ins Herz gesungen • - Erlöserkirche
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Liebe Gemeinde,<br />
„Ich steh an deiner Krippen hier“ ist für mich<br />
ein ganz besonderes Lied. Das ist es schon<br />
allein deswegen, weil es das einzige Lied in<br />
unserem evangelischen Gesangbuch ist, zu<br />
dem kein geringerer als Johann Sebastian<br />
Bach die Melodie komponiert hat.<br />
Das war nicht immer so. Ungefähr 100 Jahre<br />
lang sang man dieses Lied zu einer Melodie,<br />
die Martin Luther 1529 verfasst hatte<br />
und die wir bis heute mit dem Text „Es<br />
ist gewisslich an der Zeit“<br />
singen. Noch 1734 verwendete<br />
Bach Luthers Musik in<br />
seinem berühmt gewordenen<br />
Weihnachtsoratorium.<br />
Zwei Jahre später gab der<br />
Leipziger Musiker Georg<br />
Christian Schemelli ein Gesangbuch<br />
heraus, für das<br />
er seinen Kollegen Bach<br />
um einige neue Melodien<br />
bat. Daraufhin schrieb<br />
Bach diese fast arienartige,<br />
wunderbare Melodie in<br />
c-moll. Schon deswegen ist für mich „Ich<br />
steh an deiner Krippen hier ein besonderes<br />
Lied.<br />
Aber auch Paul Gerhardt ist dafür verantwortlich,<br />
dass mir dieses Lied so wertvoll<br />
ist. Von ihm stammt der Text, den er 1653<br />
dichtete. Ursprünglich waren es 15 Liedstrophen,<br />
wovon in unserem Gesangbuch<br />
neun erhalten sind.<br />
2<br />
Paul Gerhardt gehörte zu einer theologischen<br />
Strömung, die man lutherische Orthodoxie<br />
nennt. Trotzdem verfasste er mit<br />
diesem Lied ausgesprochen innige und persönliche<br />
Strophen: „Ich steh an deiner Krippen<br />
hier, o Jesu, du mein Leben; ich komme,<br />
bring und schenke dir, was du mir hast<br />
gegeben...“ oder „Wann oft mein <strong>Herz</strong> im<br />
Leibe weint und keinen Trost kann finden,<br />
rufst du mir zu: „Ich bin dein Freund!...“ und<br />
dann vor allem dieses: „E<strong>ins</strong> aber, hoff ich,<br />
wirst du mir, mein Heiland, nicht versagen,<br />
dass ich dich möge für und für, in, bei und<br />
an mir tragen...“<br />
Sang man in der Reformationszeit<br />
in der Regel noch<br />
„Wir“, so wendet Gerhardt<br />
den Ausdruck <strong>ins</strong> „Ich“,<br />
auch in mein persönliches<br />
„Ich“. Gerhardt hat damit<br />
der großen Frömmigkeitsbewegung<br />
des Pietismus<br />
den Weg gebahnt. Dabei<br />
ist dieses „Ich“ wie eine exemplarische<br />
Selbstaussage<br />
des Glaubens zu verstehen.<br />
Das bedeutet, dass eben auch mein „Ich“<br />
sich in diesem „Ich“ des Liedes wiederfindet<br />
oder umgekehrt, dass das „Ich“ des Liedes<br />
mir zum eigenen „Ich“ wird.<br />
An jedem Weihnachtsfest stehe ich von<br />
neuem an dieser Krippe und bedenke und<br />
bewege mit den Strophen Paul Gerhardts<br />
und der Musik von Johann Sebastian Bach<br />
mein Leben im Licht von Weihnachten.<br />
Ihr Pfarrer Gerson Raabe<br />
Bachs Weihnachtsoratorium<br />
Wohl keine Musik in der<br />
Weihnachtszeit ist uns so bekannt und vertraut<br />
wie das Weihnachtsoratorium von<br />
Johann Sebastian Bach. Es ist zu einem<br />
vertrauten Ritual geworden, sich in der<br />
vorweihnachtlichen Zeit, an einem der Adventssonntage<br />
oder an Weihnachten selbst<br />
den einladenden ersten Paukenschlägen und<br />
strahlenden Trompetenklängen vom Eingangschor<br />
„Jauchzet – frohlocket!“ zu öffnen<br />
und sich von den wunderbaren Chören,<br />
Chorälen und Arien ganz auf Weihnachten<br />
e<strong>ins</strong>timmen zu lassen.<br />
Ich könnte es mir kaum vorstellen, ein Weihnachtsfest<br />
ohne diese Musik <strong>gesungen</strong> oder<br />
gehört zu haben. Es würde mir sonst der<br />
grenzenlose Jubel des Eingangschores oder<br />
die tief empfundene Andacht beim Hören<br />
der Hirtenmusik fehlen, die schönen Choräle,<br />
die sich für mich im Weihnachtsoratorium<br />
wie Perlen einer kostbaren Kette aneinander<br />
reihen. So erschließt sich mir die<br />
Weihnachtsgeschichte musikalisch immer<br />
wieder neu.<br />
Seit meiner frühesten Kindheit prägte sich<br />
mir besonders ein Choral ein:<br />
Ach, mein herzliebes Jesulein!<br />
mach’ Dir ein rein sanft Bettelein,<br />
zu ruhn in meines <strong>Herz</strong>ens Schrein,<br />
dass ich nimmer vergesse dein.<br />
Der Text dieser Strophe hing über meinem<br />
Kinderbett, und ich war erstaunt, mein ver-<br />
trautes Abendgebet von<br />
Martin Luther später im<br />
Weihnachtsoratorium<br />
wiederzuentdecken. Martin<br />
Luther soll das „Kinderlied<br />
für die Weihnacht“ für die Weihnachtsbescherung<br />
seiner eigenen Kinder gedichtet<br />
und komponiert haben. Es lädt dazu ein,<br />
Jesus in der Krippe des eigenen <strong>Herz</strong>ens ruhen<br />
zu lassen. In diesem Sinn hat Johann Sebastian<br />
Bach die Liedstrophe aufgenommen<br />
und sie in seinem Weihnachtsoratorium musikalisch<br />
prächtig ausgestaltet.<br />
Ein Choral aus dem zweiten Teil des Weihnachtsoratoriums<br />
ist mir dann später besonders<br />
wichtig geworden. Der Text von Johann<br />
Franck und die von Bach dazu genial<br />
komponierte Melodie rühren mich beim Singen<br />
und Hören gleichermaßen an.<br />
Zwar ist solche <strong>Herz</strong>ensstube<br />
wohl kein schöner Fürstensaal,<br />
sondern eine f<strong>ins</strong>tre Grube,<br />
doch sobald dein Gnadenstrahl<br />
in dieselbe nur wird blinken,<br />
wird sie voller Sonnen dünken.<br />
Immer wieder vertraut und jedes Mal doch<br />
ganz anders und neu: So empfinde ich nicht<br />
nur das gehörte und gesprochene Wort in<br />
der Weihnachtszeit, sondern ganz besonders<br />
den <strong>gesungen</strong>en Text.<br />
Ich möchte Sie einladen, sich auf das Christfest<br />
e<strong>ins</strong>timmen zu lassen und dieser wunderbaren<br />
Musik aus dem Weihnachtsoratorium<br />
zuzuhören, wenn es am 4. Advent um<br />
17 Uhr in unserer <strong>Erlöserkirche</strong> aufgeführt<br />
wird. Gudrun Pfeiffer<br />
3<br />
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