Muskel-Skelett-Erkrankungen in Europa.pdf
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* Université de Bordeaux 2, Labor für<br />
Ergonomie komplexer Systeme (146,<br />
rue Léo-Saignat, 33076 Bordeaux Cedex),<br />
Francois.Daniellou@ergo.u-bordeaux2.fr<br />
1 Wir beschränken uns hier auf <strong>Muskel</strong>-<br />
<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> der oberen Gliedmaßen<br />
(Hände, Handgelenke, Ellbogen,<br />
Schultern).<br />
2 Der vorliegende Artikel lehnt sich <strong>in</strong><br />
weiten Teilen an das Bezugsdokument<br />
(Daniellou, 1999) an. Me<strong>in</strong> Dank gilt<br />
dem Herausgeber ANACT.<br />
M uskel-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong>1 betreffen Sehnen,<br />
Scheiden (Vag<strong>in</strong>ae), Knorpel, Gefäße und Nerven.<br />
Dies bedeutet jedoch nicht, daß <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />
biomechanische Beanspruchungen der oberen Gliedmaßen<br />
analysiert werden müssen, um die auslösenden<br />
Mechanismen dieser <strong>Erkrankungen</strong> zu verstehen<br />
und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln können.<br />
E<strong>in</strong>ige der im weiteren Verlauf genannten Mechanismen<br />
spielen häufig e<strong>in</strong>e Rolle, sei es aufgrund biomechanischer<br />
Belastungen oder psychischer Belastung<br />
bei der Arbeit (Derriennic, Pezé und Davezies,<br />
1997, Daniellou, 1999 2 ).<br />
E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnes Symptom e<strong>in</strong>es<br />
umfassenden Problems<br />
Es ist wichtig darauf h<strong>in</strong>zuweisen, daß Arbeiter/<strong>in</strong>nen<br />
bzw. Angestellte <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> entwickeln,<br />
während andere Hierarchieebenen von anderen<br />
Symptomen betroffen se<strong>in</strong> können.<br />
Häufig haben <strong>in</strong> denselben Abteilungen auch die direkten<br />
Vorgesetzten Schwierigkeiten. Meister und<br />
Werkstattleiter unterliegen von Unternehmensseite<br />
unausgesprochenen Anweisungen (etwa <strong>in</strong> der Art:<br />
„Es gibt ke<strong>in</strong>en Besen, aber fegen Sie trotzdem“), d.h.<br />
daß sie aufgefordert werden, Anweisungen der Geschäftsleitung<br />
„nach unten“ weiterzugeben, ohne jedoch<br />
die Möglichkeit zu haben, alltägliche Schwierigkeiten<br />
„nach oben“ zu tragen, um auf diese Weise<br />
mittelfristige Lösungen f<strong>in</strong>den zu können. Die möglicherweise<br />
aggressive Beziehung zu den Arbeitnehmern/<strong>in</strong>nen<br />
kann zum e<strong>in</strong>en zwar als Ursache der<br />
<strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> angesehen, zum anderen<br />
aber auch als Begleitersche<strong>in</strong>ung organisatorischer<br />
Mängel <strong>in</strong>terpretiert werden.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus ist häufig festzustellen, daß <strong>Muskel</strong>-<br />
<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> <strong>in</strong> Unternehmen auftreten, <strong>in</strong><br />
denen die Führungsebene sowie die Geschäftsleitung<br />
selbst über sehr wenig Handlungsspielraum verfügen:<br />
Abhängigkeit von e<strong>in</strong>em wichtigen oder von<br />
e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Kunden; Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>em<br />
mult<strong>in</strong>ationalen Unternehmen, <strong>in</strong> dem selbst die niederlassungsbezogenen<br />
Entscheidungen andernorts<br />
oder sogar auf e<strong>in</strong>em anderen Kont<strong>in</strong>ent getroffen<br />
werden; Branche, die e<strong>in</strong>er weltweiten Konkurrenz<br />
unterliegt.<br />
Sofern es überhaupt Arbeitnehmervertreter im Unternehmen<br />
gibt, mögen diese auch <strong>in</strong> den allgeme<strong>in</strong><br />
SONDERTEIL<br />
<strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> <strong>in</strong> <strong>Europa</strong><br />
<strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong><br />
– das Symptom e<strong>in</strong>er organisatorischen<br />
Krankheit<br />
François Daniellou*<br />
starren Kontext e<strong>in</strong>gebunden se<strong>in</strong>. Unter Umständen<br />
s<strong>in</strong>d die Gewerkschaften sehr aktiv, konzentrieren<br />
sich aber mit Vehemenz auf e<strong>in</strong>zelne Faktoren der Arbeitssituation.<br />
So kann es der Schweißrauch, der als<br />
Casus belli dient, se<strong>in</strong>, der Austausch von Glühbirnen<br />
oder auch die „gerechte Zuweisung“ von Gefahrenzulagen.<br />
Sofern Arbeitnehmervertreter nicht über die<br />
erforderliche Ausbildung und Unterstützung verfügen,<br />
s<strong>in</strong>d <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> auch für sie<br />
e<strong>in</strong> wahres Übel. <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> können<br />
als das symbolreichste Symptom der Arbeitnehmerausbeutung<br />
gesehen werden, denen ohne Veränderungen<br />
am bestehenden wirtschaftlichen System<br />
nichts Geeignetes entgegengesetzt werden kann.<br />
Die <strong>in</strong>stitutionellen Vertreter des Arbeitsschutzes<br />
(Arbeitsmediz<strong>in</strong>er, Vertreter der Arbeits- und Sozialaufsicht)<br />
s<strong>in</strong>d sich <strong>in</strong> der Regel der Tatsache bewußt,<br />
daß e<strong>in</strong> „Aufflammen“ von <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong><br />
sowohl für die Arbeitnehmer/<strong>in</strong>nen als auch<br />
für die Überlebensfähigkeit des Unternehmens e<strong>in</strong><br />
ernstzunehmendes Problem darstellt. In diesem Bereich<br />
eröffnen sich allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>e klaren Handlungswege.<br />
E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>vernehmliches „Protokoll“, von<br />
dem e<strong>in</strong>e „Behandlung“ des Problems ausgehen und<br />
zu dem Stellung bezogen werden könnte, existiert<br />
nicht <strong>in</strong> dieser Form. Ansche<strong>in</strong>end s<strong>in</strong>d Situationen,<br />
durch die <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> hervorgerufen<br />
werden, an e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Gefühl der Ohnmacht<br />
gebunden.<br />
E<strong>in</strong> blockiertes Dreieck<br />
Situationen, die das Auftreten von <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong><br />
begleiten (oder hervorrufen), können<br />
häufig als Blockade des im folgenden erläuterten<br />
Dreiecks gewertet werden.<br />
■ „Denken können“ führt auf e<strong>in</strong> detailliertes Verständnis<br />
der Arbeit zurück oder, um genauer zu se<strong>in</strong>,<br />
auf e<strong>in</strong> Verständnis des Verhältnisses zwischen den<br />
Eigenschaften der Arbeitssituation, den von den<br />
Menschen ausgeführten Tätigkeiten und den Auswirkungen<br />
dieser Tätigkeiten sowohl auf die Effizienz der<br />
Fertigung als auch auf die Gesundheit der Menschen.<br />
■ „Handeln können“, um die Arbeitssituation weiterzuentwickeln,<br />
hängt natürlich mit der Fähigkeit zusammen,<br />
sich wünschenswerte Veränderungen vorstellen<br />
zu können. Gleichzeitig hängt die Fähigkeit<br />
zu denken aber mit dem zusammen, was man im<br />
Handeln als möglich erachtet.<br />
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