Das Textbuch des Gottesdienstes
Das Textbuch des Gottesdienstes
Das Textbuch des Gottesdienstes
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TEXTBUCH<br />
Evangelischer Gottesdienst im Zweiten Deutschen Fernsehen<br />
Sendetitel: Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
Übertragungsort: Bugenhagenkirche in Hamburg / Groß-<br />
Flottbek<br />
Sendedatum: 25. September 2006<br />
Sendezeit: 9.30 – 10.15 h<br />
Mitwirkende: Pröpstin Malve Lehmann-Stäcker<br />
Pastor Dr. Ingo Lembke<br />
Elke Ukena-Seguin, Diakonin<br />
Ute Zeißler, Diakonin<br />
Sigrid Flocken<br />
Maria Rothe<br />
Elke Franke<br />
Anja Simpich<br />
Musikalische Gestaltung: Orgel: Pastor Ulrich Billet<br />
Querflöte: Bettina Hallwachs<br />
Künstlerische Gestaltung: Ludger Trautmann<br />
Konzeption: Charlotte Magin<br />
Redaktion: Catherine Bralant<br />
Produktionsleitung: Christina Marowsky<br />
Technische Leitung: Georg Eisengräber<br />
Regie: Marion Rabiga<br />
1. Kamera: Ingo Folk<br />
Kontaktadresse zur Gemeinde: Pastor Dr. Ingo Lembke<br />
Ev.-Luth. Kgm Bugenhagen - Groß<br />
Flottbek<br />
Bei der Flottbeker Kirche 2<br />
22607 Hamburg Groß-Flottbek<br />
Stand: Sendefassung
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
Vorspiel zu: „Geh aus mein Herz“<br />
Gemeindelied: „Geh aus mein Herz“, EG 503, 1.8<br />
Begrüßung<br />
1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud<br />
in dieser lieben Sommerzeit<br />
an deines Gottes Gaben;<br />
schau an der schönen Gärten Zier<br />
und siehe, wie sie mir und dir<br />
sich ausgeschmücket haben,<br />
sich ausgeschmücket haben.<br />
8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,<br />
<strong>des</strong> großen Gottes großes Tun<br />
erweckt mir alle Sinnen;<br />
ich singe mit, wenn alles singt,<br />
und lasse, was dem Höchsten klingt,<br />
aus meinem Herzen rinnen,<br />
aus meinem Herzen rinnen.<br />
Text: Paul Gerhardt 1653<br />
Melodie: August Harder vor 1813<br />
Andere Melodie im Regionalteil W<br />
Pastor Lembke: Im Namen Gottes, <strong>des</strong> Vaters, <strong>des</strong> Sohnes und <strong>des</strong> Heiligen<br />
Geistes. Amen!<br />
Herzlich willkommen liebe Gemeinde!<br />
Sie hier in der Bugenhagenkirche in Hamburg - Groß-Flottbek und Sie vor den<br />
Bildschirmen zu Hause!<br />
Wir nennen uns „Christen“ –<br />
haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was das heißt? Christen heißt<br />
übersetzt: die Gesalbten. <strong>Das</strong> ist doch überraschend – oder?<br />
In diesem Gottesdienst feiern wir Salbung.<br />
Menschen bekommen mit kostbarem Öl ein Kreuz auf die Stirn und in die Hand<br />
– das Zeichen der Christen.<br />
So taten es schon die Urchristen, und so ist es in der weltweiten Christenheit<br />
bis heute gut bekannt.<br />
Die Gesalbten können körperlich erleben, was die Worte sagen: Du bist ein<br />
gesegneter Mensch!<br />
Diese Erfahrung tut gut und ist heilsam für jeden und jede von uns. Sie<br />
verbindet uns über die Grenzen unserer unterschiedlichen Lebensverfassung<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 1
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
verbindet uns über die Grenzen unserer unterschiedlichen Lebensverfassung<br />
hinweg - weil wir erleben: Vor Gott sind wir alle gleich geliebte und geachtete<br />
Menschen.<br />
Alzheimer und Demente leben in einer eigenen Welt, durch Berührung kommen<br />
wir ihnen näher.<br />
Die Grenze zwischen ihnen und uns wird aufgetan.<br />
Die Last, das Joch wird leichter.<br />
<strong>Das</strong> spüren wir im gemeinsamen Singen, das erleben wir in der segnenden<br />
Salbung.<br />
Und so feiern wir diesen Gottesdienst zur Ehre Gottes und zum Heil von uns<br />
Menschen. Amen.<br />
Gemeindelied: „Lobe den Herren..“; EG 317,1.5; GL 258<br />
1. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren,<br />
meine geliebete Seele, das ist mein Begehren.<br />
Kommet zuhauf,<br />
Psalter und Harfe, wacht auf,<br />
lasset den Lobgesang hören!<br />
5. Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen.<br />
Alles, was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen.<br />
Er ist dein Licht,<br />
Seele, vergiss es ja nicht.<br />
Lobende, schließe mit Amen!<br />
Text: Joachim Neander 1680<br />
Melodie: 17. Jh.; geistlich Stralsund 1665, Halle 1741<br />
Hinführung zu den Grenzerfahrungen von Betroffenen als Prolog<br />
Diakonin Zeißler: Eine Demenzerkrankung oder auch Alzheimerkrankheit ist<br />
demokratisch. Sie kann jede und jeden treffen; völlig unabhängig ob Mann oder<br />
Frau, arm oder reich, gebildet oder nicht. Eine Demenzerkrankung verändert die<br />
Persönlichkeit eines Menschen schleichend aber radikal. <strong>Das</strong> hat Auswirkungen<br />
auf alle Bereiche <strong>des</strong> Lebens auch auf das Zusammenleben in Ehe und Familie<br />
und in der Gemeinschaft.<br />
Es ist die Krankheit <strong>des</strong> Alters, aber es erkranken auch zunehmend jüngere<br />
Menschen.<br />
Der Mann von Maria Rothe wurde bereits während seiner Berufstätigkeit krank.<br />
Maria Rothe und Sigrid Flocken sind Ehefrauen, deren Männer an einer Demenz<br />
erkrankt sind.<br />
Wir hören von Klagen und von solidarischem Zuspruch.<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 2
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
Grenzerfahrungen von Betroffenen<br />
Maria Rothe: Diese Krankheit meines Mannes bedeutet für uns beide: Abschied<br />
von Selbstständigkeit und Selbstverständlichkeiten z.B.: Aufgabe <strong>des</strong> Berufes und<br />
der Kontakte mit anderen Menschen.<br />
Sigrid Flocken: Wir als Angehörige müssen oft kämpfen und uns zwangsläufig<br />
stark einschränken. Aber wir müssen versuchen, unsere Selbstständigkeit zu<br />
erhalten.<br />
Maria Rothe: Ja, aber wir werden immer abhängiger, wenn wir auf Hilfe<br />
angewiesen sind. Nicht mehr selbst planen zu können, kann das eigene Selbstbild<br />
zerstören.<br />
Sigrid Flocken: Wir müssen lernen, uns helfen zu lassen.<br />
Maria Rothe: Ich habe mich aus der Öffentlichkeit und aus der Gemeinschaft<br />
zurückgezogen, weil ich mich für die unhöflichen Ausfälle meines Mannes<br />
verantwortlich fühle. Er kritisiert z.B. aggressiv andere Menschen und sagt: Ihre<br />
Haare sind sehr hässlich!<br />
Sigrid Flocken: Natürlich ist das peinlich. Aber trotz aller Aggression, die der<br />
Kranke zeigt, dürfen wir nicht vergessen, dass es sich um einen liebenswerten<br />
Menschen handelt, der wie wir Ängste und Gefühle hat - auch wenn er sie nicht<br />
immer angemessen äußert.<br />
Als gut erzogene Erwachsene haben wir aber viel an Ehrlichkeit verloren.<br />
Versuche auch auf dein Gefühl zu hören, das ist wichtig! So können wir viel von<br />
den Kranken lernen.<br />
Maria Rothe: Ja, aber ich habe immer ein schlechtes Gewissen. Ich liebe<br />
meinen Mann, er braucht mich, und doch bin ich ungerecht und ungeduldig.<br />
Sigrid Flocken: Maria, jede Lebensphase ist auch von Kompromissen geprägt.<br />
Es gibt kein goldenes Zeitalter – nicht die Kindheit noch Jugend, auch nicht das<br />
Alter.<br />
Du bist letztlich nicht für das Glück deines Mannes verantwortlich.<br />
Maria Rothe: Aber es ist mein Wunsch, dass die Menschen nicht vor meinem<br />
Mann und mir auf die andere Straßenseite wechseln, weil wir ihnen lästig sind.<br />
Ich brauche auch keine guten Ratschläge, wie: „Nun denken Sie aber auch mal an<br />
sich!“<br />
Sigrid Flocken: Wenn wieder mal jemand zu dir sagt, dass du auch mal an dich<br />
denken sollst, sag ihm:<br />
„Ich kann nur an mich denken, wenn auch Sie an mich denken, wenn Sie<br />
kommen und meinem Mann oder meine Schwester für zwei Stunden betreuen.<br />
Dann verspreche ich Ihnen, in diesen zwei Stunden an mich zu denken, beim<br />
Schwimmen oder beim Spazieren gehen. Und ich werde auch an Sie denken –<br />
voller Dankbarkeit für ihre Hilfe!“.<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 3
Kyriegebet<br />
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
Diakonin Zeißler: So wie Frau Rothe geht es vielen von uns:<br />
Wir fühlen uns mit dem Schweren, mit den dunklen Seiten <strong>des</strong><br />
Lebens alleingelassen.<br />
Guter Gott,<br />
du bist für uns da.<br />
Wir bringen all unsere Sorgen, Ängste und Beschwernisse vor dich<br />
und bitten dich:<br />
Nimm du sie an.<br />
Gemeinde: Kyrie eleison: EG 178.12<br />
Kyrie, Kyrie eleison.<br />
Kyrie, Kyrie eleison.<br />
Perspektive<br />
Elke Franke: Unser Rat an Sie:<br />
Lebe dein Leben an jedem Tag, suche dein Glück in jedem Augenblick. Glück<br />
ist nicht nur das, was unerreichbar ist, sondern liegt in der Arbeit, in der Familie,<br />
in der Ehe. Nehmt euch Zeit für einander, wann immer es möglich ist. Genießt<br />
die kleinen Dinge, jetzt, auch im Alltag.<br />
Man kann wandern und tanzen gehen, glückliche gemeinsame Stunden erleben<br />
und vieles mehr.<br />
Stellt euch dem Verdacht, seid mutig, seht der Krankheit ins Gesicht. Je eher,<br />
um so mehr kann die Medizin tun. Es gibt heute Medikamente, die den Verlauf<br />
der Krankheit deutlich verlangsamen, einem länger ein selbstständiges Leben<br />
ermöglichen.<br />
Forderung an Politik mit biblischem Zuspruch<br />
Diakonin Ukena-Seguin: Diese Medikamente werden aber oft nicht<br />
verschrieben, weil Ärzte ihre Wirkweise nicht kennen.<br />
Deshalb fordern wir für die rund eine Million Demenzkranke, eine qualifizierte<br />
haus- und fachärztliche Versorgung.<br />
Dies setzt aber voraus, dass Pflege- und Krankenversicherung die Belange<br />
Demenzkranker deutlich besser berücksichtigen.<br />
Bisher ist vor allem die Pflegeversicherung viel zu stark auf körperliche<br />
Erkrankungen konzentriert.<br />
<strong>Das</strong> muss sich ändern.<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 4
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
Auch <strong>des</strong>wegen, damit Angehörige besser unterstützt werden.<br />
Sie tragen die Hauptlast der Pflege und Betreuung.<br />
Zur besseren Versorgung der Dementen und zur Entlastung der Angehörigen ist<br />
unverzichtbar, dass Wohnformen geschaffen werden, die Demenzkranken ein<br />
würdiges und möglichst selbst bestimmtes Leben ermöglichen.<br />
Damit Demenzkranke und ihre Angehörigen so leben können, muss die Politik<br />
handeln und entscheiden.<br />
Und dann kann auch die Verheißung <strong>des</strong> Propheten Jeremia Wirklichkeit<br />
werden:<br />
„Ich weiß, welche Gedanken ich über euch habe,<br />
Gedanken <strong>des</strong> Friedens und nicht <strong>des</strong> Lei<strong>des</strong>.“<br />
Gemeindelied: „In Dir ist Freude“, EG 398,1.2<br />
1. In dir ist Freude in allem Leide,<br />
o du süßer Jesu Christ!<br />
Durch dich wir haben himmlische Gaben,<br />
du der wahre Heiland bist;<br />
hilfest von Schanden, rettest von Banden.<br />
Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet,<br />
wird ewig bleiben. Halleluja.<br />
Zu deiner Güte steht unser G'müte,<br />
an dir wir kleben im Tod und Leben;<br />
nichts kann uns scheiden. Halleluja.<br />
2. Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden<br />
Teufel, Welt, Sünd oder Tod;<br />
du hast's in Händen, kannst alles wenden,<br />
wie nur heißen mag die Not.<br />
Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren<br />
mit hellem Schalle, freuen uns alle<br />
zu dieser Stunde. Halleluja.<br />
Wir jubilieren und triumphieren,<br />
lieben und loben dein Macht dort droben<br />
mit Herz und Munde. Halleluja.<br />
Lesung: Mk 12, 28-30<br />
Text: Cyriakus Schneegaß 1598<br />
Melodie und Satz: Giovanni Giacomo Gastoldi 1591; geistlich Erfurt 1598<br />
Elke Franke: Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen<br />
zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut<br />
geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 5
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
aber antwortete ihm: <strong>Das</strong> höchste Gebot ist das: „Höre, Israel, der Herr, unser<br />
Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem<br />
Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften.“ <strong>Das</strong><br />
andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Es ist kein<br />
anderes Gebot größer als diese.<br />
Gemeindelied: „In dir ist Freude“, EG 398, neue Strophe<br />
Du hast das Leben allen gegeben,<br />
gib uns heute dein gutes Wort.<br />
So geht dein Segen auf unsern Wegen,<br />
bis die Sonne sinkt, mit uns fort.<br />
Du bist der Anfang, dem wir vertrauen,<br />
du bist das Ende, auf das wir schauen.<br />
Was immer kommen mag, du bist uns nah.<br />
Wir aber gehen, von dir gesehen,<br />
in dir geborgen durch Nacht und Morgen<br />
und singen ewig dir. Halleluja.<br />
Predigt, 1. Könige 19, 4 – 15<br />
Pröpstin Lehmann-Stäcker: „Elia aber ging in die Wüste, setzte sich unter<br />
einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: „Es ist genug, so<br />
nimm nun Gott meine Seele zu dir.“<br />
So beginnt – liebe Gemeinde hier und liebe Gemeinde an den Bildschirmen – die<br />
Geschichte eines Menschen, der am Ende seiner Kraft ist. Bis an die Grenze<br />
seiner Möglichkeiten hat er alles getan, was ihm aufgetragen worden war, nun<br />
kann er nicht mehr. Er ist so ausgelaugt, dass er sich hinlegen und nicht mehr<br />
aufwachen will.<br />
Wohl jeder und jede von uns weiß von diesen Erfahrungen. Sie jedoch als<br />
Angehörige von Demenz- und Alzheimer-Kranken verstehen Elia wahrscheinlich<br />
ganz besonders gut, erleben diese unendliche Müdigkeit häufiger als sie zählen<br />
können.<br />
Jeden Tag von neuem die Erkenntnis, dass Ihr Mann, Ihre Frau, Mutter oder<br />
Vater in einer ganz eigenen Welt lebt und Dinge tut, die Sie nur schwer<br />
verstehen. Es macht Sie traurig, nicht mehr erkannt zu werden als das Liebste,<br />
was Sie einmal waren. Und auch das plötzliche Aufbrausen, Weinen oder auch<br />
Lachen erschrickt Sie.<br />
Müde fallen Sie abends in einen unruhigen Schlaf, immer in Sorge, was wohl als<br />
Nächstes auf Sie zukommt.<br />
Es ist ein langer Weg, eine wirkliche Wüstenwanderung, die Sie gemeinsam<br />
erleben. Wie oft haben Sie gesagt: „Ich will nicht mehr“, seit das grausame<br />
Urteil Ihrer Krankheit nicht mehr zu leugnen war? Sie spüren, wie Erinnerungen<br />
verblassen oder gar nicht mehr vorhanden sind. Wie bitter zu erleben: „Ich bin<br />
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Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
verblassen oder gar nicht mehr vorhanden sind. Wie bitter zu erleben: „Ich bin<br />
nicht mehr wie früher.“<br />
Elia, der Prophet in unserem Predigttext, legt sich hin, schläft ein, wie gesagt<br />
in der Hoffnung, dass endlich alles vorbei sein wird. „Und siehe, ein Engel rührte<br />
ihn an und sprach zu ihm: steh auf und iss!“<br />
Berühren – der Schlüssel, um die Grenze aufzuschließen zwischen Enttäuschung<br />
und Hoffnung.<br />
Berühren – der Schlüssel zum Leben über alle Grenzen hinweg.<br />
Wenn ich mich alleine fühle, niemand da ist, der meine Einsamkeit fort<br />
streichelt, dann tue ich mir selber etwas Gutes. Ich nehme einen Tiegel<br />
wohlriechenden Öles und betupfe meine Hände. Allein der Duft bringt<br />
Erinnerungen hervor und stärkt mich. Vielleicht, liebe Zuschauerinnen und<br />
Zuschauer, haben Sie ja ähnliche Erfahrungen und Rituale oder Sie probieren es<br />
heute – mit uns hier – einfach einmal aus.<br />
Berühren – auch der Schlüssel zu denen, die unsere Worte nur noch schwer<br />
verstehen.<br />
Wenn Sie Ihren Mann streicheln, wird er ruhig. Wenn Sie die vertrauten Lieder<br />
singen, singt Ihre Mutter mit. Mit Musik ist es möglich, die Gesichter zum<br />
Strahlen zu bringen. Wir haben es erlebt und gesehen.<br />
Berühren – der Schlüssel zu dem Schatz, der so viele Male verschlossen ist im<br />
Inneren, in dieser eigenen Welt.<br />
Uns allen tut es gut, dem Liebsten wortlos nahe zu sein.<br />
Die Bibel nennt es einen Engel, der Elia aus der großen Müdigkeit herausholt.<br />
Sie, liebe Gottesdienstteilnehmer und –teilnehmerinnen, ganz gleich wo Sie<br />
sind, waren in Ihrem Leben ganz bestimmt schon solch ein Engel für andere<br />
Menschen, auch wenn Ihnen keine konkrete Situation dazu einfällt!<br />
Und darum möchte ich Ihnen allen diesen Ehrentitel verleihen.<br />
Doch wer wird für Sie zum Engel? Wer sagt Ihnen das Naheliegende, das Ihnen<br />
Kraft gibt?<br />
„Steh auf und iss“ – übersetzt heißt das: „Wie geht es dir? Soll ich dich abholen<br />
zum Spaziergang?“ Oder auch konkret für Sie, die Sie rund um die Uhr Sorge<br />
tragen für Ihre Angehörigen: „Komm, gehe einmal in aller Ruhe bummeln,<br />
Kaffeetrinken oder ins Theater – ich bleibe solange bei deinen Mann bzw. deiner<br />
Frau.“<br />
Ganz konkrete Hilfe ist angesagt, Entlastung um neue Kraft zu tanken. Nicht<br />
kluge Worte oder langatmige Erklärungen – nein als Elia sich umsieht, „da lag zu<br />
seinem Haupt ein geröstetes Brot, daneben stand ein Krug Wasser. Und als er<br />
gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen“. Diesmal war sicher<br />
der Schlaf erholsamer als zu Beginn, denn da war ja jemand gewesen, der für ihn<br />
sorgte.<br />
Engel sind Grenzgänger, die das Innere suchen, das Verborgene, das, was wir<br />
so oft nicht zulassen. Sie sagen: „Du darfst dich in den Blick nehmen. Dein Leben<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 7
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
so oft nicht zulassen. Sie sagen: „Du darfst dich in den Blick nehmen. Dein Leben<br />
ist wertvoll. Du bist gesegnet.“ Und sie sagen Ihren Angehörigen: „Du bist in<br />
deiner Welt zuhause. Du bist wertvoll. Du bist ein gesegneter Mensch – so wie du<br />
bist.“ Weil dies aber so schwer zu glauben ist, darum kommt der Engel zum<br />
zweiten Mal, rührt den Elia an und spricht: „Steh auf und iss, denn du hast einen<br />
weiten Weg vor dir.“<br />
Wie weit dieser Weg für Sie je einzeln ist, wissen Sie besser als ich. Was wir<br />
heute in diesem Gottesdienst tun möchten: Wir wollen Sie berühren, Ihnen<br />
Wegzehrung mitgeben im Segen, Sie und Ihren Angehörigen Ihre<br />
unverwechselbare Würde öffentlich zusprechen.<br />
Niemand darf Ihnen vorschreiben, was normal ist und was nicht. Würde ist uns<br />
von Gott geschenkt und kann nicht verloren gehen, weder durch Krankheit, noch<br />
durch Einsamkeit, erst recht nicht durch Alter. Davon sprechen die alten Texte<br />
und die bekannten Lieder. Sie verbinden uns, die Dementen und ihre<br />
Angehörigen, die Gemeinde hier mit Ihnen an den Bildschirmen. Wie wird das<br />
wohl in 30 Jahren sein? Gibt es dann auch noch einen Schatz, auf den wir<br />
zurückgreifen können, um Grenzen zu überwinden?<br />
Wir wollen den unsichtbaren Bannkreis durchbrechen, der an Ihrer Kraft zehrt.<br />
Wir wollen Ihnen Mut machen, mit erhobenem Kopf zu sagen: „Ja, so ist es: Ich<br />
bzw. mein Lebensgefährte hat einen anderen Blickwinkel, seine Welt hat andere<br />
Gesetze, ehrlich sagt sie heraus, was sie fühlt. Nehmt mich, meine, meinen<br />
Liebsten so an wie er / sie ist.“<br />
Am Ende <strong>des</strong> Weges, den Elia in unserer biblischen Geschichte geht, begegnet<br />
ihm Gott in einem leisen Säuseln. Mit leisen Tönen spricht er uns an. Zärtlich<br />
berührt er uns wie ein warmer Windhauch im Sommer.<br />
Und dann, wenn uns jemand liebevoll anschaut, wir uns zärtlich berühren,<br />
treffen wir auf Gott, sehen was er sieht:<br />
Er sieht den Schatz im Verborgenen, er schätzt uns, so wie wir sind. Er hat den<br />
Wunsch, dass wir gestärkt werden mit dem, was wir brauchen für unseren<br />
Lebensweg.<br />
Amen<br />
Glaubensbekenntnis<br />
Pastor Lembke: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,<br />
den Schöpfer <strong>des</strong> Himmels und der Erde.<br />
Und an Jesus Christus,<br />
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,<br />
empfangen durch den Heiligen Geist,<br />
geboren von der Jungfrau Maria,<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 8
gelitten unter Pontius Pilatus,<br />
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
gekreuzigt, gestorben und begraben,<br />
hinabgestiegen in das Reich <strong>des</strong> To<strong>des</strong>,<br />
am dritten Tage auferstanden von den Toten,<br />
aufgefahren in den Himmel;<br />
er sitzt zur Rechten Gottes,<br />
<strong>des</strong> allmächtigen Vaters;<br />
von dort wird er kommen,<br />
zu richten die Lebenden und die Toten.<br />
Ich glaube an den Heiligen Geist,<br />
die heilige christliche Kirche,<br />
Gemeinschaft der Heiligen,<br />
Vergebung der Sünden,<br />
Auferstehung der Toten<br />
und das ewige Leben.<br />
Amen.<br />
Gemeindelied: „Befiel Du Deine Wege…“, EG 361, 1; GL 888<br />
Fürbitten<br />
1. Befiehl du deine Wege<br />
und was dein Herze kränkt<br />
der allertreusten Pflege<br />
<strong>des</strong>, der den Himmel lenkt.<br />
Der Wolken, Luft und Winden<br />
gibt Wege, Lauf und Bahn,<br />
der wird auch Wege finden,<br />
da dein Fuß gehen kann.<br />
Text: Paul Gerhardt 1653<br />
Melodie: Bartholomäus Gesius 1603; bei Georg Philipp Telemann 1730<br />
Sigrid Flocken: Unser Gott, wir bitten Dich für alle Menschen, die verwirrt sind<br />
und den Alltag nicht mehr verstehen. <strong>Das</strong> macht sie ängstlich. Gib ihnen<br />
Menschen, denen sie vertrauen, bei denen sie zur Ruhe kommen und die nicht<br />
aufhören, sie geduldig zu begleiten.<br />
Lass sie spüren, dass sie deine geliebten Kinder sind und bleiben.<br />
Darum bitten wir dich:<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 9
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
Diakonin Ukena-Seguin: Wir bitten dich für die Angehörigen. Lass sie nicht<br />
verzweifeln. Schenke Ihnen Momente der Freude, in denen sie sich gemeinsam<br />
erinnern können an gute Zeiten. Bleibe bei ihnen und lass bei allen Sorgen die<br />
Liebe nicht verloren gehen.<br />
Gib ihnen deine tröstende Zuversicht und Kraft.<br />
Darum bitten wir bitten:<br />
Anja Simpich: Wir bitten dich: schenke den Angehörigen Wegbegleiter, die<br />
verstehen, dass manchmal alles zuviel ist. Menschen, die entlasten und helfen,<br />
den langen Abschied zu ertragen.<br />
Lass sie erfahren wie wertvoll ihre Hilfe ist.<br />
Darum bitten wir dich:<br />
Diakonin Zeißler: Unser Gott, wir bitten aber auch für uns als Gemeinde Lass<br />
uns m Leid unserer Mitmenschen nicht vorübergehen. Gib uns den Mut, uns auf<br />
diese Krankheit und das Schicksal der betroffenen Menschen einzulassen. Wir<br />
können viel von ihnen lernen.<br />
Wir bitten dich:<br />
Gemeinde: Kyrie EG 178.12<br />
Kyrie, Kyrie eleison.<br />
Kyrie, Kyrie eleison.<br />
Vater Unser<br />
Pastor Lembke: Wir beten gemeinsam:<br />
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein<br />
Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute.<br />
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und<br />
führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist<br />
das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.<br />
Hinführung zur Salbung und Segnung<br />
Pröpstin Lehmann-Stäcker: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts<br />
mangeln.“<br />
Für viele sind diese Worte <strong>des</strong> 23. Psalms wie tröstliche Heimatklänge, die<br />
auch und gerade verirrten und verwirrten Seelen gut tun. Wie ein Schatz,<br />
verborgen, aber nicht vergessen, ruhen diese Worte tief im Inneren. Indem wir<br />
sie wiederholen, wieder hervorholen, schaffen wir eine Heimat, in der wir uns<br />
begegnen können.<br />
„….denn du – Gott – bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du<br />
salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.“<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 10
Grenzenlos glauben - Nähe erfahren<br />
Wenn wir Sie nun einladen, sich mit Salböl an Stirn und Hand berühren zu<br />
lassen erleben wir hautnah, was es heißt:<br />
„Du bist ein gesegneter Mann, eine gesegnete Frau. Und hast ein<br />
unverbrüchliches Wohnrecht im Hause.“<br />
Salbung und Segnung<br />
Musikalischer Vortrag<br />
Pröpstin Lehmann-Stäcker: Kommt, Ihr seid willkommen.<br />
Salbungssequenz<br />
Sendung und Segen für Zuschauer<br />
Pröpstin Lehmann-Stäcker: Der Segen Gottes ist wie eine zärtliche Berührung,<br />
er nimmt Sie, liebe Gottesdienstteilnehmerinnen und –teilnehmer, zu Hause an<br />
die Hand, streichelt Ihnen übers Gesicht und begleitet Sie in diesen Tag und die<br />
Tage, die vor Ihnen liegen.<br />
Wenn ich meine Hände vor dem Segen mit Salböl betupfe, dann möge es ein<br />
Band der segnenden Berührung sein zwischen den Menschen hier und Ihnen allen,<br />
die – wo auch immer – mit uns diesen Gottesdienst gefeiert haben:<br />
Gott segne dich und er behüte dich<br />
Gotte lasse sein Angesicht leuchten über dir<br />
und sei dir gnädig.<br />
Gott erhebe sein Angesicht auf dich<br />
und gebe dir Frieden<br />
Amen<br />
Schlussmusik<br />
<strong>Textbuch</strong> 25. September 2006 Seite 11