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ISSN 1611-6933 - Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft eV

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Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

Warum das baden-württembergische Produktionsmodell dem toskanischen<br />

überlegen ist 1<br />

10<br />

Vorbemerkungen<br />

Der Vergleich der industriellen Distrikte<br />

im so genannten „Dritten Italien“ mit<br />

dem Produktions- <strong>und</strong> Innovationsmodell<br />

Baden-Württembergs ist nichts Neues. Ich<br />

will dem Bekannten auch nichts Neues hinzufügen.<br />

Ich will das Bekannte vielmehr in<br />

einen anderen Bezugsrahmen einordnen<br />

<strong>und</strong> zeigen, dass das Theorem „industrieller<br />

Distrikt“ anschlussfähig an die neue ökonomische<br />

Orthodoxie des Neoliberalismus2 1 Wertvolle Hinweise <strong>und</strong> Anregungen verdanke ich<br />

Ingrid Drexel <strong>und</strong> Günter Bechtle, die als intime<br />

Kenner der italienischen Produktionsverhältnisse<br />

ausgewiesen sind.<br />

2 Unter Neoliberalismus verstehe ich ein kohärentes<br />

Ideengebäude, das in den letzten Jahren auf allen<br />

Dimensionen gesellschaftlicher Wirklichkeit<br />

hegemonial geworden ist <strong>und</strong> unübersehbare<br />

Spuren hinterlassen hat. Auf der Makroebene von<br />

Gesellschaft manifestiert es sich im Rückzug des<br />

Staates aus zahlreichen bislang ihm obliegenden<br />

Funktionen (Privatisierung <strong>und</strong> Deregulierung) <strong>und</strong><br />

in seiner Transformation vom Sozial- zum Wettbewerbsstaat.<br />

Auf der Mesoebene artikuliert es sich<br />

als das „Schleifen von <strong>Institut</strong>ionen“ <strong>und</strong> als „Entbettung“<br />

des ökonomischen Prozesses. Auf der<br />

Mikroebene tritt es uns entgegen als „Vermarktlichung“,<br />

„Dezentralisierung“ <strong>und</strong> „Flexibilisierung“<br />

des Betriebes. Auf der individuellen Ebene schließlich<br />

äußert es sich als Feier nutzenmaximierenden<br />

<strong>und</strong> konkurrenten Handelns. Der Mensch wird zum<br />

Unternehmer seiner Existenz, der auf die Selbstsorge<br />

statt auf den Schutz durch die Gemeinschaft<br />

verwiesen wird. Der Impetus des Neoliberalismus<br />

ist „revolutionär“. Er will alle Verhältnisse umwerfen,<br />

in denen die Ökonomie „sozial gebändigt“<br />

(Habermas) wird, er will den Kapitalismus „entfesseln“.<br />

Seine ideologische Wirkungsmacht, die weit<br />

über die „üblichen Verdächtigen“ hinausreicht,<br />

resultiert aus der Umcodierung der Kapitalismuskritik<br />

(Bürokratie, Hierarchie, Zentralisierung, Arbeitsteilung,<br />

Entfremdung etc.) in eine Kritik der sozialen<br />

Einhegung des ökonomischen Prozesses. Der<br />

Neoliberalismus zieht im Namen der individuellen<br />

Freiheit <strong>und</strong> mit dem Gestus des echten Reformers<br />

gegen alles ins Feld, was sich dem „Imperialismus<br />

der Ökonomie“ (Bourdieu) in den Weg stellt. Sein<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Josef Reindl<br />

ist, während das ökonomische Cluster Baden-Württembergs<br />

kaum im globalen ökonomischen<br />

Mainstream <strong>und</strong> im Netzwerk-<br />

Paradigma zu verorten ist.<br />

Ich möchte als theoretische Folie<br />

den folgenden Ausführungen zwei konträre<br />

Denkfiguren bzw. Erklärungsmodelle <strong>für</strong><br />

regionalen ökonomischen Erfolg <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

eine hohe regionale Innovationskraft unterlegen.<br />

Die erste Denkfigur3 nenne ich verstreute<br />

Produktion. Mit ihr wird ein Produktions-<br />

<strong>und</strong> Innovationsregime gekennzeichnet,<br />

das vom Betrieb in das Territorium, die<br />

Region, den Weltmarkt oder im Extremfall<br />

den Cyberspace diff<strong>und</strong>iert, das die Einheit<br />

der unternehmerischen Tätigkeit (Kapitalbeschaffung<br />

- Entwicklung - Produktion -<br />

Vermarktung) auflöst <strong>und</strong> stattdessen die<br />

ökonomischen Funktionen voneinander<br />

isoliert <strong>und</strong> sie in neuer Form rekombiniert.<br />

Die Signatur der verstreuten Produktion ist<br />

das Netzwerk. Ihre Innovationskraft schöpft<br />

sie aus dem verteilten Wissen der zerstreu-<br />

marktradikales Projekt ist nach einem Jahrzehnt<br />

postmoderner Dekonstruktion noch einmal ein utopischer<br />

Entwurf, der auf dem „ges<strong>und</strong>en Menschenverstand“<br />

des „homo oeconomicus“ aufsetzt.<br />

Darin, in der Verknüpfung von Vision <strong>und</strong><br />

common sense liegt seine Anziehungskraft begründet.<br />

3 Ähnlichkeiten dieser Denkfigur bestehen mit<br />

Negris Konzept der „zerstreuten Produktion“. Im<br />

Unterschied zu Negri beschränke ich mich auf die<br />

ökonomische <strong>und</strong> kulturelle Dimension dieses Konzepts.<br />

Negris politische Emphase des Modells <strong>und</strong><br />

seine Deduktion der „zerstreuten Produktion“ aus<br />

den Kämpfen der italienischen Arbeiterklasse<br />

kann ich beim besten Willen nicht teilen. Man<br />

muss wohl Operaist sein, um jede „fait social“ in<br />

ein Produkt des Klassenkampfes auflösen zu können.<br />

Vgl. Negri u.a. (1998)

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