PDF 45 - Deutsche Sprachwelt
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<strong>Deutsche</strong> <strong>Sprachwelt</strong>_Ausgabe <strong>45</strong>_Herbst 2011 Anstöße<br />
Seite 11<br />
„Executive Summary“<br />
als Bumerang<br />
Zu einem Problem wissenschaftlicher<br />
Veröffentlichungspraxis<br />
Um diese Problematik an einem Beispiel<br />
aus dem Forschungsfeld der<br />
deutschen Orient-, Nahost- und Ideologiepolitik<br />
zu verdeutlichen, sei ein<br />
von der Konrad-Adenauer-Stiftung<br />
publizierter Beitrag eines international<br />
angesehenen Nahost-Forschers zitiert.<br />
In seinem Text faßt der deutschsprachige<br />
Autor Dr. Wolfgang G. Schwanitz<br />
seine langjährigen selbständigen<br />
Forschungen zusammen. Er hatte über<br />
den Versuch des deutschen Außenamts<br />
von 1914 geforscht, als Beitrag<br />
zur (Welt-)Kriegspolitik einen kleinen<br />
Heiligen Krieg (Djihad) gegen die<br />
Mächte der Triple Entente anzuzetteln.<br />
(„Die Berliner Djihadisierung<br />
Mitgründer und Mitherausgeber (2000 bis 2002)<br />
der DEUTSCHEN SPRACHWELT<br />
Obmann des Vereins „Muttersprache“ Wien (1987 bis 2000)<br />
Ich Wandersmann auf dieser Erde<br />
jagt’ nach des Lebens Melodie,<br />
erhaschte hie und da wohl einen Ton –<br />
das Thema aber hört’ ich nie.<br />
Von Lienhard Hinz<br />
chaut auf diese Stadt!“ – Dieses<br />
S geflügelte Wort stammt aus der<br />
Rede des sozialdemokratischen Regierenden<br />
Bürgermeisters von Berlin,<br />
Ernst Reuter, am 9. September 1948.<br />
Nur mit wenigen Stichwörtern trat er<br />
im Freien vor dem Reichstag<br />
vor mehr als 300.000<br />
Berlinern an das Mikrophon.<br />
Im Bewußtsein der<br />
Funk- und Filmaufnahmen<br />
richtete er seinen beschwörenden<br />
Anruf an die<br />
Völker der Welt. Langsam,<br />
laut und deutlich betonte<br />
er jede Silbe. Während die<br />
Besatzungsmächte über das<br />
Schicksal Berlins verhandelten, sprach<br />
Ernst Reuter mit bewegter Stimme von<br />
„unserem alten Reichstag mit seiner<br />
stolzen Inschrift ‚Dem <strong>Deutsche</strong>n Volke‘“.<br />
Er spürte die drohende Spaltung<br />
Berlins und verbreitete die Gewißheit<br />
ihrer Überwindung.<br />
Späte Reife<br />
von Stefan Micko<br />
Inzwischen bin ich alt und grau geworden,<br />
laß ab von Hatz und Halali<br />
und lehne still den Kopf an einen Stamm –<br />
nun hör ich sie, die Melodie,<br />
ganz leise.<br />
Wir werden Stefan Micko nicht vergessen.<br />
DEUTSCHE SPRACHWELT<br />
Bericht aus Berlin<br />
des „Pionier- und signaltechnischen<br />
Ausbaus“ kann kein verklärender<br />
Rückblick und schon gar keine verharmlosende<br />
Erinnerung aufkommen.<br />
Zwischen „Vorderem Sperrelement“<br />
und „Hinterlandmauer“ verbergen sich<br />
Kraftfahrzeugsperre mit<br />
Graben, Kontrollstreifen,<br />
Kolonnenweg, Lichttrasse,<br />
Beobachtungstürme und<br />
Führungsstellen, Flächen-<br />
und Höckersperren sowie<br />
der Grenzsignalzaun.<br />
stätte Kleists war bis 1941: „Er lebte,<br />
sang und litt/ in trüber schwerer Zeit/<br />
er suchte hier den Tod/ und fand Unsterblichkeit<br />
– Matth. 6 V. 12“.<br />
Von Richard Albrecht<br />
m Aufruf „Sieben Thesen zur deut-<br />
I schen Sprache in der Wissenschaft“<br />
forderten deutsche Hochschullehrer<br />
2005 zur selbstbewußten Benützung<br />
von Deutsch als Wissenschaftssprache<br />
auf (vgl. DSW 30, Seite 7); nicht<br />
zuletzt, um dem empirisch beobachtbaren<br />
Rückzug des <strong>Deutsche</strong>n aus der<br />
Wissenschaft selbst bei inländischen<br />
akademischen Veranstaltungen zu<br />
begegnen. Zu den „vielfältigen Anstrengungen“,<br />
die nötig sind, um zu<br />
„Gebrauch und Weiterentwicklung<br />
der deutschen Sprache in der Wissenschaft<br />
beizutragen“, sollte hierzulande<br />
auf universitären und wissenschaftlichen<br />
Veranstaltungen mit „ausschließlich<br />
deutschen Teilnehmern auch auf<br />
deutsch“ verhandelt werden. Und auch,<br />
daß es weiter deutschsprachige Lehrbücher<br />
geben sollte und daß „deutsche<br />
Fachzeitschriften auch Artikel in deutscher<br />
Sprache mit englischer Zusammenfassung<br />
annehmen müssen.“<br />
Der Anglist Harald Weinrich betonte<br />
für das breite geisteswissenschaftliche<br />
Feld: So sehr Englisch zu schreiben<br />
Voraussetzung für die aktive<br />
Teilhabe am (geistigen) „Weltmarkt“<br />
ist – so wenig ist dieser ein „sinnvolles<br />
literarisches Projekt“. Damit ist<br />
eine Seite des Dilemmas benannt.<br />
Die Wissenschaftler schlugen 2005<br />
vor, in deutschen wissenschaftlichen<br />
Zeitschriften „Artikel in deutscher<br />
Sprache mit englischer Zusammenfassung“<br />
zu veröffentlichen.<br />
So grundlegend richtig dieser Vorschlag<br />
ist – er hat gleichwohl einen<br />
Webfehler oder Pferdefuß, nämlich<br />
die englische „Executive Summary“.<br />
Diese ist darauf angelegt, Lesern<br />
das Lesen des deutsch geschriebenen<br />
Textes zu ersparen, wie es ein<br />
Schlüsselsatz aus einem Harvardkurs<br />
auf englisch ausdrückt: „Executive<br />
summaries are written for someone<br />
who most likely does not have time<br />
to read the original.“<br />
des Islam. Wie Max von Oppenheim<br />
die islamische Revolution schürte“;<br />
in: KAS-Auslandsinformationen, 20<br />
(2004) 10, Seite 17 bis 37.)<br />
Die „Executive Summary“ des Beitrags<br />
drückt in sorgfältig formuliertem<br />
und jedem Geisteswissenschaftler<br />
verständlichem Englisch den Inhalt<br />
Schaut auf diese Stadt,<br />
des deutschsprachigen Textes aus und<br />
hieß es beim „Willkom-<br />
könnte, so gesehen, den angesonnenen<br />
men, Papst Benedikt!“ am<br />
Zweck dieser besonderen und ausführ-<br />
22. und 23. September in Berlin. Mit<br />
lichen Form einer englischen Zusam-<br />
den wenigen christlichen Feiertagen<br />
menfassung erfüllen: den von einem<br />
steht der Hauptstadt das Sinnzeichen<br />
deutschen Fachwissenschaftler deutsch<br />
des Kreuzes gut. Der Reichstag und<br />
veröffentlichten höchst bedeutsamen<br />
das Olympiastadion wurden erfüllt<br />
Forschungsbeitrag gerade nicht zu le-<br />
vom christlichen Geist „Wo Gott ist,<br />
sen. Er dürfte damit das Gegenteil des<br />
da ist Zukunft“. Und die Verantwor-<br />
Beabsichtigten erreichen, wenn von<br />
tung „vor Gott und den Menschen“,<br />
wissenschaftlichen Abhandlungen „in Dreizehn Jahre später schaute die im Grundgesetz verewigt, ließ der<br />
deutscher Sprache mit englischer Zu- Welt auf diese Stadt, als eine soziali- Heilige Vater unter der Kuppel des<br />
sammenfassung“ die Rede ist. stische Einheitspartei die Hauptstadt Reichstages mitschwingen. Die Heili-<br />
auseinanderriß. Ihr „antifaschistischer ge Messe unter freiem Himmel wird<br />
Die „Executive Summary“ von Schwa- Schutzwall“ zerschnitt in Folge auch nicht ohne heilende Wirkung auf das<br />
nitz hat etwa 3.960 Anschläge und das ganze Deutschland. 1065 Todes- Miteinander bleiben.<br />
macht damit knapp zwölf Prozent des opfer dieser deutschen Tragödie sind<br />
deutschen Gesamttextes aus. Das Bei- bisher bekannt. Die „Arbeitsgemein- Dem preußischen Dichter Heinrich<br />
spiel verdeutlicht damit zugleich, das schaft 13. August“ und der Verein von Kleist ist zu seinem 200. Todestag<br />
und was hier konkret zu viel des Guten „Mauermuseum“ widmeten ihnen im am 21. November ein ganzes „Kleistist.<br />
Oder anders: Jede „Executive Sum- Jahr 2004 das Mahnmal „Sie wollten Jahr“ gewidmet. Am Maxim-Gorkimary“<br />
sollte keinesfalls mehr als fünf nur die Freiheit“ vor dem ehemaligen Theater werden die Kleistschen Dra-<br />
Prozent des deutschsprachigen Ge- amerikanischen Militärkontrollpunkt men und im Ephraim-Palais Kleists<br />
samttextes ausmachen, um nicht den in der Friedrichstraße. Auf beiden Leben verfremdet. Ein Glanzpunkt<br />
Bumerang effektiv grüßen zu lassen. Straßenseiten wurde für jedes Todes- der Ausstellung des Stadtmuseums<br />
opfer ein zwei Meter hohes dunkles ist jedoch das Angebot für Schüler,<br />
Holzkreuz mit Namen und Photo auf- in einer Schreibwerkstatt die eige-<br />
Ermüdender gestellt. Diese 1065 Kreuze mußten ne Handschrift auszubilden und die<br />
nach langen Auseinandersetzungen Briefkultur der Kleistzeit kennen-<br />
Paukenschlag mit dem Eigentümer des Grundstücks zulernen. Die Grabstätte des Dich-<br />
vor sechs Jahren entfernt werden. Mit ters mit der beigestellten Steintafel<br />
Sprachkritik aus dem Segen von Salvatorianerpater für seine Begleiterin in den Freitod,<br />
Vincens hoffen Arbeitsgemeinschaft Henriette Vogel, wird bis Ende Oknaturwissenschaft-<br />
und Verein auf einen würdigen Ort tober mit Fördermitteln der Cornellicher<br />
Sicht (8) für das Freiheitsmahnmal.<br />
sen-Kulturstiftung restauriert: Der<br />
Von Günter Körner<br />
Grabstein mit Namen, Geburts- und<br />
Schaut auf diese Stadt! – Das tun Sterbedatum in der Bismarckstra-<br />
n ermüdender Regelmäßigkeit fünfzig Jahre nach der Errichtung der ße am Hang zum Kleinen Wannsee<br />
I wird der abschließende Pauken- „Berliner Mauer“ Millionen Landsleu- soll neu beschriftet werden. Bis jetzt<br />
schlag nach mehreren Eingrenzunte und Gäste aus allen Erdteilen. Die steht auf dem Stein das Dramenzigen<br />
gesetzt, wie eine entweichende Bezeichnung der gewaltigen Sperrantat „Nun, O Unsterblichkeit, Bist<br />
Blähung: Diese Behauptung über lagen als „Mauer“ ist beschönigend. Du Ganz Mein“. Das ist der Ausruf<br />
das Haupt als Hauptwort unter den Die ursprüngliche Bedeutung „aus des Prinzen von Homburg vor sei-<br />
Vom Kleistgrab ist es in südlicher<br />
Richtung nicht weit bis Kohlhasenbrück.<br />
Mit seiner Novelle „Michael<br />
Kohlhaas“ setzte Kleist dem Zehlendorfer<br />
Ortsteil ein Denkmal. Nach<br />
einer alten Sage versenkte dort an der<br />
Brücke über die Bäke (heute Teltowkanal)<br />
der Berliner Kaufmann Hans<br />
Kohlhase einen zuvor erbeuteten Silberschatz.<br />
Kleist gestaltet die Figur<br />
des Roßhändlers Michael Kohlhaas<br />
in der gleichnamigen Erzählung als<br />
außerordentlichen Mann und „Muster<br />
eines guten Staatsbürgers“, bis<br />
ihm durch einen Gutsherrn Unrecht<br />
widerfahren war und er gerichtlich<br />
nicht recht bekam. Der gewaltsame<br />
Rächer und Selbstrichter endet mit<br />
dem Tod auf dem Rad. Heute gibt es<br />
keine Spur der Ereignisse von 1540,<br />
aber eine der jüngsten deutschen Geschichte.<br />
Ein kleines Holzkreuz erinnert<br />
an der Straße nach Steinstücken<br />
neben der Bushaltestelle „Königsweg“<br />
an den dramatischen Fluchtversuch<br />
des Soldaten Willi Marzahn<br />
am 19. März 1966.<br />
Durch „Michael Kohlhaas“ im<br />
Deutschunterricht ist der Schauspieler<br />
Otto Sander mit Heinrich<br />
von Kleist in Berührung gekommen.<br />
Das Üben der „Bandwurmsätze“ bei<br />
Kleist macht ihm Spaß wie Klavierspielen.<br />
Das zeigte der Künstler im<br />
Lustspiel „Amphitryon“ unter der<br />
Regie von Klaus Michael Grüber<br />
am Berliner Hebbel-Theater 1991.<br />
Sander schätzt auch Kleists Aufsatz<br />
„Über die allmähliche Verfertigung<br />
der Gedanken beim Reden“.<br />
Schaut auf diese Stadt – von der<br />
„Humboldt-Box“ auf dem Schloßplatz!<br />
Dabei fällt der Blick auch auf<br />
die ausgegrabenen Fundamente des<br />
Berliner Schlosses. Nach den Steinen<br />
des 1950 gesprengten Wahrzeichens<br />
wurde bereits an vielen Orten<br />
in der Stadt gegraben. – „… auch<br />
Steine können sprechen“ – Darüber<br />
können Schüler einen literarischen<br />
Text schreiben und zum Schreib-<br />
Würden also englische Zusammenfas-<br />
hauptsächlich als Oberhäupter reden- Steinen und Mörtel errichtete Wand“<br />
sungen nicht bloß als mehr oder weniden<br />
Behauptern ist eine der behaup- geht auf das lateinische „murus“ zuger<br />
formales, meist wenig aussagentetsten<br />
Hauptsachen über enthaupterück und rührt aus der Zeit her, als<br />
des Zehn-Zeilen-„Abstract“, sondern<br />
te Häuptlinge überhaupt. [überhaps die germanischen Stämme die römi-<br />
als sorgfältig formulierte „Executive<br />
(österreichisch) = ungefähr, vorsche Steinbautechnik kennenlernten.<br />
Summary“ angelegt und in deutschen<br />
schnell, überstürzt]<br />
Bei der Betrachtung einer Abbildung<br />
DSW_<strong>45</strong>_S11_Micko_Todesanzeige<br />
Fachzeitschriften publiziert, könnte<br />
dies mit Blick auf die zu Recht geforner<br />
angekündigten Hinrichtung. Das wettbewerb „Schöne deutsche Spra-<br />
Todesurteil wegen eigenmächtiger che“ an die Neue Fruchtbringende<br />
Schlachtenführung nimmt der Kur- Gesellschaft in Köthen (Anhalt)<br />
fürst aber zurück und ehrt den Sieger bis zum 31. März 2012 einsenden:<br />
in der Schlacht bei Fehrbellin von schreibwettbewerb@fruchtbringen-<br />
1675. Die erste Inschrift der Grabde-gesellschaft.de. DSW_<strong>45</strong>_S11_Loriot_Todesanzeige<br />
derte „Weiterentwicklung der deutschen<br />
Sprache in der Wissenschaft“<br />
Wir trauern um<br />
Wir trauern um<br />
Bumerangeffekte zeitigen und das<br />
Gegenteil des Beabsichtigten bewirken:<br />
Flüchtige – besonders vorrangig<br />
Stefan Micko<br />
Loriot<br />
anglophone – Leser wähnten sich gut<br />
informiert und würden sodann keinen<br />
Blick mehr in den deutschsprachigen<br />
wissenschaftlichen Text werfen.<br />
* 14. Dezember 1932 † 12. August 2011<br />
* 12. November 1923<br />
† 22. August 2011<br />
„Wir sind auf dem Wege, unser wichtigstes<br />
Kommunikationsmittel so zu vereinfachen,<br />
daß es in einigen Generationen genügen wird,<br />
sich grunzend zu verständigen.“<br />
„Die Anglisierung unserer Sprache steigert<br />
sich allmählich in eine monströse<br />
Lächerlichkeit.“<br />
„Die Rechtschreibreform ist ja völlig in<br />
Ordnung, – wenn man weder lesen noch<br />
schreiben kann.“<br />
Danke, Loriot!<br />
DEUTSCHE SPRACHWELT