aus – mit der Folge, dass mehr<br />

Menschen zu Sozialhilfeempfängern wer-<br />

Der Gastkommentar<br />

Altenhilfe auf den Prüfstand<br />

Von Landespfarrer Dr. Lothar Stempin<br />

den, weil sie die Pflegesätze nicht mehr<br />

selbst bezahlen können. Unfreiwillig werden<br />

die Kommunen als Sozialhilfeträger in<br />

die Pflicht genommen, aber sie werden von<br />

den Altenhilfeträgern eine Absenkung der<br />

Kosten verlangen. Damit wird eine Zweiklassen-Pflege<br />

installiert, weil in den Häusern<br />

gesonderte Pflegesätze für Sozialhilfeempfänger<br />

und für die Selbstzahler berechnet<br />

werden.<br />

Dann droht das Fahrzeug Altenhilfe die<br />

Betriebserlaubnis zu verlieren, weil es nicht<br />

auf die sich ständig ändernden Betriebsstandards<br />

zu reagieren vermag. Gestern<br />

noch war das Einzelzimmer das Gebot der<br />

Stunde, heute will der Kostenträger davon<br />

nichts mehr wissen. Heimgesetz und Pflegequalitätssicherunggsgesetz<br />

sollen die<br />

Pflegequalität erhöhen, setzen aber einen<br />

erhöhten Dokumentations- und Qualifizierungsaufwand<br />

voraus, der nicht finanziert<br />

wird. Letztlich nehmen die Kostenträger<br />

eine Leistungsabsenkung billigend in Kauf,<br />

schieben aber den Schwarzen Peter der<br />

Altenhilfe zu, weil diese die Qualitätseinbußen<br />

vor den Bewohnern und deren<br />

Angehörigen vertreten muss.<br />

Schließlich fehlt es dem Fahrzeug Altenhilfe<br />

an Personal. Heute fehlen schon mehr<br />

als 1600 Fachkräfte in der Altenhilfe in Niedersachsen.<br />

Das Personal ist außerordentlich<br />

beansprucht, und die Arbeitsbedingungen<br />

sind schwierig. Auf Grund demografischer<br />

und gesellschaftlicher Entwicklungen<br />

wird die Zahl der in gut erreichbarer Nähre<br />

lebenden Angehörigen abnehmen. Damit<br />

wächst die Gefahr von Vereinsamung in der<br />

Altenpflege. Kann die Versorgungsqualität<br />

künftig unabhängig vom Einsatz Ehrenamtlicher<br />

sichergestellt werden?<br />

15


Prüfstände in Forschungsabteilungen<br />

erproben neue Techniken und Materialien.<br />

Die diakonische Altenhilfe leistet ebenfalls<br />

Entwicklungsarbeit für eine künftige<br />

Gestalt der Altenhilfe. Wie sieht dieser Prototyp<br />

<strong>ev</strong>angelischer Altenhilfe aus?<br />

Das Modell der Zukunft sind integrierte<br />

Versorgungssysteme, in denen Arzt, Krankenhaus,<br />

ambulanter Dienst und stationäre<br />

Altenhilfeeinrichtung flexibel und eng<br />

zusammenarbeiten. Die Diakonie kann die<br />

strukturellen Voraussetzungen für eine verbesserte<br />

Versorgungsintegration und -koordination<br />

bieten, z. B. durch neue Formen der<br />

Zusammenarbeit zwischen diakonischer<br />

Einrichtung, den Kirchengemeinden und<br />

Freiwilligen. Auf die Veränderung von<br />

Morbidität und Lebenserwartung wird die<br />

Diakonie mit veränderten und erweiterten<br />

Angebotsstrukturen antworten, die deutlicher<br />

auf die Wünsche der Bewohner bezogen<br />

sind. Im Alter benötigen Menschen<br />

auch eine intensive Beratung und Begleitung;<br />

das kann die Diakonie zusammen mit<br />

den Gemeinden bieten.<br />

Diakonie entwickelt einen erweiterten<br />

Pflegebegriff. Die weitgehend dominierenden<br />

körperbezogenen Maßnahmen („handwerkliche<br />

Pflege“) werden ergänzt, vielleicht<br />

sogar teilweise ersetzt werden durch<br />

die edukativen, anleitenden und beratenden<br />

Aufgaben einer auf Gesundheits- und Autonomieerhalt<br />

zielenden Pflege. So werden<br />

umfassend die körperlichen, seelischen,<br />

geistigen, sozialen, kulturellen und religiösspirituellen<br />

Bedürfnisse des ganzen Menschen<br />

wahrgenommen und berücksichtigt.<br />

Mit der Verlängerung der durchschnittlichen<br />

Lebenserwartung ändert sich die Morbidität<br />

nicht nur quantitativ, sondern auch<br />

qualitativ. So muss zum Beispiel auf die<br />

wachsende Zahl demenzkranker und stark<br />

betreuungsbedürftiger Menschen eingegangen<br />

werden. Anerkannte Altenpflegeziele<br />

wie Aktivierung, Prävention und Rehabilitation<br />

können angesichts von Hochaltrigkeit<br />

und Multimorbidität nur noch ansatzweise<br />

erreicht werden.<br />

16<br />

Die schwierigste Aufgabe bei der Entwicklung<br />

eines diakonischen Prototyps der<br />

Pflege stellt sich auf dem Feld der Kosten.<br />

Ohne eine Reform der Pfleg<strong>ev</strong>ersicherung<br />

können keine qualitätsvollen Formen der<br />

Altenhilfe geschaffen werden. Alle Kostenträger<br />

und Leistungserbringer im Bereich<br />

der Pflege müssen sich aber auch dem<br />

europäischen Vergleich stellen. Vergleichende<br />

Studien zeigen, dass die Qualität<br />

bzw. die Ergebnisse des deutschen Gesundheitswesens<br />

nicht in Relation zum Mitteleinsatz<br />

stehen. Alle Kostenträger und Leistungserbringer<br />

sind also gefordert, die vorhandenen<br />

und zukünftigen finanziellen Ressourcen<br />

optimiert einzusetzen.<br />

Diakonische Altenhilfe kann sich nicht<br />

damit zufrieden geben, ein Sektor der Sozialwirtschaft<br />

zu sein. Die diakonische Prägung<br />

der Pflege geschieht vornehmlich über<br />

die Mitarbeitenden. Benötigt wird also nicht<br />

nur Personal; notwendig sind Personen, die<br />

den geistlichen, theologischen und ethischen<br />

Überzeugungen des Christentums<br />

Gestalt geben. Der Ausbildung und Zurüstung<br />

der Mitarbeitenden widmet die Diakonie<br />

einen großen Raum. Bewähren wird<br />

sich dieses in einer würdigen Pflege, aber<br />

auch in einer achtungsvollen Sterbebegleitung.<br />

Versteht man Prüfstände als Orte, an<br />

denen sich Vorhandenes bewähren soll und<br />

Neues versucht wird, dann gibt es durchaus<br />

einen biblischen Beleg für dieses Tun. Der<br />

Apostel Paulus hat seinen Gemeinden geraten:<br />

„Prüfet alles, aber das Gute behaltet“. In<br />

einem solchen Prüfverfahren befindet sich<br />

zurzeit die diakonische Altenhilfe. Sie muss<br />

sich ihrer Grundlagen und ihres Auftrages<br />

vergewissern, sie muss den Mut aufbringen,<br />

zu prüfen und zu unterscheiden zwischen<br />

gut und weniger gut. Man könnte auch<br />

sagen, die <strong>ev</strong>angelische Altenhilfe befindet<br />

sich in einem Läuterungsprozess.<br />

(Der Autor ist Direktor des Diakonischen<br />

Werkes der Landeskirche in <strong>Braunschweig</strong>.)


Das Besondere des Spenger Altars<br />

Spenger Stadtpreis an Burkhard Budde verliehen<br />

Die Stadt Spenge im Kreis Herford in Westfalen hat den diesjährigen Stadtpreis an den Direktor<br />

des <strong>Marienstift</strong>es, Burkhard Budde, verliehen, der von 1981 bis 1994 Gemeindepfarrer<br />

in der <strong>ev</strong>angelischen Kirchengemeinde Spenge war. Ihm war es 1993 mit Hilfe einer Bürgerbewegung<br />

gelungen, den „Martinsaltar“ aus dem 19. Jahrhundert von Münster aus dem Archiv<br />

des Landesmuseums nach Spenge zurückzuholen.<br />

Der Spenger Altar schildert einzelne Situationen der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu sowie<br />

seine Auferstehung. Diese Botschaften verbindet er mit der Darstellung der Mantelteilung<br />

des heiligen Martins. 1877 hatte das Presbyterium der Kirchengemeinde beschlossen<br />

den Altar dem westfälischen Kunstverein in Münster zu verkaufen, da die Spenger Martins-<br />

Kirche baulich vergrößert werden musste und man offensichtlich den Wert des Altars verkannt<br />

hatte.<br />

Der Altar, der nicht nur zur „kulturellen Identität“ der Stadt Spenge gehört, sondern auch ein<br />

wichtiges Geschichts- und Kulturgut in Westfalen darstellt, hat auch eine überregionale Bedeutung:<br />

Trafen sich bei der Stadtpreisverleihung in Spenge (v. l. n. r.) Rechtsanwalt und Notar Wolfgang<br />

Meier, Apotheker Eberhard Groeger, Pastor Burkhard Budde, Bürgermeister Christian<br />

Manz, Presbyter Klaus Vollmer sowie Dieter Meyer vom Städtischen Kulturamt.<br />

17


„Martin teilt seinen Mantel“ (Ausschnitt aus dem Spenger Altar)<br />

Das Besondere der „Mantelteilung“ und der „Hintergrundfiguren“:<br />

Martin, der eine ritterliche Rüstung trägt, wird begleitet von einem reitenden „Ritter“ im Hintergrund,<br />

der betend zum Himmel blickt. Das Geschehen wird bereits im Horizont des Glaubens<br />

gedeutet. („Zwei Ritter“!)<br />

Martin teilt seinen Mantel nicht nur mit einem „Bettler“ (eine Person, die keine Füße hat und<br />

bis auf einen Lendenschurz unbekleidet ist und mit ihrer linken Hand nach seinem Mantel<br />

greift). Ein weiterer notleidender Mensch mit einem Holzbein kommt von links. Er stützt<br />

sich auf einen langen Stab; in der rechten Hand hält er eine Schale. Auf seiner Schulter sucht<br />

ein weiterer Mann Halt und Orientierung; er scheint blind zu sein. Von einem vierten „Bettler“<br />

ist nur der Kopf zu sehen. Aber auch er bewegt sich hin zum „Heiligen Martin“, von dem<br />

er offensichtlich etwas erwartet. („Vier Bettler“!)<br />

Fast alle Szenen haben eine einheitliche Komposition im Blick auf die „Rand- und Hintergrundfiguren“,<br />

die Kriegsknechte, die als Zuschauerblock immer zugleich ganz unterschiedlich<br />

engagierte Betroffene und Beteiligte des Geschehens sind. Der Altar erzählt nicht nur<br />

von der Trauer vieler Menschen, von Hoffnungen und vom Vertrauen angesichts der Leidensgeschichte<br />

Jesu, sondern er weiß auch viel von zynischem Humor, seelischer Gleichgültigkeit,<br />

frechem Hochmut und gedankenloser Selbstgerechtigkeit.<br />

(„Rand- und Hintergrundfiguren“!)<br />

18


Ein Blick in die Diakonische Galerie<br />

Bastian Andres aus <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Der ehemalige Kirchmeister<br />

Günter Biermann aus Spenge;<br />

rechts Otto Quirll aus Isselburg.<br />

19


Lena Kreie, Mitarbeiterin des „Frauen<br />

Archivs <strong>Braunschweig</strong>“.<br />

20<br />

Paul Adrian Schulz aus <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Prof. Horst Schumacher aus Berlin.


Heinrich Franzkowiak<br />

aus <strong>Braunschweig</strong>.<br />

Besuchen Sie unsere<br />

DIAKONISCHE GALERIE<br />

– im Mutterhaus, erste Etage –<br />

„Leben mit dem Kreuz“<br />

in Geschichte und Gegenwart<br />

Öffnungszeiten: Montags bis Freitags<br />

von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr<br />

Sonntags von 10.30 bis 12.00 Uhr<br />

und nach Vereinbarung.<br />

Führungen: Interessierte Einzelpersonen oder Gruppen<br />

werden gebeten, sich im Blick auf<br />

Führungen im Direktionssekretariat des<br />

<strong>Marienstift</strong>es anzumelden.<br />

Tel.: 05 31/70 11-1 oder 70 11-3 04;<br />

Fax: 05 31/70 11-5 04<br />

E-Mail: B.Budde-<strong>Marienstift</strong>@t-online.de<br />

21


Geschäftsführung des <strong>Marienstift</strong>es<br />

Der dreiköpfige Vorstand der diakonischen Einrichtung, der die laufenden Geschäfte führt<br />

und gemeinsam verantwortlich für die Aufgaben der Dienstvorgesetzten ist (v. l. n. r.): Verwaltungsdirektor<br />

Ralf Benninghoff, Direktor Burkhard Budde (Vorsitzender), Oberin Angela<br />

Tiemann. Foto: Dietrich Willeke<br />

Unabhängig von der gemeinsamen Gesamtverantwortung hat jedes Vorstandsmitglied<br />

Schwerpunkte in folgenden Bereichen:<br />

DIREKTOR<br />

Burkhard Budde<br />

Zum Geschäftsbereich gehört<br />

u. a.:<br />

– Sprecher des Vorstandes<br />

und Repräsentant der Stiftung<br />

gegenüber der Öffentlichkeit,<br />

– Vertretung der Stiftung<br />

nach innen und außen,<br />

– Verantwortung für alle<br />

operativen Fragen des Altenpflegeheimes,<br />

– Erster Ansprechpartner der<br />

leitenden Ärzte, (Vorsitz.<br />

der Klinikkonferenz)<br />

– Öffentlichkeitsarbeit,<br />

– Unterrichtung des Stiftungsrates,<br />

– Übergreifendes<br />

Qualitätsmanagement.<br />

22<br />

OBERIN<br />

Angela Tiemann<br />

Zum Geschäftsbereich gehört<br />

u. a.:<br />

– Leitung des Mutterhauses<br />

(Repräsentation, Vertretung<br />

der Diakonissen und Diakonischen<br />

Gemeinschaft,<br />

Tagungsarbeit, Partnerschaftsarbeit,<br />

Fortbildung,<br />

Feste, Feiern, kulturelle<br />

Veranstaltungen, Gästearbeit),<br />

– Verantwortung für alle operativen<br />

Fragen der Ausbildungsstätten,<br />

– Erster Ansprechpartner für<br />

die „Grünen Damen“,<br />

– Verantwortung für die<br />

Seelsorge,<br />

– Jordanshöhe.<br />

VERW.-DIREKTOR<br />

Ralf Benninghoff<br />

Zum Geschäftsbereich gehört<br />

u. a.:<br />

– Personalverwaltung,<br />

– Finanzwesen (u. a. Prüfungsbericht),<br />

– Vorbereitung und Umsetzung<br />

der Wirtschafts- und<br />

Investitionspläne<br />

– Leistungsentgelte,<br />

– Beschaffungswesen,<br />

– Verantwortung für alle operativen<br />

Fragen des Krankenhauses,<br />

– Erster Ansprechpartner für<br />

die Mitarbeitervertretung,<br />

– Zivildienst.


Verwaltungsdirektor Ralf Benninghoff<br />

Neues Vorstandsmitglied seit dem 1. Juni <strong>2003</strong><br />

Mein Name ist<br />

Ralf Benninghoff, ich<br />

wurde am 5.12.1966<br />

in Sande im Landkreis<br />

Friesland geboren.<br />

Meine Kinderund<br />

Jugendzeit und<br />

somit auch Schulzeit<br />

verbrachte ich ebenfalls<br />

um Sande herum.<br />

Nach einer Ausbildung<br />

zum Industriekaufmann bei den<br />

Thyssen Nordseewerken in Emden kam die<br />

Zeit in der viele junge Männer zur Bundeswehr<br />

müssen. Auch für mich war die Zeit<br />

gekommen und so ging ich für zwei Jahre<br />

zur Marine in Wilhelmshaven, wobei dies<br />

für mich ein schöner heimatnaher Einsatzort<br />

war. Durch den Einsatz auf der Fregatte Lübeck<br />

und einigen Auslandeinsätzen, der<br />

längste dauerte sechs Monate, konnte von<br />

heimatnah im Grunde nicht mehr gesprochen<br />

werden. Doch haben mir diese zwei<br />

Jahre viele neue Eindrücke beschert. Nach<br />

der Bundeswehrzeit absolvierte ich ein Betriebswirtschaftsstudium<br />

an der Fachhochschule<br />

in Wilhelmshaven. Anschließend,<br />

nach kleinen Abstechern in den Personalund<br />

Bankenbereich bot sich die Möglichkeit<br />

Aus der Grundordnung des <strong>Marienstift</strong>es<br />

eine Traineeausbildung für Führungskräftenachwuchs<br />

in Krankenhäusern mit dem<br />

BBDK durchzuführen. Dies führte mich<br />

zum Evangelischen Krankenhaus in Holzminden.<br />

Durch den Rotationsablauf dieser<br />

Traineeausbildung wurde ich in drei weiteren<br />

Krankenhäusern für jeweils 3 Monate<br />

eingesetzt. Die Einsätze führten mich in das<br />

Evangelische Krankenhaus Castrop-Rauxel,<br />

das Uniklinikum St. Josef-Hospital in Bochum<br />

und das St.-Johannes-Hospital in<br />

Arnsberg. Die Einsätze in dieser Zeit waren<br />

mit unterschiedlichen Projekten belegt, aber<br />

auch Praktika in der Pflege und anderen Bereichen<br />

zählten dazu. Nach der zweijährigen<br />

Traineezeit blieb ich als Direktionsassistent<br />

im Evangelischen Krankenhaus in Holzminden,<br />

bis ich im Mai 1996 als Leiter der<br />

Abteilung Finanz- und Rechnungswesen in<br />

das <strong>Marienstift</strong> kam. Im August des Jahres<br />

1998 heiratete ich meine Frau Claudia und<br />

im Jahr 1999 bauten wir unser Haus in Holle.<br />

Zum 1.6.<strong>2003</strong> wurde ich vom Stiftungsrat<br />

des <strong>Marienstift</strong>es als Verwaltungsdirektor<br />

in den Vorstand gewählt. Wenn die Zeit<br />

es zulässt, fahre ich Motorrad oder spiele<br />

Volleyball, als Ausgleich dienen aber auch<br />

weitere kleine Um- und Ausbauten in unserem<br />

Haus und Arbeiten im eigenen Garten.<br />

Das <strong>Marienstift</strong> ist eine kirchliche und diakonische Einrichtung in der Stadt <strong>Braunschweig</strong>. Es<br />

wurde 1870 gegründet und erhielt seinen Namen nach der Mutter des damals regierenden Herzogs<br />

Wilhelm, Marie von Baden-Durlach. Die Ev.-<strong>luth</strong>. <strong>Diakonissenanstalt</strong> ist eine rechtsfähige<br />

Stiftung des privaten Rechts, Mitglied des Kaiserswerther Verbandes deutscher Diakonissen-Mutterhäuser<br />

sowie Mitglied des Diakonischen Werkes der Ev.-<strong>luth</strong>. Landeskirche in<br />

<strong>Braunschweig</strong>.<br />

Historischer Ausgangspunkt und geistliche Mitte des Stiftes ist das Mutterhaus mit den Diakonissen<br />

und den Mitgliedern der Diakonischen Gemeinschaft.<br />

Der ehrenamtliche tätige Stiftungsrat ist Aufsichtsorgan und der dreiköpfige hauptamtlich tätige<br />

Vorstand das Leitungsgremium. Nach der geltenden Satzung verpflichten sich die Mitglieder<br />

beider Organe, die diakonischen Aufgaben des Stiftes „als Werk christlichen Glaubens“ zu<br />

wahren und zu fördern. Der Maßstab ihres Dienstes ist das Evangelium von Jesus Christus.<br />

23


Wenn man heute die Zeitung aufschlägt<br />

oder die Nachrichten im Fernsehen verfolgt,<br />

dann wird dem Zuschauer durchaus bewusst,<br />

wie viele unterschiedliche Probleme sich<br />

im Laufe der Jahre im Gesundheitswesen<br />

angestaut haben. Darüber hinaus zeigt sich<br />

die Unfähigkeit der Politik, diesem Bereich<br />

eine neue und für alle akzeptable Vision zu<br />

geben. Vielmehr wird in allen Bereich herumprobiert<br />

ohne schlüssige Konzepte zu verfolgen.<br />

Dass das Problem des Gesundheitswesens<br />

und der Rentenversicherung nicht<br />

einfach zu lösen ist, ist unbestritten.<br />

Die derzeit geführten Diskussionen haben<br />

auch Auswirkungen auf das <strong>Marienstift</strong>. Im<br />

Bereich des Krankenhauses sind die Hauptprobleme<br />

in dem Auseinanderlaufen der<br />

Budgeterhöhungen und auf der anderen Seite<br />

der Tarif- und Sachkostensteigerungen zu<br />

sehen. Nach Informationen der Niedersächsischen<br />

Krankenhausgesellschaft (NKG) ist<br />

für das Jahr 2004 mit einer Budgetanpassung<br />

in Höhe von 0,02 Prozent zu rechnen, parallel<br />

wirkt sich die Tarifsteigerung für dieses<br />

Jahr i. H. von 2,4 Prozent im Jahr 2004<br />

ganzjährig aus und im Juli 2004 steht die<br />

nächste Anpassung i. H. von 2,01 Prozent an.<br />

Die Steigerung der Personalnebenkosten ist<br />

hierin noch nicht berücksichtigt. Auch bei<br />

den Sachkosten ist im Schnitt mit einer Steigerung<br />

von 2,5 Prozent zu rechnen. Diese<br />

Entwicklung erfährt das Krankenhaus seit<br />

einigen Jahren. Parallel hierzu bereiten wir<br />

uns auf die Umsetzung der DRG’s vor. Die<br />

Abrechnung nach diesem neuen Vergütungssystem<br />

wird ab dem 1. Januar 2004 umgesetzt.<br />

Die Infrastruktur, speziell im Bereich<br />

der EDV wird vorbereitet. Hier hat das<br />

<strong>Marienstift</strong> im laufenden Jahr <strong>2003</strong> eine<br />

24<br />

Auf den Punkt gebracht<br />

Besserer Einsatz für Patienten und Bewohner<br />

Von Ralf Benninghoff, Verwaltungsdirektor und Vorstandsmitglied<br />

Menge erreicht. Die Abkopplung vom<br />

Rechenzentrum hin zu einer autonomen<br />

Lösung ist unter einigen Problemen gelungen.<br />

Das gesamte Patienteninformationssystem<br />

incl. Stations- und Arztarbeitsplätzen,<br />

die Materialwirtschaft, die Abrechnung, die<br />

Finanzbuchhaltung, der OP-Bereich, der<br />

Radiologiebereich und die Heimverwaltung<br />

des Altenpflegeheimes wurden auf das neue<br />

System umgestellt. Parallel wurde auch im<br />

Sommer das Dienstplanprogramm zum Einsatz<br />

gebracht. Mittlerweile sind im <strong>Marienstift</strong><br />

über 160 PC-Arbeitsplätze im Einsatz.<br />

Natürlich bereiten uns Schnittstellen zu notwendigen<br />

Subsystemen auch Schwierigkeiten,<br />

doch es muss uns gelingen ein durchgängiges<br />

Gesamtsystem zu schaffen, um der<br />

Informationsflut Herr zu werden und die<br />

benötigten Informationen für die vorgeschriebenen<br />

Bereiche effektiv zu kanalisieren.<br />

Denn erst eine effiziente und klar strukturierte<br />

Ablauforganisation wird uns die<br />

Möglichkeit des Bestehens geben.<br />

Natürlich sind auch Lösungen für die<br />

anderen Probleme zu finden. Speziell die<br />

Entscheidung, das Bereitschaftsdienst als<br />

Arbeitszeit zu werten ist, bleibt umzusetzen.<br />

Hierzu fehlen aber noch die Ausführungen<br />

des Gesetzgebers und der Tarifparteien.<br />

Gleichzeitig muss die strategische Ausrichtung<br />

und Schwerpunktbildung für die<br />

zukünftigen Bedürfnisse überprüft und ausgerichtet<br />

werden.<br />

Speziell unter den Eindrücken der Vergangenheit<br />

und Gegenwart mit besonderer<br />

Berücksichtigung der Zukunft wird die strategische<br />

Ausrichtung des Krankenhauses seit<br />

einigen Monaten überprüft und überarbeitet.<br />

Es gilt jetzt, die soliden und anerkannten


Bereiche auszubauen und zu stärken sowie<br />

vermeintlich schwächere Bereiche durch<br />

Veränderung in weitere solide Standbeine<br />

des Krankenhauses des <strong>Marienstift</strong>es umzuwandeln.<br />

Die Auslastung und Fallzahl kann<br />

unter den gegebenen Bedingungen als gut<br />

bezeichnet werden.<br />

Das <strong>Marienstift</strong> betreibt aber nicht nur ein<br />

Krankenhaus, sondern ist eine Komplexeinrichtung<br />

mit mehreren Standbeinen, die<br />

zusammen als stabiles Gerüst für die Zukunft<br />

wirken sollen.<br />

Auch im Altenpflegebereich hat sich die<br />

Halbwertzeit der gesetzlichen Vorgaben und<br />

Regelungen deutlich reduziert und die strategischen<br />

Ausrichtungen müssen laufend<br />

angepasst werden. Der Erneuerungsbau und<br />

die derzeitige Modernisierung schaffen<br />

bereits in diesem Bereich gute Voraussetzungen<br />

für die Zukunft. Auch hier kann die Bele-<br />

Moment mal<br />

gung als gut bezeichnet und viele Bewerber<br />

können aufgrund einer Warteliste nicht<br />

gleich aufgenommen werden.<br />

Ähnlich ist die Entwicklung in unseren<br />

Schulen, wo die Änderungen im Krankenpflege-<br />

und Altenpflegegesetz Anpassungen<br />

erforderlich machen, doch auch hierauf wird<br />

reagiert, um diesen Bereich, wie in der Vergangenheit,<br />

positiv fortzuführen.<br />

Entscheidend aber ist, das der Patient bzw.<br />

der Bewohner im Rahmen unserer Grundordnung<br />

seine Betreuung und Versorgung<br />

erhält, und wir uns „als <strong>Marienstift</strong>“ durch<br />

diesen besonderen Einsatz von unserern Mitbewerbern<br />

am Markt unterscheiden und<br />

positiv abheben. Sollte uns das gelingen, so<br />

wird das <strong>Marienstift</strong> auch die stürmisch werdende<br />

See der derzeitigen Gesetzgebungen<br />

und sonstigen Belastungen überstehen.<br />

– Der arme Reiche und reiche Arme!<br />

Der „Arme“ kann reich und der „Reiche“ arm sein. Wer heute „reich“ ist, gehört vielleicht<br />

morgen zu den „Armen“. Und der zur Zeit „arme“ Mitmensch entdeckt plötzlich seinen<br />

„Reichtum“.<br />

„Armut“ sollte weder glorifiziert noch bagatellisiert werden. Sie hat viele Gesichter: ein<br />

materielles (z. B. kein/wenig Geld und keine Arbeit), ein soziales (z. B. keinen Partner und<br />

keine Gemeinschaft), ein körperliches (z. B. keine Gesundheit und kein Wohlbefinden), ein<br />

seelisches (z. B. keine Zuwendung und keine Liebe), ein geistiges (z. B. keine Werte und<br />

keine Bildung), ein geistliches (z. B. keine Hoffnung auf Sinn und auf Gott). Die Lebenssituation<br />

des einzelnen Mitmenschen ist entscheidend. Er muss sich nicht von den Statushandlungen<br />

und -symbolen der Erfolgreichen – von schönen Urlaubsreisen, Autos, Villen<br />

oder der neuesten Mode und Technik – abhängig machen. Sein Selbstwertgefühl kann in<br />

seiner Würde ruhen und sein Selbstvertrauen im Gottvertrauen gründen. In der Solidarität<br />

der „Reichen“ in Form der „Hilfe zur Selbsthilfe“ wird er selbst reich an neuen Möglichkeiten<br />

und Perspektiven eines neuen selbstverantworteten Lebens.<br />

Mancher „Reiche“ oder „Arme“ fühlt sich wie eine Fliege vor einem verschlossenen Fenster.<br />

Die Sehnsucht nach Freiheit und nach einem neuen Leben ist übergroß. Aber aller Einsatz<br />

erscheint sinnlos. Doch manchmal öffnet sich überraschenderweise auch das Fenster<br />

– mit fremder Hilfe, mit menschlicher und (auch?!) göttlicher Hilfe. Diese Chance sollte<br />

nicht vertan werden.<br />

Burkhard Budde<br />

25


Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest<br />

Feiern der Bewohner und Mitarbeiter 2002<br />

26<br />

Der „Weihnachtsmann“<br />

(Schwester Ursula Stadler)<br />

überraschte die Bewohner des<br />

Altenpflegeheimes Bethanien.<br />

Beim Krippenspiel im Wilhelm-Löhe-Saal (v. l. n. r.) Tochter Angela Binder, Schwester Ulrike<br />

Binder, Schwester Ursula Stadler, Schwester Ruthlinde Wegehaupt und Schwester Cornelia<br />

Wöhler.


Die Lehrerin Rotraut<br />

Folk mit Schülerinnen<br />

der Altenpflegeschule<br />

erfreuten musikalisch<br />

die Bewohner und<br />

Gäste der Weihnachtsfeier<br />

Bethanien.<br />

Claudia Hartmann<br />

zeigte stolz ihre<br />

adventliche und weihnachtliche<br />

Dekoration<br />

am Kiosk in<br />

Bethanien.<br />

27


Diakonisse Schwester Dorothea Wolf im Gespräch mit den „Grünen Damen“ Adelheid<br />

Hannig (2. r.) und Helga Bleumer.<br />

Diakonisse Schwester Irma Weber fühlte sich wohl im Kreis der „Grünen Damen“ (v. l. n. r.)<br />

Waltraud Schwarzer, Sybille Eigen, Elisabeth Foerster und Susanne Hartung.<br />

28


Weihnachten – nicht ausmerzen, sondern auslegen<br />

Von Propst Armin Kraft<br />

Theologie für Nichttheologen<br />

Es ist erstaunlich,<br />

dass das Weihnachtsfest<br />

zunächst<br />

für die Christenheit<br />

völlig uninteressant<br />

war. Die Belanglosigkeit<br />

von Geburtstagen<br />

und Geburtsfesten<br />

war<br />

lange Zeit verbreitet.<br />

Die frühe Gemeinde<br />

lebte in der<br />

Gewissheit, dass Christus im Heiligen<br />

Geist stets in ihrer Mitte lebendig wirkt.<br />

Die ersten Christinnen und Christen lebten<br />

in der dreifachen Kraft von Karfreitag,<br />

Ostern und Pfingsten. Deshalb ist es gar<br />

nicht verwunderlich, dass es zunächst bei<br />

unverbindlichen Datierungen von Jesu<br />

Geburtstag blieb. Erst im Jahre 221 nennt<br />

die älteste christliche Weltchronik den 25.<br />

12. als Geburtstag Jesu. Dieses Datum setzt<br />

sich allmählich durch. Es wurde folgendermaßen<br />

berechnet: der 25. März ist Tag des<br />

Frühlings – der Tag – und Nachtgleiche,<br />

der erste „Weltschöpfungstag“. Er hat<br />

daher auch als Beginn des irdischen<br />

Daseins des Welterlösers zu gelten, der die<br />

neue Schöpfung bringt, d. h. als Tag seiner<br />

Empfängnis. Mithin fällt der Tag seiner<br />

Geburt genau 9 Monate später auf den 25.<br />

Dezember. Dieser Tag ist seit 336 für die<br />

römische Kirche der Tag des Jahresanfangs.<br />

Rom erhob ein Menschenalter<br />

danach den Geburtstag zum Geburtsfest. Es<br />

war durchaus folgerichtig, dass zwei Jahrhunderte<br />

später gerade in der Kapelle einer<br />

Kirche in Rom die erste Krippe stand.<br />

Neben der Weihnachtsbotschaft – „Gott<br />

wird Mensch! Er ist geoffenbart im<br />

Fleisch“ – stehen die Weihnachtserzählungen.<br />

Sie fehlen bei Markus und bei Johannes.<br />

Nur Matthäus und Lukas bringen sie,<br />

ohne später auf sie auch nur mit einer Silbe<br />

anzuspielen! Der Glaube entzündet sich<br />

also nicht an einer Weihnachtserzählung,<br />

sondern an der Botschaft: „Euch ist heute<br />

der Heiland geboren“. Die Botschaft<br />

schafft den Weihnachtsglauben. Und der<br />

Weihnachtsglaube schafft die Weihnachtserzählungen!<br />

Der Glaube erzeugt die zu<br />

bekennende Wahrheit in Worten und Bildern,<br />

die ihm als sachentsprechend und<br />

sinngemäß erscheinen. Dass dabei die Stilform<br />

der Legende eine Rolle spielt, sollten<br />

wir nicht als negativ ab tun. Kräftiger als<br />

historische Dokumente es könnten, bringen<br />

die Legenden die Weihnachtsbotschaft zum<br />

Klingen: „Jesu irdisches Erscheinen bringt<br />

Himmel und Erde, Ewigkeit und Zeit<br />

zusammen“. Die Marienlegenden sagen<br />

uns: Jesus kommt aus einer Welt, in der<br />

andere Regeln gelten, als die, die wir<br />

bestimmen. Gott ergreift die Initiative! Die<br />

Hirtenlegende weitet den Horizont: Nicht<br />

nur Israel, sondern die Welt ist Gottes Herrschaftsbereich.<br />

Friede – das heißt: die<br />

Gesundheit der Welt – wird den Glaubenden<br />

zugesprochen. Gott begegnet dem<br />

Menschen in dessen eigener Niedrigkeit als<br />

Mensch. Das Dogma von der Jungfrauengeburt<br />

macht vielen zu schaffen. Aber es ist<br />

nicht auszumerzen, sondern auszulegen. Es<br />

hat die Aufgabe, das Geheimnis zu<br />

umschreiben: Gottes heilsames Wirken<br />

erscheint in menschlicher Niedrigkeit.<br />

29


Nicht ein biologisches Mirakel ist im Spiel,<br />

sondern in mit und unter dem elementaren<br />

Leben schenkt Gott dem Menschen wahre<br />

Menschlichkeit und Liebe. Maria ist nicht<br />

die Himmelskönigin, sondern sie beugt sich<br />

dem Zugriff Gottes. Die drei Symbole:<br />

Krippe, Baum, Geschenke sind Zeichen der<br />

Mitmenschlichkeit, zu der sich Gott in der<br />

Geburt des Sohne herabließ, um uns zu dieser<br />

Mitmenschlichkeit zu rufen: Geborgenheit,<br />

Wachsen, gegenseitige Aufmerksamkeit!<br />

30<br />

liches Leiden, in tödliche Bedrohungen<br />

kommt der, der uns lösen und erlösen kann.<br />

Es geht nicht um süßliche Innerlichkeit,<br />

sondern um Epiphanie und Theophanie:<br />

Gott erscheint und Gott wirkt. Er tut es von<br />

sich aus, er kennt unsere Frage. „Wo bleibst<br />

du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all<br />

ihre Hoffnungen stellt? Oh komm, ach,<br />

komm vom höchsten Saal und tröst uns hier<br />

im Jammertal“. Auch da ist die Frage ist<br />

nicht auszumerzen, sondern auszulegen.<br />

Heute werden hinter den vielen weihnacht-<br />

Weihnachtliches in der Theodor-Fliedner-Kirche des <strong>Marienstift</strong>es.<br />

Weihnachten geht es um diese Weite und<br />

Tiefe! Die Dekoration ist das eine – die<br />

Darstellung des Glaubens ist das andere.<br />

Die Botschaft ist eine Herausforderung,<br />

nach der Wahrheit zu fragen. Es geht um<br />

Theologie, um Durchblutung mit göttlichem<br />

Geist. Gott hat sich in die Beziehungen<br />

unseres geschichtlichen Alltags hinein<br />

geboren. Angst und Erlösung, Geschichte<br />

und Ewigkeit treffen sich. „Hier leiden wir<br />

die größte Not, vor Augen steht der ewig<br />

Tod. Ach komm, führ uns mit starker Hand<br />

vom Elend zu dem Vaterland.“ Dieses Lied,<br />

(EG 7) macht die Aktualität der Weihnachtsbotschaft<br />

deutlich: sogar in kreatür-<br />

lichen Kunstlichtern und zum Teil lächerlichen<br />

Fassaden Fragen gestellt: Gott wo bist<br />

du? Wer erlöst uns? Eine Antwort heißt:<br />

Gott ist da, wo wir ihn einlassen! Wo wir die<br />

Menschlichkeit in unserem Alltag wirksam<br />

werden lassen, und zwar nicht nur allein für<br />

uns, sondern auch für die Gesellschaft. Es<br />

geht um die Hoffnung, gegen die Angst. Wir<br />

können diese Botschaft nicht selbst<br />

machen, aber wir können darum beten. Es<br />

hat keinen Zweck, dauernd gegen das Weihnachtsfest<br />

zu wettern. Es geht darum, das<br />

Weihnachtsfest sinnvoll zu erleben.<br />

(Der Autor ist Propst in <strong>Braunschweig</strong>.)


Vom OP-Tisch auf das Fahrrad<br />

Chefarzt Dr. Eberhard Frank (vorne liegend) hatte eine etwa 30 Kilometer umfassende<br />

Fahrradtour ausgearbeitet. Über 30 Fahrräder waren im Einsatz. Die Wegstrecke führte unter<br />

anderem durch Felder, Wälder und Auen nach Dibbesdorf/Wendhausen in Richtung Hondelage.<br />

Der stellvertretende Leiter des Zentral-OP’s Matthias Lotze hat über diese Fahrt einen<br />

Artikel verfasst, der bereits im „doppelpunkt“ <strong>Nr</strong>. 3 dieses Jahres veröffentlicht wurde<br />

(Seite 32).<br />

Der stellv. Zentral-OP-Leiter Matthias Lotze, Assistenzärztin der Klinik für Chirurgie Dr.<br />

Bettina Kölling, Oberärztin der Klinik für Handchirurgie Dr. Imken Annette Schüler und<br />

der Assistenzarzt der Klinik für Chirurgie Joachim Mattern (v. l. n. r.)<br />

31


Bei dem Enddarmvorfall,medizinisch„Rektumprolaps“,<br />

handelt es sich<br />

um eine relativ<br />

seltene Erkrankung,<br />

die aber<br />

die davon betroffenen<br />

Patienten<br />

doch sehr belastet.<br />

Beim Rektumprolaps stülpt sich, aus<br />

Gründen die wir auch heute noch nicht<br />

vollständig verstanden haben, der Enddarm<br />

und manchmal auch ein Teil des darüber<br />

liegenden Darmabschnittes, des sogenannten<br />

Colon sigmoideum, durch den<br />

Analkanal nach außen. Diese Erkrankung<br />

kommt häufiger bei älteren Erwachsenen<br />

vor, wobei das Verhältnis von Frauen zu<br />

Männern etwa 5 zu 1 beträgt.<br />

Der Vorfall kann zeitweise oder auch<br />

dauernd vorhanden sein. Bei Disposition<br />

tritt er aber auch jeden Fall bei Defäkation,<br />

aber auch beim Husten und Pressen auf. In<br />

der Anfangsphase ist meistens noch ein<br />

spontanes Zurückweichen oder manuelles<br />

Zurückdrücken möglich. Die Patienten berichten<br />

über gelegentlichen Blutabgang<br />

oder über Schleimabsonderung, über<br />

schwere Verstopfung, gelegentlich aber<br />

auch über das Gegenteil, über wiederkehrende<br />

Durchfälle. Je länger der Vorfall besteht,<br />

desto häufiger kommt es zur Unmöglichkeit<br />

den Stuhl zu halten, zur soge-<br />

32<br />

Der ärztliche Rat<br />

Der komplette Enddarmvorfall – Behandlung<br />

mit der „extracorporalen Rektumresektion“<br />

Von Chefarzt Dr. Reinhold Mäueler<br />

nannten Stuhlinkontinenz. Im Spätstadium<br />

kommt der Vorfall sogar jedesmal im Stehen<br />

oder beim Laufen zum Vorschein. Er<br />

kann nur wenige Zentimeter, aber auch bis<br />

über 20 cm betragen. Für die Betroffenen<br />

geht die Erkrankung mit einem hohen Leidensdruck<br />

einher.<br />

Die Diagnose eines Rektumprolapses ist<br />

einfach, wenn im Pressakt die Schleimhaut<br />

sich ausstülpt. Von einem Vorfall des<br />

Hämorrhoidalgewebes ist der Enddarmvorfall<br />

nicht immer leicht zu unterscheiden,<br />

im typischen Fall zeigen sich aber<br />

hierbei konzentrische Schleimhautfurchen,<br />

während beim Hämorrhoidenvorfall<br />

die Furchen eher radiär verlaufen. In der<br />

Regel sind die Patienten mit einem Hämorrhoidenvorfall<br />

auch jünger und weisen<br />

einen guten Schließmuskeltonus auf. Es<br />

gibt aber auch schwer von einander angrenzbare<br />

Grenzfälle.<br />

Auch beim nicht vorgefallenen Prolaps<br />

kann man häufig bei der Enddarmspiegelung,<br />

der sogenannten Rektoskopie, durch<br />

Aktivierung der Bauchpresse eine beginnende<br />

Einstülpung erkennen oder gar ein<br />

Vorfall provozieren.<br />

Außer im frühen Stadium der Erkrankung,<br />

bei der man auch manchmal noch<br />

etwas mit einer Stuhlgangsregulierung erreichen<br />

kann, ist in der Regel zur Behandlung<br />

des Leidens eine operative Therapie<br />

notwendig. Zur Operation des Rektumvorfalls<br />

sind etwa 100 verschiedene Verfahren<br />

angegeben. Das ist schon ein Hinweis darauf,<br />

dass es ein optimales nicht gibt.


Man kenn unterscheiden zwischen Verfahren,<br />

die vom Bauch auch und solchen<br />

Verfahren, die vom<br />

Damm aus arbeiten.<br />

In der Regel sind<br />

die Verfahren, die<br />

vom Bauch her angewandt<br />

werden die<br />

sichereren und effektiveren<br />

und die<br />

weniger mit Rezidiven,<br />

das heißt mit<br />

einer Wiederkehr<br />

des Prolaps belasteten<br />

Verfahren. Es<br />

sind aber auch eindeutig<br />

die Verfahren,<br />

die mit einem<br />

höheren Operationsrisikoeinhergehen.<br />

Ein solches besteht<br />

bei den Verfahren,<br />

bei denen<br />

man den Prolaps<br />

vom Damm angeht<br />

sicherlich nicht.<br />

Dafür ist hier aber<br />

die Gefahr, dass es<br />

zu einem Wiederauftreten<br />

des Vorfalls<br />

kommt drastisch<br />

höher als bei<br />

den vom Bauch her<br />

ausgeübten Verfahren.<br />

Da die Patienten<br />

mit einem Enddarmvorfall<br />

oft alt<br />

und mit vielen Vorerkrankungenbehaftet<br />

sind, wäre<br />

zur Operation ein<br />

Verfahren wünschenswert,<br />

dass<br />

zum einen mit einer<br />

geringen allgemeinen Belastung der Patienten<br />

einhergeht, zum anderen aber auch<br />

eine höchstmögliche Effektivität, was die<br />

Beseitigung des Prolaps und die Verhinderung<br />

seiner Wiederkehr<br />

angeht,<br />

miteinander verbindet.<br />

Wie schon oben<br />

festgestellt gibt es<br />

ein solch optimales<br />

Verfahren zur Zeit<br />

nicht. Wir haben in<br />

den letzten zwei<br />

Jahren aber ein<br />

Operationsverfahren<br />

angewandt,<br />

dass diesen gewünschtenEigenschaften<br />

sehr nahe<br />

kommt. Dieses<br />

Verfahren wird als<br />

sogenannte extracorporaleRektumresektionbezeichnet,<br />

was nichts anderes<br />

bedeutet, als<br />

das der Vorfall des<br />

Enddarmes, dort<br />

wo er im Stadium<br />

des Vorfalls besteht,<br />

also außerhalb<br />

des Körpers,<br />

therapiert wird. Zu<br />

diesem Eingriff ist<br />

eine Vollnarkose<br />

nicht nötig, er lässt<br />

sich sehr gut in einerRückenmarksnarkose<br />

ausführen,<br />

in Zukunft wollen<br />

wir sogar versuchen<br />

ihn in einer<br />

besonderen Form<br />

Der vorgefallene Anteil ist zur der örtlichen Be-<br />

Abtragung vorbereitet<br />

täubung in Kombination<br />

mit einem<br />

Beruhigungsmittel vorzunehmen. Hierdurch<br />

ist die erste Voraussetzung nämlich,<br />

33


dass das Verfahren für die alten und häufig<br />

sehr kranken Patienten ohne große Belastung<br />

einhergeht erfüllt.<br />

Bei der Operation selber wird zunächst<br />

der durch den Analkanal vorgefallene<br />

Dickdarmanteil durchtrennt. Der jetzt frei<br />

heraushängende Dickdarmanteil wird sodann<br />

gestreckt und im Bereich des Analkanals<br />

abgesetzt, sodass der vorfallende Teil<br />

des Dickdarmes entfällt. Anschließend<br />

wird ein Klammergerät, das eine kreisrunde<br />

Naht schießen kann und das wir häufig<br />

auch in der Dickdarmchirurgie einsetzten,<br />

benutzt, um den durchtrennten Dickdarm<br />

oberhalb des Analkanals wieder miteinander<br />

zu vereinbaren, nachdem er wieder in<br />

den Raum des kleinen Beckens zurückgeschoben<br />

worden ist. Das Verfahren klingt<br />

zunächst kompliziert und die Anatomie ist<br />

anfänglich auch wegen der Umstülpung<br />

des Dickdarms etwas verwirrend, aber<br />

schon nach wenigen Operationen, denen<br />

man beigewohnt hat, verstehbar, sodass<br />

die Operation dann relativ einfach und<br />

schnell durchführbar ist.<br />

Das Operationsverfahren ist sicherlich<br />

allen anderen Verfahren, die nicht durch<br />

einen Bauchschnitt vorgenommen werden,<br />

überlegen. Es zeichnet sich durch eine geringe<br />

Belastung der Patienten aus. Die<br />

34<br />

Das „Schießen“ der Anastomose<br />

Operationszeit ist relativ kurz. Nach der<br />

Operation kann ein schneller Kostenaufbau<br />

erfolgen. Vor allen Dingen werden typische<br />

Komplikationen eines durch die<br />

Bauchhöhle vorgenommenen Eingriffes,<br />

die die alten Patienten meistens mehr gefährden<br />

als die eigentliche Operation, wie<br />

z. B. Wundheilungsstörungen, Darmatonie,<br />

Verletzung anderer Organe und Verwachsungen,<br />

sicher vermieden. Das Wiederauftreten<br />

eines Prolaps ist auch nach<br />

diesem Verfahren möglich, aber prinzipiell<br />

noch einmal auf dem selben Wege wieder<br />

zu beheben.<br />

Keine Vorhersage kann vor der Operation<br />

gemacht werden, ob auch die Inkontinenz,<br />

also die Unmöglichkeit den Stuhl zu<br />

halten, nach der Operation behoben sein<br />

wird, das hängt sehr von den Vorerkrankungen,<br />

insbesondere aber auch von der<br />

Zeit ab, die der Vorfall schon bestanden<br />

hat.<br />

Bei der ganz überwiegenden Zahl der<br />

Patienten kommt es zu einer deutlichen<br />

Besserung ihrer Situation, sie sind mit<br />

dem Behandlungserfolg zufrieden.<br />

(Der Autor ist Chefarzt der Chirurgischen<br />

Klinik des Krankenhauses des <strong>Marienstift</strong>es.)


Neue Schüler in der Krankenpflegeschule<br />

In einem festlichen Begrüßungsgottesdienst<br />

in der<br />

Theodor-Fliedner-Kirche des<br />

<strong>Marienstift</strong>es, der von Schülern<br />

der Krankenpflegeschule<br />

gestaltet wurde, konnten neue<br />

Krankenpflegeschüler begrüßt<br />

werden. Es sind Nadja Bewig<br />

(<strong>Braunschweig</strong>), Simona Bode<br />

(Vechelde), Julia Castor<br />

(Hötzum), Frauke Dähn (Ilsenburg),<br />

Vinzent Germann<br />

Hankel (Schöningen), Rieke<br />

Hauer (Edemissen), Karolin<br />

Heinze (Abbenrode), Haide<br />

Susanne Ismer (<strong>Braunschweig</strong>),<br />

Michaela Kremling<br />

(<strong>Braunschweig</strong>), Lena-Marie<br />

Micholka (Hedeper), Laura<br />

Peikert (Wolfenbüttel), Wiebke<br />

Rhode (Meine), Angela<br />

Schirmer (<strong>Braunschweig</strong>),<br />

Anika Sick (Wolfenbüttel),<br />

Alexander Skopp (<strong>Braunschweig</strong>),<br />

Liane Voigt (Klietz),<br />

Rebecca Wiegand (<strong>Braunschweig</strong>)<br />

und Anna Katharina<br />

Wylegala (<strong>Braunschweig</strong>).<br />

Die Predigt in dem „erlebnisorientierten“<br />

Gottesdienst<br />

hielt die Seelsorgerin Heidrun<br />

Schäfer.<br />

35


(K)eine Zukunft des Gesundheitssystems?!<br />

Gespräch mit Dr. Hans Georg Faust, MdB<br />

36<br />

Die notwendigen Reformen im Gesundheitswesen sind in aller Munde.<br />

Die Redaktion „doppelpunkt“ hat unterschiedliche Persönlichkeiten<br />

aus verschiedenen Bereichen gebeten, die drei folgenden Fragen<br />

zu beantworten. Dr. Hans Georg Faust, Mitglied des Deutschen Bundestages<br />

mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik sowie Arzt aus Bad<br />

Harzburg, hat uns seine Antworten zukommen lassen.<br />

1. Welche Gründe haben Ihrer Meinung nach zur Krise der<br />

gesetzlichen Krankenkassen geführt?<br />

Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind unter<br />

der rot-grünen Bundesregierung von 13,6 Prozent im Jahre 1998 auf derzeit 14,4 Prozent<br />

gestiegen und haben damit den höchsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland<br />

erreicht. Verantwortlich für diese Entwicklung ist die katastrophale Politik dieser Bundesregierung,<br />

die falsche Akzente in der Steuer-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik gesetzt<br />

und damit für eine Verfestigung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit gesorgt hat. Hinzukommen<br />

gravierende Fehler in der Gesundheitspolitik.<br />

Die unionsgeführte Bundesregierung hatte 1997 eine Konsolidierung der finanziellen<br />

Grundlagen der GKV durch einen Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik herbeigeführt<br />

und damit die Voraussetzungen für eine umfassende Reformdiskussion geschaffen. Nicht B<strong>ev</strong>ormundung<br />

durch den Staat oder die Krankenkassen, sondern ein größeres Maß an Selbstbestimmung<br />

bei Erhalt einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung war das Ziel einer<br />

humanen, patientenorientierten Gesundheitspolitik. Dieses Ziel ist unmittelbar nach<br />

Übernahme der Regierungsverantwortung durch SPD und Bündnis 90/Die Grünen aufgegeben<br />

worden. Stattdessen wurde beginnend mit<br />

– dem „GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz“ und fortgesetzt mit<br />

– der „GKV-Gesundheitsreform 2000“,<br />

– dem „Arzneimittelbudget-Aufhebungsgesetz“,<br />

– dem „Arzneimittel-Ausgabenbegrenzungsgesetz“,<br />

– dem „Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs“,<br />

– dem „Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser“<br />

und<br />

– mit dem „Beitragssatzsicherungsgesetz“<br />

unser freiheitliches Gesundheitswesen schrittweise in ein staatlich gelenktes bürokratisches<br />

Gesundheitssystem überführt.<br />

2. Hat die gesetzliche Krankenversicherung ein Finanzierungs- oder ein Einnahmeproblem?<br />

Vordergründig populäre Maßnahmen wie die Senkung von Zuzahlungen, die Rücknahme<br />

von Eigenverantwortung und die Ausweitung von nicht gegenfinanzierten Leistungen führ-


ten unweigerlich zu Mehrausgaben und Mindereinnahmen der Krankenkassen in Milliardenhöhe.<br />

Statt die Erosion der Einnahmebasis wahrzunehmen, wurde einseitig auf der Ausgabenseite<br />

über Budgetierung eine Umverteilung der begrenzten Mittel betrieben. Die Vorenthaltung<br />

medizinischer Leistungen hat zu einer Verschlechterung der Versorgungsqualität geführt.<br />

In der Folgezeit wurde unter Bundesministerin Ulla Schmidt das System durch komplizierte<br />

Regelungen verbürokratisiert. Beispiele dafür sind:<br />

– die hastige Einführung von Disease-Management-Programmen und vor allem ihre Verknüpfung<br />

mit dem Finanzausgleich der Krankenkassen,<br />

– die Verkomplizierung und Ausweitung des Risikostrukturausgleichs,<br />

– die überstürzte Einführung eines Fallpauschalen-Systems in Krankenhäusern, das weltweit<br />

erstmalige alle Indikationen über Fallpauschalen abzubilden sucht und bei den Krankenhäusern<br />

einen hohen Sach- und Personalaufwand verursacht, und<br />

– zahlreiche Regelungen im Arzneimittelsektor wie die nicht praktikable „aut-idem-Regelung“,<br />

die Ausweitung der Reimport-Regelung und die ungerechten Zwangsrabatte.<br />

Insgesamt ist festzustellen, dass die zahlreichen dirigistischen Eingriffe die Qualität der<br />

Versorgung beeinträchtigt, das Arzt-Patienten-Verhältnis belastet und dennoch keine Einspareffekte<br />

erzielt haben.<br />

3. Welcher gesundheitspolitische Kurs kann aus der Krise herausführen?<br />

Bei dem Bemühen um eine Reform des Gesundheitswesen muss der Patient wieder ins<br />

Zentrum der Betrachtungen rücken. Alle Versicherten haben unabhängig von Alter, Geschlecht,<br />

Einkommen und Familienstand Anspruch auf eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe<br />

gesundheitliche Versorgung. Denn Krankheit kann jeden jederzeit treffen. Daher muss<br />

die gesetzliche Krankenversicherung die Teilhabe des Einzelnen am gesellschaftlichen Leben<br />

sichern und ihn vor Verarmung und Not durch die finanziellen Folgen einer Erkrankung<br />

schützen. Die Menschen müssen sich auch in Zukunft darauf verlassen dürfen, dass sie im<br />

Falle einer Erkrankung, insbesondere bei schwerer und/oder chronischer Krankheit durch die<br />

Solidargemeinschaft abgesichert sind.<br />

Die gesetzliche Krankenversicherung neu denken und gestalten bedeutet:<br />

• Freiheit, Verantwortlichkeit und Humanität in der gesetzlichen Krankenversicherung zu<br />

stärken,<br />

• das System zu vereinfachen,<br />

• Bürokratie abzubauen,<br />

• die Transparenz bei Qualität und Kosten zu erhöhen,<br />

• Einfluss- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Patienten und Versicherten zu verbessern sowie<br />

• Ärzte und Pflegekräfte wieder in die Lage zu versetzen, eine am Patienten ausgerichtete<br />

medizinische Versorgung vorzunehmen.<br />

Das Eigeninteresse der unmittelbar Beteiligten an Effizenz und Qualität der gesundheitlichen<br />

Versorgung muss gestärkt und ihre Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten erweitert<br />

werden. Zugleich ist zu bekräftigen, dass der medizinische Fortschritt für die gesamte B<strong>ev</strong>öl-<br />

37


kerung zugänglich bleibt und der soziale Ausgleich zwischen jungen und alten, gesunden und<br />

kranken Menschen, zwischen Beziehern höherer und niedrigerer Einkommen sowie zwischen<br />

Alleinstehenden und Familien aufrechterhalten werden muss.<br />

4. Gibt es einen unfairen Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen?<br />

Das Gesundheitswesen in Deutschland ist gekennzeichnet durch das „gegliederte Krankenversicherungssystem“.<br />

Seine Träger sind die GKV mit ihren unterschiedlichen Kassenarten<br />

(z. B. Allgemeine Ortskrankenkassen, Ersatzkassen) und die Unternehmen der PKV. Die<br />

Funktionsweise von PKV und GKV ergibt sich aus ihren unterschiedlichen Rechtsgrundlagen.<br />

Für die PKV ist die Eigenvorsorge auf der Basis des Äquivalenzprinzips maßgebend. Dies<br />

bedeutet eine risikobezogene Beitragskalkulation, die vom Eintrittsalter, Geschlecht und Gesundheitszustand<br />

bei Vertragsschluss abhängig ist sowie vom gewünschten Umfang des Versicherungsschutzes.<br />

Für die GKV gilt das Solidaritätsprinzip. Ihre Beiträge werden<br />

grundsätzlich bis zur Beitragsbemessungsgrenze in Abhängigkeit vom Arbeitsentgelt und bei<br />

freiwillig Versicherten von der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen, und<br />

zwar ohne Berücksichtigung von Risikofaktoren und differenzierten Leistungen.<br />

Wir haben viele Elemente in der gesetzlichen Krankenversicherung, die fortschrittlich und<br />

modern sind. Ich denke hier vor allem an das Wettbewerbsrecht und die Wechselmöglichkeit<br />

der Versicherten zwischen den Krankenkassen. Gerade im Wettbewerb mit der privaten<br />

Krankenversicherung um die freiwillig Versicherten _ die in der Regel hohe Beiträge zahlen<br />

und niedrige Ausgaben verursachen _ werden die gesetzlichen Krankenversicherungen durch<br />

die Beschlüsse zur Gesundheitsreform gestärkt. So erhalten die Krankenkassen das Recht, z.<br />

B. Tarife mit Beitragsrückgewähr oder Selbstbehalten mit Beitragsminderung anzubieten.<br />

5. Ist der Beitragszahler immer der Dumme?<br />

Nein, denn die mit der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vereinbarten Eckpunkte<br />

zur Gesundheitsreform werden zu einer Stärkung der Versichertenrechte führen. So<br />

wird durch die Einführung der Patientenquittung, einer intelligenten Gesundheitskarte und<br />

die Möglichkeit für alle Versicherten, die Kostenerstattung für den ambulanten Bereich zu<br />

wählen, das Gesundheitswesen künftig transparenter werden. Die Möglichkeit zur Inanspruchnahme<br />

von medizinischen Leistungen über den Weg der Kostenerstattung gilt auch für<br />

ambulante Leistungen im EU-Ausland. Dies gilt auch in Einzelfällen nach vorheriger Genehmigung<br />

durch die Krankenkasse bei nicht zugelassenen Leistungserbringern im Inland. Damit<br />

haben Versicherte die Möglichkeit, Ärzte und Institutionen aufzusuchen, die in keinem<br />

Vertragsverhältnis zu den Krankenkassen stehen.<br />

Über die Verbesserungen der Wahlfreiheiten der Versicherten hinaus konnten weitere Entscheidungs-<br />

und Gestaltungsmöglichkeiten, vor allem für freiwillig Versicherte, erreicht werden.<br />

So erhalten die Krankenkassen das Recht, z. B. Tarife mit Beitragsrückgewähr oder<br />

Selbstbehalten mit Beitragsminderung anzubieten. Dies stärkt die Attraktivität der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung im Wettbewerb mit der privaten Krankenversicherung um die<br />

freiwillig Versicherten, die in der Regel hohe Beiträge zahlen und niedrige Ausgaben verursachen.<br />

38


Auch den Versicherten- und Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen werden zukünftig<br />

stärkere Mitberatungs- und Mitwirkungsrechte in Gremien der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

eingeräumt. Damit werden Versicherte und Patienten von Betroffenen zu Beteiligten.<br />

6. Geht die Menschlichkeit in den Verteilungs- und Machtkämpfen verloren?<br />

Als Arzt und als christdemokratischer Bundestagsabgeordneter setze ich mich für ein Gesundheitswesen<br />

ein, das dem medizinischen Fortschritt verpflichtet bleibt und das allen Versicherten,<br />

unabhängig von deren Einkommen, Alter, Art der Krankheit oder Familienstand<br />

zugute kommt. Der Versicherte, also nicht der Patient auf dem Operationstisch oder dem<br />

Zahnarztstuhl, sondern der gesunde Versicherte soll mit Blick auf seine Lebensplanung eine<br />

größere Wahlfreiheit über den Umfang seines Versicherungsschutzes erhalten. Er soll selbst<br />

entscheiden können, ob er den bisherigen Versorgungsumfang beibehalten, zusätzliche Leistungen<br />

erhalten oder bei gleichzeitiger Beitragsermäßigung Leistungen abwählen oder einen<br />

Selbstbehalt übernehmen will. Hinzu kommt mehr Wettbewerb und Flexibilität im Vertragssystem<br />

zwischen den Krankenversicherten und Leistungserbringern. Denn nicht Instrumente<br />

oder Institutionen stehen im Mittelpunkt meines Handelns, sondern der Mensch als<br />

Ganzes. An ihm müssen sich die von uns gemeinsam als richtig erkanten gesundheitspolitischen<br />

Ziele ausrichten und messen lassen.<br />

39


„Eigenständiges Profil diakonischer Unternehmen“<br />

Positives Echo auf „Abend der Begegnung“<br />

Am „Abend der Begegnung“ im <strong>Marienstift</strong><br />

nahmen etwa 150 Gäste teil. Anlass war<br />

der 50. Geburtstag des Direktors Pastor<br />

Burkhard Budde. Zu Beginn der Veranstaltung<br />

hielt der Landespfarrer des Diakonischen<br />

Werkes der Landeskirche Dr. Lothar<br />

Stempin eine Andacht. Das Leben, das uns<br />

Gott schenke, so betonte er, müsse auch vor<br />

Gott verantwortet werden. Der stellvertretende<br />

Landesbischof Oberlandeskirchenrat<br />

Peter Kollmar dankte dem Jubilar für sein<br />

Engagement im Blick auf das gute Echo des<br />

<strong>Marienstift</strong>es in der Öffentlichkeit. Der Vorsitzende<br />

der Subkommende <strong>Braunschweig</strong><br />

des Johanniterordens Rechtsanwalt Klaus<br />

Leiste unterstrich „die Tatkraft, die menschliche<br />

Wärme und die lebensbejahende Art“<br />

seines Ritterbruders. Dr. Martin Kleemeyer<br />

von der <strong>ev</strong>. Kirchengemeinde St. Johannis<br />

sprach die wachsende Zusammenarbeit zwi-<br />

40<br />

schen der Kirchengemeinde und der diakonischen<br />

Einrichtung an. Die Vertrauensschwester<br />

der Diakonischen Gemeinschaft<br />

Erika Ulrich wünschte Burkhard Budde<br />

„Häfen, die Ihnen Schutz und Zuflucht<br />

gewähren, in denen Sie für die Weiterfahrt<br />

neue Kräfte sammeln können. Dann aber<br />

möge die Weite des Meeres sie wieder herausholen<br />

und der Fahrtwind möge Ihnen gut<br />

sein.“<br />

Gratulierten zum 50. Geburtstag des Direktors (2. v. l.): Stiftungsratsvorsitzender und Amtsgerichtspräsident<br />

a. D. Peter Brackhahn (r.), Oberin Angela Tiemann, Verwaltungsdirektor<br />

Ralf Benninghoff sowie Direktionsassistentin Heike Otto (l.).<br />

50 brennende Kerzen für 50 Lebensjahre:<br />

Zu den ersten Gratulanten gehörten Stiftungsratsvorsitzender<br />

Amtsgerichtspräsident<br />

a. D. Peter Brackhahn, die Vorstandsmitglieder<br />

Oberin Angela Tiemann und Verwaltungsdirektor<br />

Ralf Benninghoff sowie Direktionsassistentin<br />

Heike Otto. Weitere Gäste<br />

waren unter anderen Oberlandeskirchenrätin<br />

Brigitte Müller, Verwaltungsratsvorsitzender<br />

des Diakonischen Werkes Dietrich Fürst,


Landespfarrer Dr. Lothar Stempin (l.) hielt eine<br />

Andacht; rechts Vorstandsmitglied Matthias<br />

Wunderling-Weilbier aus Neuerkerode.<br />

Propst Armin Kraft, Landtagsabgeordnete<br />

Heidemarie Mundlos, städtischer Fachbereichsleiter<br />

Henning Heiß, Pastpräsident des<br />

Lions-Clubs Thomas Kaphammel, ehemaliger<br />

Bürgermeister aus Bad Harzburg Klaus<br />

Homann, Ehrenbürger der Stadt <strong>Braunschweig</strong><br />

Friedrich Kohl, Künstler Prof. Gerd<br />

Winner, Geschäftsführer der Borek-Stiftung<br />

Bernd Assert, der Vorsitzende des <strong>ev</strong>. Alten-<br />

Dr. Martin Kleemeyer sprach für die Johannis-<br />

Kirchengemeinde ein Grußwort; links Dekan<br />

i. R. Heinrich Denecke.<br />

hilf<strong>ev</strong>erbandes aus Hannover Martin Raabe,<br />

Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes<br />

Manfred Casper, Kreisgeschäftsführer<br />

Dieter Burfeind, Rainer Rinne von<br />

der AOK, Arnold Sell von der Barmer<br />

und Amtsgerichtspräsident Wolfgang<br />

Zschachlitz sowie die Geschäftsführung<br />

vom „braunschweig report“ Ursula und Ralf<br />

Manegold.<br />

Der Leiter der Subkommender der Johanniter Rechtsanwalt Klaus Leiste gratulierte seinem<br />

Ritterbruder; rechts Dipl.-Wirtschafts-Ing. Frank A. Bötzkes.<br />

41


Schülerinnen der Hans-Georg-Karg-Schule führten lateinamerikanische Tänze auf.<br />

Für die musikalische Umrahmung sorgte<br />

das Trio der Städtischen Musikschule unter<br />

der Leitung von Hanns-Wilhelm-Goetzke.<br />

Eine „Überraschung“ war die Tanzeinlange<br />

mit spanischen und latein-amerikanischen<br />

Rhythmen des Kurses der ersten und zweiten<br />

Klassen der Hans-Georg-Karg-Grundschule<br />

unter der Leitung von Coral Gonzales de<br />

Schwarze.<br />

In seinem Dankeswort setzte sich Burkhard<br />

Budde für ein eigenständiges Profil diakonischer<br />

Unternehmen ein. Dazu zähle u. a.<br />

die Demokratisierung – die Aufbaugesetze<br />

Eigenverantwortung, Subsidiarität, Solidarität<br />

und Gemeinwohlorientierung – sowie<br />

Humanisierung – die Menschlichkeit, ein<br />

ganzheitliches Menschenbild, einen Ausgleich<br />

der Interessen – sowie ein umfassender<br />

Verkündigungs- und Seelsorgedienst.<br />

42<br />

Gedankt wurde auch den Organisatoren<br />

aus dem Bereich des Mutterhauses, der Zentralküche,<br />

dem Hauswirtschafts- sowie dem<br />

Technischen Dienst, die unter der Gesamtleitung<br />

von Oberin Angela Tiemann die<br />

besten Voraussetzungen für gelungene Begegnungen<br />

der Menschen aus unterschiedlichen<br />

Bereichen und Arbeitswelten geschaffen<br />

hatten.<br />

Der Oberbürgermeister der Stadt <strong>Braunschweig</strong><br />

Dr. Gert Hoffmann, der aufgrund<br />

einer gleichzeitig tagenden Ratssitzung nicht<br />

kommen konnte, schrieb: „Sie haben sich<br />

vielfältig insbesondere in sozialen Belangen,<br />

für unsere Stadt verdient gemacht.“ Auch der<br />

SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Winter gratulierte<br />

und wünschte Gesundheit und Gottes<br />

Segen.<br />

Für die musikalische<br />

Umrahmung<br />

sorgte das Trio der<br />

Städtischen Musikschule<br />

unter der<br />

Leitung von Hanns-<br />

Wilhelm Götzke.


Unter den Gästen<br />

waren auch der Galerist<br />

Thomas Kaphammel<br />

(l.), Dr. Sebastian Pulst<br />

(M.) und Kreisgeschäftsführer<br />

Dieter<br />

Burfeind (r.).<br />

Die „Grünen Damen“ der Donnerstagsgruppe brachten ein Ständchen.<br />

Oberlandeskirchenrätin<br />

Brigitte Müller<br />

(r.) freute sich über die<br />

Tanzeinlage; links der<br />

städtische Fachbereichsleiter<br />

Henning<br />

Heiß.<br />

43


Ein Blick in den Wilhelm-Löhe-Saal; im Vordergrund Klaus Kriebel und Ehefrau.<br />

Arnold Sell von der Barmer Ersatzkasse (l.) mit Dr. Andreas Bodlien.<br />

44


Der Ehrenbürger der Stadt <strong>Braunschweig</strong> Friedrich-Theodor Kohl mit dem <strong>Marienstift</strong>skoch<br />

Stephan Bürger.<br />

Die Mitarbeiterinnen des Mutterhauses (v. l. n. r.): Barbara Hoffmann, Brigitte Szot, Hedwig<br />

Bloom und Valeria Palmucci.<br />

45


Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Landtagsabgeordnete Heidemarie Mundlos<br />

(r.) mit dem Sozialausschussmitglied der Stadt <strong>Braunschweig</strong> Eva Ziegler-Schrey.<br />

Freuten sich über die Begegnung (v. l. n. r.): Prof. Gerd Winner, Verwaltungsratsvorsitzender<br />

des Diakonischen Werkes Dietrich Fürst, Propst Armin Kraft sowie Landespfarrer Dr.<br />

Lothar Stempin.<br />

46


Die Schülerinnen beim Empfang<br />

der Gäste Frauke Cramme (l.)<br />

und Sonja Strangmann.<br />

Die Ärztin Ingrid Stobbe zeigte ihre<br />

Verbundenheit mit dem <strong>Marienstift</strong>.<br />

Oberin Angela Tiemann (l.) im Gespräch mit dem Ehepaar Dr. Axel und Karin Grüter.<br />

47


Sprachen auch über journalistische Fragen mit dem Jubilar (v. l. n. r.): Ehepaar Ralf und<br />

Ursula Manegold vom „braunschweig report“, „SAT-1“-Mitarbeiter Hans-Hermann<br />

Gockel mit Ehefrau Annette aus Bielefeld. Foto: Heike Otto<br />

Der Abend diente auch dem Kennenlernen (v. l. n. r.): der neue Leiter des Finanz- und Rechnungswesens<br />

Michael Tandler, Rainer Rinne von der Allgemeinen Ortskrankenkasse sowie<br />

Verwaltungsdirektor Ralf Benninghoff.<br />

48


Chefarzt Dr. Reinhold Mäueler (l.) mit dem Diakonischen Bruder Pastor Egbert Tröger und<br />

Ehefrau Hannelore.<br />

Gruppenbild mit Diakonisse Schwester Wanda Elsner, leitender Anästhesieschwester Karin<br />

Grüter (stehend), Diakonischer Schwester Margret Budde (l.) sowie Nachbarin Karin Wallis.<br />

49


War in den letzten<br />

Ausgaben des doppelpunkts<br />

die Rede<br />

von erzieherischen<br />

Arbeitsfeldern des<br />

<strong>Marienstift</strong>s, an die<br />

sich manch einer<br />

noch erinnern konnte,<br />

so soll heute ein<br />

Aufgabenbereich<br />

vorgestellt werden,<br />

der weithin vergessen ist, die Kleinkinderschulen.<br />

Wie bei der Geschichte des Diakonissenhauses<br />

auch sonst erweist sich der<br />

kriegsbedingte Verlust der meisten Archivalien<br />

als Hindernis. Viele Fragen, die sich<br />

hinsichtlich des pädagogischen Konzepts<br />

gerade der hier bestehenden Schulen, der<br />

Kosten, der sozialen Zusammensetzung der<br />

Kinder oder der Wirkung ergeben, lassen<br />

sich angesichts der Quellenlage kaum oder<br />

auch gar nicht beantworten.<br />

Während es im Ausland schon um die<br />

Mitte des 18. Jahrhunderts Spielschulen für<br />

kleine Kinder gab, nahm die Entwicklung<br />

solcher Anstalten, nun freilich mit ausgeprägtem<br />

christlichen Profil, in Deutschland<br />

ihren Anfang im Elsaß. Dort gründete der<br />

<strong>ev</strong>angelische Pfarrer Oberlin im Steintal ab<br />

1770 Kleinkinderschulen, in denen 4 bis<br />

7jährige Kinder mit Papierbemalen, Falten,<br />

Figurenlegen, mit Spielen, Gesang, Naturgeschichte,<br />

biblischen Geschichten, Lesen<br />

und Rechnen beschäftigt wurden. In der<br />

Pfarrhausmagd Louise Scheppeler fand<br />

Oberlin eine Mitarbeiterin, die dank ihres<br />

herausragenden natürlichen pädagogischen<br />

Talents und ihrer nie nachlassenden Ein-<br />

50<br />

Aus der Geschichte des <strong>Marienstift</strong>es<br />

Die Kleinkinderschulen<br />

Von Dr. Rosemarie Kamp<br />

satzbereitschaft dazu verhalf, dass diese<br />

Einrichtungen sich äußerst erfolgreich<br />

gestalteten.<br />

Waren es hier Kinder aus außerordentlich<br />

armen ländlichen Gebieten, um deren<br />

Erziehung Oberlin sich mühte, wurde bald<br />

auch in den Städten, wo die kleinen Handwerker<br />

verelendeten und sich das Industrieproletariat<br />

bildete, die Notwendigkeit<br />

entsprechender Einrichtungen erkannt. In<br />

der Zeit des Pauperismus wurden im frühen<br />

19. Jh. mehr und mehr vorschulische Einrichtungen<br />

gegründet und stieg die Zahl der<br />

pädagogischen Publikationen, die sich mit<br />

deren Zielsetzung und Organisation befassten.<br />

Das preußische Kultusministerium<br />

empfahl 1827 die Einrichtung von Kleinkinderschulen,<br />

auch die übrigen Staaten<br />

förderten solche Projekte, sodass bald in<br />

vielen größeren Städten sogenannte Kinderbewahranstalten<br />

vorhanden waren.<br />

<strong>Braunschweig</strong> konnte dank des Einsatzes<br />

von Amalie Löbbecke seit 1834 eine Aufbewahrungsanstalt<br />

für Kleinkinder aufweisen,<br />

in dessen Vorstand im übrigen auch die<br />

Frau v. Campe, eine der Gründerinnen des<br />

<strong>Marienstift</strong>s, zu ihrer Zeit eifrig mitarbeitete.<br />

Neue Impulse erhielt die Kinderbetreuung<br />

durch Fröbel, der 1837 in Blankenburg<br />

den ersten „Kindergarten“ für 2 bis 6jährige<br />

gründete und eine neue eigene Pädagogik<br />

dafür entwickelte, die viel Zustimmung<br />

fand, aber auch kritisch diskutiert wurde. In<br />

Preußen schloss man allerdings 1851 die<br />

Fröbelschen Kindergärten als „atheistische<br />

und sozialistische“ Einrichtungen.


Wichtig wurden nun die ab 1871 vom<br />

„Zentralkomitee des Overlinvereins für die<br />

christlichen Kleinkinderschulen in<br />

Deutschland“ gegründeten Anstalten, die<br />

ab 1911 auch offiziell den Namen „Kindergarten“<br />

führten. In diesem Zusammenhang<br />

muss Fliedner genannt werden. Er hatte<br />

bereits 1835, auf die Notlage in seiner<br />

Gemeinde reagierend, eine Kleinkinderschule<br />

für Kinder aller Konfessionen eingerichtet<br />

und diesen Schritt auch ausführlich<br />

begründet: „In hiesiger Stadt gibt es<br />

wie an anderen größeren Orten eine Menge<br />

Eltern, welche durch ihren Broterwerb,<br />

durch Fabrik- und andere Arbeit den größten<br />

Teil des Tages außer Hauses zubringen<br />

müssen, die durch strenge Berufsarbeit im<br />

Hause von der Pflege und Beaufsichtigung<br />

ihrer Kinder abgezogen werden, sodass<br />

diese die meiste Zeit sich selbst überlassen<br />

bleiben. Zum Teil werden sie eingesperrt,<br />

wo sie gedankenlos in dumpfer Luft dahinbrüten.“<br />

Hier wollte er Abhilfe schaffen,<br />

und zwar mit Hilfe der Diakonissen, denen<br />

er damit ein neues Arbeitsgebiet zuwies,<br />

dem sich die Mutterhäuser in der Folgezeit<br />

bereitwillig stellten.<br />

Wer den Gedanken in <strong>Braunschweig</strong><br />

zuerst aufgriff, wie er im <strong>Marienstift</strong> diskutiert<br />

wurde, lässt sich nicht mehr feststellen.<br />

Im Michaelisblatt 1879 jedenfalls erschien<br />

ein langer Artikel. „Ein Tag in der Kleinkinderschule“<br />

der aus dem Jahresbericht<br />

der Dresdener Einrichtung stammte. Die<br />

Anstaltschronik des <strong>Braunschweig</strong>er Hauses<br />

meldet zum gleichen Zeitpunkt zum<br />

ersten Mal das Bestehen je einer Kleinkinderschule<br />

in Bad Harzburg und in Destedt.<br />

Lag in Harzburg ein solches Unternehmen<br />

im Anschluss an die Kinderheilanstalt nahe,<br />

so dürfte in Destedt das Interesse der Gutsherrin<br />

an der im übrigen nur im Sommer<br />

betriebenen und mit der Gemeindestation<br />

verknüpften Schule ausschlaggebend gewesen<br />

sein. Michaelis 1882 wird den<br />

Lesern der <strong>Marienstift</strong>sblätter „Der Anfang<br />

der christlichen Kleinkinderschule“, näm-<br />

lich Absicht und Wirken Oberlins und der<br />

Louise Scheppeler, vor Augen geführt.<br />

Berichtet wird auch, dass auf dem Jahresfeste<br />

des <strong>ev</strong>angelischen Vereins der Provins<br />

Hannover das Thema „Kleinkinderschule“<br />

auf der Tagesordnung gestanden hatte. Im<br />

Januar 1885 schickte man zwei Diakonissen<br />

auf das Seminar für Kleinkinderlehrerinnen<br />

in Dresden, um sie auf die neue<br />

Arbeit vorzubereiten. „Eine Kleinkinderschule<br />

ist eine große Familienstube, die<br />

Schwester, die Mutter darin; es ist ja ein<br />

Unterschied, mit 2 oder 3 eigenen Kindern<br />

zu spielen und sie zu beschäftigen oder mit<br />

50 bis 70 fremden. Dabei soll aber auch der<br />

Verstand der Kleinen geweckt werden, dass<br />

sie nicht dumm und blind an allem, was sie<br />

umgibt, vorübergehen. Eine Kinderschwester<br />

bedarf auch nicht geringer Umsicht,<br />

um Versuchungen und Anstöße zur Unart<br />

aus dem Wege zu räumen. Zucht muss ja<br />

sein, aber sie muss mit Maßen für die Kleinen<br />

geübt werden.“ Damit stellte sich das<br />

Problem der Ausbildung. Im Johannisblatt<br />

1885 heißt es: „Ferner ist ein dringendes<br />

Bedürfnis für die Ausbildung unserer<br />

Schwestern in der Spielschularbeit eine<br />

Lehrstation einzurichten. Ich erwähnte<br />

schon, dass für die Spielschule immer mehr<br />

Schwestern von uns verlangt werden. Wir<br />

wissen augenblicklich von 6 solchen Stationen.<br />

Bisher haben wir 4 Spielschulen<br />

versorgt und die eine davon ist vorläufig<br />

mit einer Seminaristin besetzt, weil wir eine<br />

dafür passende Diakonissin nicht mehr<br />

besaßen. Die sonst dafür passenden Schwestern<br />

haben wir eine Zeitlang auswärts in<br />

den Unterricht eines anderen Diakonissenhauses<br />

schicken müssen. Das ist aber nicht<br />

nur umständlich und kostspielig, sondern<br />

hat noch einen anderen Übelstand im<br />

Gefolge.“ Man hatte nämlich feststellen<br />

müssen, dass von 8 für die bestehenden 4<br />

Spielschulen in Dienst gestellten Schwestern<br />

nur 3 übrig geblieben waren, die sich<br />

als gesundheitlich stabil genug und für die<br />

Arbeit mit Kindergruppen geeignet erwie-<br />

51


sen. Von der Einrichtung einer eigenen<br />

Lehrstation versprach man sich eine bessere<br />

und schnellere Voraussage und Übersicht<br />

übher die Einsatzmöglichkeiten der Kandidatinnen.<br />

Die Forderung nach einem eigenen<br />

Seminar ließ sich nicht realisieren, wie<br />

wurde 1911 endgültig aufgegeben. Aber<br />

das öffentliche Interesse an der Einrichtung<br />

von Kleinkinderschulen stieg vorerst.<br />

Michaelis 1887 widmen sich die <strong>Marienstift</strong>sblätter<br />

vorrangig diesem Thema.<br />

Abgedruckt ist einmal ein 5 Seiten langer<br />

Artikel über die praktischen Erfahrungen<br />

aus der Kleinkinderschule eines großstädtischen<br />

Arbeiterviertels, der zuerst in Dresden<br />

erschienen war und eingehend Auskunft<br />

gibt über den dort bestehenden „Kindergarten<br />

des Stadtvereins für innere Mission“.<br />

Da wird das wöchentliche, von den<br />

Eltern zu zahlende Pflegegeld von 50 Pf.<br />

erörtert, das 27 % der Unkosten deckt, der<br />

lange Anmarschweg der 3 bis 6jährigen<br />

beschrieben und die für die Entwicklung dr<br />

Kinder zumeist ungünstigen Familienverhältnisse.<br />

Als Ergebnis der Erziehung werden<br />

„Sinnes- und Herzensänderung“ und<br />

die Entwicklung eines vorher vernachlässigten<br />

Schicklichkeitsgefühls erheblich höher<br />

bewertet als die vorzeigbaren Flecht-,<br />

Stich- und Stickarbeiten. Darüber hinaus<br />

wird von einer unbewussten Erziehung der<br />

Eltern durch das veränderte Verhalten der<br />

Kinder berichtet und auch von den regelmäßigen<br />

Abendbesprechungen mit den<br />

Müttern, wo es nach anfänglicher Scheu zu<br />

echter Begegnung und Gedankenaustausch<br />

kommt. Letztes Ziel der Kleinkinderschule<br />

ist die Förderung der Kinder, die Verankerung<br />

von Christentum, von Wertvorstellungen<br />

und Moral in allen Schichten und damit<br />

auch die Zurückdrängung des atheistischen<br />

und kirchenfeindlichen Sozialismus. Der<br />

Artikel endet mit den Worten: „Rechte<br />

Kleinkinderschulen sind daher Erziehungsanstalten<br />

nicht bloß für die Kleinen, sondern<br />

auch für die Eltern derselben und für<br />

die Vorsteher. Sie fördern das Bewußtsein<br />

52<br />

dessen, daß die verschiedenen Teile des<br />

Volkes aufeinander angewiesen sind und<br />

schließlich dem einen Ziel nachstreben sollen,<br />

einst selig zu werden.“ Offensichtlich<br />

teilte der <strong>Braunschweig</strong>er Vorsteher diese<br />

Vorstellung, stellt ihnen nun aber im gleichen<br />

Blatt Ausführungen zur Seite, in<br />

denen er die Notwendigkeit der Kleinkinderschule<br />

für seine Stadt unterstreicht.<br />

Was damals der Herr seinen Jüngern<br />

gesagt hat, das ist unter einem gewissen<br />

Gesichtspunkt heutzutage fast ein Gemeinplatz<br />

geworden. Wer die Kinder besitzt, wer<br />

die Schule beherrscht, wer die Jugend an<br />

sich zu fesseln versteht, dem gehört die<br />

Zukunft. Das weiß alle Welt. Aber so<br />

bekannt nun dieser Gedanke und so einleuchtend<br />

er ist: es fehlt doch noch viel,<br />

daß man ihm zufolge auch handelt! Nicht<br />

an Gelegenheit fehlt es. Wer zählt in<br />

Gegenden kleiner städtischer Mietsquartiere<br />

das Heer der Kinder? Wo sie nachts alle<br />

unterkriechen, bleibt ein Rätsel. Den Tag<br />

über nun, wo Vater und Mutter, gezwungen<br />

von der Sorge ums tägliche Brot, auswärts<br />

arbeiten, schwärmen sie aussichtslos auf<br />

der Gasse umher; und was von den Kindern<br />

der städtischen Fabrikarbeiter gilt, das gilt<br />

ebenso von den Kindern der ländlichen<br />

Gutstagelöhner. Wäre hier nicht tausendfältige<br />

Gelegenheit, jenen Gedanken zur<br />

That zu machen und diese Kinder um sich<br />

zu sammeln? Und dringende Veranlassung<br />

dazu! Denn daß aus solchen armen verwahrlosten<br />

Kindern nur selten etwas<br />

Ordentliches wird, das ist begreiflich. Der<br />

Mangel an leiblicher Pflege bringt sie um<br />

Gesundheit und Wachstum _ was für kläglich<br />

blasse, elende, dürftige Gestalten findet<br />

man unter ihnen: aber noch viel verderblicher<br />

ist der Mangel an aller sittlichen Pflege!<br />

Daß niemand Augen und Ohren solcher<br />

Kinder vor der Roheit des erwachsenen<br />

Lasters bewahrt, daß niemand ihre eigenen<br />

jungen Herzen in Zucht nimmt und was<br />

sich da böses regt im Keime erstickt, daß<br />

niemand den guten Samen des göttlichen


Worts in ihre Seelen austreu, niemand sie<br />

bekannt macht mit Jesu dem großen Kinderfreunde,<br />

um auch schon ihnen das Ideal<br />

zu geben, welches für Hoch und Niedrig,<br />

für Jung und Alt gleichermaßen paßt! Wild<br />

wachsen sie auf, die Schule, die etwas<br />

Nachhaltiges überhaupt nur in Verbindung<br />

mit dem Elternhause erzielen kann, vermag<br />

hier natürlich um so weniger das aus den<br />

ersten sechs Lebensjahren bereits vorhandene<br />

Deficit zu decken! Wenn dann später,<br />

ach oft genug! der Armenpfleger und der<br />

Strafrichter diese Versäumnis doppelt aus<br />

dem Staatsbeutel ersetzen müssen, wiewohl<br />

nur noch um einigermaßen unschädlich<br />

zu machen, nicht mehr um zu retten:<br />

wer darf sich darüber wundern? Und daß<br />

diese Kreise Mann für Mann mindestens<br />

der Socialdemokratie zufallen, wer darf,<br />

ich möchte sagen, es ihnen verdenken? Sie<br />

rechnen kaum falsch, wenn sie für sich<br />

selbst von jeder Aenderung ihrer Lage eine<br />

Besserung erwarten. Wäre nicht dringende<br />

Veranlassung, hier freiwillig zu helfen, ehe<br />

einmal die Hilfe erzwungen wird, und der<br />

Versuch zu machen, ob wir mit dem Besitz<br />

jener gesammelten Kinder nicht der<br />

Umsturzpartei noch die Zukunft abgewinnen<br />

können?<br />

Freilich bloße Berechnung, die Klugheit<br />

des Eigennutzes führt nicht zum Ziel. Dazu<br />

bedarf es der Barmherzigkeit, welche die<br />

Kinder um ihres eigenen Wertes willen achtet,<br />

welche die unsterbliche Seele in ihnen<br />

kennt und sie dem Heiland gewinnen und<br />

bewahren helfen will.<br />

<strong>Braunschweig</strong> besitzt seit 1834 eine<br />

Kleinkinderbewahranstalt, eine der ersten<br />

in ganz Deutschland. Sieben Jahre später,<br />

1841 betrug die Einwohnerzahl 37-38000,<br />

heute zählt <strong>Braunschweig</strong> gegen 90000<br />

Einwohner. Für diesen Zuwachs von 50000<br />

würden der Volkskindergarten im Hagen<br />

und die zwei Spielschulen, welche seitdem<br />

hinzugekommen sind (in der Petrigemeinde<br />

die eine, die volljährig geführt wird, bei<br />

unserem Siechenhause Bethanien die andere,<br />

die wir nur den Sommer hindurch offen<br />

halten können) ohnehin nicht ausreichen.<br />

Denn jene Kinderbewahranstalt wurde<br />

schon 1841 von 189 Kindern besucht, und<br />

die genannten drei neueren Anstalten haben<br />

erst zusammen so viel. Dazu kommt aber,<br />

daß die Einwohnerschaft von heute sich<br />

ganz anders zusammensetzt als 1834. Die<br />

sogenannte Arbeiterb<strong>ev</strong>ölkerung bildet<br />

einen viel erheblicheren Bruchteil als je<br />

vordem, und sie schickt ja vornämlich ihre<br />

Kinder den Spielschulen, außerdem aber ist<br />

noch durch die viel weitere Ausdehnung,<br />

welche gleichzeitig die Frauenarbeit<br />

gewonnen hat, die Aussichtslosigkeit der<br />

Kinder mithin das Bedürfnis nach Spielschulen<br />

gewachsen: wie groß mag die Not<br />

dieser Kinderwelt sein! Man kann’s auf der<br />

Stube ausrechnen _ aber geht einmal durch<br />

die entlegneren Straßen unserer Stadt und<br />

seht das Elend in der Nähe mit eigenen<br />

Augen an!<br />

Ehre den Gründern jener Anstalt von<br />

1834! Aber wollen wir uns von ihnen<br />

beschämen lassen! Rühmen wir uns nicht,<br />

daß seit jenen Tagen die öffentliche Mildthätigkeit<br />

gelernt hat, sich noch viel reichlicher,<br />

weil allgemeiner zu erweisen?<br />

An uns im <strong>Marienstift</strong> ist es zu sorgen,<br />

daß es an fröhlichen, geduldigen, geübten<br />

Helferinnen für solche Spielschulen nicht<br />

fehlt, an den lebendigen Kräften, nach<br />

deren Tüchtigkeit sich der Wert jeder<br />

Anstalt bemißt. Wir sehen in den vielfachen<br />

Nachfragen nach solchen Helferinnen<br />

eine Weisung Gottes, uns dieser Arbeit<br />

mehr noch als bisher zu widmen. An euch,<br />

unseren lieben Freunden und Wohltätern ist<br />

es, uns dazu Handreichungen zu tun.<br />

Der Aufruf verhallte nicht ungehört.<br />

1896 verzeichnet die Jahresübersicht unter<br />

den Arbeitsgebieten des <strong>Marienstift</strong>s Kleinkinderschulen<br />

in Destedt (seit 79), Königslutter<br />

(seit 87), Oelber a. w. W. (seit 88), St.<br />

Petri, <strong>Braunschweig</strong> (seit 82), Steterburg<br />

53


(seit 87), Riddagshausen (seit 89), Helmstedt<br />

(seit 94), die z. T. in den ländlichen<br />

Gebieten nur im Sommer geführt wurden.<br />

1893 wird die Zahl der betreuten Kinder<br />

mit 340 angegeben, 1896 mit 448. Auch<br />

Calvörde und Bethanien im <strong>Marienstift</strong><br />

verfügten zeitweise über eine entsprechende<br />

Einrichtung. Offensichtlich kam es gelegentlich<br />

zu vorübergehenden Schließungen.<br />

Bei den vielfältigen Aufgaben der <strong>Diakonissenanstalt</strong><br />

fehlte es oft an Schwestern,<br />

und bei den ländlichen Gemeinden war<br />

man wohl auch auf wohlwollende Unterstützung<br />

durch Privatpersonen angewiesen.<br />

1917 gab es sogar 10 Kleinkinderschulen,<br />

die vom Stift betreut wurden. Die finanzielle<br />

Notlage nach dem ersten Weltkrieg und<br />

während der Weltwirtschaftskrise führten<br />

wie der steigende Schwesternmangel zu<br />

Schließungen, wobei sicher auch die wachsende<br />

Konkurrenz des Staates und freier<br />

privater Einrichtungen beitrugen, bis dann<br />

im Dritten Reich die kirchlich ausgerichtete<br />

Kindererziehung ausgeschaltet wurde.<br />

Wie auch auf anderen Gebieten hatten<br />

die <strong>Diakonissenanstalt</strong>en sich mit der<br />

Gründung und Führung von Kleinkinderschulen<br />

bemüht, zur Lösung eines drängenden<br />

sozialen Problems beigetragen und<br />

damit einen Weg in die Zukunft gewiesen.<br />

Zum Schluss seien die beiden einzigen<br />

Berichte über die Kleinkinderschularbeit<br />

des <strong>Marienstift</strong>es abgedruckt, geschrieben<br />

von Schwestern, die keine ausgebildeten<br />

Kindergärtnerinnen waren, aber mit Freude<br />

bei der Sache waren und sich Mühe gaben,<br />

ihre Aufgaben zu erfüllen.<br />

Aus der Arbeit unserer Schwestern.<br />

(1895)<br />

1. Ein Sommerfest in Steterburg. „Zu<br />

meiner großen Freude ist die Zahl der Kinder<br />

in der Schule schon bis auf sechzig<br />

gestiegen. Jeden Tag habe ich den Herrn<br />

gebeten, Er möchte mir doch recht viele<br />

Kinder schicken; und mit jedem Tage habe<br />

54<br />

ich sehen dürfen, wie es immer mehr wurden.<br />

_ Nun will ich Ihnen von unserm<br />

Schulfeste erzählen, welches wir am vergangenen<br />

Sonntage gefeiert haben. Sie<br />

wundern sich gewiß, warum ich das Schulfest<br />

nicht an einem Wochentage feierte.<br />

Aber dann wären ja die Eltern der Kinder<br />

verhindert gewesen, und es ist doch besser,<br />

wenn die Eltern einmal ordentlich sehen<br />

und hören, was in der Kleinkinderschule<br />

getrieben wird, damit sie dieselbe nicht<br />

immer als eine Kinderbewahranstalt ansehen.<br />

Frau B. schickte uns 20 Liter Milch<br />

und 3 Pfund Chokolade für die Kinder.<br />

Schon am Freitag hatte ich den Kindern<br />

Schulzettel mitgegeben und alle Eltern<br />

freundlich eingeladen. Auch wurden am<br />

Sonnabend aus der Schule Tische und<br />

Bänke hinauf in den Wald gefahren. Am<br />

Sonntagnachmittag 1 Uhr erschienen dann<br />

die Kinder; die kleinen Mädchen hatten fast<br />

alle grüne Kränze im Haar. Den Knaben<br />

setzte ich Helme auf. Nun ordnete sich der<br />

Zug, vorn ein Knabe mit einem Gewehr<br />

und einer Husarenmütze; dahinter wieder<br />

zwei Knaben mit Gewehren; dann acht<br />

Knaben mit Trommeln, und zuletzt noch<br />

ein jedes mit einer Fahne. Um 2 1/2 Uhr<br />

erschien der Eselwagen, welcher die Kleinsten<br />

und die Chokolade hinauf in den Wald<br />

fahren sollte. Wir umsteckten auch den<br />

Wagen mit kleinen Fahnen, sodaß er ganz<br />

bunt aussah. Dann zogen wir singend<br />

durchs Dorf, vor dem Schlosse vorbei und<br />

in den Wald nach dem Turme. Als wir dort<br />

oben ankamen, waren schon fast alle Eltern<br />

der Kinder versammelt; auch Frau B. war<br />

schon da. Mit großem Interesse hat Frau B.<br />

dies kleine Fest mit uns gefeiert und sich<br />

auch sehr über ihre Schule gefreut. Nun<br />

tranken die Kinder zuerst ihre Chokolade<br />

und aßen Krengel und Zwiebäcke dazu. Die<br />

Bänke wurden dann alle hinter einander<br />

gestellt, die Kinder mußten sich setzen, und<br />

ich fing an mit ihnen zu singen, zuerst geistliche<br />

Lieder, darnach Naturlieder; dann<br />

kamen Bewegungsspiele, auch ließ ich


Fabeln aufsagen und spielen. Dann fragte<br />

ich Frau B., ob die Kinder auch Sprüche<br />

aufsagen sollten. Gewiß, antwortete sie, es<br />

wäre gut, wenn die Eltern einmal hörten,<br />

daß ihre Kinder auch etwas aus der Bibel<br />

lernten. Nun ließ ich auch wirklich eine<br />

ganze Anzahl Sprüche hersagen; die Kinder<br />

sie auch recht gut. Dann wurden noch einige<br />

Kreisspiele gemacht, und nachdem sie<br />

ordentlich in Reih und Glied marschiert<br />

hatten, schenkte Frau B. jedem Mädchen<br />

einen bunten Blecheimer, und die Knaben<br />

bekamen alle Trompeten. Auch mußte einer<br />

der Männer in eine Buche klettern und eine<br />

große Tüte voll Bonbons herunterschütteln.<br />

Zum Schluß bekamen die Kinder noch eine<br />

große Zuckerkrengel, welche Frau B.’s<br />

Bruder, der Herr B. vom Gute N., unsern<br />

Kinder hatte backen lassen. Nachdem sich<br />

die Kinder bei Frau B. bedankt hatten,<br />

zogen wir wieder im Zuge nach dem Stifte,<br />

der bunte Eselwagen immer hinter uns her.<br />

Vom Stifte aus gingen dann die Kinder<br />

unter dem Trompetenschall nach Hause.“<br />

Aus der Klein-Kinderschule (1895)<br />

Es ist ja dieselbe ein überaus liebliches<br />

Arbeitsfeld; und wenn Gott einer Schwester<br />

einen kindlichen Sinn und Weisheit<br />

geschenkt hat (und Er giebt das einfältiglich<br />

Jedermann, der ihn darum bittet Jac.<br />

1.), so hat sie täglich in diesem Beruf ihre<br />

sonderliche Freude und Ermunterung.<br />

Einmal war die „Tante“ durch den Unfall<br />

eines Kindes über den richtigen Schluß der<br />

Stunden hinweggekommen. Da riefen viele<br />

kleine Stimmen; „Tante, wir haben noch<br />

nicht gebetet!“ „“Ja, das ist auch wahr; aber<br />

sagt mir: betet ihr denn auch zu Hause treulich?“„<br />

Fast alle Kinderchen riefen fröhlich<br />

„ja!“ Da hielt ein kleiner Junge noch extra<br />

seinen Finder auf. „Nun, was willst noch,<br />

Heinrich?“ „Tange ich bete noch, wenn ich<br />

auch schon Soldat bin.“ „Und ich“, rief<br />

noch ein anderer, „ich, Tante, bete noch,<br />

wenn ich auch schon Sackmann bin.“ Sackmann<br />

aber ist der Gensdarm in Steterberug.<br />

– An einem schönen Nachmittage hieß es:<br />

„heute, Kinder, gehn wir in den Wald!“<br />

„“Aber, Tante, im Walde ist ja der Wolf,“„<br />

sagten einige Kinder ernst. „Nun“, sagte<br />

die Tante, „wenn der kommt, dann nehme<br />

ich eins von euch, und werfe es ihm hin;<br />

und wir andern laufen dann schnell weg.“<br />

Da wurden die Kleinen noch ernster:<br />

„Nein“, sagte da die Tante, „jetzt weiß ich’s<br />

noch besser: ich werde mich ihm hin, und<br />

ihr lauft dann schnell weg.“ „“Ja, Tante,“„<br />

sagte ein kleiner Bursche daszu, „“ dann hat<br />

er auch erst ordentlich was zu fressen.“„<br />

Als die Schwester den Kindern die Geschichte<br />

von der Sündflut erzählte, meinte<br />

einer von den kleinen Burschen, „ich wäre<br />

doch nicht ertrunken.“ „“Ja, wie hättest du<br />

das denn gemacht?“„ „Ich wäre auf Noah<br />

seinen Kasten geklettert.“ „Dann wäre er<br />

dorch auch ertrunken,“ meinte ein anderer.<br />

„“Nein!“„ „Doch!“, sagte der andere wieder;<br />

wenn Noah den Deckel upbörte, wärst<br />

du doch ins Wasser gefallen und auch<br />

ertrunken.“<br />

Dank an Spender<br />

Ohne Spenden könnten wichtige Aufgaben des <strong>Marienstift</strong>es nicht verwirklicht werden.<br />

Der Vorstand dankt allen, die ideel und finanziell die diakonische Einrichtung<br />

unterstützen. So kann einzelnen Hilfesuchenden spontan und unbürokratisch geholfen<br />

werden, aber auch diakonische Aktivitäten werden gezielt gefördert. Die Konto-<br />

Nummer für Spenden lautet: Ev. Darlehnsgenossenschaft e. G. Kiel<br />

Konto 20 54 542<br />

BLZ 210 602 37<br />

55


Neues Stiftungsratsmitglied<br />

Die <strong>Braunschweig</strong>er Ärztin Dr. Annette Rabens<br />

wurde jetzt in den Stiftungsrat des <strong>Marienstift</strong>es als<br />

Nachfolgerin von Dr. Rosemarie Kamp gewählt, die<br />

aus Altersgründen aus dem Leitungsgremium der diakonischen<br />

Einrichtung ausgeschieden war. Für die<br />

Leser des „doppelpunktes“ stellt sich Dr. Annette<br />

Rabens vor:<br />

„Ich stamme aus Göttingen und habe in Gießen und<br />

Hannover studiert. Seit 1982 bin ich in <strong>Braunschweig</strong><br />

tätig, zunächst in verschiedenen Fachgebieten, unter<br />

anderem in der Anästhesie- und Intensivmedizin.<br />

Meine Vorliebe galt jedoch schon immer der Psychiatrie,<br />

der ich mich dann auch ab etwa Mite der 80er<br />

Jahre durchgehend gewidmet habe. Die letzten fünf<br />

Jahre etwa war ich in der Neurologie und in der Psychiatrie<br />

des Städtischen Klinikums in <strong>Braunschweig</strong><br />

tätig und habe Ende der 80er Jahre nebenberuflich die<br />

Ausbildung als Psychotherapeutin gemacht und bin mit<br />

meinem Mann in unserer Gemeinschaftspraxis seit<br />

1992 niedergelassen. Wir haben eine neunjährige Tochter,<br />

die noch die Grundschule besucht.“<br />

80. Geburtstag von Schwester Gertrud<br />

56<br />

Ihren 80. Geburtstag feierte Schwester Gertrud Kadenbach am<br />

30. April dieses Jahres. Sie lebt zurzeit auf der Jordanshöhe in St.<br />

Andreasberg. Für den „doppelpunkt“ hat sie einen kurzen Lebenslauf<br />

geschrieben:<br />

„Geboren bin ich in Niederschlesien im Kreis Bunzlau mit vier<br />

Geschwistern in einem frommen Elternhaus. 1945 folgte eine<br />

schwere Zeit, die wir nur mit Gottes Hilfe überstehen konnten. Wir<br />

erlebten, wie man auch in der Nacht auf der Straße ohne Bett auskommen<br />

musste, nämlich auf der viermaligen Flucht. In Schlesien<br />

wieder angekommen war es schwer ein Quartier zu finden, da alles<br />

besetzt worden war. Aber dennoch gab es immer wieder einen Ausweg.<br />

Auch dieses hatte zwei Seiten: zum innerlichen Wachstum und<br />

Reifen.<br />

Nach 12 Jahren Gemeindedienst in Süpplingen kam der Ruf aus<br />

dem Mutterhaus nach St. Andreasberg (1970), den ich selbstverständlich<br />

folgte und bis jetzt 33 Jahre meine zweite Heimat gefunden<br />

habe und dankbar bin für jeden Tag, der mir hier noch geschenkt<br />

ist.“


Nina Klemm mit ihrem<br />

Sohn Kilian.<br />

Treff-Punkte<br />

Carolin M. Bötzkes mit ihrem<br />

Kind Johann Jakob Albert.<br />

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Schüler der Krankenpflegeschule (v. l. n. r.): Corinna Kaune, Florian Schuder<br />

und Sabrina Haase.<br />

Diakonische Schwester Gisela Ebert mit Enkelkind Lara.


Die Musikanten Bianka (M.) und Klaus Brünenkamp in Bethanien.<br />

Lennart Reiswig wurde am Erntedankfest in der Theodor-Fliedner-Kirche getauft, worüber<br />

sich nicht nur die Eltern freuten, sondern auch die Großeltern und Angehörigen.<br />

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