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Literatur - Universalie und Kulturenspezifikum - Oapen

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Literarische Analyse als ‚interkulturelles Wahrnehmungstraining‘<br />

pisch mexikanischen‘ Haltung zum Tode begründet. Paz’ kulturhistorisch <strong>und</strong> anthropologisch<br />

heute nicht mehr haltbare Position 3 wird von Boll schließlich klischeehaft<br />

auf ‚die mexikanische Kultur‘ <strong>und</strong> ‚den Mexikaner‘ in strenger Abgrenzung<br />

zu anderen Kulturen ausgeweitet. Der deutsche Autor behauptet:<br />

Für viele Kulturen wirkt ein solch unverkrampfter <strong>und</strong> humorvoller Umgang mit dem Tod<br />

selbst <strong>und</strong> den Toten, die auf den Friedhöfen ja eigentlich zur letzten Ruhe gebettet sein<br />

sollten, befremdend. Und doch zeigen die Mexikaner, dass sie auf diese Art sehr viel befreiter,<br />

geradezu selbstverständlich mit dem Tod <strong>und</strong> mit der Angst vor dem Tod umgehen<br />

können. Der Tod ist im mexikanischen Alltag immer präsent <strong>und</strong> lässt so die jedem Menschen<br />

innewohnende Angst vor ihm nicht über ein verträgliches Maß wachsen. [...] Als Mexikaner<br />

kann man somit wesentlich gelassener in die Zukunft schauen. (Paz in Boll 1997:88f.)<br />

Der logische Kurzschluss von der Beobachtung eines fremdkulturellen Phänomens,<br />

die mit dem Verweis auf vermeintliche Fachliteratur (Paz) gestützt wird, auf<br />

ein anthropologisch gr<strong>und</strong>iertes Merkmal des Mexikaners, welches sich durch<br />

„spielerischen Umgang mit dem Leben <strong>und</strong> die geringe Angst vor dem Tod“ kennzeichne<br />

(Hervorhebung im Original), verleitet den Autor zu abwegigen Hypothesen:<br />

Die „riskanten Überholmanöver <strong>und</strong> Wettrennen im Straßenverkehr“ etwa seien<br />

auf die Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod zurückzuführen. Boll unterstellt<br />

den Mexikanern schließlich gar ein „stoisches Ertragen von Katastrophen oder<br />

tödlichen Schicksalsschlägen im Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Verwandtenkreis.“ (Ebd. 88) Ein<br />

beliebiger Blick in einschlägige Reiseführer zu Mexiko bestätigt den am Extrembeispiel<br />

„KulturSchock Mexiko“ herausgestellten Bef<strong>und</strong>: Unhistorisch <strong>und</strong> spekulativ<br />

wird dort der „unbefangene Umgang mit dem Unvermeidlichen“ des heutigen Mexikaners<br />

beschworen (Egelkraut 2004:11), der „lockere Umgang der Mexikaner mit<br />

dem Tod“ (Gruhn/Hermann 2005:130) gelobt. Immerhin scheint manchem Verfasser<br />

von Reiseberatern die Problematik der fremdkulturellen Perspektivik („Ausländersicht“,<br />

Heeb/Drouve 2004:48) gr<strong>und</strong>sätzlich bewusst zu sein, etwa wenn<br />

darauf verwiesen wird, dass viele ‚typische‘ Elemente des Totentags als „besondere<br />

Attraktionen für Fremde“ inszeniert werden. (Vgl. Ferres et al. 2005:138)<br />

Die hier nur in exemplarischer Kürze wiedergegebenen Stereotype zum Día de<br />

Muertos <strong>und</strong> dem Verhältnis der Mexikaner zum Tode haben Tradition <strong>und</strong> wirken<br />

bis heute unvermindert fort. Dies belegt die folgende literarische Analyse.<br />

3 Ausführlich <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>legend demontiert die stereotype Meinung gegenüber Mexiko <strong>und</strong> dem Verhältnis<br />

der Mexikaner zum Tod das einschlägige Standardwerk von Brandes (2006).<br />

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