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Biarritz. - Karl-May-Gesellschaft

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— 202 —<br />

Der Offizier verbeugte sich gegen die Frau. »Spricht sie nicht Deine oder eine andere Sprache?«<br />

»Sie redet gar nicht, wir wissen nicht einmal, welchen Stammes die Unglückliche ist – die<br />

Türken haben ihr, ehe Iwo ihr Sohn geboren wurde, das Glied, das Gott den Menschen giebt,<br />

um sein Lob zu preisen, an der Wurzel verstümmelt.«<br />

[446]<br />

»Allmächtiger Himmel – die Zunge ist der Aermsten ausgeschnitten! Unglückliche Frau!«<br />

und er streckte theilnehmend die Hand gegen sie aus.<br />

Ein unartikulirter Gurgellaut kam aus dem halbgeöffneten Munde der Frau – zugleich hob<br />

sie beide Arme in die Höhe, daß die weiten Aermel des Hemdes, wie sie die Bosniakinnen<br />

und Bulgarinnen tragen, zurück über den Ellenbogen fielen. Wohl mochte der Offizier noch<br />

einmal in den Ruf: »Allmächtiger Gott – welcher Frevel!« ausbrechen: – die Arme waren<br />

gleichfalls verstümmelt, beide Hände von den Gelenken getrennt.<br />

»Jetzt Aga,« sagte traurig der Knabe, »weißt Du, weshalb der tapfere Iwo stumm geboren<br />

ist, und weshalb seine Mutter nicht sagen noch schreiben kann, welches Stammes sie ist und<br />

woher sie gekommen. Gott allein weiß es und Michael der weise Higumenos.«<br />

Der Offizier empfand, daß er hier vor einem furchtbaren Geheimniß stand, und daß der<br />

greise Abt des Klosters auf dem Berge ihn nicht ohne Absicht hierher gesandt hatte, als er<br />

nach den Verhältnissen und Leiden der Rajahbevölkerung Bosniens bei ihm forschte.<br />

»Und woher glaubst Du, daß der geistliche Herr die Herkunft dieser unglücklichen Frau<br />

kennt?«<br />

»Wir wissen es nicht, aber wir denken es; denn es sind fünfundzwanzig Jahre, daß der Higumenos<br />

das Kloster des heiligen Basilius bewohnt, wohin er vom Berge Athos kam. Damals<br />

war Petros, mein Vater, schon ein Hirt in den Thälern und sein Vater hauste in diesem Thurm,<br />

der dem Kloster gehört, und die Frau<br />

[447]<br />

ohne Zunge und Hände war noch jung, nährte ihr Kind, das die Mutter von Petros an ihre<br />

Brust legte, wenn es trinken wollte. Meine Mutter aber war eine Waise, deren Eltern die<br />

Moslems erschlagen hatten, und welche ein Mann aus Bosnien Jener anvertraut hatte, daß die<br />

arme Hirtin sie groß ziehen möchte. Es war im Jahre, als Reschid, der Wessir des Großherrn<br />

von Stambul, die Begs tödtete auf dem Felde von Kossowo und der Zmaï od Bosna 1 zu den<br />

Swabi jenseits der großen Donau entwich, nachdem die Rajah acht Pferde ihm unter dem<br />

Leibe getödtet hatten. Meine Schwester Helene soll Dir die Piesme singen von Wusseïn dem<br />

Drachen, wenn Du sie zu hören wünschtest.«<br />

»Gewiß, ich bitte Deine Schwester darum, Knabe. Aber fahre fort in Deiner Erzählung,<br />

wenn es Dein Vater und dieser Krieger Dir erlauben.«<br />

Iwo, an den die letzten Worte eigentlich gerichtet waren, war wieder in sein düsteres Hinstarren<br />

versunken und mit dem Beschneiden der vorhin gegossenen Kugeln beschäftigt. Da<br />

er kein Zeichen des Verbots machte, fuhr der Klosterschüler fort: »Als meine Mutter, Sophia,<br />

aufgehört hatte, ein Kind zu sein, hat der Higumenos, der damals Diakon war im Kloster<br />

am Berge, sie meinem Vater zum Weibe gegeben, denn sein Wort galt Alles in der Kula der<br />

Grahoven, und meine Mutter hat mir erzählt, daß wenn er zur Kula kam, er zu der stummen<br />

Frau draußen im Walde und in einer Sprache, die sie<br />

1 Drache von Bosnien.

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