T ho m a ne r Jo u rn a l - des Förderkreises Thomanerchor Leipzig eV
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16 InterVIew<br />
InterVIew<br />
Wir wollen mit dem Konzept <strong>des</strong> <strong>ne</strong>uen Kastens zeigen: Es<br />
geht um mehr als »essen – schlafen – singen«. Deshalb wird<br />
es zum Beispiel auch im Studiersaal die Möglichkeit geben,<br />
Teile der historischen Bibliothek unterzubringen sowie ei<strong>ne</strong>n<br />
Teil der Gemälde und Kunstgegenstände für die T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>r<br />
sichtbar zu machen. Auch das ist wichtig, um den Jungs ei<strong>ne</strong><br />
Identität zu vermitteln – auch über das Jubiläum hinaus –<br />
und ih<strong>ne</strong>n zu zeigen, dass sie Teil ei<strong>ne</strong>r großen, ja auch<br />
strahlenden Geschichte sind.<br />
... und auf das Jubiläum zurück kommend: Was mir<br />
gefallen hat, dass das Ganze eben nicht ei<strong>ne</strong> museale<br />
Rückschau war, sonde<strong>rn</strong> das wir mit dem Projekt Forum<br />
T<strong>ho</strong>manum so ein wunderbares Scha<strong>rn</strong>ier in die Zukunft<br />
haben. Die Idee zu dieser Art Campus entstand auf der<br />
Konzertreise <strong>des</strong> T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>rc<strong>ho</strong>res 1994 in Cambridge. Und<br />
damals gab es hier bei uns nur das ziemlich veraltete<br />
Alumnat, kei<strong>ne</strong> Schule ringsum, sonde<strong>rn</strong> nur unsanierte<br />
Häuser. Die T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>r mussten in die damalige T<strong>ho</strong>masschule,<br />
ei<strong>ne</strong>n Plattenbau in etwa 1,5 Kilometer Entfe<strong>rn</strong>ung<br />
vom Alumnat laufen. Und da wurde bei uns die Campusidee<br />
geboren: ei<strong>ne</strong> Verbindung aus Kindertagesstätte, Grundschule<br />
und eben der T<strong>ho</strong>masschule. Als nächstes steht der<br />
Bau der Grundschule an. Sie soll hier entstehen, wo sich<br />
momentan noch das Interim befindet.<br />
Das Interim wurde sc<strong>ho</strong>n mehrmals angesprochen. Lebt es<br />
sich gut hier?<br />
t<strong>ho</strong>ralf Schulze: Wir feie<strong>rn</strong> jetzt hier Bergfest – und die<br />
Sache mit dem Interim ist gelungen. Das Haus blieb lebendig,<br />
der C<strong>ho</strong>r intakt wie im Alumnat. Es verlangt von jedem<br />
T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>r, aber auch von allen Mitarbeiterin<strong>ne</strong>n und<br />
Mit arbeite<strong>rn</strong> – gerade auch von den musikalischen Kollegen,<br />
für die ich zuständig bin – natürlich Flexibilität. Wir mussten<br />
ja mit dem Unterrichten in die Villa T<strong>ho</strong>mana oder in die<br />
T<strong>ho</strong>masschule ausweichen – aber alle haben mitgezogen,<br />
allen voran der T<strong>ho</strong>maskantor. Wir haben die völlige Umstellung<br />
der Proben und Unterrichtslogistik gut gemeistert<br />
– dennoch freuen wir uns sehr, wenn Ende <strong>des</strong> Jahres die<br />
Bauarbeiten abgeschlossen sein werden und wir an die In<strong>ne</strong><strong>ne</strong>inrichtung<br />
<strong>des</strong> Hauses gehen kön<strong>ne</strong>n.<br />
Sie sprachen gerade die Mitarbeiterin<strong>ne</strong>n und Mitarbeiter<br />
an, die hier im Hause tätig sind. Wie viele sind das?<br />
t<strong>ho</strong>ralf Schulze: Es sind 31 Perso<strong>ne</strong>n, die hier direkt im<br />
Wohnheim tätig sind: Vom Koch bis zum Kammersänger<br />
sind alle dabei. Wir sind rund um die Uhr für die T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>r<br />
da und das fast 365 Tage im Jahr. Dazu kommen noch einige<br />
Honorarkräfte in verschiede<strong>ne</strong>n musikalischen Bereichen,<br />
da wir ja nicht nur Klavier als Instrumentalunterricht sonde<strong>rn</strong><br />
auch Geige, Cello, Querflöte und Trompete anbieten.<br />
Es gab in den letzten Jahren ei<strong>ne</strong> Menge Informatio<strong>ne</strong>n über<br />
das Erziehungssystem im Alumnat, dass die Jungs sich in<br />
den Stuben zum Teil selbst erziehen, die Älteren Aufgaben<br />
über<strong>ne</strong>hmen in der Erziehung der Jüngeren. Ist das weiterhin<br />
so geplant im <strong>ne</strong>uen Alumnat? Hat sich diese Erziehungsform<br />
bewährt?<br />
Ein Blick auf und in die Baustelle: Das mittlere Bild zeigt den<br />
Zugang zum <strong>ne</strong>uen Probensaal, auf dem unteren Bild ist der Ausbau<br />
<strong>des</strong> Dachgesc<strong>ho</strong>sses mit Sicht auf das Stadtzentrum zu sehen.<br />
rolanD weISe: Das hat sich unbedingt bewährt. Es gab ja<br />
beim Kommunizieren der Umbauplä<strong>ne</strong> Ängste, Vorbehalte<br />
und Bedenken bei Elte<strong>rn</strong> oder auch ehemaligen T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong><strong>rn</strong>:<br />
Wird jetzt alles auf den Kopf gestellt? Kommt jetzt ei<strong>ne</strong> klassenweise<br />
Betreuung? Das war nie unsere Intention. Was wir<br />
ände<strong>rn</strong> wollten und mussten, waren die baulichen Bedingungen<br />
– da war der Kasten an sei<strong>ne</strong> Grenzen gestoßen. Das<br />
haben wir natürlich versucht mit unserem historischen<br />
Konzept zu verbinden.<br />
Wir behalten – wie gesagt – die Stube bei, aber eben auf<br />
ei<strong>ne</strong> Wohngemeinschaft erweitert. Das heißt natürlich auch,<br />
dass wir die Betreuung verstärken müssen. Bisher waren wir<br />
ja im alten Kasten relativ zentral organisiert. Sc<strong>ho</strong>n jetzt hier<br />
im Interim haben wir zwei Woh<strong>ne</strong>be<strong>ne</strong>n. Im <strong>ne</strong>uen Kasten<br />
dann werden wir vier Ebe<strong>ne</strong>n haben. Ei<strong>ne</strong> Dezentralisierung<br />
der Vorgänge und damit natürlich auch der pädagogischen<br />
Betreuung ist die Folge. Da gibt es ei<strong>ne</strong>n guten Konsens zwischen<br />
allen Beteiligten und es gehört zu unserem System der<br />
Einbindung ei<strong>ne</strong>s jeden. Es geht eben nicht nur um das<br />
Singen oder das ZurSchuleGehen. Es geht darum, den<br />
C<strong>ho</strong>r zu aktivieren, als Gruppe lebendig zu halten und um<br />
das Miteinander zu stärken. Das sind für uns Schlüsselbegriffe,<br />
die auch zur Musik führen: Beim Musizieren kön<strong>ne</strong>n<br />
die Jungs ja nur miteinander erfolgreich sein. Und die Gruppe<br />
kann im Musikalischen nur harmonieren, wenn sie auch im<br />
Alltagsleben harmoniert.<br />
t<strong>ho</strong>ralf Schulze: Ich möchte noch ergänzen, dass wir mit<br />
der stubenweisen Unterbringung kei<strong>ne</strong>n Status quo bewahren.<br />
Es ist ei<strong>ne</strong>s unserer Erziehungsziele hier im Alumnat:<br />
Wir halten die Übe<strong>rn</strong>ahme von Verantwortung für die<br />
Jüngeren durch die Elft und Zwölftklässler, die ja in ihrer<br />
Entwicklung noch nicht fertig sind, für ein durchaus<br />
loh<strong>ne</strong>n<strong>des</strong> Ziel. Das ersetzt natürlich kei<strong>ne</strong> professio<strong>ne</strong>lle<br />
pädagogische Betreuung, bietet uns jedoch auch die Gelegenheit,<br />
den Großen Inhalte zu vermitteln und sie spüren zu<br />
lassen, wie es ist, Verantwortung für die Jüngeren zu über<strong>ne</strong>hmen.<br />
Unsere Erfahrungen sind überwiegend positiv. Wir<br />
müssen im Pädagogenteam natürlich immer die Augen offen<br />
haben, in welcher Stube es vielleicht nicht funktioniert.<br />
Wo sehen Sie den C<strong>ho</strong>r in zehn Jahren?<br />
rolanD weISe (lacht): Knabenchöre sind immer – egal von<br />
welchem wir sprechen, egal in welcher Tradition er steht –<br />
konservative Einrichtungen. Die machen kei<strong>ne</strong> großen<br />
Sprünge, heute dies und morgen das. Fast immer ist – aus<br />
der Tradition hergeleitet – der Auftrag klar umschrieben. Bei<br />
uns ist das ganz eindeutig: Die T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>r sind seit 800 Jahren<br />
da, um die Kirchenmusik an <strong>Leipzig</strong>er Kirchen zu gestalten.<br />
Wir sind ei<strong>ne</strong> Bildungseinrichtung, die mit ei<strong>ne</strong>m Gymnasium,<br />
der T<strong>ho</strong>masschule, sehr eng verbunden ist. Wir haben<br />
zukünftig <strong>ho</strong>ffentlich auch ei<strong>ne</strong> musische Grundschule vorgeschaltet.<br />
Ich denke, die T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>r werden in zehn Jahren das<br />
Gleiche tun wie jetzt. Hoffentlich erfolgreich und gut singen,<br />
sich <strong>ho</strong>ffentlich wohlfühlen und das <strong>ne</strong>ue Alumnat mit<br />
Leben erfüllt haben und ihrem Auftrag musikalisch und<br />
geistlich gerecht werden.<br />
t<strong>ho</strong>ralf Schulze: Das kann ich so nur unterstreichen. Ich<br />
sehe den C<strong>ho</strong>r in zehn Jahren in ei<strong>ne</strong>m moder<strong>ne</strong>n, großen<br />
<strong>ne</strong>uen Alumnat als Herzstück ei<strong>ne</strong>s dann, glaube ich sc<strong>ho</strong>n<br />
funktionierenden Campus Forum T<strong>ho</strong>manum, in dem der<br />
Bildungsbetrieb in allen Altersstufen läuft. Ansonsten<br />
wünsche ich mir natürlich, dass die musikalische Kraft <strong>des</strong><br />
C<strong>ho</strong>res so bleibt, sie kann ger<strong>ne</strong> noch ein bisschen wachsen<br />
... nur die Grundidee <strong>des</strong> C<strong>ho</strong>res wird bis dahin sicherlich<br />
die gleiche sein wie am heutigen Tag.<br />
Gibt es bei Ih<strong>ne</strong>n Berührungspunkte zur Musik? Spielen Sie<br />
ein Instrument?<br />
t<strong>ho</strong>ralf Schulze: Ich habe ei<strong>ne</strong> musikalische Ausbildung,<br />
spiele Geige. Ich hatte elf Jahre Geigenunterricht und habe<br />
EGitarre autodidaktisch spielen gele<strong>rn</strong>t. Ich praktiziere<br />
auch bei<strong>des</strong> noch – zum Beispiel als Hausmusik.<br />
rolanD weISe: Ich bin eher unmusikalisch aufgewachsen.<br />
Aber ich habe im C<strong>ho</strong>r in Leutzsch gesungen (lacht), im<br />
Fußballstadion und dann in ei<strong>ne</strong> Musikerfamilie hi<strong>ne</strong>ingeheiratet.<br />
Mei<strong>ne</strong> Frau ist Orchestermusikerin, mei<strong>ne</strong> Tochter<br />
auch, mein Sohn ist T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>r.<br />
t<strong>ho</strong>ralf Schulze: Und was uns hier beim C<strong>ho</strong>r natürlich<br />
alle verbindet: Wir genießen das Privileg, den C<strong>ho</strong>r so oft<br />
hören zu dürfen, ihn auf Konzertreisen begleiten zu kön<strong>ne</strong>n.<br />
Das ist vielleicht der schönste Berührungspunkt zur Musik.<br />
Ich danke Ih<strong>ne</strong>n für das Gespräch und wünsche für die<br />
weitere Arbeit viel Kraft.<br />
Das Interview führte Dr. Michael Kampf<br />
Der 1964 in <strong>Leipzig</strong> gebore<strong>ne</strong><br />
Religionspädagoge Roland Weise<br />
kam unmittelbar nach der<br />
politischen Wende 1990 zum<br />
T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>rc<strong>ho</strong>r. Er unterrichtete,<br />
<strong>ne</strong>ben sei<strong>ne</strong>r Tätigkeit als<br />
Pädagoge im Alumnat, zwölf<br />
Jahre an der T<strong>ho</strong>masschule<br />
evangelische Religion. Seit dem<br />
Jahre 2002 ist er Pädagogischer<br />
Leiter <strong>des</strong> T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>rc<strong>ho</strong>res.<br />
Als Mitbegründer und Vorstandsmitglied<br />
<strong>des</strong> Vereins Forum<br />
T<strong>ho</strong>manum e.V. konzipierte er<br />
T<strong>ho</strong>ralf Schulze, geboren 1967 in<br />
Roßlau/Elbe, studierte in <strong>Leipzig</strong><br />
Klassische Philologie, Germanistik<br />
und Slawistik. Er war nach<br />
absolviertem Staatsexamen<br />
zunächst als Gymnasiallehrer an<br />
diversen Gymnasien in <strong>Leipzig</strong><br />
tätig. Im Jahre 2002 übe<strong>rn</strong>ahm er<br />
ei<strong>ne</strong> Stelle als Inspektor <strong>des</strong><br />
T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>rc<strong>ho</strong>res. Zu Beginn <strong>des</strong><br />
Schuljahres 2005/06 wurde<br />
ihm das Amt <strong>des</strong> Alumnatsleiters<br />
übertragen, das er seither bei<br />
fortlaufendem Lehrauftrag<br />
an der T<strong>ho</strong>masschule zu <strong>Leipzig</strong><br />
bekleidet. T<strong>ho</strong>ralf Schulze<br />
ist Vorstandsmitglied <strong>des</strong> Forum<br />
T<strong>ho</strong>manum e.V. und wirkt<br />
rolanD weISe<br />
t<strong>ho</strong>ralf Schulze<br />
unter anderem die Gründung<br />
ei<strong>ne</strong>r musisch-sprachlichen<br />
Kindertagesstätte.<br />
konzeptio<strong>ne</strong>ll in den Kuratorien<br />
der Stiftung T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>rc<strong>ho</strong>r sowie<br />
anderer Förderinstitutio<strong>ne</strong>n <strong>des</strong><br />
T<strong>ho</strong>ma<strong>ne</strong>rc<strong>ho</strong>res mit. Er ist<br />
Vater zweier Kinder und lebt im<br />
Süden von <strong>Leipzig</strong>.<br />
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