K o n zerte W issen sch aft M u seen - Stiftung Mozarteum Salzburg
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© Anton Zavyalov<br />
TEODOR CURRENTZIS<br />
22<br />
sen, was in der Partitur steht, ein Be -<br />
sessener (wer weiß, vielleicht ist er es<br />
sogar als Men<strong>sch</strong>, aber das ist wieder<br />
eine andere Ge<strong>sch</strong>ichte); manche,<br />
und zu ihnen zählt Currentzis selbst,<br />
glauben deswegen, er sei ein bis<strong>sch</strong>en<br />
verrückt („Sie hätten mich nicht verpflichtet,<br />
wenn sie nicht gewusst hätten,<br />
dass ich es bin“, hat er seinerzeit<br />
in der Premierennacht mit <strong>sch</strong>elmi<strong>sch</strong>em<br />
Schmunzeln erzählt). Das mag<br />
sein, wie es ist, Tatsache ist: Dieses<br />
Verrückt-Sein macht ihn zu einem<br />
außergewöhnlichen und außergewöhn -<br />
lich interessanten Künstler – den ein<br />
Experte einmal, während Currentzis<br />
von 2004 bis 2010 die Funktion des<br />
Chefdirigenten der Staatlichen Oper<br />
und des Ballett-Theaters von Nowosibirsk<br />
inne hatte, augenzwinkernd den<br />
„Zauberer vom Ob“ nannte.<br />
Nun, seit der Spielzeit 2011/12, wirkt<br />
er als Musikdirektor des dortigen<br />
Opern- und Ballett-Theaters, in Perm,<br />
das ist nicht mehr gar so weit weg von<br />
Moskau (nach Nowosibirsk benötigte<br />
man von dort vier Flugstunden), und<br />
auch nicht mehr ganz so kalt (man be -<br />
denke den Abstand zwi<strong>sch</strong>en 40 Grad<br />
plus in Athen und der selben Anzahl,<br />
nur minus, in Sibirien und was das<br />
mit einem Men<strong>sch</strong>en, der die Wärme<br />
gewohnt ist, zu machen vermag). Den -<br />
noch fragt man sich, wie so einer über -<br />
haupt nach Russland gelangt, dessen<br />
Wiege doch in Griechenland steht.<br />
Was zunächst irritierend er<strong>sch</strong>eint,<br />
ergibt in der Causa Currentzis eine<br />
beachtliche Logik. 1994, durch seine<br />
Gesangs- und Dirigierstudien im heimi<strong>sch</strong>en<br />
Athen hinreichend „präpariert“,<br />
geht der junge Mann nach<br />
Sankt Petersburg, um am Konservatorium<br />
fünf Jahre lang bei einem Mann<br />
zu studieren, der bereits zuvor ungezählte<br />
Hochbegabungen unter seine<br />
Fittiche genommen und sie zu bedeutenden<br />
Dirigenten geformt hat, unter<br />
ihnen Valery Gergiev, Yuri Temirkanov<br />
und Semyon Bychkov sowie in jüngerer<br />
Zeit Tugan Sokhiev. Die Rede ist<br />
von Ilya Musin. Bei ihm erwirbt Currentzis<br />
nicht nur die notwendige<br />
Repertoirekenntnis und Technik, er<br />
(er)lernt vor allem eine unverwechselbare<br />
Art, sich alleine mit den Händen,<br />
ohne große Mimik und Gestik,<br />
auszudrücken. Sieht man ihn heute<br />
dirigieren, kann man es beobachten:<br />
wie die Hände Skulpturen aus Klängen<br />
<strong>sch</strong>affen, während die Augen den<br />
Musiker im Orchester fixieren.<br />
All das verdankt er dem Magier Musin.<br />
Und wie es so häufig ge<strong>sch</strong>ieht, auch<br />
etwas anderes wächst in dieser<br />
Petersburger Zeit: die Liebe zu Russland.<br />
Also bleibt Currentzis in der Kälte.<br />
Ist zunächst Temirkanovs Assistent<br />
bei den Petersburger Philharmonikern,<br />
macht sich dann zumal als Verdi-Dirigent<br />
einen Namen, arbeitet eng mit<br />
den Mos kauer Vir tuosen zu sam men<br />
und dirigiert ab 2003 re gel mä ßig das<br />
Russi<strong>sch</strong>e Nationalorchester. Im gleichen<br />
Jahr er <strong>sch</strong>eint Currentzis – als<br />
Dirigent und Pro duzent in Personal -<br />
union – erstmals an den Ufern des<br />
Ob, mit Stra winskys Ballett „Le baiser<br />
de la fée“. Die Aufführung gerät zum<br />
Triumph. Bedenkt man die zwar ver<strong>sch</strong>mitzt-freundliche,<br />
letztlich aber<br />
doch distanzierte Mentalität der Men<strong>sch</strong>en<br />
in Sibirien, ist Currentzis in die -<br />
sen Momenten Er staunliches, ja Welt -<br />
bewegendes ge lungen: Gewissermaßen<br />
mit einem einzigen Kuss hat er die<br />
sibiri<strong>sch</strong>en Herzen erobert.<br />
Wer glaubt, dies sei übertrieben, war<br />
nie im Opernhaus von Nowosibirsk<br />
(im Übrigen einem der prächtigsten<br />
und mit einer Zahl von 3200 Plätzen<br />
größten Musentempel weltweit) zu<br />
Gast. Egal wo Currentzis in den Jahren<br />
seiner Amtszeit im Haus auftauchte<br />
(und er tauchte, zu jeder Tages- wie<br />
Nachtzeit, so ziemlich überall auf, so<br />
dass es kein Wunder ist, dass er einmal<br />
zwei Monate gar nicht mehr nach<br />
draußen kam), überall wehte ihm ein<br />
Hauch von respektvoller Bewunderung<br />
entgegen. Der zureichende Grund<br />
liegt auf der Hand: Currentzis hat in<br />
Nowosibirsk eine kleine Musiktheater-<br />
Revolution angezettelt, die man selbst<br />
im auktorial-zentralisti<strong>sch</strong>en Moskau<br />
und im mondän-selbstbewussten Sankt<br />
Petersburg sehr wohl mit Interesse<br />
zur Kenntnis genommen hat. Um das<br />
individuelle Spielniveau zu heben,<br />
gründete Currentzis hauseigene En -<br />
sembles wie die Musica Aeterna (die<br />
sich auf vorklassi<strong>sch</strong>e Musik spezialisiert<br />
hat) und die New Siberian Singers<br />
(ein Vokal-Ensemble, das sich der<br />
zeitgenössi<strong>sch</strong>en Musik ver<strong>sch</strong>rieben<br />
hat und unter anderem beim von<br />
Currentzis ins Leben gerufenen Territory<br />
Festival maßgeblich mit von<br />
der Partie ist) und ging daran, das<br />
Orchester, sein Orchester, zu perfektionieren.<br />
Die Ergebnisse dieser herkuli<strong>sch</strong>en An -<br />
strengung, von der nun die Musiker<br />
in Perm profitieren, waren <strong>sch</strong>on in<br />
Nowosibirsk evident, will sagen: man<br />
konnte sie hören. Der Klang des Or -<br />
chesters war, zumal in den dynami<strong>sch</strong>en<br />
Valeurs, enorm nuanciert – was<br />
insbesondere für die Sänger auf der<br />
riesigen Opernbühne in diesem riesigen<br />
Saal mit der riesigen Empore und<br />
der riesigen Kuppel von nicht zu un ter -<br />
<strong>sch</strong>ätzendem Vorteil ist. Salopp ge sagt,<br />
selbst bei Verdi und Puccini (die neben<br />
Mozart zu Currentzis Hausgöttern zäh -<br />
len) müssen sie nicht <strong>sch</strong>reien. Sie<br />
dürfen singen. Und ohnehin ist Currentzis<br />
ein phänomenaler Sängerbe-<br />
gleiter; einer, der das hauchzarte pianissimo<br />
der Verführung weit mehr zu<br />
genießen vermag als heroi<strong>sch</strong>e forte<br />
der Potentatengeste.<br />
Currentzis, der Verseflüsterer? Man<br />
darf es (einmal) so sagen. Denn sein<br />
ganzer Umgang mit Musikern und<br />
Technikern ist so. Leise. Vorsichtig.<br />
Einfühlsam. Er weiß, dass sie ihm<br />
ohnehin zuhören. Denn sie w<strong>issen</strong>,<br />
was er tut (wie auch er weiß, dass sie<br />
es w<strong>issen</strong>). Und dass es richtig und gut<br />
ist. Kein Wunder, dass man außerhalb<br />
von Nowosibirsk auf diesen Mann aufmerksam<br />
geworden ist, zunächst in<br />
Moskau. Schon 2009 hat Currentzis<br />
in der Ausweichspielstätte des Bol<strong>sch</strong>oi-Theaters<br />
die weithin beachtete<br />
Premiere von Alban Bergs Wozzeck<br />
dirigiert und ist dafür mit Lob und Lor -<br />
beer über<strong>sch</strong>üttet worden, nicht nur<br />
von den russi<strong>sch</strong>en Medien.<br />
Es kam, wie es kommen musste: Von<br />
Moskau aus führte der Weg gen Westen.<br />
Bei den Pfingstfestspielen in Baden-<br />
Baden stand Curren tzis 2010 bei der<br />
Carmen-Inszenierung von Philippe<br />
Arlaud am Pult. Publikum und Kritik<br />
waren entflammt. Und ebenso die<br />
Musiker des SWR-Symphonieorchesters<br />
Baden- Baden, die ihn zum Prin-<br />
SUMMARY<br />
cipal Guest des Klangkörpers wählten.<br />
Da mochte das Mahler Chamber<br />
Orchestra nicht zurückstehen; auch<br />
mit diesem Ensemble arbeitet Currentzis<br />
inzwi<strong>sch</strong>en kontinuierlich zu -<br />
sammen. Überall rühmen sie seine<br />
Sensibilität, sein Gespür für musikali<strong>sch</strong>e<br />
Prozesse, für dieses mirakulöse<br />
Zusammenwirken von vertikaler<br />
und horizontaler Spannung, kurz:<br />
seinen immensen Esprit im Umgang<br />
mit den Werken. Und das sowohl im<br />
konzertanten Bereich wie in der<br />
Oper. Schon die Namen der Städte<br />
verraten, wie weit dieser Dirigent<br />
gekommen ist: München, London,<br />
Madrid und demnächst Zürich, das<br />
sind sämt lich Leuchttürme in der<br />
Musiktheater land<strong>sch</strong><strong>aft</strong>.<br />
Und doch muss man eine Frage stellen:<br />
Ob es jemals wieder so kunterbunt<br />
und klandestin (und kalt) sein wird<br />
wie damals, in der Premierennacht<br />
von „La Bohème“? Als das Chefdiri -<br />
gen tenzimmer sich binnen Minuten<br />
in eine rauchge<strong>sch</strong>wängerte, mit Käseund<br />
Wurstwürfeln garnierte Vergnügungszone<br />
ausweitete? Als die aus<br />
Petersburg stammende Primadonna<br />
assoluta, die wundervolle Veronika<br />
Djoeva, kurz nachdem sie als Mimì<br />
der Schwindsucht erlegen war, in -<br />
A long overdue début. The dazzling Greek conductor Teodor Currentzis has already met<br />
with acclaim from audiences and critics alike, all the way from Baden-Baden to Siberia,<br />
for his powerful interpretations in both operatic and symphonic repertoire. He was born<br />
in Athens, and <strong>aft</strong>er a profound training in his native land he found himself drawn to Russia,<br />
where he studied under the legendary Ilya Musin before assuming the post of principal<br />
conductor (2004-2010) at the Novosibirsk Opera and Ballet Theatre. It was primarily during<br />
this period that he developed his compelling personal musical and aesthetic language,<br />
which attracted attention far beyond the borders of Russia, ultimately leading to invitations<br />
from major centres including St. Petersburg, London, Moscow and Munich. His <strong>Salzburg</strong><br />
début with the Vienna Philharmonic at the 2013 Mozart Week is a further highlight in the<br />
career of this highly talented conductor. We may safely assume that it will not be the last.<br />
mitten der weißen Schwaden eine Jazz -<br />
ballade zum Besten gab, derweil der<br />
Generalmusikdirektor höchstselbst<br />
den Wodka für die Gäste ein<strong>sch</strong>enkte?<br />
Und wo man das Gefühl nicht mehr<br />
los wurde, die Kunst und das Leben,<br />
beides könnte immer heiter und ernst<br />
zugleich sein?<br />
Man wün<strong>sch</strong>t Teodor Currentzis, dass<br />
er diese (musikali<strong>sch</strong>e wie men<strong>sch</strong>liche)<br />
Verrücktheit, die zuweilen Züge<br />
des Nonchalanten birgt, beibehält. Das<br />
Talent dazu hat er. Denn dazu braucht<br />
es letztlich nur einen über die Maßen<br />
talentierten Teufel, der mit einer Vi s ion<br />
ausgestattet, durchs Leben <strong>sch</strong>reitet.<br />
Wie sagte doch Teodor Currentzis am<br />
Tag darauf, als wir uns erneut in seinem<br />
Büro trafen (diesmal mit Kuchen<br />
und Kaffee)? Der Dirigent müsse ein<br />
Medium sein, das Dinge sehe, die<br />
anders seien als die gewöhnlichen Din -<br />
ge, und auch solche Dinge müsse er<br />
sehen, die es vermeintlich gar nicht<br />
gebe. Denn dahinter, meint Teodor<br />
Currentzis, hinter der Musik, müsse<br />
es doch ein Geheimnis geben. Um es<br />
zu lüften, muss man womöglich gar<br />
nicht mehr auf dem Moskauer Patriarchenteichboulevard<br />
wandeln. Oder<br />
sich nachts um eins am Krasny Pros -<br />
pekt einfinden...<br />
TEODOR CURRENTZIS<br />
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