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Eine Schule für Mädchen und Jungen - Universität Bremen

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<strong>und</strong> Arbeitssituation ( . . .) sich relativ unsicher erweist .“<br />

Das Geschlecht zumindest dieser Heimaten scheint<br />

also primär weiblich zu sein . Die <strong>Jungen</strong> <strong>und</strong> die<br />

Männer müssen demgegenüber raus aus dieser kleinen<br />

Heimat, sollen „reißerisch“ <strong>und</strong> „aktiv“ sein <strong>und</strong><br />

ihre Freiheit nutzen (ich erinnere an die Aussagen<br />

des türkischen Vaters aus meiner Einleitung) . Doch<br />

in dieser Freiheit stoßen sie umso mehr auf Verunsicherung:<br />

Die Geschlechtsrollenmuster unserer Gesellschaft<br />

sind <strong>und</strong>urchschaubar <strong>und</strong> in ständigem<br />

Wandel; wächst man nicht behutsam in sie hinein,<br />

gibt diese Unklarheit Anlass zu ausufernden Fantasien<br />

.<br />

So ist die Flucht einer Gruppe von <strong>Jungen</strong> <strong>und</strong><br />

Männern mit Migrationshintergr<strong>und</strong> in deviante Verhaltensformen<br />

wiederholt beobachtbar <strong>und</strong> prägt<br />

dadurch Klischees . Angstabwehrendes Potenzgebaren<br />

wird spürbar in machistischem Habitus . Versuche<br />

von Beziehungsaufnahmen zum anderen Geschlecht<br />

verdrehen sich gelegentlich zu aggressiven,<br />

sexualisierten Posen . Die Anerkennung <strong>für</strong> diese<br />

Versuche, ein männliches Profil zu gewinnen, bleibt<br />

aber in der Regel eher aus . Wichtig zu bemerken ist<br />

an dieser Stelle, dass es hier nicht um ethnisierende<br />

Stereotypenbildung gehen soll, sondern um die<br />

Beschreibung krisenhafter Konsequenzen von problematischer<br />

Geschlechtsrollensuche unter den dargestellten<br />

erschwerten Bedingungen bei bestimmten<br />

Gruppen von Betroffenen . Leider wird irrtümlicherweise<br />

dann oft von dem auffälligen Verhalten dieser<br />

spezifischen Gruppe unzulässig hochgerechnet auf<br />

die Gesamtgruppe z .B . der „türkischen <strong>Jungen</strong>“, die<br />

in dieser Undifferenziertheit natürlich nicht existiert!<br />

Zusätzlich verhindern nun auch noch strukturelle<br />

Einschränkungen durch die Aufnahmegesellschaft,<br />

wie Nachteile im Bildungswesen (siehe Ergebnisse<br />

der aktuellen PISA-Studien), im Aufenthaltsrecht <strong>und</strong><br />

auf dem Arbeitsmarkt sowie fremdenfeindliche Diskriminierungen,<br />

den Aufbau eines ausgewogeneren<br />

Selbstvertrauens .<br />

Natürlich beeinträchtigen die letztgenannten Faktoren<br />

ebenso die Persönlichkeitsentwicklungen von<br />

<strong>Mädchen</strong> . Doch wie angedeutet können sie insgesamt<br />

häufiger von einer anderen Erwartungshaltung<br />

<strong>und</strong> einer, wenn auch sehr ambivalent zu verstehenden,<br />

familiären <strong>und</strong> geschlechtsrollenspezifischen<br />

Sicherheit ausgehen . Und so können sie vorsichtiger<br />

experimentierend die Konfrontation damit aufnehmen<br />

. Dazu noch einmal Nauck in dem oben<br />

genannten Artikel: „Diskriminierungen in der Aufnahmegesellschaft<br />

werden von türkischen Müttern <strong>und</strong><br />

Töchtern gleich selten wahrgenommen . Dagegen<br />

liegt die Wahrnehmung solcher Benachteiligungen<br />

in der Wohnumgebung, bei Behörden, beim Einkaufen<br />

<strong>und</strong> am Arbeitsplatz bzw . in der <strong>Schule</strong> bei den<br />

männlichen Jugendlichen <strong>und</strong> insbesondere bei den<br />

Vätern signifikant höher,“ (ebd . S . 54 ) .<br />

Die anti-integrative schulpolitische Debatte bzw . die<br />

daraus abgeleiteten Verbotsbeschlüsse über das<br />

Kopftuch-Tragen muslimischer Lehramtsanwärterinnen<br />

sowie die journalistisch dramatiserende Begleitung<br />

dieser Auseinandersetzung mögen allerdings<br />

zu einer Verschiebung dieser Relation geführt haben<br />

. Vielfältige Berichte mir bekannter junger Musliminnen<br />

mit Kopftuch lassen dahingehend auf eine<br />

bedenkliche neue Zuspitzung abwertender Haltungen<br />

gegenüber diesen Frauen schließen .<br />

Folgen der beschriebenen Belastungen <strong>für</strong> die<br />

männlichen Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen scheinen die<br />

deutlich niedrigeren Ausbildungserfolgsquoten zu<br />

sein (laut Zahlen der Bremer Bildungsbehörde seit<br />

1999, sowie Zahlen der Bremer Ausländerbeauftragten<br />

von 2004, z .B . fast doppelt so häufig Schulabbruch<br />

ohne Abschluss), sowie vor allem die erhöhte<br />

Quote devianter Verhaltensformen .<br />

IV Anregungen <strong>für</strong> die pädagogische Praxis<br />

Was können nun Professionelle in Pädagogik <strong>und</strong><br />

sozialer Arbeit leisten, um mit diesem zweiseitigen<br />

Dilemma umzugehen: <strong>Eine</strong>rseits teilweise zu wenig<br />

Freiheit <strong>und</strong> dementsprechend eingeschränkte<br />

Entwicklungschancen <strong>für</strong> viele <strong>Mädchen</strong> <strong>und</strong> Frauen<br />

ausländischer Herkunft, andererseits strukturell<br />

überfordernde Pseudofreiheit <strong>und</strong> folgerichtig immer<br />

häufigeres Scheitern beim männlichen Geschlecht?!<br />

Ich denke, vor allen Ansätzen zu konkreten Interventionsformen<br />

sind verschiedene Leitsätze zu beachten .<br />

Erste Voraussetzung <strong>für</strong> die etwaige pädagogische<br />

Beziehungsaufnahme ist die Arbeit an einem empathischen<br />

Verstehen <strong>für</strong> die Gegenüber bezüglich<br />

der oben entwickelten geschlechts- <strong>und</strong> kulturspezifischen<br />

Besonderheiten . Ein solches Verständnis ist<br />

dabei sicherlich nicht gleichzusetzen mit anhaltender<br />

Akzeptanz gegenüber vereinzelten Exzessen, sollte<br />

aber zur Geduld bei der Erwartung von Veränderung<br />

anhalten . Dabei ist gr<strong>und</strong>sätzlich davor zu warnen,<br />

sich in eine Rolle als Elternersatz oder Korrektiv zur<br />

Herkunftsfamilie zu begeben <strong>und</strong> sozusagen als Angehörige<br />

der „besseren“ Kultur aufzutreten . Durch<br />

einen solchen ethnozentrischen Ansatz werden Verunsicherung<br />

<strong>und</strong> Desorientierung mit den beschriebenen<br />

Folgeproblematiken nur gefördert .<br />

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