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THEMENSCHWERPUNKT:<br />

BEHINDERUNG UND FREIZEIT<br />

<strong>Behinderung</strong> & <strong>Pastoral</strong> / Themenschwerpunkt: <strong>Behinderung</strong> und Freizeit _ 03<br />

Freizeit im Leben von <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> geistiger<br />

<strong>Behinderung</strong><br />

Die Liste <strong>mit</strong> Forderungen <strong>für</strong> mehr Integration und Partizipation ist lang<br />

Reinhard Markowetz*<br />

1. Freizeit – einleitende Zusammenhänge und Problemskizze<br />

In unserer von Umbruchserfahrungen gezeichneten spätmodernen<br />

Gesellschaft hat die Bedeutung der Freizeit stark<br />

zugenommen. Auf der Suche nach Ordnung und der verlorenen<br />

Sicherheit in Zeiten einer Weltrisikogesellschaft ist der<br />

Lebensbereich Freizeit nicht mehr wegzudenken. Bei der<br />

Beantwortung der Frage, wie wir zukünftig arbeiten werden,<br />

spüren wir das Verpuffen des Mythos Arbeit und diskutieren<br />

Freizeit immer mehr als Ersatz von Arbeit (vgl. Prahl 2002,<br />

35ff). Die Erosion der Arbeitszeit wird rapide das Budget an<br />

täglich frei verfügbarer Zeit erhöhen. Bei einem<br />

Lebenszeitbudget von durchschnittlich 660.000 Stunden<br />

(100%) macht der Anteil an „freier Zeit“ etwa 350.000<br />

Stunden (53%) aus, 220.000 Stunden (33%) verschlafen<br />

wir, <strong>für</strong> die Ausbildung benötigen wir 30.000 Stunden (5%)<br />

und <strong>für</strong> den Beruf wenden wir 60.000 Stunden (9%) auf<br />

(vgl. Zellmann 2002, 113ff). Experten gehen davon aus, dass<br />

es schon bald zwischen Arbeitszeit und Freizeit keine<br />

Grenzen mehr geben wird.<br />

Dieses Zeitalter stellt die Zukunft von Arbeit und<br />

Demokratie (vgl. Beck 1999) auf die Probe, wird alte und<br />

neue Probleme aufwerfen und noch nicht abschätzbare biopsychosoziale<br />

Folgen (vgl. WHO 2002) <strong>für</strong> Mensch und<br />

Gesellschaft haben. Freizeit wird Stress, Abhängigkeiten,<br />

Vereinsamung, Langeweile, Rückzug in das Private,<br />

Medienhörigkeit oder den völligen Kontrollverlust über das<br />

eigene Leben <strong>mit</strong> erheblichen Gefährdungen <strong>für</strong> Gesundheit<br />

und Identität bringen und auch neue Formen sozialer<br />

Ungleichheiten sowie Vorurteile und gesellschaftliche<br />

Randgruppen produzieren (vgl. Markowetz 2007j).<br />

Freizeiterziehung, Freizeitbildung, Freizeitpädagogik,<br />

Pädagogik der Freizeit, Pädagogik der freien Zeit oder<br />

„Pädagogik der freien Lebenszeit“ (vgl. Opaschowski 1996)<br />

als eine interdisziplinäre Spektrums-wissenschaft hat solche<br />

sozialen Probleme und gesellschaftlichen Risiken auf dem<br />

Weg zu einer inklusiven Gesellschaft und der da<strong>mit</strong> verbundenen<br />

Bewältigung von Heterogenität in den Blick zu nehmen,<br />

wenn sie einer Lebensgesellschaft Zukunft und Sinn <strong>für</strong><br />

das Zusammenleben und Zusammenhandeln der<br />

<strong>Menschen</strong> geben und Chancengleichheit wie Chancengerechtigkeit<br />

im Umgang <strong>mit</strong> Gleichheit und Differenz befördern<br />

will (vgl. Markowetz 2006a, c; 2007a, d).<br />

2. Begriffs- und Gegenstandsgeschichte der Freizeit<br />

Wer sich pragmatisch an einer Definition von Freizeit versucht,<br />

denkt an angenehme Dinge des täglichen Lebens,<br />

denen man sich erst nach der Schule, der Arbeit und nach<br />

privaten wie beruflichen Verpflichtungen unbeschwert<br />

und affektiv gelockert hingibt. Naiv gedacht wäre Freizeit<br />

als individuell verhaltensbeliebige Lebenszeit und subjektiv<br />

bedeutsame Sphäre zu definieren, die frei von<br />

Auflagen, Zwängen und Verpflichtungen ist (Freiraum-<br />

Theorem). Das Klischee „Freizeit ist Freiheit“ ist nur die<br />

halbe Wahrheit. Freizeit hat viele Gesichter und zeigt sich<br />

auf einem Kontinuum zwischen zwei Polen, von denen<br />

der eine <strong>mit</strong> positiven (entformalisierte Freizeittätigkeiten)<br />

und der andere <strong>mit</strong> negativen Assoziationen zur Freizeit<br />

(formalisierte Freizeittätigkeiten) gekennzeichnet ist.<br />

Anlässe, Gelegenheiten, Orte genauso wie familiäre<br />

Kontakte und soziale Abhängigkeiten und letztlich das<br />

Geld beeinflussen die Freiheits- und Unabhängigkeitsgrade<br />

der Freizeit wesentlich. Freizeit löst auch psychische<br />

Konflikte aus, sorgt <strong>für</strong> soziale Spannungen und verändert<br />

Gesellschaft. Zum Charakter der Freizeit gehört immer<br />

beides: „Privates und Öffentliches, Zweckfreies und<br />

Nützliches, Lebenswertes und Lebensproblematisches“<br />

(Opaschowski 1994, 933).<br />

Opaschowski (1990, 13) beschreibt vier Phasen der<br />

Freizeitentwicklung in unserem Jahrhundert: Nach dem<br />

Krieg und bis in die 50er Jahre hinein galt die Freizeit fast<br />

ausschließlich der Erholung von getaner und noch zu erledigender<br />

Arbeit. Die 60er und 70er Jahre waren die Zeit<br />

des großen Konsumgenusses, der in der Freizeit in ganz<br />

besonderem Maße ausgelebt werden konnte und vordringlich<br />

im Geldausgeben und sozialer Selbstdarstellung<br />

seine Befriedung fand. In den 80er Jahren galt das<br />

Interesse der Bevölkerung nicht mehr so sehr der<br />

Bewältigung des Wohlstandskonsums, sondern verlagerte<br />

sich auf die Bedürfnisse des gemeinsamen Erlebens und<br />

der Entwicklung eines eigenen Lebensstils. In dieser dritten<br />

Phase stand die Erlebnissteigerung im Mittelpunkt.<br />

Diese hektische, erlebnis- und aktionsorientierte<br />

Freizeitphase wurde von den eher museorientierten 90er<br />

Jahren abgelöst. Sie sind von dem Bedürfnis nach Ruhe<br />

und innerer Muse und, da<strong>mit</strong> einhergehend, der Gefahr<br />

eines Selbstbestimmungsbooms geprägt. Die gegenwär-

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