Muskel-Skelett-Erkrankungen in Europa.pdf
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■ „Diskutieren können“ be<strong>in</strong>haltet, zu akzeptieren,<br />
daß das Überleben des Unternehmens nicht ausschließlich<br />
von den Interessen der Aktionäre abhängig<br />
ist. Viele verschiedene Akteure (Aktionäre, Kunden,<br />
Lieferanten, Behörden, Mitarbeiter, Öffentlichkeit)<br />
urteilen über die Effizienz des Unternehmens;<br />
sie alle können sie gefährden. Die Zukunft des Unternehmens<br />
hängt von der Fähigkeit aller Beteiligten<br />
ab, die zentralen Punkte und widersprüchlichen Ansätze<br />
zu akzeptieren und so mit ihnen umzugehen,<br />
daß <strong>in</strong>terne und externe Verhandlungen zu immer<br />
neuen Kompromissen führen.<br />
Wenn die allgeme<strong>in</strong>e Dynamik zwischen diesen drei<br />
Polen – Denken, Handeln, Diskutieren – blockiert ist,<br />
besteht e<strong>in</strong>e hohe Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, daß <strong>Muskel</strong>-<br />
<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> und andere bereits beschriebene<br />
Symptome 4 auftreten. Insbesondere kann es zu e<strong>in</strong>er<br />
bestimmten Verkettung zwischen unkontrollierten<br />
Produktivitätsverlusten und steigendem Druck<br />
auf die Arbeitnehmer/<strong>in</strong>nen kommen, was wir als<br />
„Teufelskreise“ bezeichnen.<br />
Handeln können<br />
Reale<br />
Arbeitswelt<br />
Denken können Diskutieren können<br />
Die „Teufelskreise“<br />
In Situationen, aus denen <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong><br />
hervorgehen, gibt es häufig e<strong>in</strong>en oder mehrere<br />
„Teufelskreis(e)“, die/der sich aus drei Elementen zusammen<br />
setzt(en):<br />
1. Produktivitätsverlust ohne Untersuchung der Ursache<br />
durch das Unternehmen;<br />
2. Versuch, diesen Verlust durch direkten E<strong>in</strong>fluß auf<br />
den Arbeitsrhythmus oder Druck auf die Beschäftigten<br />
auszugleichen;<br />
3. Verstärkung des Produktivitätsverlusts durch die<br />
sekundären Folgen des ausgeübten Drucks.<br />
Im folgenden e<strong>in</strong>ige Beispiele:<br />
■ Bei e<strong>in</strong>em Automobilausrüster haben Franchi und<br />
Jabès (1996) folgende Verkettung festgestellt:<br />
• Der Zusammenhang zwischen der Qualifikation<br />
der Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen und der Qualität der Ergebnisse<br />
wird nicht anerkannt.<br />
• Bei Zeitarbeitskräften wird daher auf diese Qualifikation<br />
ke<strong>in</strong> Wert gelegt.<br />
• Die Belastung der erfahrenen Arbeitskräfte steigt.<br />
• Die erfahrenen Arbeitskräfte fallen aus und werden<br />
durch Zeitarbeitskräfte ersetzt usw.<br />
■ In e<strong>in</strong>er Reparaturwerkstatt für elektronische Geräte<br />
zeigten Guengant (1997) und Arnaud (1997), daß<br />
25% der Geräte bei der Endkontrolle durchfielen und<br />
zurück aufs Fließband gegeben wurden. Dieser Zahl<br />
wurde vom Unternehmen ke<strong>in</strong>e Beachtung geschenkt.<br />
Die Nachbesserungen wurden allerd<strong>in</strong>gs<br />
nicht <strong>in</strong> die Zeitplanung e<strong>in</strong>bezogen, so daß das<br />
Arbeitstempo, die Fehlerzahl und die Ausschußmenge<br />
stiegen 5 . E<strong>in</strong>e ähnliche Feststellung wurde von Baradat<br />
(1997) und Mart<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Möbelfabrik gemacht.<br />
Wenn durch die Analyse (der Arbeit) relativ schnell<br />
zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>er dieser „Teufelskreise“ aufgedeckt<br />
wird, macht dies allen Akteuren bewußt, daß „zweifellos<br />
etwas getan werden muß“. Das Erkennen e<strong>in</strong>es<br />
„Teufelskreises“ führt dazu, daß die absolute Perspektivlosigkeit,<br />
die bis dah<strong>in</strong> die Situation beherrschte,<br />
aufgehoben wird. Möglicherweise eröffnen<br />
sich hierdurch Wege zur Mobilisierung verschiedener<br />
Akteure, um die aufgezeigten Probleme zu behandeln.<br />
Es muß allerd<strong>in</strong>gs darauf h<strong>in</strong>gewiesen werden,<br />
daß die Situation gleichzeitig durch diese Eröffnung<br />
vielschichtiger Möglichkeiten für die Betroffenen<br />
unerträglich werden kann, wenn sich anschließend<br />
ke<strong>in</strong>e Initiativen entwickeln.<br />
Die Blockade lösen<br />
Maßnahmen zur Prävention von <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong><br />
müssen also darauf ausgerichtet se<strong>in</strong>, die<br />
Dynamik des zuvor beschriebenen Dreiecks wieder<br />
<strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen, wozu e<strong>in</strong>e Vielzahl von Akteuren<br />
mobilisiert werden muß. Nach unserem Dafürhalten<br />
ist es wünschenswert, die Organisation so anzulegen,<br />
als handle es sich um e<strong>in</strong> wichtiges Investitionsprojekt.<br />
Die Problematik der <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong><br />
hat e<strong>in</strong>e starke politische Dimension; sie betrifft <strong>in</strong><br />
weitreichendem Maße die Führung des Unternehmens,<br />
da es darum geht, e<strong>in</strong>en Kompromiß zwischen<br />
den verschiedenen Herangehensweisen zu f<strong>in</strong>den.<br />
Die verantwortlichen Personen des Unternehmens<br />
müssen durch die Strategien zur Behandlung bzw.<br />
Vermeidung des Problems mobilisiert werden. Es besteht<br />
e<strong>in</strong>e gewisse Gefahr dar<strong>in</strong>, die Problematik ausschließlich<br />
mit Fachleuten (z.B. Forschungs- und Beratungsbüros),<br />
egal wie kompetent diese auch se<strong>in</strong><br />
mögen, zu behandeln.<br />
Im Vorfeld jeder großangelegten Initiative im Bereich<br />
der <strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> muß e<strong>in</strong>e Phase<br />
der „Willensbildung“ stattf<strong>in</strong>den, <strong>in</strong> der die Hauptakteure<br />
des Unternehmens (Geschäftsführung, Führungsebene,<br />
Arbeitnehmervertreter, Arbeitsmediz<strong>in</strong>er)<br />
schrittweise davon überzeugt werden, daß es<br />
sich um e<strong>in</strong>e strategische Frage handelt, um e<strong>in</strong>en für<br />
das Überleben des Unternehmens wichtigen Aspekt,<br />
um e<strong>in</strong>e gute Gelegenheit, <strong>in</strong> vielen Bereichen Verbesserungen<br />
zu erzielen – und nicht um e<strong>in</strong>e dieser<br />
unzähligen mediz<strong>in</strong>ischen Fragen, die <strong>in</strong> der Regel<br />
SONDERTEIL<br />
<strong>Muskel</strong>-<strong>Skelett</strong>-<strong>Erkrankungen</strong> <strong>in</strong> <strong>Europa</strong><br />
4 Weitere E<strong>in</strong>zelheiten s. Daniellou,<br />
1999.<br />
5 Diese Art von Mechanismen erklärt,<br />
warum für e<strong>in</strong>e Produktivitätssteigerung<br />
von 5% das Arbeitstempo um<br />
15% erhöht werden muß.<br />
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