ISSN 1611-6933 - Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft eV
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Impressum<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Sozialwirtschaft</strong> e.V. (ISO)<br />
Trillerweg 68<br />
D-66117 Saarbrücken<br />
Telefon: 0681 - 9 54 24-0<br />
Telefax: 0681 - 9 54 24-27<br />
e-mail: kontakt@iso-institut.de<br />
Internet: http://www.iso-institut.de<br />
© by ISO-<strong>Institut</strong> Saarbrücken<br />
<strong>ISSN</strong> <strong>1611</strong>-<strong>6933</strong><br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
1
2<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003
Inhalt<br />
Markus Pohlmann<br />
Editorial: Globalisierung, regionaler <strong>und</strong> demographischer Wandel: 5<br />
Josef Reindl<br />
Zu einigen Aufgaben sozialwissenschaftlicher Forschung<br />
Industrielle Distrikte oder Branchencluster? Warum das baden-württem- 10<br />
bergische Produktionsmodell dem toskanischen überlegen ist<br />
Franz Brandt<br />
Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit: Die Pflegeinfrastruktur im Blickpunkt 24<br />
Maria Zörkler<br />
„Und dann geht einem spätestens beim Pflegefokus das Licht auf.“ 30<br />
Zur Alltagsrelevanz eines Verfahrens zur Beurteilung der Pflegewirkung<br />
Martina Morschhäuser<br />
Integration von Arbeit <strong>und</strong> Leben: Strategien zur Förderung von 47<br />
Beschäftigungsfähigkeit<br />
ISO-News 58<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
3
4<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003
EDITORIAL<br />
Globalisierung, regionaler <strong>und</strong> demographischer Wandel: Zu einigen<br />
Aufgaben sozialwissenschaftlicher Forschung<br />
Seit den 80er Jahren haben sich die<br />
Parameter weltwirtschaftlicher Entwicklung<br />
gr<strong>und</strong>legend gewandelt. Der Zusammenbruch<br />
der Sowjetunion, das damit einhergehende<br />
„Ende der Dritten Welt“, der Aufstieg<br />
der asiatischen Ökonomien, die forcierte<br />
Globalisierung mit den veränderten<br />
Spielregeln der „New Economy“ <strong>und</strong> des<br />
„Shareholder-Value“-Kapitalismus sind nur<br />
einige der Entwicklungen, die diesen weitreichenden<br />
Umbruch kennzeichnen. Kasino-<br />
oder Turbokapitalismus sind neuere<br />
Schlagworte, um diesen beschleunigten<br />
Wandel zu markieren.<br />
Mit der beschleunigten Modernisierung<br />
sind auch die Anforderungen an die<br />
Sozialwissenschaften gestiegen. Die<br />
Schwierigkeiten in der Transformation Russlands<br />
<strong>und</strong> der osteuropäischen Staaten<br />
- aber auch der ehemaligen DDR - haben<br />
gezeigt, dass es keine Universallösungen<br />
<strong>für</strong> Probleme bei der Restrukturierung von<br />
Ökonomien gibt. Die durch US-amerikanische<br />
Berater geförderte, anfängliche Orientierung<br />
an einer Übernahme neoliberaler<br />
Regulationsmuster wurde denn<br />
auch in der osteuropäischen Transformation<br />
schnell aufgegeben. Andere Entwicklungspfade<br />
wie jener Deutschlands, Skandinaviens<br />
oder der asiatischen Schwellenländer<br />
gewannen an Bedeutung. Unklar<br />
sind jedoch bis heute die Entwicklungsspielräume<br />
geblieben, die nationale Ökonomien<br />
unter den Bedingungen forcierter<br />
Markus Pohlmann<br />
Globalisierung noch haben. Und unklar<br />
sind auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> die verschiedenen Pfade kapitalistischer<br />
Entwicklung <strong>und</strong> die sozialen<br />
Folgen, die mit ihnen verb<strong>und</strong>en sind. Eine<br />
kritische Abschätzung des Spielraums ökonomischer<br />
<strong>und</strong> sozialer Entwicklung scheint<br />
besonders dringlich geworden. Die Sozialwissenschaften<br />
sind neu herausgefordert,<br />
diese kritische Abschätzung ökonomischer<br />
<strong>und</strong> sozialer Entwicklungsspielräume zu leisten.<br />
Dabei ist klar, dass sich die Sozialwissenschaften<br />
nicht mehr umstandslos auf<br />
die Erklärungskraft der klassischen Großtheorien<br />
verlassen können. Deren Instrumentarium<br />
erwies sich häufig als zu starr,<br />
die Antworten als zu sehr historisch geb<strong>und</strong>en.<br />
Die zunehmend reflektierte, theoriesprengende<br />
Heterogenität wirtschaftlicher<br />
Entwicklung „nach dem Ende der Dritten<br />
Welt“ lässt in den Augen vieler Autoren die<br />
klassischen Kapitalismus- <strong>und</strong> Modernisierungsansätze<br />
zu „Theorieruinen“ werden.<br />
Zugleich fügen sich aber die zahlreichen<br />
neuen Perspektiven, die in den letzten 20<br />
bis 30 Jahren entstanden sind, noch nicht<br />
zu einem neuen Paradigma. Eine mit der<br />
nachlassenden Bindung an die althergebrachten<br />
Großtheorien zunehmende Vielfalt<br />
unterschiedlichster Konzepte <strong>und</strong> Thesen<br />
mittlerer Reichweite sorgte <strong>für</strong> ein vergleichsweise<br />
hohes Maß an Unübersicht-<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
5
Markus Pohlmann: Editorial<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
lichkeit in der sozialwissenschaftlichen Diskussion.<br />
Dazu trug auch bei, dass die Anstrengungen<br />
international vergleichender<br />
Forschung - unter wachsender Beteiligung<br />
deutscher Forschungseinrichtungen - sehr<br />
stark zugenommen haben. Insbesondere<br />
die Globalisierungsdiskussion hat im vergangenen<br />
Jahrzehnt die Forschungs- <strong>und</strong><br />
konzeptionellen Anstrengungen zur Abschätzung<br />
wirtschaftlicher <strong>und</strong> gesellschaftlicher<br />
Entwicklungslinien vorangetrieben.<br />
Nahezu alle Fördereinrichtungen<br />
der Sozialwissenschaften in Deutschland<br />
(DFG, VW-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung<br />
etc.) haben mit speziellen Förderprogrammen<br />
auf diese Diskussion reagiert.<br />
Doch eine Bilanzierung fällt noch schwer.<br />
Es fehlt an zusammenfassenden Analysen<br />
<strong>und</strong> Vergleichen der Erklärungskraft der<br />
unterschiedlichen Theoriekonstrukte. Es<br />
fehlt aber auch an evidenzbasierten Metaanalysen,<br />
die den Forschungsstand systematisch<br />
zusammenfassen <strong>und</strong> bündeln,<br />
um so zu einem plausiblen Set von Zusammenhangaussagen<br />
zu gelangen, die das<br />
Terrain der Globalisierung sozialwissenschaftlich<br />
abzustecken in der Lage sind.<br />
Hierauf wird sich die sozialwissenschaftliche<br />
Forschung - fernab der Thematisierungsmoden<br />
- weiter konzentrieren<br />
müssen. So zeigt sich z.B. bei genauerem<br />
Hinsehen, dass der in der Globalisierungsdiskussion<br />
hoch gehandelte industrielle<br />
Distrikt „nicht der Eingang zum Himmel“ ist,<br />
wie Antonio Negri zurecht bemerkt. Der<br />
Beitrag von Josef Reindl in diesem Heft<br />
veranschaulicht dies im Vergleich zwischen<br />
Baden-Württemberg <strong>und</strong> der Toskana in<br />
eindrucksvoller Weise. Er sorgt <strong>für</strong> eine Ernüchterung,<br />
die sich derzeit immer dann<br />
breit macht, wenn der Globalisierungsdis-<br />
6<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
kurs empirisch f<strong>und</strong>iert wird. Denn keineswegs<br />
ließ sich die im modischen Globalisierungsdiskurs<br />
weit verbreitete Annahme,<br />
dass mit zunehmender weltwirtschaftlicher<br />
Integration von regional angesiedelten<br />
<strong>und</strong> entsprechend vernetzten Unternehmen<br />
positive Effekte <strong>für</strong> die Prosperität einer<br />
Region einhergehen, in den Globalisierungsstudien<br />
hinreichend bestätigen. So<br />
wurde z.B. in einer Analyse des Münchner<br />
Fahrzeugbaus (Genosko/Biehler) herausgearbeitet,<br />
in welchem geringen Maße<br />
sich eine regionale Einbettung durch Kooperationen<br />
ergab, welche die regionale<br />
Prosperität förderten. Aber auch andere<br />
aktuelle Untersuchungen (wie z.B. Heinze/Minssen<br />
oder Feldhoff/Hessinger) mahnen<br />
gegenüber den neoliberalen Annahmen<br />
in der Frage der Effekte der Ansiedelung<br />
von multi-, transnationalen oder globalen<br />
Unternehmen zur Skepsis. Sie plausibilisieren,<br />
dass die Entstehung von Netzwerken<br />
sowie deren positive regionalökonomische<br />
Effekte keineswegs selbstverständlich<br />
mit der Ansiedelung der „global<br />
player“ verb<strong>und</strong>en sind. Zwar zeigte die<br />
Diskussion unterschiedlicher regionaler Kapitalismen<br />
in der Frage der Rolle der industriellen<br />
Distrikte, dass weder Konvergenzannahmen<br />
noch zu einfache Differenzierungsannahmen<br />
der internen Varianz im<br />
globalen Kapitalismus gerecht werden. Es<br />
deutete sich an, dass das globale Wirtschaftssystem<br />
selbst regionale Unterschiede<br />
in verstärkter Form zur internen Differenzierung<br />
nutzt. Aber in jüngster Zeit haben<br />
auch viele Untersuchungen klar gemacht,<br />
dass die Verselbstständigungstendenzen<br />
globaler ökonomischer Entwicklungen eine<br />
gegenläufige Dynamik dazu darstellen. Es<br />
scheint so, als werde die soziale Gestalt<br />
der Region durch globale Entwicklungen
Markus Pohlmann: Editorial<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
zugleich transzendiert <strong>und</strong> regeniert. Hier<br />
bedarf es eines genaueren Hinsehens sozialwissenschaftlicher<br />
Forschung, wie dies<br />
das ISO-<strong>Institut</strong> am Beispiel der SaarLorLux-<br />
Region (siehe z.B. Matthäi 2003) bereits exemplarisch<br />
geleistet hat.<br />
Daran schließen sich nun Fragen an,<br />
wie sich die Globalisierung auf soziale Formen<br />
der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensgestaltung<br />
auswirkt. Gibt es jene Abwärtsspiralen im<br />
Wettlauf um Standortbedingungen, die eine<br />
Angleichung der Lebensbedingungen<br />
<strong>und</strong> sozialen Absicherungen auf dem<br />
kleinsten gemeinsamen Nenner bewirken<br />
- also zu einer Erosion wohlfahrtsorientierter<br />
Komponenten führen, vor denen die Globalisierungskritiker<br />
immer wieder warnen?<br />
Und findet im Zuge fortschreitender Globalisierung<br />
eine Fortsetzung der Kolonialisierung<br />
von Lebenswelten mit noch weitreichenderen<br />
systemischen Mitteln statt?<br />
Auch hier liefert die Globalisierungsforschung<br />
ein Bild fernab der gängigen Mythen<br />
<strong>und</strong> Verteufelungen. Die Globalisierung,<br />
so könnte man viele neuere Forschungsbef<strong>und</strong>e<br />
zusammenfassen, lässt<br />
sich in ihren Auswirkungen <strong>für</strong> die Ausgestaltung<br />
der sozialen Absicherung <strong>und</strong> der<br />
alltäglichen Lebenswelt nicht einfach als<br />
zerstörerische Kraft beschreiben, die zur Erosion<br />
der sozialen Absicherung <strong>und</strong> Vernichtung<br />
traditionaler Lebenswelten führt,<br />
sondern sie regt sehr oft gegenläufige Prozesse<br />
der kulturellen Behauptung, der<br />
Neuerfindung von Traditionen <strong>und</strong> der<br />
Entwicklung von neuen Formen der sozialen<br />
Absicherung an. Unklar bleibt jedoch,<br />
wie dies genau funktioniert. (Im Falle der<br />
sozialen Absicherung könnte die viel gescholtene<br />
EU ein gutes Beispiel sein, aber<br />
wie sieht es im Falle neu angeregter kultureller<br />
Behauptungen aus? Ist hier der Islam<br />
ein angemessenes Beispiel?) Die dahinter<br />
stehenden Prozesse <strong>und</strong> Mechanismen zu<br />
erfassen <strong>und</strong> theoretisch zu konzipieren,<br />
bleibt ein spannendes Aufgabenfeld sozialwissenschaftlicher<br />
Forschung.<br />
Damit rücken auch die sozialen Sicherungssysteme<br />
<strong>und</strong> ihr Wandel in den<br />
Blickpunkt. Ein Thema, dessen sich die Globalisierungsdiskussion<br />
nur langsam angenommen<br />
hat. So hat z.B. Leibfried (2001)<br />
die spannende Frage nach den Auswirkungen<br />
des Globalisierungsdiskurses <strong>für</strong> die<br />
Unterwerfung der Sozialhilfe unter ökonomische<br />
Imperative in den USA <strong>und</strong> in<br />
Deutschland aufgeworfen. Mit dieser „Unterwerfung“<br />
ist gemeint, dass die Sozialhilfeleistungen<br />
stärker an die Entäußerung<br />
von Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt geknüpft<br />
werden. Leibfried konnte zeigen,<br />
dass die Globalisierungsdiskurse in den USA<br />
<strong>und</strong> Deutschland diesbezüglich von sehr<br />
unterschiedlicher Bedeutung waren <strong>und</strong> es<br />
in beiden Fällen zu keiner, durch die Diskurse<br />
angeregten Gleichschaltung in der<br />
Umgestaltung der Sozialhilfesysteme kam.<br />
Auf Basis von nach wie vor großen Strukturunterschieden<br />
sieht er zwar ähnliche<br />
Prozesse der Unterwerfung der Sozialhilfe<br />
unter ökonomische Imperative am Werke,<br />
aber die gegensteuernde Kraft staatlicher<br />
Wohlfahrtsorientierungen bleibt <strong>für</strong> ihn in<br />
beiden Ländern in unterschiedlicher Weise<br />
erhalten. (Was sich angesichts der jüngeren<br />
Entwicklungen in Deutschland allerdings<br />
auch anders sehen lässt.) Damit haben<br />
wir uns einem Kernthema der Arbeiten<br />
des ISO-<strong>Institut</strong>s von anderer Seite genähert.<br />
Denn auch hier, in den Untersuchungen<br />
zur Pflegeinfrastruktur, stellt sich die<br />
Frage, wie sehr im Zuge der Globalisierung<br />
nicht nur ökonomische Imperative auf das<br />
Pflegegeschehen Einfluss nehmen, sondern<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 7
Markus Pohlmann: Editorial<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
auch inwieweit das Heil in der Modernisierung<br />
der Pflegeinfrastruktur zunehmend in<br />
ökonomischen Konzepten gesucht wird<br />
- deren Passförmigkeit als ebenso fragwürdig<br />
erscheint wie ihre Übertragbarkeit.<br />
Franz Brandt gibt in seinem Beitrag nicht<br />
nur Einblicke in die Diskussion, was Qualitätssicherung<br />
(ein aus der Wirtschaft<br />
stammendes Konzept) in der Pflege bedeutet,<br />
sondern auch wie sie politisch organisiert<br />
wird. Und Maria Zörkler führt dann<br />
genauer aus, wie einem Qualitätsmanagementprozess<br />
nach DIN ISO 9001 in der<br />
Pflege Sinn verliehen werden kann <strong>und</strong><br />
welche Auswirkungen dies auf den Pflegealltag<br />
hat.<br />
Die derzeitigen Probleme der Pflege<br />
sind sicher auch Ausdruck eines voranschreitenden<br />
demographischen Wandels,<br />
der seine Spuren nicht nur in der Pflege,<br />
sondern auch in der industriellen Wirtschaft<br />
hinterlässt. Und er tut dies umso stärker, je<br />
mehr die Wirtschaft sich globalisiert. Denn<br />
die Globalisierung der Wirtschaft hat paradoxerweise<br />
nicht nur eine Bedeutungszunahme<br />
von Regionen zur Folge. Sie verweist<br />
jede regionale Wirtschaft darüber<br />
hinaus in verschärfter Weise auf das Arbeitskräftepotential,<br />
das ihr zur Verfügung<br />
steht. Denn dort, <strong>und</strong> nur dort, liegen die<br />
dauerhaften Wettbewerbsvorteile einer<br />
Wirtschaft. Daran hat die Globalisierung<br />
nichts verändert, im Gegenteil: Sie hat mit<br />
der immer einfacheren Verbreitung von<br />
Technologien <strong>und</strong> den Möglichkeiten, fast<br />
überall auf der Welt billig fertigen zu lassen,<br />
da<strong>für</strong> gesorgt, dass schwer kopierbare<br />
Wettbewerbsvorteile an Bedeutung gewannen.<br />
Und diese liegen vor allem in den<br />
Qualitäten, den Qualifikationen, dem Wissen<br />
<strong>und</strong> den Kompetenzen der Arbeitskräfte.<br />
Die vergleichsweise geringe Mobilität<br />
8<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
des Faktors Arbeit schlägt hier zu Buche.<br />
Deswegen wird mit jedem demographischen<br />
Wandel auch die Wettbewerbsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> Innovationskraft einer Region<br />
gr<strong>und</strong>legend verändert.<br />
Dabei sind die Folgen des demographischen<br />
Wandels in Deutschland heute<br />
bereits überall spürbar. Und sie sind es im<br />
Saarland in verschärfter Weise. Der Anteil<br />
der älteren Bevölkerung hat hier überproportional<br />
zugenommen, während jener der<br />
jüngeren Bevölkerung deutlich abgenommen<br />
hat. Und auch die saarländische Wirtschaft<br />
hat bis heute große Schwierigkeiten,<br />
die älteren Arbeitskräfte mit ihren großen<br />
Erfahrungen, guten Qualifikationen <strong>und</strong><br />
Kompetenzen in hinreichender Weise zu<br />
integrieren. Der Beitrag von Martina<br />
Morschhäuser handelt genau von diesen<br />
Problemen <strong>und</strong> welche Lösung sie b<strong>und</strong>esweit<br />
in unterschiedlichen Unternehmen<br />
erfahren. Mit ihren <strong>und</strong> anderen Ausführungen<br />
zu diesem Thema wird klar, wie sehr<br />
man lebenslanges Lernen heute ernst<br />
nehmen muss <strong>und</strong> wie schwer dies den Unternehmen<br />
- entgegen mancher Verlautbarungen<br />
- tatsächlich fällt.<br />
Auch in diesem Aspekt zeigt sich, wie<br />
eng Globalisierung <strong>und</strong> demographischer<br />
Wandel verknüpft sind <strong>und</strong> wie sehr sozialwissenschaftliche<br />
Expertise vonnöten ist,<br />
um Struktur in das Geflecht einer globalisierten<br />
Welt <strong>und</strong> Licht in das Dickicht der<br />
damit verb<strong>und</strong>enen sozialen Verwerfungen<br />
in den unterschiedlichen Regionen zu<br />
bringen. Die ISO-Mitteilungen sollen dazu<br />
anregen, diese Aufgabe gemeinsam anzugehen<br />
<strong>und</strong> wichtige Forschungsperspektiven<br />
<strong>und</strong> Forschungsergebnisse zum Thema<br />
werden zu lassen. Sie sollen helfen, in<br />
einen noch intensiveren Dialog mit befre<strong>und</strong>eten<br />
Wissenschaftlern, Förderern
Markus Pohlmann: Editorial<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
<strong>und</strong> Experten aus der Praxis zu treten, damit<br />
zentrale Problemlagen rechtzeitig erkannt<br />
<strong>und</strong> die Mittel zu ihrer Bearbeitung<br />
diskutiert werden können. Denn gerade<br />
die wissenschaftliche Forschung ist auf einen<br />
regen Dialog mit Experten aus der<br />
Praxis angewiesen, will sie ihre „Tuchfühlung“<br />
mit gesellschaftlichen Problemlagen<br />
<strong>und</strong> ihre „Kulturbedeutsamkeit“ nicht verlieren.<br />
▪<br />
PD Dr. Markus Pohlmann,<br />
Wissenschaftlicher Leiter ,<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
e-mail: pohlmann@iso-institut.de<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 9
Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
Warum das baden-württembergische Produktionsmodell dem toskanischen<br />
überlegen ist 1<br />
10<br />
Vorbemerkungen<br />
Der Vergleich der industriellen Distrikte<br />
im so genannten „Dritten Italien“ mit<br />
dem Produktions- <strong>und</strong> Innovationsmodell<br />
Baden-Württembergs ist nichts Neues. Ich<br />
will dem Bekannten auch nichts Neues hinzufügen.<br />
Ich will das Bekannte vielmehr in<br />
einen anderen Bezugsrahmen einordnen<br />
<strong>und</strong> zeigen, dass das Theorem „industrieller<br />
Distrikt“ anschlussfähig an die neue ökonomische<br />
Orthodoxie des Neoliberalismus2 1 Wertvolle Hinweise <strong>und</strong> Anregungen verdanke ich<br />
Ingrid Drexel <strong>und</strong> Günter Bechtle, die als intime<br />
Kenner der italienischen Produktionsverhältnisse<br />
ausgewiesen sind.<br />
2 Unter Neoliberalismus verstehe ich ein kohärentes<br />
Ideengebäude, das in den letzten Jahren auf allen<br />
Dimensionen gesellschaftlicher Wirklichkeit<br />
hegemonial geworden ist <strong>und</strong> unübersehbare<br />
Spuren hinterlassen hat. Auf der Makroebene von<br />
Gesellschaft manifestiert es sich im Rückzug des<br />
Staates aus zahlreichen bislang ihm obliegenden<br />
Funktionen (Privatisierung <strong>und</strong> Deregulierung) <strong>und</strong><br />
in seiner Transformation vom Sozial- zum Wettbewerbsstaat.<br />
Auf der Mesoebene artikuliert es sich<br />
als das „Schleifen von <strong>Institut</strong>ionen“ <strong>und</strong> als „Entbettung“<br />
des ökonomischen Prozesses. Auf der<br />
Mikroebene tritt es uns entgegen als „Vermarktlichung“,<br />
„Dezentralisierung“ <strong>und</strong> „Flexibilisierung“<br />
des Betriebes. Auf der individuellen Ebene schließlich<br />
äußert es sich als Feier nutzenmaximierenden<br />
<strong>und</strong> konkurrenten Handelns. Der Mensch wird zum<br />
Unternehmer seiner Existenz, der auf die Selbstsorge<br />
statt auf den Schutz durch die Gemeinschaft<br />
verwiesen wird. Der Impetus des Neoliberalismus<br />
ist „revolutionär“. Er will alle Verhältnisse umwerfen,<br />
in denen die Ökonomie „sozial gebändigt“<br />
(Habermas) wird, er will den Kapitalismus „entfesseln“.<br />
Seine ideologische Wirkungsmacht, die weit<br />
über die „üblichen Verdächtigen“ hinausreicht,<br />
resultiert aus der Umcodierung der Kapitalismuskritik<br />
(Bürokratie, Hierarchie, Zentralisierung, Arbeitsteilung,<br />
Entfremdung etc.) in eine Kritik der sozialen<br />
Einhegung des ökonomischen Prozesses. Der<br />
Neoliberalismus zieht im Namen der individuellen<br />
Freiheit <strong>und</strong> mit dem Gestus des echten Reformers<br />
gegen alles ins Feld, was sich dem „Imperialismus<br />
der Ökonomie“ (Bourdieu) in den Weg stellt. Sein<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Josef Reindl<br />
ist, während das ökonomische Cluster Baden-Württembergs<br />
kaum im globalen ökonomischen<br />
Mainstream <strong>und</strong> im Netzwerk-<br />
Paradigma zu verorten ist.<br />
Ich möchte als theoretische Folie<br />
den folgenden Ausführungen zwei konträre<br />
Denkfiguren bzw. Erklärungsmodelle <strong>für</strong><br />
regionalen ökonomischen Erfolg <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />
eine hohe regionale Innovationskraft unterlegen.<br />
Die erste Denkfigur3 nenne ich verstreute<br />
Produktion. Mit ihr wird ein Produktions-<br />
<strong>und</strong> Innovationsregime gekennzeichnet,<br />
das vom Betrieb in das Territorium, die<br />
Region, den Weltmarkt oder im Extremfall<br />
den Cyberspace diff<strong>und</strong>iert, das die Einheit<br />
der unternehmerischen Tätigkeit (Kapitalbeschaffung<br />
- Entwicklung - Produktion -<br />
Vermarktung) auflöst <strong>und</strong> stattdessen die<br />
ökonomischen Funktionen voneinander<br />
isoliert <strong>und</strong> sie in neuer Form rekombiniert.<br />
Die Signatur der verstreuten Produktion ist<br />
das Netzwerk. Ihre Innovationskraft schöpft<br />
sie aus dem verteilten Wissen der zerstreu-<br />
marktradikales Projekt ist nach einem Jahrzehnt<br />
postmoderner Dekonstruktion noch einmal ein utopischer<br />
Entwurf, der auf dem „ges<strong>und</strong>en Menschenverstand“<br />
des „homo oeconomicus“ aufsetzt.<br />
Darin, in der Verknüpfung von Vision <strong>und</strong><br />
common sense liegt seine Anziehungskraft begründet.<br />
3 Ähnlichkeiten dieser Denkfigur bestehen mit<br />
Negris Konzept der „zerstreuten Produktion“. Im<br />
Unterschied zu Negri beschränke ich mich auf die<br />
ökonomische <strong>und</strong> kulturelle Dimension dieses Konzepts.<br />
Negris politische Emphase des Modells <strong>und</strong><br />
seine Deduktion der „zerstreuten Produktion“ aus<br />
den Kämpfen der italienischen Arbeiterklasse<br />
kann ich beim besten Willen nicht teilen. Man<br />
muss wohl Operaist sein, um jede „fait social“ in<br />
ein Produkt des Klassenkampfes auflösen zu können.<br />
Vgl. Negri u.a. (1998)
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
ten Akteure, aus dem umherschweifenden<br />
Geist, der nicht in eine bestimmte Form zu<br />
pressen ist. Ihr ökonomischer Erfolg wird in<br />
Verbindung gebracht mit dem Konzept<br />
der flexiblen Spezialisierung <strong>und</strong> mit der<br />
drastischen Reduzierung von Transaktionskosten:<br />
Jeder macht das, was er am besten<br />
kann <strong>und</strong> auf diese Weise fügen sich<br />
die Beiträge der einzelnen zu einem Optimum<br />
zusammen. Arnold Picot schaut hinter<br />
den verstreuten Produzenten ebenso<br />
hervor wie die neuerdings in Ungnade gefallen<br />
Analysten, die jeder „virtuellen Innovation“<br />
<strong>und</strong> jedem schnittigen, auf seine<br />
Kernkompetenz reduzierten Unternehmen<br />
die Bestnoten ausgestellt haben. Radikale<br />
Outsourcing-Konzepte, die Chimäre des<br />
„virtuellen Unternehmens“, der Wintelismus4<br />
<strong>und</strong> die Netzwerk-Innovation - all diese<br />
Topoi modernen Wirtschaftens, die uns<br />
in den 90er Jahren so nachhaltig in ihren<br />
Bann gezogen haben, gehören zum<br />
Dunstkreis dieses Diskurses.<br />
Die zweite Denkfigur nenne ich fokussierte<br />
Produktion. Sie zeichnet sich dadurch<br />
aus, dass der gesamte ökonomische<br />
Prozess der Warenproduktion nicht nur unter<br />
der strategischen Ägide des Einzelkapitals<br />
abläuft, sondern der Tendenz nach<br />
auch operativ vom Einzelkapital gehandelt<br />
wird. Die materiellen <strong>und</strong> die geistigen Ressourcen<br />
werden unter einem Dach gebündelt<br />
<strong>und</strong> angewandt. Insourcing, eine<br />
hohe Wertschöpfungstiefe, ein breites Leistungsportfolio<br />
sowie ein differenziertes <strong>und</strong><br />
interdisziplinäres Kompetenzprofil sind die<br />
Markenzeichen der fokussierten Produktion.<br />
Sie weist nicht notwendigerweise eine<br />
hierarchische Signatur auf, sie kann sogar<br />
höchst netzwerkartig <strong>und</strong> dezentral struktu-<br />
4 Vgl. zum Wintelismus Lüthje (1998)<br />
riert sein. Doch dies sind Variationen <strong>und</strong><br />
Adaptionen an gewandelte Umwelten, sie<br />
kündigen keinen Bruch des zentripetalen<br />
Gr<strong>und</strong>musters an, keine Auflösung von<br />
Grenzen <strong>und</strong> keine „Desorganisation der<br />
Organisation“. Die fokussierte Produktion ist<br />
trotz aller Modernisierung, die sie in den<br />
letzten Jahrzehnten erfahren hat, im Prinzip<br />
konservativ. Sie will vereinnahmen <strong>und</strong><br />
nicht teilen, sie will anlagern <strong>und</strong> nicht von<br />
Fall zu Fall mieten oder kaufen, sie will das<br />
Ihre zusammenhalten <strong>und</strong> nicht abstoßen.<br />
Sie besteht auf der Wertschöpfungskette<br />
<strong>und</strong> sie will sie nicht durch ein Wertschöpfungsnetzwerk<br />
eintauschen. Der Urantrieb,<br />
der hinter der fokussierten Produktion steht,<br />
ist die Angst vor der Abhängigkeit oder positiv<br />
formuliert das Vertrauen in die eigene<br />
Stärke.<br />
I. Die industriellen Distrikte<br />
des „Dritten Italiens“<br />
I.1 Wahrheit <strong>und</strong> Mythos<br />
Der Diskurs über die regionale Einoder<br />
die globale Entbettung der Ökonomie<br />
hat besonderen Auftrieb durch die Rezeption<br />
der italienischen Distrikt-Debatte<br />
erfahren. 5 Aus der Emilia Romagna, dem<br />
Veneto, der Toskana <strong>und</strong> den Marken erreichte<br />
uns die frohe Botschaft eines kooperativen,<br />
solidarischen, vernetzten, territorial<br />
integrierten, klein- <strong>und</strong> mittelbetrieblich<br />
strukturierten <strong>und</strong> erfolgreichen Kapita-<br />
5 Die wichtigsten theoretischen Gewährsleute <strong>für</strong><br />
das Theorem der „industriellen Distrikte“ sind italienische<br />
Soziologen, Historiker <strong>und</strong> Ökonomen:<br />
Bagnasco, Becattini, Bellandi, Dei Ottati, Trigilia<br />
<strong>und</strong> vor allem Brusco. Piore <strong>und</strong> Sabel haben mit<br />
ihrem theoretischen Ansatz der flexiblen Spezialisierung<br />
auf diesen Autoren aufgesetzt <strong>und</strong> deren<br />
Erkenntnisse sehr „amerikanisch“ (burschikos <strong>und</strong><br />
eklektizistisch) in Besitz genommen <strong>und</strong> benutzt.<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 11
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
lismus. Die Nachrichten aus dem Süden Europas<br />
hörten sich an, als ob dort eine Alternative<br />
zur gleichmacherischen <strong>und</strong><br />
raumunterwerfenden Politik des transnationalen<br />
Kapitals existiere, als ob regionale<br />
<strong>und</strong> lokale Traditionen, Identitäten <strong>und</strong> Milieus<br />
das Substrat einer eigenständigen<br />
Wirtschaftsweise bildeten. Was hat es auf<br />
sich mit den „distretti industriali“?<br />
Zunächst einmal muss man konstatieren,<br />
dass sie kein Phantasma sind. Es gibt<br />
sie wirklich <strong>und</strong> es gibt sie in einer großen<br />
Anzahl. Die damit befassten Forscher zählen<br />
in den fraglichen Regionen zwischen 50<br />
<strong>und</strong> 65 solcher Distrikte, in denen pro Distrikt<br />
zwischen 5.000 <strong>und</strong> 30.000 Beschäftigte<br />
tätig sind. Sie sind mithin kein Randphänomen,<br />
sondern ein wesentlicher Bestandteil<br />
der italienischen Ökonomie, ja nicht<br />
wenige sagen, dass vor allem dieses Segment<br />
die Stärke der italienischen Wirtschaft<br />
ausmacht.<br />
Was kennzeichnet nun einen industriellen<br />
Distrikt, was macht ihn gegenüber<br />
anderen industriellen Verdichtungsräumen<br />
unverwechselbar? Stark vereinfacht gesagt<br />
verfügt der industrielle Distrikt über<br />
drei zentrale Charakteristika: a) er ist eine<br />
kleinräumige Agglomeration vieler Firmen,<br />
die um ein Hauptprodukt gruppiert sind<br />
<strong>und</strong> <strong>für</strong> den gleichen Endmarkt arbeiten;<br />
b) er verkörpert ein Produktionsmodell, das<br />
über zwischenbetriebliche Arbeitsteilung<br />
den Produktionsprozess hochgradig zerlegt<br />
<strong>und</strong> ihn durch zwischenbetriebliche Austauschprozesse<br />
wieder zusammenfügt; c)<br />
er besitzt eine Kultur, die zwischen den zerstreuten<br />
Produzenten Gemeinschaft stiftet<br />
<strong>und</strong> die im Produktionsmodell angelegten<br />
zentrifugalen Kräfte in Schach hält. Erst<br />
wenn diese drei Merkmale gegeben sind,<br />
kann man von einem industriellen Distrikt<br />
12<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
sprechen. Schauen wir uns diese Merkmale<br />
<strong>und</strong> ihr Zusammenspiel etwas näher an,<br />
um die Substanz, den Kern des industriellen<br />
Distrikts herauszudestillieren.<br />
Vergleichsweise unspektakulär ist der<br />
Umstand, dass eine große Anzahl von<br />
meist kleinen Firmen in einer abgegrenzten<br />
Region angesiedelt ist <strong>und</strong> <strong>für</strong> den gleichen<br />
Markt produziert. Solche Verdichtungen<br />
finden wir häufig in der Geschichte<br />
der Industrialisierung. Die Industrialisierung<br />
hat ja nicht gleichmäßig den Raum durchdrungen,<br />
sondern sie hat auf bestimmten<br />
materiellen (Bodenschätze, Rohstoffe,<br />
Wasserkraft etc.) <strong>und</strong> immateriellen (Handwerkstraditionen,<br />
vererbte Fertigkeiten<br />
etc.) Bedingungen, die regional unterschiedlich<br />
ausgeprägt sind, aufgesetzt.<br />
Bemerkenswerter ist schon der hohe Grad<br />
an Monostrukturierung in den italienischen<br />
Distretti. Während sich anderswo die Industriestruktur<br />
peu à peu diversifiziert hat,<br />
bleiben die Distretti in ihrer Produktausrichtung<br />
weitgehend homogen. Sie spielen die<br />
Karte der Spezialisierung exzessiv aus.<br />
Das Produktionsmodell der industriellen<br />
Distrikte ist eine virtuose Orchestrierung<br />
der flexiblen Spezialisierung. Eine Vielzahl<br />
von autonomen Einzelfirmen bringt durch<br />
ihr Zusammenspiel eine kollektive Effizienz<br />
hervor, die der organisierten Effizienz eines<br />
Großbetriebs mindestens ebenbürtig ist.<br />
Das Erfolgsgeheimnis dieses Produktionsmodells<br />
liegt in der extremen Zergliederung<br />
des Wertschöpfungsprozesses in<br />
kleinste Produktionsschritte, die von untereinander<br />
konkurrierenden Phasenfirmen<br />
(„stage firms“) ausgeführt werden. Es existieren<br />
quasi Märkte <strong>für</strong> einzelne Produktionsabschnitte,<br />
die es den Endproduzenten<br />
(„final firms“) erlauben, eine hohe Flexibilität<br />
bei gleich bleibenden Kosten zu reali-
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
sieren. Eine vitale Ökonomie mit hoher Flexibilität,<br />
einer hohen Wachstumsdynamik<br />
<strong>und</strong> einer hohen Produktivität tritt uns gegenüber,<br />
in der auf der Basis eines Gr<strong>und</strong>produktes<br />
spezialisierte Know-how–Träger<br />
ihre Stärken ausspielen <strong>und</strong> ein Ensemble<br />
assoziierter Produzenten hervorbringen, die<br />
ihren Zusammenhang durch sozial eingehegte<br />
Marktprozesse herstellen. Die Dynamik<br />
des Distrikts entsteht einerseits durch<br />
die so genannte „Knospung“; das sind<br />
Ausgründungen von Unternehmen durch<br />
Facharbeiter <strong>und</strong> Techniker mit dem Ziel,<br />
Nischen im Wertschöpfungsprozess zu besetzen,<br />
die noch vakant sind. Solche Knospungen<br />
sind auch der wichtigste Innovationspfad<br />
im Distrikt. Die Neugründer versuchen,<br />
mit einem neuen Teilprodukt oder<br />
mit einer neuen Technologie Fuß im Netzwerk<br />
zu fassen. Andererseits existiert ein<br />
Bestreben der so genannten Phasenfirmen,<br />
ihre marginale Position im Wertschöpfungsprozess<br />
zu verlassen <strong>und</strong> es den „final<br />
firms“ durch eigenen Marktauftritt nachzutun.<br />
Wie auch immer, im „industrial district“<br />
herrscht eine ständige Bewegung, ein<br />
Wechsel der Positionen im Wertschöpfungsprozess,<br />
ein Kommen <strong>und</strong> Gehen. Für<br />
den Außenstehenden grenzt es an ein<br />
W<strong>und</strong>er, dass diese voraussetzungsvolle<br />
Konstruktion funktioniert: dass die Koordination<br />
so vieler Vor-, Zwischen- <strong>und</strong> Endproduzenten,<br />
eingeschlossen die Handelsgesellschaften,<br />
die Heimarbeiter <strong>und</strong> die<br />
Ausrüster, klappt, dass das Machtgefälle,<br />
das zwischen den „final firms“, die exklusiven<br />
Zugang zum externen Markt haben<br />
<strong>und</strong> die von daher die Produkte konzipieren<br />
<strong>und</strong> die Preise machen, <strong>und</strong> den „stage<br />
firms“ nicht in ausbeuterischer Manier<br />
genutzt wird, dass kein Hauen <strong>und</strong> Stechen<br />
zwischen den Firmen ausbricht, „dass nicht<br />
ein Kapitalist viele totschlägt“, sondern die<br />
kooperative Komponente - das Helfen, das<br />
Ausleihen, das ein Auge zudrücken bei Lieferproblemen,<br />
das mehr machen, als vereinbart<br />
worden ist - die Oberhand über die<br />
kompetitive Komponente behält. Die Ursache<br />
da<strong>für</strong>, dass der Distrikt <strong>für</strong> alle eine<br />
„regionale Dividende“ abwirft <strong>und</strong> kein<br />
Mechanismus der wechselseitigen Übervorteilung<br />
<strong>und</strong> Ausnutzung ist, besteht in<br />
der sozialen Überformung der Austauschprozesse.<br />
Man tritt gewissermaßen in eine<br />
ökonomische <strong>und</strong> soziale Beziehung ein.<br />
Der Andere - ob jetzt Unternehmer oder<br />
Arbeiter - ist nicht nur Personifikation des<br />
Kapitals oder der Arbeit, er ist gleichzeitig<br />
der Mensch XY, den man aufgr<strong>und</strong> der lokalen<br />
Verortung oder aufgr<strong>und</strong> einer gemeinsamen<br />
Geschichte kennt. Diese Nähe<br />
hat die Entstehung eines informellen Regelwerks,<br />
eines Geschäftskodexes oder eines<br />
„ökonomischen Sittengesetzes“ begünstigt,<br />
das das Handeln der Akteure beeinflusst.<br />
Wir sind damit bei einem entscheidenden<br />
Aspekt <strong>für</strong> das Verständnis des industriellen<br />
Distrikts: der Kultur, die immer<br />
auch eine historische Komponente hat. Es<br />
ist das gemeinsame Selbstverständnis der<br />
Bewohner des Distrikts, das geteilte Schicksal<br />
<strong>und</strong> es sind mentale Dispositionen <strong>und</strong><br />
kulturelle Ressourcen, die auf das Handeln<br />
der ökonomischen Akteure einwirken. Die<br />
kulturelle Mitgift der Region ist es, die den<br />
industriellen Distrikt à la Italia ausmacht. In<br />
allen Distrikten hat seit langem eine bestimmte<br />
Handwerkstradition existiert, auf<br />
deren Gr<strong>und</strong>lage eine kleine <strong>für</strong> den lokalen<br />
Markt ausgelegte Industrie entstanden<br />
ist. Ein entscheidendes Wachstum hat diese<br />
Industrie erst erfahren, als das System<br />
der Halbpacht abgeschafft wurde <strong>und</strong> die<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 13
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
ehemaligen Teilpächter in die Fabriken geströmt<br />
sind. Es hat nicht lange gedauert<br />
<strong>und</strong> zahlreiche unter ihnen haben sich<br />
selbstständig gemacht <strong>und</strong> ihren vormaligen<br />
Arbeitgebern zugearbeitet. Dieser Prozess<br />
fiel zusammen mit den Dezentralisierungsbestrebungen<br />
der Fabriken, mit der<br />
Krise des Taylorismus, der zusehends weniger<br />
in der Lage war, die gewandelten<br />
K<strong>und</strong>enbedürfnisse zu befriedigen. Exemplarisch<br />
kann man dies z.B. in der Textilregion<br />
von Prato studieren. 6 Die ehemaligen<br />
Teilpächter haben häufig zunächst in den<br />
großen Fabriken des Nordens gearbeitet,<br />
sich dort in den Fabrikkämpfen der 60er<br />
<strong>und</strong> 70er Jahre radikalisiert <strong>und</strong> entweder<br />
aus freien Stücken oder gezwungenermaßen<br />
der Großindustrie den Rücken gekehrt.<br />
Zurück in ihrer Ursprungsregion haben sie<br />
zum Unternehmertum von unten beigetragen<br />
<strong>und</strong> die Kooperation der Produzenten<br />
mitinitiiert. Sie sind - wie es Negri sagt - zu<br />
„politischen Unternehmern“ geworden,<br />
haben auf die Kommunen eingewirkt, damit<br />
diese in dem mit „kollektiven Gütern“<br />
unterversorgten Italien eine distriktangepasste<br />
Infrastruktur (Finanzierungsinstitutionen,<br />
Ausbildung, Verkehrswege, unternehmensnahe<br />
Dienstleistungen) aufbauten.<br />
Nicht wenige haben in einer Doppelrolle<br />
als Unternehmer <strong>und</strong> Kommunalpolitiker<br />
agiert. 7 All diese Prozesse fanden überwiegend<br />
in Regionen statt, in denen<br />
Kommunisten <strong>und</strong> Sozialisten die politische<br />
<strong>und</strong> kulturelle Hegemonie besaßen, in denen<br />
die Werte der Solidarität <strong>und</strong> Kooperation<br />
bis ins Alltagsleben diff<strong>und</strong>ierten. Und<br />
es waren Regionen, die von der herrschenden<br />
DC systematisch vernachlässigt<br />
6 Vgl. dazu Dei Ottati (1998)<br />
7 Auf diese Zusammenhänge macht sehr eindringlich<br />
Negri (1998) aufmerksam.<br />
14<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
wurden. Sie lenkte die Gelder in den großbetrieblich<br />
strukturierten Norden <strong>und</strong> sie<br />
vergrub sie im Mezzogiorno. Dem „roten<br />
Gürtel“ blieb nichts anderes als sich selbst<br />
zu helfen <strong>und</strong> sein endogenes Potential zu<br />
entwickeln. Die industriellen Distrikte sind<br />
- so gesehen - die Frucht einer kollektiven<br />
Anstrengung, der Armut <strong>und</strong> Rückständigkeit<br />
zu entrinnen. Sie tragen vielleicht auch<br />
deshalb den Stempel eines anderen Industriemodells,<br />
in dem das Unternehmertum<br />
von unten, der Kleinbetrieb, die vertikale<br />
funktionale Verflechtung <strong>und</strong> die horizontale<br />
soziale Assoziation entscheidende<br />
Parameter sind. Da man den Großbetrieb<br />
entweder nicht wollte oder ihn nicht kriegen<br />
konnte, aber seine positiven ökonomischen<br />
Effekte unübersehbar waren, hat<br />
man ihn als Ensemble von aufeinander bezogenen<br />
Kleinfirmen entworfen <strong>und</strong> man<br />
hatte so neben dem Spezialisierungsvorteil<br />
auch noch den Flexibilitätsgewinn. Die<br />
ganze Region ist so ein „korporativer Akteur“<br />
geworden. Diese Konstruktion war<br />
machbar, weil man über ein kulturelles Setting<br />
verfügte, das dieses zergliederte Gebilde<br />
von im Raum zerstreuten Produzenten<br />
quasi automatisch steuerte <strong>und</strong> koordinierte.<br />
Um es noch einmal auf den Punkt zu<br />
bringen: Entscheidend <strong>für</strong> das Verständnis<br />
der italienischen industriellen Distrikte ist der<br />
Nexus zwischen Produktionsmodell <strong>und</strong> Kultur.<br />
Nur die Kultur - die Anerkennung des<br />
Anderen, der Verzicht, aus einer strategisch<br />
besseren Position Vorteile zu schlagen,<br />
die Reziprozität im Handeln (das „do<br />
ut des“), das wechselseitige Vertrauen, die<br />
Bereitschaft zu außervertraglichen Sonderleistungen,<br />
die Verlässlichkeit informeller<br />
Absprachen, das Teilen von Informationen,<br />
kurzum das Ausbalancieren der privaten
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
Sonderinteressen mit den kollektiven Distriktinteressen-<br />
bewahrt das spezifische Produktionsmodell<br />
im Distrikt davor, eine ganz<br />
gewöhnliche Ausbeutungsmaschinerie<br />
<strong>und</strong> ein ganz gewöhnlicher Mechanismus<br />
des Preis- <strong>und</strong> Lohndumpings, der Verlagerung<br />
der Risiken zu den schwächeren Gliedern<br />
in der Kette zu werden. Vertrauen ist<br />
die Gr<strong>und</strong>lage des Ganzen <strong>und</strong> Vertrauen<br />
ist hier eine elementare Prämisse <strong>für</strong> das<br />
Funktionieren des Produktionsmodells.<br />
I.2 Schattenseiten<br />
Der Industriedistrikt ist - reflektiert man<br />
seine Funktionsweise <strong>und</strong> seine Voraussetzungen<br />
- ein sehr verletzliches Gebilde. Ehe<br />
ich darauf zu sprechen komme, wie er sich<br />
heute darstellt, ob er erodiert oder stabil<br />
geblieben ist, möchte ich noch auf einige<br />
immanente Probleme des Distrikts zu sprechen<br />
kommen, die gewöhnlich unter den<br />
Tisch gekehrt werden, die aber ebenso zu<br />
ihm gehören wie die emphatisierten moralökonomischen<br />
Bestände.<br />
Antonio Negri hat gesagt, der „industrielle<br />
Distrikt ist nicht der Eingang zum<br />
Himmel“. Er ist ein sehr irdisches Gebilde<br />
<strong>und</strong> er hat deshalb neben seinen Sonnenauch<br />
die Schattenseiten.<br />
Ich habe bisher noch nichts zu den<br />
Produkten gesagt, die in den industriellen<br />
Distrikten hergestellt werden. Es sind überwiegend<br />
Consumer-Produkte, die an den<br />
Endverbraucher gehen wie Schuhe, Kleider,<br />
Textilien, Schmuck, Brillen, Möbel, Keramik.<br />
Es handelt sich also um Produkte der<br />
Leichtindustrie. Eine Ausnahme sind Produkte<br />
des Maschinenbaus, die einer eingehenderen<br />
Untersuchung bedürften. 8 Ich<br />
8 Der italienische Maschinenbau, in Europa der einzige<br />
ernst zu nehmende Konkurrent des deutschen<br />
Maschinenbaus, ist in seiner organisatori-<br />
lasse sie jetzt außen vor. Italien ist im Gegensatz<br />
zu anderen entwickelten Industriestaaten<br />
besonders stark in diesen traditionellen<br />
arbeitsintensiven Leichtindustrien.<br />
Die Gründe hier<strong>für</strong> liegen sicherlich z.T. in<br />
der Designführerschaft der Italiener <strong>und</strong> in<br />
der intelligenten Organisation der arbeitsintensiven<br />
Produktion. Doch gleichermaßen<br />
spielt hier die günstige Kostenstruktur<br />
der Unternehmen eine Rolle. Die Unternehmen<br />
hinterziehen in großem Maße<br />
Steuern, das italienische Finanzministerium<br />
schätzt, dass knapp 30% der Erträge am<br />
Fiskus vorbei erwirtschaftet werden. Sie<br />
mobilisieren weiterhin in großem Stil die<br />
Ressourcen der Schattenwirtschaft. Nach<br />
seriösen Schätzungen italienischer <strong>Institut</strong>e<br />
arbeiten etwa 300.000 – 400.000 Beschäftigte<br />
allein in der Textil- <strong>und</strong> Bekleidungswirtschaft<br />
schwarz. Das Gros der Firmen in<br />
den Leichtindustrien sind Kleinbetriebe, deren<br />
Arbeitskosten um 25% niedriger liegen<br />
als die in Mittel- <strong>und</strong> Großbetrieben. Zudem<br />
sind viele dieser Unternehmen gewerkschaftsfrei,<br />
es gelten keine Tarife, Überst<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> Samstags- <strong>und</strong> Sonntagsschichten,<br />
die an der Tagesordnung sind,<br />
werden schwarz abgerechnet. Es würde<br />
an ein W<strong>und</strong>er grenzen, wenn die Klein<strong>und</strong><br />
Kleinstbetriebe der industriellen Distrikte,<br />
die den Löwenanteil der Einzelfirmen<br />
ausmachen, nicht zu diesen Methoden<br />
greifen würden. Gerade im Akt der Firmengründung<br />
sind die Überarbeit der Familie<br />
<strong>und</strong> die Schwarzarbeit von Verwand-<br />
schen Gestalt netzförmig ausgelegt. Allerdings<br />
handelt es sich dabei nicht um ein fluides, sondern<br />
um ein fest verdrahtetes Netz, das größtenteils<br />
aus Ausgründungen der Mutterfirmen besteht.<br />
Die befre<strong>und</strong>eten Zulieferer können sich darauf<br />
verlassen, dass sie nicht durch Dritte substituiert<br />
werden <strong>und</strong> die fokalen Firmen können darauf<br />
vertrauen, dass die Lieferanten exklusiv <strong>für</strong> sie arbeiten.<br />
Vgl. dazu Bechtle (1999) <strong>und</strong> Drexel<br />
(2002).<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 15
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
ten oft unverzichtbar, um ein kleines Kapital<br />
zu akkumulieren. Wenn man zudem um<br />
die chronischen Finanzprobleme vieler Firmen<br />
weiß - ein Effekt des defizitären italienischen<br />
Kreditsystems -, dann nimmt es<br />
nicht w<strong>und</strong>er, dass die Distriktökonomie<br />
auch eine „economia diffusa“ ist. Da diese<br />
Praxis aber ubiquitär ist, tangiert sie nicht<br />
die gr<strong>und</strong>sätzliche Distriktsolidarität. Doch<br />
irgendjemand zahlt den Preis: <strong>und</strong> das ist<br />
der gering verdienende Arbeiter <strong>und</strong> der<br />
italienische Staat.<br />
Ein zweites kritisches Moment ist das<br />
Machtgefälle, das zwischen dem Endproduzenten<br />
<strong>und</strong> Vermarkter <strong>und</strong> der Phasenfirma<br />
existiert. Der Endproduzent, die „final<br />
firm“, hat exklusiven Zugang zum externen<br />
Markt, er beobachtet die Trends am Weltmarkt,<br />
konzipiert die geplanten Produkte,<br />
legt den Preis fest, kauft die Rohstoffe <strong>und</strong><br />
vergibt die Arbeiten an die Subunternehmer.<br />
Der Phasenproduzent ist nur in einem<br />
winzigen Ausschnitt dieses Gesamtprozesses<br />
beteiligt. Er ist darauf angewiesen, dass<br />
der Endproduzent das Produkt auch mit<br />
ihm bespricht, dass er ihn in die Preisgestaltung<br />
einbezieht, ja dass er ihm den Auftrag<br />
überhaupt gibt. Da auf einer Produktionsstufe<br />
immer viele Phasenproduzenten existieren<br />
- es ist leicht, eine Phasenfirma zu<br />
gründen <strong>und</strong> es gibt einen ungebrochenen<br />
Trend zur Selbstständigkeit - <strong>und</strong> da<br />
der Produktionsschritt i.d.R. nicht komplex<br />
<strong>und</strong> von daher leicht austauschbar ist, hat<br />
der Phasenproduzent kein ökonomisches<br />
Pf<strong>und</strong> in der Hand. Er braucht das Wohlwollen<br />
des Endproduzenten, der ihm natürlich<br />
die Bedingungen diktieren kann: Lieferzeit,<br />
Qualität, Preis. Zwar behaupten die<br />
Chronisten der industriellen Distrikte, dass<br />
die Phasenproduzenten durch Innovationskonkurrenz<br />
an die Aufträge kämen,<br />
16<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
doch der andere Weg, das Preis- <strong>und</strong> damit<br />
Lohndumping, dürfte nicht weniger selten<br />
vorkommen. Aus dieser misslichen objektiven<br />
Situation heraus ist auch das<br />
Bestreben vieler Phasenproduzenten zu erklären,<br />
möglichst viele Endproduzenten als<br />
K<strong>und</strong>en zu akquirieren, mehrere Produktionsabschnitte<br />
in der Firma zu konzentrieren<br />
oder gar mit einem eigenen Teilprodukt<br />
auf den externen Markt zu gehen.<br />
Noch gar nicht thematisiert worden<br />
sind im Kontext der Distriktdebatte die ökologischen<br />
Folgen dieses Produktionsmodells.<br />
9 Der logistische Aufwand der verstreuten<br />
Produktion ist enorm hoch, die<br />
Distrikte stehen permanent im Stau. Die<br />
ungebrochene Dynamik der Distrikte bringt<br />
es weiterhin mit sich, dass immer mehr<br />
Landschaft verzehrt wird, die Distrikte fressen<br />
sich vor allem im Veneto in Gegenden<br />
vor, die vorher unter Naturschutz standen.<br />
Die Abfall- <strong>und</strong> Abwasserprobleme kumulieren<br />
sich, Donna Leons Commissario Brunetti<br />
weiß davon ein Lied zu singen.<br />
Ein letztes Phänomen möchte ich<br />
noch kurz ansprechen, ehe ich zu den Perspektiven<br />
<strong>für</strong> die Distrikte komme. Eine elementare<br />
Erkenntnis der Distrikttheoretiker<br />
ist, dass das Distriktkonzept nicht so einfach<br />
in andere Regionen verpflanzt werden<br />
kann, dass es etwas Idiosynkratisches sei,<br />
das nur innerhalb einer bestimmten Kultur<br />
funktionieren könne. Etliche Akteure der<br />
Distrikte, die vor allem im Veneto zuhause<br />
sind, haben die Skrupulosität der Theoretiker<br />
längst hinter sich gelassen. Der industrielle<br />
Distrikt wird derzeit massenhaft nach<br />
Rumänien, nach Temeschwar, exportiert<br />
<strong>und</strong> es hat sich schon eine ganze Consul-<br />
9 Dies gilt generell <strong>für</strong> die Anhänger des Netzwerk-<br />
Paradigmas, die mit ökonomischer Blindheit geschlagen<br />
zu sein scheinen.
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
ting-Industrie herausgebildet, die ihn in andere<br />
Weltgegenden verkaufen will. Schält<br />
sich dadurch die wahre Natur des industriellen<br />
Distrikts heraus, nämlich ein hochprofitables<br />
<strong>und</strong> kostengünstiges Produktionsmodell<br />
zu sein, das eigentlich keinen<br />
kulturellen Schutzmantel braucht, oder<br />
wird hier die Natur des industriellen Distrikts<br />
pervertiert <strong>und</strong> neoliberal transformiert?<br />
I.3 Perspektiven<br />
Der industrielle Distrikt ist eine lokale<br />
Gemeinschaft, die sich Regeln des Wirtschaftens<br />
<strong>und</strong> des Arbeitens gibt <strong>und</strong> die<br />
sich an diese Regeln hält, weil die räumliche<br />
Nähe soziale Nähe <strong>und</strong> damit auch<br />
ein Sanktionsregime <strong>für</strong> Regelverletzungen<br />
hervorbringt. Wenn fremdes Kapital oder<br />
fremde Arbeitskräfte in großem Maße in<br />
diese geschlossenen Gesellschaften eindringen,<br />
dann droht das Sozialmodell im<br />
industriellen Distrikt zu erodieren. Solche Erosionsprozesse<br />
sind im Moment auf mehreren<br />
Ebenen zu beobachten. 10<br />
In zahlreichen Distrikten ist es zu Konzentrations-<br />
<strong>und</strong> Formierungsprozessen gekommen.<br />
Mehrere Finalproduzenten haben<br />
sich zu Gruppen oder Holdings zusammengeschlossen<br />
<strong>und</strong> strategisch wichtige<br />
Phasenfirmen aufgekauft. Sie haben<br />
ihren ökonomischen Aktionsradius erheblich<br />
erweitert, indem sie Vorprodukte aus<br />
anderen Regionen <strong>und</strong> aus Billiglohnlän-<br />
10 Die Diskussion über den Übergriff des globalen<br />
Kapitalismus auf die Distrikte hat noch gar nicht<br />
begonnen. Um die Distrikt-Theoretiker ist es seit einigen<br />
Jahren merklich still geworden. Meine Informationen<br />
stammen denn auch vor allem aus<br />
Gesprächen mit deutschen <strong>und</strong> italienischen Experten<br />
<strong>und</strong> aus dem Studium italienischer <strong>und</strong><br />
deutscher Zeitungen. Andeutungen über Krisentendenzen<br />
finden sich bereits bei Grigilia (1992).<br />
Man (der Autor eingeschlossen) hat sie aber geflissentlich<br />
überlesen, weil sie das schöne Bild eines<br />
humanen Kapitalismus hätten stören können.<br />
dern zukaufen oder indem sie bestimmte<br />
Produktionsschritte aus dem Distrikt auslagern.<br />
Dies hat vor allem auf den unteren<br />
Wertschöpfungsstufen zu einer Schrumpfung<br />
der Phasenfirmen geführt, die der<br />
Konkurrenz mit den externen Billiganbietern<br />
nicht mehr gewachsen waren. Als Reaktion<br />
darauf haben viele Phasenfirmen ebenfalls<br />
ihr Aktionsfeld erweitert <strong>und</strong> sie liefern<br />
heute auch in andere Regionen. Die Distriktgrenzen<br />
sind so von beiden Seiten gesprengt<br />
worden <strong>und</strong> die „üblichen Preise“<br />
sind ins Rutschen gekommen.<br />
Während über lange Zeiträume hinweg<br />
autochthones Kapital in den Distrikten<br />
vorherrschend war, dringt heute immer<br />
mehr fremdes Kapital ein, wird die Kapitalstruktur<br />
im Distrikt unübersichtlicher <strong>und</strong><br />
anonymer. Auswärtige Kapitalgruppen<br />
versuchen zusehends, die Produktionsnetzwerke<br />
unter ihre Kontrolle zu nehmen<br />
<strong>und</strong> die lose Koppelung der „stage firms“<br />
in eine feste Beziehungsstruktur zu transformieren.<br />
Am weitesten fortgeschritten ist<br />
diese Rückverwandlung der Distrikte in verlängerte<br />
Werkbänke des Großkapitals in<br />
der Bekleidungsindustrie des Veneto. Benetton<br />
beschäftigt dort selber gerade<br />
noch 6.000 Angestellte <strong>und</strong> lässt in zahllosen<br />
kleinen Subunternehmen 50.000 Menschen<br />
<strong>für</strong> sich arbeiten. Die Großindustrie<br />
kommt in den Distrikten wieder ins Spiel,<br />
weil die Gründergeneration langsam ausstirbt<br />
<strong>und</strong> entweder Nachfolgeprobleme<br />
auftreten oder weil die zweite Generation<br />
dem informellen Regelwerk der Distriktgemeinschaft<br />
nicht mehr viel abgewinnen<br />
kann <strong>und</strong> sich stattdessen an modernen<br />
kapitalmarktorientierten Strategien <strong>und</strong> an<br />
professionellen Managementmethoden<br />
ausrichtet. Mit der Informationstechnologie<br />
hat sie zudem ein Rüstzeug an der Hand,<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 17
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
die Informalität der Austauschprozesse<br />
aufzubrechen <strong>und</strong> die verschlungenen<br />
Wege des Produktentstehungsprozesses<br />
transparent zu machen. Dass dieser Informatisierungsprozess<br />
sich im Moment noch<br />
chaotisch ausnimmt <strong>und</strong> auf heftigen Widerstand<br />
stößt, liegt in der Natur der Sache.<br />
Doch er bedroht als solcher bereits<br />
die gewachsene Vertrauensgr<strong>und</strong>lage.<br />
Ein anderer wichtiger Faktor <strong>für</strong> den<br />
Distriktzusammenhalt - der soziale <strong>und</strong> kooperative<br />
Spirit, der durch die Hegemonie<br />
der Linken in den Distrikten befördert wurde<br />
- bröckelt massiv ab. Die Krise <strong>und</strong> der<br />
Niedergang des italienischen Kommunismus<br />
wirkt auf die Werthaltungen in den<br />
Distrikten ein. Es muss zu denken geben,<br />
dass heute die separatistische Lega Nord<br />
die Distrikte als Hort des produktiven, arbeitsamen<br />
Italiens, als Wirkungsstätte der<br />
unternehmerischen Freiheit feiert <strong>und</strong> eine<br />
weitreichende Deregulierung fordert. Sie<br />
bringt den Produktivismus der Distrikte in<br />
Stellung gegen einen bürokratischen, gefräßigen<br />
Staat <strong>und</strong> gegen einen überregulierten<br />
<strong>und</strong> von den Gewerkschaften kontrollierten<br />
Arbeitsmarkt. Bei den Mikro- <strong>und</strong><br />
Kleinunternehmern der Distrikte trifft sie<br />
damit auf offene Ohren.<br />
Schließlich - <strong>und</strong> dies ist vielleicht das<br />
größte Bedrohungsmoment - gehen den<br />
Distrikten die Arbeitskräfte aus. Der massive<br />
Drang zur Unternehmensgründung von unten<br />
wird nicht mehr begleitet von einer<br />
ebenso großen Bereitschaft, sich bei den<br />
Kleinunternehmern zu verdingen. Es<br />
herrscht ein eklatanter Arbeitskräftemangel,<br />
weil die Geburtenrate schon lange eine<br />
der niedrigsten in Europa ist <strong>und</strong> weil<br />
der wenige Nachwuchs die harte Arbeit in<br />
den Distriktfirmen nicht mehr auf sich nehmen<br />
will. Damit funktioniert der Familialis-<br />
18<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
mus als Akkumulationsregime nicht mehr<br />
<strong>und</strong> damit wird der kompetitive Vorteil der<br />
kleinen Phasenfirmen - relativ niedrige<br />
Löhne, hohe Flexibilität aufgr<strong>und</strong> unkonventioneller<br />
Arbeitszeiten etc. - gefährdet.<br />
Der Ausweg, den die Firmen gehen, besteht<br />
derzeit im Anheuern ausländischer<br />
Arbeitskräfte. Die Extracommunitari, die<br />
viele Italiener am liebsten ins Meer zurücktreiben<br />
würden, sind in den Distrikten<br />
hochwillkommen. In einigen Gegenden<br />
hat das dazu geführt, dass auf bestimmten<br />
Produktionsstufen eine richtiggehende<br />
Ethnisierung der Beschäftigung stattgef<strong>und</strong>en<br />
hat. 11 Dieses Phänomen wirft im übrigen<br />
ein bezeichnendes Licht auf den qualifikatorischen<br />
Gehalt vieler Arbeiten im<br />
Distrikt <strong>und</strong> es dementiert die romantische<br />
Erzählung vom Industriedistrikt als Territorium<br />
qualifizierter <strong>und</strong> innovativer Arbeit.<br />
Summa summarum ist der Glanz der<br />
industriellen Distrikte als nachahmenswertes<br />
Modell inzwischen verblasst. Die zerstreute<br />
Produktion wird immer weniger<br />
durch die Kultur zusammengehalten, sie<br />
droht zum Spielball anonymer, nicht mehr<br />
durchschaubarer Kapitalmächte zu werden.<br />
So weit ist es - aufs Ganze betrachtet<br />
- noch nicht. Die Distrikte sind in ihrer sozialen<br />
Substanz angekratzt, während ihre<br />
ökonomische Vitalität ungebrochen ist.<br />
Vielleicht ist dies ja ihre Zukunft: ein produktiver<br />
<strong>und</strong> profitabler Mechanismus zu sein,<br />
der nicht mehr der kulturellen Dreingaben<br />
bedarf.<br />
11 Am ausgeprägtesten ist dieser strukturelle Arbeitsrassismus<br />
in der Gegend um Prato, wo die Chinesen<br />
in „sweat shops“ ihre Haut zu Markte tragen.<br />
Wer in diese Gegend kommt, muss schon genau<br />
hinsehen, um die Migranten zu entdecken. Sie<br />
verstecken sich vor der italienischen Gesellschaft.
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
II. BADEN-WÜRTTEMBERG<br />
II.1 Industrieller Distrikt oder<br />
ökonomisches Cluster<br />
Baden-Württemberg ist kein industrieller<br />
Distrikt <strong>und</strong> in Baden-Württemberg<br />
gibt es auch keine industriellen Distrikte. Ob<br />
man den Großraum Stuttgart nimmt, die<br />
Heilbronner Gegend, die Schwäbische<br />
Alb, den Großraum Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg,<br />
nirgendwo ist eine derartige<br />
Monostrukturierung <strong>und</strong> Spezialisierung<br />
der Industrie, ein derartiger Produktbezug,<br />
eine derartige Dominanz des Kleinbetriebs<br />
<strong>und</strong> eine derartige Schließung des<br />
Raums zu sehen wie in den italienischen<br />
Distrikten. Das Territorium spielt wohl eine<br />
Rolle im Sinne der Erzeugung einer „industrial<br />
atmosphere“ 12 , aber es stellt nicht das<br />
F<strong>und</strong>ament <strong>für</strong> eine bestimmte Struktur der<br />
Industrie <strong>und</strong> <strong>für</strong> eine bestimmte Wirtschaftsweise<br />
dar. Die Beziehungen der Unternehmen<br />
gehorchen nicht Raum-, sondern<br />
Branchenparametern. Das Cluster<br />
aus Automobilindustrie, Maschinenbau<br />
<strong>und</strong> Elektro-/bzw. Elektronikindustrie, das<br />
lokal nicht eingrenzbar ist, ist weit mehr<br />
strukturbestimmend als der Raum, in dem<br />
ein Unternehmen zufällig angesiedelt ist.<br />
Ob Daimler in Heilbronn statt in Stuttgart, ZF<br />
in Reutlingen statt in Friedrichshafen, Bosch<br />
in Ulm statt in Stuttgart, Dürr in Singen statt<br />
in Zuffenhausen wäre, würde keinen Unterschied<br />
machen, den Charakter des baden-württembergischen<br />
Wirtschaftsmodells<br />
nicht verändern. Insofern macht es hier<br />
Sinn, ganz Baden-Württemberg als Bezugsgröße<br />
zu nehmen <strong>und</strong> auf dieser<br />
Gr<strong>und</strong>lage das Spezifische des Baden-<br />
12 Der Begriff stammt von Marshall, der zu Unrecht<br />
als Ahnherr des industriellen Distrikts gilt. Vgl. zu<br />
dieser folgenschweren Fehldeutung Reindl (2002).<br />
Württemberger-Produktionsmodells herauszuarbeiten.<br />
Wenn vom baden-württembergischen<br />
Metall- <strong>und</strong> Elektrocluster die Rede<br />
ist, dann heißt das zunächst nicht mehr, als<br />
dass in der Region ein breites industrielles<br />
Wissensf<strong>und</strong>ament sowohl in den Unternehmen,<br />
auf dem Arbeitsmarkt <strong>und</strong> in den<br />
<strong>Institut</strong>ionen vorhanden ist. Diese Konzentration<br />
von „tacit knowledge“ <strong>und</strong> „wissenschaftlichem<br />
Wissen“ reproduziert <strong>und</strong> verstärkt<br />
das Cluster. Dass damit auch Lock-in-<br />
Effekte verb<strong>und</strong>en sein können, ist unbestritten.<br />
Doch Baden-Württemberg hat<br />
gezeigt, dass das Cluster lern- <strong>und</strong> innovationsfähig<br />
ist, was sowohl an der Automobilindustrie<br />
als auch am Maschinenbau zu<br />
studieren ist. Ein wichtiges Moment der<br />
Clusterbildung in Baden-Württemberg ist,<br />
dass sich die daran beteiligten Branchen<br />
nicht vermischen, dass die Grenzen zwischen<br />
ihnen nicht fließend werden. Die Unternehmen<br />
im Cluster sind nicht <strong>für</strong>einander<br />
da, sie verfolgen Zwecke, die weit über<br />
das regionale Cluster hinausgehen. Es gibt<br />
eine gemeinsame Schnittmenge zwischen<br />
Automobilindustrie, Maschinenbau <strong>und</strong> Elektroindustrie<br />
in Form von Lieferbeziehungen<br />
oder auch - was eher selten vorkommt<br />
- in Form von Entwicklungspartnerschaften,<br />
doch darin gehen die Unternehmen<br />
nicht auf. Ihre Vernetzung hält<br />
sich in Grenzen <strong>und</strong> wenn Vernetzung <strong>und</strong><br />
Kooperation, dann sind es entweder strategische<br />
Vernetzungen <strong>und</strong> „antagonistische<br />
Kooperationen“ wie etwa zwischen<br />
Erstausrüstern <strong>und</strong> bestimmten Zulieferern<br />
in der Automobilindustrie (Systempartnerschaften)<br />
- ein anderes Beispiel wäre die<br />
systematische Zusammenarbeit von Anlagenbauern<br />
mit Lieferanten - oder zeitlich<br />
begrenzte <strong>und</strong> punktuelle „komplementä-<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 19
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
re Kooperationen“ wie bei bestimmten<br />
gemeinsamen Entwicklungsprojekten zwischen<br />
Maschinenbauern <strong>und</strong> Elektronikfirmen.<br />
Es ist bezeichnend, dass sich z.B. die<br />
Maschinenbauer viel leichter damit tun,<br />
Joint Ventures mit japanischen Unternehmen<br />
einzugehen als gemeinsame Servicegesellschaften<br />
mit anderen baden-württembergischen<br />
Maschinenbauern in bestimmten<br />
internationalen Vertriebsregionen<br />
zu gründen. Der Erfolg des baden-württembergischen<br />
Clusters basiert mithin mehr<br />
auf der großen Massierung von Unternehmen<br />
<strong>und</strong> damit der Massierung der praktischen<br />
<strong>und</strong> theoretischen industriellen<br />
Kompetenz - Marshall hätte gesagt, die Industriegeheimnisse<br />
liegen hier offen auf<br />
der Straße - als auf dem Austausch, der<br />
Vernetzung, der Kooperation der Unternehmen.<br />
Die Unternehmen operieren<br />
- auch innerhalb der Branchen - nebeneinander,<br />
auf eigenen Teilmärkten <strong>und</strong> in<br />
Nischen, sie kommen sich nicht groß in die<br />
Quere <strong>und</strong> sie profitieren trotzdem vom<br />
ungeheuren Wissens-, Erfahrungs- <strong>und</strong><br />
Technologiepotential der Region.<br />
II.2 Die Selbermacher<br />
Dieser Mangel an horizontalen Austauschbeziehungen<br />
existiert nicht nur im<br />
Verkehr von Unternehmen unterschiedlicher<br />
Branchen, er ist auch innerhalb der<br />
Branche da. Die Innovationsforschung hat<br />
in den 90er Jahren mit Sorge bemerkt, dass<br />
in Baden-Württemberg der Industriebesatz<br />
ungewöhnlich hoch ist, dass die Firmen zuviel<br />
Inhouse-Produktion betreiben, sprich<br />
eine zu hohe Fertigungstiefe aufweisen,<br />
dass sie, wenn sie sich zuliefern lassen, vor<br />
allem „regional sourcing“ bevorzugen,<br />
dass sie zu wenig externe Dienstleistungen<br />
nutzen, ja dass es - gemessen am b<strong>und</strong>es-<br />
20<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
deutschen Durchschnitt - zu wenige unternehmensnahe<br />
Dienstleistungen gebe. Man<br />
deutete diese Selbstbezüglichkeit der Unternehmen<br />
als Innovations- <strong>und</strong> Flexibilitätsblockade,<br />
weil man sich dadurch von<br />
externen Inputs abschneide <strong>und</strong> nur im eigenen<br />
Saft braten würde <strong>und</strong> weil man die<br />
Flexibilitätschancen, die im Outsourcing<br />
lägen, vergeben würde. 13 Tatsächlich ist es<br />
so, dass in den Unternehmen des badenwürttembergischen<br />
Clusters die Philosophie<br />
des schlanken Unternehmens, das in<br />
zwischenbetriebliche Netzwerke eingeb<strong>und</strong>en<br />
ist, nur bedingt gegriffen hat. Die<br />
Unternehmen sind i.d.R. immer noch breit<br />
aufgestellt, sie deuten die Kernkompetenz<br />
sehr weit, sie bestehen auf dem internen<br />
Wertschöpfungsprozess, auf einer eigenen<br />
Produktion <strong>und</strong> sie bauen ihre Dienstleistungsabteilungen,<br />
sofern sie auf den K<strong>und</strong>en<br />
bezogen sind, eher aus als ab. Sie setzen<br />
auf interne <strong>und</strong> nicht auf externe Flexibilität.<br />
Sie wollen den Wertschöpfungsprozess<br />
unter Kontrolle haben. Sie sind die typischen<br />
Selbermacher, die lieber noch ein<br />
paar mal um die Ecke tüfteln, ehe sie wirklich<br />
Hilfe von außen holen. Wo sie sich in<br />
Lieferbeziehungen begeben, da versuchen<br />
sie entweder, den Lieferanten fest an<br />
das Unternehmen zu binden, eine Partnerschaft<br />
einzugehen, in der die Rollen klar<br />
verteilt sind, oder sie sichern sich - wie im<br />
Falle der Automobilindustrie - durch harsche<br />
Konditionen ab. Ein fluides Netzwerk,<br />
wie wir es in den italienischen Distrikten finden,<br />
würde niemand knüpfen wollen. Was<br />
die Unternehmer des Clusters hingegen exzessiv<br />
machen, ist die Herstellung von Pra-<br />
13 Dieses Klagelied wurde am lautesten von Heidenreich<br />
(1992) angestimmt, der den Maschinenbauern<br />
einen eklatanten Rückstand zur Moderne (i.e.<br />
Outsourcing, geringe Wertschöpfungstiefe, Einkauf<br />
von Dienstleistungen, etc.) attestiert hat.
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
xisgemeinschaften mit K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Zulieferern.<br />
14 In ihnen <strong>und</strong> nicht in der in Baden-<br />
Württemberg im Überfluss vorhandenen<br />
Apparatur des Technologie- <strong>und</strong> Wissenstransfers<br />
sehen sie ihre wichtigsten Innovationsquellen.<br />
Wer in diesem Vertrauen auf die eigene<br />
Stärke <strong>und</strong> in dieser sehr selektiven<br />
Kooperationspolitik der Unternehmen eine<br />
Bornierung am Werke sieht, der möge bedenken,<br />
dass Baden-Württemberg das<br />
Land mit den meisten Patentanmeldungen<br />
ist, dass der dort ansässige Maschinenbau<br />
Exportweltmeister ist, dass die Inkorporation<br />
der IT in seine Produkte weitgehend vollzogen<br />
ist, dass die Weltmarktdurchdringung<br />
keine exklusive Angelegenheit weniger Unternehmen,<br />
sondern eine kollektive Erfahrung<br />
ist, dass selbst kleine Unternehmer sich<br />
in die weite Welt aufgemacht haben, um<br />
ihre Produkte zu verkaufen.<br />
Ehe ich zum Resümee komme, noch<br />
eine Bemerkung zur Kultur. Wir haben in<br />
den italienischen Distrikten gesehen, dass<br />
die Kultur des wechselseitigen Vertrauens<br />
eine wesentliche Prämisse <strong>für</strong> das Funktionieren<br />
des Distriktmodells ist. Sie war als<br />
Mitgift der Region da. In Baden-Württemberg<br />
hat Vertrauen lange nicht diese<br />
Bedeutung. Es kann sich einstellen als Resultat<br />
von Erfahrungen, von Begegnungen<br />
<strong>und</strong> von guten Geschäften. Vertrauen hat<br />
z.B. lange in den Beziehungen zwischen<br />
der Automobilindustrie <strong>und</strong> dem Maschinenbau<br />
geherrscht. Wir erleben gerade,<br />
dass dieses Vertrauen aufgekündigt wird,<br />
14 Praxisgemeinschaften sind Gemeinschaften, die<br />
durch die ökonomische Praxis - <strong>und</strong> nicht durch<br />
einen Plan oder einen Kooperationswillen - entstehen.<br />
Firmen finden zueinander, weil sie gute Erfahrungen<br />
miteinander gemacht haben. Das<br />
Schmiermittel von Praxisgemeinschaften sind Personen.<br />
dass die Maschinenbauer wie normale Zulieferer<br />
behandelt werden, dass sie in<br />
Betreibermodelle gepresst werden sollen<br />
etc. 15 Die Maschinenbauer beantworten<br />
diesen Vertrauensentzug nicht gekränkt<br />
<strong>und</strong> er gefährdet auch ihren ökonomischen<br />
Austausch mit der Automobilindustrie<br />
nicht. Sie entwickeln neue Dienstleistungsstrategien,<br />
um ihrer Austauschbarkeit<br />
durch andere zu entgehen. Und sie sagen<br />
Nein zu Betreibermodellen <strong>und</strong> bleiben<br />
trotzdem im Geschäft. Der ökonomische<br />
Prozess hat sich abgekoppelt von kulturellen<br />
Ressourcen. Vertrauen ist ein knappes<br />
Gut geworden, das man sich erarbeiten<br />
muss <strong>und</strong> das immer gefährdet ist. Damit<br />
kann man leben, wenn man nicht abhängig<br />
ist <strong>und</strong> wenn ein starkes institutionelles<br />
Gefüge vor Willkür schützt. Über die baden-württembergischen<br />
<strong>Institut</strong>ionen <strong>und</strong><br />
die kollektiven Güter der hiesigen Arbeitswelt<br />
brauche ich an dieser Stelle nichts sagen,<br />
sie sind sattsam bekannt. 16<br />
III. QUINTESSENZ<br />
Die industriellen Distrikte des „Dritten<br />
Italiens“ sind ein Prototyp der verstreuten<br />
Produktion <strong>und</strong> das baden-württembergische<br />
Cluster ist ein Muster der fokussierten<br />
Produktion. Der Vergleich zwischen<br />
beiden ist natürlich schief, weil in dem ei-<br />
15 Zu den neuesten Entwicklungen in den Beziehungen<br />
zwischen dem Maschinenbau <strong>und</strong> seinen<br />
K<strong>und</strong>en vgl. Reindl (2002) <strong>und</strong> Grewer; Reindl<br />
(2003).<br />
16 Die trotz aller Deregulierung immer noch bestehende<br />
Dichte des <strong>Institut</strong>ionengeflechts, das um<br />
den kapitalistischen Arbeitsprozess in Deutschland<br />
gelegt ist, dringt am deutlichsten bei einem Vergleich<br />
mit anderen hoch entwickelten Kapitalismen<br />
ins Bewusstsein. Vgl. dazu etwa Regini (1998),<br />
der einen deutsch-italienischen <strong>Institut</strong>ionenvergleich<br />
anstellt.<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 21
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
nen Falle die Leichtindustrie vorherrscht<br />
<strong>und</strong> im anderen Falle die Investitionsgüterindustrie<br />
mit hochtechnologischen Produkten.<br />
Deshalb war meine Fragestellung<br />
auch nicht, was ist besser, sondern welches<br />
Modell ist anschlussfähig <strong>für</strong> neoliberale<br />
Unternehmens- <strong>und</strong> Wirtschaftskonzepte.<br />
In der neoliberalen Doktrin ist der Betrieb<br />
tendenziell ein Ärgernis bzw. ein notwendiges<br />
Übel. Was die Neoliberalen verstört,<br />
ist das Eigenleben der Betriebe, die<br />
Schwierigkeit, alle betriebliche Prozesse<br />
den Marktgesetzen zu subsumieren. Sie<br />
haben keinen Begriff des Betriebes, er interessiert<br />
sie auch nicht. Sie ärgern sich, dass<br />
durch ihn die grenzenlose Mobilität der<br />
Produktionsfaktoren <strong>und</strong> damit eine adäquate<br />
Allokation von Kapital <strong>und</strong> Arbeit<br />
behindert wird. Dem „reibungslosen Kapitalismus“<br />
steht die Erdenschwere des Betriebs<br />
im Wege: seine Bindung von Kapital,<br />
seine internen Arbeitsmärkte, seine Selbsterhaltungsaufwendungen,<br />
seine Rückstellungen<br />
<strong>und</strong> Reserven. Der Betrieb ist die<br />
Reibung <strong>und</strong> deshalb plädieren sie da<strong>für</strong>,<br />
ihn - wo immer möglich - zu dekonstruieren.<br />
Das schlanke Unternehmen, die Konzentration<br />
auf Kernkompetenzen, radikales<br />
Outsourcing, Business reengineering, die<br />
Deregulierung der Arbeit, der Arbeitskraftunternehmer<br />
<strong>und</strong> was dergleichen mehr<br />
an solchen Konzepten grassiert, sind in diesem<br />
Kontext zu lesen. Wenn sich der Betrieb<br />
als notwendiges Übel schon nicht vermeiden<br />
lässt, dann soll er so weit als<br />
möglich dem Markt anverwandelt werden,<br />
sollen Betriebsprozesse zu Marktprozessen<br />
werden.<br />
Die verstreute Produktion der industriellen<br />
Distrikte verkörpert eine Hardware,<br />
die den Neoliberalen gefallen könnte. Sie<br />
22<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
besitzt viele Ingredienzien, die man zu einem<br />
marktradikalen Cocktail mischen<br />
kann. Dem im Wege stand bislang eine<br />
Software, die aus einer anderen kulturellen<br />
Tradition kommt. Eine Software kann freilich<br />
in diesen schnelllebigen Zeiten rasch<br />
veralten. Der Neoliberalismus hält in Italien<br />
ein aggressives neues Angebot bereit: die<br />
Kultur des Unternehmertums <strong>und</strong> des Erfolgs,<br />
dem sich alles andere unterzuordnen<br />
hat. Es gibt Anzeichen, dass diese Offerte<br />
in den Distrikten auf Zuspruch stößt.<br />
Das baden-württembergische Modell<br />
ist in seiner Substanz immer noch das<br />
Gegenprogramm zum neoliberalen Konstrukt.<br />
Seine Hardware ist wenig anfällig <strong>für</strong><br />
betriebliche Dekonstruktionsprozesse. Sie ist<br />
kompakt <strong>und</strong> robust, das Cluster wirkt wie<br />
eine Festung, die dem Netzwerkparadigma<br />
nur kontrolliert <strong>und</strong> selektiv Einlass gewährt.<br />
Das Modell ist zwar relativ unflexibel<br />
auf dem Markt der neuen Organisationskonzepte,<br />
aber es ist in hohem Maße imstande,<br />
den neuen Herausforderungen auf<br />
den Märkten zu begegnen.<br />
Ich komme zum Schluss <strong>und</strong> noch<br />
einmal auf meinen provokanten Titel zurück.<br />
Ich kann mir kein Urteil erlauben, welches<br />
der beiden Modelle ökonomisch erfolgreicher<br />
ist. Der Erfolg von Ökonomien<br />
hängt von so vielen Faktoren ab. Ich wage<br />
auch keine Prognose, welches Modell länger<br />
leben wird. Ich bin kein Zukunftsforscher.<br />
Doch einer Sache bin ich mir sicher:<br />
Wenn es stimmt, dass es in den entwickelten<br />
Kapitalismen immer stärker auf das<br />
Wissen <strong>und</strong> die Humanressourcen ankommt,<br />
dann hat die fokussierte Produktion<br />
die besseren Karten. Sie muss die Humanressourcen<br />
pflegen <strong>und</strong> entwickeln,<br />
will sie ihrem Prinzip des Vertrauens in die<br />
eigenen Kräfte treu bleiben. Ein ähnlich
Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
starker Antrieb fehlt in der verstreuten Produktion,<br />
die darauf vertraut, das Wissen<br />
kaufen zu können.<br />
LITERATUR<br />
▪<br />
Josef Reindl,<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter,<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
e-mail: reindl@iso-institut.de<br />
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ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 23
Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit: Die Pflegeinfrastruktur im Blickpunkt<br />
Fragen der Qualität in der Pflege<br />
werden vor allem seit Einführung der Pflegeversicherung<br />
intensiv diskutiert. In der<br />
Öffentlichkeit findet das Thema immer<br />
dann Aufmerksamkeit, wenn die Medien<br />
über Mängel <strong>und</strong> Missstände berichten,<br />
während die Diskussion unter Experten <strong>und</strong><br />
unmittelbar Beteiligten sich vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />
der bestehenden Qualitätsprobleme<br />
an den relevanten Bestimmungen<br />
des Elften Buches Sozialgesetzbuch bzw.<br />
des Heimgesetzes orientiert.<br />
Weitere gesetzliche Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> die Sicherung <strong>und</strong> Weiterentwicklung<br />
der Pflegequalität hat der Gesetzgeber mit<br />
dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz geschaffen.<br />
Mit Wirkung vom 1. Januar 2001<br />
wurde das Elfte Kapitel: „Qualitätssicherung.<br />
Sonstige Regelungen zum Schutz der<br />
Pflegebedürftigen“ in das SGB XI eingefügt.<br />
Darin wird die besondere Verantwortung<br />
der Träger der Pflegeeinrichtungen<br />
gestärkt. Sie sind verpflichtet, sich an Maßnahmen<br />
zur Qualitätssicherung zu beteiligen<br />
<strong>und</strong> in regelmäßigen Abständen die<br />
erbrachten Leistungen <strong>und</strong> deren Qualität<br />
nachzuweisen. Gleichzeitig werden die<br />
Möglichkeiten zur Leistungs- <strong>und</strong> Qualitätskontrolle<br />
erweitert. Dem Medizinischen<br />
Dienst der Krankenversicherung werden<br />
beispielsweise umfassendere <strong>und</strong> zudem<br />
konkret geregelte Zugangsrechte eingeräumt<br />
<strong>und</strong> die Zusammenarbeit mit der<br />
staatlichen Heimaufsicht wird koordiniert.<br />
Wird von Pflegequalität gesprochen,<br />
so lässt dies in der Regel zuerst an die unmittelbare<br />
Pflegeleistung gegenüber dem<br />
24<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Franz Brandt<br />
Pflegebedürftigen denken <strong>und</strong> in zweiter<br />
Linie auch an die personellen, räumlichen<br />
<strong>und</strong> sonstigen Voraussetzungen einer qualitativen<br />
Pflege. Sie wird auf die einzelne<br />
Einrichtung <strong>und</strong> damit auf das (vertragliche)<br />
Verhältnis zwischen Kostenträger <strong>und</strong><br />
Leistungserbringer bzw. zwischen Leistungserbringer<br />
<strong>und</strong> K<strong>und</strong>en bezogen. Dass dies<br />
nicht ausreicht, wird bereits aus der Tatsache<br />
deutlich, dass jede Pflegeeinrichtung,<br />
jeder Pflegedienst Bestandteil eines regionalen<br />
Versorgungssystems ist, das sich unter<br />
anderem durch eine angemessene Differenzierung<br />
<strong>und</strong> vor allem durch die Koordinierung<br />
seiner Versorgungsangebote<br />
auszeichnen sollte.<br />
Dies lenkt den Blick auf eine weitere<br />
Dimension von Pflegequalität <strong>und</strong> sie wird<br />
im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen<br />
stehen. Es geht dabei in erster Linie um<br />
die Qualität des Gesamtversorgungssystems.<br />
Auf sie zielt, wie aus den zugr<strong>und</strong>e<br />
liegenden Richtlinien deutlich wird, das bereits<br />
1991 gestartete „Modellprogramm zur<br />
Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger“:<br />
„Zur Lösung der drängenden<br />
Probleme im Pflegebereich ist die modellhafte<br />
Erprobung einer leistungsfähigen,<br />
zahlenmäßig ausreichenden <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />
Versorgungsstruktur mit ambulanten<br />
Diensten, teilstationären <strong>und</strong> stationären<br />
Einrichtungen erforderlich, um den<br />
ständig wachsenden Bedarf sachgerecht<br />
abzudecken“ (Ziffer 2.1). Dieser ständig<br />
wachsende Bedarf ist Folge der demographischen<br />
Entwicklung. Sie führt dazu, dass<br />
- nach Berechnungen des DIW - die Zahl
Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2020<br />
um etwa eine Million <strong>und</strong> damit im Vergleich<br />
zu 1999 um 50% zunehmen wird.<br />
Auch die Notwendigkeit, möglichst lange<br />
mit dem gesetzlich festgelegten Beitragssatz<br />
in der Pflegeversicherung (1,7%) auszukommen,<br />
forciert die Bemühungen um<br />
eine Pflegeinfrastruktur, die - neben anderen<br />
Voraussetzungen - auch Effizienz gewährleistet.<br />
Das Modellprogramm steht in einem<br />
unmittelbaren Zusammenhang mit der<br />
Pflegeversicherung. Es soll die Pflegeversicherung<br />
<strong>und</strong> ihre praktische Umsetzung<br />
konzeptionell durch geeignete Modellvorhaben<br />
begleiten <strong>und</strong> unterstützen. Der<br />
Deutsche B<strong>und</strong>estag hat <strong>für</strong> das Modellprogramm,<br />
das vom ISO-<strong>Institut</strong> wissenschaftlich<br />
begleitet wird, zwischen 1991<br />
<strong>und</strong> 2001 über 350 Millionen Euro zur Verfügung<br />
gestellt, mit denen etwa 450 Modellvorhaben<br />
gefördert worden sind.<br />
Das Modellprogramm ist bereits 1991<br />
<strong>und</strong> damit vor der „heißen Phase“ der politischen<br />
Diskussion über die Ausgestaltung<br />
des Gesetzes <strong>und</strong> lange vor dem eigentlichen<br />
Gesetzgebungsverfahren angelaufen.<br />
Dieser zeitliche Vorsprung macht deutlich,<br />
dass mit ihm Zielsetzungen verb<strong>und</strong>en<br />
worden sind, die als weitgehend unabhängig<br />
von den konkreten Bestimmungen<br />
des geplanten Gesetzes angesehen wurden.<br />
Der Ausbau der Pflegeinfrastruktur<br />
gewann vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Gesetzesvorhabens<br />
eine besondere Bedeutung.<br />
Sie musste, sollten Pflegebedürftige <strong>und</strong><br />
pflegende Angehörige optimal von den<br />
Leistungen des neuen Gesetzes profitieren,<br />
bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Die<br />
quantitative <strong>und</strong> qualitative Weiterentwicklung<br />
der Pflegeinfrastruktur, in der <strong>für</strong><br />
jeden Pflegebedürftigen die seinem Hilfebedarf<br />
entsprechenden Leistungen wohnortnah<br />
<strong>und</strong> in ausreichender Kapazität zur<br />
Verfügung stehen, war das gr<strong>und</strong>legende<br />
Ziel dieses Modellprogramms. Dieser Ausbau<br />
konnte nicht flächendeckend erfolgen.<br />
Vielmehr sollten die modellhaft geschaffenen<br />
Angebote <strong>und</strong> Strukturen als<br />
Vorbild <strong>und</strong> damit als Entscheidungs- <strong>und</strong><br />
Planungshilfe dienen. Sie sollten „Wegbereiter<br />
sein <strong>für</strong> eine moderne, wirtschaftlich<br />
ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> zukunftsweisende Pflegeinfrastruktur“.<br />
Ein Eindruck von den „drängenden<br />
Problemen im Pflegebereich“ <strong>und</strong> von jenen<br />
Defiziten, die ein Modellprogramm erforderlich<br />
machten, vermittelt der „Bericht<br />
der B<strong>und</strong>esregierung zu Fragen der Pflegebedürftigkeit“<br />
von 1984. Er verweist unter<br />
anderem auf fehlende Einrichtungen<br />
<strong>für</strong> Tages- <strong>und</strong> Kurzzeitpflege, auf fehlende<br />
oder unzureichende rehabilitative Bemühungen,<br />
auf die geringe Ausrichtung der<br />
ambulanten Dienste auf Pflegebedürftige,<br />
auf mangelnde Aktivierung, Mobilisierung<br />
sowie soziale <strong>und</strong> kulturelle Betreuung von<br />
Pflegeheimbewohnern <strong>und</strong> auf fehlende<br />
Angebote <strong>für</strong> jüngere Pflegebedürftige.<br />
Aufgabe des Modellprogramms war<br />
es, über die Modellförderung die Entwicklung<br />
einer adäquaten Pflegeinfrastruktur zu<br />
unterstützen <strong>und</strong> zu initiieren. Da<strong>für</strong> waren<br />
sehr unterschiedliche Modellinputs oder<br />
Modellmaßnahmen zu berücksichtigen.<br />
Denn es ging <strong>und</strong> geht nicht nur um die<br />
Beseitigung der in der B<strong>und</strong>esrepublik bestehenden<br />
Versorgungslücken, sondern<br />
auch darum, das vorhandene Pflegeangebot<br />
zu „modernisieren“ <strong>und</strong> „zukunftsweisende<br />
Ansätze“ zu erproben. Diese im<br />
„Zweiten Bericht über die Entwicklung der<br />
Pflegeversicherung“ genannten Zielsetzun-<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
25
Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
gen korrespondieren sehr stark miteinander,<br />
so dass sich eine Beschreibung der<br />
Modellinhalte <strong>und</strong> Modellansätze am Beispiel<br />
dieser Begriffe nicht anbietet. Die Förderung<br />
von Kurzzeit- <strong>und</strong> Tagespflegeplätzen<br />
ist einerseits ein Beseitigen von Defiziten,<br />
sie stellt zweitens, da die Anbindung<br />
an ein Pflegeheim dessen Struktur <strong>und</strong><br />
Charakter verändert, eine Modernisierung<br />
einer <strong>Institut</strong>ion dar <strong>und</strong> drittens wird mit<br />
der Förderung zukunftsweisender Maßnahmen<br />
gleichzeitig immer eine Lücke geschlossen<br />
<strong>und</strong> ein Angebot modernisiert.<br />
Die Modellinhalte lassen sich besser<br />
am Beispiel jener Gr<strong>und</strong>sätze darstellen,<br />
die im Ersten Kapitel des SGB XI formuliert<br />
sind. So soll primär auf jene Modellansätze<br />
hingewiesen werden, die auf eine Stärkung<br />
des häuslichen Versorgungspotentials<br />
zielen, die den Vorrang von Prävention<br />
<strong>und</strong> medizinischer Rehabilitation stützen<br />
oder die erforderliche Vernetzung sichern.<br />
Das Pflege-Versicherungsgesetz verlangt<br />
eine Koordinierung der den Pflegebedürftigen<br />
zur Verfügung stehenden Hilfen<br />
<strong>und</strong> im Einzelfall ein nahtloses <strong>und</strong> störungsfreies<br />
Ineinandergreifen der verschiedenen<br />
Leistungen. Dem hat das Modellprogramm<br />
in besonderer Weise Rechnung<br />
getragen. Durch unterschiedliche Ansätze<br />
soll im Rahmen der Modellförderung sichergestellt<br />
werden, dass sich Pflegebedürftige<br />
<strong>und</strong> Angehörige ausreichend über<br />
das Hilfeangebot informieren können, dass<br />
Beratungsangebote zur Verfügung stehen<br />
<strong>und</strong> dass die Inanspruchnahme der Hilfen<br />
<strong>und</strong> deren Organisation bis hin zu einem<br />
umfassenden Case Management unterstützt<br />
werden. Pflegeüberleitungsmodelle,<br />
die an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus<br />
<strong>und</strong> nachstationärer Versorgung ansetzen,<br />
erlauben eine Aussage darüber,<br />
26<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
wie eine ausreichende Versorgungskontinuität<br />
zu gewährleisten <strong>und</strong> gleichzeitig die<br />
Qualität der nachstationären Versorgung<br />
zu sichern ist. Auch Kurzzeitpflege, die als<br />
Abklärungs- <strong>und</strong> Rehabilitationsphase genutzt<br />
wird, kann im Einzelfall zur Sicherstellung<br />
eines bedarfsgerechten Hilfesettings<br />
angesehen werden <strong>und</strong> ist als Vernetzungselement<br />
zu verstehen.<br />
Vor allem ist auf die so genannten<br />
Regionalmodelle zu verweisen, in denen<br />
oberhalb der Ebene des einzelnen Anbieters<br />
oder Dienstes die Verbesserung der<br />
regionalen Zusammenarbeit im Vordergr<strong>und</strong><br />
steht. Es geht darum, über eine<br />
Koordinierungs- oder Leitstelle regionale<br />
Kooperationsstrukturen aufzubauen <strong>und</strong><br />
die beteiligten Dienste darin einzubinden.<br />
Eine weitere Aufgabe, aber auch schon<br />
Ergebnis der verbesserten Kooperation, ist<br />
die konzeptionelle Weiterentwicklung des<br />
Hilfesystems.<br />
Eine Vielzahl von Modellen soll ferner<br />
Erkenntnisse darüber vermitteln, auf welche<br />
Weise der SGB XI-Gr<strong>und</strong>satz „Vorrang<br />
der häuslichen Pflege“ zu realisieren ist.<br />
Zum einen stehen hierbei die ambulanten<br />
Pflegeanbieter im Vordergr<strong>und</strong>, wobei die<br />
Modellinputs auf die Verbesserung der Zusammenarbeit,<br />
die Einbindung in regionale<br />
Vernetzungsstrukturen, die Ergänzung des<br />
Leistungsangebotes, die Spezialisierung auf<br />
Zielgruppen mit besonderen Anforderungen,<br />
auf die Qualifizierung der Mitarbeiter<br />
<strong>und</strong> auf die Qualitätssicherung zielen.<br />
Präventive <strong>und</strong> rehabilitative Maßnahmen<br />
entsprechen sowohl dem in § 5<br />
SGB XI festgeschriebenen Vorrang von<br />
Prävention <strong>und</strong> medizinischer Rehabilitation<br />
als auch, soweit nicht Pflegeheimbewohner<br />
betroffen sind, dem Vorrang der<br />
häuslichen Pflege. Durch geeignete Maß-
Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
nahmen soll der Eintritt von Pflegebedürftigkeit<br />
verhindert werden oder bei bereits<br />
eingetretener Pflegebedürftigkeit soll diese<br />
überw<strong>und</strong>en oder eine Verschlimmerung<br />
vermieden werden. Die Reihe der Rehabilitationsmaßnahmen<br />
im Modellprogramm<br />
setzt ein mit Koordinierungsmodellen, die<br />
niedergelassene Therapeuten in die Vernetzungsaktivitäten<br />
einbeziehen <strong>und</strong> den<br />
Informationsaustausch zwischen niedergelassenen<br />
Ärzten, Therapeuten <strong>und</strong> Pflegekräften<br />
verbindlicher gestalten. Ferner werden<br />
durch Einbindung von Therapeuten in<br />
ein Überleitungsteam, in einen ambulanten<br />
Dienst, in eine Tagespflegeeinrichtung<br />
oder in eine stationäre Einrichtung Versorgungsdefizite<br />
beseitigt <strong>und</strong> gleichzeitig das<br />
Bewusstsein da<strong>für</strong> geschärft, dass rehabilitative<br />
Bemühungen auch <strong>für</strong> ältere <strong>und</strong><br />
pflegebedürftige Menschen sinnvoll <strong>und</strong><br />
Erfolg versprechend sind. Maßstäbe hat<br />
das Modellprogramm insofern gesetzt, als<br />
es die ersten mobilen Rehabilitationsmodelle<br />
- wobei hier unter Rehabilitation ein<br />
integriertes, unter ärztlicher Verantwortung<br />
durchgeführtes Komplexangebot - in der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik initiiert <strong>und</strong> gefördert hat.<br />
Dass das Pflege-Versicherungsgesetz<br />
den Vorrang der häuslichen Pflege betont,<br />
bedeutet nicht, <strong>und</strong> darin wird bereits in<br />
der Begründung des Gesetzentwurfes hingewiesen,<br />
dass „stationär erbrachte Pflege-<br />
<strong>und</strong> Betreuungsleistungen als weniger<br />
human einzustufen sind“. Folgerichtig spielt<br />
auch die stationäre Pflege im Modellprogramm<br />
eine wichtige Rolle. Die verschiedenen<br />
Ansätze lassen sich zwei Bereichen<br />
zuordnen. Erstens ging es um eine angemessene<br />
Differenzierung der stationären<br />
Pflegeinfrastruktur, zweitens um die Gestaltung<br />
der „Lebenswelt Pflegeheim“.<br />
Das Pflegeheim soll ein Wohn- <strong>und</strong><br />
Lebensraum sein, „in dem Menschen, die<br />
nicht oder nicht mehr in ihrer Familie oder<br />
in ihrer eigenen Wohnung betreut werden<br />
können, einen neuen Mittelpunkt ihres Lebens<br />
finden“. Die Förderung überwiegend<br />
kleinerer, wohnortnaher Einrichtungen, die<br />
spezifische Strukturierung des Wohnbereichs,<br />
die Einbeziehung von Gemeinschafts-<br />
<strong>und</strong> Therapieräumen, die Ergänzung<br />
durch weitere Angebote wie Tagespflege,<br />
Kurzzeitpflege, ambulanten Diensten,<br />
Beratungsstellen <strong>und</strong> offene Hilfen sollen<br />
den Charakter der <strong>Institut</strong>ion Pflegeheim<br />
verändern <strong>und</strong> sie zu einer offenen, in<br />
die Gemeinde integrierten Einrichtung werden<br />
lassen.<br />
Dass bei den Maßnahmen im stationären<br />
Sektor die gerontopsychiatrisch Erkrankten<br />
eine besondere Rolle spielen, ergibt<br />
sich aus der Tatsache, dass ihre Zahl<br />
infolge der demographischen Entwicklung<br />
erheblich zunehmen wird <strong>und</strong> deshalb<br />
adäquate, zukunftsweisende Lösungen zu<br />
suchen sind. Von daher hat sich das Modellprogramm<br />
nicht nur im stationären Bereich<br />
- u.a. mit der Förderung von Hausgemeinschaften,<br />
mit integrativen <strong>und</strong> segregativen<br />
Ansätzen, mit auf Demenzkranke<br />
zugeschnittenen Maßnahmen wie Therapiegärten<br />
usw., sondern auch im ambulanten<br />
<strong>und</strong> teilstationären Bereich mit dieser<br />
Zielgruppe befasst. Mit der Förderung<br />
von Modellen zur Unterstützung pflegender<br />
Angehöriger, mit gerontopsychiatrischen<br />
Verb<strong>und</strong>modellen - Vernetzung der regionalen<br />
Dienste <strong>und</strong> Einrichtungen <strong>für</strong> gerontopsychiatrisch<br />
Erkrankte -, mit Tagespflegeeinrichtungen<br />
<strong>und</strong> mit der Erprobung<br />
neuer, im ambulanten Bereich angesiedelter<br />
Wohnformen wie Wohngemeinschaften<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
27
Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
soll der Vorrang der häuslichen Pflege gestützt<br />
werden.<br />
Die Förderung von Einrichtungen <strong>für</strong><br />
gerontopsychiatrisch Erkrankte trägt ebenso<br />
zu der o.g. Differenzierung der (stationären)<br />
Pflegeinfrastruktur bei wie die Berücksichtigung<br />
von jüngeren Pflegebedürftigen,<br />
Schwerstpflegebedürftigen, Behinderten,<br />
Sterbenden oder - bezogen auf den<br />
ambulanten Sektor - pflegebedürftigen Migranten.<br />
Der Grad der Differenzierung <strong>und</strong><br />
Spezialisierung des Gesamtversorgungssystems<br />
ist ein wichtiges Kriterium <strong>für</strong> dessen<br />
(Struktur-)Qualität.<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen,<br />
dass mit den im Modellprogramm geförderten<br />
Maßnahmen in einer fiktiven<br />
Modellregion eine Pflegeinfrastruktur entwickelt<br />
worden ist, die sich durch Qualität<br />
<strong>und</strong> Effektivität auszeichnet, den im SGB XI<br />
vorgegebenen Gr<strong>und</strong>sätzen entspricht<br />
<strong>und</strong> vor allem auch Lösungen <strong>für</strong> die sich<br />
in Zukunft verschärfenden Probleme aufzeigt.<br />
Es ist wichtig, dass das Modellprogramm<br />
seiner Funktion als Wegbereiter gerecht<br />
wird, dass die Erfahrungen aus <strong>und</strong><br />
mit dem Modellprogramm, mit den unterschiedlichen<br />
Ansätzen genutzt <strong>und</strong> umgesetzt<br />
werden. Wenn hier von Erfahrungen<br />
gesprochen wird, so deutet dies an, dass<br />
der vorliegende sehr globale Überblick auf<br />
Umsetzungsprobleme oder auf weniger erfolgreiche<br />
Ansätze nicht eingehen konnte.<br />
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden,<br />
dass die geförderten Modelleinrichtungen<br />
nicht repräsentativ <strong>für</strong> die Pflegeeinrichtungen<br />
in der B<strong>und</strong>esrepublik sind<br />
<strong>und</strong> dass die Bemühungen um eine - hier<br />
auf die Einzeleinrichtung <strong>und</strong> auf die direkte<br />
Dienstleitung bezogene - Qualitätsverbesserung<br />
forciert werden müssen.<br />
28<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Das ISO-<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Sozialwirtschaft</strong> e.V. begleitet das<br />
Modellprogramm seit 1991, zunächst im<br />
Auftrag des B<strong>und</strong>esarbeitsministeriums, seit<br />
1999 - nachdem die Zuständigkeit <strong>für</strong> die<br />
Pflegeversicherung auf dieses Ministerium<br />
übertragen wurde - im Auftrag des B<strong>und</strong>esministeriums<br />
<strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heit (<strong>und</strong> Soziale<br />
Sicherung). Die Zahl von über 450 geförderten<br />
Modellen macht deutlich, dass sich<br />
eine wissenschaftliche Begleitung Herausforderungen<br />
gegenübersieht, die sich<br />
deutlich von jenen unterscheiden, die bei<br />
der Begleitung eines oder weniger Maßnahmen<br />
zu bewältigen sind. Eine formative<br />
Prozessevaluation ist nur ansatzweise, bis zu<br />
einer bestimmten Ebene oder in ausgewählten<br />
Fällen möglich. Die Modellevaluierung<br />
zielt auf eine Auswertung der Modellinputs<br />
im Sinne einer Erfolgs- oder Wirkungskontrolle,<br />
wobei die mit dem Modell<br />
verknüpften Zielsetzungen den Maßstab<br />
bilden. Der Vergleich zwischen unterschiedlich<br />
strukturierten Maßnahmen, zwischen<br />
Modellen mit vergleichbarer Zielsetzung,<br />
steht im Vordergr<strong>und</strong>.<br />
Die Evaluierungsergebnisse sind<br />
Gr<strong>und</strong>lage jener Aufgabe der Wissenschaftlichen<br />
Begleitung, die insbesondere<br />
in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung<br />
gewonnen hat. Es geht um die Beratung,<br />
wobei zwischen der Beratung von<br />
(potentiellen) Modelleinrichtungen <strong>und</strong><br />
der Politikberatung zu unterscheiden ist.<br />
Der Beratungsbedarf <strong>und</strong> die Beratungsinhalte<br />
<strong>und</strong> damit auch die Beratungsintensität<br />
verändern sich sukzessive. Dominiert<br />
zunächst die Umsetzung der Modellkonzeption,<br />
treten später andere Probleme<br />
<strong>und</strong> Zielsetzungen in den Vordergr<strong>und</strong>. Es<br />
geht dann primär um eine Verbesserung<br />
der (Struktur- bzw. Prozess-)Qualität, d.h.
Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
neue Angebotselemente, interne Umstrukturierungen,<br />
Öffentlichkeitsarbeit oder die<br />
regionale Vernetzung werden zu Beratungsthemen.<br />
Mit dem Transfer ihrer Ergebnisse<br />
nimmt die Wissenschaftliche Begleitung<br />
auch eine politikberatende Funktion wahr.<br />
Neben den Sachstands- <strong>und</strong> Ergebnisberichten<br />
unterstützen Kurzexpertisen, Handlungsempfehlungen<br />
<strong>und</strong> nicht zuletzt modell-<br />
oder themenspezifische Diskussionen<br />
das Ministerium bei der Wahrnehmung unterschiedlicher<br />
Aufgaben. Die Bandbreite<br />
reicht von modell(programm)relevanten<br />
Aktivitäten bis zur Berücksichtigung von<br />
Modellergebnissen bei Gesetzesvorhaben<br />
oder bei sonstigen Aufgaben.<br />
▪<br />
Franz Brandt,<br />
Wissenschaftlicher Leiter des Forschungsbereichs<br />
„Alterns-, Versorgungs-<br />
<strong>und</strong> Problemgruppenforschung“,<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
e-mail: brandt@iso-institut.de<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
29
„Und dann geht einem spätestens beim Pflegefokus das Licht auf.“<br />
Zur Alltagsrelevanz eines Verfahrens zur Beurteilung der Pflegewirkung<br />
1<br />
30<br />
1. Handlungsbedarf bei Pflegeplanung<br />
<strong>und</strong> -dokumentation<br />
Die im Rahmen der Pflegeversicherung<br />
geforderte systematische Pflegeplanung<br />
<strong>und</strong> -dokumentation stellte viele Alten-<br />
<strong>und</strong> Pflegeheime vor große Probleme.<br />
Zwar gibt es mittlerweile sowohl eine Fülle<br />
von Mappen <strong>und</strong> Formularen, die verschiedene<br />
Anbieter auf den Markt gebracht<br />
haben, als auch zahlreiche Schulungsangebote,<br />
die sich theoretisch <strong>und</strong><br />
praktisch mit dieser Thematik auseinandersetzen,<br />
dennoch beklagen Vertreter/innen<br />
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung<br />
(MDK) auch heute noch,<br />
dass die Pflegeplanungen <strong>für</strong> die konkrete<br />
pflegerische Arbeit kaum von Relevanz<br />
sind: „Man trifft oft auf Pflegeplanungen,<br />
die sind ein halbes Jahr oder ein Jahr alt.<br />
Da wird dann zwar gesagt, wir haben uns<br />
das zwischendurch angeschaut, aber das<br />
1 Dieser Beitrag stützt sich auf die Ergebnisse einer<br />
explorativen Studie, die im Auftrag des Caritasverbandes<br />
<strong>für</strong> die Diözese Eichstätt durchgeführt<br />
wurde. Koautor der Veröffentlichung „Der Pflegefokus.<br />
Ein Verfahren zur Beurteilung der Pflegewirkung<br />
<strong>und</strong> seine Umsetzung“ ist der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
des Verbandes, Matthias<br />
Helfrich, der das Verfahren „Pflegefokus“ konzipiert<br />
hat. Im Mittelpunkt der Untersuchung in vier<br />
ausgewählten Altenheimen standen die sozialen<br />
Veränderungsprozesse, die die Umsetzung des<br />
Pflegefokus impliziert. Dabei konzentrierte sich die<br />
Datenerhebung in Form von leitfadengestützten<br />
Interviews auf die Perspektive der Mitarbeiter/innen,<br />
die Sicht der Bewohner/innen ist nur<br />
vermittelt eingeflossen. Externe Einschätzungen<br />
des Pflegefokus lieferten Expertengespräche mit<br />
Vertreterinnen <strong>und</strong> Vertretern des Medizinischen<br />
Dienstes der Krankenversicherung.<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Maria Zörkler<br />
ist nirgendwo vermerkt. Und wenn man<br />
dann genau nachfragt, hat sich der Zustand<br />
vom Patienten doch geändert, ohne<br />
dass das dann ausdrücklich vermerkt wurde.“<br />
Die schriftlichen Auswertungen der<br />
Qualitätsprüfungen des MDK belegen,<br />
dass die praktische Umsetzung des Pflegeprozesses<br />
nicht mit den gestiegenen Anforderungen<br />
Schritt halten kann <strong>und</strong> die<br />
Pflegedokumentation als zentrale Gr<strong>und</strong>lage<br />
<strong>für</strong> eine kontinuierliche, fachgerechte<br />
<strong>und</strong> geplante Pflege häufig Mängel aufweist.<br />
2 Auch wissenschaftliche Untersuchungen<br />
kommen zu dem gleichen<br />
Schluss. Als Ursachen <strong>für</strong> die Qualitätsdefizite<br />
werden neben dem fehlenden Prozessverständnis<br />
Formulierungsschwierigkeiten,<br />
unzureichende Schulung <strong>und</strong> ein unpraktikabler<br />
Aufbau des Dokumentationssystems<br />
genannt. 3<br />
An dieser „Schwachstelle“ setzt der<br />
Pflegefokus an. „Warum läuft es mit der<br />
Pflegeplanung in der Praxis so schwer?“<br />
<strong>und</strong> „Wie gelingt es, den gesamten Pflegeprozess<br />
im Alltag umzusetzen?“ waren<br />
die Ausgangsfragen, die sich der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
<strong>und</strong> Leiter<br />
2 vgl. Brucker, Uwe: Qualitätssicherung im stationären<br />
Bereich aus der Sicht des Medizinischen Dienstes<br />
der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS)<br />
Essen, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-<br />
Stiftung, Abt. Arbeit <strong>und</strong> Sozialpolitik (Hg.): Qualitätssicherung<br />
in der Pflege, Bonn 1999. S. 57ff.<br />
3 vgl. Höhmann, Ulrike, u.a.: Die Bedeutung des<br />
Pflegeplanes <strong>für</strong> die Qualitätssicherung in der<br />
Pflege. Hrsg. vom B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Arbeit<br />
<strong>und</strong> Sozialordnung, Bonn 1996; Flumeri, Di, u.a.:<br />
Pflegedokumentationen entsprechen nicht den<br />
Anforderungen: www.pflegenet. com
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
des Referates „Qualität <strong>und</strong> Bildung im<br />
Pflegebereich“ beim Caritasverband <strong>für</strong><br />
die Diözese Eichstätt stellte. Im Rahmen eines<br />
Qualitätsmanagementprozesses nach<br />
DIN ISO 9001 war deutlich geworden, dass<br />
in den 19 stationären Einrichtungen des<br />
Verbandes insbesondere die Dokumentation<br />
der Pflegemaßnahmen noch zu<br />
verbessern war. Auch mit der Pflegeplanung,<br />
bei der die Ziele pflegerischen Handelns<br />
formuliert <strong>und</strong> mit den tatsächlich erreichten<br />
Ergebnissen verglichen werden,<br />
gab es noch wenig Erfahrungen. Vor diesem<br />
Hintergr<strong>und</strong> hat der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
ein eigenes Verfahren<br />
zur Beurteilung der Pflegewirkung in stationären<br />
Einrichtungen entwickelt, den Pflegefokus.<br />
Dazu wurde u.a. ein gesondertes<br />
Dokumentationsformular entworfen, das es<br />
ermöglicht, verschiedene Schritte des Pflegeprozesses<br />
konzentriert zu bündeln. Die<br />
Methode des Pflegefokus sieht vor, dass<br />
bei der Pflege einer Bewohnerin oder eines<br />
Bewohners die als notwendig erachteten<br />
Maßnahmen in regelmäßigen Abständen<br />
überprüft sowie Veränderungen festgehalten<br />
werden. Dabei sind drei Gr<strong>und</strong>prinzipien<br />
zu berücksichtigen: die Beobachtung<br />
muss 1. aufmerksam, 2. gezielt<br />
<strong>und</strong> 3. systematisch erfolgen. Alle Mitarbeiter/innen,<br />
die <strong>für</strong> eine bestimmte Zeit<br />
während einer Schicht Bewohner/innen<br />
solchermaßen in den Blick nehmen bzw.<br />
„fokussieren“, sollten bereit sein, sich intensiv<br />
mit der Person der/des Betreuten zu befassen<br />
<strong>und</strong> vor allem auch das eigene<br />
Handeln in dieser Beziehung mit zu reflektieren.<br />
Die pflegerische Tätigkeit ist daher<br />
als eingeb<strong>und</strong>en in ein Prozessgeschehen<br />
zu sehen, das immer wieder neu gemeinsam<br />
mit anderen kommunikativ „ausgehandelt“<br />
wird.<br />
2. Zur Implementierung des<br />
Pflegefokus<br />
Gerade in einer Zeit, in der sich Pflegende<br />
bei Neuerungen oftmals als fremdbestimmt<br />
erleben, ist es besonders wichtig,<br />
dass bei der Einführung von Maßnahmen<br />
<strong>und</strong> Instrumenten deren Sinnhaftigkeit <strong>für</strong><br />
die Pflegepraxis erkennbar wird. Auf diesen<br />
Sachverhalt weisen Expert/innen immer<br />
wieder hin. 4 Die Entstehung des Pflegefokus<br />
gründet sich u.a. im Erleben eines solchen<br />
Mangels an Bedeutung. Mit Hilfe dieses<br />
Konzeptes soll die Pflegeplanung in der<br />
täglichen Arbeit an Wert gewinnen <strong>und</strong><br />
vornehmlich die Beurteilung der Pflegewirkung<br />
als einer von verschiedenen Schritten<br />
des Pflegeprozesses fester Bestandteil des<br />
pflegerischen Handelns werden. Im Unterschied<br />
zu vielen anderen Vorgaben, mit<br />
denen sich Pflegekräfte konfrontiert sehen,<br />
wurde der Pflegefokus aus dem pflegerischen<br />
Alltag heraus als Reaktion auf die<br />
Unzufriedenheit mit der Pflegeplanung<br />
entwickelt. Zwar war der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
des Verbandes als<br />
treibende Kraft aktiv, aber von Beginn an<br />
waren insbesondere auch die leitenden<br />
Pflegekräfte in den Ausformungsprozess<br />
konstitutiv mit eingeb<strong>und</strong>en. Die entscheidende<br />
Gestaltungsidee <strong>für</strong> ein Pflegeplanungsblatt<br />
kam sogar aus einem der Pflegeteams.<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> waren<br />
gute Voraussetzungen <strong>für</strong> eine breite Akzeptanz<br />
des Pflegefokus gegeben.<br />
Aus allen vier in die Untersuchung<br />
einbezogenen Einrichtungen haben Mitarbeiter/innen<br />
verschiedene Fortbildungskur-<br />
4 vgl. u.a. Garms-Homolová, Vjenka; Niehörster,<br />
Gabriele: PflegeDokumentation: auswählen <strong>und</strong><br />
erfolgreich anwenden in Pflegeeinrichtungen,<br />
Hannover 1997<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
31
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
se des Diözesancaritasverbandes besucht,<br />
die entweder ausschließlich den Pflegefokus<br />
zum Thema hatten oder ihn in anderen<br />
Zusammenhängen als Teilaspekt behandelten.<br />
So wurde z.B. in einer Veranstaltung<br />
<strong>für</strong> alle Mitarbeiter/innen der Heime der<br />
Pflegefokus unter dem Titel „Beobachten<br />
will gelernt sein“ vorgestellt. Das Konzept<br />
war auch Gegenstand im Rahmen einer<br />
Fortbildungsreihe <strong>für</strong> Pflegehilfskräfte in der<br />
stationären Altenpflege. Alle Fortbildungsangebote<br />
- zeitlich <strong>und</strong> regional gestreut -<br />
wurden rege nachgefragt. Sowohl Fachals<br />
auch Hilfskräfte können daher als Multiplikator/innen<br />
tätig werden <strong>und</strong> stehen ihren<br />
Kolleg/innen <strong>für</strong> Nachfragen zur Verfügung.<br />
Dass dies nicht nur ein theoretischer<br />
Anspruch ist, sondern auch im Alltag praktiziert<br />
wird, geht aus den Interviews hervor,<br />
bei denen auch Mitarbeiter/innen befragt<br />
wurden, die nicht direkt an einer Fortbildungsveranstaltung<br />
beteiligt gewesen waren.<br />
Selbst Pflegekräfte, die den Neuerungen<br />
skeptisch gegenüberstanden, konnten<br />
sich nach <strong>und</strong> nach mit der Idee anfre<strong>und</strong>en,<br />
wie eine Bereichsleitung berichtet:<br />
„Auch Mitarbeiter, die immer dagegen<br />
moniert haben, haben auf einmal gesagt,<br />
das ist ja eigentlich ganz toll.“<br />
Unabdingbar <strong>für</strong> den Erfolg des Pflegefokus<br />
war <strong>und</strong> ist die kontinuierliche Begleitung<br />
<strong>und</strong> Unterstützung durch den<br />
Qualitätsmanagementbeauftragten. Dabei<br />
präsentiert er das Konzept nicht als<br />
starres Schema, das den Einrichtungen autoritär<br />
übergestülpt wird, sondern Anregungen<br />
<strong>und</strong> Kritik der Mitarbeiter/innen<br />
werden stets aufgenommen <strong>und</strong> wertgeschätzt.<br />
Die Pflegekräfte erleben sich daher<br />
selbst als Agierende, weil sich die Ausgestaltung<br />
des Pflegefokus auch an ihren<br />
Verbesserungsvorschlägen orientiert <strong>und</strong><br />
32<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
sie den Nutzen direkt überprüfen können.<br />
Dies ist speziell bei individuellen Fallberatungen<br />
möglich, die der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
anbietet. Ganz besonders<br />
schätzen es die Mitarbeiter/innen,<br />
dass der Pflegefokus gezielt auch ihrer Entlastung<br />
dienen soll <strong>und</strong> nicht nur bestimmten<br />
pflegefachlichen <strong>und</strong>/oder ordnungspolitischen<br />
Auflagen Genüge getan wird:<br />
„Uns war das geforderte Ausmaß der Pflegeplanungen<br />
zu umfangreich, zu zeitintensiv.<br />
Durch die jetzigen Änderungen <strong>für</strong> den<br />
Caritasverband sind die Planungen viel<br />
kompakter <strong>und</strong> nicht so aufwendig.“ Das<br />
neue Konzept wurde so vor allem <strong>für</strong> die<br />
Leitungskräfte zu „ihrer“ Angelegenheit.<br />
„Den Pflegefokus hat uns niemand vorgeschrieben,<br />
das ist wirklich eine Selbstentwicklung,<br />
die von innen heraus kam, nicht<br />
von außen als Druck“, beschreibt es eine<br />
Bereichsleitung.<br />
Trotz dieser Identifikation mit dem<br />
„Produkt“ Pflegefokus wird von Phasen berichtet,<br />
in denen die Umsetzung des Verfahrens<br />
ins Stocken geraten ist, sei es, weil<br />
äußere Einflüsse, wie z.B. ein Umbau, den<br />
normalen Arbeitsablauf gestört haben, sei<br />
es, dass durch akute personelle Engpässe<br />
der Pflegefokus in der Reihenfolge der unbedingt<br />
zu erledigenden Tätigkeiten nicht<br />
als vordringlich angesehen wurde. Es hat<br />
sich gezeigt, dass gerade in oder nach<br />
solchen Zeitabschnitten externe Hilfestellung<br />
durch den Qualitätsmanagementbeauftragten<br />
vonnöten ist, um den Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeitern die Relevanz eines<br />
funktionierenden Pflegefokus wiederum<br />
vor Augen zu führen. Auch die Studie<br />
des ISO-<strong>Institut</strong>s wurde von den Einrichtungen<br />
als Chance zur Intensivierung ihrer<br />
Bemühungen wahrgenommen. Die Interviews<br />
<strong>und</strong> die dadurch geförderte bewuss-
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
te Auseinandersetzung mit dem Konzept<br />
rückten den Pflegefokus eine Zeit lang in<br />
den Mittelpunkt.<br />
Im Rahmen des Qualitätsmanagementprozesses<br />
ist der Pflegefokus in regelmäßigen<br />
Abständen auch Gegenstand<br />
von Audits, in denen zum einen die vorliegenden<br />
Pflegedokumentationen als Bewertungsgr<strong>und</strong>lage<br />
herangezogen werden.<br />
Zum anderen finden ausführliche Gespräche<br />
mit den Heim-, Gesamtbereichs<strong>und</strong><br />
Bereichsleitungen über den Pflegefokus<br />
statt, die den Stand der Umsetzung, die<br />
Probleme <strong>und</strong> die Zielerreichung zum Thema<br />
haben.<br />
3. Auswirkungen des Pflegefokus<br />
auf den Arbeitsalltag<br />
der Pflegekräfte<br />
Im Zusammenhang mit den gr<strong>und</strong>legenden<br />
Fragestellungen der Studie, die<br />
auf die durch den Pflegefokus angeregten<br />
<strong>und</strong> mitgestalteten Veränderungsprozesse<br />
abzielten, wurde in den Interviews mit Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeitern der vier<br />
Heime auch der allgemeine Stellenwert<br />
dieses Konzeptes <strong>für</strong> die Pflegearbeit thematisiert.<br />
Vor allem in Antworten auf die<br />
Fragen: „Was würden Sie sagen, wenn Sie<br />
jemandem, der oder die noch nichts vom<br />
Pflegefokus gehört hat, erklären müssten,<br />
was das ist? Wie würden Sie Fremden beschreiben,<br />
was Sie beim Pflegefokus tun?“<br />
wird die Vielfalt der Facetten deutlich, die<br />
der Einsatz des Pflegefokus impliziert. Vier<br />
Beispiele sollen dies belegen. Dabei stammen<br />
die Aussagen nicht von Führungskräften,<br />
die es qua Leitungsfunktion gewöhnt<br />
sind, Alltagshandeln zu strukturieren, in seinen<br />
Bedingungen zu reflektieren <strong>und</strong> auf<br />
den Begriff zu bringen. Vielmehr wurden<br />
hier bewusst Darstellungen von Pflegehelferinnen<br />
<strong>und</strong> Pflegehelfern ausgewählt:<br />
„Jeder Bewohner, wenn er kommt,<br />
wird bei uns erst mal ein paar Tage eben<br />
angeschaut, wie sein Zustand ist, was er<br />
kann, was er nicht kann, in welchen Bereichen<br />
man unterstützend pflegen kann.<br />
Und das setzt man sich als Ziele, dass man<br />
da eben unterstützt. Und mit dem Pflegefokus<br />
kann ich recht einfach überprüfen,<br />
ob ich Ziele erreicht habe, ob man die<br />
Pflege umstellen muss, um das Ziel zu erreichen.<br />
Also dass man eben noch individueller<br />
dem Bewohner es angenehm machen<br />
kann, <strong>und</strong> aber auch aktivierend.“ (Pflegehelfer,<br />
Haus D)<br />
„Der Sinn ist ganz einfach, dass man<br />
den Bewohner besser beobachtet, dass<br />
man weiß, auf was man achten soll, was<br />
man bei diesem bestimmten Bewohner zu<br />
machen hat, weil jeder hat ja seine spezielle,<br />
seine eigene Pflege. Und diese Kontrolle<br />
durch den Pflegefokus ist dazu gut zum<br />
Schauen, ob sich was verändert hat, z.B.<br />
ob der noch selbstständig essen kann oder<br />
ob er es jetzt nicht mehr kann, ob er noch<br />
selbstständig laufen kann oder ob er jetzt<br />
mehr mit dem Rollstuhl fährt, <strong>und</strong> das, was<br />
sich eben verändert hat, dann einzutragen,<br />
damit die anderen das dann auch<br />
wissen.“ (Pflegehelferin, Haus B)<br />
„Man schaut, wie sich der Mensch<br />
morgens verhält beim Pflegen, ob er noch<br />
irgendwas selber machen kann, man gibt<br />
ihm vielleicht mal einen Waschlappen selber<br />
in die Hand, bevor man wäscht,<br />
schaut, ob da noch irgendwas da ist, dann<br />
kann ich schon meine erste Notiz machen.<br />
Oder man lässt ihn aufstehen <strong>und</strong> der Stuhl<br />
ist dann nass, hoppla, da muss jetzt irgendwas<br />
verändert werden, entweder<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
33
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
man macht mehrere Toilettengänge, oder<br />
wenn die Toilettengänge quasi über die<br />
Kraft des Bewohners dann hinausgehen<br />
würden, dass man dann eine andere Einlage<br />
einlegt.“ (Pflegehelfer, Haus C)<br />
„Da kann ich eigentlich nur sagen,<br />
dass es bei uns eben Formulare gibt, die<br />
wir ausfüllen, wo der Bewohner schon beobachtet<br />
wird, was er alles kann oder selber<br />
noch kann, was wir eventuell machen<br />
müssen. Und das muss auf diesem Plan<br />
eben erfasst werden, damit auch ein Kollege,<br />
der einfach da reinschaut, sagen<br />
kann, nach dem, was da drauf steht, könnte<br />
das der- oder diejenige sein. Dass das<br />
ein anderer erfassen kann. Und dass es<br />
auch <strong>für</strong> uns irgendwo eine Erleichterung<br />
ist, dass man sagt, oh, da schau ich jetzt<br />
heute noch mal nach, wie war das jetzt,<br />
kann der jetzt eigentlich selber. Da geh ich<br />
einfach mal hin <strong>und</strong> schau mal in das Blatt<br />
rein. Oder der Kollege fragt, wie war das<br />
jetzt, <strong>und</strong> dann kann man sagen, schau<br />
halt nach, das müsste da drinstehen.“<br />
(Pflegehelferin, Haus D)<br />
In den vier Textstellen steht das<br />
handlungsleitende Prinzip der Beobachtung<br />
im Vordergr<strong>und</strong>, d.h. die Tatsache,<br />
dass die Bewohner/innen beim Pflegefokus<br />
in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken<br />
sollen, bestimmt das Verständnis <strong>für</strong> das<br />
Pflegefokus-Verfahren. Selbstständigkeit<br />
<strong>und</strong> Individualität werden als dominierende<br />
Zielvorgaben hervorgehoben, die eine<br />
„unterstützende“ Pflege - in der Balance<br />
zwischen „angenehm machen“ <strong>und</strong> „aktivieren“<br />
- prägen. Als konstitutives Element<br />
ist auch die Wahrnehmung von Veränderungen<br />
zu sehen, deren Dokumentation<br />
die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> eine systematische Überprüfung<br />
der Pflegewirkung darstellt.<br />
Dass diese Art des Wissenstransfers die<br />
34<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
kommunikative Verständigung mit Kolleg/innen<br />
beeinflusst, sie sogar erleichtern<br />
kann, wird als weiterer wesentlicher Faktor<br />
angeführt.<br />
Für alle bei der Untersuchung Befragten<br />
ist der Pflegefokus in vielerlei Hinsicht<br />
bedeutsam <strong>für</strong> ihre Arbeit - <strong>und</strong> wird nicht<br />
nur als von außen herangetragene Anforderung,<br />
sondern auch als Hilfe erlebt. Es<br />
liegt in der Natur der Sache, dass dabei<br />
die Vorteile <strong>für</strong> die Pflegeplanung besonders<br />
betont werden.<br />
3.1 Größere Akzeptanz<br />
von Pflegeplanung<br />
Im Gegensatz zu anderen Pflegeplanungsbögen,<br />
die teilweise fast ausschließlich<br />
offene Antwortmöglichkeiten vorsehen<br />
oder mit fest vorgegebenen Inhalten, die<br />
angekreuzt werden können, überfrachtet<br />
sind, ist das vom Qualitätsmanagementbeauftragten<br />
neu gestaltete Pflegeplanungsblatt<br />
<strong>für</strong> die Pflegekräfte nach ihren<br />
Angaben gut handhabbar. Das klar gegliederte<br />
Schema mit den angebotenen<br />
Abkürzungen <strong>und</strong> Reduktionen (so können<br />
z.B. die Ziele anhand einer Legende nur als<br />
Zahl eingetragen werden) setzt <strong>für</strong> viele<br />
Mitarbeiter/innen die Hemmschwelle herab,<br />
sich an die Erstellung einer Pflegeplanung<br />
heranzuwagen. „Dadurch, wie die<br />
Formblätter vorgegeben sind, habe ich<br />
schon einmal Anhaltspunkte, nach denen<br />
ich mich richten kann. Jetzt ist die Pflegeplanung<br />
übersichtlicher gegenüber dem,<br />
was wir in der Schule gelernt haben“, sagt<br />
eine jüngere Pflegefachkraft. Auch von älteren<br />
Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern,<br />
bei deren Ausbildung die Pflegeplanung<br />
noch nicht Bestandteil des Curriculums war<br />
<strong>und</strong> die sich diese Thematik „nebenbei“
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
erarbeiten mussten, wird diese Art des Dokumentierens<br />
bevorzugt.<br />
Das in Zusammenhang mit dem Pflegefokus-Verfahren<br />
entwickelte Instrument<br />
greift u.a. auf die begrifflichen Vorgaben<br />
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung<br />
zurück <strong>und</strong> macht so <strong>für</strong> die<br />
Mitarbeiter/innen von Anfang an die Implikationen<br />
ihrer Eintragungen erkennbar. Die<br />
schriftlichen Ausführungen sind daher<br />
auch aus diesem Gr<strong>und</strong> nicht nur „Prosa“,<br />
die keine Relevanz <strong>für</strong> den Alltag hat, sondern<br />
sie knüpfen an eine Wirklichkeit an,<br />
die oft als Bedrohung empf<strong>und</strong>en wird: die<br />
Einstufungspraxis des MDK. Das Formular<br />
belegt zum einen, dass die Einstufungen<br />
eine reale Gr<strong>und</strong>lage haben, zum anderen<br />
wird der Zusammenhang zwischen Ziel<br />
<strong>und</strong> Maßnahme - im wahrsten Sinne des<br />
Wortes - auf einen Blick deutlich.<br />
Trotz der von allen konstatierten Erleichterungen<br />
fällt es aber nach wie vor<br />
einigen Mitarbeiter/innen schwer, passende<br />
<strong>und</strong> aussagekräftige Formulierungen zu<br />
finden. Dabei sind es in der Mehrzahl Pflegehilfskräfte,<br />
die offen ihre Probleme mit<br />
dem Schreiben zugeben: „Das Schreiben<br />
ist <strong>für</strong> mich eher schwer, also wie ich das<br />
Ganze übersetzen soll, damit die anderen<br />
es auch verstehen“. Aber auch <strong>für</strong> Fachkräfte<br />
ist die Schreibarbeit manchmal<br />
noch ein notwendiges Übel. Dies gilt vor<br />
allem, wenn sich die Situation einer Bewohnerin<br />
oder eines Bewohners gravierend<br />
verschlechtert, so dass sie bzw. er<br />
bettlägerig wird: „Dann muss man vom ersten<br />
bis zum letzten Punkt alles umschreiben,<br />
da muss man ganz neu überlegen<br />
<strong>und</strong> kann sich nicht an anderen Eintragungen<br />
orientieren, das ist dann schon<br />
nicht einfach.“<br />
Spezielle Probleme bei der schriftlichen<br />
Niederlegung der Planungsschritte<br />
haben die ausländischen Mitarbeiter/innen<br />
bzw. diejenigen, deren Muttersprache<br />
nicht deutsch ist. Diese Situation findet sich<br />
in allen vier Einrichtungen. Die Bereichsleitungen<br />
versuchen, Ängste u.a. dadurch zu<br />
nehmen, dass sie die Bedeutung von korrekter<br />
Orthographie <strong>und</strong>/oder Grammatik<br />
abschwächen: „Ich sage immer, es ist egal,<br />
ob das jetzt grammatikalisch oder von<br />
der Rechtschreibung her perfekt ist, Hauptsache<br />
man weiß, worum es geht.“ Dennoch<br />
bleibt bei vielen eine Scheu davor,<br />
Blößen zu zeigen <strong>und</strong> eventuell dem Spott<br />
anderer ausgesetzt zu sein. Aufgr<strong>und</strong> des<br />
zunehmenden Personalmangels auf dem<br />
Pflege-Arbeitsmarkt ist die Wahrscheinlichkeit<br />
hoch, dass in absehbarer Zeit nicht nur<br />
über AB- oder BSHG-Maßnahmen Ausländer/innen<br />
als Arbeitskräfte in die Heime<br />
kommen, sondern dass mittelfristig Mitarbeiter/innen<br />
aus anderen Ländern angeworben<br />
werden müssen, d.h. dass sich die<br />
Zahl nicht deutsch sprechender Pflegekräfte<br />
erhöhen wird. Diese sind dann bei Pflegeplanung<br />
<strong>und</strong> Pflegefokus in besonderer<br />
Weise auf die Unterstützung ihrer Kolleg/innen<br />
angewiesen.<br />
Obwohl sich die Mitarbeiter/innen<br />
nach wie vor nicht immer gerne an die<br />
Schreibarbeit machen, sehen sie jetzt<br />
deutlich deren Nutzen <strong>für</strong> die Pflege. „Für<br />
mich hat die Pflegeplanung jetzt einen<br />
anderen Stellenwert. Jetzt ist sie aktuell <strong>und</strong><br />
mir ist klar, warum ich sie schreibe“ - formuliert<br />
es eine Altenpflegerin. Und eine<br />
Pflegehilfskraft zieht folgendes Fazit: „Dadurch,<br />
dass ich auf dem Pflegeplanungsblatt<br />
<strong>und</strong> allgemein in der Pflegedokumentation<br />
alles nachlesen kann, bin ich besser<br />
informiert“. Während eine Befragung von<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
35
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
30 Pflegekräften aus anderen stationären<br />
Einrichtungen in Bayern im Rahmen einer<br />
Fortbildungsveranstaltung ergab, dass diese<br />
die Pflegeplanung <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Arbeitsschritte oftmals als unüberwindbaren<br />
Berg vor sich sehen <strong>und</strong> sie<br />
zu über 60% als „Zeitfresser“ bewerten5 ,<br />
überwiegen bei den Mitarbeiterinnen <strong>und</strong><br />
Mitarbeitern in den vier Caritas-Altenheimen<br />
klar die positiven Assoziationen, ja<br />
einige betonen sogar die Zeitersparnis, die<br />
sich durch eine gut strukturierte <strong>und</strong> regelmäßig<br />
kontrollierte Pflegeplanung ergibt.<br />
Das einheitliche, <strong>für</strong> alle verbindliche<br />
Vorgehen liefert aktuelle Informationen,<br />
die jede Mitarbeiterin <strong>und</strong> jeden Mitarbeiter<br />
in den Stand versetzen, sich schnell ein<br />
Bild über den Zustand der Bewohner/innen<br />
zu machen: „Wenn es eingetragen ist im<br />
Pflegeplanungsblatt, brauche ich nur dort<br />
nachzuschauen, <strong>und</strong> muss nicht Dokumentationsunterlagen<br />
von Monaten rauskramen<br />
<strong>und</strong> die durcharbeiten.“<br />
Durch die regelmäßige Überprüfung<br />
der Zielerreichung beim Pflegefokus wird<br />
das Planungsgeschehen rückgeb<strong>und</strong>en<br />
an die tägliche Arbeit. Dies wird nach Ansicht<br />
der Mitarbeiter/innen insbesondere<br />
durch den Aufbau des Pflegeplanungsblattes<br />
zusammen mit der Verfahrensanweisung<br />
<strong>für</strong> Änderungen möglich. Während<br />
früher die Bögen schnell unübersichtlich<br />
wurden, „so dass es mühsam war, das<br />
nachzulesen“, ist jetzt nachvollziehbar, wer,<br />
wann, was <strong>und</strong> in welchem Bereich geändert<br />
hat. Darüber hinaus gewährleistet das<br />
von den Bereichsleitungen organisierte<br />
zeitliche Ablaufschema, „dass alle einmal<br />
5 Die Befragung fand statt im Rahmen eines Seminars<br />
zum Thema „Auf dem Prüfstand: der Pflegefokus“<br />
in der Katholischen Akademie <strong>für</strong> Berufe im<br />
Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialwesen in Bayern e.V., Regensburg.<br />
36<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
drankommen“. Allein schon diese formalen<br />
Hilfestellungen führten zu einer stärkeren<br />
Einsicht in die Sinnhaftigkeit von Pflegeplanung.<br />
Die Pflegekräfte können jetzt eben in<br />
einem Blick erfassen, „ob das der- oder<br />
diejenige sein kann“, wie eine Pflegehelferin<br />
aus Haus D in ihrer Beschreibung des<br />
Pflegefokus herausgestellt hat. Auch Aussagen<br />
wie „Da geh ich einfach mal hin<br />
<strong>und</strong> schau mal in das Blatt rein“ oder - an<br />
Kolleg/innen gerichtet - „Schau halt nach,<br />
das müsste da drin stehen“ belegen beispielhaft<br />
die Alltagsrelevanz der Pflegeplanung.<br />
Wie der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
in seinem Konzeptentwurf vermutete,<br />
ist es vor allem die durch die systematische<br />
Kontrolle gewährleistete Aktualität<br />
der Inhalte, die die Pflegekräfte über-<br />
zeugt. 6<br />
3.2 Erhöhte Sensibilität <strong>für</strong> eine<br />
individuelle Ausrichtung der Pflege<br />
In verschiedenen Studien ist belegt,<br />
dass die Generation der jetzigen Bewohner/innen<br />
im Altenheim nicht daran gewöhnt<br />
ist, eigene Wünsche zu äußern. 7<br />
Bewohner/innen, die selbstbewusst die<br />
Rahmenbedingungen ihrer Pflege mit bestimmen,<br />
sind die Ausnahme. Auch bei gesondert<br />
durchgeführten Befragungen, die<br />
die Bewohnerzufriedenheit ermitteln sollen,<br />
ist die Scheu oft groß, Kritikpunkte <strong>und</strong><br />
Verbesserungsvorschläge zu nennen. Der<br />
„K<strong>und</strong>enorientierung“, die sich viele Einrichtungen<br />
in ihren Qualitätsmanagement-<br />
6 vgl. Helfrich, Matthias: Im Mittelpunkt des Interesses,<br />
in: Altenpflege 24(1999)6: 38 - 39; Helfrich,<br />
Matthias: Das Pflegekonzept „Pflegefokus“ richtet<br />
den Blick auf das Hier <strong>und</strong> Jetzt, in: Deutscher Caritasverband<br />
(Hg.): Caritas 2000. Jahrbuch des<br />
Deutschen Caritasverbandes, Freiburg 2000: 219 -<br />
225<br />
7 vgl. u.a. Sachweh, Svenja: „Schätzle hinsitze!“.<br />
Kommunikation in der Altenpflege, Frankfurt a.M.<br />
1999
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
Handbüchern vorgenommen haben, fehlt<br />
daher oftmals die Basis. Hier hat sich gezeigt,<br />
dass die Arbeit mit dem Pflegefokus<br />
die Möglichkeit bietet, ganz konkret im Alltagsgeschehen<br />
auf die Bedürfnisse <strong>und</strong> individuellen<br />
Vorlieben von Bewohnerinnen<br />
<strong>und</strong> Bewohnern aufmerksam zu werden.<br />
Die Begegnung, der direkte Austausch zwischen<br />
Mitarbeiter/in <strong>und</strong> Bewohner/in als<br />
Informationsquelle <strong>für</strong> die im Rahmen des<br />
Qualitätsmanagementprozesses geforderte<br />
kontinuierliche Verbesserung kann somit<br />
einen höheren Stellenwert gewinnen.<br />
Denn innovative Qualitätssicherung „setzt<br />
nicht erst ein, wenn die Heimaufsicht einen<br />
Mangel festgestellt oder wenn sich ein Bewohner/Mieter<br />
beschwert hat, sondern sie<br />
muss als wesentlicher Faktor in die tägliche<br />
Routine der Wohn-Pflege-Gruppe integriert<br />
sein.“ 8<br />
Eines der Caritas-Altenheime hat den<br />
Tag, an dem während der Pflege eine Bewohnerin<br />
oder ein Bewohner beim Pflegefokus<br />
beobachtet wird, in besonderer Weise<br />
konzeptionell definiert. „Der Pflegefokustag<br />
soll <strong>für</strong> unsere Bewohner etwas ganz<br />
besonderes sein. An diesem Tag sollen sie,<br />
so wie an einem Geburtstag, in den Mittelpunkt<br />
des Geschehens gerückt werden!“<br />
heißt es in einem Informationsblatt, auf<br />
dem die Verfahrensschritte zur Durchführung<br />
des Pflegefokus festgehalten sind.<br />
Den Pflegekräften wird durch die Assoziation<br />
„Geburtstag“ zum einen die individuelle<br />
Persönlichkeit <strong>und</strong> Geschichte der Bewohnerin/des<br />
Bewohners vor Augen geführt,<br />
zum anderen legt sie eine Zäsur im<br />
Arbeitsablauf nahe. Der Pflegefokus an einem<br />
solchen „Geburtstag“ endet im Unterschied<br />
zu den anderen Häusern dann<br />
8 Behr, Renate, u.a.: Vom Pflegeheim zum Altenwohnhaus,<br />
Frankfurt a.M. 1995: 41<br />
auch nicht nach der Übergabe vom Frühdienst<br />
an den Spätdienst, sondern umfasst<br />
gleichermaßen die Beobachtungen des<br />
Spät- <strong>und</strong> Nachtdienstes.<br />
In allen Häusern sind die Mitarbeiter/innen<br />
beim Pflegefokus dazu aufgefordert,<br />
noch vorhandene Fähigkeiten der<br />
Bewohner/innen neu zu gewichten. Sowohl<br />
die Unterstützung von Unselbstständigkeit<br />
durch das Personal als auch die<br />
Wirkung von prophylaktischen Maßnahmen,<br />
die eingesetzt werden, um der<br />
schleichenden Abnahme von Kompetenzen<br />
zu begegnen, lassen sich - so der einhellige<br />
Tenor - jetzt leichter nachweisen.<br />
Für die Pflegekräfte wird offensichtlich,<br />
dass „aktivierende <strong>und</strong> potentialfördernde<br />
Pflege ... nicht nur von dem Engagement<br />
<strong>und</strong> Willen der MitarbeiterInnen abhängig<br />
/ist/, sondern ... eine Systematik <strong>und</strong> geeignete<br />
Hilfsmittel“ 9 erfordert. Sie ermöglichen<br />
es, den Erfolg von Pflegemaßnahmen<br />
auf der Basis von dokumentierten Informationen<br />
zu bewerten <strong>und</strong> <strong>für</strong> alle<br />
transparent zu machen. Diese Daten bleiben<br />
allerdings in der Regel auf die einzelne<br />
Bewohnerin oder den einzelnen Bewohner<br />
bezogen, eine übergreifende systematische<br />
Analyse von Pflegeverläufen wird in<br />
den Caritas-Altenheimen nicht gemacht.<br />
Der Pflegefokus ist nach Angaben<br />
der Befragten vor allem <strong>für</strong> die Bewohner/innen<br />
von Bedeutung, deren Zustand<br />
sich - dem Anschein nach - lange Zeit nicht<br />
verändert hat. Denn auch ohne besondere<br />
Auffälligkeiten wird ihre pflegerische<br />
Versorgung in einem Zeitraum von vier bis<br />
sechs Wochen überprüft. Sie können dadurch<br />
nicht „vergessen“ werden oder „einfach<br />
so mitlaufen“: „Jede/r kommt immer<br />
9 Garms-Homolová, V. (1997): 9<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
37
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
wieder dran“ - dieser Satz einer Bereichsleitung<br />
ist daher auch eine prospektive Qualitätsgarantie.<br />
„Der Pflegefokus hilft uns,<br />
beim Bewohner Veränderungen zu bemerken.<br />
Oder man hat es bemerkt, aber<br />
nicht in die Pflegeplanung eingetragen.<br />
Und dann geht einem spätestens beim<br />
Pflegefokus das Licht auf“, beschreibt eine<br />
andere Mitarbeiterin die positiven Auswirkungen<br />
dieses Verfahrens.<br />
Während manche Pflegekräfte die<br />
Bewohner/innen - soweit es das Krankheitsbild<br />
zulässt - ganz gezielt befragen,<br />
betonen andere, dass sie sich während<br />
des Pflegefokus still konzentrieren. Gerade<br />
die spezielle Form der bewussten Präsenz<br />
regt nach Angaben der Mitarbeiter/innen<br />
dazu an, die Bewohner/innen in ihrer individuellen<br />
Persönlichkeit wahrzunehmen,<br />
sich auf Aussagen, Stimmung <strong>und</strong> Befindlichkeit<br />
des jeweiligen Gegenübers einzulassen.<br />
„Der Pflegefokus zwingt mich dazu<br />
zu überlegen, wie ich in meiner Arbeit<br />
noch ein Stück weit individueller werden<br />
könnte. Also es bleibt auf keinen Fall bei so<br />
einem Einheitsbrei“ - diese Aussage einer<br />
Altenpflegerin steht stellvertretend <strong>für</strong> viele.<br />
Je sensibler die Pflegekräfte <strong>für</strong> die<br />
individuellen Bedürfnisse der Bewohner/innen<br />
werden, desto häufiger kommt es<br />
auch außerhalb des im Pflegefokus-Konzept<br />
vorgeschlagenen Zeitrahmens zu Änderungen<br />
der Pflegeplanung. Altgewohnte<br />
Praktiken werden auf ihre Passform überprüft.<br />
Die auf dem Pflegeplanungsblatt<br />
vorgegebenen Formalisierungen, die als<br />
Hilfestellung gedacht sind, werden dann<br />
teilweise aufgebrochen, um durch eine individuelle<br />
Wortwahl den spezifischen Besonderheiten<br />
stärker Rechnung tragen zu<br />
können. Für engagierte Pflegekräfte ist es<br />
gerade dieses „Mitdenken bei der Arbeit“,<br />
38<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
das die pflegerische Tätigkeit <strong>für</strong> sie interessant<br />
macht. Sie erleben die Notwendigkeit<br />
des flexiblen Agierens nicht als Belastung,<br />
sondern als Chance, immer wieder<br />
neu kreative Anteile im Pflegealltag zu<br />
entdecken. Für diese Mitarbeiter/innen<br />
sind selbstbewusste Bewohner/innen, die<br />
ihre Wohn- <strong>und</strong> Pflegesituation mit bestimmen<br />
wollen, nicht „aufwendig“, sondern<br />
sie fordern im Gegenteil dazu heraus,<br />
die kommunikativen Elemente bei Pflegeplanung<br />
<strong>und</strong> Pflegefokus immer im Blick zu<br />
behalten.<br />
3.3 Medium zwischen Pflegefach-<br />
<strong>und</strong> Pflegehilfskräften<br />
Während vor der Implementierung<br />
des Pflegefokus oft nur die Bereichs- <strong>und</strong><br />
Schichtleitungen die Pflegeplanungen geschrieben<br />
<strong>und</strong> sie manchmal quasi „im Paket<br />
abgearbeitet“ haben, sollen jetzt sukzessive<br />
alle Mitarbeiter/innen in diesen Arbeitsschritt<br />
integriert werden. In diversen<br />
Schulungsmaßnahmen sind explizit auch<br />
Pflegehilfskräfte mit dem Pflegefokus-Verfahren<br />
vertraut gemacht worden. Die<br />
Zweiteilung von Pflege - eine Minderheit<br />
plant <strong>und</strong> organisiert, die Mehrheit führt sie<br />
aus - wird dadurch zumindest ein Stück<br />
weit aufgehoben.<br />
Die meisten der Pflegefachkräfte be<strong>für</strong>worten<br />
das Miteinbeziehen der Helfer/innen<br />
<strong>und</strong> sehen darin eine Bereicherung <strong>für</strong><br />
die Datensammlung beim Erstellen des<br />
Pflegefokus. „Die sehen oft viel mehr als<br />
wir“ bringt es eine Mitarbeiterin auf den<br />
Punkt. Es sind eben in erster Linie die Hilfskräfte,<br />
die in der Gr<strong>und</strong>pflege tätig sind<br />
<strong>und</strong> von daher auch kontinuierlich die<br />
meisten Informationen über die <strong>für</strong> den<br />
Pflegefokus wichtigen Bereiche erhalten.<br />
Das Pflegefachpersonal hingegen ist zu-
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
sätzlich auch mit dem umfangreichen Arbeitspaket<br />
der behandlungspflegerischen<br />
Maßnahmen befasst, die ihrerseits gesonderte<br />
Dokumentationsschritte in der Vor<strong>und</strong><br />
Nachbereitung verlangen. Positiv wird<br />
auch gewertet, dass jetzt immer mehr Mitarbeiter/innen<br />
durch eigene Erfahrungen<br />
nachvollziehen können, „was es heißt zu<br />
schreiben“. Durch die im Konzept des Pflegefokus<br />
vorgeschlagene Organisation ist<br />
die Arbeit eben auf mehreren Schultern<br />
verteilt. Die systematische Aktualisierung<br />
von Pflegeplanungsinhalten kann daher<br />
zeitnah erfolgen <strong>und</strong> in den Pflegealltag<br />
integriert werden. Die zeitliche Überbelastung<br />
einer kleinen Gruppe von Pflegefachkräften,<br />
die ausschließlich <strong>für</strong> diesen Bereich<br />
zuständig waren, hat sich verringert.<br />
Einige Stimmen gibt es aber auch,<br />
die voller Skepsis sind, ob die Helfer/innen<br />
überhaupt Schreibarbeit leisten können.<br />
Dabei reicht die Palette der angegebenen<br />
Gründe <strong>für</strong> diese Einschätzung vom vermuteten<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen Unvermögen bis zur<br />
angenommenen Überforderung. Die Bedenken<br />
überwiegen in den Einrichtungen,<br />
in denen eher medizinorientiert gearbeitet<br />
wird <strong>und</strong> die allgemeine Gesprächskultur<br />
durch traditionelle Prozessabläufe geprägt<br />
ist. In den anderen Häusern wird zwar auch<br />
darauf hingewiesen, dass den Helferinnen<br />
<strong>und</strong> Helfern das Schreiben schwer fällt,<br />
aber das vorhandene Potential, das unterstützt<br />
<strong>und</strong> kommunikativ erschlossen werden<br />
muss, ist viel stärker im Blick.<br />
Für die meisten der befragten Pflegehilfskräfte<br />
bedeutet die Arbeit mit dem<br />
Pflegefokus eine Aufwertung ihrer Tätigkeit.<br />
Die Ergebnisse ihrer Beobachtungen werden<br />
aufgenommen, ihre Einschätzungen<br />
von Pflegesituationen sind gefragt. Die Helfer/innen<br />
fühlen sich mehr <strong>und</strong> mehr ein-<br />
bezogen in die Aushandlungsprozesse über<br />
den „richtigen“ Weg bei der Pflege<br />
von Bewohnerinnen <strong>und</strong> Bewohnern. Dabei<br />
gab es zunächst durchaus Irritationen<br />
bei einigen Fachkräften, die dieser neuen<br />
Zuschreibung von Mitspracherechten mit<br />
Argwohn begegneten. Da hieß es dann<br />
schon einmal: „´Warum will die jetzt da<br />
auch noch etwas sagen, die hat jetzt drei<br />
Jahre nichts gesagt, <strong>und</strong> jetzt kommt sie<br />
daher <strong>und</strong> sagt, ich bin der Meinung,<br />
dass.`“ In solchen Situationen stärkt die<br />
Helfer/innen das Wissen um den Rückhalt<br />
bei der verantwortlichen Leitung, die auf<br />
die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter/innen<br />
setzt. Die Pflegehilfskräfte brauchen diese<br />
Art der ideellen Unterstützung aber nicht<br />
nur, um sich im Team behaupten zu können,<br />
sondern sie fördert auch generell die<br />
Motivation, sich an diesen Arbeitsbereich<br />
heranzuwagen. „Das Vertrauen seitens<br />
meiner Vorgesetzten tut mir gut <strong>und</strong> das<br />
spornt auch an“, betont eine Mitarbeiterin.<br />
Insbesondere die Helfer/innen, die einen<br />
Fortbildungskurs zum Pflegefokus-Verfahren<br />
besucht haben, werden auch im Team als<br />
„Expert/innen“ wahrgenommen <strong>und</strong> bestätigt.<br />
Der Pflegefokus fungiert dabei quasi<br />
als vermittelndes Element zwischen Pflegefach-<br />
<strong>und</strong> Pflegehilfskräften.<br />
Trotz der erfahrbaren Kompetenzerweiterung<br />
herrscht bei vielen aber auch<br />
noch Scheu vor der Verantwortung, die<br />
durch das Praktizieren des Pflegefokus übernommen<br />
wird. Der Umgang mit Verantwortung<br />
kann wie der Umgang mit<br />
Stress als Herausforderung oder als Bedrohung<br />
erlebt werden. Ganz allgemein löst in<br />
der Pflege die Übernahme von Verantwortung<br />
oft negative Assoziationen aus, im<br />
Sinne der Erwartung einer Bestrafung <strong>für</strong><br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
39
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
eine Handlung. 10 Auch <strong>für</strong> das Pflegefachpersonal<br />
in den vier Caritas-Altenheimen ist<br />
Verantwortung zumeist unter haftungsrechtlichen<br />
Gesichtspunkten ein Thema,<br />
da die jeweilige Schichtleitung die letztendliche<br />
Verantwortung <strong>für</strong> die Einträge in<br />
das Pflegeplanungsblatt trägt. Allerdings<br />
zeigt sich, dass ein konstruktives <strong>und</strong> angstfreieres<br />
Erleben von Verantwortung sowohl<br />
bei Pflegefach- als auch bei Pflegehilfskräften<br />
durch die innerbetriebliche Fortbildung<br />
<strong>und</strong> die fachliche Begleitung des Qualitätsmanagementbeauftragten<br />
gefördert<br />
wird. Über die Anerkennung <strong>und</strong> Wertschätzung<br />
von Seiten der Leitungskräfte<br />
hinaus erwachsen dem Pflegepersonal<br />
dadurch neue „Möglichkeitsspielräume“,<br />
die die Eigenkompetenz steigern. 11 Nicht<br />
zuletzt aber ist ein Klima des Vertrauens<br />
<strong>und</strong> der Offenheit im Team eine wichtige<br />
Voraussetzung, um im lebendigen Diskurs<br />
tragfähige Verantwortungsmuster einüben<br />
zu können.<br />
3.4 Positive Impulse <strong>für</strong> die<br />
Kommunikationskultur<br />
Durch die Implementierung des Pflegefokus<br />
ist in allen vier Einrichtungen ein<br />
Diskurs angeregt worden. Der Pflegefokus<br />
hat im wahrsten Sinne des Wortes <strong>für</strong> Gesprächsstoff<br />
gesorgt. Dabei kommt den<br />
Gesamtbereichs- <strong>und</strong> Bereichsleitungen<br />
eine besonders herausragende Rolle zu:<br />
Sie haben maßgeblichen Einfluss auf die<br />
Art <strong>und</strong> Weise des Umgangs mit dem Pflegefokus<br />
<strong>und</strong> auf die damit verb<strong>und</strong>enen<br />
Kommunikationsprozesse. Sind sie engagierte<br />
Multiplikator/innen, werden immer<br />
10 vgl. Tewes, Renate: Pflegerische Verantwortung.<br />
Eine empirische Studie über pflegerische Verantwortung<br />
<strong>und</strong> ihre Zusammenhänge zur Pflegekultur<br />
<strong>und</strong> zum beruflichen Selbstkonzept, Bern 2002<br />
11 vgl. Tewes, R. (2002): 325 ff.<br />
40<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
mehr Pflegende dazu motiviert, alle Schritte<br />
des Pflegeprozesses zu beachten <strong>und</strong><br />
sich mit Kolleg/innen darüber auszutauschen.<br />
Auch in anderen Untersuchungen<br />
wird die Bedeutung der Leitungskräfte <strong>für</strong><br />
die in einer Einrichtung oder einem Bereich<br />
vorherrschenden Formen der Pflegekultur<br />
hervorgehoben. 12 Sie sind es, die die institutionellen<br />
<strong>und</strong> pflegefachlichen Rahmenbedingungen<br />
„über-setzen“ in den Pflegealltag<br />
<strong>und</strong> zusammen mit der Heimleitung<br />
das Gesamtbild des Hauses prägen.<br />
Der Pflegefokus kann vor allem in<br />
den Häusern neue Impulse geben, in denen<br />
noch wenig beteiligungsorientierte<br />
Formen des Umgangs entwickelt sind.<br />
Denn das Konzept setzt auf das Einbeziehen<br />
aller Mitarbeiter/innen in das Planungsgeschehen<br />
<strong>und</strong> lässt ihnen Raum <strong>für</strong><br />
eigene Entscheidungen. Auch diejenigen<br />
Leitungskräfte in den Caritas-Altenheimen,<br />
die eher einem traditionell-hierarchischen<br />
Modell der Arbeitsorganisation anhängen,<br />
sind durch den Pflegefokus dazu angehalten,<br />
sich mit partnerschaftlichen Organisationsformen<br />
auseinanderzusetzen. Denn<br />
nur ein kooperativer Führungsstil ermöglicht<br />
eine größere Autonomie des Einzelnen im<br />
Team. 13 Zwar braucht es zum Gelingen des<br />
Verfahrens klare organisatorische Vorgaben<br />
von Seiten der Leitung <strong>und</strong> auch gezielte<br />
Kontrollen, aber es ist - wie bereits<br />
erwähnt - insbesondere das Vertrauen in<br />
die Fähigkeiten <strong>und</strong> das Entwicklungspotential<br />
der Mitarbeiter/innen, das die Pflegekräfte<br />
dazu bringt, sich in diesem Ar-<br />
12 vgl. u.a. Dunkel, Wolfgang: Pflegearbeit - Alltagsarbeit.<br />
Eine Untersuchung der Lebensführung von<br />
AltenpflegerInnen, Freiburg im Breisgau 1994<br />
13 vgl. Sowinski, Christine: Dokumentation <strong>und</strong> Planung<br />
als Mittel der Kooperation <strong>und</strong> Kommunikation.<br />
In: Berghaus, Helmut C., u.a. (Hg.): Kommunikation<br />
<strong>und</strong> Kooperation in der Altenhilfe. Reihe<br />
thema 155, Köln 2000: 12
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
beitsfeld zu engagieren. Wenn die Pflege<br />
von der Leitung nicht als gemeinschaftliche<br />
Aufgabe gesehen <strong>und</strong> der offene<br />
Meinungsaustausch nicht explizit gefördert<br />
wird, ziehen sich die Mitarbeiter/innen<br />
auch wieder aus einer gemeinsamen Verantwortung<br />
zurück <strong>und</strong> fühlen sich bei<br />
Pflegeplanung <strong>und</strong> Pflegefokus nur als Zuträger/innen<br />
von Informationen.<br />
Obwohl der Pflegefokus nur von einer<br />
Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter im<br />
„normalen“ Arbeitsablauf erstellt wird, führt<br />
sein Einsatz dennoch dazu, dass sich<br />
Kommunikationsstrukturen verändern, die<br />
Zusammenarbeit in den Vordergr<strong>und</strong> rückt:<br />
„Also das passiert jetzt schon mehr <strong>und</strong><br />
mehr, dass das keine Einzelaktionen sind,<br />
sondern dass man da andere mit einbindet,<br />
sich schon ein bisschen berät <strong>und</strong><br />
nachfragt: ´Hast du noch irgend etwas gesehen,<br />
ist dir noch etwas aufgefallen?`<br />
oder ´Was meinst denn du, was könnte<br />
man da noch machen?`“ In allen Interviews<br />
wird berichtet, dass die jeweilige<br />
Schichtleitung als Ansprechpartner/in zur<br />
Verfügung steht <strong>und</strong> sich - wenn gewünscht<br />
- mit der „Pflegefokus-Mitarbeiterin“<br />
oder dem „Pflegefokus-Mitarbeiter“<br />
über die vorgef<strong>und</strong>ene Lage austauscht.<br />
Insbesondere bei der Einweisung in das<br />
Pflegefokus-Verfahren wird auch die bisherige<br />
Pflegeplanung <strong>für</strong> die Pflege eines/r<br />
Bewohners/in gemeinsam durchgegangen<br />
<strong>und</strong> anschließend festgelegt, was an diesem<br />
Tag bei der Gr<strong>und</strong>pflege besonders zu<br />
beobachten ist. Aber es ist eben nicht nur<br />
die verantwortliche Pflegefachkraft, die<br />
um Rat gefragt wird, sondern auch die<br />
Meinungen anderer Kolleg/innen werden<br />
eingeholt. So wird es „mehr <strong>und</strong> mehr“ ein<br />
gemeinsames Bemühen, das einen formal<br />
zugewiesenen Expertenstatus ein Stück<br />
weit relativiert.<br />
Die zuständige Mitarbeiterin oder der<br />
zuständige Mitarbeiter stellt die Ergebnisse<br />
der Beobachtungen beim Pflegefokus zumeist<br />
in der Übergabe vom Früh- zum Spätdienst<br />
vor. Bereits diese Situation bricht das<br />
übliche Kommunikationsmuster von Übergaben<br />
in stationären Einrichtungen auf.<br />
Denn in der Regel spielt sich die Übergabe<br />
„häufig nur als Informationsaustausch<br />
zwischen den LeiterInnen der Schichten<br />
ab, die anderen hören mehr oder weniger<br />
aufmerksam zu.“ 14 Auch die Inhalte der<br />
Absprachen erfahren durch den Pflegefokus<br />
eine Erweiterung. Sind es sonst oft nur<br />
Körperpflege <strong>und</strong> medizinische Versorgung,<br />
die zum Thema gemacht werden,<br />
kommen beim Pflegefokus bei vorliegenden<br />
Veränderungen auch die psychische<br />
Situation der Bewohner/innen, ihr<br />
Tagesablauf, ihre sozialen Kontakte zur<br />
Sprache. Einige Mitarbeiter/innen berichten,<br />
dass die Gespräche in den Übergaben<br />
ganz allgemein „inhaltsreicher“,<br />
„sachlicher“ <strong>und</strong> „zielgerichteter“ geworden<br />
sind. Während früher die beobachteten<br />
Veränderungen meist „unsortiert“ weitergegeben<br />
wurden, dienen jetzt die Strukturvorgaben<br />
des Pflegeplanungsblattes zur<br />
Orientierung.<br />
Beim Austausch über die Effektivität<br />
der vereinbarten pflegerischen Maßnahmen<br />
werden nach Angaben der Befragten<br />
oft die negativen Beispiele hervorgehoben,<br />
also das, was nicht funktioniert hat,<br />
während die Erfolge eher als selbstverständlich<br />
betrachtet werden <strong>und</strong> weniger<br />
Beachtung finden. Dieses Verhaltensmuster<br />
findet sich in der Pflege häufig, denn<br />
14 Koch-Straube, Ursula: Fremde Welt Pflegeheim.<br />
Eine ethnologische Studie, Bern 1997: 127<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
41
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
- so eine Mitarbeiterin - „irgendwie ist es so<br />
eine Pflegementalität, dass man sich nur<br />
immer das Negative bewahrt“. Um den<br />
positiven Ergebnissen mehr Gewicht in den<br />
Diskussionen, aber auch in den Wirkungen<br />
zu geben, werden unterschiedliche „Strategien“<br />
angewandt: zunehmend wird<br />
auch hier auf Transparenz („ich will alle<br />
darüber informieren“) <strong>und</strong> Partizipation<br />
(„ich will möglichst viele daran teilhaben<br />
lassen <strong>und</strong> sie mit in die Verantwortung<br />
einbeziehen“) gesetzt. Es hat sich erwiesen,<br />
dass auf diese Art <strong>und</strong> Weise erfolgreiche<br />
Prozesse verstetigt werden können <strong>und</strong> ihre<br />
Akzeptanz zunimmt.<br />
In allen Einrichtungen wird betont,<br />
dass das individuelle Wohlbefinden der<br />
Bewohner/innen Maßstab allen pflegerischen<br />
Handelns ist. Welche Konsequenzen<br />
die praktische Umsetzung dieser Maxime<br />
haben kann, zeigte sich vor allem in einem<br />
Haus, in dem in den Interviews ganz offen<br />
auch unterschiedliche normative Vorstellungen<br />
von einer „guten“ Pflege angesprochen<br />
wurden. Differenzen zwischen<br />
den Mitarbeiter/innen treten zum Beispiel<br />
dann auf, wenn pflegerische Leitlinien mit<br />
den Wünschen der Bewohner/innen kollidieren.<br />
„Können geplante Pflegemaßnahmen<br />
auf Wunsch des Bewohners eingeschränkt<br />
werden, ohne den körperlichen<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand zu gefährden?“<br />
„Wann akzeptiere ich, dass eine Bewohnerin<br />
im Bett liegen bleiben möchte, <strong>und</strong><br />
nicht - aktiviert <strong>und</strong> mobilisiert - im Rollstuhl<br />
an einer tagesstrukturierenden Maßnahme<br />
teilnimmt?“ - über solche <strong>und</strong> ähnliche Fragen<br />
wird im Rahmen der Erstellung des<br />
Pflegefokus kontrovers diskutiert. Dabei<br />
verpuffen die mündlich ausgetragenen<br />
Auseinandersetzungen nicht ins Leere,<br />
sondern finden ihren Niederschlag in den<br />
42<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Einträgen auf dem Pflegeplanungsblatt,<br />
die <strong>für</strong> alle Mitarbeiter/innen offen legen,<br />
welcher Weg eingeschlagen wird. Erst diese<br />
Dokumentation bietet die Möglichkeit,<br />
an den Vereinbarungen anzuknüpfen <strong>und</strong><br />
einen erneuten Diskussionsprozess einzuleiten.<br />
Durch das schriftliche Festhalten von<br />
Zustandsdaten <strong>und</strong> pflegerischen Maßnahmen<br />
herrscht eine größere Verbindlichkeit<br />
<strong>für</strong> die Mitarbeiter/innen, denn<br />
„das, was auf dem Pflegeplanungsblatt<br />
steht, wird gemacht“. Diese Sicherheit,<br />
dass sich alle an die Vorgaben halten müssen,<br />
ermöglicht es auf der anderen Seite<br />
aber auch, <strong>für</strong> einen bestimmten Zeitraum<br />
„Dinge auszuprobieren“, Neuerungen<br />
Raum zu geben <strong>und</strong> nicht immer nur auf<br />
dem Althergebrachten zu beharren. Wenn<br />
es darum geht, innovativen Ansätzen zum<br />
Durchbruch zu verhelfen, kommen auch<br />
kleine „Tricks“ zur Anwendung, wie eine Altenpflegerin<br />
berichtet: „Also ich habe es<br />
jetzt einfach so gemacht, dass ich den<br />
anderen meine Ideen so verkaufe, als wären<br />
sie darauf gekommen“. Gerade auch<br />
um Widerständen bei Kolleg/innen, die<br />
sich von alten Gewohnheiten nicht trennen<br />
wollen, zu begegnen, wird der Pflegefokus<br />
als hilfreich angesehen, da durch ihn<br />
Vorgehensweisen <strong>und</strong> ihre Auswirkungen in<br />
der zeitlichen Abfolge belegt sind <strong>und</strong> somit<br />
eine wichtige Argumentationsgr<strong>und</strong>lage<br />
darstellen.<br />
Handlungsweisen können getestet<br />
bzw. die flexible Vorgehensweise <strong>für</strong> einen<br />
bestimmten Zeitraum festgelegt werden,<br />
um dann erneut über die Situation zu beraten,<br />
zu überlegen, was sich bewährt hat,<br />
<strong>und</strong> definitiv zu entscheiden. „Also ich gehe<br />
jetzt auch alternative Methoden an, wo<br />
ich sage, wir probieren es eine Woche
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
lang, <strong>und</strong> dann schauen wir noch mal,“ so<br />
eine Mitarbeiterin. Eine f<strong>und</strong>ierte, aktuelle<br />
Pflegeplanung liefert ganz offensichtlich<br />
die Basis, auf der Mut zum innovativen<br />
Handeln wachsen kann. „Da entwickelt<br />
sich jetzt vielleicht dann was“ - diese Hoffnung,<br />
die eine Pflegefachkraft äußert, bezieht<br />
sich daher nicht nur auf die eingetragenen<br />
Modifikationen im Pflegeplanungsblatt,<br />
sondern auch auf die Veränderungen<br />
in den Köpfen der Mitarbeiter/innen,<br />
die weniger starr nach Schema F arbeiten,<br />
sondern mehr <strong>und</strong> mehr die Bewohner/innen<br />
<strong>und</strong> sich selbst als Akteure in einem<br />
prozesshaften Geschehen wahrnehmen.<br />
Denn auch eine „gute“ Beobachtung<br />
liefert nur Daten <strong>für</strong> diesen Moment,<br />
ist keine Abbildung des „ganzen“ Menschen.<br />
So bleibt ein permanenter Anspruch,<br />
„dranzubleiben“. Der Pflegefokus<br />
fordert dazu auf.<br />
3.5 Bewusste Präsenz<br />
Der Pflegefokus stellt <strong>für</strong> die Mitarbeiter/innen<br />
eine Gelegenheit dar, sich die<br />
Situation der jeweiligen Bewohner/innen<br />
bewusst vor Augen zu führen. Zwar verweisen<br />
die Pflegekräfte darauf, dass sie auch<br />
in ihren sonstigen Arbeitsvollzügen versuchen,<br />
achtsam <strong>und</strong> konzentriert zu sein.<br />
Beim Pflegefokus wollen sie diesem Anspruch<br />
aber in besonderer Weise gerecht<br />
werden. Dabei sind ihrer Meinung nach vor<br />
allem die beiden ersten Prinzipien des<br />
Pflegefokus-Verfahrens (1. aufmerksame<br />
<strong>und</strong> 2. gezielte Beobachtung) hilfreich.<br />
Die Pflegefokus-Prinzipien greifen Traditionen<br />
auf, die auch aus der christlichen<br />
Mystik15 <strong>und</strong> dem Buddhismus16 bekannt<br />
15 vgl. Haas, Alois M.: Mystik als Aussage. Erfahrungs-,<br />
Denk- <strong>und</strong> Redeformen christlicher Mystik. 2. Auflage,<br />
Frankfurt a.M. 1997<br />
sind. So heißt es z.B. bei Meister Eckhart, einem<br />
Mystiker aus dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert:<br />
„Das ist das Jetzt der Ewigkeit, wo die Seele<br />
in Gott alle Dinge neu <strong>und</strong> frisch <strong>und</strong><br />
gegenwärtig erkennt, <strong>und</strong> mit der Lust, die<br />
ich jetzt gegenwärtig habe.“ 17 Die Aussage<br />
eines buddhistischen Lehrers bezieht<br />
die Haltung des bewussten Präsent-Seins<br />
auch auf seine soziale Wirkung: „Wenn die<br />
Kraft der Achtsamkeit <strong>und</strong> des mitfühlenden<br />
Zuhörens in dir ist, kann deine Gegenwart<br />
eine heilende <strong>und</strong> beruhigende Wirkung<br />
auf andere ausüben.“ 18 Im Konzeptentwurf<br />
zum Pflegefokus werden diese spirituellen<br />
Dimensionen nicht gesondert hervorgehoben,<br />
aber in der Praxis zeigte sich,<br />
dass darin ein weiteres Potential liegt, das<br />
ausbaufähig ist. Zum einen kann die Betonung<br />
des gegenwärtigen Augenblicks, die<br />
Besinnung auf das Hier <strong>und</strong> Jetzt noch<br />
stärker <strong>und</strong> gezielter als mentale Technik<br />
eingesetzt werden, zum anderen ist durch<br />
entsprechende Verweise auch eine Rückbindung<br />
an christliche Leitbilder möglich.<br />
Die Mitarbeiter/innen sind auf der Suche<br />
nach Angeboten, die ihnen dabei helfen,<br />
dem Gefühl des ständigen Zeitdrucks, des<br />
Nur-noch-Funktionierens begegnen zu können,<br />
<strong>und</strong> die dazu beitragen, ihr Handeln<br />
eingeb<strong>und</strong>en in einen sinnstiftenden Gesamtkontext<br />
zu erleben. Das können Meditationsr<strong>und</strong>en<br />
sein, wie sie bereits in einer<br />
Einrichtung stattfinden. Das kann das Einüben<br />
<strong>und</strong> Vertiefen der beiden ersten<br />
Pflegefokus-Prinzipien in internen Fortbildungen<br />
sein.<br />
16 vgl. Thich Nhat Hanh: Schritte der Achtsamkeit.<br />
Eine Reise zu den Quellen des Buddhismus. 3. Auflage,<br />
Freiburg, Basel, Wien 2000<br />
17 Meister Eckhart: Deutsche Predigten. Eine Auswahl,<br />
Stuttgart 2001: 85<br />
18 Thich Nhat Hanh (2000): 67<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
43
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
Insbesondere das Prinzip der aufmerksamen<br />
Beobachtung lässt die Mitarbeiter/innen<br />
an Ideale <strong>und</strong> Leitbilder anknüpfen,<br />
die sie u.a. zur Aufnahme einer<br />
pflegerischen Arbeit bewogen haben. Sich<br />
einlassen auf die Bewohner/innen, sie ernst<br />
nehmen in ihren Anliegen, <strong>für</strong> den Moment<br />
Da-sein mit ihnen - das umsetzen zu können<br />
<strong>und</strong> im Moment des Pflegefokus zu<br />
vertiefen, ist <strong>für</strong> alle Befragten ein wesentlicher<br />
Aspekt, der zu ihrer Arbeitszufriedenheit<br />
beiträgt. Besonders hervorgehoben<br />
wird eine solche Betrachtungsweise in den<br />
Häusern, die gezielt jene konzeptionellen<br />
Möglichkeiten des Pflegefokus in den Vordergr<strong>und</strong><br />
stellen. Alltägliches bewusst <strong>und</strong><br />
mit voller Achtsamkeit zu erleben, alles,<br />
was geschieht, offen <strong>und</strong> ohne Vor-Urteil<br />
zu beobachten - diese Haltung führt dazu,<br />
dass automatische Abläufe unter einem<br />
anderen Blickwinkel betrachtet <strong>und</strong> Schritt<br />
<strong>für</strong> Schritt „entautomatisiert“ werden. Die<br />
Pflegekräfte berichten, dass sie beim Pflegefokus<br />
bislang unbekannte Details entdecken<br />
- bei den Bewohnerinnen <strong>und</strong> Bewohnern,<br />
aber auch bei ihrem eigenen<br />
Tun. Der routinisierte Pflegealltag wird aufgebrochen<br />
<strong>und</strong> Raum geschaffen <strong>für</strong><br />
spannende, überraschende Momente.<br />
Die im Pflegefokus-Konzept formulierten<br />
Prinzipien tragen so dazu bei, neben<br />
den funktionalen Anteilen in der Pflege das<br />
Beziehungsgeschehen als qualitätssicherndes<br />
Element wahrzunehmen <strong>und</strong> die Wirkung<br />
pflegerischen Handelns auf die Befindlichkeit<br />
der Bewohner/innen zu reflektieren.<br />
Durch die Implementierung des<br />
Pflegefokus hat sich die Motivation der<br />
Pflegekräfte verändert. Wurde früher die<br />
formale Anforderung des MDK als Hauptgr<strong>und</strong><br />
<strong>für</strong> die Pflegeplanung genannt, so<br />
haben sich nunmehr die Prioritäten ver-<br />
44<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
schoben: „Wir machen die Pflegeplanung<br />
<strong>für</strong> die Bewohner, damit sie sich wohler fühlen,<br />
<strong>und</strong> auch <strong>für</strong> uns als Nachweis, was wir<br />
leisten <strong>und</strong> eventuell noch verbessern müssen“.<br />
Die Orientierung hin zur Bewohnerin<br />
<strong>und</strong> zum Bewohner korrespondiert mit einer<br />
Aufwertung der Mitarbeiterinteressen.<br />
Die gewachsene Sensibilität <strong>für</strong> den Nutzen<br />
einer individuellen Pflege, die durch eine<br />
regelmäßig aktualisierte Pflegeplanung<br />
möglich wird, fördert auch das Bewusstsein<br />
<strong>für</strong> die eigene Kompetenz <strong>und</strong> Professionalität.<br />
Die Mitarbeiter/innen erleben sich<br />
nicht mehr nur als reaktiv Tätige, sondern<br />
als Entscheidungsträger/innen mit Handlungsoptionen.<br />
Was mache ich hier gerade?<br />
Wie gehe ich mit meinem Gegenüber<br />
um? Für welche Form der Unterstützung<br />
entscheide ich mich? Diese Fragen gewinnen<br />
zunehmend auch in der täglichen Arbeit<br />
an Bedeutung. Der selbst-bewusste<br />
<strong>und</strong> selbst-gewählte Beitrag zur Qualität<br />
von Pflege wird transparenter, neue Perspektiven<br />
auf eigene Verhaltensweisen<br />
<strong>und</strong> Aktionen eröffnen sich.<br />
Die aufmerksame <strong>und</strong> gezielte Beobachtung<br />
als Hintergr<strong>und</strong>folie <strong>für</strong> die Deutung<br />
von Wirklichkeit lässt somit die Pflegehandlungen<br />
in ihrer Ambivalenz aufscheinen.<br />
Eine empathische Ausrichtung auf die<br />
Bewohner/innen ist nur möglich in einem<br />
Kontext, der auch das „Wohlbefinden“<br />
von Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern im<br />
Blick hat.
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
4. Der Pflegefokus als<br />
„Brückenkonstruktion“<br />
Die Untersuchung hat gezeigt, dass<br />
pflegefachliche Standards, ordnungspolitische<br />
Vorgaben <strong>und</strong> Leitbildgr<strong>und</strong>sätze<br />
durchaus auch unter den derzeitigen<br />
Rahmenbedingungen umsetzbar sind bzw.<br />
mit Leben erfüllt werden können. Die kreative<br />
Entwicklung konzeptioneller Strategien<br />
ermöglicht es, Brücken zu schlagen zwischen<br />
theoretischen Anforderungen <strong>und</strong><br />
der Alltagspraxis. Der Pflegefokus ist eine<br />
solche „Brückenkonstruktion“. Er ist <strong>für</strong> die<br />
Mitarbeiter/innen eine Hilfe bei der Pflegeplanung<br />
<strong>und</strong> ihrer kontinuierlichen Aktualisierung.<br />
Der Nutzen eines geplanten Vorgehens<br />
wird durch dieses Konzept immer<br />
wieder erfahrbar. Dabei erleben sich die<br />
Mitarbeiter/innen als eingeb<strong>und</strong>en in ein<br />
Prozessgeschehen, das sie aktiv mitgestalten<br />
können.<br />
Ganz offensichtlich hängt die Umsetzung<br />
des Pflegeprozesses maßgeblich davon<br />
ab, wie dieses Verfahren vermittelt<br />
wird. Der Pflegefokus bietet da<strong>für</strong> zwei<br />
„Stützpfeiler“ an, die die Mitarbeiter/innen<br />
ergreifen können: zum einen verringert das<br />
auch nach dem Kriterienkatalog des MDK<br />
aufgebaute Pflegeplanungsblatt die Hürden<br />
der Formulierung, zum anderen liefert<br />
die Methode des aufmerksamen, gezielten<br />
<strong>und</strong> systematischen Beobachtens Anreize<br />
<strong>für</strong> eine neue Sicht auf den Pflegealltag.<br />
Die regelmäßige Überprüfung der Pflegeplanung<br />
kann quasi als Chance genutzt<br />
werden, um innezuhalten, ein Stück weit<br />
herauszutreten aus einem hektischen Arbeitstag.<br />
Das bewusste Wahrnehmen der<br />
Bewohner/innen im Hier <strong>und</strong> Jetzt, die immer<br />
wieder neu festzulegende Ausrichtung<br />
des pflegerischen Handelns stärken die Ei-<br />
genverantwortung der Pflegekräfte <strong>und</strong><br />
sind Anlass zu verstärkter Reflexion <strong>und</strong><br />
Kommunikation.<br />
Die positive Wirkung von Qualitätssicherungsmaßnahmen<br />
wurde deutlich. Allerdings<br />
kann sich dieser Effekt nur entfalten,<br />
wenn die Einrichtungen dabei konstante<br />
Unterstützung erfahren. Die persönliche<br />
Beratung <strong>und</strong> Anleitung sowie eine<br />
konsequent partizipative Form des Umgangs<br />
mit den Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern<br />
sind wesentliche Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> den Erfolg. Der direkte Nutzen von Pflegeplanung<br />
<strong>und</strong> -dokumentation muss stets<br />
von neuem erkennbar gemacht werden.<br />
Dann gewinnen die dort gesammelten Daten<br />
auch einen anderen Stellenwert <strong>für</strong><br />
das pflegerische Alltagshandeln der Mitarbeiter/innen.<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
▪<br />
Maria Zörkler,<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin,<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
e-mail: zoerkler@iso-institut.de<br />
45
Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
LITERATUR<br />
Behr, Renate, u.a.: Vom Pflegeheim zum Altenwohnhaus,<br />
Frankfurt a.M. 1995<br />
Brucker, Uwe: „Der mangelhafte Umgang mit<br />
der Dokumentation schadet der professionellen<br />
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23<br />
Brucker, Uwe: Qualitätssicherung im stationären<br />
Bereich aus der Sicht des Medizinischen Dienstes<br />
der Spitzenverbände der Krankenkassen<br />
(MDS) Essen, in: Forschungsinstitut der Friedrich-<br />
Ebert-Stiftung, Abt. Arbeit <strong>und</strong> Sozialpolitik (Hg.):<br />
Qualitätssicherung in der Pflege, Bonn 1999: 53 -<br />
61<br />
Brüggemann, Jürgen: Mehr Gewicht auf Ergebnisqualität.<br />
Neue „MDK-Anleitungen zur Prüfung<br />
der Qualität nach § 80 SGB XI in Kraft“, in: MDK-<br />
Forum 4(2000)3: 17 - 19<br />
Dunkel, Wolfgang: Pflegearbeit - Alltagsarbeit.<br />
Eine Untersuchung der Lebensführung von AltenpflegerInnen,<br />
Freiburg im Breisgau 1994<br />
Flumeri, D. u.a.: Pflegedokumentationen entsprechen<br />
nicht den Anforderungen:<br />
www.pflegenet.com<br />
Garms-Homolová, Vjenka; Niehörster, Gabriele:<br />
PflegeDokumentation: auswählen <strong>und</strong> erfolgreich<br />
anwenden in Pflegeeinrichtungen, Hannover<br />
1997<br />
Haas, Alois M.: Mystik als Aussage. Erfahrungs-,<br />
Denk- <strong>und</strong> Redeformen christlicher Mystik. 2.<br />
Auflage, Frankfurt a.M. 1997<br />
Helfrich, Matthias: Das Pflegekonzept „Pflegefokus“<br />
richtet den Blick auf das Hier <strong>und</strong> Jetzt, in:<br />
Deutscher Caritasverband (Hg.): Caritas 2000.<br />
Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes,<br />
Freiburg 2000: 219 - 225<br />
Helfrich, Matthias: Im Mittelpunkt des Interesses,<br />
in: Altenpflege 24(1999)6: 38 - 39<br />
Höhmann, Ulrike, u.a.: Die Bedeutung des Pflegeplanes<br />
<strong>für</strong> die Qualitätssicherung in der Pflege.<br />
Hrsg. vom B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Arbeit <strong>und</strong><br />
Sozialordnung, Bonn 1996<br />
Koch-Straube, Ursula: Fremde Welt Pflegeheim.<br />
Eine ethnologische Studie, Bern 1997<br />
Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der<br />
Krankenkassen e.V.: MDK-Qualitätsprüfungen<br />
nach § 80 SGB XI – Auswertung aus dem Jahr<br />
1999. Manuskript, Essen 2000<br />
Meister Eckhart: Deutsche Predigten. Eine Auswahl,<br />
Stuttgart 2001<br />
Sachweh, Svenja: „Schätzle hinsitze!“. Kommunikation<br />
in der Altenpflege, Frankfurt a.M. 1999<br />
Sowinski, Christine: Dokumentation <strong>und</strong> Planung<br />
als Mittel der Kooperation <strong>und</strong> Kommunikation,<br />
in: Berghaus, Helmut C., u.a. (Hg.):<br />
46<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Kommunikation <strong>und</strong> Kooperation in der Altenhilfe.<br />
Reihe thema 155, Köln 2000: 9 - 13<br />
Tewes, Renate: Pflegerische Verantwortung. Eine<br />
empirische Studie über pflegerische Verantwortung<br />
<strong>und</strong> ihre Zusammenhänge zur Pflegekultur<br />
<strong>und</strong> zum beruflichen Selbstkonzept, Bern<br />
2002<br />
Thich Nhat Hanh: Schritte der Achtsamkeit. Eine<br />
Reise zu den Quellen des Buddhismus. 3. Auflage,<br />
Freiburg, Basel, Wien 2000<br />
Weinhold, Christine: Kommunikation zwischen<br />
Patienten <strong>und</strong> Pflegepersonal. Eine gesprächsanalytische<br />
Untersuchung des sprachlichen<br />
Verhaltens in einem Krankenhaus, Bern u.a.<br />
1997
Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen: Strategien zur Förderung von<br />
Beschäftigungsfähigkeit 1<br />
„Eine besonders signifikante Änderung<br />
der Einstellungen zeigt der Vergleich zweier Alterskohorten<br />
von Pariser Arbeitern, die 1972 <strong>und</strong><br />
1984 in Pension gingen. Angehörige der älteren<br />
Gruppe - befragt 1975 - waren bemüht, sich zu<br />
entschuldigen, wenn sie vor 65 pensioniert worden<br />
waren: Sie seien keineswegs faul, hätten<br />
jedoch keine Arbeit finden können. In der jüngeren<br />
Gruppe - befragt 1987 - entschuldigen<br />
sich dagegen diejenigen, die erst spät ‚in Rente‘<br />
gegangen waren: Sie hätten keineswegs<br />
den Jüngeren Jobs stehlen wollen.“<br />
Josef Ehmer, 1990<br />
(aus: Sozialgeschichte des Alters)<br />
1. Die demographische Herausforderung:<br />
Mehr ältere, weniger<br />
jüngere Erwerbspersonen<br />
Obwohl die Bevölkerung altert <strong>und</strong><br />
die Lebenserwartung kontinuierlich gestiegen<br />
ist, sind ältere Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitnehmerinnen<br />
in Unternehmen aktuell<br />
eine eher seltene Erscheinung: Lediglich<br />
ca. 20% der Personen in der Altersgruppe<br />
der 60 – 65-Jährigen sind heute in Deutsch-<br />
1 Bei diesem Artikel handelt es sich um die leicht<br />
überarbeitete Fassung eines gleichnamigen Artikels,<br />
der erschienen ist in: Kistler, E.; Mendius, H.-G.;<br />
Miethe, H. (Hg.): Demographischer Strukturbruch<br />
<strong>und</strong> Arbeitsmarktentwicklung, Broschürenreihe:<br />
Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit, Stuttgart 2002.<br />
Die den Ausführungen zugr<strong>und</strong>e liegenden Forschungsprojekte<br />
wurden gefördert durch das<br />
B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Forschung im<br />
Rahmen der Gesamtstrategie „Öffentlichkeits-<br />
<strong>und</strong> Marketingstrategie demographischer Wandel“<br />
<strong>und</strong> der „Demographie-Initiative“.<br />
Martina Morschhäuser<br />
land erwerbstätig. Und in fast 60% der Betriebe<br />
gibt es nach einer Studie des <strong>Institut</strong>s<br />
<strong>für</strong> Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Berufsforschung sogar<br />
keine Beschäftigten mehr, die älter als<br />
50 Jahre sind (vgl. Leber 2001: 7).<br />
Neben Verrentungen wegen Berufs<strong>und</strong><br />
Erwerbsunfähigkeit2 sind Beschäftigte<br />
in der Vergangenheit vor allem im Rahmen<br />
betrieblicher Personalabbaumaßnahmen<br />
vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.<br />
In vielen Fällen wurden komplette<br />
Jahrgänge von 57- oder gar 51-Jährigen<br />
aus Betrieben ausgegliedert. Diese insbesondere<br />
in Großbetrieben verbreitete Frühverrentungspraxis<br />
erfolgte bislang weitgehend<br />
sozialverträglich, sprich: finanziell gut<br />
abgefedert sowie im Einverständnis der Sozialpartner<br />
<strong>und</strong> der Beschäftigten selbst.<br />
Betriebliche Personalpolitik gegenüber älteren<br />
Arbeitnehmern beschränkte sich also<br />
in der Vergangenheit im wesentlichen auf<br />
die Ausgestaltung von Frühverrentungsprogrammen.<br />
Zukünftig wird der Anteil Älterer in der<br />
Erwerbsbevölkerung jedoch drastisch steigen,<br />
so dass eine jugendzentrierte Beschäftigungspolitik<br />
- zumindest gesellschaftspolitisch<br />
- immer widersinniger wird.<br />
Folgende Entwicklungen sind dabei zu berücksichtigen:<br />
2 In 2001 waren 200.579 bzw. 19,7 Prozent aller Rentenneuzugänge<br />
in Deutschland Renten wegen<br />
verminderter Erwerbsfähigkeit. Dabei sind es vor<br />
allem körperlich anstrengende Tätigkeitsfelder,<br />
die mit hohen Erwerbsunfähigkeitszahlen korrelieren,<br />
während es sich bei Berufen mit vorrangig<br />
kognitiven Anforderungen <strong>und</strong> hohem Sozialprestige<br />
genau umgekehrt verhält (vgl. Morschhäuser<br />
2003).<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
47
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
Der Anteil Älterer wächst: Während<br />
die Anzahl <strong>und</strong> der Anteil junger Arbeitskräfte<br />
auf Gr<strong>und</strong> der seit den 70er Jahren<br />
niedrigen Geburtenzahlen rückläufig ist,<br />
kommt die „Baby-Boom“-Generation in die<br />
Jahre (vgl. Abb. 1). Die heute ca. 35- 45-<br />
Jährigen sind die bei weitem personenstärkste<br />
Alterskohorte in der Erwerbsbevölkerung,<br />
<strong>und</strong> auch in vielen Betrieben bilden<br />
sie die am stärksten besetzte Altersgruppe<br />
(„gestauchte“ betriebliche Altersstrukturen).<br />
Dieser Tatbestand stellt <strong>für</strong> Unternehmen<br />
gegenwärtig kaum ein Problem<br />
dar, weil die Beschäftigten mittleren<br />
Alters unter Innovations- <strong>und</strong> Leistungsgesichtspunkten<br />
die Aktivposten sind. Denkt<br />
man die Entwicklung jedoch nur ein paar<br />
Jahre weiter <strong>und</strong> lässt den „Berg an Mittelalten“<br />
durch die Jahrgänge wandern, so<br />
sind in absehbarer Zeit die Älteren die<br />
quantitativ bedeutendste Beschäftigungs-<br />
48<br />
60. Geburtstag:<br />
Geburtenzahl<br />
1.200.000<br />
900.000<br />
600.000<br />
300.000<br />
2006<br />
0<br />
1940 1946 1950 1960 1970 1980 1990 1999<br />
Geburtsjahrgänge<br />
Abb.1: Die Geburtsjahrgänge von 1946 bis 1999 in Deutschland<br />
(Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2000)<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
2010 2020 2030 2040 2050 2059<br />
gruppe. Schon 2010 wird es mehr über 45-<br />
Jährige als unter 35-Jährige im Erwerbspersonenpotential<br />
geben (Naegele 2001).<br />
Frühverrentungsmöglichkeiten verringern<br />
sich: Seit Mitte der 90er Jahre haben<br />
viele Staaten, so auch die B<strong>und</strong>esrepublik<br />
Deutschland, die Anreize <strong>für</strong> einen<br />
vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand verringert.<br />
3 Es kann davon ausgegangen werden,<br />
dass weitere politische Weichenstellungen<br />
„weg von der Frühverrentung“ folgen<br />
werden, insbesondere wenn die geburtenstarken<br />
Jahrgänge in das rentennahe<br />
Alter kommen. Heute schon werden<br />
Forderungen nach einer Anhebung des<br />
Rentenalters erhoben. Ein vorzeitiger Berufsaustritt<br />
wird <strong>für</strong> die zukünftig Älteren mit<br />
3 In Deutschland wurden beispielsweise die Altersgrenzen<br />
zum Renteneintritt angehoben <strong>und</strong> Rentenabschläge<br />
bei einem früheren Rentenbezug<br />
eingeführt.
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
beträchtlichen finanziellen Nachteilen verb<strong>und</strong>en<br />
sein. Viele von ihnen werden zudem<br />
wegen eines späteren Berufseinstiegs<br />
<strong>und</strong> diskontinuierlicher Erwerbsverläufe<br />
weniger Rentenbeitragsjahre nachweisen<br />
können, so dass sie gezwungen sein werden,<br />
länger erwerbstätig zu sein. „Der<br />
Traum von ‚ich werde 55 <strong>und</strong> kann dann<br />
nach Hause gehen“, so ein Betriebsrat, „ist<br />
ausgeträumt“.<br />
Während die über 50-Jährigen zukünftig<br />
also einen sehr viel größeren Anteil<br />
der Erwerbspersonen stellen werden als<br />
heute, werden sie zugleich aller Voraussicht<br />
nach später aus dem Berufsleben<br />
ausscheiden. Dabei sind schon in der Vergangenheit<br />
manche Betriebe bzw. Belegschaften<br />
deutlich gealtert. Dies gilt beispielsweise<br />
<strong>für</strong> viele ostdeutsche Unternehmen:<br />
Auf Gr<strong>und</strong> der in den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />
flächendeckend erfolgten<br />
Vorruhestandsregelungen nach der Wende<br />
bei gleichzeitig drastischem Personalabbau<br />
<strong>und</strong> der Abwanderung junger Arbeitskräfte<br />
sind die Altersstrukturen dort<br />
oftmals noch kompakter <strong>und</strong> disproportioneller<br />
als in westdeutschen Unternehmen -,<br />
keineswegs selten sind die 40- bis 50-Jährigen<br />
in den Belegschaften weitgehend<br />
unter sich (vgl. Lippert; Astor; Wessels 2001).<br />
Der „demographische Ernstfall“ steht<br />
jedoch in der Breite sowohl in Deutschland<br />
als auch in anderen europäischen Ländern<br />
erst noch bevor. Die wirklichen demographischen<br />
Herausforderungen stellen sich<br />
erst nach dem Jahr 2010, einem Zeitpunkt,<br />
ab dem sich das Erwerbspersonenpotential<br />
insgesamt zudem merklich verringern<br />
wird (vgl. Fuchs; Thon 1999). Die zentrale<br />
Frage ist, ob die „Baby-Boomer“, die zukünftig<br />
auch als „Ältere“ das Gros der Erwerbspersonen<br />
stellen werden, den Ar-<br />
beitsanforderungen der Zukunft gewachsen<br />
sein werden. Angesichts der künftigen<br />
Altersstruktur unserer Bevölkerung sollten<br />
damit bereits heute gerade die geburtenstarken<br />
mittelalten Jahrgänge im Blickfeld<br />
stehen, die gemeinhin schon 15 bis 20 Erwerbsjahre<br />
hinter sich, - voraussichtlich aber<br />
noch ebenso viele Arbeitsjahre vor sich<br />
haben. Um ihre Leistungsfähigkeit zu sichern<br />
<strong>und</strong> um zu verhindern, dass die<br />
schon existierenden Missmatch-Probleme<br />
auf dem Arbeitsmarkt - Fachkräftemangel<br />
bei gleichzeitig weit mehr als vier Millionen<br />
Arbeitsuchenden - zukünftig in noch weit<br />
größerem Ausmaß auftreten, müssen heute<br />
schon die richtigen Weichen gestellt<br />
werden.<br />
2. Lösungsstrategie „Weiterbildung“:<br />
nur eine Seite<br />
der Medaille<br />
„Der Großvater Bal Bahadur Karki in Nepal<br />
(85) hat im vierzehnten Anlauf seine Abiturprüfung<br />
geschafft. Seine Augen sind so<br />
schlecht, daß jemand ihm die Fragen vorlesen<br />
mußte. ‚Ich wollte meinen Kindern <strong>und</strong> Enkelkindern<br />
zeigen, dass es nichts gibt, was nicht zu<br />
schaffen ist, wenn du dich nur richtig anstrengst“,<br />
sagte Karki. Der nahe dem Mount Everest<br />
lebende Vater von sechs Kindern würde<br />
gerne Pädagogik studieren, berichteten Zeitungen.“<br />
Frankfurter R<strong>und</strong>schau, 8.8.2001<br />
Als eine der aussichtsreichsten Strategien<br />
zur Sicherung der langfristigen Beschäftigungsfähigkeit<br />
von Arbeitnehmern<br />
<strong>und</strong> Arbeitnehmerinnen gilt die berufliche<br />
Weiterbildung (vgl. Frerichs; Naegele 1996,<br />
Schemme 2001). Mit der Qualifikation<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
49
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
wachsen gemeinhin auch Einsatz- <strong>und</strong> Beschäftigungsmöglichkeiten.<br />
Angesichts der<br />
demographischen Herausforderungen forderte<br />
die EU-Kommission die Mitgliedstaaten<br />
schon in den Jahren 1999 <strong>und</strong><br />
2000 auf, Maßnahmen zur beständigen<br />
Qualifizierung im Sinne einer Politik des „aktiven<br />
Alterns“ zu ergreifen. Ebenso orientieren<br />
der Rat der Europäischen Union sowie<br />
die UNECE-Ministerkonferenz darauf, mehr<br />
<strong>für</strong> die berufliche Weiterbildung zu tun, um<br />
die Erwerbsbeteiligung Älterer zu erhöhen4 .<br />
Was die formale Ausgangsqualifikation<br />
der unterschiedlichen Altersgruppen in<br />
unserer Bevölkerung anbelangt, so hat hier<br />
in den vergangenen Jahrzehnten ein deutlicher<br />
Angleichungsprozess stattgef<strong>und</strong>en.<br />
Nach einer IAB-Untersuchung (Reinberg;<br />
Hummel 2001) hat sich dabei gerade die<br />
Qualifikation der mittleren Altersgruppe der<br />
35- bis 49-Jährigen im Zeitraum zwischen<br />
1976 bis 1998 deutlicher als in jeder anderen<br />
Alterskohorte erhöht, so dass diese im<br />
Jahr 1998 - unter dem Aspekt des Ausbildungsabschlusses<br />
- die „am besten qualifizierte<br />
Altersgruppe“ bildet. Und selbst Personen<br />
im Alter zwischen 50 <strong>und</strong> 64 Jahren<br />
sind nach den statistischen Berechnungen<br />
„heute im Gegensatz zu früher kaum noch<br />
schlechter qualifiziert als die 25- bis 34-<br />
Jährigen“(ebd., S. 5).<br />
Die formale Ausgangsqualifikation<br />
bildet jedoch nur eine Facette im Qualifikationsprofil<br />
Erwerbstätiger. Wichtiger ist<br />
die Frage, ob Kenntnisse <strong>und</strong> Kompetenzen<br />
mit den Beschäftigungsjahren auf einem<br />
aktuellen Stand gehalten <strong>und</strong> erweitert<br />
werden. Da sich die Qualifikationsan-<br />
4 Vgl. die vom Rat der Europäischen Union im Februar<br />
2002 verabschiedeten Leitlinien <strong>für</strong> beschäftigungspolitische<br />
Maßnahmen sowie den von der<br />
UNECE-Ministerkonferenz im September 2002 verabschiedeten<br />
Weltaltenplan.<br />
50<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
forderungen in unserer Arbeitswelt ständig<br />
erhöhen <strong>und</strong> immer schneller verändern,<br />
reicht das in der Erstausbildung erworbene<br />
Know-how nur <strong>für</strong> eine immer geringer<br />
werdende berufliche Zeitspanne, <strong>und</strong> es<br />
bedarf beständiger Weiterbildung, um im<br />
Berufsleben qualifiziert zu bleiben. So allgemein<br />
formuliert, besteht zu diesem<br />
Sachverhalt ein breiter gesellschaftlicher<br />
Konsens, der in der Formel vom lebenslangen<br />
Lernen seinen programmatischen<br />
Ausdruck findet.<br />
Wie ist es mit der Fähigkeit bestellt,<br />
(lebenslang) zu lernen <strong>und</strong> sich immer<br />
wieder auf Neues ein- <strong>und</strong> umzustellen?<br />
Nimmt diese naturgemäß mit dem Alter<br />
ab? „Wenn ich einen Betrieb habe“, so ein<br />
Firmenchef, „<strong>und</strong> ich habe die Möglichkeit,<br />
einen 30-Jährigen einzustellen, da<br />
werde ich keinen 50-Jährigen einstellen.<br />
Das ist normal. Da muss man nicht drüber<br />
reden“. Und er begründet seine Haltung<br />
mit „der größeren Bereitschaft Jüngerer,<br />
sich weiterzubilden.“ In Kontrast zu dieser<br />
Alltagserfahrung belegen wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse jedoch, dass die Qualifizierungsfähigkeit<br />
Älterer nicht von dem Alternsprozess<br />
als solchem, sondern natürlich5<br />
in hohem Maße von der Berufsbiographie<br />
<strong>und</strong> den im Erwerbsverlauf gestellten<br />
Anforderungen <strong>und</strong> ausgeübten Tätigkeiten<br />
abhängt. Konzentriert sich die Arbeit<br />
von Beschäftigten beispielsweise jahrzehn-<br />
5 Aus gerontologischer Sicht hat die Plastizität der<br />
Nervenzellen, die <strong>für</strong> Lernvorgänge wesentlich ist,<br />
„über den gesamten Lebenslauf hinweg Bestand“<br />
<strong>und</strong> „die Nervenzellen zeichnen sich gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
<strong>und</strong> in allen Lebensaltern durch eine hohe Veränderungskapazität<br />
(oder Lernfähigkeit) aus“ (Kruse<br />
2000: 74). Die Umstellungsfähigkeit <strong>und</strong> die Geschwindigkeit<br />
der Informationsverarbeitung gehen<br />
allerdings im mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter<br />
bei mangelnden Anregungen in der<br />
Umwelt <strong>und</strong> eingeschränkten Aktivitäten zurück<br />
(ebd., S. 73).
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
telang auf bestimmte Verfahren oder Arbeitsvorgänge,<br />
so kann dies „dazu führen,<br />
dass die ursprünglich vorhandene Qualifikationsbreite<br />
<strong>und</strong> Lernfähigkeit zum Teil erheblich<br />
beeinträchtigt wird“ (Frerichs;<br />
Naegele 1998: 240). Haben sich Arbeitnehmer<br />
über viele Jahre hinweg an ganz<br />
bestimmte Tätigkeiten gewöhnt, so lässt<br />
auch ihr Zutrauen nach, sich in neue Aufgabengebiete<br />
einzuarbeiten <strong>und</strong> sie entwickeln<br />
Widerstände gegenüber neuen<br />
Anforderungen. Für Koller <strong>und</strong> Plath (2000:<br />
112) sind langzeitig ausgeführte Tätigkeiten,<br />
in denen es nichts zu lernen gibt, die<br />
„größte Leistungs- <strong>und</strong> Lernbarriere <strong>für</strong> Ältere“,<br />
da dadurch über das Verlernen bereits<br />
erworbener Fähigkeiten hinausgehend sogar<br />
das Lernen verlernt werde (Disuse-<br />
Effekt bzw. Verschleiß durch Routine).<br />
Anders verhält es sich, wenn die<br />
Lernfähigkeit <strong>und</strong> das Umstellungsvermögen<br />
auf Gr<strong>und</strong> kognitiver Herausforderungen<br />
<strong>und</strong> beruflicher Wechsel im Arbeitsleben<br />
trainiert werden. So sind z.B. gerade in<br />
hoch qualifizierten Berufsfeldern mit hohen<br />
Entscheidungsspielräumen <strong>und</strong> vielfältigen<br />
Arbeitsaufgaben vergleichsweise viele Ältere<br />
erwerbstätig - man denke etwa an<br />
Manager oder Professoren -, ohne dass<br />
diesen gemeinhin eine geringe Lernfähigkeit<br />
oder -bereitschaft zugeschrieben wird.<br />
Nach Aussage eines Projektmanagers aus<br />
einem Maschinenbaubetrieb haben ältere<br />
Meister neue Arbeitsanforderungen in diesem<br />
Betrieb im Zuge der Einführung von<br />
Gruppenarbeit <strong>und</strong> organisatorischer Umstrukturierungen<br />
teilweise weitaus besser<br />
bewältigt als jüngere: „Wir haben alte<br />
Meister, die kurz vor der Pensionierung stehen,<br />
... die haben einen unvorstellbaren<br />
Wandlungsprozess mitgemacht <strong>und</strong> sind<br />
heute Meister in der Gruppenarbeit. Wir<br />
haben ganz junge Meister, die sich gerade<br />
ihr Königreich aufgebaut hatten, die wollen<br />
sich jetzt nicht reinreden lassen!“ Und er<br />
erklärt die Entwicklungsfähigkeit der Älteren<br />
damit, „dass viele von ihnen früher auf<br />
See [waren]. Sie haben Berufswechsel <strong>und</strong><br />
Brüche in ihrer Karriere gehabt - vielleicht<br />
ist es ihnen aus diesem Gr<strong>und</strong> leichter gefallen<br />
als den jüngeren Kollegen“.<br />
Haben Arbeitnehmer im Verlauf ihres<br />
Erwerbslebens die Fähigkeit ausgebildet,<br />
sich immer wieder neue Kenntnisse anzueignen,<br />
so könnten sich ihnen - gerade auf<br />
Gr<strong>und</strong> der zunehmenden Kurzlebigkeit von<br />
Wissen - gr<strong>und</strong>sätzlich auch verbesserte<br />
Chancen bieten, sich in neue Aufgabenbereiche<br />
einzuarbeiten: Das in der Berufsausbildung<br />
erworbene Fachwissen verliert<br />
gegenüber dem learning on the job<br />
an Bedeutung <strong>und</strong> der mögliche Qualifikationsvorsprung<br />
junger Arbeitskräfte wegen<br />
eines in der Erstausbildung erworbenen aktuelleren<br />
Fachwissens schwindet immer<br />
früher. In Fällen qualifizierter Berufsausübung<br />
beklagen Unternehmensvertreter<br />
keineswegs eine mangelnde Leistungsfähigkeit<br />
<strong>und</strong> Qualifikation älterer Arbeitnehmer.<br />
Vielmehr <strong>für</strong>chten sie umgekehrt<br />
eher den Know-how-Verlust, wenn diese<br />
Älteren das Unternehmen verlassen <strong>und</strong><br />
sind bestrebt, sie möglichst lange im Betrieb<br />
zu halten. 6<br />
Je qualifizierter Erwerbstätige eingesetzt<br />
sind, desto eher nehmen sie auch an<br />
Weiterbildungsmaßnahmen teil (vgl. Kistler;<br />
Schönwälder 2001). Die Tatsache, dass es<br />
6 Im Zuge des demographischen Wandels erhöht<br />
sich sukzessive auch die Anzahl der aus dem Erwerbsleben<br />
austretenden älteren Arbeitnehmer.<br />
Von daher gewinnen - gerade in qualifizierten Beschäftigungsbereichen<br />
- effektive Formen des<br />
Know-how-Transfers zwischen Alt <strong>und</strong> Jung an<br />
Stellenwert.<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
51
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
sich bei dem überwiegenden Anteil betrieblicher<br />
Weiterbildungsmaßnahmen um<br />
Anpassungsqualifizierung handelt (vgl.<br />
Weiß 2000), verdeutlicht, dass die Teilnahme<br />
an solchen Maßnahmen entscheidend<br />
mit der Anforderungsdynamik im Arbeitsprozess<br />
zusammenhängt. Umgekehrt laufen<br />
institutionalisierte Weiterbildungsmaßnahmen<br />
- unter beruflichen Gesichtspunkten<br />
- dann ins Leere, wenn das Gelernte im<br />
Anschluss nicht in die Arbeit eingebracht<br />
werden kann <strong>und</strong> die Qualifizierung den<br />
Lernenden keine beruflichen Entwicklungsperspektiven<br />
eröffnet. Von daher bedarf<br />
es einer Integration von Arbeit <strong>und</strong><br />
Lernen bzw. einer Personalentwicklungsplanung,<br />
die Weiterbildung <strong>und</strong> Personaleinsatz<br />
strategisch miteinander verzahnt.<br />
Die Anforderung an Beschäftigte jeden Alters,<br />
lebenslang zu lernen, muss um die<br />
Gestaltung lern- <strong>und</strong> entwicklungsförderlicher<br />
Arbeits- <strong>und</strong> Beschäftigungsstrukturen<br />
ergänzt werden (Morschhäuser 1999a).<br />
52<br />
3. Ansatzpunkte einer zukunftsorientierten<br />
Arbeits- <strong>und</strong><br />
Personalpolitik<br />
„Es gibt also im Leben des gelernten Arbeiters<br />
einen kritischen Wendepunkt, eine Art<br />
Majorsecke, wenn ich so sagen darf. Ist es ihm<br />
im 40. Jahre noch nicht gelungen, emporzusteigen,<br />
so ist ein allmähliches Herabsinken<br />
schwer zu vermeiden.“<br />
Heinrich Herkner, 1911<br />
(aus: Schriften des Vereins <strong>für</strong> Sozialpolitik)<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Lernförderliche Arbeitsgestaltung<br />
Wie können Arbeit <strong>und</strong> Lernen miteinander<br />
verknüpft <strong>und</strong> die Lernfähigkeit<br />
sowie die berufliche Weiterentwicklung der<br />
Beschäftigten gefördert werden? Ein Ansatz<br />
besteht in den schon lange bekannten<br />
Konzepten der Arbeitsgestaltung, die<br />
darauf abzielen, Arbeitsinhalt <strong>und</strong> Entscheidungsspielräume<br />
der Beschäftigten<br />
- unterstützt durch begleitende Weiterbildungsmaßnahmen<br />
- auszuweiten <strong>und</strong> damit<br />
ihr Qualifikationsspektrum <strong>und</strong> ihre<br />
Einsatzbreite zu vergrößern (job enlargement,<br />
job enrichment).<br />
Entgegen eines immer wieder festgestellten<br />
Trends steigender Qualifikations<strong>und</strong><br />
Flexibilitätsanforderungen kann nach<br />
Bosch (2000: 5) auf Gr<strong>und</strong> einer Sek<strong>und</strong>ärauswertung<br />
deutscher <strong>und</strong> europäischer<br />
Erhebungen belegt werden, dass in<br />
Deutschland „der Anteil wenig lernförderlicher<br />
Arbeitsplätze zunimmt, <strong>und</strong> ... an den<br />
Arbeitsplätzen, die Lernen ermöglichen, im<br />
Unterschied zu den skandinavischen Ländern<br />
<strong>und</strong> den Niederlanden, zu wenig in<br />
die begleitende Weiterbildung investiert<br />
wird.“ Von daher kann keineswegs vorausgesetzt<br />
werden, dass sich die Arbeitsaufgaben<br />
in Produktions- <strong>und</strong> Dienstleistungsbereichen<br />
quasi im Selbstlauf in eine lernförderliche<br />
Richtung entwickeln. Angesichts<br />
dieser Ausgangslage plädiert Bosch<br />
da<strong>für</strong>, dass die Lernförderlichkeit von Arbeit<br />
über eine innovative Arbeitsgestaltung<br />
verbessert werden solle <strong>und</strong> stellt fest, dass<br />
„die Arbeitsgestaltung, die in den 70er <strong>und</strong><br />
80er Jahren sehr stark unter dem Aspekt<br />
des Belastungsabbaus (Humanisierung der<br />
Arbeit) diskutiert wurde, wieder an Bedeutung<br />
[gewinne]“ (ebd. S. 25).<br />
Essentieller Bestandteil einer lernförderlichen<br />
Arbeitsgestaltung sind Arbeits-
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
zeitregelungen, die Freiräume zum arbeitsbegleitenden<br />
Lernen schaffen. So wurde<br />
bspw. schon vielfach festgestellt, dass prinzipiell<br />
vorhandene Möglichkeiten des Arbeitsplatzwechsels<br />
bei Gruppenarbeit aufgr<strong>und</strong><br />
mangelnder Weiterbildungszeiten<br />
nicht ausgeschöpft werden <strong>und</strong> sich dadurch<br />
qualifikationseinengende Spezialisierungen<br />
in Teams herausbilden. Für den Bereich<br />
angelernter Tätigkeiten kommt in diesem<br />
Zusammenhang dem jüngst bei der<br />
Volkswagen AG abgeschlossenen Tarifvertrag<br />
zur Qualifizierung <strong>für</strong> das Projekt „5000<br />
x 5000“ eine Pilotfunktion zu: Vereinbart<br />
wurde hier u.a. eine fortdauernde prozessorientierte<br />
Qualifizierung von drei St<strong>und</strong>en<br />
pro Woche im Rahmen eines arbeitsplatznahen<br />
Lernstattkonzepts. Zugleich haben<br />
die Beschäftigten einen Anspruch auf einen<br />
individuellen Entwicklungs- <strong>und</strong> Qualifizierungsplan.<br />
Aber auch bei höher qualifizierten<br />
Tätigkeiten können definierte bzw. reservierte<br />
Weiterbildungszeiten dabei helfen,<br />
dem Sog des Tagesgeschäftes etwas entgegenzusetzen<br />
<strong>und</strong> sich gezielt zukunftsrelevante<br />
neue Kenntnisse <strong>und</strong> Verfahren<br />
anzueignen. Anstelle kollektiv geregelter<br />
Qualifizierungszeiten ist hier allerdings eher<br />
ein vorausschauendes individuelles Zeitmanagement<br />
erforderlich. Für umfangreichere<br />
Aneignungsprozesse sind schließlich<br />
weiterreichende Arbeitszeitregelungen<br />
<strong>und</strong> neue Lebensarbeitszeitkonzepte wichtig<br />
(z.B. Langzeit- bzw. Lernzeitkonten,<br />
„Qualifizierungssabbaticals“, phasenweise<br />
Teilzeitarbeit zur beruflichen Weiterbildung).<br />
Entwicklungsplanung im<br />
Erwerbsverlauf<br />
Nicht alle Tätigkeiten können lernrelevant<br />
gestaltet werden. Und auch qualifizierte<br />
Arbeit kann mit erheblichen Vereinseitigungen<br />
<strong>und</strong> einer Verengung von Fähigkeiten<br />
sowie Burn-out-Gefahren verb<strong>und</strong>en<br />
sein, wenn es sich um sehr spezifische<br />
<strong>und</strong> anstrengende Arbeitsaufgaben handelt,<br />
die über viele Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte<br />
hinweg ausgeübt werden. Berufliche Weiterentwicklung<br />
ist häufig daran geb<strong>und</strong>en,<br />
dass unterschiedliche Betätigungsfelder<br />
<strong>und</strong> Positionen im Verlauf des Erwerbslebens<br />
eingenommen werden.<br />
Gerade <strong>für</strong> die geburtenstarken<br />
Jahrgänge, die zukünftig länger erwerbstätig<br />
sein werden bzw. müssen als die heute<br />
ältere Generation, sehen die beruflichen<br />
Entwicklungsperspektiven keineswegs rosig<br />
aus: So bieten sich beispielsweise alleine<br />
schon auf Gr<strong>und</strong> der Personenstärke dieser<br />
Generation weniger klassische Aufstiegsmöglichkeiten;<br />
zudem haben sich Karrierewege<br />
im Zuge neuer Organisationskonzepte<br />
wie lean production oder lean management<br />
in der Vergangenheit deutlich<br />
verringert.<br />
Eine von Jasper, Rohwedder <strong>und</strong><br />
Duell (2001) durchgeführte Fragebogenerhebung<br />
zu Bedingungen innovativen Handelns<br />
in vier kleinen <strong>und</strong> mittelständischen<br />
ostdeutschen Unternehmen aus unterschiedlichen<br />
Branchen kommt zu folgenden<br />
Ergebnissen: Im Vergleich zu den Jüngeren<br />
(bis 35 Jahre) <strong>und</strong> Älteren (ab 46<br />
Jahre) sind die Beschäftigten mittleren Alters<br />
(36 bis 45 Jahre) besonders unzufrieden<br />
in ihrer Arbeit, was von den Befragten<br />
auf zwei Faktoren zurückgeführt wird: „Erstens<br />
sind die Mittelalten höher qualifiziert<br />
<strong>und</strong> zu wenig entsprechend ihrer Qualifika-<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
53
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
tion am Arbeitsplatz gefordert. ... Zweitens<br />
sehen die Mittelalten zu wenig Aufstiegsoder<br />
Entwicklungsmöglichkeiten <strong>für</strong> sich ...<br />
Zugleich sind die Mittelalten jene, von denen<br />
Anleitung <strong>und</strong> Unterstützung gegenüber<br />
den Jüngeren erwartet werden. Ihre<br />
eigene Entwicklung jedoch stagniert. So<br />
gelangen die Mittelalten fast unbemerkt in<br />
die Rolle einer unzufriedenen betrieblichen<br />
‚Sandwichgeneration‘“ (ebd., S. 56 - 57).<br />
Während die „Baby-Boomer“ in ihrer Ausbildungsphase<br />
in den 70er <strong>und</strong> 80er Jahren<br />
von der Bildungsexpansion profitiert haben<br />
<strong>und</strong> die vergleichsweise höchste Ausgangsqualifikation<br />
vorweisen können, geraten<br />
viele von ihnen nun in eine Phase beruflicher<br />
Stagnation.<br />
Da klassische Karrierewege immer<br />
mehr Personen dieser Altersgruppe nicht<br />
mehr offen stehen, wird die systematische<br />
<strong>und</strong> gezielte Planung neuer „alternsgerechter“<br />
Laufbahnen im Sinne lernrelevanter<br />
Positionswechsel <strong>und</strong> „horizontaler“<br />
Fachkarrieren zu einer wichtigen Gestaltungsaufgabe.<br />
Während entsprechende<br />
Konzepte schon sehr lange in der Wissenschaft<br />
diskutiert werden (vgl. Dohse; Jürgens;<br />
Russig 1982, Behrens 1994), stößt die<br />
Umsetzung der Modellvorstellungen in der<br />
betrieblichen Praxis jedoch an vielfältige<br />
Barrieren (vgl. Morschhäuser 1999b): Maßnahmen<br />
müssen sich nachweisbar <strong>und</strong> in<br />
kurzen Zeiträumen „rechnen“. Das Tagesgeschäft<br />
dominiert <strong>und</strong> reagiert wird zumeist<br />
erst dann, wenn „die Probleme auf<br />
dem Tisch liegen“. Präventive zukunftsorientierte<br />
Qualifizierungsmaßnahmen finden<br />
daher selten statt. Und Personalentwicklung<br />
ist, sofern sie überhaupt in Firmen als<br />
explizite Aufgabe wahrgenommen wird,<br />
ganz überwiegend an junge High Potentials<br />
adressiert. Gerade die Beschäftigten-<br />
54<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
gruppen, bei denen am häufigsten Einsatzprobleme<br />
mit dem Älterwerden auftreten,<br />
sind dagegen in der Regel ebenso<br />
wenig einbezogen wie ältere Arbeitnehmer<br />
oder gar Arbeitnehmerinnen.<br />
Andererseits hat das Thema „demographischer<br />
Wandel“, nachdem es lange<br />
nahezu ausschließlich in Wissenschaft <strong>und</strong><br />
Politik behandelt wurde, auf betrieblicher<br />
Ebene gerade erst die Wahrnehmungsschwelle<br />
erreicht. Manche Unternehmensvertreter<br />
registrieren, dass die Ressource<br />
„Arbeitskraft“, präziser: „junge hoch qualifizierte<br />
Arbeitskraft“ knapp, die Belegschaften<br />
älter <strong>und</strong> der Erhalt von Employability<br />
der nicht mehr so jungen Beschäftigten<br />
wichtiger werden. Das B<strong>und</strong>esministerium<br />
<strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Forschung hat in diesem<br />
Zusammenhang im Jahr 2002 eine „Demographie-Initiative“<br />
gestartet, in deren<br />
Rahmen mehr als 120 Betriebe der Metall<strong>und</strong><br />
Elektrobranche sowie Handwerksfirmen<br />
Konzepte einer alternsgerechten Arbeits-<br />
<strong>und</strong> Personalpolitik entwickeln <strong>und</strong><br />
umsetzen. Von daher gibt es eine Reihe<br />
von Unternehmen, die - teilweise angestoßen<br />
durch weitere öffentlich geförderte<br />
Projekte - Ansätze einer Personalentwicklungsplanung<br />
<strong>für</strong> langjährig beschäftigte<br />
Mitarbeiter erprobt oder entsprechende<br />
Vorhaben konkret geplant haben:<br />
Kompass-Training: Eine Mitarbeiterbefragung<br />
bei der SIEMENS AG im Zentralbereich<br />
Technik führte - ähnlich wie die<br />
von Jasper u.a. durchgeführten Erhebungen<br />
- zu dem Ergebnis, dass gerade die<br />
Beschäftigten zwischen 40 <strong>und</strong> 50 Jahren,<br />
die den größten Teil der Belegschaft ausmachen,<br />
besonders unzufrieden mit ihrer<br />
beruflichen Situation sind. Das Unternehmen<br />
habe sich, so der Kommentar des
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
Personalleiters Horst Harenberg, wie die<br />
meisten anderen Firmen, in den vergangenen<br />
Jahren vor allem auf die Nachwuchsentwicklung<br />
konzentriert. Nun habe<br />
man gemerkt, dass Personalentwicklung<br />
verstärkt auch auf Beschäftigte mittleren<br />
<strong>und</strong> höheren Alters bezogen werden müsse,<br />
um deren Beschäftigungsfähigkeit zu<br />
erhalten. Deshalb wurde ein spezielles Angebot<br />
<strong>für</strong> über 40-jährige Mitarbeiter unter<br />
dem Titel „Kompass-Training“ entwickelt.<br />
Dabei handelt es sich um Workshops, die<br />
zunächst mittels Erfahrungsaustausch <strong>und</strong><br />
Reflexion bei den Orientierungen der Beschäftigten<br />
selbst ansetzen <strong>und</strong> diesen helfen<br />
sollen, sich beruflich zu verorten <strong>und</strong><br />
sich ggf. neue Ziele in der Arbeit zu setzen.<br />
Der Erfolg dieser Maßnahme ist zugleich<br />
daran geb<strong>und</strong>en, dass die Führungskräfte<br />
auf entwickelte Veränderungsabsichten<br />
der Teilnehmer offen <strong>und</strong> unterstützend reagieren<br />
<strong>und</strong> es betrieblicherseits prinzipiell<br />
möglich ist, die Position zu wechseln oder<br />
neue Arbeitsaufgaben wahrzunehmen.<br />
Rotationskonzept: Angesichts einer<br />
absehbaren drastischen Alterung der Belegschaft<br />
<strong>und</strong> mit dem Ziel, die Produktivität<br />
auch mit einem deutlich höheren Anteil<br />
älterer Arbeitnehmer in der Zukunft zu sichern,<br />
entwickelte die VEAG Vereinigte<br />
Energiewerke AG Ende der 90er Jahre ein<br />
neues Konzept der Personalenwicklung.<br />
Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass<br />
die Mehrzahl sowohl der Angestellten wie<br />
auch der Facharbeiter im Alter von 30 bis<br />
35 Jahren „das eigentliche Laufbahnende“<br />
erreichen <strong>und</strong> Positionswechsel danach<br />
kaum mehr stattfinden. „Vereinfacht<br />
dargestellt heißt dies“, so der damalige<br />
Personalleiter, „dass <strong>für</strong> eine Dauer von 30<br />
bis 35 Jahren die gleiche Tätigkeit ausge-<br />
übt wird“. Um Routineeffekte einzugrenzen,<br />
die Lernfähigkeit <strong>und</strong> Flexibilität zu fördern<br />
<strong>und</strong> „Reserven zu mobilisieren“, wurde ein<br />
Rotationskonzept ausgearbeitet, das ab<br />
einem Lebensalter von 35 Jahren jeweils<br />
alle fünf Jahre einen Wechsel in eine andere<br />
Position vorsieht, wobei die Beschäftigten<br />
da<strong>für</strong> teilweise vorhandene Kenntnisse<br />
einbringen <strong>und</strong> teilweise neu qualifiziert<br />
werden müssen. Für ausgewählte Arbeitsbereiche<br />
<strong>und</strong> insbesondere <strong>für</strong> Führungskräfte<br />
wurde dieses Modell auch umgesetzt.<br />
Im Zuge umfangreicher betrieblicher<br />
Umstrukturierungsmaßnahmen <strong>und</strong><br />
erhöhten Kostendrucks, verb<strong>und</strong>en mit einem<br />
starken Personalabbau (Fusion zu Vattentall<br />
Europe), wurden die Maßnahmen<br />
dann jedoch nicht weiter forciert. Bei den<br />
Beschäftigten lösten die Wechselangebote<br />
zudem im Rationalisierungskontext Verunsicherungen<br />
<strong>und</strong> Ängste um ihre Arbeitsplatzsicherheit<br />
aus.<br />
Neue Entwicklungswege: In Anbetracht<br />
eines wahrgenommenen Fachkräftemangels<br />
auf dem regionalen Arbeitsmarkt<br />
<strong>und</strong> einem gleichzeitig rückläufigen<br />
Bedarf an un- <strong>und</strong> angelernten Arbeitskräften<br />
plant die SICK AG zur Zeit ein Pilotprojekt,<br />
das auf die Erschließung <strong>und</strong> Weiterentwicklung<br />
interner Mitarbeiterressourcen<br />
<strong>und</strong> Kompetenzentwicklung setzt: Langjährig<br />
Beschäftigten aus dem Montagebereich<br />
- Frauen wie Männern - soll die Möglichkeit<br />
einer berufsbegleitenden Weiterbildung<br />
zu Industriemechanikern <strong>und</strong> Bürokaufleuten<br />
angeboten <strong>und</strong> ihnen damit<br />
qualifizierte Einsatzperspektiven im Unternehmen<br />
eröffnet werden. Dieses Konzept<br />
richtet sich explizit an Un- <strong>und</strong> Angelernte;<br />
es ist geschlechts- <strong>und</strong> generationenübergreifend<br />
angelegt <strong>und</strong> beinhaltet von<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
55
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
vornherein eine Verzahnung umfangreicher<br />
Qualifizierungsmaßnahmen mit neuen<br />
Personaleinsatzstrategien <strong>und</strong> Arbeitszeitregelungen.<br />
Während die Firma bereit ist,<br />
unterstützende zeitliche <strong>und</strong> organisatorische<br />
Rahmenbedingungen zu schaffen, ist<br />
jedoch noch unklar, ob sich die örtliche<br />
Arbeitsverwaltung finanziell an den geplanten<br />
Maßnahmen beteiligen wird.<br />
Die betrieblichen Beispiele veranschaulichen<br />
innovative Strategien der Entwicklungsplanung<br />
<strong>für</strong> Erwerbstätige mittleren<br />
Alters, mittels derer die Lern- <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit<br />
langfristig erhalten <strong>und</strong> gefördert<br />
werden kann. Damit solche Konzepte<br />
tatsächlich in berufliche Weiterentwicklung<br />
münden <strong>und</strong> um sie zu verbreiten<br />
<strong>und</strong> nachhaltig abzusichern, bedarf es jedoch<br />
weitergehender Überlegungen <strong>und</strong><br />
flankierender Maßnahmen. Besondere Anstrengungen<br />
sind nötig, um An- <strong>und</strong> Ungelernten<br />
in gering qualifizierten Tätigkeitsfeldern<br />
Entwicklungswege zu eröffnen. Und<br />
nicht allen Beschäftigten können lernförderliche<br />
Positionswechsel im Sinne einer alternsgerechten<br />
Laufbahngestaltung angeboten<br />
werden. Aber es können betriebliche<br />
„Möglichkeitsräume“ <strong>für</strong> Neuorientierungen<br />
in Arbeit <strong>und</strong> Beruf überprüft <strong>und</strong><br />
erweitert werden, die von den Beschäftigten<br />
wiederum wahrgenommen <strong>und</strong> eingefordert<br />
werden müssen. Zugleich gilt es, individuelle,<br />
betriebliche <strong>und</strong> überbetriebliche<br />
Aktivitäten aufeinander abzustimmen<br />
<strong>und</strong> miteinander zu verzahnen.<br />
Weiter stellt sich die Frage, welche<br />
staatlichen Unterstützungsangebote geeignet<br />
<strong>und</strong> notwendig sind, damit Beschäftigte<br />
sich selbst bzw. Betriebe ihr Personal<br />
zukunftsorientiert beruflich weiterentwickeln<br />
können. In diesem Kontext sind neue<br />
arbeitsmarktpolitische Konzepte gefragt,<br />
56<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
mittels derer eine zukunftsorientierte Weiterbildung<br />
<strong>und</strong> der Erwerb von Kompetenzen<br />
<strong>für</strong> neue Aufgabenfelder auch der<br />
nicht arbeitslosen Erwerbspersonen gefördert<br />
werden können. Conditio sine qua<br />
non einer erfolgreichen lebensbegleitenden<br />
Qualifizierungspolitik ist schließlich<br />
- gerade auch angesichts zunehmend diskontinuierlicher<br />
Erwerbsverläufe - eine betriebliche<br />
Einstellungspolitik, bei der vor allem<br />
die individuelle Kompetenz zählt <strong>und</strong><br />
„Alter“ nicht von vornherein ein Negativkriterium<br />
darstellt.<br />
▪<br />
Dr. Martina Morschhäuser,<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin,<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
e-mail: morschhaeuser@iso-institut.de
Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
LITERATUR<br />
Behrens, J.: Der Prozeß der Invalidisierung - das<br />
demographische Ende eines historischen Bündnisses,<br />
in: Behrend, C. (Hg.): Frühinvalidität - ein<br />
Ventil des Arbeitsmarktes? Berufs- <strong>und</strong> Erwerbsunfähigkeitsrenten<br />
in der sozialpolitischen Diskussion,<br />
Berlin 1994: 105 - 135<br />
Bosch, G.: Betriebliche Reorganisation <strong>und</strong><br />
neue Lernkulturen. Graue Reihe des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong><br />
Arbeit <strong>und</strong> Technik 2000-09, Gelsenkirchen 2000<br />
Dohse, K.; Jürgens, U.; Russig, H.: Die gegenwärtige<br />
Situation älterer Arbeitnehmer im Beschäftigungssystem<br />
- Einführung in die Probleme, in:<br />
Dohse, K.; Jürgens, U.; Russig, H. (Hg.): Ältere<br />
Arbeitnehmer zwischen Unternehmensinteressen<br />
<strong>und</strong> Sozialpolitik, Frankfurt/M. 1982:. 9 - 60<br />
Frerichs, F.; Naegele, G.: Schlußfolgerungen<br />
<strong>und</strong> Empfehlungen <strong>für</strong> die verbesserte Integration<br />
älterer Arbeitnehmer im Betrieb, in: Frerichs,<br />
F. (Hg.): Älterer Arbeitnehmer im Demographischen<br />
Wandel - Qualifizierungsmodelle <strong>und</strong><br />
Eingliederungsstrategien, Münster 1996: 221 -<br />
235<br />
Frerichs, F.; Naegele, G.: Strukturwandel des Alters<br />
<strong>und</strong> Arbeitsmarktentwicklung – Perspektiven<br />
der Alterserwerbsarbeit im demographischen<br />
<strong>und</strong> wirtschaftsstrukturellen Wandel, in:<br />
Clemens, W.; Backes, G. (Hg.): Altern <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />
Opladen 1998: 237 - 256.<br />
Fuchs, J.; Thon, M.: Potentialprojektion bis 2040.<br />
Nach 2010 sinkt das Angebot an Arbeitskräften.<br />
IAB Kurzbericht, Nr. 4, 1999<br />
Hilpert, M.; Kistler, E.; Wahse, J.: Demographischer<br />
Wandel, Arbeitsmarkt <strong>und</strong> Weiterbildung,<br />
in: Zeitschrift „Arbeit <strong>und</strong> Beruf“, 9/ 2000<br />
Jasper, G.; Rohwedder, A.; Duell, W.: Alternde<br />
Belegschaft <strong>und</strong> Innovativität: Herausforderungen<br />
an das Innovations- <strong>und</strong> Personalmanagement,<br />
in: Astor, M.; Jasper, G. (Hg.): Demographischer<br />
Wandel als Wachstumsbremse oder<br />
Chance? – Innovations- <strong>und</strong> Personalstrategien<br />
in den neuen B<strong>und</strong>esländern. Broschürenreihe<br />
Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit, Stuttgart<br />
2001: 35 - 63<br />
Kistler, E.; Schönwälder, T.: Die alternde Gesellschaft<br />
in Deutschland <strong>und</strong> in der Europäischen<br />
Union erzwingt ein lebenslanges Lernen, in: LebensLangesLernen.<br />
Expertisen zu Lebenslangem<br />
Lernen – Lebensarbeitszeiten - Lebensweiterbildungskonten.<br />
Schriftenreihe der Senatsverwaltung<br />
<strong>für</strong> Arbeit, Soziales <strong>und</strong> Frauen,<br />
Band 44, Berlin 2001: 29 - 68<br />
Koller, B.; Plath, H.-E.: Qualifikation <strong>und</strong> Qualifizierung<br />
älterer Arbeitnehmer, in: MittAB 1/2000:<br />
112 - 125<br />
Kruse, A.: Psychologische Beiträge zur Leistungsfähigkeit<br />
im mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter<br />
- eine ressourcenorientierte Perspektive,<br />
in: von Rothkirch, Ch. (Hg.): Altern <strong>und</strong> Arbeit:<br />
Herausforderung <strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />
Berlin 2000: 72 - 87<br />
Leber, U.: Ältere – ein Schatz muß gehoben<br />
werden. IAB Materialien, Nr. 2/ 2001: 6 - 7<br />
Lippert, I.; Astor, M.; Wessels, J.: Demographischer<br />
Wandel <strong>und</strong> Wissenstransfer im Innovationsprozess,<br />
in: Astor, M.; Jasper, G. (Hg.): Demographischer<br />
Wandel als Wachstumsbremse<br />
oder Chance? - Innovations- <strong>und</strong> Personalstrategien<br />
in den neuen B<strong>und</strong>esländern. Broschürenreihe:<br />
Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit,<br />
Stuttgart 2001: 10 - 34<br />
Morschhäuser, M.: Ges<strong>und</strong> bis zur Rente? Ansatzpunkte<br />
einer alternsgerechten Arbeits- <strong>und</strong><br />
Personalpolitik, in: Badura, B.; Schellschmidt, H.;<br />
Vetter, Ch. (Hg): Fehlzeiten-Report 2002, Demographischer<br />
Wandel. Herausforderung <strong>für</strong><br />
die betriebliche Personal- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspolitik,<br />
Berlin 2003: 59 - 71<br />
Morschhäuser, M.: Gr<strong>und</strong>züge altersgerechter<br />
Arbeitsgestaltung, in: Gussone, M.; Huber, A.,<br />
Morschhäuser, M.; Petrenz, J.: Ältere Arbeitnehmer.<br />
Altern <strong>und</strong> Erwerbsarbeit in rechtlicher,<br />
arbeits- <strong>und</strong> sozialwissenschaftlicher Sicht,<br />
Frankfurt/M. 1999a: 101 - 185<br />
Morschhäuser, M.: Alternsgerechte Arbeit: Gestaltungsaufgabe<br />
<strong>für</strong> die Zukunft oder Kampf<br />
gegen Windmühlen?, in: Behrens, J.; Morschhäuser,<br />
M.; Viebrok, H.; Zimmermann, E.: Länger<br />
erwerbstätig - aber wie?, Opladen 1999b: 19 -<br />
70<br />
Naegele, G.: Demografischer Wandel <strong>und</strong> Erwerbsarbeit<br />
im Alter, in: Fuchs, G.; Renz, Ch.<br />
(Hg.): Altern <strong>und</strong> Erwerbsarbeit. Workshopdokumentation.<br />
Arbeitsbericht der Akademie <strong>für</strong><br />
Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg,<br />
Nr. 201, Stuttgart 2001: 5 - 21<br />
Reinberg, A.; Hummel, M.: Bildungsexpansion in<br />
Westdeutschland. Stillstand ist Rückschritt. IAB<br />
Kurzbericht, Nr. 8, 2001<br />
Schemme, D. (Hg.): Qualifizierung, Personal-<br />
<strong>und</strong> Organisationsentwicklung mit älteren Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeitern, Bonn 2001<br />
Weiß, R.: Wettbewerbsfaktor Weiterbildung – Ergebnisse<br />
der Weiterbildungserhebung der Wirtschaft.<br />
Reihe „Beiträge zur Gesellschafts- <strong>und</strong><br />
Bildungspolitik“, Nr. 242, Köln<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
57
ISO-NEWS – Neuere Forschungsvorhaben / Kurzcharakterisierung<br />
58<br />
„Demographie-Initiative“<br />
In diesem „Praxis-Projekt“, das das<br />
ISO zusammen mit dem VDMA durchführt,<br />
werden in 50 Betrieben des Maschinenbaus<br />
Aktivitäten zur Bearbeitung des demographischen<br />
Wandels initiiert <strong>und</strong> begleitet.<br />
Das ISO ist dabei Impulsgeber,<br />
Wegbegleiter <strong>und</strong> Dokumentator der Erfahrungen<br />
<strong>und</strong> Resultate des Gesamtprozesses.<br />
Ziel des Vorhabens ist es, eine kontextuelle<br />
Deskription der betrieblichen Projekte<br />
zu leisten sowie daraus abgeleitet ein<br />
erfahrungsgesättigtes k<strong>und</strong>enzentriertes<br />
Handlungs- <strong>und</strong> Beratungskonzept zu entwickeln.<br />
Gefördert durch das B<strong>und</strong>esministerium<br />
<strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong><br />
Forschung auf der Gr<strong>und</strong>lage des<br />
Rahmenkonzepts „Innovative<br />
Arbeitsgestaltung – Zukunft der<br />
Arbeit“<br />
Laufzeit: Januar/2002 – Juni/2003<br />
Projektleitung <strong>und</strong> -bearbeitung:<br />
Dr. Martina Morschhäuser<br />
Josef Reindl<br />
▪<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
Diversity Management <strong>und</strong><br />
Öffnung betrieblicher<br />
Teilarbeitsmärkte<br />
Im Rahmen der von der EU im Programm<br />
„EQUAL“ geförderten saarländischen<br />
Entwicklungspartnerschaft „Perspektive<br />
2000/20+X“ bezieht sich dieses arbeitsmarktpolitische<br />
Teilprojekt auf die<br />
Analyse unternehmensspezifischer Rekrutierungs-<br />
<strong>und</strong> Auswahlverfahren, um Formen<br />
struktureller Benachteiligung offen zu<br />
legen, die den so genannten „Problemgruppen“<br />
des Arbeitsmarktes den Zugang<br />
zu den betrieblichen Teilarbeitsmärkten erschweren.<br />
Ziel ist es, das Personalmanagement<br />
in ausgewählten Betrieben im Sinne<br />
der EQUAL-Ziele zu sensibilisieren, um<br />
gemeinsam neue Wege <strong>für</strong> die Arbeitsmarktintegration<br />
von Arbeitslosen zu finden.<br />
Das Projekt beinhaltet die Ingangsetzung<br />
einer selbstreflexiven Personalpolitik,<br />
indem Elemente eines Diversity Managements<br />
übertragen werden sowie die Eruierung<br />
des externen Integrations- <strong>und</strong> Unterstützungsbedarfs<br />
der Unternehmen im Umgang<br />
mit Bewerbern aus benachteiligten<br />
Arbeitsmarktgruppen.<br />
Gefördert durch das B<strong>und</strong>esministerium<br />
<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong><br />
Arbeit aus Mitteln des Europäischen<br />
Sozialfonds im Rahmen<br />
der Gemeinschaftsinitiative EQUAL<br />
Laufzeit: Mai/2002 - Juli/2004<br />
Projektleiter: Hans Günter Grewer
ISO-News - Neuere Forschungsvorhaben<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
Netzwerk <strong>für</strong> alternsgerechte<br />
Arbeit (NETAB)<br />
Im Teilprojekt von ISO werden – gemeinsam<br />
mit einem Pilotunternehmen –<br />
Maßnahmen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit<br />
älterer Mitarbeiter entwickelt<br />
<strong>und</strong> wissenschaftlich begleitet. Unter<br />
anderem werden neue Personaleinsatzkonzepte<br />
<strong>für</strong> „Leistungsgewandelte“ erprobt<br />
<strong>und</strong> Möglichkeiten einer alternsgerechten<br />
Weiterentwicklung der im Werk<br />
praktizierten Gruppenarbeit ausgelotet.<br />
Das Netzwerk NETAB bildet das Forum, um<br />
gewonnene Erfahrungen <strong>und</strong> Erkenntnisse<br />
zur Förderung älterer Arbeitnehmer im europäischen<br />
Kontext auszutauschen.<br />
Gefördert durch das B<strong>und</strong>esministerium<br />
<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong><br />
Arbeit aus Mitteln des Europäischen<br />
Sozialfonds im Rahmen<br />
der Gemeinschaftsinitiative EQUAL<br />
Laufzeit: Mai/2002 – Juni/2005<br />
Projektleitung <strong>und</strong> -bearbeitung:<br />
Dr. Martina Morschhäuser<br />
Volker Hielscher<br />
▪<br />
Ältere Arbeitnehmer am<br />
Arbeitsmarkt<br />
Ziel dieses Projektes ist die Erstellung<br />
eines „Good Practice-Kompendiums“, in<br />
dem Informationen zum demographischen<br />
Wandel in der Erwerbsbevölkerung <strong>für</strong> die<br />
Zielgruppe „Betriebspraktiker“ aufbereitet<br />
<strong>und</strong> betriebliche Handlungsansätze zur<br />
Nutzung <strong>und</strong> Förderung der Potentiale älterer<br />
Mitarbeiter systematisch dargestellt<br />
werden.<br />
Gefördert von der Bertelsmann-Stiftung<br />
im Rahmen des EU-Projektes<br />
„Proage - Facing the challenge of<br />
demographic change“<br />
Laufzeit: Oktober/2002 - Mai/2003<br />
Projektleitung <strong>und</strong> -bearbeitung:<br />
Dr. Martina Morschhäuser<br />
Achim Huber <strong>und</strong> Peter Ochs<br />
▪<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
59
ISO-News - Neuere Forschungsvorhaben<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
60<br />
Teilhabe behinderter Menschen<br />
<strong>und</strong> betriebliche Praxis<br />
Konzeptionen <strong>und</strong> Arbeitsmaterialien<br />
zum neuen Recht behinderter<br />
Menschen <strong>für</strong> die Bildungsarbeit mit<br />
betrieblichen Interessenvertretungen<br />
Ausgehend von den Regelungen des<br />
neuen SGB IX erarbeitet das Projekt gr<strong>und</strong>legende<br />
Beiträge <strong>für</strong> die Bildungsarbeit,<br />
um Schwerbehindertenvertretungen, Betriebs-<br />
<strong>und</strong> Personalräte <strong>für</strong> Anforderungen<br />
in den Aufgabenbereichen Integration,<br />
Rehabilitation <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitssicherung<br />
zu qualifizieren. Arbeitsschwerpunkte des<br />
Projekts umfassen:<br />
▫ Konzeption <strong>und</strong> Ausarbeitung von Seminarmodulen<br />
<strong>und</strong> Arbeitsmaterialien, Erprobung<br />
in Seminarveranstaltungen, Aufbereitung<br />
<strong>für</strong> die laufende Bildungsarbeit;<br />
▫ begleitende empirische Recherchen in<br />
der betrieblichen <strong>und</strong> überbetrieblichen<br />
Praxis;<br />
▫ Information <strong>und</strong> Qualifizierung von Multiplikatoren<br />
<strong>und</strong> Referenten; Vernetzung<br />
mit betrieblichen <strong>und</strong> außerbetrieblichen<br />
Akteuren (durch Projekt-Website, Arbeitstagungen).<br />
Kooperationsprojekt des ISO-<strong>Institut</strong>s<br />
mit IG Metall, Vorstandsverwaltung <strong>und</strong><br />
Verdi, B<strong>und</strong>esverwaltung<br />
Zuwendungsgeber: BMGS, Beirat <strong>für</strong><br />
die Teilhabe behinderter Menschen<br />
(Ausgleichsfonds)<br />
Laufzeit: Februar/2003-Januar/2006<br />
Projektleiter: Achim Huber<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
⇒ Kurzberichte zu bereits länger<br />
laufenden oder bereits abgeschlossenenForschungsvorhaben<br />
können unter unserer<br />
Homepage:<br />
www.iso-institut.de<br />
eingesehen werden.<br />
▪
ISO-News – Veröffentlichungen 2003 - 2002<br />
Grewer, Hans Günter; Josef Reindl (2003):<br />
„Allein auf Systemgeschäft <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />
zu setzen ist dummes Zeug.“ - Der deutsche<br />
Maschinenbau zwischen Sachgut- <strong>und</strong> Dienstleistungsorientierung,<br />
in: NN (Hg.): Moderne<br />
Dienstleistungsarbeit. Mythos <strong>und</strong> Realität, Berlin:<br />
edition sigma (i.E.)<br />
Hielscher, Volker (2003): Flexible Work and<br />
Work-Life-Balance: Potential or Contradiction?,<br />
in: Bechmann, Gotthard; Bettina-Johanna<br />
Krings; Michael Rader (eds.): Across the divide.<br />
Work, Organization and Social Exclusion in the<br />
European Information Society, Frankfurt a.M.:<br />
161 - 171: edition sigma<br />
Kirchen-Peters, Sabine (2003): Liaisonmodell:<br />
Unterstützung durch Profis, in: krankenhausumschau<br />
72(2003)3: 182 - 184<br />
Kirchen Peters, Sabine (2003): Beraten <strong>und</strong><br />
qualifizieren. Ein saarländisches Projekt formuliert<br />
Arbeitshilfen zur besseren Versorgung demenzkranker<br />
Menschen, in: Häusliche Pflege<br />
12(2003)4: 32 - 35<br />
Morschhäuser, Martina (2003): Ges<strong>und</strong> bis<br />
zur Rente? Ansatzpunkte einer alternsgerechten<br />
Arbeits- <strong>und</strong> Personalpolitik, in: Badura, Bernhard;<br />
Henner Schellschmidt; Christian Vetter<br />
(Hg.): Fehlzeiten-Report 2002. Demographischer<br />
Wandel. Herausforderung <strong>für</strong> die betriebliche<br />
Personal- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspolitik, Berlin u.a.<br />
2003: 59 - 71: Springer Verlag<br />
Pohlmann, Markus (2003): Zur Effektivität<br />
kommerzieller Beratungsleistungen in der ostdeutschen<br />
Strukturkrise, in: Betriebswirtschaftliche<br />
Forschung <strong>und</strong> Praxis (i.E.)<br />
Pohlmann, Markus; Hans Günter Grewer<br />
(2003): Dienstleistungsarbeit im Zeichen von<br />
Vermarktlichung <strong>und</strong> neuer Leistungsorientierung,<br />
in: NN (Hg.): Moderne Dienstleistungsarbeit.<br />
Mythos <strong>und</strong> Realität, Berlin: edition sigma<br />
(i.E.)<br />
Pohlmann, Markus (2003): Die Entwicklung<br />
Ostasiens Revisited, in: Leviathan (i.E.)<br />
Blass, Kerstin; Franz Brandt; Petra Essig u.a.<br />
(2002): Das BMGS-Modellprogramm: Impulse <strong>für</strong><br />
eine moderne Pflegeinfrastruktur. Abschlussbericht<br />
zur Modellphase 1998 bis 2001, Saarbrücken:<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
Blass, Kerstin (2002): Der Außenseiter mit Zukunft.<br />
Eine Untersuchung zeigt: Als Solitärangebot<br />
schließt Kurzzeitpflege effektiv Lücken im<br />
Versorgungssystem, in: Altenheim 3(41) 2002: 18<br />
- 22<br />
Hielscher, Volker (2002): Personalpolitik im<br />
Experten-Engpaß. Betriebliche Strategien zwischen<br />
Marktabhängigkeit <strong>und</strong> Eigenverantwortung,<br />
Berlin: edition sigma<br />
Hielscher, Volker (2002): Wer klug ist, investiert<br />
langfristig, in: Mitbestimmung 48(2002)5: 56<br />
- 58<br />
Hielscher, Volker; Eckart Hildebrandt (2002):<br />
Leben <strong>und</strong> Arbeiten in der atmenden Fabrik -<br />
die Folgewirkungen flexibler Arbeitszeitmuster<br />
<strong>für</strong> die Lebensführung der Beschäftigten, in:<br />
Mückenberger, Ulrich; Marcus Menzl (Hg.): Der<br />
Global Player <strong>und</strong> das Territorium, Opladen: 39 -<br />
58: leske+ budrich<br />
Huber, Achim (2002): Strategien zur alternsgerechten<br />
Gestaltung von Gruppenarbeit - Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />
<strong>und</strong> Qualifizierung. Handlungshilfe<br />
zur Durchführung betrieblicher<br />
Workshops mit Vorgesetzten <strong>und</strong> Mitarbeitern,<br />
Broschürenreihe „Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit“,<br />
Stuttgart: IRB Verlag<br />
Huber, Achim (2002): Betriebliche Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />
im Kontext alternsgerechter Gestaltung<br />
von Gruppenarbeit, in: Morschhäuser,<br />
Martina (Hg.): Ges<strong>und</strong> bis zur Rente, Broschürenreihe<br />
„Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit“,<br />
Stuttgart: IRB Verlag<br />
Huber, Achim (2002): Lernen, was (noch)<br />
nicht im Gesetz steht. Zur Weiterbildung von betrieblichen<br />
Interessenvertretern <strong>und</strong> –vertreterinnen<br />
der schwerbehinderten Beschäftigten, in:<br />
Heinz, Walter R.; Hermann Kotthoff; Gerd Peter<br />
(Hg.): Lernen in der Wissensgesellschaft. Dort-<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
61
ISO-News - Veröffentlichungen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
m<strong>und</strong>er Beiträge zur Sozial- <strong>und</strong> Gesellschaftspolitik,<br />
Band 37, Münster: 64 - 77: LIT-Verlag<br />
Huber, Achim; Wolfgang Trunk (2002): Arbeit<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit im Betrieb, Band 2: „Strategien<br />
zur Integration behinderter Menschen im Arbeitsleben“,<br />
Saarbrücken: ISO-<strong>Institut</strong><br />
ISO-<strong>Institut</strong> (Hg.) (2002): Auslaufmodell Pflegeheim?<br />
Die Zukunft der stationären Pflege <strong>und</strong><br />
innovative Ansätze im BMG-Modellprogramm.<br />
Dokumentation der Fachtagung des ISO-<br />
<strong>Institut</strong>s vom 3. bis 5. Juni 2002 in Bonn, Saarbrücken:<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
Kirchen-Peters, Sabine (2002): Qualifizierung<br />
professionell Pflegender <strong>und</strong> Hilfen <strong>für</strong> pflegende<br />
Angehörige. Verbesserung der Hilfen <strong>für</strong><br />
Demenzkranke im Landkreis Saarlouis, Saarbrücken:<br />
Landkreis Saarlouis<br />
Kirchen-Peters, Sabine u. Mitarb. v. Monika<br />
Brehm <strong>und</strong> Patrick Hemm (2002): Gerontopsychiatrischer<br />
Konsiliar- <strong>und</strong> Liaisondienst des Gerontopsychiatrischen<br />
Zentrums Kaufbeuren. Ein<br />
Modellvorhaben zur Verbesserung der Versorgung<br />
gerontopsychiatrisch Erkrankter im Allgemeinkrankenhaus,<br />
Zwischenbericht, Saarbrücken:<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
Matthäi, Ingrid (2002): Executive education -<br />
zur Elite(n)bildung in internationalen Unternehmen,<br />
in: Heinz, Walter R.; Hermann Kotthoff;<br />
Gerd Peter (Hg.): Lernen in der Wissensgesellschaft.<br />
Dortm<strong>und</strong>er Beiträge zur Sozial- <strong>und</strong> Gesellschaftspolitik,<br />
Band 37, Münster: 78 - 91: LIT-<br />
VERLAG<br />
Morschhäuser, Martina (2002): Betriebliche<br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung angesichts des demographischen<br />
Wandels, in: Morschhäuser, Martina<br />
(Hg.): Ges<strong>und</strong> bis zur Rente. Konzepte ges<strong>und</strong>heits-<br />
<strong>und</strong> alternsgerechter Arbeits- <strong>und</strong><br />
Personalpolitik, Broschürenreihe: Demographie<br />
<strong>und</strong> Erwerbsarbeit, Stuttgart 2002<br />
Morschhäuser, Martina (2002): Integration<br />
von Arbeit <strong>und</strong> Lernen: Strategien zur Förderung<br />
von Beschäftigungsfähigkeit, in: Kistler, Ernst;<br />
Hans Gerhard Mendius (Hg.): Demographischer<br />
Strukturbruch <strong>und</strong> Arbeitsmarktentwicklung, Broschürenreihe:<br />
Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit,<br />
Stuttgart 2002: 101 - 111<br />
Morschhäuser, Martina; Eva Schmidt (2002):<br />
Beteiligungsorientiertes Ges<strong>und</strong>heitsmanage-<br />
62<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
ment angesichts alternder Belegschaften, Stuttgart:<br />
IRB Verlag<br />
Morschhäuser, Martina (Hg.) (2002): Ges<strong>und</strong><br />
bis zur Rente. Konzepte ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> alternsgerechter<br />
Arbeits- <strong>und</strong> Personalpolitik,<br />
Stuttgart: IRB Verlag<br />
Pohlmann, Markus (2002): Der Kapitalismus<br />
in Ostasien. Südkoreas <strong>und</strong> Taiwans Wege ins<br />
Zentrum der Weltwirtschaft, Münster: Westfälisches<br />
Dampfboot<br />
Pohlmann, Markus (2002): Wirtschaftsentwicklung,<br />
Management <strong>und</strong> Unternehmensorganisation:<br />
Südkorea <strong>und</strong> Taiwan im interkulturellen<br />
Vergleich, in: Köllner, Patrick (Hg.): Sozialwissenschaftliche<br />
Koreaforschung, Hamburg<br />
Pohlmann, Markus (2002): Management,<br />
Organisation <strong>und</strong> kapitalistische Entwicklung:<br />
Südkorea <strong>und</strong> Taiwan im interkulturellen Vergleich,<br />
in: Schmidt, Rudi; Hans-Joachim Gergs;<br />
Markus Pohlmann (Hg.): Managementsoziologie.<br />
Themen, Desiderate, Perspektiven, München<br />
<strong>und</strong> Mering: 209 - 226: Rainer Hampp Verlag<br />
Pohlmann, Markus (2002): Management,<br />
Organisation <strong>und</strong> Sozialstruktur – Zu neuen Fragestellungen<br />
<strong>und</strong> Konturen der Managementsoziologie,<br />
in: Schmidt, Rudi; Hans-Joachim<br />
Gergs; Markus Pohlmann (Hg.): Managementsoziologie.<br />
Themen, Desiderate, Perspektiven,<br />
München <strong>und</strong> Mering: 227 - 245: Rainer Hampp<br />
Verlag<br />
Pohlmann, Markus (2002): Organisationsberatung<br />
in der Krise: Veränderungschancen<br />
durch Beratung?, in: Zeitschrift Führung+Organisation,<br />
71(2002)5: 291 - 299<br />
Pohlmann, Markus (2002): Organisationsentwicklung<br />
<strong>und</strong> Organisationsberatung im Zeichen<br />
reflexiver Modernisierung, in: Gruppendynamik<br />
<strong>und</strong> Organisationsberatung, 33 (2002)3:<br />
339 - 353<br />
Pohlmann, Markus (2002): Die Desorganisation<br />
des südkoreanischen Wirtschaftsmodells.<br />
Auf den sozialstrukturellen Spuren der neuen<br />
Mittelklasse in Südkorea, in: Köllner, Patrick<br />
(Hg.): Korea Jahrbuch 2002, Hamburg<br />
Pohlmann, Markus (2002): Der Weg nach PI-<br />
SA. Zur Organisationsentwicklung in Schulen<br />
<strong>und</strong> einigen sozialwissenschaftlichen Hinter-
ISO-News – Veröffentlichungen<br />
__________________________________________________________________________________________<br />
gründen der Ergebnisse der PISA-Studie, Schriften<br />
der GEW Niedersachsen, Lüneburg<br />
Pohlmann, Markus (2002): Der Beitrag der<br />
Organisationsberatung zur Entwicklung der Organisation,<br />
in: Arbeit 11(2002)4: 329 - 343<br />
Reindl, Josef (2002): Vom Produzenten zum<br />
Dienstleister: Irrweg oder Perspektive?, in: Leviathan,<br />
30(2002)1: 93 - 112<br />
Reindl, Josef (2002): Das Wachstum industrieller<br />
Dienstleistungen – Dienst am K<strong>und</strong>en oder<br />
„Amerikanisierung“ der Produktion?, in: WSI-<br />
Mitteilungen, 55(2002)9: 510 - 516<br />
Schmidt, Rudi; Hans-Joachim Gergs; Markus<br />
Pohlmann (Hg.) (2002): Managementsoziologie.<br />
Themen, Desiderate, Perspektiven, München<br />
<strong>und</strong> Mering: Rainer Hampp Verlag<br />
Zörkler, Maria; Matthias Helfrich (2002): Der<br />
Pflegefokus. Ein Verfahren zur Beurteilung der<br />
Pflegewirkung <strong>und</strong> seine Umsetzung, Saarbrücken:<br />
ISO-<strong>Institut</strong><br />
▪<br />
ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
63
ISO-News – Veröffentlichungen<br />
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ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />
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