Eine Schule für Mädchen und Jungen - Universität Bremen
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mühungen <strong>für</strong> entstehende Defizite . Ganz vereinzelt<br />
wurde auch ein erster geschlechtsspezifischer Blick<br />
auf das Thema Migration gerichtet . Ein viel zitiertes<br />
Werk ist in diesem Umfeld der Band von Rita Rosen<br />
<strong>und</strong> Gerd Stüwe mit dem Titel „Ausländische<br />
<strong>Mädchen</strong> in der BRD“ aus dem Jahre 1985 . In der<br />
internationalen Frauenforschung, vor allem der USamerikanischen,<br />
wurde schon in größerem Umfang<br />
das Schicksal allerdings fast ausschließlich erwachsener<br />
Migrantinnen beschrieben .<br />
Die zentrale These, die sich aus den wenigen deutschen<br />
Beiträgen zu geschlechtsbezogener Migrationsforschung<br />
in der benannten Zeit herauslesen<br />
ließ, ist die folgende: <strong>Mädchen</strong> <strong>und</strong> Frauen ausländischer<br />
Herkunft sind im Gegensatz zu den Angehörigen<br />
des männlichen Geschlechts mit einer<br />
„doppelten Bürde“ belastet . Sie unterliegen nicht nur<br />
den allgemeinen Benachteiligungs- <strong>und</strong> Diskriminierungserfahrungen<br />
als Nicht-Deutsche . Sondern<br />
sie sind zusätzlich noch in ihren Möglichkeiten zur<br />
Selbstentfaltung beschnitten durch eine das weibliche<br />
Geschlecht unterdrückende extreme soziale<br />
Kontrolle nach den traditionellen Maßstäben ihrer<br />
Herkunftsländer . Nachzulesen ist diese These z .B .<br />
in dem eben erwähnten Buch von Rosen <strong>und</strong> Stüwe .<br />
Impliziert, gelegentlich auch ausdrücklich formuliert,<br />
wird in Anlehnung an diese These die Annahme,<br />
<strong>Jungen</strong> <strong>und</strong> Männer hätten durch ihre größeren Freiheiten<br />
Vorteile im Integrationsprozess .<br />
<strong>Eine</strong> etwas aktuellere Neuauflage dieser Analyse erfuhr<br />
ich persönlich bei einer Fachtagung zum Thema<br />
Integration von Migranten an der Bremer <strong>Universität</strong><br />
im März 2000 . Dort war es die Beauftragte der B<strong>und</strong>esregierung<br />
<strong>für</strong> Migration (etc .), Marieluise Beck,<br />
die die Wendung von der doppelten Bürde <strong>für</strong> Migrantinnen<br />
wörtlich ohne weitere Erklärungen in ihren<br />
Vortrag aufnahm . Ihre Aussage wurde im Verlauf der<br />
Tagung nicht weiter ergänzt oder hinterfragt . Dieses<br />
möchte ich nun jedoch versuchen .<br />
III Thesen zur aktuellen Situationsanalyse<br />
Ich halte es <strong>für</strong> wichtig in der interkulturellen Bildung,<br />
wie auch in der geschlechtsbezogenen pädagogischen<br />
Arbeit, gr<strong>und</strong>sätzlich nicht bei einem Zugang<br />
stehen zu bleiben, der die Beziehungen zwischen<br />
männlich <strong>und</strong> weiblich wertend nach Kriterien von<br />
Gewinnern <strong>und</strong> Verlierern, Opfern <strong>und</strong> Tätern, besser<br />
<strong>und</strong> schlechter aufteilt . Ich möchte hin zu einer<br />
Sichtweise, die sich der jeweils spezifisch weiblichen<br />
<strong>und</strong> spezifisch männlichen Chancen <strong>und</strong> Störungs-<br />
Potenziale in den jeweiligen Persönlichkeitsentwicklungen<br />
annimmt . Und dabei sollten auch die unter-<br />
schiedlichen Handicaps im Aufbau befriedigender<br />
Beziehungen mit dem anderen Geschlecht gesehen<br />
werden . Auf dieser Basis kann dann nach möglichst<br />
gelingenden Arrangements gesucht werden, die den<br />
Wünschen <strong>und</strong> den Ängsten beider Seiten gerecht<br />
werden könnten .<br />
Bestätigung findet dieser Ansatz in dem bemerkenswerten<br />
Buch „Einwanderungsfamilien: Geschlechterverhältnisse,<br />
Erziehung <strong>und</strong> Akkulturation“, herausgegeben<br />
2000 von Leonie Herwartz-Emden,<br />
der Mitarbeiterin des renommierten Institutes <strong>für</strong> Migration<br />
<strong>und</strong> interkulturelle Studien (IMIS) der Osnabrücker<br />
<strong>Universität</strong> . Dort schreibt Herwartz-Emden<br />
in der Einleitung zu den Forschungsberichten: „Die<br />
Forschung über Migration von Frauen im allgemeinen<br />
hielt sehr lange an der These fest, dass sich hier<br />
eine doppelte bzw . dreifache Unterdrückung oder<br />
Diskriminierung festmachen lässt . ( . . .) Sie sind demnach<br />
dreifach benachteiligt – als Fremde, als Arbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> gegenüber Männern . Sichtet man die<br />
Daten <strong>und</strong> Fakten in Bezug auf diese Annahmen, so<br />
ergibt sich in weltweiter Perspektive eine wesentlich<br />
komplexere Einschätzung der Situation von Migrantinnen<br />
. ( . . .) Veränderungen sind vielschichtig, verlaufen<br />
nicht einheitlich <strong>und</strong> sind nicht nur positiv oder<br />
negativ .“ (ebd . S . 23 f .) . Im weiteren Verlauf des Artikels<br />
beschreibt Herwartz-Emden aus Forschungsergebnissen<br />
resultierende Einschätzungen von Migrantinnen<br />
als „aktive Agentinnen von Wandel <strong>und</strong><br />
Anpassung <strong>und</strong> weniger als passive Opfer ihrer Umstände“<br />
(S . 25) <strong>und</strong> sieht: „Veränderungen innerhalb<br />
von Einwandererfamilien bedeuten oft <strong>für</strong> die Frau<br />
einen Statusgewinn, der in der Einwanderergemeinde<br />
deutlich sichtbar wird . . . Die Statusverbesserung,<br />
die die Migrantin erlebt, wird auf die nächste Generation<br />
übertragen .“ (S . 26) . Mit Blick auf das andere<br />
Geschlecht ergänzt sie hierzu: „Ein Erfolg der Frau<br />
kann allerdings einen Autoritätsverlust des Mannes<br />
in der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der Familien<br />
hervorrufen .“ (S . 36) .<br />
In meinem Nachdenken betreffend der <strong>Mädchen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Jungen</strong>, Frauen <strong>und</strong> Männer nicht-deutscher<br />
Herkunft komme ich zu dem Schluss, dass <strong>für</strong> beide<br />
Gruppen eine deutliche Verunsicherung bezüglich<br />
ihrer Geschlechtsrolle stattfindet . Diese wird potenziert<br />
durch die Migrationserfahrung der Familie –<br />
auch wenn es sich um Migranten/innen der zweiten<br />
oder dritten Generation handelt – eine Erfahrung,<br />
die die Identitätsfindung an sich schon besonders<br />
schwierig gestalten kann durch das oben erwähnte<br />
mögliche Leben „zwischen zwei Welten“ .<br />
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