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P.b.b. GZ 02Z034626W, Benachrichtigungspostamt 1070 Wien<br />
Bei Unzustellbarkeit zurück an Absender: <strong>Ärzte</strong> <strong>Krone</strong>, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien<br />
FACHMAGAZIN<br />
FÜR ÄRZTE<br />
themenheft themen<br />
März 2010<br />
ALLERGIE<br />
State of the Art
Liebe Leserinnen und Leser!<br />
Die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie<br />
(<strong>ÖGAI</strong>, www.oegai.org) repräsentiert alle WissenschafterInnen<br />
und ÄrztInnen, die an der Funktion und den Erkrankungen<br />
des Immunsystems sowie an Klinik, Diagnostik und Therapie<br />
aller Krankheiten, die das Immunsystem betreffen, interessiert<br />
sind. Die <strong>ÖGAI</strong> fördert Forschung und deren klinische Umsetzung,<br />
um die Last immunologisch bedingter Erkrankungen auf<br />
die Menschen zu mindern und um Behandlungs- und Präventionsmöglichkeiten<br />
zu verbessern.<br />
Ein weiteres wesentliches Ziel der <strong>ÖGAI</strong> ist es, als Wissensvermittler<br />
und Auskunftsorgan für fachspezifische Information über<br />
das Immunsystem und seine mannigfaltigen Störungen wie Allergie,<br />
Autoimmunität und Immunmangel zu fungieren.<br />
In den Beiträgen dieser Sonderausgabe berichten Experten über<br />
wissenswerte Themen aus dem Bereich der Allergie. Mehr als ein<br />
editorial<br />
Prof. Dr. Rudolf Valenta<br />
Viertel der Bevölkerung leidet unter allergischen Erkrankungen.<br />
Diese basieren auf einer Überreaktion des Immunsystems gegen<br />
an sich harmlose Substanzen, die so genannten Allergene. Allergische<br />
Reaktionen können verschiedene Organe und Organsysteme<br />
betreffen. Die Symptome können sich in Form von Heuschnupfen,<br />
Asthma, Nahrungsmittelallergien, Hauterkrankungen<br />
bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock manifestieren.<br />
Da sich unbehandelte Allergien im Verlauf oft verschlechtern<br />
und zu chronischen Krankheitsbildern führen können, ist eine<br />
frühzeitige und exakte Diagnose besonders wichtig. Die Behandlung<br />
von Allergien muss auf die individuellen Umstände des<br />
Patienten Rücksicht nehmen und bedient sich verschiedener<br />
Maßnahmen, die von der Allergenvermeidung, der Linderung der<br />
Symptome durch Medikamente bis hin zur spezifischen Immuntherapie<br />
reichen und daher auf die individuellen Bedürfnisse der<br />
Patienten zugeschnitten sein müssen. Diagnose und Therapie von<br />
allergischen Erkrankungen sollen daher von ÄrztInnen mit<br />
besonderen Kenntnissen in der Allergologie, der Funktion des<br />
Immunsystems und den von allergischen Erkrankungen betroffenen<br />
verschiedenen Organsystemen durchgeführt werden.<br />
Prof. Dr. RUDOLF VALENTA<br />
e.h. Präsident der <strong>ÖGAI</strong><br />
Impressum: MEDIENINHABER, HERAUSGEBER UND VERLEGER: <strong>Ärzte</strong>krone Ges.m.b.H., Verlag von Druckwerken, Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien, Tel.: 01/407 31 11-0, Fax: 01/407 31 14.<br />
CHEFREDAKTEUR: Dr. Wolfgang Exel. STELLVERTRETENDE CHEFREDAKTEURIN: Dr. Hannelore Nöbauer; h.noebauer@medmedia.at, DW-61 VERLAGSLEITUNG/VERKAUFSLEITUNG: Friedrich<br />
Tomaschek, f.tomaschek@medmedia.at, DW 25; Karin Duderstadt, k.duderstadt@medmedia.at, DW 29. PRODUKTION: Mag. a (FH) Nicole Kaeßmayer, n.kaessmayer@medmedia.at, DW 43.<br />
ALLGEMEINE HINWEISE: In Zusammenarbeit mit Experten erarbeitete Artikel basieren auf deren fachlicher Meinung und fallen somit in deren persönlichen Verantwortungsbereich. Trotz sorgfältiger<br />
Prüfung übernehmen Verlag und Medieninhaber keinerlei Haftung für drucktechnische und inhaltliche Fehler. REDAKTION: Seidengasse 9/Top 1.1, 1070 Wien. LAYOUT/DTP: creativedirector.cc lachmair<br />
gmbh, 2120 Wolkersdorf im Weinviertel. LEKTORAT: onlinelektorat. DRUCK: agensketterl Druckerei GmbH, Kreuzbrunn 19, 3001 Mauerbach. Bilder ohne Copyright-Vermerk sind aus dem Archiv der<br />
<strong>Ärzte</strong> <strong>Krone</strong>.<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 3
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Epidemiologie allergischer Erkrankungen<br />
EPIDEMIOLOGISCHE DATEN geben Auskunft über die Allergieprävalenz<br />
und die am meisten von Allergien betroffenen Bevölkerungsschichten.<br />
Es stehen Daten aus internationalen Surveys, die auch in Österreich durchgeführt<br />
wurden, zur Verfügung und werden durch selbst berichtete Daten<br />
aus der Gesundheitsberichterstattung ergänzt.<br />
AUF DER GRUNDLAGE einer erblich<br />
bedingt erhöhten Produktion<br />
allergenspezifischer IgE-Antikörper (Atopie)<br />
werden Allergien durch Lebensstil<br />
und Umweltbedingungen bei einem Teil<br />
der zunächst nur subklinisch sensibilisierten<br />
Patienten getriggert und damit symptomatisch.<br />
Drei atopische Krankheitsbilder<br />
sind von besonderer Bedeutung: Heuschnupfen,<br />
atopisches Ekzem (Neurodermitis<br />
mit atopischen Sensibilisierungen)<br />
und Asthma bronchiale.<br />
Die häufigste Allergiediagnose lautet Heuschnupfen<br />
– allergische Rhinitis. Global<br />
sind zwischen 10 und 40% der Weltbevölkerung<br />
– geschätzt – mehr als 600 Mio.<br />
Menschen davon betroffen. Die Allergieprävalenz<br />
– die Zahl der Erkrankungsfälle<br />
zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während<br />
eines definierten Zeitabschnittes<br />
bezogen auf die Gesamtbevölkerungszahl<br />
– zeigt erhebliche geographische Unterschiede<br />
zwischen einzelnen Ländern.<br />
DATEN ZUR PRÄVALENZ<br />
ALLERGISCHER ERKRANKUNGEN<br />
Selbst berichtete Daten zur Prävalenz von<br />
Allergien und allergischen Erkrankungen<br />
in Österreich gibt es im Rahmen von 2<br />
groß angelegten internationalen Studien,<br />
4 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
die auch in österreichischen Zentren<br />
durchgeführt wurden: In Wien wurde der<br />
„ECRHS – The European Community<br />
Respiratory Health Survey“ und in Salzburg<br />
sowie in Urfahr-Umgebung bei Kindern<br />
und Jugendlichen die „ISAAC – International<br />
Study of Asthma and Allergy in<br />
Childhood“ durchgeführt.<br />
Der ECRHS – The European Community<br />
Respiratory Health Survey – untersuchte<br />
das Ausmaß von allergischem Asthma,<br />
asthmaähnlichen Symptomen und allergischer<br />
Rhinitis in 15 Staaten der Europäi-<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
schen Union (Stand 1994) sowie in der<br />
Schweiz, Estland, Algerien, Indien, Neuseeland,<br />
Australien und den USA. In jeder<br />
Region wurden Stichproben von 1.500<br />
Männern und 1.500 Frauen zwischen 20<br />
und 44 Jahren per Fragebogen interviewt<br />
(Burney, 1994).<br />
Ziel der ISAAC – International Study of<br />
Asthma and Allergy in Childhood – war<br />
es, die Prävalenz von Asthma, allergischer<br />
Rhinokonjunktivitis und Atopie bei 13–<br />
14-jährigen Jugendlichen zu untersuchen.<br />
Abb.: PRÄVALENZ VON SELBST BERICHTETEN ALLERGIEN BEI SCHULÄRZTLICHEN<br />
UNTERSUCHUNGEN NACH SCHULSTUFEN IM VERGLEICHSZEITRAUM<br />
1989/90–1999/00. AUS: STADT WIEN, 2000<br />
%<br />
16 – ■ 1. Schulstufe ■ 4. Schulstufe ■ 8. Schulstufe<br />
14 –<br />
12 –<br />
10 –<br />
8 –<br />
6 –<br />
4 –<br />
2 –<br />
0 –<br />
1989/90 1993/94<br />
österreichweit österreichweit<br />
(ÖSTAT) (ÖSTAT)<br />
4,4<br />
5,2<br />
7,5<br />
5,4<br />
6,2<br />
8,8<br />
7,3<br />
9,2<br />
1995/96<br />
Wien<br />
9,2<br />
9,3<br />
1996/97<br />
Wien<br />
8,2<br />
9,9<br />
1997/98<br />
Wien<br />
9,6<br />
9,8<br />
1998/99<br />
Wien<br />
9<br />
13,5<br />
15<br />
1999/00<br />
Wien<br />
© adisa – iStockphoto.com
Weltweit wurden 463.801 Kinder in<br />
56 Ländern in 155 Zentren eingeschlossen.<br />
Um eine möglichst hohe<br />
Responserate zu erzielen, wurden die<br />
Untersuchungen in Schulen durchgeführt.<br />
Die Fragen wurden mittels Fragebogen<br />
gestellt, in den meisten Zentren<br />
kam ein Video-Fragebogen zum<br />
Einsatz.<br />
In Österreich beträgt die (selbst<br />
berichtete) Allergieprävalenz 20 %.<br />
Das bedeutet, dass etwa 1,6 Millionen<br />
ÖsterreicherInnen an Allergien<br />
leiden. Allergische Erkrankungen<br />
betreffen so gut wie alle Altersklassen,<br />
weisen aber gewisse<br />
Häufungen auf. Im Kindes- und<br />
Jugendalter stellen Allergien das hervorragendste<br />
Gesundheitsproblem<br />
dar, sie betreffen mehr Buben als<br />
Mädchen. Schulärztliche Untersuchungen<br />
wiesen im Jahr<br />
1999/2000 9–15% der Wiener SchülerInnen<br />
zwischen 6 und 14 Jahren<br />
als AllergikerInnen aus (siehe Abb.).<br />
Der Altersgipfel bei allergischen<br />
Erwachsenen liegt in der dritten<br />
Dekade (Gesundenuntersuchungen in<br />
allgemeinmedizinischen Praxen: 33%<br />
der 30–39-Jährigen).<br />
Von Allergien sind generell Frauen<br />
etwas häufiger als Männer betroffen.<br />
Erst bei den über 85-Jährigen sind<br />
(vor allem im Krankenhaus) mehr<br />
Männer betroffen als Frauen.<br />
32% der Frauen und 28% der Männer<br />
ab 16 Jahren gaben beim Wiener<br />
Gesundheits- und Sozial-Survey<br />
2001 an, jemals an einer Allergie<br />
gelitten zu haben. Aktuell – innerhalb<br />
des vorangegangenen Jahres –<br />
berichteten dies 22% der Frauen und<br />
20% der Männer.<br />
Laut Krankenhausentlassungsstatistik<br />
2004 wurden aus österreichischen<br />
Krankenhäusern 11.949-mal Patienten<br />
mit allergischen Erkrankungen in<br />
der Hauptdiagnose entlassen, entsprechend<br />
0,47% aller Krankenhausfälle.<br />
Bezogen auf die Bevölkerung,<br />
entspricht das 146,17/100.000 Einwohnern.<br />
Den Hauptanteil machten Kinder und<br />
Jugendliche aus: 247/100.000 bei den<br />
bis 4-Jährigen und 178/100.000 Einwohnern<br />
bei den 5–9-Jährigen. Ein<br />
zweiter Altersgipfel lag bei den 55–<br />
59-Jährigen mit 177/100.000 Einwohnern.<br />
In der Todesursachenstatistik spielen<br />
allergische Erkrankungen eine untergeordnete<br />
Rolle. Im Jahr 2004 wurden<br />
8 Todesfälle (7 Frauen, 1 Mann)<br />
mit Status asthmaticus und 2 Todesfälle<br />
(eine Frau, ein Mann) mit anaphylaktischem<br />
Schock dokumentiert.<br />
Die Dunkelziffer der Mortalität durch<br />
Anaphylaxien dürfte allerdings höher<br />
sein. Sie dürfte allein nach Insektenstichen<br />
in Österreich zwischen 4 und<br />
8 Personen im Jahr liegen.<br />
ALLERGISCHE RHINITIS –<br />
HEUSCHNUPFEN<br />
Die Prävalenz der allergischen Rhinitis<br />
wird in Mitteleuropa mit ca. 15–<br />
20% angegeben, die des Asthma mit<br />
5–15%. Die allergische Rhinitis ist je<br />
nach geographischer Region etwa 2–<br />
3-mal häufiger als Asthma. Bousquet,<br />
ARIA, JACI 2001:118 (Suppl 10):1-<br />
315 und NIH, WHO GINA 2003<br />
Manifestationsalter der allergischen<br />
Rhinitis ist das Kindes- und Jugendalter.<br />
Bei etwa 70% der Patienten treten<br />
die ersten Symptome vor dem 16.<br />
Lebensjahr auf.<br />
Beim Wiener Gesundheits- und Sozial-Survey<br />
gaben 17% der über 16jährigen<br />
Männer und Frauen an, an<br />
allergischer Rhinitis zu leiden.<br />
Eine allergische Rhinitis wurde auch<br />
bei 16% der 20–44-Jährigen im Rahmen<br />
des ECRHS und bei ca. 9–12 %<br />
der 13–14-Jährigen in der ISAAC-<br />
Studie für Österreich dokumentiert.<br />
ALLERGISCHES ASTHMA<br />
Die Erstmanifestation liegt im Kindes-<br />
und Jugendalter, häufig geht<br />
dem Asthma eine allergische Rhinitis<br />
voraus.<br />
Bis zu 90% der asthmatischen Kinder<br />
sind atopisch veranlagt. Asthma mit<br />
Erstmanifestation im Erwachsenenalter<br />
ist hingegen seltener mit einer atopischen<br />
Diathese assoziiert. Nur bei<br />
30% liegt eine Inhalationsallergie<br />
vor.<br />
Nach epidemiologischen Untersuchungen<br />
sind die Merkmale Atopie<br />
und die Diagnose einer allergischen<br />
Fachkurzinformation siehe Seite 35
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Tab.: PRÄVALENZ VON SYMPTOMEN UND DIAGNOSEN VON ASTHMA BRONCHIALE, ALLERGISCHER RHINITIS UND<br />
ATOPISCHER DERMATITIS BEI KINDERN IN SALZBURG (NACH: EDER, 1998)<br />
Rhinitis oder eines Asthmas bis zum 6.<br />
Lebensjahr miteinander korreliert.<br />
In der MAS-Studie (Multicenter Allergy<br />
Study) bekamen 30–40% der 5– 7-Jährigen<br />
mit einer allergischen Rhinitis aufgrund<br />
einer Pollenallergie innerhalb von<br />
zwei Jahren auch asthmatische Beschwerden.<br />
Bei älteren Populationen ist eine atopische<br />
Diathese nur noch ein Risikofaktor<br />
für die Entstehung einer allergischen Rhinitis.<br />
Ein allergisches Asthma wurde bei 5–12%<br />
der 13–14-Jährigen in der ISAAC-Studie<br />
berichtet, im ECRHS gaben es 3–9% der<br />
20–44-Jährigen an. Im Wiener Gesundheits-<br />
und Sozial-Survey (ab 16 Jahren)<br />
berichteten 4% der Männer und 4% der<br />
Frauen über Asthma, bei den Stellungsuntersuchungen<br />
waren es 2,31% der 18jährigen<br />
Männer im Jahr 2005<br />
ATOPISCHE DERMATITIS<br />
Die atopische Dermatitis (atopisches Ekzem)<br />
ist eine häufige Erkrankung im Kindesalter<br />
und stellt für 20% einen Risikofaktor<br />
für die Entwicklung eines Asthma<br />
in späterer Folge dar. Lag die Prävalenz<br />
zwischen Geburt und Einschulung in den<br />
50er und 60er Jahre noch bei 2–3%, so leiden<br />
jetzt in Europa ca. 10–15% der Kinder<br />
zumindest zeitweilig unter einer atopischen<br />
Dermatitis. Innerhalb Europas existiert<br />
ein Ost-West-Gefälle. So betrug die<br />
1-Jahres-Prävalenz in Schweden 16%(!)<br />
Laut ISAAC-Daten aus Salzburg lag die<br />
Prävalenz der atopischen Dermatitis bei<br />
den 6–8-Jährigen bei 7%, bei den 13–15-<br />
Jährigen bei 6%. Bei Kindern und Jugendlichen<br />
waren mehr Mädchen als Buben<br />
von Symptomen betroffen (Eder, 1998 –<br />
siehe Tab.).<br />
6 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Kinder (6-8 Jahre) Jugendliche (12-15 Jahre)<br />
Gesamt Buben Mädchen p Gesamt Buben Mädchen p<br />
Pfeifende oder keuchende Atemgeräusche 9,9 10,7 9,0 0,326 11,9 11,8 11,9 0,987<br />
Diagnose Asthma 4,4 5,6 3,1
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Allergiediagnostik<br />
DIE VERDACHTSDIAGNOSE einer<br />
Allergie ist bald geäußert, der Beweis<br />
weitaus schwieriger. Allergietests sollten<br />
nur von Spezialisten durchgeführt werden,<br />
um nichtrelevante Interpretationen zu<br />
vermeiden.<br />
BEI SO GENANNTEN SOFORT-<br />
TYPALLERGIEN sind die häufigsten<br />
Reaktionsmuster Reaktionen<br />
auf inhalative oder nutritive Allergene,<br />
selten gibt es auch Typ-I-Allergien<br />
auf Insektengift oder Medikamente.<br />
Das klinische Bild der inhalativen<br />
Allergien äußert sich in Konjunktivitis<br />
und Rhinitis sowie Asthma bronchiale.<br />
Das klinische Bild der nutritiven<br />
Allergie äußert sich in Entzündungen<br />
im Mundbereich – das so<br />
genannte Orale-Allergie-Syndrom<br />
(OAS) – und in Entzündungen im<br />
Magen-Darm-Trakt. Diesen Allergien<br />
gemeinsam ist das Auftreten<br />
von IgE-Antikörpern im Blut.<br />
NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICH-<br />
KEITEN<br />
Nahrungsmittelunverträglichkeiten<br />
können aber auch so genannte Intoleranzen<br />
sein wie intestinale Fruktoseintoleranz,<br />
Histaminintoleranz und<br />
Laktoseintoleranz. Erstere hat einen<br />
gestörten Transportmechanismus<br />
durch die Darmwand als Ursache, die<br />
beiden anderen Enzymdefekte. Die<br />
Häufigkeit des Vorkommens in unserer<br />
Bevölkerung entspricht der<br />
gewählten Reihenfolge. Das heißt,<br />
dass entgegen der Volksmeinung die<br />
Laktoseintoleranz seltener ist!<br />
Fruktose- und Laktoseunverträglichkeit<br />
wird entweder funktionell<br />
mittels H 2-Atemtest nach oraler Aufnahme<br />
von wassergelöster Fruktose<br />
oder Laktose oder alternativ mit<br />
einem Gentest festgestellt.<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
Symptome der Nahrungsmittelallergie<br />
im Magen und Darm sind<br />
Magenschmerzen und Durchfall,<br />
können aber auch bis zum anaphylaktischen<br />
Schock, mit Blutdruckabfall<br />
und Bewusstlosigkeit reichen.<br />
Praktisches Beispiel: ein Birkenpollen-Allergiker<br />
verträgt unter anderem<br />
Äpfel, Nüsse und Soja nicht.<br />
Isst er einen Apfel oder Sojaprodukte,<br />
tritt das OAS auf, also Beschwerden<br />
im Mund . Trinkt er aber einen<br />
Apfelsaft oder Sojamilch, dann<br />
gelangt das Allergen sofort in Magen<br />
und Darm mit dem Risiko einer systemischen<br />
Reaktion, eines anaphylaktischen<br />
Schocks.<br />
Um eine Allergie zu diagnostizieren,<br />
kann man nun im Blut IgE-Antikörper<br />
nachweisen. Antikörper (IgM und IgG<br />
bei Infekten und IgE und IgG bei<br />
Allergien) beweisen nur, dass der<br />
Patient mit dem Erreger oder Allergen<br />
Kontakt hatte, nicht aber notwendigerweise<br />
dessen klinische Relevanz.<br />
Neu ist der Allergenchip, mit dessen<br />
Hilfe eine Vielzahl von Allergenen<br />
und Suballergenen mit nur einem<br />
Bluttropfen bestimmt werden können.<br />
Die Befundinterpretation erfordert<br />
aber ein umfangreiches allergologischen<br />
Wissen und ist teuer. Der Test<br />
wird daher auch von den Krankenversicherungsträgern<br />
nicht bezahlt.<br />
MINIMALE PROVOKATION<br />
DURCH HAUTTEST<br />
Der klinisch relevante Beweis wird<br />
durch eine minimale Provokation,<br />
Fachkurzinformation siehe Seite 35
© Robert Kneschke - Fotolia.com<br />
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
den Hauttest, durchgeführt. Inhalative und<br />
nutritive Allergene werden in niedriger,<br />
nichtgefährlicher Konzentration in die<br />
Haut mittels Pricktest eingebracht. Die<br />
Allergene werden dabei in Tropfenform<br />
auf die Haut gebracht. Mittels einer Pricklanzette<br />
wird durch den Tropfen durchgestochen<br />
und die Haut dabei leicht angeritzt.<br />
Ist der Patient nun allergisch, dann<br />
entsteht im Rahmen einer Antigen-Antikörper-Reaktion<br />
eine Histaminfreisetzung,<br />
die wie bei Brennnesselkontakt (enthält<br />
Histamin) zu einer Quaddel und Hautrötung<br />
führt. Typisch ist der dabei auftretende<br />
Juckreiz.<br />
PRICK-PRICK-TEST BEI<br />
NAHRUNGSMITTELALLERGIE<br />
Bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie<br />
kann auch ein Prick-Prick-Test eingesetzt<br />
werden. Dabei wird die Pricklanzette<br />
zuerst in das Nahrungsmittel eingestochen<br />
und dann mit derselben Lanzette die Haut leicht geritzt. Dieser Test ist wesentlich<br />
empfindlicher als die käuflichen Extrakte.<br />
8 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Noch besser ist die Provokation durch<br />
Nahrungsmittelaufnahme. Dabei wird das<br />
verdächtige Nahrungsmittel in ansteigender<br />
Menge zugeführt. Um die vielen Differenzialdiagnosen,<br />
wie z.B. psychovegetative<br />
Reaktionen, Angst etc. auszuschließen,<br />
kann bei Bedarf zwischendurch<br />
auch mit Placebo (= ohne das als Auslöser<br />
vermutete Nahrungsmittel) provoziert<br />
werden. Diese Form des oralen<br />
placebokontrollierten Provokationstests<br />
gilt als Goldstandard,<br />
ist aber nicht ganz risikolos und<br />
muss daher stationär (mit<br />
hohem Zeit- und Kostenaufwand)<br />
durchgeführt werden.<br />
Üblicherweise kommt man<br />
mit dem Prick- und dem<br />
Prick-Prick-Test aus.<br />
In den Spezialfällen von<br />
Medikamentenunverträglichkeitsreaktionen<br />
und Insektengiftallergie<br />
werden auch Intradermaltests<br />
durchgeführt. Dabei<br />
werden Allergene mittels<br />
hauchdünner Nadeln in die<br />
Haut eingespritzt. Abgesehen<br />
davon, dass dies für den Patienten<br />
unangenehmer ist, ist dieser Test<br />
auch gefährlicher und wird daher nur<br />
mehr bei Insekten- und<br />
Medikamentenallergien eingesetzt,<br />
wenn die vorangegangenen Pricktests<br />
negativ verlaufen sind.<br />
ALLERGISCHES KONTAKTEKZEM<br />
Beim allergischen Kontaktekzem handelt<br />
es sich um eine so genannte Spättypreaktion.<br />
Dabei sind sensibilisierte Lymphozyten<br />
Auslöser der Entzündungsreaktion.<br />
Hauptauslöser sind Metalle, aber auch<br />
Duftstoffe, die bei Kontakt mit der Haut zu<br />
juckenden Ausschlägen (allergischen<br />
Ekzemen) führen.<br />
Typische klinische Bilder sind Ekzeme an<br />
den Ohrläppchen (Clipse), im Nabelbereich<br />
(Jeansknopf) oder in der Axilla<br />
(Duftstoffe).<br />
Zur Diagnostik wird hier ebenfalls eine<br />
minimale Provokation an der Haut durchgeführt.<br />
Allergene (Metalle, Duftstoffe<br />
und andere) werden in niedriger Konzentration<br />
in Vaseline inkorporiert mittels<br />
Testpflaster auf die Haut aufgeklebt und<br />
nach 2 oder 3 Tagen wieder abgenommen.<br />
Entsteht dann irgendwo ein kleines<br />
Ekzem, dann braucht man nur zu vergleichen,<br />
welches Allergen an dieser Stelle<br />
geklebt war, und schon hat man die Diagnose.<br />
Allerdings muss man die Haut<br />
„lesen“ können. Deshalb ist dieser Test<br />
den Dermatologen vorbehalten, die sich<br />
im Laufe der Jahre einen geübten Blick<br />
angeeignet haben. Beispiel: wenn ein Chinese<br />
10 Chinesen anschaut, wird er jeden<br />
als anders erkennen; wenn ein Europäer 10<br />
Chinesen anschaut, wird für ihn jeder<br />
gleich aussehen.<br />
© Robert Gubbins – iStockphoto.com
PHOTOALLERGISCHES EKZEM<br />
Eine seltene Form des allergischen Kontaktekzems<br />
ist das photoallergische<br />
Ekzem, zu dessen Auslösung neben dem<br />
Agens auch eine gleichzeitige UV-<br />
Bestrahlung notwendig ist. Der entsprechende<br />
Test erfolgt wie beim Kontaktekzem,<br />
nur wird hier zusätzlich eine UV-<br />
Bestrahlung durchgeführt.<br />
So wie bei den oben genannten Intoleranzreaktionen<br />
gibt es auch hier das<br />
nichtallergische, irritative Kontaktekzem.<br />
Dabei kommt es zu keiner Sensibilisierung,<br />
obwohl auch hier eine Entzündungsreaktion<br />
in der Haut zu sehen ist. Auslöser ist meist<br />
zu häufiger Wasserkontakt. Häufiges Händewaschen<br />
bei Müttern mit einem oder zwei<br />
Kindern oder häufiges und zu langes<br />
Duschen sind typische Auslöser. Der Nachweis<br />
gelingt hier am einfachsten mittels<br />
eines Farbstofftests, des Nitrazingelbtests.<br />
Der gelbe Farbstoff, auf die Haut aufgebracht,<br />
verfärbt sich bei zunehmender<br />
Veränderung des pH-Wertes vom sauren<br />
Bereich (normal) ins Alkalische von gelb<br />
über gelbgrün bis ins Dunkelblau. Dabei<br />
kann dem Patienten auch optisch die Veränderung<br />
des Haut-pH-Wertes gezeigt<br />
werden. Insbesondere erhöht sich die Compliance<br />
des Patienten für die Therapie dramatisch,<br />
da der Patient bei der Kontrolle<br />
nach ein bis zwei Wochen eine „gebesserte“<br />
Farbe im Nitrazingelbtest präsentieren will.<br />
INTOLERANZREAKTIONEN DURCH<br />
PHYSIKALISCHE REIZE<br />
Intoleranzreaktionen können auch durch<br />
physikalische Reize, insbesondere durch<br />
Kälte auftreten. Getestet wird durch Kontakt<br />
mehrerer Metallknöpfe auf die Haut,<br />
die jeweils unterschiedliche Temperaturen<br />
(in 2-Grad-Sprüngen) von<br />
20 Grad abwärts aufweisen.<br />
Die Ablesung der<br />
Hautreaktion erfolgt dann<br />
nach 20 Minuten. Meist<br />
genügt auch der Kontakt<br />
mit einer Eprouvette (mit<br />
Eiswasser gefüllt) mit der<br />
Haut, um eine (im positiven Fall) Quaddelreaktion<br />
auszulösen.<br />
SONDERSTELLUNG DER NEURODERMITIS<br />
Eine Sonderstellung nimmt die Diagnostik<br />
bei der Neurodermitis ein. Bei diesem<br />
Krankheitsbild sind sowohl Soforttyp- als<br />
auch Spättypreaktionen möglich, so dass<br />
beide Tests sinnvoll sind. Auch hier erfordert<br />
die Befundinterpretation eine genaue<br />
Kenntnis des Krankheitsbildes, um relevante<br />
Sensibilisierungen von nichtrelevanten<br />
differenzieren zu können.<br />
In Summe gehört der Allergietest in die Hand<br />
eines Fachmanns/einer Fachfrau, um nichtrelevante<br />
Interpretationen zu vermeiden.<br />
Univ.-Prof. Dr. REINHART JARISCH<br />
FAZ – Floridsdorfer Allergie Zentrum, Wien<br />
jarisch@faz.at<br />
Fachkurzinformation siehe Seite 35
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Die Zukunft der<br />
Allergiediagnostik<br />
MOLEKULARBIOLOGISCHE METHODEN in der Allergieforschung<br />
ermöglichen mittlerweile, dass die wichtigsten Allergene von verschiedenen<br />
Allergenquellen heute als individuelle, rekombinante Proteine zur<br />
Verfügung stehen, die gut standardisierbar sind. Damit wird eine komponentenspezifische<br />
Diagnose möglich.<br />
IN UNSEREN BREITEN leiden etwa 30 Prozent der Bevölkerung<br />
an Allergien - mit steigender Tendenz. Die Diagnose kann<br />
entweder in vitro, durch die Messung der spezifischen IgE-Antikörper<br />
im Blut, oder in vivo in Hauttests erfolgen. Dabei werden<br />
Extrakte aus verschiedenen Allergenquellen auf die Haut des<br />
Allergikers aufgetragen und erzeugen bei einer vorliegenden Allergie<br />
eine lokale Reaktion.<br />
Beide Routinemethoden haben jedoch den Nachteil, dass sie mit<br />
Allergenextrakten, die aus den verschiedenen Allergenquellen<br />
(z.B. Pollen, Milben, Katzenhaare) hergestellt werden, durchgeführt<br />
werden. Allergenquellen enthalten meist eine Reihe verschiedener<br />
allergener Substanzen, die in verschiedenen Extrakten<br />
in unterschiedlichen Mengen enthalten sind. Allergenextrakte<br />
sind schwer zu standardisieren, und teilweise sind wichtige Allergene<br />
nicht in ausreichender Menge darin enthalten. Dies führt<br />
dazu, dass viele Allergiker mit diesen Allergenextrakten nicht<br />
oder nicht korrekt diagnostiziert werden können.<br />
KREUZREAKTIVITÄTEN FÜHREN ZU FALSCHEN DIAGNOSEN<br />
Weiters enthalten Extrakte von verschiedenen Allergenquellen<br />
oft ähnliche Allergene, wodurch es aufgrund von Kreuzreaktivitäten<br />
zu falschen Diagnoseergebnissen kommen kann. So<br />
kann etwa ein Patient aufgrund einer Reaktion mit Birkenpollen<br />
im Hauttest fälschlicherweise als Birkenpollenallergiker<br />
diagnostiziert werden, obwohl dieser Patient tatsächlich eine<br />
Gräserpollenallergie aufweist und die Reaktion mit dem Birkenpollen<br />
durch ein kreuzreaktives Allergen verursacht wird.<br />
Um solche Fehldiagnosen zu vermeiden, wurde versucht, die<br />
wichtigsten Allergene individuell herzustellen. Molekularbiologische<br />
Methoden in der Allergieforschung ermöglichten, dass<br />
die wichtigsten Allergene von verschiedenen Allergenquellen<br />
heute als individuelle, rekombinante Proteine zur Verfügung<br />
stehen, die gut standardisierbar sind. Diese rekombinanten<br />
Allergene führen zu einer verbesserten Allergiediagnose, da<br />
damit eine komponentenspezifische Diagnose möglich wird.<br />
Um eine Diagnose mit vielen verschiedenen rekombinanten<br />
Allergenen durchführen zu können, hat die österreichische Firma<br />
Phadia Multiplexing Diagnostics (vormals VBC-Genomics)<br />
den so genannten Allergen-Chip entwickelt (Abb.).<br />
10 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
Abb.: ALLERGENCHIP DER FIRMA<br />
PHADIA MULTIPLEXING DIAGNOSTICS<br />
Der Allergenchip enthält auf 4 Feldern jeweils 100 verschiedene Allergene. Es können<br />
somit 4 Patienten pro Chip getestet werden.<br />
ENTWICKLUNG EINES NEUEN ALLERGENCHIPS<br />
Der Allergenchip enthält auf einem kleinen Glasträger mehr als<br />
100 Allergene verschiedenster Allergenquellen. Wird der Allergen-Chip<br />
mit Serum des Patienten inkubiert, binden die im Serum<br />
enthaltenen IgE-Antikörper spezifisch an die Allergene, auf die<br />
der Patient allergisch reagiert. Die Bindung wird mit Hilfe eines<br />
fluoreszenzmarkierten Antikörpers nachgewiesen und automatisch<br />
ausgewertet. Dies erlaubt eine exakte Bestimmung des IgE-<br />
Reaktionsprofils auf die verschiedenen Allergene und benötigt<br />
dabei nur geringe Mengen an Seren von allergischen Patienten.<br />
Damit lässt sich im Gegensatz zu Allergenextrakten auch der<br />
ursprüngliche Allergieauslöser identifizieren, womit auch die<br />
Therapie von allergischen Erkrankungen verbessert werden kann.<br />
Univ.-Doz. Dr.<br />
SUSANNE VRTALA<br />
Institut für Pathophysiologie<br />
Susanne.Vrtala@meduniwien.ac.at
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Allergische<br />
Atemwegserkrankungen<br />
JEDER FÜNFTE ÖSTERREICHER leidet an einer allergischen Erkrankung.<br />
Allergien gehen mit einem signifikanten Verlust an Lebensqualität einher.<br />
Das beginnt bei der allergischen Rhinitis und kann bei schwerem Asthma<br />
bronchiale bis zum Verlust der Arbeitsfähigkeit führen. Ziel der modernen<br />
Allergologie ist die frühzeitige Diagnostik und Therapie der allergischen<br />
Erkrankungen, um die Lebensqualität möglichst zu erhalten.<br />
ASTHMAEPIDEMIOLOGIE<br />
Die seit 1991 laufenden ISAAC-Studien<br />
(International Study of Asthma and Allergy<br />
in Children) haben zuletzt zwischen<br />
2000 und 2003 insgesamt 798.685 13–14-<br />
Jährige und 388.811 6–7-Jährige weltweit<br />
untersucht. In industrialisierten Ländern<br />
ist Asthma häufiger zu finden mit einem<br />
deutlichen Nordost-Südwest-Gradienten,<br />
wenn auch die Schwere der Erkrankung in<br />
nichtindustrialisierten Ländern höher ist.<br />
Als klarer Risikofaktor für die Entwicklung<br />
von Giemen – und somit möglicherweise<br />
für Asthma – stellt die frühzeitige<br />
Sensibilisierung auf ein perineales Allergen<br />
bei gleichzeitiger hoher Allergenexposition<br />
dar. In diesem Kontext wäre eine<br />
frühzeitige spezifische Immuntherapie<br />
sinnvoll, die aber bei Kindern unter 3 Jahren<br />
nicht üblich ist. Hier läuft bereits eine<br />
präventive Studie, das Ergebnis ist noch<br />
offen.<br />
Auch die direkte Umgebung für das Kind<br />
kann präventive Maßnahmen setzten.<br />
Dazu gehören das Nichtrauchen während<br />
und nach der Schwangerschaft sowie der<br />
moderate Umgang mit Lebensmitteln und<br />
viel Bewegung im Freien. Rezente Studien<br />
konnten Zusammenhänge zwischen<br />
Adipositas und Asthma bronchiale zeigen,<br />
stundenlanges Sitzen kann zu bronchialer<br />
Hyperreaktivität führen.<br />
ASTHMAPHÄNOTYPEN<br />
Asthma bronchiale ist eine heterogene Erkrankung,<br />
wobei die Auslöser bei Er-<br />
12 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
wachsenen zu 70% allergischer Ursache<br />
sind. Daher steht die Allergiediagnostik<br />
im Vordergrund. Weitere Auslöser können<br />
Umwelteinflüsse, inhalative Substanzen<br />
am Arbeitsplatz (z.B. Mehl bei<br />
Bäckern; Occupational Asthma), Irritantien,<br />
Medikamente (Aspirin/NSAID),<br />
Menses oder körperliche Anstrengung<br />
sein (Wenzel S., Lancet 2006: 368: 804–<br />
13.). Zuletzt wurde Asthma bronchiale<br />
nach dem Auftreten von eosinophilen<br />
oder neutrophilen Granulozyten im Sputum<br />
klassifiziert, zusätzlich gibt es einen<br />
zellarmen pauci-granulozytären Typ. Der<br />
eosinophile Phänotyp findet sich vor<br />
allem bei jungen Patienten und leichten<br />
Verlaufsformen und spricht gut auf eine<br />
Steroidtherapie an, während der neutrophile<br />
Phänotyp bei langjährigen schweren<br />
Asthmaformen dominiert. Neutrophile<br />
Phänotypen gehen zumeist mit geringer<br />
Beta-2-Reversibilität einher und<br />
sprechen schlechter auf Steroide an. Eine<br />
ausgeprägte Neutrophilie findet sich<br />
sowohl bei akuten Infektexazerbationen<br />
als auch beim intubationspflichtigen Sta-<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
tus asthmaticus. Möglicherweise helfen<br />
neutrophile Granulozyten bei der Mucus-<br />
Clearence.<br />
Trotz der unterschiedlichen Phänotypen<br />
bei Erwachsenen ist der primäre therapeutische<br />
Ansatz in Form von antiinflammatorischer<br />
Therapie bei möglichstem Meiden<br />
von externen Noxen (Allergene,<br />
Rauch, Emissionen ...) weitgehend gleich.<br />
THERAPIE<br />
Die moderne Asthmatherapie zielt auf<br />
möglichste Symptomfreiheit und somit<br />
maximale Lebensqualität ab (Tab. 1). Mit<br />
einer frühen Diagnose und einer konsequenten<br />
Therapie ist das auch meist zu<br />
erreichen. Ein Stiefkind ist die Therapiecompliance,<br />
zumal Patienten trotz<br />
schlechter Lungenfunktion oft keinen Leidensdruck<br />
haben oder nach raschem<br />
Ansprechen auf die Therapie diese wieder<br />
absetzen. Regelmäßige Kontrollen der<br />
Lungenfunktion sind hier indiziert, auch<br />
hilft der Fragebogen „Asthma-Control-<br />
Tab. 1: SYMPTOMKONTROLLE BEI ASTHMA BRONCHIALE<br />
kontrolliert<br />
teilweise<br />
kontrolliert<br />
nicht<br />
kontrolliert<br />
Symptome tags 2-mal/Woche > 2-mal/Woche täglich<br />
Symptome nachts keine ja häufig<br />
Aktivität normal eingeschränkt Arbeitsausfälle<br />
Notfallmedikation 2-mal/Woche > 2-mal/Woche oft bis ständig<br />
Lungenfunktionm normal<br />
FEV 1 < 80%<br />
PEF < 80%<br />
FEV 1 < 60%<br />
PEF < 60%<br />
Exazerbationen keine > 1-mal pro Jahr > 2-mal pro Jahr
Test (ACT)“, um die Therapieeffizienz in<br />
Bezug auf Symptomkontrolle eines Asthmatikers<br />
in wenigen Minuten zu evaluieren.<br />
Eine rezente Studie zeigt an 4.018<br />
erwachsenen Patienten, dass eine Veränderung<br />
des ACT-Scores um 3 Punkte als klinisch<br />
signifikant gewertet werden muss.<br />
Da die Vermeidung von Allergenen zumeist<br />
nicht möglich ist, stellt die antiinflammatorische<br />
Therapie mit inhalativen<br />
Steroiden und Leukotrienantagonisten<br />
nach wie vor die Basis der Asthmatherapie<br />
dar. Die Wichtigkeit einer frühzeitigen<br />
antiinflammatorischen Therapie bei<br />
Asthma bronchiale konnte mehrfach bestätigt<br />
werden, zusätzlich kann die Verwendung<br />
von ultrafeinen Partikeln die<br />
Inhalationseffizienz und somit die antiinflammatorische<br />
Wirksamkeit der Therapie<br />
erhöhen. Die alleinige Gabe von<br />
kurzwirksamen Beta-2-Mimetika ohne<br />
antiinflammatorischer Therapie ist nur<br />
bei intermittierenden Asthmaformen<br />
indiziert (Tab. 2).<br />
Schweres, therapierefraktäres Asthma<br />
bronchiale ist mit 5% selten. Ist als Auslöser<br />
ein perineales Allergen (Hausstaubmilbe,<br />
Katze) nachzuweisen, so besteht<br />
die Möglichkeit, mit dem monoklonalen<br />
Anti-IgE-Antikörper Omalizumab zu behandeln.<br />
Die Dosierung richtet sich nach<br />
Gewicht und Gesamt-IgE-Spiegel. Aufgrund<br />
der hohen Therapiekosten ist eine<br />
breite Anwendung bei Asthma bronchiale<br />
oder allergischer Rhinitis vorerst nicht zu<br />
erwarten.<br />
SPEZIFISCHE IMMUNTHERAPIE<br />
Die spezifische Immuntherapie eignet<br />
sich für Patienten mit leichten Formen<br />
von allergischem Asthma bronchiale<br />
(FEV1 > 70%), insbesondere wenn eine<br />
perineale Sensibilisierung (Hausstaubmilbe)<br />
besteht. Wesentlich ist eine frühzeitige<br />
Therapie, da nach langjährigem<br />
Asthma eine Immuntherapie wenig<br />
erfolgreich verlaufen wird. Die Immuntherapie<br />
stellt nach wie vor, zumindest in<br />
der subkutanen Applikationsform, die<br />
einzige kausale Therapie der Typ-1-Allergie<br />
mit der Option der Asthmaprävention<br />
dar. Die zweite Therapieoption ist die<br />
sublinguale Applikation, die derzeit in<br />
Tropfen und Tablettenform verfügbar ist.<br />
Aufgrund der weitgehend schmerzfreien<br />
Verabreichung ist sie optimal für Kinder<br />
geeignet und kann möglicherweise einen<br />
TAB. 2: MEDIKAMENTÖSE STUFENTHERAPIE NACH GINA 2006 –<br />
GLOBAL INITIATIVE FOR ASTHMA<br />
intermittierend persistierendes Asthma bronchiale<br />
leicht mittelg radig schw er<br />
FEV1/VC > 70% < 70% < 70% < 70%<br />
FEV1 > 80% < 80% 50 - 80% < 50%<br />
kurzwirksames ß-Mimetikum<br />
Tab. 3: MEDIKAMENTÖSE THERAPIE DER ALLERGISCHEN<br />
RHINOKONJUNKTIVITIS (ARIA 2008)<br />
intermittierend per istierend<br />
leicht 20% mäßig–schw er 40% leicht 5% mäßig–schw er 35%<br />
spezifische Immuntherapie<br />
nasale Steroide<br />
nicht sedierende Antihistaminika * oder Leukotrienantagonisten<br />
Allergenvermeidung – soweit möglich<br />
+ inhalatives Steroid (Low Dose)<br />
oder Leukotrienantagonist<br />
*oral oder topisch (Augentropfen und/oder Nasenspray<br />
wesentlichen Part in der Allergieprävention<br />
leisten. In Salzburg wurde zuletzt ein<br />
mRNA-Impfstoff gegen 29 Allergene entwickelt<br />
und erfolgreich im Mausmodell<br />
erprobt. Ob wir eines Tages präventiv gegen<br />
Allergien impfen können, kann allerdings<br />
noch nicht beantwortet werden<br />
RHINITISTHERAPIE<br />
Die allergische Rhinitis ist die häufigste<br />
Manifestation der Typ-1-Allergie bei<br />
Erwachsnen. Da erwachsene Patienten<br />
mit allergischem Asthma bronchiale<br />
zumeist auch an allergischer Rhinitis leiden,<br />
darf auch die Therapie der Nase<br />
nicht vergessen werden. Die allergische<br />
Rhinitis wird in intermittierende und persistierende<br />
Verlaufsformen und nach<br />
Schweregrad (leicht, mittel, schwer) eingeteilt.<br />
Besonders gravierend ist die<br />
nächtliche Beeinträchtigung mit Schlafstörungen<br />
und begleitenden Komplikationen<br />
wie Tagesmüdigkeit, verminderte<br />
Konzentrationsfähigkeit oder Leistungsknick.<br />
Allergische Rhinitis ist daher mehr<br />
als „nur ein Schnupfen“.<br />
+ langwirksames ß-Mimetikum,<br />
+ inhalatives Steroid (High Dose)<br />
+ Leukotrienanatafonist<br />
+ orales Steroid<br />
+ Omalizumab<br />
Die Stufentherapie (ARIA 2008) sieht<br />
als ersten Schritt die Allergenvermeidung<br />
vor, die bis auf das Meiden von Haustieren<br />
meist nicht möglich ist. Der nächste<br />
Schritt besteht in der Gabe eines nichtsedierenden<br />
Antihistaminikums oder der<br />
Gabe eines Leukotrienantagonisten.<br />
Topische Steroide stellen die wirksamste<br />
Therapie der allergischen Rhinitis dar,<br />
die insbesondere bei persistierender Rhinitis<br />
mit vorherrschender nasaler<br />
Obstruktion indiziert sind. Die letzte<br />
Stufe stellt die spezifische Immuntherapie<br />
dar, die ab zwei symptomatischen<br />
Saisonen bei mittlerem bis hohem Leidensdruck<br />
indiziert ist. Die besten Resultate<br />
erzielt man bei monosensibilisierten<br />
Patienten (Tab. 3).<br />
Univ.-Doz. Dr.<br />
FELIX WANTKE,<br />
2. Medizinische Abteilung<br />
– Lungenabteilung,<br />
Wilhelminenspital<br />
der Stadt Wien<br />
felix.wantke@wienkav.at<br />
© Foto Wilke<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 13
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Symptomatische antiallergische<br />
Therapie des Heuschnupfens<br />
DIE MÖGLICHKEITEN der pharmakologischen Therapie von Inhalationsallergien<br />
sind heute umfangreich, wirkungsvoll, sicher und kostengünstig.<br />
Zur Auswahl stehen Antihistaminika, Steroide, Leukotrienantagonisten,<br />
Cromone und Vasokonstriktoren.<br />
DIE AUSWAHL der geeigneten Präparate richtet sich nach dem<br />
Verlauf der Erkrankung (persistierende oder intermittierende<br />
Symptomatik/saisonale oder ganzjährige Erkrankung) und nach<br />
der Ausprägung der Symptome (sporadische, mittelgradige oder<br />
hochgradige Beschwerden) und dem persönlichen Leidensdruck<br />
des Patienten. In jedem Fall soll die Allergietherapie als konsequente<br />
(tägliche) Maßnahme zur Behandlung der allergischen<br />
Entzündungsreaktion betrachtet werden und nicht als Bedarfmedikation<br />
zur Unterdrückung von einzelnen Beschwerden.<br />
ANTIHISTAMINIKA<br />
Moderne Antihistamine sind weitgehend frei von Nebenwirkungen,<br />
wie insbesondere Sedierung und anticholinergische Effekte,<br />
und erlauben daher eine Dosierung, die ausreicht, um entscheidende<br />
Konzentrationen an die Rezeptoren zu bringen. Darüber hinaus<br />
entfalten die neuen Moleküle Aktivitäten, die über den Rezeptorantagonismus<br />
hinausgehen, wie z.B. Mastzellstabilisierung,<br />
Reduktion der Ausschüttung von Adhäsionsmolekülen, Entzündungshemmung<br />
und andere. H1-Rezeptor-Antagonisten werden<br />
daher heute nicht mehr als Bedarfsmedikation eingesetzt, sondern<br />
als „Antiallergika“ während der gesamten Zeitspanne einer Allergenexposition<br />
konsequent eingenommen. Dies führt nicht nur zu<br />
einer signifikanten Reduktion der Symptomatik, sondern auch zu<br />
einer Steigerung der Lebensqualität und schließlich sogar langfristig<br />
zu einer Reduktion der individuellen Sensibilisierung.<br />
Antihistaminika stellen das 1. Mittel der Wahl bei allergischer<br />
Rhinokonjunktivitis dar. Sie werden seit Jahren erfolgreich in der<br />
Therapie der allergischen Rhinokonjunktivitis eingesetzt, der Vorteil<br />
der neuen Generation gegenüber der ersten ist hinlänglich<br />
bekannt. Schwierigkeiten bereitet dem Arzt allerdings die<br />
Abgrenzung der neuen Wirkstoffe untereinander.<br />
Ausschlaggebend sind die pharmakokinetischen Eigenschaften<br />
des Wirkstoffs wie:<br />
● Rezeptoraffinität (Bestreben des Wirkstoffs, eine Verbindung<br />
mit dem Rezeptor einzugehen; je kleiner der Wert, desto höher<br />
die Affinität)<br />
● Selektivität (möglichst ausschließliche Bindung an Histaminrezeptoren)<br />
14 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
● Plasma-Halbwertzeit (Zeit, in der die Hälfte des Wirkstoffs eliminiert<br />
wird)<br />
● Verteilungsvolumen (Volumen, in dem sich der Wirkstoff im<br />
Körper verteilt)<br />
● Rezeptorokkupanz (errechneter Wert in % der besetzten Histaminrezeptoren)<br />
Topische Antihistaminika als Nasenspray und Augentropfen wirken<br />
rasch, aber kürzer als orale. Sie werden bevorzugt eingesetzt<br />
als additive symptomatische Therapie (z.B.: an Spitzentagen der<br />
Pollenbelastung) oder bei geringem Leidensdruck.<br />
TOPISCHE STEROIDE<br />
Neue Moleküle zeichnen sich durch eine besonders gute Verträglichkeit<br />
und potente Wirksamkeit aus. Der antientzündliche<br />
Effekt und der inhibitorische Effekt auf die Produktion von Zytokinen,<br />
Chemokinen und anderen Mediatoren und die Verminderung<br />
der zellulären Infiltration von antigenpräsentierenden Zellen,<br />
T-Zellen und Eosinophilen in der Schleimhaut machen diese<br />
© Klaus-Peter Adler - Fotolia.com
Therapie unentbehrlich für die Behandlung<br />
des mittelschweren und schweren Asthma<br />
bronchiale und wertvoll für die Therapie<br />
aller allergischen Rhinokonjunktivitisformen.<br />
Auch wenn Steroide auf die Sofortreaktion<br />
kaum Einfluss haben, kann bei konsequenter<br />
Anwendung aufgrund der Hemmung<br />
des entzündlichen Geschehens eine<br />
hohe therapeutische Effizienz erwartet<br />
werden. Auf der Suche nach noch verträglicheren<br />
Steroiden finden sich auch tatsächlich neue Moleküle,<br />
die in ihrer Wirksamkeit bekannte Substanzen deutlich übertreffen.<br />
Mit einer kontinuierlichen Weiterentwicklung dieser Substanzgruppe<br />
ist daher zu rechnen.<br />
Topische Steroide können als Nasenspray alternativ zu Antihistaminen<br />
eingesetzt werden, speziell wenn das Symptom der blockierten<br />
Nase im Vordergrund steht. Interessanterweise verringern<br />
sich dabei nicht nur die Rhinitis-Symptome, sondern auch die konjunktivalen<br />
Beschwerden. Sinnvoll ist auch der Einsatz als additive<br />
Therapie neben den Antihistaminika bei besonderem Leidensdruck.<br />
Topische Steroide als Augentropfen und orale Steroide werden<br />
aufgrund ihres Nebenwirkungsspektrums zur Behandlung der<br />
allergischen Rhinokonjunktivitis nicht generell empfohlen.<br />
LEUKOTRIENANTAGONISTEN<br />
Leukotriene spielen bei der Spätreaktion eine wesentliche Rolle.<br />
Bei der vorwiegend durch Histamin verursachten Sofortreaktion<br />
spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Leukotriene stimulieren<br />
die Chemotaxis von Entzündungszellen, vermehren die Schleimsekretion,<br />
erhöhen die Gefäßpermeabilität und verursachen eine<br />
nasale Obstruktion.<br />
Zur Behandlung der allergischen Rhinokonjunktivitis können<br />
Leukotrienantagonisten daher nur gemeinsam mit Antihistaminen<br />
sinnvoll verwendet werden. Klinische Studien haben gezeigt, dass<br />
ihr Einsatz besonders dann berechtigt ist, wenn neben der allergischen<br />
Rhinokonjunktivitis Symptome von allergischem Asthma<br />
bronchiale bestehen.<br />
CROMONE<br />
Cromone können ausschließlich topisch angewendet<br />
werden. Als Nasenspray oder Augentropfen werden sie<br />
am ehesten noch für Kinder und Jugendliche zur Prophylaxe<br />
bei milden Symptomen verordnet. Ihre Wirksamkeit<br />
in klinischen Studien ist deutlich geringer als<br />
jene von Antihistaminen oder Steroiden.<br />
VASOKONSTRIKTOREN<br />
Lokal angewendete Vasokonstriktoren (Alpha-2-Agonisten)<br />
sind für die konsequente Behandlung der allergischen<br />
Rhinokonjunktivitis ungeeignet, da sie eine Rhinitis medicamentosa<br />
induzieren können und gegen Juckreiz, Rhinorrhoe<br />
und Niesen unwirksam sind. Kurzfristig bringen sie rasch<br />
Erleichterung, doch auch bei kurzfristiger Anwendung lösen sie<br />
einen „Reboundeffekt“ aus, der etwa 3 Stunden nach der Applikation<br />
eine lokale Hyperämie verursacht und somit die primären<br />
Tab. 1: MÖGLICHKEITEN KONSERVATIVER THERAPIE<br />
Antihistaminika lokal und systemisch<br />
Steroide lokal<br />
Leukotrienantagonisten systemisch<br />
Cromone lokal<br />
Vasokonstriktoren lokal und systemisch<br />
Symptome wieder verstärkt. Deshalb und wegen der Gefahr des<br />
Abusus bei Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis sollten<br />
sie besser nicht verordnet werden. Das gilt auch für Kombinationspräparate,<br />
Sprays oder Tropfen mit Vasokonstriktor und Antihistamin.<br />
ORALE VASOKONSTRIKTOREN<br />
Orale Vasokonstriktoren (Pseudoephedrin) verursachen keinen<br />
„Reboundeffekt“ und führen selten zur Abhängigkeit. Ihre kurzfristige<br />
Anwendung in Kombinationspräparaten mit Antihistaminen<br />
wäre daher durchaus zu favorisieren. Gegen eine breite und unkontrollierte<br />
Anwendung sprechen aber häufig auftretende systemische<br />
Nebenwirkungen wie Unruhe, Schlaflosigkeit etc. und eine Reihe<br />
von Kontraindikationen.<br />
Univ.-Prof. Dr. FRIEDRICH HORAK<br />
Allergie Zentrum Wien-West<br />
friedrich.horak@vienna.at<br />
Fachkurzinformation siehe Seite 30<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 15
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Allergieimpfung – State of the Art<br />
DIE HYPOSENSIBILISIERUNG hat sich in den letzten Jahrzehnten zu<br />
einem wichtigen Baustein der Therapie allergischer Erkrankungen<br />
entwickelt. Im Oktober letzten Jahres wurde die erste deutschsprachige<br />
Leitlinie „Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei<br />
IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen“ publiziert.<br />
SEIT ETWA 100 JAHREN bemühen sich allergologisch interessierte<br />
<strong>Ärzte</strong> , bei Patienten, die mit Krankheitssymptomen auf<br />
den Kontakt mit natürlichen Allergenen der Außenluft oder der<br />
Innenräume reagieren, wieder einen Zustand der Toleranz herzustellen.<br />
Die allergenspezifische Immuntherapie, meist als Hyposensibilisierungsbehandlung<br />
bezeichnet, ist in diesem Zusammenhang das<br />
bisher einzige Verfahren, welches den Begriff „kausale Therapie“<br />
mit Recht für sich in Anspruch nehmen kann. Damit werden nicht<br />
allein die Symptome gelindert, sondern es wird auch die zugrunde<br />
liegende Ursache der Allergie bekämpft. Die Hyposensibilisierung<br />
hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Baustein<br />
(neben Maßnahmen zur Allergenkarenz und der Pharmakotherapie)<br />
der Therapie allergischer Erkrankungen entwickelt. Zahlreiche Leitund<br />
Richtlinien, WHO-Papiere, Cochrane- und Metaanalysen belegen<br />
die Bedeutung dieser Therapieform.<br />
Im Oktober letzten Jahres wurde die erste deutschsprachige Leitlinie<br />
(LL) „Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung)<br />
bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen“ 1<br />
http://leitlinien.net/ publiziert. Diese wurde zwischen 2008 und<br />
2009 durch die drei Deutschen Gesellschaften für Allergologie<br />
(DGAKI, ÄDA, GPA) in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen<br />
(SGAI), und der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie<br />
und Immunologie (<strong>ÖGAI</strong>) nach Kriterien der „Arbeitsgemeinschaft<br />
der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften“<br />
(AWMF) erarbeitet, gibt einen auf Evidenz basierenden<br />
Überblick und kommt zu Empfehlungen für die allergologische<br />
Praxis, die bis zur Publikation neuer Daten gültig sein sollen.<br />
Inhaltlich vermittelt dieser Artikel die wichtigsten Stellungnahmen<br />
der LL und richtet sich an alle allergologisch tätigen <strong>Ärzte</strong>.<br />
In Österreich darf die Indikation zur Immuntherapie nur durch<br />
spezialisierte Allergiezentren oder durch Fachärzte für Dermatologie,<br />
der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, für Kinder- und<br />
Jugendheilkunde und für Pneumologie gestellt werden. Entsprechend<br />
dürfen nur diese Fachgruppen die Therapie verordnen und<br />
einleiten, die Durchführung und Weiterverschreibung wird oft<br />
von Allgemeinmedizinern übernommen.<br />
Da notwendigerweise immer mehr auf eine produktspezifische<br />
Bewertung hingewiesen wird, „... mit Präparaten, für die eine klinische<br />
Wirksamkeit in dieser Altersgruppe dokumentiert ist …“,<br />
wurde zur weiteren Orientierungshilfe von der Arbeitsgruppe<br />
Pneumologie und Allergologie der Österreichischen Gesellschaft<br />
für Kinder- und Jugendheilkunde ein Überblick über in Österreich<br />
16 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
erhältliche Präparate und die dazu vorgelegten (Kinder-)Studien<br />
publiziert 2 .<br />
SPEZIFISCHE IMMUNTHERAPIE<br />
IST EINZIGE KAUSALE BEHANDLUNG<br />
Die spezifische Immuntherapie mit Allergenen (SIT, Hyposensibilisierung,<br />
WHO: Allergieimpfung) setzt als einzige Behandlungsform<br />
bei allergischer Rhinokonjunktivitis, allergischem<br />
Asthma bronchiale und Insektengiftallergie kausal am Immunsystem<br />
an und greift unmittelbar in den Krankheitsprozess ein. Die<br />
immunologischen Wirkmechanismen werden zunehmend besser<br />
verstanden. Der allergrößte Teil dieses Wissens wurde aus Untersuchungen<br />
an Erwachsenen unter Anwendung der subkutanen<br />
spezifischen Immuntherapie (SCIT) gewonnen. Bei der SCIT entsteht<br />
durch zahlreiche immunologische Veränderungen eine über<br />
die Therapiedauer hinaus anhaltende Toleranz gegenüber den eingesetzten<br />
Allergenen.<br />
Zu den Wirkmechanismen der sublingualen Immuntherapie<br />
(SLIT) gibt es bisher noch keine einheitlichen Vorstellungen,<br />
allerdings werden bei hoch dosierten Präparaten ähnliche systemische<br />
Immuneffekte wie bei der SCIT beobachtet.
Allergenkonzentrationen und Produkte zur SCIT oder SLIT sind<br />
aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung und unterschiedlicher<br />
Messmethoden ihrer wirksamen Inhaltsstoffe derzeit nicht<br />
vergleichbar. Zur SCIT werden nichtmodifizierte Allergene als<br />
wässrige oder physikalisch gekoppelte (Semidepot-)Extrakte sowie<br />
chemisch modifizierte Extrakte (Allergoide) als Semidepot-Extrakte<br />
eingesetzt. Die vorwiegend unmodifizierten Allergenextrakte zur<br />
SLIT werden als wässrige Lösungen oder Tabletten angewandt. Die<br />
Daten der kontrollierten Studien unterscheiden sich hinsichtlich<br />
ihres Umfangs und ihrer Qualität und erfordern eine produktspezifische<br />
Bewertung. Systematische Reviews zeigen eine erhebliche<br />
Heterogenität der Studienergebnisse zur SIT, die teilweise auf unterschiedlichen<br />
Probandengruppen, den eingesetzten Allergenprodukten<br />
sowie der Therapiedauer und -dosis beruhen.<br />
WIRKSAMKEIT DER SUBKUTANEN<br />
SPEZIFISCHEN IMMUNTHERAPIE (SCIT)<br />
Die Wirksamkeit der SCIT ist bei der allergischen Rhinokonjunktivitis,<br />
bei Pollen- und Hausstaubmilbenallergie durch zahlreiche<br />
kontrollierte Studien und bei Tier- (Katzen) und Schimmelpilzallergie<br />
(Alternaria, Cladosporium) durch wenige Studien belegt.<br />
Bei kontrolliertem Asthma bronchiale (nach neuen GINA-Leitlinien,<br />
2008) bzw. bei intermittierendem und geringgradig persistierendem<br />
IgE-vermittelten allergischen Asthma (nach alten<br />
GINA-Leitlinien, 2005) ist die SCIT gut untersucht und als Therapieoption<br />
neben Allergenkarenz und Pharmakotherapie empfehlenswert,<br />
insbesondere wenn zusätzlich eine allergische Rhinokonjunktivitis<br />
vorliegt. Bei systemischen Reaktionen durch eine<br />
Hymenopterengiftallergie (Biene, Wespe) ist die SCIT ausgezeichnet<br />
wirksam und sollte mindestens drei bis fünf Jahre durchgeführt<br />
werden, bei manchen Patienten lebenslang. Eine Indikation<br />
zur SCIT besteht bei nachgewiesener IgE-vermittelter Sensibilisierung<br />
mit korrespondierenden klinischen Symptomen durch<br />
Allergene, bei denen eine Karenz nicht möglich oder nicht ausreichend<br />
ist und ein geeigneter, wirksamer Extrakt zur Verfügung<br />
steht. Die Kontraindikationen müssen individuell berücksichtigt<br />
werden. Diagnostik, Indikationsstellung und die Auswahl der<br />
relevanten Allergene sollen grundsätzlich von einem Facharzt<br />
vorgenommen werden, der über ein ausreichendes allergologisches<br />
Wissen verfügt. Sekundärpräventive Aspekte – insbesondere<br />
die Reduktion von Neusensibilisierungen und ein vermindertes<br />
Asthmarisiko – sind Gründe, die Indikation zum Therapiebeginn<br />
im Kindes- und Jugendalter früh zu stellen.<br />
Die Injektionen zur SCIT werden von einem Arzt durchgeführt,<br />
der mit dieser Therapieform Erfahrung hat und bei einem allergologischen<br />
Zwischenfall zur Notfallbehandlung befähigt ist.<br />
Eine vorherige Aufklärung mit Dokumentation ist erforderlich.<br />
Die Therapie sollte drei Jahre lang durchgeführt werden. Kinder<br />
zeigen eine gute Verträglichkeit und profitieren besonders von<br />
den immunmodulatorischen Effekten der SCIT. Das Auftreten<br />
schwerer, potenziell lebensbedrohlicher systemischer Reaktionen<br />
bei der SCIT ist möglich, aber bei Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen<br />
sehr selten. Die meisten unerwünschten Reaktionen<br />
sind leicht bis mittelschwer und lassen sich gut behandeln. Das<br />
Risiko und die Folgen unerwünschter systemischer Reaktionen<br />
können durch Schulung des Personals, Beachtung der Sicherheitsstandards<br />
und rasche Notfallmaßnahmen wirksam vermindert<br />
werden.<br />
Erfolgsprädiktoren* der subkutanen IT<br />
● Pollenallergie dominierend<br />
● Keine Sensibilisierung gegen perenniale Allergenquellen<br />
● Schmales Allergenspektrum<br />
● Kurze Erkrankungsdauer<br />
● Geringe Beteiligung der unteren Atemwege<br />
● Junges Lebensalter<br />
● Ganzjährige Behandlung<br />
*Je mehr Punkte zutreffen, desto wahrscheinlicher lassen sich mithilfe einer SCIT sowohl Symptome und Medikamentenverbrauch<br />
reduzieren als auch ein Etagenwechsel mit Entwicklung eines Asthma bronchiale und<br />
eine Verbreiterung des Allergenspektrums verhindern (D).<br />
Indikationen zur subkutanen IT<br />
mit Allergenen<br />
● Nachweis einer IgE-vermittelten Sensibilisierung (vorzugsweise*<br />
mit Hauttest und**/oder*** In-vitro-Diagnostik) und<br />
eindeutiger Zusammenhang mit klinischer Symptomatik (ggf.<br />
Provokationstestung)<br />
● Verfügbarkeit von standardisierten bzw. qualitativ hochwertigen<br />
Allergenextrakten<br />
● Wirksamkeitsnachweis der geplanten SCIT für die jeweilige<br />
Indikation<br />
● Allergenkarenz nicht möglich oder nicht ausreichend<br />
* Sensibilisierungsnachweis in der Schweiz vorzugsweise mit dem Hauttest<br />
** „Und“ bezieht sich auf seltene Allergene bzw. diagnostisch unsichere Ergebnisse.<br />
*** „Oder“ bezieht sich auf die Diagnostik bei Kindern.<br />
Kontraindikationen* zur subkutanen<br />
IT mit Allergenen<br />
● Teil- oder unkontrolliertes Asthma bronchiale (Einteilung<br />
nach neuen GINA-Leitlinien, 2008) bzw. mittel- oder schwergradig<br />
persistierendes Asthma bronchiale (Einteilung nach<br />
alten GINA-Leitlinien, 2005) mit einer FEV 1 unter 70% des<br />
Sollwerts trotz adäquater Pharmakotherapie<br />
● Kardiovaskuläre Erkrankung mit erhöhtem Risiko von<br />
Nebenwirkungen nach Adrenalingabe (außer bei Insektengiftallergie)<br />
● Behandlung mit β-Blockern (lokal, systemisch)**<br />
● Schwere Autoimmunerkrankungen, Immundefizienzen<br />
● Maligne neoplastische Erkrankung mit aktuellem Krankheitswert<br />
● Unzureichende Compliance<br />
* In begründeten Einzelfällen ist auch bei Vorliegen der genannten Kontraindikationen eine spezifische<br />
Immuntherapie möglich.<br />
** In Deutschland wird derzeit auch eine Therapie mit ACE-Hemmer als Kontraindikation einer SCIT mit<br />
Insektengift genannt.<br />
Alle Abb. sind aus Lit. 1<br />
WIRKSAMKEIT DER SUBLINGUALEN IMMUNTHERAPIE (SLIT)<br />
Die Wirksamkeit der SLIT ist bei der allergischen Rhinokonjunktivitis<br />
durch Gräserpollenallergene in mehreren großen, kontrollierten<br />
Studien belegt. Bei anderen Allergenquellen (Hausstaubmilben,<br />
Tierepithelien, Schimmelpilzsporen) existieren bisher<br />
weniger und teilweise methodisch unzureichende Studien mit<br />
widersprüchlichen Ergebnissen. Die Wirksamkeit der SLIT ist bei<br />
allergischem Asthma bronchiale bislang unzureichend belegt. Die<br />
SLIT mit Pollenallergenen kann bei Erwachsenen mit allergischer<br />
Rhinokonjunktivitis mit wirksamen Produkten eingesetzt werden,<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 17
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
insbesondere dann, wenn eine SCIT nicht infrage kommt. Bei<br />
Hausstaubmilbenallergie oder anderen Allergenquellen bzw. allergischem<br />
Asthma durch Inhalationsallergene stellt die SLIT keinen<br />
Ersatz für die SCIT dar. Die SLIT wird von einem Arzt eingeleitet,<br />
der Erfahrung mit der Therapie allergischer Erkrankungen hat.<br />
Der Therapieverlauf sollte durch ärztliche Konsultationen wenigstens<br />
alle drei Monate begleitet werden. Abgesehen von sehr häufig<br />
bis häufig auftretenden, dosisabhängigen unerwünschten lokalen<br />
Symptomen im Mund- und Rachenraum sind systemische<br />
Reaktionen vorwiegend leichterer Ausprägung nach einer SLIT<br />
bisher sehr selten beschrieben worden. Die SLIT zeigt im Hinblick<br />
auf anaphylaktische oder andere schwere systemische Reaktionen<br />
ein besseres Sicherheitsprofil als die SCIT.<br />
BESONDERHEITEN<br />
DER SPEZIFISCHEN IMMUNTHERAPIE IM KINDESALTER<br />
Verschiedene Gründe sprechen dafür, dass eine SCIT besonders im<br />
Kindesalter indiziert ist:<br />
● Die Erkrankung hat häufig noch nicht zu Sekundärveränderungen<br />
geführt.<br />
● Die Wahrscheinlichkeit eines „Etagenwechsels“ (Neuauftreten<br />
eines Asthma bronchiale bei bestehender Rhinokonjunktivitis)<br />
wird verringert.<br />
● Eine mögliche Zunahme von weiteren Sensibilisierungen kann<br />
reduziert werden.<br />
Die Indikationsstellung unterscheidet sich nicht prinzipiell von der<br />
im Erwachsenenalter. Zusätzlich sollten jedoch präventive Aspekte<br />
berücksichtigt werden. Eine untere Altersgrenze lässt sich nicht<br />
generell festlegen. Während die Indikation bei einer potenziell<br />
lebensbedrohlichen Insektengiftallergie prinzipiell altersunabhängig<br />
gestellt wird, gilt für die Inhalationsallergien (mehr aus psychischen<br />
als aus immunologischen Gründen), dass Kinder ab dem Schulalter<br />
eine SCIT besser tolerieren. Außerdem ist die Indikation zur SCIT<br />
in der Regel ab dem Schulalter sicher zu stellen.<br />
Die Anwendung der SLIT kann bei Kindern und Jugendlichen mit<br />
Präparaten, für die eine klinische Wirksamkeit in dieser Altersgruppe<br />
dokumentiert ist, dann in Betracht gezogen werden, wenn eine<br />
SCIT nicht infrage kommt.<br />
Die SIT zeigt in vielen Bereichen, wie Allergencharakterisierung,<br />
Applikationswege, Adjuvanzien, Aufdosierung und präventive<br />
Aspekte, neue Entwicklungen, die teilweise bereits auf ihre klinische<br />
Wirksamkeit untersucht werden.<br />
Literatur:<br />
1 Die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen; Jörg Kleine-Tebbe,<br />
Albrecht Bufe, Christof Ebner, Philippe Eigenmann, Frank Friedrichs, Thomas Fuchs, Isidor Huttegger,<br />
Kirsten Jung, Ludger Klimek, Matthias Kopp, Wolfgang Lässig, Hans Merk, Bodo Niggemann, Uta Rabe, Joachim<br />
Saloga, Peter Schmid-Grendelmeier, Helmut Sitter, Johann Christian Virchow, Martin Wagenmann, Bettina Wedi,<br />
Margitta Worm; Allergo J 2009; 18:508–37<br />
2 Spezifische Immuntherapie bei IgE-vermittelten allergischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter – eine<br />
Übersicht über in Österreich zugelassene Allergenpräparate; Szépfalusi Z., Emminger W., Eitelberger F., Götz M.,<br />
Grillenberger A., Horak E., Huttegger I., Koller D., Litscher H., Schmitzberger R., Varga E.M., Riedler J., Österreichische<br />
Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde Wien Klin Wochenschr. 2009;121(19-20):648–60<br />
OA Dr. ISIDOR HUTTEGGER<br />
Pädiatrische Pneumologie und Allergologie,<br />
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde,<br />
Paracelsus Medizinische Privatuniversität<br />
Salzburger Landeskliniken<br />
I.Huttegger@salk.at<br />
© Johannes Brunnbauer
„SLIT, Allergoide etc. – Alternativen<br />
zur subkutanen Immuntherapie?“<br />
VIEL IST DIE REDE von neueren Entwicklungen als Alternativen zur<br />
klassischen Immuntherapie mit intakten Allergenen. Aber wie stellt sich<br />
die Datenlage dazu dar?<br />
IM JAHRE 1911, also vor 100 Jahren, hat Leonhard Noon in Lancet<br />
seine berühmte Arbeit „Inoculation against hay fever“ veröffentlicht.<br />
Seither hat sich die klassische subkutane spezifische<br />
Immuntherapie mit intakten Allergenen kontinuierlich weiterentwickelt,<br />
insbesondere, was die Reinheit der Extrakte, die Ausrichtung<br />
auf Major-Allergene (also den Anteil der Allergene, auf die<br />
mehr als 50% der Allergiker spezifisches IgE bilden) und die<br />
Minimierung von Nebenwirkungen betrifft.<br />
MODIFIKATIONEN DER KLASSISCHEN<br />
SUBKUTANEN IMMUNTHERAPIE<br />
In den letzten Jahrzehnten sind aber weitere Modifikationen dazugekommen,<br />
die verschiedene Aspekte betreffen:<br />
Zur perennialen Therapie haben sich präsaisonale und Kurzzeitkonzepte<br />
gesellt, die nativen Allergene haben Konkurrenz durch<br />
die Allergoide bekommen, die sublinguale Immuntherapie ist in<br />
manchen Ländern Europas bereits Marktführer, und nicht zuletzt<br />
bieten moderne Adjuvantien Ansätze für eine verbesserte und risikoärmere<br />
Behandlung. Der vorliegende Artikel versucht der Frage<br />
nachzugehen, inwieweit diese neueren Entwicklungen eine<br />
Alternative zur klassischen Immuntherapie mit intakten Allergenen<br />
darstellen.<br />
Die Antwort ist aus mehreren Gründen schwierig: Allergenextrakte<br />
basieren auf natürlichen Rohstoffen mit variierenden Inhaltsstoffen.<br />
Die Extraktionsprozedur bestimmt die Art und Qualität<br />
der Inhaltsstoffe im Extrakt, und die Identifizierung und Quantifizierung<br />
der Inhaltsstoffe sagt wenig über ihre biologische Aktivität<br />
aus: quantitativ mehr ist nicht unbedingt immunogen wirksamer.<br />
Dieses Problem ist auch durch den zunehmenden Trend zu<br />
rekombinanten Einzelallergenen nicht wirklich lösbar.<br />
Ein weiteres Defizit ist die Vergleichbarkeit der angebotenen<br />
Allergenlösungen zur Therapie: Jede Firma verwendet ihre eigene<br />
phantasievolle Bezeichnung, die auf gänzlich unterschiedlichen<br />
Messmethoden basiert. Bemühungen, einen vergleichbaren Standard<br />
zu schaffen, lassen noch auf sich warten.<br />
UNTERSCHIEDLICH GUTE VALIDIERUNG<br />
DURCH HOCHWERTIGE STUDIEN<br />
Der wohl wichtigste Punkt ist aber die von Präparat zu Präparat<br />
unterschiedlich gute Validierung durch qualitativ hochwertige<br />
Studien. In einer von Calderon kürzlich für die Cochrane Library<br />
durchgeführten Metaanalyse erfüllten gerade einmal 51 von 1.111<br />
Studien die Anforderungen der Task Force der WAO (World Aller-<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
gy Organization). Auch die aktuelle deutsch-schweizerisch-österreichische<br />
Leitlinie zur Spezifischen Immuntherapie (Allergo-<br />
Journal 2009) kommt zum Schluss, dass die subkutane spezifische<br />
Immuntherapie „bei der allergischen Rhinokonjunktivitis<br />
durch Pollen und Hausstaubmilben durch zahlreiche kontrollierte<br />
Studien belegt ist, ... sich die Daten aber … hinsichtlich Umfang<br />
und Qualität unterscheiden und eine produktspezifische Bewertung<br />
erforderlich“ sei.<br />
Insgesamt aber ist die subkutane perenniale spezifische Immuntherapie<br />
mit intakten Allergenen (Beispiel: Alutard ® SQ, TYRO-<br />
SIN ® TU t.o.p., DEPOT·HAL ® F.I.T.,) zweifellos am besten durch<br />
Evidence-based Medicine abgesichert. Neben der Beeinflussung<br />
der Symptome der allergischen Rhinokonjunktivitis und der Verringerung<br />
des Medikamentenverbrauchs ist auch der präventive<br />
Effekt, also der Eingriff in den natürlichen Verlauf der allergischen<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 19<br />
© Alexander Raths – iStockfoto.com
© BrainOnAShelf – iStockfoto.com<br />
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Erkrankung nachgewiesen:<br />
die Prävention des<br />
Allergic March (Übergang des kindlichen<br />
Asthmas zum Erwachsenen-Asthma, „Etagenwechsel“, also Ausweitung<br />
der allergischen Rhinitis zum Asthma bronchiale und die<br />
Ausweitung des Allergenspektrums, auf das der Patient sensibilisiert<br />
ist), die Langzeitwirksamkeit nach Absetzen und die Wirkung<br />
bei bestehendem Asthma.<br />
SUBLINGUALE SPEZIFISCHE IMMUNTHERAPIE (SLIT)<br />
Die SLIT hat in Frankreich und einigen Ländern Südeuropas die<br />
subkutane Immuntherapie rein marktmäßig bereits abgelöst. Dies<br />
dürfte teilweise auch auf unterschiedliche Verhältnisse in den<br />
Sozialversicherungen zurückzuführen sein. Weiters besteht ein<br />
klarer Trend, dass positive SLIT-Studien mit großer Mehrheit aus<br />
diesen Ländern (vor allem Italien) stammen und auch ein gewisser<br />
Journal Bias vorliegen dürfte. Im deutschsprachigen Raum<br />
herrscht hingegen große Zurückhaltung seitens der Gesellschaften<br />
bzw. der Leitlinien.<br />
Ein valider Wirkungsnachweis der SLIT ist bislang im Wesentlichen<br />
auf Pollenallergene beschränkt. Für perenniale Allergene,<br />
wie die Hausstaubmilben liegen keine klaren Ergebnisse vor, so<br />
dass die schon zitierte rezente deutsch-schweizerisch-österreichische<br />
Leitlinie 2009 schreibt „(...) Bei ganzjährigen Symptomen<br />
durch Hausstaubmilbenallergene wurden uneinheitliche Ergebnisse<br />
mit der SLIT erzielt, so dass sie bei dieser Indikation nur<br />
zurückhaltend eingesetzt werden sollte ...“<br />
Die Wirksamkeit der SLIT bei Asthma sei ebenso „unzureichend<br />
belegt“. Besteht bei der SCIT Konsens darüber, dass eine Indikation<br />
bei kontrolliertem Asthma bronchiale (nach neuen GINA-<br />
Leitlinien, 2008) bzw. bei intermittierendem und geringgradig<br />
persistierendem IgE-vermittelten allergischen Asthma (nach alten<br />
GINA-Leitlinien, 2005) besteht, so gilt dies nach o.a. Leitlinie<br />
nicht für die sublinguale Immuntherapie: „(...) Die Ergebnisse<br />
sind uneinheitlich, so dass die SLIT zur Behandlung des allergischen<br />
Asthma bronchiale nicht routinemäßig eingesetzt werden<br />
sollte ...“<br />
20 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Ebenfalls unzureichend sind lt. Leitlinie die Daten zur<br />
Langzeitwirkung und Prävention der Ausweitung des<br />
Allergenspektrums bzw. des Etagenwechsels. Noch vorsichtiger<br />
ist die Formulierung für Kinder, wo die SLIT<br />
(Anmerkung: vor allem bei Gräserpollinose) „... in Betracht<br />
gezogen werden könne, wenn eine SIT nicht in Frage kommt“.<br />
Eine abschließende Bewertung „wird zurückgestellt“. Im<br />
Klartext bedeutet dies, dass die Datenlage gerade bei der Zielgruppe<br />
schlechthin, nämlich den Kindern, unzureichend ist.<br />
Andererseits bedeutet eine „Zurückstellung“ der Bewertung<br />
nicht automatisch, dass die Therapie an sich schlecht ist,<br />
Hauptproblem sind wohl eher die qualitativ schlechten<br />
Studien. Die Datenlage für die SLIT bessert sich insgesamt<br />
langsam und ist für einzelne Präparate (konkret für die<br />
Gräsertabletten Grazax ® und Oralair ® ) schon sehr<br />
umfangreich und gut.<br />
Erwiesen scheint jedoch zu sein, dass die SLIT (wenn<br />
überhaupt) deutlich weniger lebensbedrohliche systemische<br />
Nebenwirkungen aufweist als die SCIT. Daher<br />
meinen manche Autoren, dass die SLIT eine Alternative<br />
nach schweren anaphylaktischen Reaktionen bei der<br />
SCIT sei (Nichani J.R., J Laryngol Otol. 2008).<br />
Ein großes Problem der SLIT ist ferner die Compliance.<br />
Dies mag unter anderem daran liegen, dass bei der SLIT im<br />
Gegensatz zur SCIT i.d.R. täglich behandelt werden muss. Liegt<br />
bei der SCIT ferner doch ein gewisser Beitrag zur Compliance in<br />
der Hand des behandelnden Arztes, so ist diese bei der SLIT weitgehend<br />
komplett dem Patienten überlassen.<br />
Die Frage nach dem Vergleich der Wirksamkeit der SLIT und<br />
SCIT kann nach der momentanen Studienlage ebenfalls nicht<br />
sicher beantwortet werden. Als indirekter Hinweis kann der Vergleich<br />
der Absolutwerte (z.B. Reduktion des Symptomen- oder<br />
Medikamenten-Scores) bei Studien mit ähnlichem Patientenkollektiv<br />
und gleichen Allergenen, z.B. Vergleich von Alutard ® Gräser<br />
gegen Grazax ® , dienen. Bei genanntem Beispiel finden sich<br />
ähnliche Werte. Studien, die direkt eine SCIT mit einer SLIT vergleichen,<br />
sind selten und zeichnen sich allesamt durch methodische<br />
oder sonstige Schwächen aus. Vom Studiendesign am überzeugendsten<br />
scheint uns noch die Arbeit von Khinchi et al. (Allergy<br />
2004) zu sein. Auch wenn die Rohdaten und Werte nicht aufgeführt<br />
sind, zeigt der Vergleich des Kurvenverlaufs für Symptomen-<br />
und Medikamentenscore eine leichte (lt. Autoren jedoch<br />
nicht signifikante) Differenz zugunsten der SCIT. Ein weiterer<br />
Ansatz könnte sein, den Absolutwert der so genannten SMD<br />
(Standardised Mean Difference) von Metaanalysen für SCIT (z.B.<br />
Calderon M.A., Cochrane Database Syst Rev. 2007) und SLIT<br />
(z.B. Radulovic S., Allergy 2007) zu vergleichen. An genanntem<br />
Beispiel zeigt sich beim Symptomen-Score mit –0,73 gegenüber<br />
–0,43 doch ein (deutlicher) Vorteil der SCIT gegenüber der SLIT.<br />
Zu erwähnen bleibt ferner, dass die Therapiekosten bei einer vergleichbaren<br />
Behandlungsdauer für die SLIT höher als für die<br />
SCIT sind.<br />
ALLERGOIDE<br />
Allergene enthalten grundsätzlich konformationsabhängie B-<br />
Zell-Epitope, die für die Allergen-IgE-Interaktion verantwortlich<br />
sind. Im Gegensatz dazu sind die T-Zell-Epitope, die die Interaktion<br />
des Allergens mit den T-Helferzellen mediieren, rein abhängig<br />
von der Aminosäurensequenz. Bei den Allergoiden macht
man sich diesen Unterschied dadurch zunutze, dass man mit Hilfe<br />
einer chemischen Modifikation (z.B. durch Zusatz von Formaldehyd<br />
oder Glutaraldehyd) die räumliche Konfirmation und damit<br />
die B-Zell-Epitope verändert und somit hofft, die Allergenität des<br />
Präparates, das heißt die allergischen Nebenwirkungen zu senken.<br />
Die T-Zell-Epitope, die die Toleranzreaktion induzieren, bleiben<br />
hingegen unverändert. Allergoide sollten also theoretisch sicherer<br />
sein und noch dazu besser wirksam, weil damit höher und schneller<br />
dosierbar. Die Datenlage dazu ist allerdings durchwachsen: In<br />
einer Metaanalyse von Claus Bachert aus dem Jahre 2009 wurden<br />
lediglich 31 von 92 zwischen 1990 und 2007 erschienene Studien<br />
aufgrund ihrer Qualität überhaupt evaluiert. Sogar nur 4 Studien an<br />
insgesamt 367 Erwachsenen waren nach WAO-Kriterien durchgeführt<br />
worden. Dabei zeigte sich eine nachgewiesene Wirksamkeit<br />
für die Gräserpräparate Allergovit ® und Pollinex Quattro ® sowie für<br />
das bei uns nicht erhältliche Depigoid ® . Für Hausstaubmilben<br />
konnte lediglich eine doppelblinde placebo kontrollierte Studie<br />
mit positivem Ergebnis für Acaroid ® identifiziert werden. Für<br />
Baumpollenallergoide existieren nach dieser Metaanalyse überhaupt<br />
keine WAO-konformen doppelblinden placebokontrollierten<br />
Studien, mit Einschränkungen brachte eine Studie ein positives<br />
Ergebnis für Pollinex Quattro ® . Abgesehen von dieser bescheidenen<br />
Datenlage zeigen experimentelle Studien, dass Allergoide im<br />
Vergleich zu intakten Allergenen durchaus eine unerwünschte und<br />
vergleichbare Allergenität und sogar eine Verminderung der<br />
erwünschten Immunogenität aufweisen können (zum Beispiel<br />
Henmar Clinical Experimental Immunology 2008). Statistische<br />
Auswertungen der gemeldeten Nebenwirkungen an das Paul-Ehrlich-Institut<br />
in Deutschland erbrachten vergleichbare Zahlen pro<br />
Injektion für native Allergene und Allergoide. Wohlwollend könnte<br />
man unterstellen, dass viele Therapieregime mit Allergoiden<br />
weniger Injektionen vorschreiben als die nativer Allergene und<br />
daher Allergoide eventuell etwas sicherer sind. Wesentlich ist dieser<br />
(theoretische) Unterschied aber sicher nicht.<br />
Zusammenfassend ist also die Datenlage für Allergoide produktabhängig<br />
und insgesamt wesentlich schlechter als für native Allergene.<br />
Ein häufiges gemeinsames Merkmal aller Präparate ist, dass<br />
sie als präsaisonale oder Kurzzeitimmuntherapien eingesetzt werden<br />
und daher für bestimmte Indikationen („Zuspätkommer“,<br />
Zeitmangel etc.) durchaus sinnvoll sein können.<br />
ADJUVANTIEN<br />
Adjuvantien werden bereits seit vielen Jahrzehnten bei Impfungen,<br />
aber auch der spezifischen Immuntherapie eingesetzt. Zahlreiche<br />
Studien konnten zeigen, dass beispielsweise der Zusatz von<br />
Aluminiumhydroxid (v.a. eingesetzt, um einen Semidepot-Effekt<br />
zu erreichen) die Immunogenität von Allergenen verstärken und<br />
die Produktion von proinflammatorischen TH2-assoziierten Zytokinen<br />
blockieren kann.<br />
Ebenfalls schon seit Jahrzehnten bei Impfungen und neuerdings<br />
auch in der Immuntherapie als Pollinex Quattro ® eingesetzt, wird<br />
Monophosphoryl-Lipid A (MPL). Es handelt sich dabei um ein<br />
Lipopolysaccharid aus der Zellwand von Salmonellen, das antigenpräsentierende<br />
Zellen aktivieren und die TH1-Immunantwort<br />
potent verstärken kann.<br />
Eine sehr rezente Entwicklung auf dem Gebiet der Adjuvantien<br />
stellen immunstimulatorische DNA-Sequenzen mit CpG-Motiven<br />
aus bakterieller DNA dar. Leider konnten die anfänglich viel versprechenden<br />
Ergebnisse in nachfolgenden größeren Phase-3-Studien<br />
nicht bestätigt werden. Zugelassene Präparate gibt es noch<br />
nicht. Auch Mikrosphären und sog. ISCOM (Immunestimulating<br />
Complexes) stellen wenigstens theoretisch interessante Ansätze dar.<br />
Zusammenfassend existieren keine Studien, die Immuntherapiepräparate<br />
lediglich auf Basis unterschiedlicher Adjuvantien untersucht<br />
haben. Zweifellos stehen sie aber mit im Vordergrund der<br />
Diskussion, weil mit ihrer Hilfe die erwünschte Immunogenität<br />
der Präparate bei gleichzeitig möglicher Verringerung der Allergenkonzentration<br />
und damit eine bessere Verträglichkeit und/oder<br />
einer selteneren Applikation erzielt werden könnte.<br />
PERENNIALE VERSUS PRÄSAISONALE UND KURZZEITTHERAPIE<br />
Unter präsaisonaler Immuntherapie wird eine Behandlungsform<br />
verstanden, die erst relativ kurz vor der Saison begonnen wird,<br />
optional aber perennial fortgesetzt werden kann. Eine echte Kurzzeitimmuntherapie<br />
besteht hingegen aus einer definierten Zahl<br />
von Injektionen ausschließlich präsaisonal. Als bei uns einzige<br />
Kurzzeittherapie steht Pollinex Quattro ® zur Verfügung. Hier<br />
konnte in einer nach FTA-Kriterien durchgeführten Studie an über<br />
1000 erwachsenen Patienten nach einer Behandlungssaison mit 4<br />
Injektionen das primäre Behandlungsziel eines verbesserten kombinierten<br />
Symptome-Medikationsscores erzielt werden. Direkte<br />
Vergleichsstudien zwischen perennialen und präsaisonalen bzw.<br />
Kurzzeittherapieformen fehlen jedoch. Ebenso sind Fragen der<br />
Langzeitwirkung, der präventiven Wirkung auf Asthma und Allergenspektrum<br />
sowie Wirksamkeit bei Asthma für die meisten Präparate<br />
unbeantwortet.<br />
ZUSAMMENFASSUNG<br />
Es muss nochmals betont werden, dass die unterschiedlichen<br />
Konzepte in der spezifischen Immuntherapie kaum seriös vergleichbar<br />
sind, weil zum einen direkte Head-to-Head-Studien fast<br />
vollständig fehlen und zum anderen der Effekt einzelner Parameter<br />
(zum Beispiel Allergoid oder Kurzzeittherapie oder Adjuvans)<br />
kaum isoliert herausrechenbar ist.<br />
Auch sind die Erwartungen an eine erfolgreiche Therapie keinesfalls<br />
auf die positive Wirkung auf die Symptome einer Rhinokonjunktivitis<br />
allergica beschränkt. Wichtige Fragen wie anhaltende Wirkung<br />
nach Beendigung der Behandlung, präventive Wirkung auf Asthma,<br />
verringerte Ausweitung des Allergenspektrums und kurative<br />
Wirkung bei Asthma sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung.<br />
Insgesamt ist diesbezüglich die Datenlage für native, speziell für<br />
perennial applizierte native Semi-Depot-Präparate am besten.<br />
Grundsätzlich stellen sie daher bis auf Weiteres die Therapie der<br />
ersten Wahl dar.<br />
Prim. Dr. PETER OSTERTAG<br />
Leiter der Abteilung für HNO, BKH Kufstein<br />
E-Mail: peter.ostertag@bkh-kufstein.at<br />
Univ.-Prof. Dr. NORBERT REIDER<br />
Medizinische Universität Innsbruck,<br />
Universitätsklinik für Dermatologie<br />
und Venerologie<br />
E-Mail: norbert.reider@i-med.ac.at<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 21
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Insektengiftallergie<br />
IN MITTELEUROPA können vor allem Stiche von Bienen, Wespen,<br />
Hornissen und Erdwespen allergische Reaktionen auslösen. Nach einer<br />
systemisch allergischen Stichreaktion muss ein entsprechendes Allergie-<br />
Notfallset rezeptiert und die Patienten in der korrekten Handhabung<br />
geschult werden.<br />
UNTER EINER INSEKTENGIFTAL-<br />
LERGIE versteht man das Auftreten einer<br />
allergischen Reaktion unterschiedlichen<br />
Schweregrades wenige Minuten bis eine<br />
Stunde nach einem Stich.<br />
Hauptverantwortlich dafür sind Stiche von<br />
Hymenopteren, den so genannten Hautflüglern.<br />
In Mitteleuropa, so auch in Österreich,<br />
können vor allem Bienen- und Wespenstiche,<br />
Stiche von Hornissen und Erdwespen,<br />
seltener von Hummeln, eine allergische<br />
Reaktion auslösen.<br />
Dabei ist wichtig festzuhalten, dass der<br />
erste Bienen- oder Wespenstich im Leben<br />
eines Kindes oder Erwachsenen meist<br />
nicht zu einer allergischen Reaktion führt ,<br />
es kann jedoch dabei zu einer Allergensensibilisierung,<br />
d.h. Produktion von allergieauslösenden<br />
spezifischen IgE, den „Allergie“-Antikörpern,<br />
kommen. Es wird angenommen,<br />
dass etwa 10% der Kinder und<br />
Erwachsenen eine – bisher unbemerkte –<br />
Neigung zu einer Insektengiftallergie aufweisen,<br />
bedingt durch existente Allergieantikörper.<br />
Verantwortlich für eine allergische Reaktion<br />
sind IgE-Antikörper im Blut der<br />
Betroffenen, die sich gegen Insektengifte,<br />
also Allergene, gebildet haben.<br />
Bienen und Wespen haben zum Teil<br />
gemeinsame Insektengiftallergen (Hyaluronidasen)<br />
und solche, die spezifisch für<br />
das Bienengift (Mellitin) oder Wespengift<br />
(Antigen 5) sind. Dem Bienengift am ähnlichsten<br />
ist das der Hummel, das Wespengift<br />
zeigt die größte Ähnlichkeit mit dem<br />
von Hornissen.<br />
Bedingt durch die Freisetzung biogener<br />
Amine und Enzyme bei einem Bienenoder<br />
Wespenstich, kommt es beinahe<br />
immer zu einer Rötung an der Stichstelle<br />
und einer, meist geringen, lokalen Schwellung.<br />
Erreicht diese Schwellung jedoch<br />
einen Durchmesser von über 10 cm,<br />
22 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
spricht man von einer verstärkten Lokalreaktion.<br />
Es wird davon ausgegangen, dass<br />
beinahe 50% jener Menschen mit einer<br />
verstärkten Lokalreaktion, allergen-spezifische<br />
IgE-Antikörper gegen Insektengiftallergene<br />
haben.<br />
SCHWEREGRADE EINER<br />
ALLERGISCHEN REAKTION<br />
Von einer verstärkten Lokalreaktion sind<br />
all jene Reaktionen zu unterscheiden, die<br />
über die Stichstelle wesentlich hinausgehen.<br />
So ist die häufigste systemisch allergische<br />
Reaktion, beispielsweise nach<br />
einem Bienenstich, das Auftreten eines<br />
Nesselausschlages am ganzen Körper etwa<br />
15 Minuten nach einem Bienenstich in die<br />
Fußsohle.<br />
In Anlehnung an die Klassifizierung des<br />
Schweregrades einer allergischen Reaktion<br />
bei einer Insektengiftallergie (siehe Tabelle ),<br />
sind sämtliche Ausprägungen einer allergischen<br />
Reaktion, bis hin zum Herz-Kreislauf-Stillstand<br />
(Anaphylaxie) möglich.<br />
Dabei zeigen Kinder und Jugendliche mit<br />
einer Insektengiftallergie in der Mehrzahl<br />
der Fälle nur eine milde allergische Reaktion<br />
(generalisierte Urtikaria), wohingegen<br />
Erwachsene, und besonders jene mit<br />
chronischen Erkrankungen des Herz-<br />
Kreislauf-Systems oder unter einer ACE-<br />
Hemmer- und/oder Beta-Blocker-Therapie,<br />
oft auch lebensbedrohliche allergische<br />
Stichreaktionen entwickeln können. Jährlich<br />
sterben in Europa etwa 200 Personen<br />
an einer Insektengiftallergie.<br />
ALLERGIEDIAGNOSTIK<br />
Nach einer stattgehabten systemisch allergischen<br />
Reaktion durch einen Hymenopterenstich<br />
ist daher immer eine fachgerechte<br />
Allergiediagnostik in einem Allergieambulatorium<br />
oder in einer Allergie-Spezi-<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
alambulanz eines Spitals oder einer Klinik<br />
dringend angezeigt.<br />
Hier wird die Allergieanamnese erhoben<br />
und im ärztlichen Gespräch herauszufinden<br />
versucht, welches Insekt für die allergische<br />
Reaktion verantwortlich war. Eine<br />
– allerdings nicht ganz zuverlässige –<br />
Hilfestellung dabei wäre die Frage nach<br />
dem Verbleib eines Stachels (spricht meist<br />
für einen Bienenstich) oder nach der Körperstelle,<br />
in die gestochen wurde. Da Bienen<br />
meist nur zu Verteidigungszwecken stechen,<br />
finden die meisten Bienenstiche in<br />
die Fußsohlen (beim Barfußlaufen in der<br />
Wiese) oder beim Hantieren mit Bienenstöcken<br />
(Imker) an unbekleideten Stellen<br />
des Körpers statt. Wespenstiche dagegen<br />
sind überallhin möglich, häufig, beim<br />
Trinken und Essen im Freien, sogar in das<br />
Gesicht, in den Mund oder in die Zunge.<br />
Zur Bestätigung einer Insektengiftallergie<br />
müssen in einem weiteren Schritt Allergietests<br />
durchgeführt werden. Mittels Allergiehauttests<br />
(Pricktest) werden verschiedene<br />
Konzentrationen von Bienen- oder<br />
Wespengift auf die Haut aufgebracht und,<br />
nach Ritzen der Epidermis, die sich entwickelnde<br />
Hautreaktion des Insektengiftallergikers<br />
beurteilt. Bei Kindern werden<br />
meist nur Pricktests durchgeführt, Jugendliche<br />
und Erwachsene mit einer Insektengiftallergie<br />
werden auch mittels eines<br />
Intradermaltests, mit Applikation ansteigender<br />
Konzentrationen von Insektengiften<br />
in die Haut, diagnostiziert. Da Hauttests<br />
manchmal, auch bei begründetem<br />
Verdacht auf eine Insektengiftallergie, ein<br />
negatives Ergebnis erbringen können,<br />
muss zur Diagnosesicherung ein Allergietest<br />
aus dem Blut durchgeführt werden.<br />
Der Nachweis von bienen- und oder wespengiftspezifischen<br />
IgE-Antikörpern liefert<br />
hier gemeinsam mit den klinischen<br />
Symptomen den Beweis für das Vorliegen<br />
einer Insektengiftallergie.<br />
© contour99 – iStockfoto.com
THERAPIE EINER<br />
INSEKTENGIFTALLERGIE<br />
Wissenschaftliche Untersuchungen<br />
aus den USA<br />
haben gezeigt, dass eine<br />
Insektengiftallergie bis zu<br />
20 Jahre nach der ersten<br />
allergischen Stichreaktion<br />
bestehen bleiben kann.<br />
Zwar konnte gezeigt werden,<br />
dass der Schweregrad<br />
einer allergischen Reaktion<br />
im Laufe der Jahre nicht<br />
zunimmt, d.h., dass eine<br />
nur auf die Haut beschränkte<br />
allergische Reaktion<br />
nach einem Bienenstich<br />
meist nicht zu einer<br />
lebensbedrohlichen Anaphylaxie<br />
bei den Folgestichen<br />
führt, trotzdem zeigen<br />
immerhin noch 13% der<br />
Erwachsenen eine milde allergische<br />
Stichreaktion bis<br />
zu 20 Jahre nach der ersten allergischen<br />
Reaktion im Kindesalter 1.<br />
Im Gegensatz dazu geben 32% der Erwachsenen<br />
mit mittelschwerer bis schwerer Bienengiftallergie<br />
als Kind den gleichen<br />
Schweregrad ihrer Allergie im Erwachsenenalter<br />
an.<br />
Da also mehr als ein Drittel aller Patienten<br />
mit schwerer Bienen- und Wespengiftallergie<br />
als Kind diese bis ins Erwachsenenalter<br />
beibehalten, kommt der ursächlichen<br />
Behandlung einer Insektengiftallergie eine<br />
wichtige Rolle zu. Mittels der so genannten<br />
Hyposensibilisierung oder spezifischen<br />
Immuntherapie (SIT) werden nach unterschiedlichen<br />
Protokollen, entweder im<br />
Wochenabstand oder sogar innerhalb weniger<br />
Tage (Rush-) oder Stunden (Ultra-Rush-<br />
Protokoll), ansteigende Konzentrationen<br />
von Bienen- oder Wespengift subkutan verabreicht.<br />
Dabei macht die Anwendung von<br />
Rush- und Ultra-Rush-Protokollen, auf<br />
Grund der höheren Nebenwirkungsrate<br />
(Biene > Wespe), einen stationären Aufenthalt<br />
bis zum Erreichen der Erhaltungsdosis<br />
notwendig. Der Vorteil der raschen Aufsättigung<br />
ist das schnelle Erreichen einer Schutzwirkung,<br />
sodass der nächste Bienenstich im<br />
Frühling (bei Behandlungsbeginn im Winter)<br />
schon problemlos vertragen werden<br />
kann. Voraussetzung für eine korrekte und<br />
möglichst nebenwirkungsarme Therapie für<br />
den Patienten ist dabei ein sicheres Behandlungsumfeld<br />
mit allergologisch geschulten<br />
FachärztInnen und Pflegepersonal.<br />
Schweregrad Haut<br />
Tab.<br />
Verdauungssystem Atemwege Herz-Kreislauf<br />
I • Juckreiz<br />
Leichte • Rötung<br />
Allgemeinreaktion<br />
(Alarmsignale)<br />
• Nesselausschlag<br />
• Schwellung<br />
II<br />
Ausgeprägte<br />
Allgemeinreaktion<br />
III<br />
Bedrohliche<br />
Allgemeinreaktion<br />
IV<br />
Organversagen<br />
• Juckreiz<br />
• Rötung<br />
• Nesselausschlag<br />
• Schwellung<br />
• Juckreiz<br />
• Rötung<br />
• Nesselausschlag<br />
• Schwellung<br />
• Juckreiz<br />
• Rötung<br />
• Nesselausschlag<br />
• Schwellung<br />
Der Langzeiteffekt einer Hyposensibilisierung<br />
bei Insektengiftallergie konnte eindrucksvoll<br />
durch die oben zitierte amerikanische<br />
Untersuchung bestätigt werden. Nur<br />
fünf Prozent aller Erwachsenen mit einer<br />
schweren Bienengiftallergie als Kind zeigten,<br />
nach einer stattgehabten Hyposensibilisierungsbehandlung,<br />
noch eine schwere<br />
allergische Reaktion, im Vergleich zu 32%<br />
ohne eine solche. Abgesehen von einer,<br />
auch mehrere Jahre nach Absetzen der SIT,<br />
bestehen bleibenden Erniedrigung der allergenspezifischen<br />
IgE-Antikörper gegen<br />
Insektengifte 2 , kommt es durch die Hyposensibilisierung<br />
zum Ansteigen blockierender<br />
IgG-„Schutz“-Antikörper und regulatorischer<br />
T-Lymphozyten, die auf Grund geänderter<br />
Zytokinmuster zu einer Verminderung<br />
der allergischen Reaktion und schließlich<br />
zum völligen Verschwinden einer solchen<br />
führen.<br />
Patienten mit einer milden Insektengiftallergie<br />
sollten Maßnahmen zur Stichprophylaxe<br />
erklärt bekommen. Solche sind auch<br />
im Internet unter www.initiative-insektengift.at<br />
abfragbar.<br />
Da sich, besonders bei Kindern, bei Spielen<br />
im Freien, Stiche<br />
nicht immer wirk-<br />
lich vermeiden lassen,<br />
muss nach einer<br />
systemisch allergischen<br />
Stichreaktion<br />
ein entsprechendes<br />
Allergie-Notfallset<br />
• Übelkeit<br />
• Krämpfe<br />
• Erbrechen<br />
• Stuhlabgang<br />
• Erbrechen<br />
• Stuhlabgang<br />
• Schleimabsonderungen<br />
aus der Nase<br />
• Heiserkeit<br />
• Kurzatmigkeit<br />
• Kehlkopfschwellung<br />
• Krampfzustand der<br />
• Bronchialmuskulatur<br />
• Bläuliche Verfärbung<br />
der Haut, Schleimhaut<br />
und der Fingernägel<br />
• Herzrasen<br />
• Unregelmäßiger<br />
Herzschlag<br />
• Blutdruckabfall<br />
• Schock<br />
• Atemstillstand • Kreislaufstillstand<br />
rezeptiert und die Patienten in der korrekten<br />
Handhabung geschult werden.<br />
Dieses soll aus einem Antihistaminikum,<br />
einem Kortisonpräparat zur oralen Einnahme<br />
und, wenn vom Schweregrad einer<br />
allergischen Reaktion her angezeigt (><br />
Grad 2 nach Müller), auch einem Adrenalinpräparat<br />
zur intramuskulären Selbstinjektion<br />
bestehen.<br />
Voraussetzung für ein klagloses Funktionieren<br />
in der allergischen Notfallssituation sind<br />
regelmäßige Schulungen zum richtigen Einsatz<br />
des Notfallssets, wie sie in Allergieambulatorien<br />
und Allergieambulanzen an Kliniken<br />
angeboten werden. Dort können<br />
Insektengiftallergiker auch längerfristig<br />
betreut werden, und es kann, mittels der zur<br />
Verfügung stehenden diagnostischen Testverfahren,<br />
auf die jeweilige Situation und<br />
die sie erfordernde, bestmögliche Therapie<br />
eingegangen werden.<br />
Literatur:<br />
1. Golden D.B., Kagey-Sobotka A., Norman P.S., Hamilton R.G., Lichtenstein<br />
L.M., Outcomes of allergy to insect stings in children, with and without<br />
venom immunotherapy. N Engl J Med. 2004;351(7):668–74<br />
2. Varga E.M., Francis J.N., Zach M.S., Klunker S., Aberer W., Durham<br />
S.R.,Time course of serum inhibitory activity for facilitated allergen-IgE<br />
binding during bee venom immunotherapy in children. Clin Exp Allergy.<br />
2009 Sep;39(9):1353–7.<br />
Univ.-Prof. Dr. EVA-MARIA VARGA<br />
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde<br />
Klinische Abteilung für Pulmonologie<br />
und Allergologie, Graz<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 23<br />
Ring J., Messmer K., Lancet 1977;1:466–9
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Allergischer Schock:<br />
Agieren und nicht nur reagieren!<br />
ALLERGISCHE REAKTIONEN können mitunter<br />
plötzlich und unerwartet auftreten und zu einer ernsten<br />
lebensbedrohlichen systemischen Reaktion führen.<br />
Bereits bei Verdacht ist sofortiges Handeln erforderlich<br />
– mit rascher Evaluation der Situation unter Berücksichtigung<br />
möglicher Differenzialdiagnosen.<br />
ALLERGISCHE REAKTIONEN gewinnen zunehmend an<br />
Bedeutung. Allergien zählen heute zu den häufigsten Erkrankungen,<br />
wobei Symptome und Schweregrad variieren. Unser Immunsystem<br />
ist normalerweise ein Schutzschild für unseren Organismus<br />
für die Erreger- und Fremdkörperabwehr. Bei allergischen<br />
Reaktionen kommt es zu einer Überreaktion auf „harmlose“ Substanzen<br />
(griechisch allos = anders; ergein = reagieren). Die<br />
häufigsten Auslöser sind: Lebensmittelbestandteile, Blütenpollen,<br />
Hausstaub, Tierhaare, Insektenstiche (Bienen- und Wespengift),<br />
auch Medikamente und Drogen, wie z.B. Antibiotika (Penicillin).<br />
Diese „Fehlreaktion“ kann verschiedene Formen und Ausmaße<br />
annehmen. Solche Reaktionen treten plötzlich und unerwartet auf.<br />
Sie können zu einer ernsten lebensbedrohlichen systemischen<br />
Reaktion (Anaphylaxie – griechisch: Schutzlosigkeit) führen.<br />
Bereits bei Verdacht ist sofortiges Handeln erforderlich – mit<br />
rascher Evaluation der Situation unter Berücksichtigung möglicher<br />
Differenzialdiagnosen. Sie kann alle Geschlechter und<br />
jedes Lebensalter betreffen. Mehrere Organsysteme können in die<br />
klinische Symptomatik involviert sein: Haut, Respirations- und<br />
Gastrointestinaltrakt und ebenso das kardiovaskuläre System (siehe<br />
Tabelle 1).<br />
DIAGNOSE<br />
Die Diagnose ergibt sich aus der Beobachtung der typischen klinischen<br />
Befunde im Zusammenhang mit einer möglichen Antigenexposition.<br />
Bei 25% der anapylaktischen Reaktionen lässt sich<br />
keine Ursache finden. Nicht jede Reaktion ist eine bedrohliche –<br />
nicht jedes Symptom ein anaphylaktisches. So müssen differenzialdiagnostisch<br />
auch andere mögliche Krankheitsursachen ausgeschlossen<br />
werden (siehe Tabelle 1)<br />
DIFFERENZIALDIAGNOSEN<br />
● Vaskulär bedingte Synkopen:<br />
Vasovagale Episoden: Vagus-Reizung führt zu Vasodilatation,<br />
Bradykardie und zu einem Abfall der Herzauswurfsleistung<br />
24 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
● Orthostatische Synkopen<br />
● Akuter Asthmaanfall (Exazerbation)<br />
● Akutes Lungenödem<br />
● Lungenembolie<br />
● Spontanpneumothorax<br />
● Fremdkörperaspiration<br />
● Epiglottitis<br />
● Akute kardiale Ereignisse:<br />
supraventrikuläre Tachykardie, akuter Myokardinfarkt,<br />
akute Myokardischämie<br />
● Medikamentenüberdosierung<br />
● Arzneimittelunverträglichkeitsreaktionen<br />
● Histaminintoleranz<br />
● Hypoglykämie<br />
● Karzinoid<br />
● Hereditäres Angioödem<br />
Die wahre Inzidenz allergischer Reaktionen ist unbekannt, nicht<br />
selten steigern sie sich lawinenartig bis zum „allergischen Schock“<br />
und können zum Tod führen. Ausgelöst werden diese Reaktionen<br />
durch Mediatoren (Botenstoffe: Histamin, Leukotriene), die von<br />
speziellen Immunzellen (Mastzellen) freigesetzt werden.<br />
Der anaphylaktische (allergische) Schock betrifft das kardiovaskuläre<br />
System, geht mit Blutdruckabfall (mediatorenbedingte Vasodilatation)<br />
einher und führt zu Hypovolämie. Kutane, gastrointestinale<br />
und respiratorischer Symptome können vorhanden sein. Das<br />
respiratorische System ist häufig mitbetroffen. Hauptaugenmerk<br />
ist auf die mögliche Entwicklung eines Larynxödems zu richten,<br />
das sich durch Heiserkeit und Stridor ankündigen kann. Dieses ist<br />
die häufigste Todesursache bei anaphylaktischen Reaktionen. Es<br />
kann, ebenso wie die akute Schocksymptomatik, das einzige<br />
Symptom einer Allergie sein. Als Dilemma erweist sich dabei, dass<br />
auf der einen Seite eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung<br />
vorliegt und auf der anderen Seite eine therapeutische Option mit<br />
einer potenten Substanz (Adrenalin) zur Verfügung steht, die vorsichtig<br />
und rechtzeitig einzusetzen ist, die aber auch bei falscher<br />
© Sven Hoppe - Fotolia.com
Anwendung (zu hohe Dosierung, fehlende Verdünnung)<br />
bedrohliche Nebenwirkungen entfalten<br />
kann. Das zeitliche Intervall bis zum<br />
Auftreten von Beschwerden kann Minuten<br />
bis mehrere Stunden betragen.<br />
Meistens treten die Symptome<br />
jedoch innerhalb der ersten Stunde<br />
nach Antigenexposition auf. Der<br />
Verlauf ist unberechenbar: Die<br />
Reaktionen können spontan zum<br />
Stillstand kommen, jedoch auch<br />
unter adäquater Therapie progredient<br />
verlaufen. Mit Spätreaktionen<br />
muss bis zu 12 bis 24 Stunden<br />
nach dem initialen Ereignis<br />
gerechnet werden. In jedem Fall<br />
sind rasch alle erforderlichen Maßnahmen<br />
zu ergreifen. Ein zu spätes<br />
Erkennen der Erstsymptome, ein Zögern<br />
und Zuwarten kann zur bedrohlichen Atemwegsobstruktion<br />
führen oder in einem irreversiblen<br />
hämodynamischen Schock enden. In schweren<br />
Fällen, etwa bei intravenöser Zufuhr, kann es ohne Auftreten<br />
von Hauterscheinungen und Atembeschwerden unmittelbar<br />
zum lebensbedrohlichen allergischen Schock kommen.<br />
SOFORTIGES HANDELN<br />
Individuell unterschiedliche Verläufe benötigen eine individuell<br />
abgestufte Therapie – trotzdem gibt es Grundpfeiler der Anaphylaxie-Sofortbehandlung:<br />
● Ruhe bewahren,<br />
● Ausschaltung des mutmaßlichen Agens,<br />
● Intravenöser Zugang plus Volumenzufuhr,<br />
● Sicherung der Atemwege plus Sauerstoffzufuhr,<br />
● Gabe von Adrenalin, Antihistaminika und Kortikosteroiden,<br />
● Überwachung (Hospitalisation).<br />
Der wichtigste und wesentlichste Aspekt in der Therapie allergischer<br />
Reaktionen besteht darin, immer darauf gefasst zu sein, dass<br />
sich eine lebensbedrohliche Schocksymptomatik entwickeln<br />
kann. Bereits bei Verdacht auf Anaphylaxie ist sofortiges Handeln<br />
angezeigt: „Agieren und nicht nur reagieren“.<br />
STADIENABHÄNGIGE THERAPIE<br />
Stadium I: Bereits in diesem Anfangsstadium sollte ein möglichst<br />
großlumiger, intravenöser Zugang geschaffen werden, da<br />
dies später durch Kreislaufzentralisation und Blutdruckabfall<br />
erschwert sein kann. Somit ist eine rasche Volumensubstitution<br />
mit Elektrolyt- und eventuell kolloidalen Lösungen möglich.<br />
Bestehen nur Hautsymptome, werden Antihistaminika verabreicht.<br />
Diese zeigen keine Sofortwirkung, verhindern jedoch weitere<br />
Freisetzungsreaktionen und ein Rebound-Phänomen. H1- und<br />
H2-Antagonisten sind von untergeordneter Bedeutung in der<br />
Behandlung anaphylaktischer Reaktionen. Selbst höchste Dosen<br />
können bereits freigesetztes Histamin nicht blockieren. Aus diesem<br />
Grund sollten Antihistaminika niemals allein in der Anaphylaxie-Behandlung<br />
verwendet werden.<br />
Stadium II: Kommt es zu Allgemein- beziehungsweise Kreislaufsymptomen<br />
wie Blutdruckabfall, Tachykardie, Übelkeit und<br />
Tab. 1: KLINIK UND SYMPTOME<br />
Hautreaktionen: Juckreiz, Erythem, Urtikaria<br />
Gastrointestinale<br />
Symptomatik:<br />
Respiratorisches System:<br />
Hämodynamische<br />
Veränderungen:<br />
Zerebrale Symptome:<br />
Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Koliken<br />
Dyspnoe, Larynx- und Pharynxödem,<br />
Bronchialobstruktion<br />
Hypovolämie, Tachykardie, Blutdruckabfall,<br />
Schock<br />
Schwindel, Verwirrtheit, Krämpfe,<br />
Synkope<br />
Tab. 2: KLINISCH KÖNNEN SCHWEREGRADE ZWISCHEN 0 UND 4<br />
UNTERSCHIEDEN WERDEN<br />
0 Lokal begrenzte Reaktion<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Leichte Allgemeinreaktion<br />
Flush, generalisierte Urtikaria, Pruritus, Schleimhautreaktionen<br />
(Nase, Konjunktiven), Allgemeinreaktion (Unruhe, Kopfschmerz)<br />
Ausgeprägte Allgemeinreaktion<br />
Kreislaufdysregulation (Blutdruck-, Pulsveränderung), leichte<br />
Dyspnoe, beginnender Bronchospasmus, Stuhl- bzw.<br />
Urinabgang<br />
Bedrohliche Allgemeinreaktion – Schock<br />
Bedrohliche Hypotonie, Bronchospasmus mit bedrohlicher<br />
Dyspnoe, zunehmende Bewusstseinseintrübung, -verlust<br />
Vitales Organversagen<br />
Atem- und Kreislaufstillstand<br />
Tab. 3: KLINISCHE KRITERIEN<br />
Anaphylaxie hoch wahrscheinlich, wenn eines dieser drei<br />
Kriterien erfüllt ist:<br />
1. Akuter Beginn mit Beteiligung von Haut u./o. Schleimhaut und<br />
mindestens einem der folgenden Symptome:<br />
• Atemstörung (z.B. Dyspnoe, Asthma, ...)<br />
• Blutdruckabfall oder anderes Symptom einer Hypoperfusion<br />
von inneren Organen<br />
2. Zwei oder mehr der folgenden Symptome rasch nach Kontakt<br />
mit wahrscheinlichem Allergen:<br />
• Haut u./o. Schleimhautbeteiligung (z.B. Urtikaria, Lippenoder<br />
Zungenschwellung)<br />
• Atemstörung (z.B. Dyspnoe, Asthma, ...)<br />
• Blutdruckabfall oder anderes Symptom einer Hypoperfusion<br />
von inneren Organen<br />
• Persistierende gastrointestinale Symptome<br />
3. Blutdruckabfall rasch nach Kontakt mit bekanntem Allergen<br />
• Säuglinge und Kinder: niedriger systolischer Blutdruck oder<br />
Abfall um > 30%<br />
• Erwachsene: systolischer Blutdruck unter 90 mmHg oder<br />
Abfall um > 30%<br />
Nach Sampson H.A. et al., Second symposium on the definition and management of anaphylaxis.<br />
J Allergy Clin Immunol 2006; 117:391–7<br />
Erbrechen, muss die Volumenzufuhr gesteigert und Kortison verabreicht<br />
werden. Zusätzlich sind Schocklagerung, Monitoring,<br />
laufende Blutdruckmessungen notwendig, und Adrenalin sollte<br />
bereitgestellt werden.<br />
Stadium III: Bronchospasmus, weiterer Blutdruckabfall und<br />
Schock bedeuten ein lebensbedrohliches Zustandsbild. Die Gabe<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 25
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Abb. 1: IGE-VERMITTELTE ALLERGISCHE REAKTION<br />
Allergen (z.B. aus Pollen)<br />
An Rezeptor en<br />
auf der Zelloberfläche<br />
gebundener<br />
IgE-Antikörper<br />
Reaktion vom Sofor ttyp<br />
Ausschüttung von:<br />
• Histamin<br />
• Leukotrienen<br />
• Prostaglandinen<br />
Akute Entzündung<br />
Symptome<br />
Antigen-Exposition<br />
von 0,2 bis 0,5 mg Adrenalin intramuskulär oder die halbe Dosis<br />
(0,1 bis 0,25 mg), langsam intravenös, ist angezeigt (entweder<br />
Suprarenin ® 1-ml-Ampullen 1 : 10 verdünnen oder L-Adrenalin<br />
„Fresenius ® “ spritzfertig 0,01% – davon 1 bis 5 ml langsam, fraktioniert<br />
injizieren).<br />
ADRENALIN: PHYSIOLOGISCHE EFFEKTE<br />
Die intramuskuläre Gabe von Adrenalin kann als First-Line-<br />
Therapie für Patienten mit Anaphylaxie empfohlen werden. Die<br />
subkutane Verabreichung von Adrenalin ist mit großen Schwankungen<br />
der gemessenen Plasmakonzentration im Vergleich zur<br />
intramuskulären Gabe verbunden. Die intravenöse Verabrei-<br />
26 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Sensibilisierte Mastzelle<br />
mit allergenspezifischen<br />
IgE-Antikörpern, die an die<br />
Oberfläche gebunden sind<br />
Freisetzung von Mediator en<br />
aus der Mastzelle<br />
Reaktion vom Spättyp<br />
Ausschüttung von:<br />
• Zytokinen, die die folgenden<br />
Zellen anlocken:<br />
• neutrophile Granulozyten<br />
• eosinophile Granulozyten<br />
• basophile Granulozyten<br />
• T-Helferzellen vom T yp 2<br />
Chronische Entzündung<br />
Abb. 2: VERLAUFSFORMEN<br />
• Perakut: Sekunden – Minuten<br />
• Verzögert: nach einigen Stunden – selten<br />
• Protrahiert: > 24 Stunden<br />
• Biphasisch: –> Hospitalisation!<br />
Behandlung<br />
Initialphase<br />
1–8 h<br />
Zeit/h<br />
Behandlung<br />
Spätphase<br />
chung kann mit kardialen Problemen (Arrhythmien und Myokardinfarkt)<br />
einhergehen. Schwere Nebenwirkungen treten bei<br />
zu schneller Verabreichung, bei inadäquater Verdünnung oder<br />
bei Überdosierung auf. Die intravenöse Verabreichung von<br />
Adrenalin sollte der anhaltenden (therapieresistenten) Form<br />
vorbehalten bleiben. Dies schließt alle Fälle ein, bei welchen<br />
sich der Verlauf trotz intramuskulär verabreichten Adrenalins<br />
verschlechtert oder wenn Kreislaufprobleme auftreten. Adrenalin<br />
stimuliert sowohl Alpha-Rezeptoren als auch Beta-Rezeptoren<br />
und bewirkt somit eine Vasokonstriktion, eine Blutdruckerhöhung<br />
und eine Verbesserung der koronaren Perfusion. Adrenalin<br />
antagonisiert die Vasodilatation und vermindert ein<br />
Angioödem. Es bewirkt über eine Erhöhung des CMP (zyklisches<br />
Adenosin-Monophosphat) in den Mastzellen und basophilen<br />
Zellen eine Reduktion der inflammatorisch wirksamen<br />
Mediatoren.<br />
Grundsätzlich gilt: Adrenalin sollte so bald wie möglich verabreicht<br />
werden. Verhängnisvolle anaphylaktische Verläufe resultieren<br />
aus einem verzögerten Einsatz von Adrenalin und aus schweren<br />
respiratorischen Komplikationen. Bei älteren Menschen sollte<br />
es vorsichtig eingesetzt werden. Eine Test-Dosis von 0,1 mg<br />
genügt in den meisten Fällen. Bei Kindern wird generell eine<br />
Dosis von 0,01 mg/kg Körpergewicht (maximal 0,5 mg Gesamtdosis)<br />
subkutan oder intramuskulär empfohlen.<br />
Diese Dosis kann eventuell nach 10 bis 15 Minuten und danach,<br />
falls erforderlich, alle vier Stunden wiederholt werden. Personen<br />
mit persistierender Hypotension benötigen eine langsame, fraktionierte<br />
intravenöse Verabreichung. Höhere Dosen werden bei<br />
rascher Progression und bei Herz-Kreislauf-Stillstand empfohlen.<br />
Die falsche Anwendung von Adrenalin kann gefährlich sein. Die<br />
häufigsten Nebenwirkungen treten bei Überdosierung und bei<br />
intravenöser Anwendung auf, insbesondere bei älteren Patienten<br />
und Patienten mit Risikofaktoren wie Hypertonie oder koronarer<br />
Herzkrankheit. Es ist aber hervorzuheben, dass der Einsatz von<br />
Adrenalin bei Personen mit koronarer Herzkrankheit prinzipiell<br />
nicht kontraindiziert ist. Im Gegenteil: Eine durch eine anaphylaktische<br />
Reaktion ausgelöste Hypotension würde zu einer<br />
bedrohlichen Koronarischämie führen und gerade diese Patienten<br />
am meisten gefährden.<br />
NACHBEHANDLUNG UND PROPHYLAXE<br />
Substanzen, auf die man allergisch reagiert, sollten möglichst vermieden<br />
werden. Patienten, die unter bestimmten Allergenen leiden<br />
(zum Beispiel Wespe, Biene), können von einer Desensibilisierungsbehandlung<br />
profitieren. Aufklärung und Schulung sind<br />
unbedingt erforderlich. Für anaphylaxiegefährdete Patienten kann<br />
ein Notfallset (Antihistaminikum, Kortison, Adrenalin)<br />
zusammengestellt werden. Sowohl Patient als auch Arzt müssen<br />
über die richtige Anwendung eines Adrenalin-Auto-Injektors<br />
(z.B: Epipen ® , Anapen ® ) gut unterrichtet sein.<br />
OA Dr. HERBERT PÖTZ<br />
FA für Anästhesie und Intensivmedizin<br />
Krankenanstalt Rudolfstiftung Wien,<br />
Floridsdorfer Allergiezentrum<br />
herbert.poetz@aon.at<br />
www.schmerzfrei.at
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Typ-IV-Allergien –<br />
allergisches Kontaktekzem<br />
DAS ALLERGISCHE KONTAKTEKZEM ist eine häufige Erkrankung,<br />
die durch den Hautkontakt mit allergenen Stoffen hervorgerufen wird.<br />
Heute sind ca. 3.000 Kontaktallergene bekannt. Die Therapie des<br />
allergischen Kontaktekzems besteht in der Elimination des auslösenden<br />
Allergens oder – wenn dies nicht möglich ist – in Schutzmaßnahmen<br />
oder symptomatischer Behandlung.<br />
EPIDEMIOLOGIE<br />
Das allergische Kontaktekzem ist eine häufige<br />
Erkrankung, die durch den Hautkontakt<br />
mit allergenen Stoffen hervorgerufen wird.<br />
Etwa 7% der Bevölkerung (5% der Männer<br />
und 11% der Frauen) leiden zu irgendeinem<br />
Zeitpunkt eines Jahres an einem allergischen<br />
Kontaktekzem, und 15% bis 20%<br />
sind gegen eines der häufigen Allergene<br />
sensibilisiert (Schnuch, 2002).<br />
PATHOPHYSIOLOGIE<br />
Heute sind ca. 3.000 Kontaktallergene<br />
bekannt. Es handelt sich um Haptene. Das<br />
sind elektrophile, niedermolekulare Substanzen<br />
(Molekulargewicht: 500–1.000 Dalton),<br />
die erst nach Bindung an ein Trägermolekül<br />
als vollwertiges Antigen fungieren<br />
und somit Sensibilisierungen erzeugen können.<br />
Die „Hitliste“ der häufigsten Kontaktallergene<br />
ist in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />
Beim allergischen Kontaktekzem handelt es<br />
sich um eine klassische, zellvermittelte Typ-<br />
IV-Reaktion nach Coombs und Gell („verzögerter<br />
Reaktionstyp“, „Delayed Type of<br />
Hypersensitivity“, DTH ).<br />
Wie bei jeder allergischen Reaktion unterscheidet<br />
man die Sensibilisierungs- und die<br />
Auslösungsphase durch Exposition oder<br />
Reexposition.<br />
KLINISCHES BILD<br />
Die klassische Ekzemreaktion ist durch<br />
ihren stadienhaften Verlauf gekennzeichnet:<br />
1. Im akuten Stadium kommt es zur Ausbildung<br />
eines hellen Erythems, das auf<br />
den Ort der Einwirkung des Allergens<br />
begrenzt ist (Stadium erythematosum).<br />
Das intraepidermale Ödem verursacht<br />
den klinischen Eindruck einer matten<br />
Oberfläche.<br />
2. In der Folge entstehen spongiotische<br />
Bläschen, die meist stecknadelkopfgroß<br />
und mit klarer Flüssigkeit gefüllt sind<br />
(Stadium vesiculosum).<br />
3. Die Bläschen sind meist nur kurzlebig,<br />
nach ihrem Platzen kommt es zum<br />
Nässen und anschließend zur Ausbildung<br />
von Krusten (Stadium crustosum).<br />
4. Nach Vermeidung des Allergens kommt<br />
es zur Abheilung mit Schuppenbildung<br />
(Stadium squamosum).<br />
Im chronischen Stadium, bei andauerndem<br />
Allergenkontakt, können alle obigen Stadien<br />
(Erythem, Vesikel, Krusten, Schuppen)<br />
nebeneinander auftreten. Weiters fin-<br />
det man entzündliche Knötchen, Rhagaden<br />
und Kratzartefakte. Mit der Zeit kann sich<br />
eine Vergröberung der Hauttextur (Lichenifikation)<br />
entwickeln. Zumeist besteht ein<br />
zusätzlicher Pruritus. Die maximale Ausprägungsform<br />
ist ein generalisiertes, bis zur<br />
Erythrodermie reichendes Kontaktekzem.<br />
Nach Frosch, 1996 unterscheidet man folgende<br />
klinische Formen:<br />
● Irritatives Kontaktekzem<br />
● Mikrobielles Kontaktekzem<br />
● Allergisches Kontaktekzem<br />
● akut ● chronisch<br />
● Airborne-Contact-Dermatitis<br />
● Photoallergisches Kontaktekzem<br />
● Fixes Arzneimittelexanthem<br />
● Systemisches Kontaktekzem (SDRIFE)<br />
Zusätzlich zu diesen klassischen Formen<br />
Tab. 1: HITLISTE DER HÄUFIGSTEN KONTAKTALLERGENE DER<br />
DKG-STANDARDREIHE IM JAHR 2004 (NACH IVDK)<br />
Substanz<br />
Konzentration<br />
%<br />
Getestet n Positiv %<br />
Positiv standardisiert<br />
%<br />
Nickel (II)-sulfat 5,00 8.409 14,4 16,6<br />
Duftstoff-Mix 8,00 8.502 8,0 7,2<br />
Perubalsam 25,00 8.530 8,0 6,7<br />
Kobalt (II)-chlorid 1,00 8.497 6,0 6,6<br />
Kaliumdichromat 0,50 8.515 5,7 5,3<br />
Kolophonium 20,00 8.524 4,7 4,6<br />
p-Phenylendiamin (freie Base) 1,00 8.307 4,1 4,1<br />
Quecksilber (II)-amidchlorid 1,00 8.526 3,0 3,5<br />
Dibromdicyanobutan 1,00 8.507 4,1 3,5<br />
Wollwachsalkohole 30,00 8.530 3,0 2,9<br />
DKG: Deutsche Kontaktallergie-Gruppe,<br />
IVDK: Informationsverbund Dermatologischer Kliniken<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 27
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
des Kontaktekzems wurden weitere klinische<br />
Manifestationen, bedingt durch<br />
den Kontakt mit einem Allergen, zu dieser<br />
Gruppe hinzugefügt (Aberer, 2003):<br />
● Erythema-multiforme-artige Reaktionen<br />
bis hin zum Stevens-Johnson-Syndrom<br />
● Lichen-planus-artige Veränderungen der<br />
Mundschleimhaut bei Metallkontakt<br />
● Granulomatöse Reaktion auf Tattoos<br />
● Dyshidrotisches Ekzem oder Pompholyx<br />
DIFFERENZIALDIAGNOSEN<br />
Eine Reihe von Erkrankungen ist differenzialdiagnostisch<br />
vom allergischen Kontaktekzem<br />
abzugrenzen. Die Morphologie<br />
mag zwar ähnlich sein, sie unterscheiden<br />
sich jedoch grundlegend in Pathogenese<br />
und Therapie. Die mit Abstand wichtigste<br />
Differenzialdiagnose ist das toxisch-irritative<br />
Handekzem, z.B. bei chronischen<br />
Nassberufen wie Friseuren oder Hausfrauen.<br />
Hier anzuführen sind weiters die seborrhoische<br />
Dermatitis, das atopische Hand-<br />
Fuß-Ekzem, bei starker Lichenifikation<br />
der Lichen simplex chronicus, die Psoriasis<br />
vulgaris, eine palmoplantare Pustulose,<br />
der Lichen ruber planus sowie bei lange<br />
unverändert bestehenden ekzematoiden<br />
Herden frühe Stadien eines kutanen T-<br />
Zell-Lymphoms. Auch infektiöse Hauterkrankungen<br />
wie Skabies, bakterielle<br />
Infektionen (Impetigo) oder intertriginöse<br />
Candidiasis sind oft schwierig vom Kontaktekzem<br />
abzugrenzen. Eine detaillierte<br />
Anamnese und gründliche körperliche<br />
Untersuchung können die Diagnosefindung<br />
erleichtern.<br />
Besonderes Augenmerk ist auf die Symmetrie<br />
und Lokalisation der Läsionen zu<br />
legen. Eine Streuung eines Ekzems lässt<br />
eine allergische Genese vermuten. Eine<br />
28 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
genaue Untersuchung der Nägel kann vor<br />
allem zur Unterscheidung zu einer palmoplantaren<br />
Pustulose/Psoriasis hilfreich<br />
sein, die häufig mit Ölflecken oder Tüpfelnägeln<br />
einhergehen. Bei dem Verdacht<br />
eines atopischen Ekzems ist auf Xerosis<br />
cutis, Keratosis pilaris, die typischen flexuralen<br />
Ekzem-Lokalisationen im Bereich<br />
der Beugen sowie eine doppelte Lidfalte<br />
(Dennie-Morgan-Falte) zu achten.<br />
DIAGNOSE<br />
Der Epikutantest („Patch-Test“), welcher<br />
1895 von Jadassohn als Läppchentest eingeführt<br />
wurde, ist das einzige für die Routinetestung<br />
geeignete Instrument, um eine<br />
Sensibilisierung gegen eine Substanz, die<br />
ein allergisches Kontaktekzem auslöst,<br />
nachzuweisen. Die Indikation für einen<br />
Epikutantest stellt sich bei klinischem Verdacht<br />
auf ein kontaktallergisches Geschehen<br />
der Haut oder Schleimhaut, dessen<br />
akute Phase zum Testzeitpunkt bereits<br />
abgeklungen ist. Weitere Indikationen sind<br />
Klärung einer allergisch bedingten Berufsdermatose,<br />
ätiologisch ungeklärte Ekzeme<br />
zum Ausschluss einer Spättypallergie<br />
sowie die Verschlimmerung einer bestehenden<br />
Dermatose (z.B. atopisches<br />
Ekzem).<br />
Die Auswahl der Testsubstanzen sollte<br />
anamnesegeleitet sein, d.h. diejenigen<br />
Expositionen sollen berücksichtigt werden,<br />
die durch die Anamnese ermittelt<br />
werden. Unabhängig von der individuellen<br />
Anamnese wird die Testung der Standardreihe<br />
empfohlen, welche die häufigsten<br />
Sensibilisierungen anzeigt. Die zugelassenen<br />
Allergenzubereitungen, die galenisch<br />
geprüft und als Arzneimittel zugelassen<br />
sind, orientieren sich an den Empfehlun-<br />
Tab. 2: BEURTEILUNG VON EPIKUTANTESTREAKTIONEN NACH<br />
EMPFEHLUNGEN DER ICDRG (FREGERT,1981).<br />
Symbol Morphe Bedeutung<br />
– eine Reaktion negativ<br />
? nur Erythem, kein Infiltrat fraglich<br />
+ Erythem, Infiltrat, evtl. diskrete Papeln einfach positive Reaktion<br />
++ Erythem, Infiltrat, Papeln, Vesikel zweifach positive Reaktion<br />
+++<br />
ir<br />
nt<br />
Erythem, Infiltrat, konfluierende<br />
Vesikel<br />
verschiedene Veränderungen<br />
(Seifeneffekt, Vesikel, Blase, Nekrose)<br />
dreifach positive Reaktion<br />
irritativ<br />
in einem Testblock enthaltenes,<br />
aber nicht getestetes Allergen<br />
gen der Deutschen Kontaktallergie-Gruppe<br />
(DGK; www.ivdk.gwdg.de/dkg), der<br />
European Society of Contact Dermatitis<br />
(ESCD; www.escd.org) und der International<br />
Contact Dermatitis Research Group<br />
(ICDRG) und sind lokalen Gegebenheiten<br />
anzupassen. Zusätzlich zur Standardreihe<br />
können, je nach Anamnese, „Spezialblöcke“<br />
zur Testung eingesetzt werden. Diese<br />
umfassen beispielsweise Duftstoffe, Salbengrundlagen,<br />
Gummisubstanzen u.v.m.<br />
In der Regel ist das Testareal der Rücken.<br />
Das Testareal muss erscheinungsfrei und<br />
sollte nicht vorbehandelt sein. Die zu testenden<br />
Substanzen werden in auf Testpflaster<br />
geklebte Aluminiumschälchen<br />
(Finn Chambers) eingebracht und am<br />
Rücken fixiert. Damit kann eine große<br />
Anzahl von Kontaktallergenen gleichzeitig<br />
getestet werden. Die Ablesung der Tests<br />
erfolgt nach Abnahme der Pflaster sowie<br />
bei der 24-Stunden-Applikation nach 72<br />
Stunden und bei der 48-Stunden-Applikation<br />
nach 72 (oder 96) Stunden nach Anlegen<br />
des Tests. Spätablesungen sind durchzuführen,<br />
wenn der Verdacht auf Sensibilisierungen<br />
besteht, die oft erst später als<br />
nach 72 Stunden zu Reaktionen führen<br />
(z.B. Glukokortikoide).<br />
Die Beurteilung erfolgt aufgrund der Morphe<br />
(Tab. 2). Die Dynamik der Reaktion<br />
kann als Hilfe zur Unterscheidung zwischen<br />
allergischem Kontaktekzem und<br />
toxisch-irritativem Ekzem hinzugezogen<br />
werden, wobei ein „Crescendo“-Muster<br />
eher auf eine allergische Genese hindeutet.<br />
Bei positiven Reaktionen auf chemisch<br />
verwandte Substanzen handelt es sich<br />
meist um Kreuzreaktionen. Gibt es mehr<br />
als 5 positive Reaktionen auf nicht verwandte<br />
Stoffe, so handelt es sich um Polysensibilisierungen,<br />
die Ausdruck einer<br />
gesteigerten Empfindlichkeit für Kontaktallergien<br />
sind. Selten kann es durch<br />
unspezifische, irritative Reizung zu einer<br />
nicht mehr beurteilbaren großflächigen<br />
allergischen Testreaktion kommen, was als<br />
„Angry Back“ oder „Excited Skin Syndrome“<br />
bezeichnet wird. In solchen<br />
Fällen muss die Testung erneut durchgeführt<br />
werden.<br />
Nach Evaluierung der klinischen Relevanz<br />
der erhobenen Testergebnisse ist dem<br />
Patienten ein Allergiepass auszustellen, in<br />
dem die Allergene, die eindeutig allergische<br />
Reaktionen hervorgerufen haben,<br />
vermerkt sind. Gleichzeitig sollten Merkblätter<br />
ausgehändigt werden, die den<br />
Patienten über mögliche Expositionsrisiken<br />
aufklären – z.B. Paraphenylendiamin
in Haarfärbeprodukten, Druckerschwärze,<br />
schwarzem Gummi etc. – und ihm das<br />
Auffinden der für ihn relevanten Kontaktallergene<br />
in Gebrauchsgegenständen des<br />
täglichen Lebens ermöglichen.<br />
THERAPIE<br />
Die Therapie des allergischen Kontaktekzems<br />
ist die Elimination des auslösenden<br />
Allergens. Die Ausstellung des Allergiepasses<br />
ist zur Einhaltung dieser Maßnahme<br />
die Voraussetzung. Keine symptomatische<br />
Therapie kann diesen Schritt<br />
ersetzen.<br />
Sofern die absolute Meidung des Allergens<br />
nicht möglich ist, sind Schutzmaßnahmen<br />
zu treffen, um neuerlichen Allergenkontakt<br />
zu verhindern. Diese beinhalten<br />
das Tragen von Schutzkleidung wie<br />
beispielsweise das Tragen von Handschuhen<br />
bei unvermeidlichem Allergenkontakt,<br />
die Vermeidung von Nassarbeiten, die Verwendung<br />
von protektiven Cremes, in<br />
Extremfällen den Berufswechsel etc.<br />
Zur symptomatischen Therapie stehen verschiedene<br />
Substanzen zur Verfügung:<br />
Bei akuten Kontaktekzemen können topische<br />
Kortikosteroide angewendet werden<br />
und stellen das Mittel der Wahl dar. Zu<br />
beachten ist allerdings vor allem bei länger<br />
andauernder Lokaltherapie die potenzielle<br />
Gefahr der typischen Kortikosteroid-<br />
Nebenwirkung mit Ausbildung einer<br />
Hautatrophie und Juckreiz. Als Alternative<br />
sind nun Calcineurin-Inhibitoren zur Therapie<br />
eines Ekzems zugelassen. Sie werden<br />
vor allem nach Behandlung des akuten<br />
Ekzems zur Therapiefortsetzung – ohne<br />
die Gefahr der Hautatrophie – eingesetzt.<br />
Vor allem beim chronischen Handekzem<br />
ist eine UVB oder PUVA eine gute Therapieoption<br />
und kann länger dauernde<br />
Remissionen erzielen. Eine systemische<br />
Kortikosteroidtherapie sollte therapierefraktären<br />
Fällen vorbehalten bleiben. In<br />
einer Studie von Granlund, 1998 konnte<br />
ein positiver Effekt von Cyclosporin A bei<br />
chronischem Handekzem gezeigt werden.<br />
Alitretinoin ist eine neue, einmal täglich<br />
oral einzunehmende Substanz für die<br />
Anwendung bei erwachsenen Patienten,<br />
die an schwerem chronischem Handekzem<br />
leiden, das nicht auf die lokale Behandlung<br />
mit stark wirksamen Kortikosteroiden<br />
anspricht. Sie ist in z.B. in Großbritannien,<br />
Dänemark oder Deutschland<br />
unter dem Handelsnamen Toctino ® erhältlich<br />
– die Zulassung für Österreich wird<br />
erwartet.<br />
Abb. 2: Positive Epikutantestreaktion nach 72 Stunden<br />
Abb. 1: Allergische Kontaktdermatitis auf Baneocin ® Creme<br />
DIE HÄUFIGSTEN AUSLÖSER<br />
ALLERGISCHER KONTAKTEKZEME<br />
Nickel<br />
Seit Jahren ist Nickel das dominierende<br />
Kontaktallergen. Im Jahr 2004 waren insgesamt<br />
16,6% der getesteten Patienten<br />
sensibilisiert. In der Bevölkerung ist die<br />
Nickelallergie zumeist mit einer „Modeschmuck-Allergie“<br />
assoziiert. Außer in<br />
Modeschmuck kommt Nickel auch in Silberschmuck,<br />
Hosenknöpfen, Münzen,<br />
Uhrbändern etc. vor. Das Risiko einer<br />
Nickelsensibilisierung hängt auch mit dem<br />
Stechen von Ohrlöchern zusammen. In<br />
einer schwedischen Studie (Larsson, 1985)<br />
konnte gezeigt werden, dass bei 8-jährigen<br />
Mädchen mit Ohrlöchern die Sensibilisierungsrate<br />
gegen Nickel bei 16% lag,<br />
wohingegen Mädchen ohne Ohrlöcher nur<br />
in 1% der Fälle eine Sensibilisierung aufwiesen.<br />
So wurde europaweit eine Verordnung<br />
erwirkt, dass Produkte mit Nickel,<br />
die längere Zeit Körperkontakt haben,<br />
nicht mehr als 0,5 µg/cm 2 /Woche freisetzen<br />
dürfen. Ansonsten muss das Produkt<br />
als „nickelhältig“ deklariert werden.<br />
Duftstoffe<br />
Insgesamt sind etwa 3.000 Einzelduftstoffe<br />
als Kontaktallergene beschrieben. Sie<br />
kommen in einer Vielzahl von Produkten<br />
wie Kosmetika, Waschmittel, Reinigungsmittel,<br />
medizinischen Zubereitungen<br />
(Zäpfchen, Salben), Lebensmittel sowie<br />
technischen Flüssigkeiten vor. Der bei der<br />
Epikutantestung angewandte Duftstoff-<br />
Mix enthält acht verschiedene Substanzen<br />
(Zimtalkohol, Zimtaldehyd, Alpha-Amylzimtaldehyd,<br />
Eugenol, Isoeugenol,<br />
Hydroxycitronellal, Geraniol, Eichenmoos<br />
Absolue). Die Sensibilisierungsquote<br />
lag 2004 bei 7,2%. Der überwiegende<br />
Teil der Reaktionen ist auf zwei Substanzen<br />
zurückzuführen: Eichenmoos und<br />
Isoeugenol. Seit März 2005 besteht eine<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 29
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
europaweite Deklarationspflicht für 26<br />
Duftstoffe, sie dient der Prävention von<br />
neuen Sensibilisierungen. Ein neues<br />
bedeutendes Kontaktallergen in der Gruppe<br />
der Duftstoffe ist der synthetische<br />
Duftstoff Hydroxymethylpentylcyclohexencarboxaldehyd<br />
(Lyral ® ).<br />
Perubalsam<br />
Perubalsam wird aus dem Wundsekret des<br />
Perubalsambaumes gewonnen, ist eine<br />
dunkelbraune, visköse Masse und duftet<br />
nach Zimt und Vanille. Er kommt als<br />
Geruchs- und Geschmackskorrigens bei<br />
kosmetischen Produkten, Tabak und<br />
Getränken zum Einsatz, womit es hierbei<br />
auch über inhalative und orale Exposition<br />
zur Unterhaltung eines Kontaktekzems<br />
kommen kann. Mit einer Sensibilisierungshäufigkeit<br />
von 6,7% ist Perubalsam<br />
ein wichtiges Allergen. Gleichzeitige<br />
Reaktionen auf Perubalsam und Duftstoff-<br />
Mix werden in ca. 40% der Fälle beobachtet.<br />
Sensibilisierung gegen Perubalsam<br />
kann ebenso wie jene gegen Kolophonium<br />
oder Propolis als Screeningmarker für eine<br />
Duftstoffallergie eingesetzt werden.<br />
Epoxidharz<br />
Epoxidharze wurden als eine der häufigsten<br />
Ursachen der berufsbedingten aller-<br />
PHARMA AKTUELL<br />
gischen Kontaktdermatitis identifiziert. In<br />
der Regel entsteht die Kontaktallergie<br />
innerhalb weniger Monate. Häufige Ursachen<br />
der Epoxiddermatitis sind Farben<br />
und die bei der Herstellung von Farben<br />
verwendeten Rohmaterialien. Betroffen<br />
sind nicht nur die Hände, sondern – am<br />
ehesten durch aerogene Exposition – das<br />
Gesicht, vor allem die Periorbitalregion.<br />
Zur Auslösung einer Kontaktdermatitis<br />
bei bestehender Sensibilisierung reichen<br />
bereits geringste Allergenmengen aus, die<br />
als Partikelchen oder Dämpfe aerogen<br />
übertragen werden können. Aerogene<br />
Kontaktekzeme werden häufig durch Härter<br />
oder reaktive Verdünner ausgelöst.<br />
Ein „neues“ Kontaktallergen – Bufexamac<br />
Bufexamac ist eine antiphlogistisch wirkende<br />
Substanz aus der Gruppe der Cyclooxygenasehemmer,<br />
die<br />
in Form nicht verschreibungspflichtiger<br />
lokal anzuwendender<br />
Präparate zur<br />
Verfügung steht. Als<br />
Anwendungsgebiete<br />
werden chronische<br />
Ekzeme und Neurodermitis<br />
genannt.<br />
Die allergieauslö-<br />
Moderne Antihistaminika bevorzugen<br />
VERSCHREIBUNGSFREIE H1-ANTIHISTA-<br />
MINIKA der 1. Generation zählen zu den am<br />
häufigsten angewandten Selbstmedikationen<br />
bei allergischen Erkrankungen, Husten, Erkältungen<br />
und – aufgrund ihrer sedierenden Wirkung<br />
– auch bei Schlafstörungen. Aufgrund<br />
ihrer langjährigen Verfügbarkeit gelten diese<br />
Präparate sowohl bei Laien als auch unter Medizinern<br />
als sicher. Ein Positionspapier der Europäischen<br />
Forschungsinitiative gegen Allergien<br />
und Asthma (GA 2 LEN*) kommt jetzt allerdings<br />
zu dem Schluss, dass diese Mittel gefährliche<br />
potenzielle unerwünschte Wirkungen aufweisen<br />
Fachkurzinformationen (Fortsetzung auf Seite 35):<br />
Avamys 27,5 Mikrogramm/Sprühstoß, Nasenspray, Suspension; Zusammensetzung: Jeder<br />
Sprühstoß enthält 27,5 Mikrogramm Fluticasonfuroat. Sonstige Bestandteile: Wasserfreie D-Glucose,<br />
Carmellose-Natrium, Polysorbat 80, Benzalkoniumchlorid, Natriumedetat, gereinigtes Wasser.<br />
Pharmakotherapeutische Gruppe: Kortikosteroide, ATC-Code: R01AD12 Anwendungsgebiete:<br />
Erwachsene, Jugendliche (12 Jahre und älter) und Kinder (6 - 11 Jahre): Avamys ist angezeigt zur<br />
Behandlung: der Symptome allergischer Rhinitis. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den<br />
30 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
und deshalb nicht mehr verschreibungsfrei<br />
erhältlich sein sollten. Eine umfangreiche Literaturrecherche<br />
hatte ergeben, dass H1-Antihistaminika<br />
der 1. Generation den REM-Schlaf,<br />
die Lernfähigkeit und die Arbeitsleitung beeinträchtigen.<br />
Außerdem wurde gezeigt, dass sie<br />
für Auto-, Boots- und Flugzeugunfälle verantwortlich<br />
sind. Todesfälle bei Kindern aufgrund<br />
absichtlicher oder unabsichtlicher Überdosierung<br />
stehen ebenso im Zusammenhang mit Präparaten<br />
der 1. Generation wie Suizide bei<br />
Jugendlichen und Erwachsenen, einige von<br />
ihnen wirken bei Überdosierung kardiotoxisch.<br />
senden Eigenschaften von Bufexamac sind<br />
seit langem bekannt. Die Verläufe sind häufig<br />
schwer. Trotz kleinflächiger Anwendung<br />
können nach Permeation des Stoffes „hämatogen“<br />
generalisierte Ekzeme auftreten. Da<br />
es vor allem bei der atopischen Dermatitis,<br />
beim Perianalekzem und bei der Stauungsdermatitis<br />
eingesetzt wird, finden sich gerade<br />
bei diesen prädisponierten Patienten mit<br />
gestörter Hautbarrierefunktion auch gehäuft<br />
Kontaktallergien. Insbesondere bei der<br />
Selbstmedikation besteht die Gefahr, dass<br />
die unerwünschte Nebenwirkung („Kontaktekzem“)<br />
nicht oder sehr spät erkannt wird,<br />
da die Symptome der behandelten Grundkrankheit<br />
ähneln. Von einer unkritischen<br />
Anwendung von Bufexamac ist daher dringend<br />
abzuraten.<br />
Dr. KATHARINA MORITZ,<br />
Doz. Mag. Dr. STEFAN WÖHRL<br />
Medizinische Universität Wien,<br />
Universitätsklinik für Dermatologie,<br />
Abteilung für Immundermatologie<br />
und infektiöse Hautkrankheiten,<br />
Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien<br />
katharina.moritz@meduniwien.ac.at ,<br />
stefan.woehrl@meduniwien.ac.at<br />
Literatur bei den Autoren<br />
Aufgrund dieser Erkenntnisse empfiehlt die<br />
Forschungsinitiative, H1-Antihistaminika nicht<br />
mehr rezeptfrei zu verkaufen; vielmehr sollten<br />
im Sinne der Konsumentensicherheit die neueren,<br />
nicht sedierenden H1-Antihistaminika zum<br />
Einsatz kommen, die ein überlegenes Nutzen-<br />
Risiko-Profil aufweisen und zu einem vergleichbaren<br />
Preis erhältlich sind.<br />
*GA 2 LEN ist ein Zusammenschluss von rund 60 führenden europäischen Forschergruppen<br />
aus 14 Ländern der EU, der Schweiz, Norwegen, dem Europäischen<br />
Berufsverband der Allergologen (EAACI) und der Europäischen Vereinigung<br />
der Patientenorganisationen (EFA).<br />
Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile von Avamys. Zulassungsinhaber: Glaxo Group Ltd<br />
Greenford, Middlesex, UB6 0NN, Vereinigtes Königreich. Abgabe: Rezept- und apothekenpflichtig,<br />
wiederholte Abgabe verboten. Zulassungsnummer: EU/1/07/434/001, EU/1/07/434/002,<br />
EU/1/07/434/003. Weitere Angaben zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung,<br />
Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstigen Wechselwirkungen,<br />
Schwangerschaft und Stillzeit und Nebenwirkungen entnehmen Sie bitte der veröffentlichten Fachinformation.<br />
© Richard Schuster
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Problem Penicillinallergie<br />
PENICILLINE sind nach wie vor nicht aus der antimikrobiellen Therapie<br />
wegzudenken. Dabei gilt es aber immer die Möglichkeit einer schweren<br />
allergischen Reaktion zu beachten. Wichtig sind eine rasche Abklärung<br />
und eine exakte Abgrenzung des Terminus Medikamentenallergie.<br />
DIE PENICILLINALLERGIE ist ein häufiges und mitunter<br />
gefährliches Problem. Immerhin sind nach einer französischen<br />
Studie ungefähr 60% der anaphylaktischen Medikamentenreaktionen<br />
auf Betalaktam-Antibiotika wie Penicilline, Cephalosporine,<br />
Monobactame und Carbapeneme zurückzuführen 1 . Allerdings<br />
ist der Terminus „Medikamentenallergie“ bei näherer<br />
Betrachtung eine weitläufige Bezeichnung, die weit mehr als die<br />
klassische Typ-I-Reaktion umfasst.<br />
Nach einer französischen Studie sind immerhin ungefähr 60%<br />
der anaphylaktischen Medikamentenreaktionen auf Betalaktam-<br />
Antibiotika wie Penicilline, Cephalosporine, Monobactame und<br />
Carbapeneme zurückzuführen 1 .<br />
In dieser Übersichtsarbeit sollen einerseits die verschiedenen<br />
unerwünschten Medikamentenreaktionen (Typ-A- bis Typ-F-<br />
Reaktionen), andererseits die Penicillin- und Cephalosporinreaktionen,<br />
im Speziellen die Typ-I- und die Typ-IV-Reaktion,<br />
beleuchtet werden. Zunächst müssen die unerwünschten Medikamentenreaktionen<br />
definiert werden:<br />
● Typ-A-Reaktionen („augmented reaction“ = übertrieben starke<br />
Reaktion) können pharmakologisch erklärt werden, sind<br />
häufig, vorhersehbar und können bei jedem Individuum vorkommen.<br />
Sie machen mehr als 80% aller unerwünschten Arzneimittelwirkungen<br />
aus und sind im Arzneimittelcodex vermerkt.<br />
Üblicherweise sind sie schon vor der Registrierung<br />
eines Arzneimittels aus den Zulassungsstudien bekannt: z.B.<br />
Durchfall nach Antibiotika-Therapie, palmoplantare Hauttoxizität<br />
durch manche Chemotherapeutika.<br />
● Typ-B-Reaktionen (bizarr) sind selten, nicht vorhersehbar,<br />
sind pharmakologisch nicht erklärbar und bleiben auf dafür<br />
empfängliche Individuen beschränkt. Typ-B-Reaktionen<br />
machen 13% aller unerwünschten Arzneimittelwirkungen aus.<br />
„Arzneimittelunverträglichkeit“ oder auch „Arzneimittelhypersensitivität“<br />
sind Überbegriffe für alle Arten von Typ-B-<br />
Reaktionen, ohne den genauen pathophysiologischen Hintergrund<br />
zu berücksichtigen. Alle unerwünschten Arzneimittelwirkungen<br />
ohne Beteiligung des Immunsystems sollten als<br />
Hypersensitivitäts- oder Unverträglichkeitsreaktionen bezeichnet<br />
werden, z.B. die Aspirinhypersensitivität. Diese<br />
Reaktionen wurden früher auch als „Pseudoallergien“<br />
bezeichnet.<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
Gemäß der neuen Terminologie der „World Allergy Organisation<br />
(WAO)“ sollte der Begriff „Arzneimittelallergie“ auf Patienten mit<br />
einem nachgewiesenen immunologischen Pathomechanismus<br />
beschränkt werden. Die Zusätze „sofort“ („immediate“; Typ I, IgEvermittelt)<br />
und „verzögert“ („delayed“; Typ IV, T-Zell-vermittelt)<br />
sollen die zeitliche Dynamik und den wahrscheinlichen immunologischen<br />
Hintergrund beschreiben.<br />
Die am häufigsten betroffenen Organe bei unerwünschten Arzneimittelreaktionen<br />
sind in absteigender Reihenfolge Haut, Leber, Lunge,<br />
Kreislauf, blutbildendes System und Zentralnervensystem. Eine<br />
erweiterte Klassifikation von Arzneimittelallergien im eigentlichen<br />
Sinne findet sich in der Tabelle 2 . Das ursprüngliche Klassifikationsschema<br />
von Rawlins & Thomson wurde später um vier selten verwendete<br />
Klassen erweitert 3 :<br />
● Typ-C-Reaktionen (chronisch);<br />
● Typ-D-Reaktionen („delayed“) verzögert, z.B. Karzinogenese<br />
oder Teratogenese;<br />
● Typ-E-Reaktionen („Ende der Behandlung“) umfasst unerwünschte<br />
Arzneimittelwirkungen nach dem Absetzen eines<br />
Medikaments, z.B. Myokardischämie nach dem plötzlichen<br />
Absetzen eines β-Blockers; und<br />
● Typ-F-Reaktionen („Fehlen des Therapieerfolgs“).<br />
Abb. 1: STRUKTUR DER BETA-LAKTAM-ANTIBIOTIKA<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 31
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
PENICILLINALLERGIE<br />
Der erste diagnostische Schritt ist die korrekte Klassifikation der<br />
Unverträglichkeitsreaktion:<br />
Soforttypallergien (= Typ-I-Reaktionen) sind IgE-vermittelt. Hier<br />
ist theoretisch das gesamte Spektrum beginnend mit der milden<br />
Hautreaktion (lokale Schwellung, Urtikaria – Grad I) bis hin zur<br />
Anaphylaxie (allergischer Schock – Grad IV) möglich. Die Mehrzahl<br />
der Reaktionen beschränkt sich allerdings auf die milden<br />
Grad-I-Reaktionen.<br />
Die zweite, häufige Form ist die Spättypallergie (Typ-IV-Reaktion).<br />
Sie tritt bei Neusensibilisierung üblicherweise am 9. Tag der<br />
Antibiotikagabe auf, bei bereits sensibilisierten Patienten jedoch<br />
früher, zumeist bereits nach 2 bis 5 Tagen. Das klinische Reaktionsmuster<br />
beschränkt sich auf Hauterscheinungen, im klassischen<br />
Fall auf das makulopapulöse Exanthem (Abb. 2). Dieses ist<br />
meist selbstlimitiert und heilt ohne spezifische Behandlung nach<br />
Absetzen des Auslösers ab. Sehr selten sind fixe Arzneimittelexantheme<br />
und die schweren kutanen Reaktionen: Erythema multiforme<br />
(EEM), Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und toxische<br />
epidermale Nekrolyse (TEN) (Abb. 3).<br />
SOFORTTYPREAKTIONEN (TYP-I-REAKTION)<br />
Die Pathophysiologie der Typ-I-Reaktionen auf β-Laktam-Penicilline<br />
sind durch die Molekularstruktur zu erklären. Wir wollen<br />
jetzt 4 mögliche Reaktionsmuster anhand der Abbildung 1<br />
demonstrieren:<br />
1. REAKTION AUF DEN β-LAKTAMRING (BLAU):<br />
β-Laktam-Antibiotika (i.e.: Penicilline, Cephalosporine, Monobaktame,<br />
Carbapeneme) gehören zu den am häufigsten verwendeten<br />
Antibiotika. Die gemeinsame Grundstruktur aller β-Laktamantibio-<br />
Abb. 2: TYP-IV-ALLERGIE –<br />
MAKULOPAPULÖSES ARZNEIMITTELEXANTHEM<br />
32 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
tika ist der β-Laktamring (Abb. 1, blau), die allergische Reaktion auf<br />
den β-Laktamring hat die breiteste klinische Relevanz, da der Patient<br />
sowohl auf alle Penicilline, Cephalosporine als auch Monobaktame<br />
(z.B. Tazobaktam/Tazonam ® ) sowie Carbapeneme (z.B. Imipenem/<br />
Zienam ® , Meropenem/Optinem ® ) kreuzreagieren kann. Erfreulicherweise<br />
findet sich diese Allergie lediglich bei einem geringen<br />
Prozentsatz der Penicillinallergiker, allerdings bei einem Großteil<br />
der Cephalosporinallergiker.<br />
2. REAKTION AUF DEN THIAZOLIDINRING (ROT):<br />
Der Thiazolidinring (Abb. 1, rot) kommt ausschließlich in Penicillin<br />
und Aminopenicillin vor. Die Häufigkeit dieser Reaktion ist<br />
unbekannt, wahrscheinlich aber deutlich seltener als eine Reaktion<br />
auf den β-Laktamring. Ist ein Patient auf diese Struktur sensibilisiert,<br />
so reagiert er nur auf Penicillin und Aminopenicillin.<br />
3. + 4. REAKTION AUF SEITENKETTEN (GRÜN, GELB):<br />
Penicilline haben typische Seitenketten (grün), die spezifisch für<br />
das verwendete Penicillin sind. Die Reaktion beschränkt sich auf<br />
das spezifische Penicillin.<br />
Bei Sensibilisierung gegen eine molekülspezifische Seitenkette<br />
sind keine Kreuzreaktionen zu anderen Cephalosporinen, β-Laktamen<br />
oder Penicillinen zu erwarten.<br />
TESTUNG<br />
Der Hauttest besteht zunächst aus dem Hautpricktest, falls negativ,<br />
gefolgt von einem Intradermaltest mit Penicillin G sowie dem vermuteten<br />
auslösenden Cephalosporin4 . Spezifisches IgE<br />
sollte in jedem Fall mitbestimmt werden. Weiters besteht die<br />
Testung aus den wichtigsten Metaboliten des β-Laktamrings:<br />
MDM (Minor Determinant Mix) und PPL (Penicilloat, Penilloat =<br />
Major Determinants). Diese Testsubstanzen können nach der vor<br />
einigen Jahren erfolgten Marktrücknahme durch den Hersteller<br />
Abb. 3: TYP-IV-ALLERGIE –<br />
TOXISCHE EPIDERMALE NEKROLYSE (TEN)
Erweiterte<br />
Klassifikation<br />
I<br />
II<br />
III<br />
IVa<br />
IVb<br />
IVc<br />
IVd<br />
Tab. 1: KLASSIFIKATION DER ARZNEIMITTELALLERGIEN, MODIFIZIERT NACH PICHLER 2 & DEMOLY 7<br />
Pathophysiologie Klinische Symptome Beginn der Symptome nach<br />
IgE<br />
aktiviert Mastzellen und Eosinophile<br />
IgG<br />
Zelllyse durch Bindung des Fcγ-Rezeptors<br />
IgG- & IgM-Immunkomplexe<br />
Ablagerung von Immunkomplexen aktiviert<br />
Komplement<br />
Th1<br />
IFN-γ-Produktion<br />
Monozytenaktivierung<br />
Th2<br />
IL-5 und IL-4<br />
Eosinophile Entzündung<br />
Cytotoxische T-Zellen<br />
Perforin und Granzyme B<br />
Abtöten der Keratinozyten durch CD4- und<br />
CD8-T-Zellen<br />
T Zellen<br />
IL-8/CXCL 8<br />
Neutrophile Entzündung<br />
Allergopharma nun wieder über die spanische Firma Diater bezogen<br />
werden 4 . Der Nachteil dieser Tests ist ihre geringe Sensitivität<br />
bei hoher Spezifität. D.h., der positive Test beweist die Allergie,<br />
der negative schließt eine Allergie nicht aus. Deshalb ist für eine<br />
abschließende Beurteilung eine Re-Exposition unter kontrollierten<br />
Bedingungen notwendig 4, 5 . In Österreich werden solche Provokationstestungen<br />
fast ausschließlich an Allergieambulanzen mit<br />
angeschlossenen Bettenstationen und Möglichkeit der Intensivüberwachung<br />
durchgeführt (meist dermatologische Abteilungen).<br />
SPÄTTYPREAKTIONEN (TYP-IV-REAKTION)<br />
Die Typ-IV-Reaktion auf Penicilline ist pathophysiologisch durch<br />
eine zellvermittelte Reaktion auf die Molekularstruktur des Antibiotikums<br />
oder einen Metaboliten zu erklären.<br />
TESTUNG<br />
Zur Abklärung wird ein Epikutantest (Patchtest) durchgeführt,<br />
wobei das Penicillin in der verwendeten Verdünnung in eine<br />
Kammer aufgebracht und über 24 Stunden belassen wird. Die<br />
Ablesung erfolgt nach 24 und ein zweites Mal nach 48 Stunden<br />
bzw. nach 48 und 72 Stunden. Wichtig ist, dass Ekzemreaktionen<br />
an Stellen einer Prick- oder Intradermaltestung nach > 24<br />
Stunden auch typische Zeichen einer Typ-IV-Reaktion sind4 .<br />
Bleibt der Hauttest, wie bereits bei den Typ-I-Reaktionen<br />
erklärt, negativ, so sind auch hier Provokationstests die einzige<br />
Möglichkeit, eine Allergie zu bestätigen oder auszuschließen7 .<br />
Ein positives Testergebnis sollte zum Meiden der Substanz führen,<br />
eine erneute Gabe des Antibiotikum ist bei einer Typ-IV-<br />
Reaktion aber zumeist – bis auf das auftretende Exanthem –<br />
Urtikaria/Angioödem<br />
Rhinokonjunctivitis<br />
Allergisches Asthma bronchiale<br />
Anaphylaxie<br />
Allergischer Schock<br />
Zytopenie 5–15 Tage<br />
Vaskulitis<br />
Urtikariavaskulitis<br />
Serumkrankheit<br />
Allergische Hepatitis<br />
Ekzem<br />
Hauttest auf Tuberkulin<br />
Makulopapulöses Exanthem<br />
Bullöses Exanthem<br />
Makulopapulöses Exanthem<br />
Pustulöses Exanthem<br />
Hepatitis<br />
Bullöses Exanthem<br />
Pustulöses Exanthem<br />
Morbus Behçet<br />
Minuten bis Stunden<br />
7–21 Tage<br />
7–8 Tage<br />
5–21 Tage<br />
2–6 Wochen<br />
2 Tage (fixes Arzneimittelexanthem)<br />
7–21 Tage (SJS und TEN)<br />
< 2 Tage<br />
harmlos 5 . Besteht die Anamnese aus einer schweren kutanen<br />
Reaktionen wie Erythema multiforme, Stevens-Johnson-Syndrom<br />
oder toxische epidermale Nekrolyse, sind Hauttests eventuell<br />
möglich. Ein Provokationstest darf nicht durchgeführt werden.<br />
Toxische (pseudoallergische) Reaktion auf Aminopenicillin<br />
Die wichtigste Differenzialdiagnose zum makulopapulösen Arzneimittelexanthem<br />
auf Amoxicillin ist der toxische „Amoxicillin<br />
Rash“ bei gleichzeitiger Infektion mit den Herpesviren Epstein-<br />
Barr-Virus (EBV) oder Cytomegalievirus (CMV). Diese sind klinisch<br />
nicht von einer echten Typ-IV-Allergie zu unterscheiden und<br />
führen häufig zur Fehlinterpretation als „Penicillinallergie“. Bis<br />
zu 30% dieser Reaktionen ist aber tatsächlich auf eine Typ-IV-Allergie<br />
zurückzuführen 6 . Am einfachsten können diese Reaktionen<br />
vermieden werden, indem Aminopenicilline nur verordnet werden,<br />
wenn sie wirklich notwendig sind.<br />
Literatur:<br />
1) Mertes P.M., Laxenaire M.C., Alla F., Anaphylactic and anaphylactoid reactions occurring during anesthesia in<br />
France in 1999-2000. Anesthesiology. 2003 Sep;99(3):536–45.<br />
2) Pichler W.J., Delayed drug hypersensitivity reactions. Ann Intern Med. 2003; 139: 683–93.<br />
3) Rawlins M.D., Thompson J.W., Mechanisms of adverse drug reactions. In: Davies DM, ed. Textbook of adverse<br />
drug reactions. Oxford, UK: Oxford University Press 1991:18–45.<br />
4) Blanca M., Romano A., Torres M.J., Fernandez J., Mayorga C., Rodriguez J. et al., Update on the evaluation of<br />
hypersensitivity reactions to betalactams. Allergy. 2009 Feb;64(2):183–93.<br />
5) Aberer W., Kränke B., Provocation tests in drug hypersensitivity. Immunology and allergy clinics of North<br />
America. 2009 Aug;29(3):567–84.<br />
6) Trcka J., Seitz C.S., Brocker E.B., Gross G.E., Trautmann A., Aminopenicillin-induced exanthema allows treatment<br />
with certain cephalosporins or phenoxymethyl penicillin. The Journal of antimicrobial chemotherapy.<br />
2007 Jul;60(1):107–11.<br />
7) Demoly P., Allergie et intolérance (pseudo-allergie) aux médicaments. Définitions. In: Nicolas J-F, Thivolet J, eds. Allergie<br />
aux médicaments Tests immuno-biologiques. Montrouge, France: Éditions John Libbey Eurotext 2006:47–52.<br />
OA Priv.-Doz. Mag. Dr. STEFAN WÖHRL,<br />
MedUni Wien, Universitätsklinik für Dermatologie,<br />
Abteilung für Immundermatologie<br />
und infektiöse Hautkrankheiten,<br />
stefan.woehrl@meduniwien.ac.at<br />
© Richard Schuster<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 33
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Analgetikaintoleranz<br />
DEN GOLD-STANDARD in der Abklärung der Analgetikaunverträglichkeit<br />
stellt der orale Provokationstest dar. Immer noch zu wenig bekannt<br />
ist das Analgetikaintoleranz-Syndrom, das unter einer Vielzahl verschiedener<br />
Namen bekannt ist.<br />
NICHTSTEROIDALE ANTIRHEUMATIKA<br />
„Nichtsteroidale Antirheumatika“ (NSAR) gehören sicherlich zu<br />
den meisteingenommenen Medikamenten weltweit und können<br />
bei bis zu 0,3% der Gesamtbevölkerung zu Unverträglichkeitsreaktionen<br />
meist anaphylaktoider Natur führen, d.h. es treten Symptome<br />
wie Urticaria, Quincke-Ödeme, Kreislaufkollaps, Asthma<br />
bronchiale u.ä. auf, ohne dass dies durch Haut- oder Bluttests auch<br />
einer immunologischen Typ-I-Reaktion zugeschrieben werden<br />
kann. Einzig gegen Propyphenazon ließen sich bisher spezifische<br />
IgE-Antikörper nachweisen, der gleichen Forschergruppe gelang<br />
dies in der Folge jedoch nicht für das sehr häufig zu anaphylaktoiden<br />
Symptomen führende Diclofenac.<br />
KREUZREAKTIONEN DURCH<br />
HEMMUNG DER ZYKLOOXYGENASE<br />
Kreuzreaktionen zwischen den einzelnen Substanzen sind im Falle<br />
der anaphylaktoiden Schmerzmittelunverträglichkeit nicht, wie<br />
z.B. bei Antibiotika, auf strukturell-chemische Ähnlichkeiten<br />
zurückzuführen, sondern beruhen auf dem gleichen Wirkmecha-<br />
Acetylsalicylsäure<br />
(ASS) u.a. NSAR<br />
Hemmung<br />
Cyclooxygenase 1<br />
TXA 2<br />
PGG 2<br />
PGH 2<br />
Aktivierung der<br />
Blutplättchen-<br />
Aggregation<br />
PGI 2 PGF 2PGD 2 PGE 2<br />
Abb.<br />
Membran-Phospholipide<br />
Arachidonsäure<br />
Verminderte<br />
Hemmung<br />
Verminderte<br />
Spiegel<br />
Verminderte<br />
Hemmung<br />
Histamin-Freisetzung<br />
34 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
FLAP, 5-LO<br />
5-HPETE<br />
LTA 4<br />
Gesteigerte<br />
Leukotrien-<br />
Synthese<br />
LTB 4 LTC 4 LTD 4 LTE 4<br />
Neutrophilen-<br />
Chemotaxis<br />
und -Aktivierung<br />
Bronchokonstriktion<br />
Vasokonstriktion;<br />
erhöhte Gefäßpermeabilität;<br />
erhöhte<br />
Schleimsekretion<br />
eosinophilen-Chemotaxis<br />
ASS/NSAR – Intoleranzreaktionen (Typen I, II, III)<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
nismus im Arachidonsäurezyklus, üblicherweise der Hemmung<br />
der Zyklooxygenase (COX) 1 (resp. 2). Dabei lassen sich nach Art<br />
und Grad ihrer Hemmung verschiedene Gruppen unterscheiden:<br />
nichtselektive COX-1/COX-2-Hemmer (Acetylsalicylsäure ASS,<br />
Piroxicam, Indomethacin, Diclofenac, Mefenaminsäure, Ibuprofen,<br />
Naproxen, Ketoprofen etc.), schwache nichtselektive COX-<br />
1/COX-2-Hemmer (Paracetamol; hohe Dosen hemmen COX-1<br />
stark); relativ selektive COX-2/COX-1-Hemmer (Nimesulid,<br />
Meloxicam, Lornoxicam; hohe Dosen hemmen COX-1) und<br />
schließlich selektive COX-2/COX-1-Hemmer (Celecoxib, Etoricoxib,<br />
Parecoxib, Lumiracoxib).<br />
Aus dieser Einteilung lassen sich auch Rückschlüsse auf die zu<br />
erwartenden Kreuzreaktionen ziehen, da die COX-1-Hemmung<br />
zu einer Unterproduktion von Prostaglandinen und überschießenden<br />
Produktion von Leukotrienen führt (siehe Abb.).<br />
ORALER PROVOKATIONSTEST ZUR<br />
ABKLÄRUNG EINER ANALGETIKAUNVERTRÄGLICHKEIT<br />
Den Gold-Standard in der Abklärung der Analgetikaunverträglichkeit<br />
(v.a. bei den gar nicht so seltenen so genannten „Single<br />
Drug Reactors“) stellt nach wie vor der orale Provokationstest dar,<br />
wobei auch dieser keine sichere prognostische oder auch nur<br />
anamnestische Aussagekraft hat (meist infolge der fehlenden<br />
Reproduzierbarkeit von Kofaktoren).<br />
Ist noch keine endgültige Abklärung erfolgt, so kann man den<br />
Patienten inzwischen zur Schmerzbekämpfung Morphinderivate,<br />
Paracetamol unter 1000 mg Tagesdosis bzw. z.B. Celecoxib1 empfehlen,<br />
da Morphinderivate gar nicht und Paracetamol in der angegeben<br />
Dosis sowie Celecoxib nur sehr selten zu Kreuzreaktionen<br />
führen.<br />
Die bei den Antibiotika so häufigen Typ-4-allergischen Spätreaktionen<br />
werden bei der Analgetikaunverträglichkeit relativ selten<br />
beobachtet. Hervorzuheben sind vielleicht Metamizol als Auslöser<br />
eines fixen Arzneimittelexanthems und Paracetamol als Auslöser<br />
der akuten generalisierten exanthematischen Pustulose<br />
(AGEP).<br />
ANALGETIKAINTOLERANZ-SYNDROM<br />
Gemessen an der Häufigkeit (Prävalenz in der Gesamtbevölkerung<br />
– 0,3%, bei Asthmatikern – 21%, bei Patienten mit Polyposis<br />
nasi – 52% und bei Kombination beider Krankheitsbilder –<br />
65%) vielleicht immer noch zu wenig bekannt ist das sog. Anal-
getikaintoleranz-Syndrom, das unter einer Vielzahl verschiedener<br />
Namen bekannt ist (u.a. ASA-NSAID-exacerbated Respiratory<br />
Disease ANERD, „Aspirin-Trias“, M. Widal, M. Samter, Samter’s<br />
Trias, Analgetika-Asthma-Syndrom, Aspirin-induziertes Asthma<br />
(AIA) und Aspirin-induzierte Rhinitis (AIR), Aspirin-sensitives<br />
Asthma, Aspirin-Asthma-Syndrom, Aspirin-Hypersensitivität,<br />
Aspirin-Idiosynkrasie, „Aspirin-exacerbated Respiratory Disease“<br />
oder nur „einfach“ Aspirin-Intoleranz oder Analgetika-Intoleranz)<br />
und das (nicht immer gleichzeitige) gemeinsame Auftreten<br />
von ASS-Unverträglichkeit (u.a. NSAR), Asthma bronchiale und<br />
Polyposis nasi bezeichnet.<br />
Oft geht primär ein viraler Infekt voraus, es folgen Sinusitiden und<br />
Polyposis nasi, Jahre später zusätzlich ein Asthma bronchiale und<br />
wiederum Jahre später die Analgetikaintoleranz. Aus diesem zeitlichen<br />
Ablauf erklärt sich auch, dass es Patienten mit ANERD gibt,<br />
ohne dass es bereits zu einer anaphylaktoiden Reaktion auf einen<br />
COX-1-Hemmer gekommen sein muss. Die Einnahme des NSAR<br />
ist also nicht die Ursache der Erkrankung, sondern bringt einen<br />
bereits aktiven Entzündungsprozess des respiratorischen Systems<br />
durch Freisetzung von Mediatoren zur Exazerbation. Wichtig<br />
Fachkurzinformationen:<br />
Aerius 5 mg Filmtabletten Zusammensetzung: Jede Tablette enthält 5 mg Desloratadin. Sonstige<br />
Bestandteile: Tablettenkern: Calciumhydrogenphosphat-Dihydrat, mikrokristalline Cellulose,<br />
Maisstärke, Talkum Tablettenüberzug: Farbiger Film (enthält Lactose-Monohydrat, Hypromellose,<br />
Titandioxid, Macrogol 400, Indigocarmin (E 132)), farbloser Film (enthält Hypromellose, Macrogol<br />
400), Carnaubawachs, gebleichtes Wachs. Anwendungsgebiete: Aerius ist angezeigt für die Besserung<br />
der Symptomatik bei: - allergischer Rhinitis; - Urtikaria. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit<br />
gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile oder gegen Loratadin. Schwangerschaft<br />
und Stillzeit: Im Tierversuch war Desloratadin nicht teratogen. Die Unbedenklichkeit der Anwendung<br />
dieses Arzneimittels während der Schwangerschaft ist nicht gesichert. Daher wird die Anwendung<br />
von Aerius während der Schwangerschaft nicht empfohlen. Desloratadin wird in die Muttermilch<br />
ausgeschieden, daher wird die Anwendung von Aerius bei stillenden Müttern nicht empfohlen.<br />
Zulassungsinhaber: SP Europe, Rue de Stalle 73, B-1180 Bruxelles, Belgien. Stand der Information:<br />
3. Februar 2009.Abgabe: Rezept- und apothekenpflichtig, Pharmakotherapeutische Gruppe:Antihistaminika<br />
– H1-Antagonist; ATC-Code: R06A X27. Weitere Angaben zu Dosierung, Art und Dauer der<br />
Anwendung, Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit<br />
anderen Mitteln, Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und das Bedienen von Maschinen,<br />
Nebenwirkungen, Überdosierung, pharmakologischen Eigenschaften und pharmazeutische Angaben<br />
sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.<br />
Aerius 0,5 mg/ml Lösung zum Einnehmen Zusammensetzung: Ein Milliliter Lösung zum Einnehmen<br />
enthält 0,5 mg Desloratadin. Dieses Arzneimittel enthält 150 mg/ml Sorbitol. Liste der sonstigen<br />
Bestandteile: Sorbitol, Propylenglycol, Sucralose E 955, Hypromellose E 2910, Natriumcitrat 2<br />
H2O, natürliche und künstliche Aromen (Bubble-Gum), wasserfreie Citronensäure, Natriumedetat<br />
(Ph.Eur.), gereinigtes Wasser. Anwendungsgebiete: Aerius ist angezeigt zur Besserung der Symptomatik<br />
bei: - allergischer Rhinitis; - Urtikaria. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff<br />
oder einen der sonstigen Bestandteile oder gegen Loratadin. Inhaber der Zulassung: SP Europe,<br />
Rue de Stalle 73, B-1180 Bruxelles, Belgien. Abgabe: Rezept- und apothekenpflichtig Pharmakotherapeutische<br />
Gruppe: Antihistaminika – H1-Antagonist; ATC-Code: R06A X27. Stand der Information:<br />
3. Februar 2009. Weitere Angaben zu Dosierung, Art und Dauer der Anwendung, Warnhinweisen<br />
und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung,Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Schwangerschaft<br />
und Stillzeit, Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und das Bedienen von Maschinen,<br />
Nebenwirkungen, Überdosierung, pharmakologischen Eigenschaften und pharmazeutische Angaben<br />
sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.<br />
Quellen: Baena-Cagnani et al, Int Arch Allergy Immunol 2003;130:307-13, Monroe et al.; J Am Acad<br />
Dermatol, April 2003; 535-41; Horak et al.; J Allergy Clin Immunol June 2002; 956-61 , Devillier P.<br />
et al. Clinical Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of Desloratadine, Fexofenadine and Levocetirizine.<br />
Clin Pharmacokinet 2008; 47 (4): 217-230.<br />
NASONEX ® aquosum - NasensprayZusammensetzung: 50 Mikrogramm Mometason Furoat (als<br />
Monohydrat)/ Sprühstoß. Dieses Arzneimittel enthält 0,2 Milligramm Benzalkoniumchlorid pro<br />
Gramm. Liste der sonstigen Bestandteile: Dispersible Cellulose BP 65 cps (Mikrokristalline Cellulose,<br />
Carmellose-Natrium), Glycerol, Natriumcitrat, Citronensäure-Monohydrat, Polysorbat 80, Benzalkoniumchlorid<br />
und gereinigtes Wasser. Anwendungsgebiete: Nasonex ® aquosum – Nasenspray ist<br />
zur Anwendung bei Erwachsenen und bei Kindern ab 12 Jahren zur symptomatischen Behandlung<br />
einer saisonalen allergischen oder perennialen Rhinitis bestimmt. Nasonex ® aquosum – Nasenspray<br />
ist auch zur Anwendung bei Kindern von 6 bis 11 Jahren zur symptomatischen Behandlung einer<br />
saisonalen allergischen oder perennialen allergischen Rhinitis bestimmt. Bei Patienten mit mäßigen<br />
bis schweren Symptomen einer saisonalen allergischen Rhinitis in der Anamnese wird eine prophylaktische<br />
Behandlung mit Nasonex ® aquosum – Nasenspray bis zu vier Wochen vor dem voraussichtlichen<br />
Beginn der Allergiesaison empfohlen. Nasonex ® aquosum – Nasenspray ist zur Behandlung<br />
nasaler Polypen bei erwachsenen Patienten ab 18 Jahren bestimmt. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit<br />
gegen Mometason Furoat oder einen der sonstigen Bestandteile. Nasonex ® aquosum –<br />
Nasenspray sollte bei Vorhandensein einer unbehandelten auf die Nasenschleimhäute lokalisierten<br />
Infektion nicht angewendet werden. Auf Grund der Hemmwirkung von Kortikosteroiden auf die<br />
Wundheilung sollten Patienten nach Nasenoperationen oder -verletzungen bis zur Ausheilung keine<br />
nasalen Kortikosteroide anwenden. Pharmazeutischer Unternehmer: AESCA Pharma GmbH, Am<br />
Euro Platz 2, 1120 Wien. Stand der Information: Jänner 2009. Pharmakotherapeutische Gruppe:<br />
Dekongestionsmittel und andere topische nasale Zubereitungen, Kortikosteroide, ATC-Code: R01 A<br />
D09. Abgabe: Rezept- und apothekenpflichtig, wiederholte Abgabe verboten. Weitere Angaben zu<br />
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung, besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für<br />
erscheint die Kenntnis dieses Krankheitsbildes auch deshalb, da es<br />
bei entsprechender Indikation mit der Acetylsalicylsäure-(ASS)-<br />
Desensibilisierung 2 eine für alle drei Komponenten der Trias Asthma<br />
– Polyposis nasi – Analgetikaintoleranz gut wirksame Therapie<br />
gibt. Zuvor ist mit einer meist oralen Provokation mit ASS die Diagnose<br />
zu sichern, für die Desensibilisierung selbst gibt es verschiedene<br />
Protokolle. Wichtig ist, dass die Patienten lebenslang ASS<br />
einnehmen müssen, da es bereits nach 2–4 Tagen Einnahmepause<br />
zur Resensibilisierung kommen kann. Diese Therapieform ist<br />
daher für den intermittierenden NSAR-Bedarf nicht geeignet.<br />
1 Aufgrund der kardialen Nebenwirkungen der selektiven COX-2-Hemmer kann diese Medikamentengruppe nur<br />
bei herzgesunden Patienten eingesetzt werden<br />
2 Diese nichtimmunologische Desensibilisierung darf nicht mit der auch als Desensibilisierung bezeichneten spezifischen<br />
Immuntherapie mit Allergenen bei Typ-I-Allergie verwechselt werden.<br />
OA Dr. THOMAS HAWRANEK,<br />
Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie<br />
der Paracelsus Medizinische Privatuniversität<br />
Salzburg<br />
t.hawranek@salk.at<br />
die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen,<br />
Schwangerschaft und Stillzeit, Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum<br />
Bedienen von Maschinen, Nebenwirkungen, Überdosierung, pharmakologischen Eigenschaften und<br />
pharmazeutische Angaben sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.<br />
Quellen: Berkowitz RB, Roberson S, Zora J, et al. Mometasone furoate nasal spray is rapidly effective<br />
in the treatment of seasonal allergic rhinitis in an outdoor(park), acute exposure setting. Allergy<br />
Asthma Proc. 1999;20:167-172; Data on file, Schering-Plough; A 1-year, multicenter, open-label study<br />
of 69 patients with perennial allergic rhinitis to evaluate the tissue changes associated with the<br />
treatment of NASONEX 200 mcg OD. SP Study, Protocol No: 194-079; Minshall et al. Otolaryngol<br />
Head, Neck Surg. 1998;118:648-654; Schenkel E et al. Mometasone furoate nasal spray in seasonal<br />
allergic rhinitis. Effective in relieving ocular symptoms. Allergy and Clinical Immunology International.<br />
2007;19:50-53.; Schenkel E et al. Absence of Growth Retardation in Children With Perennial<br />
Allergic Rhinitis After One Year of Treatment With Momentasone Furoate Aqueous Nasal Spray. Pediatrics<br />
2000; 105; e22.; Erstattungskodex - EKO ab 1. Juli 2008; Bachert C., Allergologie, 28,<br />
Nr.2/2005, S.45-52<br />
Singulair 10 mg Filmtabletten Zusammensetzung: 1 Filmtablette enthält Montelukast-Natrium<br />
entsprechend 10 mg Montelukast. Liste der sonstigen Bestandteile: Mikrokristalline Cellulose, Lactose<br />
Monohydrat, Croscarmellose-Natrium, Hyprollose und Magnesiumstearat. Filmüberzug: Hypromellose,<br />
Hyprollose, Titandioxid (E171), rotes und gelbes Eisenoxid (E172) sowie Carnaubawachs.<br />
Anwendungsgebiete: Singulair ist indiziert als Zusatzbehandlung bei Patienten, die unter einem<br />
leichten bis mittelgradigen persistierenden Asthma leiden, das mit einem inhalativen Kortikoid nicht<br />
ausreichend behandelt und das durch die bedarfsweise Anwendung von kurz wirksamen ß Sympathomimetika<br />
nicht ausreichend unter Kontrolle gebracht werden kann. Bei jenen Asthmapatienten,<br />
bei denen Singulair bei Asthma angezeigt ist, können Singulair 10 mg-Filmtabletten auch die Symptome<br />
der saisonalen allergischen Rhinitis lindern. Außerdem kann Singulair zur Vorbeugung von<br />
Belastungsasthma eingesetzt werden, dessen überwiegende Komponente die durch körperliche<br />
Belastung ausgelöste Bronchokonstriktion darstellt. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen<br />
den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Inhaber der Zulassung: Merck Sharp Dohme<br />
GesmbH, Donau-City-Straße 6, 1220 Wien. Abgabe: NR, apothekenpflichtig. Pharmakotherapeutische<br />
Gruppe: Leukotrienrezeptor-Antagonist; ATC-Code: R03DC03. Weitere Angaben zu Besondere<br />
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln<br />
und sonstige Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit sowie Nebenwirkungen<br />
sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen<br />
POLLINEX ® Quattro Zusammensetzung: 1 Flasche enthält nach individueller ärztlicher Rezeptur<br />
zusammen-gestellte, an L-Tyrosin adsorbierte, glutaraldehydbehandelte Pollenextrakte (Allergoide)<br />
standardisiert in Standardised Units (SU), Monophosphoryl-Lipid A/AF (MPL ® ), L-Tyrosin, Phenol,<br />
Natriumchlorid, Natriummonohydrogenphosphat·12H2O, Natriumdihydrogenphosphat·2H20,<br />
Wasser für Injektionszwecke. Die Charakterisierung und Standardisierung der Extrakte erfolgt<br />
durch immunologische und biochemische Verfahren, die zum Teil auch eine Messung des Gehaltes<br />
an Major-Allergen und der Gesamtallergenität beinhalten. Anwendungsgebiete: Allergieimpfung<br />
(Hyposensibilisierung) bei allergischen Erkrankungen (IgE-vermittelt), die durch Pollenallergene<br />
hervorgerufen werden. Gegenanzeigen: Akute oder chronische (Focus) Infektionen oder Entzündungen,<br />
Sekundärveränderungen am Reaktionsorgan, Autoimmunerkrankungen, Immundefekte,<br />
maligne Erkrankungen mit aktuellem Krankheitswert, Überempfindlichkeit gegen die sonstigen<br />
Bestandteile in POLLINEX ® Quattro, Störungen des Tyrosinstoffwechsels, Behandlung mit ?-Blockern,<br />
Krankheiten aufgrund deren das Arzneimittel Adrenalin nicht eingesetzt werden darf,<br />
Schwangerschaft, Stillzeit. Bei einer akuten Infektion, fieberhaften Zuständen sowie bei einem<br />
schweren Asthmaanfall darf die nächste Injektion erst 24 bis 48 Stunden nach Normalisierung des<br />
Gesundheitszustandes erfolgen. Nicht für Kinder unter sechs Jahren. Vorsicht bei cardialer und pulmonaler<br />
Insuffizienz. Zum zeitlichen Abstand zu Schutzimpfungen siehe Hinweise in der<br />
Gebrauchsinformation. Nebenwirkungen: Neben Lokalreaktionen können milde bis gesteigerte<br />
Allgemeinreaktionen, in seltenen Fällen Schockreaktionen auftreten. Eine Verschlimmerung eines<br />
atopischen Ekzems ist möglich. Vorsichtsmaßnahmen sowie erforderliche Maßnahmen, Medikamente<br />
und Instrumente zur Behandlung von Nebenwirkungen siehe Gebrauchs-information.<br />
Äußerst selten kommen verzögerte Reaktionen vom Typ III vor. Hinweise: In seltenen Fällen kann<br />
nach der Injektion leichte Müdigkeit auftreten. Ist dies der Fall, sollte der Patient kein Kraftfahrzeug<br />
führen und keine Maschinen bedienen. Verschreibungspflichtig. © Bencard Allergie GmbH,<br />
Hertha-Firnberg-Straße 3/29, A-1100 Wien, Tel. (01) 606 11 11 Fax (01) 606 11 24,Internet:<br />
www.bencard.at. Stand: Juli 2008<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 35
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
„Nahrungsmittelunverträglichkeit:<br />
Allergie oder ...?“<br />
GASTROINTESTINALE BESCHWERDEN, Hautveränderungen oder<br />
Atemwegsbeschwerden nach dem Verzehr von Nahrungsmitteln werden<br />
von den Betroffenen oft mit der Nahrungsmittelaufnahme in Verbindung<br />
gebracht. Diesen vermeintlichen Zusammenhang einer korrekten Diagnose<br />
zuzuführen ist die Herausforderung bei der Abklärung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten.<br />
EINLEITUNG<br />
Wir essen tagtäglich, und das mehrmals. Gelegentlich drückt der<br />
Magen, die Haut oder die Nase juckt, wir ringen nach Luft. Wir<br />
denken bald an das kürzlich verzehrte Essen. Da wir tagtäglich<br />
mehrmals Nahrungsmittel aufnehmen, werden Beschwerden wie<br />
Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Hautveränderungen,<br />
Durchfall, aber auch Atemwegsbeschwerden bis hin zu einer<br />
verlegten Nase durch die Betroffenen oft mit der Nahrungsmittelaufnahme<br />
in Verbindung gebracht. Diesen vermeintlichen<br />
Zusammenhang einer korrekten Diagnose zuzuführen ist die<br />
Herausforderung in der Abklärung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten.<br />
Die Hitliste der möglichen ursächlichen Nahrungsmittel ist groß<br />
und umfasst die Grundnahrungsmittel bis zu exotischen Früchten.<br />
Rund 20% der Bevölkerung glaubt allergisch auf ein Nahrungs-<br />
IgE-vermittelt<br />
Urtikaria<br />
Asthma<br />
Quincke-Ödem<br />
Rhinitis<br />
Anaphylaxie<br />
36 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
Tab. 1 NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEIT<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
mittel zu sein; tatsächlich unter Ausschöpfung der diagnostischen<br />
Möglichkeiten leiden (nur) 0,5–3% an einer echten Nahrungsmittelunverträglichkeit<br />
(Abb. und Tab. 1). Das soll jetzt nicht heißen,<br />
dass bis zu 20% Hypochonder herumlaufen, sondern dass die<br />
Kausalität zwischen Nahrungsmittel und Beschwerden nicht<br />
belegt werden kann und daher auch nach anderen Ursachen zu<br />
suchen ist (Tab. 2).<br />
EINTEILUNG UND DEFINITIONEN<br />
Krankheitszeichen bei Genuss von Nahrungsmitteln können<br />
nichtimmunologische Erkrankungen (Nahrungsmittelintoleranzen)<br />
oder immunologische Erkrankungen (Nahrungsmittelallergien)<br />
zugrunde liegen. Die Nahrungsmittelintoleranzen umfassen<br />
dabei einen Sammeltopf verschiedener Krankheitsbilder mit<br />
unterschiedlicher Ätiologie (Tab. 1 und Tab. 2):<br />
Nahrungsmittelallergie Nichtallergische Nahrungsmittelunverträglichkeit<br />
Gemischt IgEnicht<br />
IgE-vermittelt<br />
allergische eosinophile<br />
Ösophagitis/<br />
Gastritis<br />
Asthma<br />
Neurodermitis<br />
Nicht IgEvermittelt<br />
Neurodermitis-<br />
Verschlechterung<br />
Zöliakie<br />
Proktokolitis<br />
Ösophagitis<br />
Enteropathie<br />
Toxisch Enzymdefekt Pharmakologisch<br />
z.B. Fisch<br />
z.B. Laktose,<br />
Fruktose<br />
z.B. Histamin<br />
© Tomo Jesenicnik - Fotolia.com
● Durch in Nahrungsmitteln direkt vorhandene oder aus Bakterien<br />
freigesetzte Toxine führen meist zu akuten Krankheitsbildern.<br />
● Angeborene Enzymdefekte, die bereits bei Erstkontakt ohne vorherige<br />
Sensibilisierung Beschwerden bewirken, werden auch unter<br />
dem Namen „Nahrungsmittelidiosynkrasie“ zusammengefasst. Zu<br />
diesen zählt z.B. die Laktoseintoleranz oder die Phenylketonurie<br />
(jeweils Fehlen eines entsprechenden Enzyms).<br />
● In Nahrungsmitteln entweder vermehrt vorkommende oder unspezifisch<br />
(nicht IgE-vermittelt) freigesetzte vasoaktive Amine, wie<br />
z.B. Histamin oder Tyramin, können den IgE-vermittelten Frühreaktionen<br />
sehr ähnliche Symptome hervorrufen.<br />
● Abneigungen gegen Nahrungsmittel müssen abgegrenzt werden.<br />
Die Nahrungsmittelallergien sind entweder (Tab. 1):<br />
1. IgE-vermittelt<br />
2. gemischt IgE- und nicht IgE-vermittelt<br />
3. nicht IgE-vermittelt<br />
DIAGNOSTIK<br />
Bei der Diagnostik der Nahrungsmittelallergie gibt es keinen einzelnen,<br />
beweisenden Laborparameter. Ein stufenweises Vorgehen<br />
unter Berücksichtigung individueller Faktoren ist sinnvoll. Die<br />
Nahrungsmittelallergiediagnostik unterscheidet sich prinzipiell<br />
nicht wesentlich von der Diagnostik anderer allergischer Erkrankungen<br />
(siehe Abb.).<br />
VERTEILUNG<br />
Kinder sind tatsächlich häufiger betroffen als Erwachsene.<br />
Auch sind die Beschwerdebilder schwerwiegender, manchmal<br />
bedrohlich, so dass eine Abklärung über spezialisierte Fachärzte<br />
(Kinder, Haut, HNO, Lunge) und Spezialeinrichtungen<br />
(Allergieambulatorien und Allergieambulanzen) unbedingt zu<br />
fordern ist.<br />
Die Prognose der häufigen IgE-vermittelten Nahrungsmittel-<br />
Allergien ist insgesamt als günstig anzusehen. So verlieren die<br />
meisten (bis zu 80%) der betroffenen Säuglinge und Kleinkinder<br />
ihre Nahrungsmittelallergien im Laufe der Jahre wieder und<br />
vertragen diese Nahrungsmittel danach beschwerdefrei. Der<br />
Verlust der Allergie bzw. die Toleranzentwicklung gegenüber<br />
bestimmte Nahrungsmittel hängt allerdings sehr stark vom<br />
betroffenen Nahrungsmittel ab. Allergien gegen Kuhmilch,<br />
Hühnerei, Soja, Weizen zeigen einen deutlich besseren Verlauf<br />
als Allergien auf Erdnüsse, Haselnüsse, Fisch und Krebstiere<br />
(Tab. 3). Daher ist die Behandlungsentscheidung im Verlauf der<br />
Erkrankung immer mit den betreuenden <strong>Ärzte</strong>n zu besprechen!<br />
Für jene Patienten, die ihre Allergie nicht verlieren, ist eine<br />
stringente Versorgung und Betreuung erforderlich, da hier die<br />
Gefahr der Anaphylaxie allgegenwärtig ist.<br />
Auch Erwachsene haben Nahrungsmittelunverträglichkeiten.<br />
Dies jedoch seltener, entweder als nicht ausgewachsene Allergie<br />
aus dem Kindesalter oder, noch seltener, als neu aufgetretene<br />
Allergie im Erwachsenenalter. Recht häufig tritt eine neu<br />
auftretende Form in Zusammenhang mit einer Allergie der<br />
Atemwege auf (Rhinitis, Asthma), auch als Kreuzallergie<br />
bezeichnet (Tab. 4). Zumeist sind die Erscheinungsbilder dieser<br />
Nahrungsmittelallergien harmloser, aber eine Abklärung über<br />
spezialisierte Fachärzte (Haut, HNO, Lunge) und Spezialein-<br />
Abb.: DIAGNOSTISCHE MÖGLICHKEITEN BEI VERDACHT<br />
AUF NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEIT<br />
1. Anamnese<br />
2. Symptom-Nahrungsmittel-Tagebuch<br />
3. In-vitro-Untersuchungen:<br />
spezifische IgE-Antikörper<br />
4. In-vivo-Untersuchungen:<br />
a. Hautpricktest (inkl. Prick-Prick)<br />
b. (Atopiepatchtest)<br />
5. Provokationstests:<br />
Orale Provokationen<br />
Tab. 2: KLINISCHE AUSPRÄGUNG EINER<br />
NAHRUNGSMITTELALLERGIE NACH ORGANSYSTEMEN<br />
Haut Gastrointestinal<br />
● Urtikaria, Exanthem<br />
● Quincke-Ödem<br />
● Ekzemverschlechterung<br />
● Juckreiz<br />
● Flush<br />
● Übelkeit, Erbrechen<br />
● Durchfall<br />
● Obstipation, Meteorismus<br />
● Bauchscherzen<br />
● Gewichtsverlust, Dystrophie<br />
Respiratorisch Diverse<br />
● Bronchiale Obstruktion<br />
● Rhinokonjunktivitis<br />
● Larynxödem, Stridor<br />
● Husten<br />
Kuhmilch<br />
Hühnerei<br />
Weizen<br />
Soja<br />
● Kopfschmerzen (Migräne)<br />
● Müdigkeit<br />
● Fieber<br />
● Unruhe, Irritabilität<br />
Anaphylaktische Reaktion<br />
Tab. 3: LISTE DER HÄUFIGSTEN NAHRUNGSMITTEL,<br />
DIE ZUMEIST IM KINDESALTER ALLERGISCHE<br />
SYMPTOME AUSLÖSEN<br />
Erdnuss<br />
Haselnuss<br />
Fisch<br />
Schalentiere<br />
richtungen (Allergieambulatorien und Allergieambulanzen) ist<br />
gleichermaßen zu fordern.<br />
THERAPIE<br />
Therapiemöglichkeiten bei Nahrungsmittelallergien umfassen<br />
Eliminationsdiäten und Pharmakotherapien (Anaphylaxie-Notfallset:<br />
Adrenalin, Antihistaminikum, Kortikosteroide). Eine<br />
Beeinflussung des natürlichen Verlaufes von Nahrungsmittelallergien<br />
ist dadurch nach heutigem Verständnis nicht zu erzielen.<br />
Diätempfehlungen für Eliminationsdiäten müssen auf geeigneten<br />
oralen Provokationstestungen beruhen und sind im Kindesalter<br />
jeweils nur für 12–24 Monate gültig, danach muss die klinische<br />
Aktualität neu evaluiert werden. Ärztlich verordnete Diätempfehlungen<br />
können nur in Form einer ausführlichen Diätberatung<br />
durch einen geschulten Diätologen/Ökotrophologen<br />
umgesetzt werden. Die Schulung der Patienten und ihrer Familien<br />
umfasst neben der diätetischen Schulung auch das Erkennen<br />
von allergischen Frühsymptomen und die Behandlung allergischer<br />
Reaktionen nach dem versehentlichen Genuss zu vermeidender<br />
Nahrungsmittel.<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 37
Entgeltliche Einschaltung<br />
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Tab. 4: HÄUFIGE KREUZREAKTIVITÄTEN: ORALES<br />
ALLERGIE-SYNDROM BEI POLLENASSOZIIERTEN ALLERGIEN<br />
Pollen Nahrungsmittel<br />
Birke<br />
Apfel, Haselnuss, Karotte,<br />
Erdäpfel, Kiwi, Sellerie,<br />
Kirsche, Pfirsich<br />
Beifuß Sellerie, Karotte, Fenchel<br />
Ragweed Melone, Banane<br />
Gräser<br />
Erdäpfel, Tomaten,<br />
Wassermelone, Kiwi, Erdnuss<br />
Eine Pharmakotherapie (z.B. Verabreichung von Antihistaminika<br />
oder Steroiden) ist nur als kurzfristige, symptomatische Therapie<br />
beim Auftreten allergischer Symptome zu betrachten. Eine prophylaktische<br />
Dauertherapie mit Antihistaminika oder Steroiden ist nicht<br />
zielführend und nicht indiziert. Antihistaminika mögen zwar einige<br />
IgE-vermittelte Reaktionen an der Haut oder Schleimhaut abschwächen,<br />
haben aber wenige Effekte auf systemische Reaktionen.<br />
Die Behandlung nahrungsmittelinduzierter anaphylaktischer<br />
Reaktionen ist immer ein Notfall. Patienten, die frühere anaphy-<br />
PROMOTION<br />
DIE MEDIZINISCHE SPEZIALSEIDE<br />
DERMASILK kann durch ihr besonderes<br />
Wirkprinzip quälenden Juckreiz rasch stoppen,<br />
die Wundheilung beschleunigen und<br />
schmerzhafte Entzündungen verhindern.<br />
Studien an den Universitätskliniken in Wien,<br />
Zürich und Bologna zeigen u.a., dass die<br />
Wirkung der DermaSilk-Unterbekleidung<br />
mit jener von Kortison vergleichbar ist. Die<br />
Kombination aus Sicherheit, Wirksamkeit<br />
und Tragekomfort überzeugte auch die wissenschaftliche<br />
Vereinigung der europäischen<br />
Dermatologen (EADV). Im neuen Positionspapier<br />
der Arbeitsgruppe ETFAD (European<br />
Task Force on Atopic Dermatitis) wurde die<br />
Spezialseide deshalb als Behandlungsoption<br />
ab leichten Ekzemen empfohlen. 1<br />
38 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
WIRKPRINZIP: KURZSCHLUSS FÜR KEIME<br />
Seide kann Wärme und Feuchtigkeit gut<br />
regulieren. Ihre langen Fasern machen den<br />
Stoff geschmeidig, lindern den Juckreiz<br />
und beschleunigen die Wundheilung. Wissenschafter<br />
machten sich diese positiven<br />
Effekte zunutze und veredelten die Seidenfaser<br />
mit der antimikrobiellen Substanz<br />
AEM5772/5 (Aegis), die bereits seit<br />
vielen Jahren in der Medizin zum Einsatz<br />
kommt (z.B. Steriltücher). Das positiv<br />
geladene Schutzschild Aegis zieht negativ<br />
geladene Keime an und zerstört bei Kontakt<br />
ihre Zellwand. Durch diesen elektrischen<br />
Kurzschluss kann die Besiedelung<br />
von Mikroorganismen und damit eine<br />
laktische Reaktionen hatten, unter Asthma bronchiale leiden oder<br />
allergisch gegen Erdnüsse, Nüsse, Fisch oder Schalentiere sind,<br />
haben ein erhöhtes Risiko für eine anaphylaktische Reaktion. Diese<br />
Patienten sollten immer Epinephrin (Adrenalin) als Selbstmedikationsset<br />
mit sich führen. Bei den ersten Anzeichen einer anaphylaktischen<br />
Reaktion sollte Epinephrin frühzeitig eingesetzt<br />
werden. Es wurde gezeigt, dass bei verzögertem Behandlungsbeginn<br />
die Komplikations- und Sterblichkeitsrate häufiger ist. Eine<br />
Allergen-Immuntherapie (subkutan oder sublingual) mit Nahrungsmitteln<br />
ist derzeit weder verfügbar noch als Standardtherapie<br />
zu empfehlen.<br />
Neue alternative Immuntherapieformen sind zur Zeit in Testung,<br />
stehen aber für den Routineeinsatz nicht zur Verfügung.<br />
Univ.-Prof. Dr. ZSOLT SZÉPFALUSI<br />
Universitätsklinik für Kinder-<br />
und Jugendheilkunde Wien<br />
Zsolt.Szepfalusi@meduniwien.ac.at<br />
Atopische Dermatitis<br />
Medizinische Seide DermaSilk schützt empfindliche Haut<br />
Infektion verhindert werden. Eine Untersuchung<br />
im eb-Haus Salzburg zeigte sogar<br />
bei Epidermolysis bullosa-Patienten sehr<br />
gute Erfolge.<br />
DAUERHAFTE SCHUTZFUNKTION<br />
Bei Fasern die mit Silber oder der Chemikalie<br />
Triclosan behandelt wurden, wird die<br />
Veredelung durch Schwitzen, Tragen und<br />
Waschen wieder herausgelöst. Diese Textilien<br />
verlieren deshalb mit der Zeit immer<br />
mehr an Wirkung. Der Aegis-Schutz von<br />
DermaSilk ist dauerhaft an die Seidenfaser<br />
gebunden und behält damit auch nach starkem<br />
Gebrauch und oftmaligem Waschen<br />
seine antibakterielle und antimykotische<br />
Funktion.<br />
Das Produktsortiment umfasst Verbandstreifen<br />
und -schläuche, Handschuhe,<br />
Kopfhaube, Unterbekleidung etc. für Kinder<br />
und Erwachsene. DermaSilk ist als<br />
Medizinprodukt Klasse I registriert und im<br />
medizinischen Fachhandel (z.B. Bständig,<br />
Heindl, Tappe) erhältlich.<br />
Mehr Information unter www.dermasilk.at<br />
1ETFAD/EADV eczema task force 2009 position paper on diagnosis and<br />
treatment of atopic dermatitis; JEADV 2009
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Neues zum atopischen Ekzem<br />
DAS ATOPISCHE EKZEM (AE), die Neurodermitis, ist eine chronisch<br />
oder chronisch-rezidivierend verlaufende entzündliche Hauterkrankung.<br />
Sie ist durch gerötete, schuppende, sehr trockene und juckende Haut<br />
gekennzeichnet. Die betroffenen Personen leiden sehr unter dieser Erkrankung<br />
und haben oft eine erheblich beeinträchtigte Lebensqualität.<br />
DIE URSACHE DES AE ist noch nicht<br />
völlig geklärt. Ein Zusammenspiel aus<br />
genetischen Faktoren, Umwelteinflüssen<br />
und immunologischen Veränderungen<br />
wird bei der Entstehung dieser Erkrankung<br />
als wichtig erachtet.<br />
EPIDEMIOLOGIE<br />
In der westlichen Welt leiden bis zu 20<br />
Prozent der Kinder an dieser schubhaft<br />
verlaufenden Krankheit. Bei vielen Kindern<br />
kommt es aber mit zunehmendem<br />
Alter, besonders mit Eintritt in die Pubertät,<br />
zu einer dauerhaften Remission der<br />
Krankheit. Statistiken belegen, dass etwa<br />
40 Prozent der an AE leidenden Kinder<br />
die Erkrankung mit zunehmendem Alter<br />
überwinden, während andere sie ihr ganzes<br />
Leben behalten. Bei den Erwachsenen<br />
sind drei bis fünf Prozent betroffen. Ein<br />
Beginn im Erwachsenenalter ist selten<br />
(„Late onset atopic dermatitis“).<br />
ATOPIE UND ATOPISCHER MARSCH<br />
Ein wesentlicher Punkt ist, dass das AE<br />
häufig mit Typ-I-Allergien wie allergische<br />
Rhinokonjunktivitis und allergisches Asthma<br />
vergesellschaftet ist. Diese Konstellation<br />
wird als Atopie beschrieben. Darunter<br />
versteht man eine genetisch bedingte Neigung,Typ-I-Überempfindlichkeitsreaktionen<br />
zu entwickeln. So bilden sich bei 70–<br />
90% aller AE-Patienten spezifische IgE-<br />
Antikörper gegen an und für sich harmlose<br />
Umweltallergene. Untersuchungen haben<br />
gezeigt, dass Kinder mit AE ein erhöhtes<br />
Risiko haben, später im Leben respiratorische<br />
Allergien (allerg. Rhinokonjunktivitis<br />
und allergisches Asthma) zu entwickeln.<br />
Diese Entwicklung wird als „atopischer<br />
Marsch“ bezeichnet. Es ist daher wichtig,<br />
die Eltern von Kindern mit AE über diesen<br />
Zusammenhang aufzuklären, so dass diese<br />
auf erste Anzeichen einer allergischen Rhinokonjunktivitis<br />
und Asthma achten.<br />
KLINIK UND DIAGNOSE<br />
Das klinische Erscheinungsbild des AE ist<br />
altersspezifisch. Während der ersten<br />
Lebensmonate kann sich eine gelbe<br />
Schuppenkruste am Capillitium bilden<br />
(Milchschorf). Die Erkrankung kann sich<br />
dann im Kleinkindesalter auf Gesicht und<br />
Streckseiten der Extremitäten ausbreiten.<br />
Danach entwickelt sich das typische Beugenekzem.<br />
Häufig findet man als Folge<br />
von Juckreiz und Kratzen eine Lichenifikation<br />
der Haut.<br />
Die Diagnosestellung des AE erfolgt klinisch.<br />
Als Hilfestellung wurden von Hanifin<br />
und Rajka exakte diagnostische Kriterien<br />
entwickelt (Hanifin J.M., Rajka G., Diagnostic<br />
features of atopic dermatitis. Acta Derm.<br />
Venereol (Stockh) 1980; 92 (Suppl.):44–<br />
47). Demzufolge sind 3 der 4 Hauptkriterien<br />
nötig: Juckreiz, typische Morphologie und<br />
Verteilung der Hautläsionen, chronisch oder<br />
chronisch rezidivierender Verlauf und positive<br />
Eigen- oder Familienanamnese für atopische<br />
Erkrankungen, zusätzlich zu mindestens<br />
3 von 21 Minorkriterien.<br />
JUCKREIZ UND NEIGUNG<br />
ZU INFEKTIONEN<br />
Zu den wesentlichen Merkmalen des AE<br />
zählt der quälende Juckreiz, der durch eine<br />
niedrige Juckreizschwelle erklärt wird.<br />
Umweltallergene wie Hausstaubmilben und<br />
Redaktion: Dr. Hannelore Nöbauer<br />
irritierende Substanzen verschlimmern den<br />
„Itch-Scratch-Circle“ (Juck-Kratz-Teufelskreis).<br />
Am Ende steht die aufgeriebene, bisweilen<br />
blutig aufgekratzte Haut. Dort siedeln<br />
sich Bakterien, Viren und Pilze an und<br />
führen zu Infektionen, die wiederum das<br />
Immunsystem massiv stimulieren und zu<br />
einem Schub führen können.<br />
BARRIEREDEFEKT<br />
UND GENETISCHE PRÄDISPOSITION<br />
Ganz typisch für die Erkrankung ist die<br />
trockene Haut. Grundlage der Symptomatik<br />
ist eine geschwächte Barrierefunktion<br />
der Epidermis. Die Ursache des Barrieredefekts<br />
liegt einerseits bei einem Mangel<br />
an Stratum-corneum-Lipiden wie Ceramid<br />
und Lipiden und andererseits an einem<br />
genetisch bedingten Funktionsverlust von<br />
Filaggrin, einem Strukturprotein des Stratum<br />
corneum. Die Patienten leiden an<br />
einem Permeabilitätsbarrieredefekt. Die<br />
Feuchtigkeit kann nicht in der Haut gehalten<br />
werden, so dass diese austrocknet. Der<br />
Barrieredefekt begünstigt ein perkutanes<br />
Eindringen von Umweltallergenen und<br />
pathogenen Keimen und in der Folge die<br />
Entwicklung von allergischen Reaktionen<br />
und Infektionen.<br />
Schon lange ist bekannt, dass das AE auf<br />
dem Boden einer genetischen Prädisposition<br />
entsteht. Zwei Drittel der Patienten<br />
weisen eine familiäre Vorgeschichte auf.<br />
Darüber hinaus zeigen Zwillingsstudien<br />
eine Konkordanz von 80% bei homozygoten<br />
und 30% bei dizygoten Zwillingen.<br />
Ein polygener Vererbungsmodus wurde<br />
vorgeschlagen. Genetische Studien zeigten<br />
den Einfluss von multiplen Mediatoren<br />
der atopischen Entzündung auf. Bis dato<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 39
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
sind die Loss-of-Function-Mutationen des<br />
Filaggrin-Gens der bedeutendste genetische<br />
Defekt. Diese finden sich bei 18–<br />
47% aller getesteten europäischen Patienten<br />
mit AE und sind somit der wichtigste<br />
genetische Risikofaktor für die Entwicklung<br />
eines AE.<br />
Zusätzlich beeinflussen endogene Faktoren<br />
wie Stress den Ausbruch und Verlauf<br />
der Erkrankung.<br />
THERAPIE<br />
Patienteninformation und Aufklärung<br />
Die Aufklärung der Patienten ist eine wichtige<br />
Säule in der Patientenführung und<br />
ermöglicht den Aufbau von Vertrauen zwischen<br />
Arzt, Patient und Familie. Den<br />
Patienten sollte eine strukturierte Neurodermitisschulung<br />
angeboten werden und folgende<br />
Punkte umfassen: genetische Disposition,<br />
Behandlung der Trockenheit der<br />
Haut, Vermeidung von Triggerfaktoren,<br />
Vermeidung von Schwitzen, Maßnahmen<br />
gegen Innenraumallergien, Reduktion der<br />
Pollenexposition, Information zur Wirkung<br />
von Sonne, Vermeidung von bakteriell kontaminierten<br />
Umweltgegenständen, Vermeidung<br />
von Kontakt mit Menschen mit aktivem<br />
Herpes simplex, Information zu Vakzinierungen<br />
und Information zur Ernährung.<br />
Die Therapie des AE richtet sich nach der<br />
Schwere der Symptome und wird individuell<br />
angepasst. Als Anhaltspunkt dient<br />
ein Stufenschema (siehe Abb.).<br />
Basispflege<br />
Ein besseres molekulares und biochemisches<br />
Verständnis der Faktoren, die der<br />
„trockenen Haut und der Allergieneigung“<br />
zugrunde liegen, wird zukünftig zu einer<br />
Verbesserung topischer Medikamente und<br />
zur Reparatur des Barrieresystems führen.<br />
Die tägliche Basispflege soll 2-mal täglich<br />
angewendet werden und dient der Stabilisierung<br />
der Barrierefunktion der Haut. Bei<br />
der Auswahl der Pflegecreme soll darauf<br />
Abb.: STUFENTHERAPIE DES ATOPISCHEN EKZEMS<br />
Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4<br />
trockene Haut leichte Ekzeme moderate Ekzeme persistierende, schwer ausgeprägte Ekzeme<br />
● Basispflege der Haut<br />
● antiseptische Wirkstoffe<br />
● Behandlung des Juckreizes<br />
● systematische Therapie (z.B. Cyclosporin A)<br />
geachtet werden, dass diese rückfettend ist<br />
und ca. 5% Urea beinhaltet. Produkte, die<br />
Erdnussöl beinhalten, sollten aufgrund des<br />
allergenen Potenzials gemieden werden.<br />
Darüber hinaus sollen unspezifische Triggerfaktoren<br />
vermieden werden.<br />
Antientzündliche Therapie<br />
Zum Management von Schüben wird eine<br />
antiinflammatorische Behandlung mit<br />
topischen Glukokortikoiden und topischen<br />
Calcineurininhibitoren empfohlen. Topische<br />
Kortikosteroide bleiben die Hauptstütze<br />
der Therapie. Bei bestimmten Lokalisationen<br />
(Gesicht, Achseln, inguinal,<br />
Genitalregion) und im Langzeitmanagement<br />
sind die topischen Calcineurininhibitoren<br />
Tacrolimus und Pimecrolimus zu<br />
bevorzugen. Eine „proaktive Behandlung“<br />
mit Tacrolimus im Sinne einer Schubprophylaxe<br />
wurde erst kürzlich als klinisch<br />
wirksam und kosteneffektiv evaluiert:<br />
2-mal/Woche werden die typischen<br />
Problemstellen (z.B. in den Ellenbeugen)<br />
● äußerliche Behandlung mit Glukokortikoiden der Klasse 2 und 3 und/oder Calcineurinhemmern<br />
● äußerliche Behandlung mit Glukokortikoiden der Klasse 1 und 2 (äußerlich) und/oder Calcineurinhemmern<br />
● Vermeidung und Reduktion von Provokationsfaktoren<br />
40 ÄRZTE KRONE | Allergie 10
ehandelt, auch wenn rein äußerlich keine<br />
Veränderungen wahrnehmbar sind und die<br />
Haut optisch als gesund erscheint.<br />
Systemische antientzündliche Therapie<br />
Eine systemische antientzündliche Behandlung<br />
sollte einzig bei sehr schweren<br />
Fällen zur Anwendung kommen. Systemische<br />
Kortikosteroide sind schnell wirksam,<br />
dürfen aber aufgrund der Nebenwirkungen<br />
nur kurzfristig angewendet werden. Darüber<br />
hinaus haben sich Cyclosporin A (3–5<br />
mg/kg/Tag) und Azathioprin (2,5 mg/kg/<br />
Tag) als wirksam erwiesen. Alternativ<br />
konnte in kleine Studien die Wirksamkeit<br />
von Mycophenolat Mofetil nachgewiesen<br />
werden.<br />
Andere begleitende Therapien<br />
Eine adjuvante Phototherapie kann das<br />
Erscheinungsbild des AE verbessern, die<br />
bakterielle Kolonisierung vermindern und<br />
den Verbrauch von topischen antientzündlichen<br />
Medikamenten reduzieren.<br />
Antibiotika und Virostatika sind bei Anzeichen<br />
einer bakteriellen Superinfektion und<br />
Eczema herpeticatum indiziert.<br />
Adjuvant können systemische Antihistaminika<br />
zur Erleichterung des Juckreizes verabreicht<br />
werden.<br />
Derma Silk ist eine speziell mit einer quaternären<br />
Ammoniumbase behandelte Seidenbekleidung,<br />
die Bakterien bindet und<br />
tötet und so bakteriell bedingte Exazerbation<br />
reduziert. Derzeit liegen zwei<br />
kleine Studien vor, die eine signifikante<br />
Verbesserung der Hautsymptomatik<br />
zeigten.<br />
Biologika und Probiotika<br />
Biologika: Bis dato gibt es einzelne<br />
Pilotstudien und Fallberichte zum Ef-<br />
Allergie auf Reisen<br />
fekt von verschiedenen Biologika bei<br />
schweren therapieresistenten Patienten mit<br />
atopischem Ekzem. Repräsentative randomisierte<br />
Studien fehlen. Daher kann diesbezüglich<br />
keine Empfehlung gegeben werden.<br />
Probiotika: Therapieregime mit Probiotika<br />
zielen darauf ab, die Mikroflora im Darm<br />
zu modulieren und so eine „allergieprotektive“<br />
T-Helfer-1-Immunantwort statt einer<br />
„allergiepermessiven“ T-Helfer-2-Immunantwort<br />
zu stimulieren. Leider konnte nach<br />
ersten viel versprechenden Ergebnissen<br />
kein nützlicher Effekt bestätigt werden.<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
TAMARA KOPP<br />
Universitätsklinik für<br />
Dermatologie Wien<br />
tamara.kopp@meduniwien.ac.at<br />
DIE SCHÖNE WEITE WELT zeigt sich manchen AllergikerInnen nicht<br />
immer als das, was die Reiseprospekte versprechen. Nur allzu oft endet<br />
der wohlverdiente Urlaub für Allergiker beim Arzt.<br />
WO LIEGEN DIE VERSTECKTEN FAL-<br />
LEN? Sie können unter anderem in der<br />
Unterkunft zu finden sein (Milben, Pilzsporen),<br />
in der Verpflegung (Nahrungsmittelallergien<br />
oder -unverträglichkeiten) oder<br />
besonders auch in unerwarteten Pollenoder<br />
Sporenbelastungen liegen. Wer weiß<br />
denn schon so genau, wann und wo welche<br />
Pollen in welcher Menge in der Atemluft<br />
vorkommen? Nicht einmal der Hausarzt,<br />
aber auch nicht der Allergologe können in<br />
der Regel schlüssige Aussagen dazu<br />
machen. Und ehrlich gesagt: Auch die Pollenwarndienste<br />
können höchstens zur lokalen<br />
Situation genauer Auskunft geben. Was<br />
sich auf Hawaii tut, oder auf Phuket, in<br />
Wladiwostok oder in Kapstadt – es kann<br />
nur erahnt werden. Daten gibt es von außerhalb<br />
Europas nur sehr spärlich. Auch Reisebüros<br />
wissen meist nicht Bescheid.<br />
EUROPÄISCHE POLLEN-DATENBANK<br />
Dass der Beifuß im August blüht, weiß doch<br />
jedes Kind – zumindest jeder davon betroffene<br />
Allergiker. Dass diese Pollen aber auf<br />
Teneriffa im April in größeren Mengen auf-<br />
treten, ist auch uns erst vor<br />
nicht allzu langer Zeit zur<br />
Kenntnis gebracht worden, als<br />
wir Teneriffa in die europäische<br />
Pollen-Datenbank aufnehmen<br />
konnten. Damit kommen<br />
wir auch schon zum<br />
Kernpunkt: die europäische<br />
Pollen-Datenbank (EAN). Sie<br />
ist die Grundlage für alle pollen-<br />
und allergiebezogenen<br />
Informationen und wissenschaftlichen<br />
Arbeiten, die<br />
regelmäßig in den verschiedensten<br />
Medien veröffentlicht<br />
werden. Mittels längerer<br />
Datenreihen können unter<br />
anderem Karten mit der<br />
durchschnittlichen Pollenbelastung<br />
erstellt werden, die für<br />
die Urlaubsplanung hilfreich<br />
sind. Diese Karten sind im<br />
Internet auf www.pollenwarndienst.at<br />
unter „Verbreitung“<br />
abrufbar. Bei Auswahl eines<br />
Pollentyps bekommt man für die Periode,<br />
während der dieser Pollentyp irgendwo in<br />
Abb. 1: BIRKENPOLLENVERTEILUNG IN DEN LETZEN<br />
10 TAGEN IM APRIL<br />
sehr niedrig<br />
niedrig<br />
mäßig<br />
hoch<br />
sehr hoch<br />
Europa regelmäßig vorkommt, pro Monat<br />
drei Karten mit der Situation zu Anfang,<br />
ÄRZTE KRONE | Allergie 10 41
ALLERGIE – STATE OF THE ART<br />
Mitte, und Ende des Monats zu sehen (siehe<br />
Abb. 1–3). Wer also nicht vom Regen in die<br />
Traufe geraten will, tut gut daran, sich dieser<br />
Information zu bedienen.<br />
SPEZIELLES SERVICE FÜR<br />
MITTELMEERURLAUBER<br />
Die Internetsite bietet darüber hinaus für fast<br />
alle Länder Europas aktuelle Informationen<br />
und Vorhersagen zum Thema Pollenflug in<br />
Englisch und in der Landessprache. Wo<br />
immer möglich, wird auch ein <strong>Link</strong> zu den<br />
lokalen Polleninformationsstellen geboten.<br />
Diese sind jedoch meist nur in der Landessprache<br />
gehalten. Geschäftsreisende werden<br />
sich über die Situation an ihrem Zielort<br />
informieren und gegebenenfalls ausreichend<br />
Vorsorgemaßnahmen treffen (Medikamente).<br />
Für Mittelmeerurlauber gibt es ein spezielles<br />
Service mit Vorhersagekarten auf<br />
MedAeroNet: http://www.pollens.fr/medaeronet/home.php.<br />
Gelegentlich kann es zu Episoden von Ferntransport<br />
größerer Pollenmengen kommen.<br />
Kurzfristig sind daher Belastungen durch<br />
Pollen außerhalb der lokalen Blütezeit ebenso<br />
möglich. Das trifft besonders auf Birkenpollen<br />
zu, die mitunter einige Tausend Kilometer<br />
reisen können, wie ein Vorfall Anfang<br />
Mai 2006 zeigte, wo erkleckliche Pollenmengen<br />
aus Westrussland bis nach Island verweht<br />
wurden. Das führte zu den stärksten bislang<br />
aufgetretenen Allergiesymptomen in Reykjavík,<br />
hervorgerufen durch Birkenpollen.<br />
AUCH POLLEN BETREIBEN<br />
MASSENTOURISMUS<br />
Ähnliches ist bei Ragweed-Pollen – allerdings<br />
ohne Symptomatik – vorgefallen.<br />
Ragweed-Pflanzen sind nordwärts nur bis<br />
Südschweden anzutreffen. Dennoch gab es<br />
2005 an zwei Tagen deutlich überschwellige<br />
Konzentrationen an Pollen im westlichen<br />
Finnland und nördlich des Polarkreises<br />
und somit erstmals Ragweedpollen<br />
in dieser Region. Finnen sind dagegen<br />
noch nicht sensibilisiert, daher kam es zu<br />
keinen Problemen. Der Ursprung dieser<br />
Pollen wurde in der Ukraine lokalisiert.<br />
Genau genommen ist man also nirgendwo<br />
absolut sicher, weil zwar sehr selten, aber<br />
doch kurzfristig, auch Pollen Massentourismus<br />
betreiben.<br />
Natürlich gibt es auch „sichere“ Gebiete<br />
abseits von Nordpol oder Sahara. Die<br />
Sommertrockenheit im mediterranen<br />
Raum garantiert eine weitgehend pollenfreie<br />
Luft im Juli und August, also zur<br />
42 ÄRZTE KRONE | Allergie 10<br />
üblichen Ferienzeit. In Höhenlagen von<br />
über ca. 1500 Meter gibt es auch keine<br />
Hausstaubmilben mehr. Selbst Pollen sind<br />
dort normalerweise nicht mehr in so großen<br />
Mengen vorhanden wie<br />
in den Tälern. Die Luft in den<br />
Tropen ist zwar nicht gänzlich<br />
frei von Pollen, doch<br />
kommen dort andere Pollen<br />
vor als in unseren Breiten. In<br />
der Regel rufen diese keine<br />
allergischen Reaktionen hervor.<br />
SICHERSTE METHODE:<br />
VERMEIDUNG DES<br />
ALLERGENKONTAKTES<br />
Nach wie vor bleibt die Vermeidung<br />
des Allergenkontaktes<br />
die sicherste Methode.<br />
Das ist zugegebenermaßen<br />
bei Pollen nicht einfach, aber<br />
gelegentlich machbar, sofern<br />
Angaben zur zeitlichen und<br />
räumlichen Verteilung der<br />
Pollen verfügbar sind. Dies zu<br />
ermöglichen ist vordringliche<br />
Zielsetzung des Pollenwarndienstes.<br />
Voraussetzung für<br />
eine erfolgreiche Reduktion<br />
des Pollenkontaktes ist eine<br />
klare Diagnose, also ein Allergietest.<br />
Wer noch mehr Interesse<br />
an den Zusammenhängen<br />
hat, kann sich des Tagebuches<br />
im Internet auf<br />
http://www.pollentagebuch.at/<br />
bedienen, wo die Symptome<br />
mit dem Pollenflug der Region<br />
graphisch verglichen werden.<br />
So kann bei Ortswechsel der<br />
positive oder negative Effekt<br />
genau dokumentiert werden.<br />
Sind die Symptome einmal<br />
eingetreten, gilt es Glanzleistungen<br />
sportlicher oder alkoholischer<br />
Natur zu unterlassen,<br />
wenn möglich im Freien<br />
den Laubwald aufzusuchen,<br />
das Camping-Zelt zugunsten<br />
eines Hotelzimmers einzutauschen.<br />
Modische breitkrempige<br />
Hüte und Sonnenbrillen<br />
können ebenfalls wie<br />
häufiges (kühles) Duschen<br />
(Baden) und Haarewaschen<br />
als kleine Erleichterungen<br />
das Wohlbefinden ein wenig<br />
anheben.<br />
Moderne Medikamente bringen sichere<br />
Linderung der Beschwerden. Auf sie sollte<br />
man in der Reiseapotheke nicht verzichten.<br />
Abb. 3: BIRKENPOLLENVERTEILUNG 10.–20. MAI<br />
sehr niedrig<br />
niedrig<br />
mäßig<br />
hoch<br />
sehr hoch<br />
Abb. 2: BIRKENPOLLENVERTEILUNG IN DEN ERSTEN<br />
10 TAGEN IM MAI<br />
sehr niedrig<br />
niedrig<br />
mäßig<br />
hoch<br />
sehr hoch<br />
Univ.-Prof. Dr. SIEGFRIED JÄGER<br />
Aerobiologie<br />
HNO-Klinik der Medizinischen<br />
Universität Wien<br />
siegfried.jaeger@meduniwien.ac.at