Programmheft - Badisches Staatstheater Karlsruhe
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nach der Waldgegend ein Gesang an die<br />
reine unberührte Natur, Schlagworte wie<br />
„Vogelsang“ und „Silberquell“ verstärken<br />
die idyllische Stimmung. Einzig die Moll-<br />
Eintrübungen, Ausdruck der Sehnsucht,<br />
schmälern dieses musikalische Landschaftsgemälde.<br />
Mahnend richten Dichter<br />
und Komponist im abschließenden „Wenn<br />
ihr’s in den Busen zwinget“ die Rede direkt<br />
an den Zuhörer. Kerner selbst malte ein<br />
Aquarell mit einer „Gegend im Welzheimer<br />
Wald“, was beweist, wie sehr der Dichter<br />
an dieser Natursymbolik interessiert war.<br />
Bei Stille Liebe ist der Titel programmatisch.<br />
Beinahe wichtiger als die Musik<br />
sind die gliedernden Pausen zwischen den<br />
Phrasen. Dadurch entsteht eine Sprachlosigkeit<br />
des Gesungenen, wie sie das<br />
Liedrepertoire nur selten kennt. Betrachtet<br />
man das Zentrum des Liedes, die zweite<br />
Strophe mit der Phrase „dass ich nur immer<br />
stumm tragen kann dich, Herzgeliebte!“,<br />
so kulminiert hier die auskomponierte<br />
Dialektik von Ausgesprochenem und Unaussprechlichem.<br />
Wie ein Hymnus wirkt<br />
die frage, ein kurzes kontemplatives Lied<br />
mit akkordischer Klavierbegleitung. Musikalische<br />
Floskeln mit ländlicher Idylle und<br />
Vogelgezwitscher haben in dieser Danksagung,<br />
die im rhetorischen „ach, was<br />
füllte noch in arger Zeit ein Herz mit Lust?“<br />
endet, keinen Raum. Auch hier kommen<br />
wieder die Naturbilder Kerners zum Vorschein,<br />
im Gegensatz zu Sehnsucht nach<br />
der Waldgegend ist dieses Lied von tiefer<br />
Dankbarkeit und religiösem Pathos erfüllt.<br />
Die volksliedhafte Gedichtsammlung Des<br />
knaben Wunderhorn entstand im Kreis<br />
der Heidelberger Romantik unter Clemens<br />
Brentano und Achim von Arnim. Dem Aufkommen<br />
eines deutschen Nationalgefühls<br />
im frühen 19. Jahrhundert haben wir nicht<br />
zuletzt Werke wie die Märchensammlung<br />
der Brüder Grimm und Carl Maria von<br />
Webers freischütz zu verdanken. Des<br />
knaben Wunderhorn entstammt derselben<br />
geistigen Strömung. Auch wenn Johann<br />
Wolfgang von Goethe die Volkstümlichkeit<br />
der Gedichtsammlung lobte, darf man nicht<br />
vergessen, dass es u. a. Dichter wie Justinus<br />
Kerner waren, die ihre eigenen Werke<br />
im volksliedhaften Stil Brentano und<br />
Armin zukommen ließen. Gustav Mahler<br />
lernte die Wunderhorn-Gedichte im Jahr<br />
1888 kennen. Er sah in der Sammlung kein<br />
vollendetes Kunstwerk, vielmehr bezeichnete<br />
er die Textvorlagen als „Felsblöcke,<br />
aus denen jeder das Seine formen dürfe“.<br />
So sind die Titel seiner Vertonungen meist<br />
verschieden von den eigentlichen Gedichten.<br />
Das rheinlegendchen heißt ursprünglich<br />
rheinischer Bundesring, ist aber<br />
ansonsten ohne textliche Eingriffe vertont<br />
worden. Den Text zu Wo die schönen<br />
trompeten blasen formte sich Mahler aus<br />
Bildchen und Unbeschreibliche freude,<br />
die allerdings einige Strophen gemeinsam<br />
haben.<br />
Bezüglich der markanten Rhythmik, die<br />
neben den Liedvertonungen auch Mahlers<br />
sinfonisches Werk prägen, äußert sich der<br />
Mahler-Spezialist Fritz Egon Pamer folgendermaßen:<br />
„In Iglau, der national umbrandeten<br />
deutschen Sprachinsel, wuchs<br />
der Knabe Mahler heran; er fand reiche<br />
musikalische Nahrung in den Volksliedern<br />
der beiden Stämme, unter denen er seine<br />
Jugend verbrachte. Seine Phantasie wurde<br />
angeregt durch die sagenumwobene<br />
Waldlandschaft und das muntere Treiben<br />
der Garnison, deren Signale symbolische<br />
Bedeutung bei ihm gewannen. Morgen-<br />
und Abendappell, Rufe und Exerziermotive<br />
setzten sich bei ihm in Klangbilder um, die<br />
sich um die Gestalt des alten deutschen<br />
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