Technologieorientierte Zukunftsprognose der Warmmassivumformung
Technologieorientierte Zukunftsprognose der Warmmassivumformung
Technologieorientierte Zukunftsprognose der Warmmassivumformung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
8<br />
Forum<br />
Technology Oriented Future Prognosis for Hot Forging<br />
<strong>Technologieorientierte</strong><br />
<strong>Zukunftsprognose</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Warmmassivumformung</strong><br />
Dipl.-Ing. Henning Möller,<br />
Aachen<br />
Zusammenfassung: Hypothesen Kundenauswertung<br />
H 1: »Leichtbauwerkstoffe bei Schmiedeteilen werden trotz des höheren Preises zunehmen.«<br />
H 2: »Da Bauteile immer einfacher werden, werden Schmiedeteile immer geeigneter.«<br />
H 3: »In mindestens drei von sechs Systemfel<strong>der</strong>n wird sich in den nächsten 15 Jahren<br />
ein Technologiewandel vollziehen, <strong>der</strong> für Schmiedeteile Auswirkungen haben wird.«<br />
H 4: »Die signifikanten Vorteile <strong>der</strong> Schmiedetechnologie rechtfertigen den Preis.«<br />
H 5: »Für 90% aller Bauteile steht Schmieden als Fertigungsverfahren vor <strong>der</strong><br />
Detailkonstruktion fest.«<br />
H 6: »In 10 Jahren werden Schmiedeteile 30 % mehr <strong>der</strong> Bauteile im Auto ausmachen.<br />
Substitutionstechnologien spielen dabei keine Rolle.«<br />
H 7: »Steigende Rohmaterialpreise begünstigen Wettbewerbstechnologien und –werkstoffe.«<br />
H 8: »Die Fertigteilbearbeitung ist beim Umformlieferanten sowohl technisch als auch<br />
wirtschaftlich besser aufgehoben.«<br />
H 9: »F&E-Dienstleistungen werden von den Kunden <strong>der</strong> Schmieden nachgefragt<br />
und auch bezahlt.«<br />
Legende: = trifft nicht zu = trifft teilweise zu = trifft voll zu<br />
Bild 1: Leithypothesen <strong>der</strong> Studie<br />
Genau diesen Fragen hat sich das Fraunhofer-Institut<br />
für Produktionstechnologie IPT,<br />
Aachen im Auftrag des Industrieverband<br />
Massivumformung e. V. angenommen, um die<br />
Zukunftsaussichten <strong>der</strong> <strong>Warmmassivumformung</strong><br />
in einer Studie detailliert zu analysieren.<br />
Die wesentlichen Ergebnisse und das Studiendesign<br />
werden im Folgenden dargestellt.<br />
Studiendesign<br />
Zunächst wurden gemeinsam mit dem<br />
Industrieverband Massivumformung e. V. in<br />
einem Workshop mit Stellvertretern <strong>der</strong><br />
deutschen Schmiedeindustrie Leithypothesen<br />
formuliert (Bild 1), die durch die Studie belegt<br />
o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>legt werden sollten. Aufgrund des<br />
großen Umfangs <strong>der</strong> Studienergebnisse werden<br />
nur die Erkenntnisse einzelner Hypothesen<br />
Schmiede-Journal September 2006<br />
Competition in the metal processing industry has increased immensely. In particular, competitors<br />
from China and India have up-skilled in the area of quality and are placing European standard<br />
product provi<strong>der</strong>s un<strong>der</strong> massive price pressure. In addition there is a rapid development of new<br />
production technologies in the area of fibre-reinforced composites. Can the German forging<br />
industry face up to this challenge in the future as well? Which production technologies pose the<br />
greatest danger of substitution and which radical product innovations could lead to a reduction in<br />
the need for forged components?<br />
Der Wettbewerb hat in <strong>der</strong> metallverarbeitenden Industrie<br />
enorm zugenommen. Insbeson<strong>der</strong>e die Konkurrenten in Indien<br />
und China haben qualitativ dazugelernt und setzen europäische<br />
Anbieter bei Standardprodukten unter massiven Kostendruck.<br />
Hinzu kommt eine rasante Entwicklung neuer Fertigungstechnologien<br />
im Bereich<br />
exemplarisch dargestellt. Die Ergebnisse zu<br />
je<strong>der</strong> Hypothese sind deswegen komprimiert im<br />
Bild 1, oben, mit dargestellt. Die auf <strong>der</strong> linken<br />
Seite dargestellten Punkte indizieren dabei, ob<br />
die Hypothese durch die Studie belegt, zum<br />
Teil belegt o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>legt werden konnte.<br />
Die Studie wurde in drei Teile geglie<strong>der</strong>t. Zunächst<br />
erfolgte eine Befragung deutscher<br />
Schmiedeunternehmen. Dazu wurden insgesamt<br />
73 Unternehmen angeschrieben, von denen 27<br />
den Fragebogen ausgefüllt zurücksendeten. Von<br />
diesen 27 Rückläufern hatten über 75 % einen<br />
Umsatz unter 100 Mio. EUR im Jahr. Entsprechend<br />
lag die Anzahl <strong>der</strong> beschäftigten<br />
Mitarbeiter bei 74 % <strong>der</strong> Rückläufer unter 500.<br />
Die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> Schmiedeindustrie<br />
wurden durch eine detaillierte Analyse<br />
von Sekundärquellen wie z. B. Studien,<br />
<strong>der</strong> Faserverbundwerkstoffe.<br />
Kann die deutsche Schmiedeindustrie<br />
auch zukünftig<br />
diesen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
begegnen? Welche Fertigungstechnologien<br />
stellen die größte<br />
Substitutionsgefahr dar und<br />
welche radikalen Produktinnovationen<br />
können zu einer<br />
Reduktion des Bedarfs an<br />
Schmiedebauteilen führen?<br />
aktuellen Forschungsprojekten, Veröffentlichungen<br />
und durch Experteninterviews ergänzt.<br />
Abgerundet wurden die Ergebnisse durch<br />
eine Befragung <strong>der</strong> Kunden <strong>der</strong> Schmiedeindustrie.<br />
Dazu wurden über 600 Experten<br />
<strong>der</strong> Automobilindustrie angeschrieben. Diesen<br />
dritten Teil <strong>der</strong> Studie beantworteten 38 Experten,<br />
die im Wesentlichen Automobil- o<strong>der</strong><br />
Nutzfahrzeughersteller waren. Nur ein Viertel<br />
<strong>der</strong> Rückläufer waren Zulieferer, die wie<strong>der</strong>um<br />
zu 80 % Erstlieferanten waren.<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> Studie<br />
Die Studie hat gezeigt, dass die deutsche<br />
Schmiedeindustrie durch verschiedene Umfeldeinflüsse<br />
verstärkt unter Druck gesetzt wird.<br />
Als ein wesentlicher Grund ist <strong>der</strong> steigende
Kostendruck zu nennen, dem sich die gesamte<br />
europäische Wirtschaft stellen muss. Dies führt<br />
dazu, dass die Entwicklungsabteilungen <strong>der</strong><br />
Automobilhersteller verstärkt Kostenverantwortung<br />
tragen müssen und dadurch alternative<br />
Fertigungsverfahren bei ca. 80 % <strong>der</strong> Bauteile<br />
vor <strong>der</strong> Detailkonstruktion prüfen.<br />
Es bleibt jedoch nicht nur bei <strong>der</strong> technischen<br />
und monetären Bewertung alternativer Fertigungstechnologien.<br />
Die Industrie ist vielmehr<br />
bemüht, kostengünstige Verfahren weiter-<br />
zuentwickeln, um damit Bauteile mit nahezu<br />
identischen mechanischen Eigenschaften – wie<br />
Schmiedeteile sie heute bereits erzielen –<br />
herzustellen. Als wesentliche Konkurrenztechnologien<br />
zur Schmiedetechnologie sind mo<strong>der</strong>ne<br />
Gussverfahren wie New Rheocasting,<br />
Thixoforming o<strong>der</strong> Counter Pressure Casting<br />
zu nennen sowie das Sintern o<strong>der</strong> die Blechumformung.<br />
Wobei hier anzumerken ist, dass die<br />
Schmiedetechnologie nicht zwangsläufig die<br />
teurere Alternative sein muss. Kritisch zu bewerten<br />
ist allerdings, dass diese Meinung bei<br />
vielen Kunden vorherrscht.<br />
Neben den Fertigungstechnologien spielt die<br />
Substitution von Schmiedebauteilen durch Produktinnovationen<br />
im Fahrzeug eine untergeordnete<br />
Rolle. Nur <strong>der</strong> Hybridantrieb spielt aus<br />
Sicht <strong>der</strong> Befragten in den nächsten 5 Jahren ei-<br />
ne größere Rolle auf dem Markt und wird eine<br />
negative Auswirkung auf den Einsatz von<br />
Schmiedeteilen haben (Bild 2).<br />
Die aufgezeigten Substitutionsrisiken werden<br />
durch einen vermehrten Trend zum Leichtbau<br />
sowie eine deutliche Zunahme <strong>der</strong> Komplexität<br />
<strong>der</strong> Bauteile verstärkt. Als Leichtbauwerkstoffe<br />
werden von 91 % <strong>der</strong> Befragten Aluminiumlegierungen<br />
und von 70 % Faserverbundwerkstoffe<br />
genannt. Titan- und Magnesiumlegierungen<br />
sowie Metallschäume spielen eine<br />
Hypothese 2 – Technologische Diskontinuitäten<br />
»Wann werden folgende Produktinnovationen eine signifikante Marktdurchdringung von über 10% erreichen?«<br />
Motor Hybrid parallel<br />
Hybrid seriell<br />
Brennstoffzelle<br />
Getriebe CVT<br />
Shift by wire<br />
Fahrwerk Aktives FDS<br />
Brake by wire<br />
Lenkung Steer by wire<br />
/Sicherheit Aufprallsyst./Energie<br />
Karosserie Spaceframe<br />
New Steel Body<br />
Powertrain Hydr. Kraftübertr.<br />
Elektronabenmotor<br />
Median<br />
2012<br />
2015<br />
2020<br />
2010<br />
2015<br />
2012<br />
2018<br />
2020<br />
2010<br />
2010<br />
2010<br />
2015<br />
2020<br />
Min<br />
2008<br />
2008<br />
2015<br />
2009<br />
2007<br />
2009<br />
2010<br />
2010<br />
2008<br />
2010<br />
2010<br />
2010<br />
2011<br />
Max<br />
2020<br />
2020 1<br />
2030<br />
2015 2<br />
2020<br />
2015<br />
2030<br />
2020<br />
2015<br />
2012 3<br />
2025<br />
2020 4<br />
2025<br />
# Antworten<br />
18<br />
12<br />
15<br />
9<br />
14<br />
9<br />
12<br />
10<br />
8<br />
4<br />
5<br />
2<br />
8<br />
Legende: 1 = 1 „nie“ (9); 2 = 3 „nie“ (9,19,21); 3 = 2 „nie“ (9,25); 4 = 1 „nie“ (30)<br />
Bild 2: Produktinnovationen und Ihre Auswirkung auf Schmiedeteile<br />
Hypothese 3 – Trend zu komplexen Bauteilen<br />
Fahrzeugindustrie<br />
»Dieser Trend begünstigt den Einsatz<br />
von Schmiedeteilen im Automobil.«<br />
29 % 38 % 24 % 9 %<br />
trifft nicht zu neutral trifft voll zu<br />
trifft nicht zu neutral trifft voll zu<br />
20 % 36 % 24 % 20 %<br />
»Die Schmiedetechnologie ist<br />
in <strong>der</strong> Massenproduktion besser<br />
für einfache Bauteile geeignet:«<br />
Schmiedeindustrie<br />
Funktionsintegration<br />
62%<br />
Auswirkung auf Schmiedeteile<br />
41 % 24 % 24 %<br />
17 % 25 % 17 %<br />
29 % 29 %<br />
47 % 13 %<br />
24 % 12 % 24 %<br />
6 % 47 % 6 %<br />
15 % 10 % 15 %<br />
17 % 28 %<br />
19 % 24 % 14 %5 %<br />
19 % 24 % 29 %<br />
50 % 35 % 4 %<br />
5 % 37 % 11 %<br />
4 % 25 % 21 % 4 %<br />
nehmen ab neutral nehmen zu<br />
»Es gibt im Automobilbereich einen generellen<br />
Trend hin zu komplexeren Bauteilen«<br />
5 % 57 % 38 %<br />
34<br />
10<br />
10<br />
Werkstoffkombination<br />
19%<br />
Geometrie<br />
19%<br />
*Mehrfachnennungen möglich<br />
Bild 3: Trend zu komplexeren Bauteilen Bil<strong>der</strong>: Fraunhofer IPT<br />
untergeordnete Rolle. Da Faserverbundwerkstoffe<br />
nicht schmiedbar sind, treten hier neue<br />
Fertigungstechnologien in Konkurrenz zum<br />
Schmieden. Aluminium hingegen lässt sich<br />
hervorragend schmieden. Dennoch wird durch<br />
den vermehrten Aluminiumeinsatz ein Rückgang<br />
<strong>der</strong> Schmiedeteile angenommen. Dies ist<br />
im Wesentlichen dadurch zu begründen, dass<br />
sich nur ein Drittel <strong>der</strong> Schmieden mit diesem<br />
Werkstoff auseinan<strong>der</strong>setzt und von diesen<br />
Schmieden <strong>der</strong> Aluminiumanteil an den<br />
verarbeiteten Materialien im Durchschnitt nur<br />
ca. 10 % ausmacht. Aufgrund des beson<strong>der</strong>s<br />
guten Leistungsgewichts von Schmiedebauteilen<br />
ist hier jedoch eine große Chance für die<br />
deutsche Schmiedeindustrie zu sehen, Leichtbau<br />
mit herausragenden mechanischen<br />
Eigenschaften zu verbinden.<br />
Forum<br />
Neben dem Trend zum materiellen Leichtbau<br />
wird von 95 % <strong>der</strong> Befragten angenommen,<br />
dass sich die Komplexität <strong>der</strong> Bauteile<br />
im Automobilbereich deutlich erhöhen wird<br />
(Bild 3). Dies ist im Wesentlichen durch eine<br />
vermehrte Funktionsintegration in den Bauteilen<br />
sowie durch Werkstoffkombinationen<br />
und eine Erhöhung <strong>der</strong> Geometriekomplexität<br />
bedingt. Sowohl die Schmiede- wie auch<br />
die Fahrzeugindustrie gibt an, dass dadurch<br />
eine Verringerung des Einsatzes von Schmiedeteilen<br />
im Automobil hervorgerufen wird.<br />
Genau wie bei dem Einsatz von Leichtbauwerkstoffen<br />
ist hier jedoch auch ein Zukunftspotenzial<br />
für die Schmiedeindustrie zu<br />
sehen. Die technischen Möglichkeiten des<br />
Schmiedens hinsichtlich <strong>der</strong> Realisierung<br />
von komplexen Bauteilen sind noch nicht<br />
ausgereizt und müssen durch entsprechende<br />
Entwicklungsanstrengungen verbessert werden.<br />
Weiterhin bietet die Übernahme von F&E-<br />
Dienstleistungen sowie ein vermehrter Anteil<br />
an Fertigbearbeitung <strong>der</strong> Schmiedeindustrie<br />
die Möglichkeit, die Kundenbindung zu erhöhen<br />
und eine nachhaltige Differenzierung<br />
zum Wettbewerb aufzubauen. Über 88 % <strong>der</strong><br />
befragten Automobilisten for<strong>der</strong>n verstärkt<br />
F&E-Dienstleistungen, die von einer Werkstoffauswahl<br />
und Belastungssimulationen<br />
über die Rohteilkonstruktion bis hin zur<br />
Fertigteilentwicklung reichen. Dagegen muss<br />
die Übernahme von Bearbeitungsaufgaben<br />
differenzierter betrachtet werden. Zwar sehen<br />
hier alle Beteiligten Vorteile und von <strong>der</strong> Automobilindustrie<br />
werden sogar im Durchschnitt<br />
Einsparungen von ca. 10 % in <strong>der</strong> Gesamtprozesskette<br />
angegeben, allerdings führen<br />
die <strong>der</strong>zeitigen Sparprogramme <strong>der</strong> Automobilhersteller<br />
häufig dazu, die eigenen Fertigungsanlagen<br />
voll auszulasten, bevor Umfänge<br />
an Zulieferer vergeben werden.<br />
Es lässt sich festhalten, dass die Schmiedeindustrie<br />
unter massivem Wettbewerbsdruck<br />
steht. Als Zukunftsfel<strong>der</strong> konnten vor allem<br />
<strong>der</strong> Leichtbau durch die Ausschöpfung <strong>der</strong><br />
Potenziale des Werkstoffs Stahl o<strong>der</strong> den<br />
Einsatz von Aluminium beim Schmieden und<br />
die Verbesserung <strong>der</strong> darstellbaren Komplexität<br />
von Schmiedebauteilen aufgezeigt<br />
werden. Mit <strong>der</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Prozesse<br />
und Verfahren <strong>der</strong> Massivumformung<br />
und dem Einsatz von Simulationssystemen<br />
zur Produkt- und Prozessauslegung ist die<br />
Schmiedeindustrie in <strong>der</strong> Lage, bedarfsgerechte,<br />
immer komplexere Bauteile und Systeme<br />
zu liefern.<br />
Darüber hinaus können sich die Schmiedeunternehmen<br />
über ein vermehrtes Dienstleistungsangebot<br />
gegenüber Konkurrenten<br />
aus Niedriglohnlän<strong>der</strong>n absetzen. So bieten<br />
sie als kompetente Entwicklungspartner<br />
F&E-Dienstleistungen an und liefern einbaufertig<br />
bearbeitete Bauteile und Komponenten.<br />
Die dadurch bedingte Spezialisierung lässt<br />
sich bereits heute bei <strong>der</strong> deutschen Schmiedeindustrie<br />
feststellen. ■<br />
Schmiede-Journal September 2006<br />
9