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ISSN 1611-6933 - Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft eV

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Herausgeber:<br />

<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>und</strong> <strong>Sozialwirtschaft</strong> e.V. (ISO)<br />

Trillerweg 68<br />

D-66117 Saarbrücken<br />

Telefon: 0681 - 9 54 24-0<br />

Telefax: 0681 - 9 54 24-27<br />

e-mail: kontakt@iso-institut.de<br />

Internet: http://www.iso-institut.de<br />

© by ISO-<strong>Institut</strong> Saarbrücken<br />

<strong>ISSN</strong> <strong>1611</strong>-<strong>6933</strong><br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

1


2<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003


Inhalt<br />

Markus Pohlmann<br />

Editorial: Globalisierung, regionaler <strong>und</strong> demographischer Wandel: 5<br />

Josef Reindl<br />

Zu einigen Aufgaben sozialwissenschaftlicher Forschung<br />

Industrielle Distrikte oder Branchencluster? Warum das baden-württem- 10<br />

bergische Produktionsmodell dem toskanischen überlegen ist<br />

Franz Brandt<br />

Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit: Die Pflegeinfrastruktur im Blickpunkt 24<br />

Maria Zörkler<br />

„Und dann geht einem spätestens beim Pflegefokus das Licht auf.“ 30<br />

Zur Alltagsrelevanz eines Verfahrens zur Beurteilung der Pflegewirkung<br />

Martina Morschhäuser<br />

Integration von Arbeit <strong>und</strong> Leben: Strategien zur Förderung von 47<br />

Beschäftigungsfähigkeit<br />

ISO-News 58<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

3


4<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003


EDITORIAL<br />

Globalisierung, regionaler <strong>und</strong> demographischer Wandel: Zu einigen<br />

Aufgaben sozialwissenschaftlicher Forschung<br />

Seit den 80er Jahren haben sich die<br />

Parameter weltwirtschaftlicher Entwicklung<br />

gr<strong>und</strong>legend gewandelt. Der Zusammenbruch<br />

der Sowjetunion, das damit einhergehende<br />

„Ende der Dritten Welt“, der Aufstieg<br />

der asiatischen Ökonomien, die forcierte<br />

Globalisierung mit den veränderten<br />

Spielregeln der „New Economy“ <strong>und</strong> des<br />

„Shareholder-Value“-Kapitalismus sind nur<br />

einige der Entwicklungen, die diesen weitreichenden<br />

Umbruch kennzeichnen. Kasino-<br />

oder Turbokapitalismus sind neuere<br />

Schlagworte, um diesen beschleunigten<br />

Wandel zu markieren.<br />

Mit der beschleunigten Modernisierung<br />

sind auch die Anforderungen an die<br />

Sozialwissenschaften gestiegen. Die<br />

Schwierigkeiten in der Transformation Russlands<br />

<strong>und</strong> der osteuropäischen Staaten<br />

- aber auch der ehemaligen DDR - haben<br />

gezeigt, dass es keine Universallösungen<br />

<strong>für</strong> Probleme bei der Restrukturierung von<br />

Ökonomien gibt. Die durch US-amerikanische<br />

Berater geförderte, anfängliche Orientierung<br />

an einer Übernahme neoliberaler<br />

Regulationsmuster wurde denn<br />

auch in der osteuropäischen Transformation<br />

schnell aufgegeben. Andere Entwicklungspfade<br />

wie jener Deutschlands, Skandinaviens<br />

oder der asiatischen Schwellenländer<br />

gewannen an Bedeutung. Unklar<br />

sind jedoch bis heute die Entwicklungsspielräume<br />

geblieben, die nationale Ökonomien<br />

unter den Bedingungen forcierter<br />

Markus Pohlmann<br />

Globalisierung noch haben. Und unklar<br />

sind auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> die verschiedenen Pfade kapitalistischer<br />

Entwicklung <strong>und</strong> die sozialen<br />

Folgen, die mit ihnen verb<strong>und</strong>en sind. Eine<br />

kritische Abschätzung des Spielraums ökonomischer<br />

<strong>und</strong> sozialer Entwicklung scheint<br />

besonders dringlich geworden. Die Sozialwissenschaften<br />

sind neu herausgefordert,<br />

diese kritische Abschätzung ökonomischer<br />

<strong>und</strong> sozialer Entwicklungsspielräume zu leisten.<br />

Dabei ist klar, dass sich die Sozialwissenschaften<br />

nicht mehr umstandslos auf<br />

die Erklärungskraft der klassischen Großtheorien<br />

verlassen können. Deren Instrumentarium<br />

erwies sich häufig als zu starr,<br />

die Antworten als zu sehr historisch geb<strong>und</strong>en.<br />

Die zunehmend reflektierte, theoriesprengende<br />

Heterogenität wirtschaftlicher<br />

Entwicklung „nach dem Ende der Dritten<br />

Welt“ lässt in den Augen vieler Autoren die<br />

klassischen Kapitalismus- <strong>und</strong> Modernisierungsansätze<br />

zu „Theorieruinen“ werden.<br />

Zugleich fügen sich aber die zahlreichen<br />

neuen Perspektiven, die in den letzten 20<br />

bis 30 Jahren entstanden sind, noch nicht<br />

zu einem neuen Paradigma. Eine mit der<br />

nachlassenden Bindung an die althergebrachten<br />

Großtheorien zunehmende Vielfalt<br />

unterschiedlichster Konzepte <strong>und</strong> Thesen<br />

mittlerer Reichweite sorgte <strong>für</strong> ein vergleichsweise<br />

hohes Maß an Unübersicht-<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

5


Markus Pohlmann: Editorial<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

lichkeit in der sozialwissenschaftlichen Diskussion.<br />

Dazu trug auch bei, dass die Anstrengungen<br />

international vergleichender<br />

Forschung - unter wachsender Beteiligung<br />

deutscher Forschungseinrichtungen - sehr<br />

stark zugenommen haben. Insbesondere<br />

die Globalisierungsdiskussion hat im vergangenen<br />

Jahrzehnt die Forschungs- <strong>und</strong><br />

konzeptionellen Anstrengungen zur Abschätzung<br />

wirtschaftlicher <strong>und</strong> gesellschaftlicher<br />

Entwicklungslinien vorangetrieben.<br />

Nahezu alle Fördereinrichtungen<br />

der Sozialwissenschaften in Deutschland<br />

(DFG, VW-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung<br />

etc.) haben mit speziellen Förderprogrammen<br />

auf diese Diskussion reagiert.<br />

Doch eine Bilanzierung fällt noch schwer.<br />

Es fehlt an zusammenfassenden Analysen<br />

<strong>und</strong> Vergleichen der Erklärungskraft der<br />

unterschiedlichen Theoriekonstrukte. Es<br />

fehlt aber auch an evidenzbasierten Metaanalysen,<br />

die den Forschungsstand systematisch<br />

zusammenfassen <strong>und</strong> bündeln,<br />

um so zu einem plausiblen Set von Zusammenhangaussagen<br />

zu gelangen, die das<br />

Terrain der Globalisierung sozialwissenschaftlich<br />

abzustecken in der Lage sind.<br />

Hierauf wird sich die sozialwissenschaftliche<br />

Forschung - fernab der Thematisierungsmoden<br />

- weiter konzentrieren<br />

müssen. So zeigt sich z.B. bei genauerem<br />

Hinsehen, dass der in der Globalisierungsdiskussion<br />

hoch gehandelte industrielle<br />

Distrikt „nicht der Eingang zum Himmel“ ist,<br />

wie Antonio Negri zurecht bemerkt. Der<br />

Beitrag von Josef Reindl in diesem Heft<br />

veranschaulicht dies im Vergleich zwischen<br />

Baden-Württemberg <strong>und</strong> der Toskana in<br />

eindrucksvoller Weise. Er sorgt <strong>für</strong> eine Ernüchterung,<br />

die sich derzeit immer dann<br />

breit macht, wenn der Globalisierungsdis-<br />

6<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

kurs empirisch f<strong>und</strong>iert wird. Denn keineswegs<br />

ließ sich die im modischen Globalisierungsdiskurs<br />

weit verbreitete Annahme,<br />

dass mit zunehmender weltwirtschaftlicher<br />

Integration von regional angesiedelten<br />

<strong>und</strong> entsprechend vernetzten Unternehmen<br />

positive Effekte <strong>für</strong> die Prosperität einer<br />

Region einhergehen, in den Globalisierungsstudien<br />

hinreichend bestätigen. So<br />

wurde z.B. in einer Analyse des Münchner<br />

Fahrzeugbaus (Genosko/Biehler) herausgearbeitet,<br />

in welchem geringen Maße<br />

sich eine regionale Einbettung durch Kooperationen<br />

ergab, welche die regionale<br />

Prosperität förderten. Aber auch andere<br />

aktuelle Untersuchungen (wie z.B. Heinze/Minssen<br />

oder Feldhoff/Hessinger) mahnen<br />

gegenüber den neoliberalen Annahmen<br />

in der Frage der Effekte der Ansiedelung<br />

von multi-, transnationalen oder globalen<br />

Unternehmen zur Skepsis. Sie plausibilisieren,<br />

dass die Entstehung von Netzwerken<br />

sowie deren positive regionalökonomische<br />

Effekte keineswegs selbstverständlich<br />

mit der Ansiedelung der „global<br />

player“ verb<strong>und</strong>en sind. Zwar zeigte die<br />

Diskussion unterschiedlicher regionaler Kapitalismen<br />

in der Frage der Rolle der industriellen<br />

Distrikte, dass weder Konvergenzannahmen<br />

noch zu einfache Differenzierungsannahmen<br />

der internen Varianz im<br />

globalen Kapitalismus gerecht werden. Es<br />

deutete sich an, dass das globale Wirtschaftssystem<br />

selbst regionale Unterschiede<br />

in verstärkter Form zur internen Differenzierung<br />

nutzt. Aber in jüngster Zeit haben<br />

auch viele Untersuchungen klar gemacht,<br />

dass die Verselbstständigungstendenzen<br />

globaler ökonomischer Entwicklungen eine<br />

gegenläufige Dynamik dazu darstellen. Es<br />

scheint so, als werde die soziale Gestalt<br />

der Region durch globale Entwicklungen


Markus Pohlmann: Editorial<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

zugleich transzendiert <strong>und</strong> regeniert. Hier<br />

bedarf es eines genaueren Hinsehens sozialwissenschaftlicher<br />

Forschung, wie dies<br />

das ISO-<strong>Institut</strong> am Beispiel der SaarLorLux-<br />

Region (siehe z.B. Matthäi 2003) bereits exemplarisch<br />

geleistet hat.<br />

Daran schließen sich nun Fragen an,<br />

wie sich die Globalisierung auf soziale Formen<br />

der Arbeits- <strong>und</strong> Lebensgestaltung<br />

auswirkt. Gibt es jene Abwärtsspiralen im<br />

Wettlauf um Standortbedingungen, die eine<br />

Angleichung der Lebensbedingungen<br />

<strong>und</strong> sozialen Absicherungen auf dem<br />

kleinsten gemeinsamen Nenner bewirken<br />

- also zu einer Erosion wohlfahrtsorientierter<br />

Komponenten führen, vor denen die Globalisierungskritiker<br />

immer wieder warnen?<br />

Und findet im Zuge fortschreitender Globalisierung<br />

eine Fortsetzung der Kolonialisierung<br />

von Lebenswelten mit noch weitreichenderen<br />

systemischen Mitteln statt?<br />

Auch hier liefert die Globalisierungsforschung<br />

ein Bild fernab der gängigen Mythen<br />

<strong>und</strong> Verteufelungen. Die Globalisierung,<br />

so könnte man viele neuere Forschungsbef<strong>und</strong>e<br />

zusammenfassen, lässt<br />

sich in ihren Auswirkungen <strong>für</strong> die Ausgestaltung<br />

der sozialen Absicherung <strong>und</strong> der<br />

alltäglichen Lebenswelt nicht einfach als<br />

zerstörerische Kraft beschreiben, die zur Erosion<br />

der sozialen Absicherung <strong>und</strong> Vernichtung<br />

traditionaler Lebenswelten führt,<br />

sondern sie regt sehr oft gegenläufige Prozesse<br />

der kulturellen Behauptung, der<br />

Neuerfindung von Traditionen <strong>und</strong> der<br />

Entwicklung von neuen Formen der sozialen<br />

Absicherung an. Unklar bleibt jedoch,<br />

wie dies genau funktioniert. (Im Falle der<br />

sozialen Absicherung könnte die viel gescholtene<br />

EU ein gutes Beispiel sein, aber<br />

wie sieht es im Falle neu angeregter kultureller<br />

Behauptungen aus? Ist hier der Islam<br />

ein angemessenes Beispiel?) Die dahinter<br />

stehenden Prozesse <strong>und</strong> Mechanismen zu<br />

erfassen <strong>und</strong> theoretisch zu konzipieren,<br />

bleibt ein spannendes Aufgabenfeld sozialwissenschaftlicher<br />

Forschung.<br />

Damit rücken auch die sozialen Sicherungssysteme<br />

<strong>und</strong> ihr Wandel in den<br />

Blickpunkt. Ein Thema, dessen sich die Globalisierungsdiskussion<br />

nur langsam angenommen<br />

hat. So hat z.B. Leibfried (2001)<br />

die spannende Frage nach den Auswirkungen<br />

des Globalisierungsdiskurses <strong>für</strong> die<br />

Unterwerfung der Sozialhilfe unter ökonomische<br />

Imperative in den USA <strong>und</strong> in<br />

Deutschland aufgeworfen. Mit dieser „Unterwerfung“<br />

ist gemeint, dass die Sozialhilfeleistungen<br />

stärker an die Entäußerung<br />

von Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt geknüpft<br />

werden. Leibfried konnte zeigen,<br />

dass die Globalisierungsdiskurse in den USA<br />

<strong>und</strong> Deutschland diesbezüglich von sehr<br />

unterschiedlicher Bedeutung waren <strong>und</strong> es<br />

in beiden Fällen zu keiner, durch die Diskurse<br />

angeregten Gleichschaltung in der<br />

Umgestaltung der Sozialhilfesysteme kam.<br />

Auf Basis von nach wie vor großen Strukturunterschieden<br />

sieht er zwar ähnliche<br />

Prozesse der Unterwerfung der Sozialhilfe<br />

unter ökonomische Imperative am Werke,<br />

aber die gegensteuernde Kraft staatlicher<br />

Wohlfahrtsorientierungen bleibt <strong>für</strong> ihn in<br />

beiden Ländern in unterschiedlicher Weise<br />

erhalten. (Was sich angesichts der jüngeren<br />

Entwicklungen in Deutschland allerdings<br />

auch anders sehen lässt.) Damit haben<br />

wir uns einem Kernthema der Arbeiten<br />

des ISO-<strong>Institut</strong>s von anderer Seite genähert.<br />

Denn auch hier, in den Untersuchungen<br />

zur Pflegeinfrastruktur, stellt sich die<br />

Frage, wie sehr im Zuge der Globalisierung<br />

nicht nur ökonomische Imperative auf das<br />

Pflegegeschehen Einfluss nehmen, sondern<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 7


Markus Pohlmann: Editorial<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

auch inwieweit das Heil in der Modernisierung<br />

der Pflegeinfrastruktur zunehmend in<br />

ökonomischen Konzepten gesucht wird<br />

- deren Passförmigkeit als ebenso fragwürdig<br />

erscheint wie ihre Übertragbarkeit.<br />

Franz Brandt gibt in seinem Beitrag nicht<br />

nur Einblicke in die Diskussion, was Qualitätssicherung<br />

(ein aus der Wirtschaft<br />

stammendes Konzept) in der Pflege bedeutet,<br />

sondern auch wie sie politisch organisiert<br />

wird. Und Maria Zörkler führt dann<br />

genauer aus, wie einem Qualitätsmanagementprozess<br />

nach DIN ISO 9001 in der<br />

Pflege Sinn verliehen werden kann <strong>und</strong><br />

welche Auswirkungen dies auf den Pflegealltag<br />

hat.<br />

Die derzeitigen Probleme der Pflege<br />

sind sicher auch Ausdruck eines voranschreitenden<br />

demographischen Wandels,<br />

der seine Spuren nicht nur in der Pflege,<br />

sondern auch in der industriellen Wirtschaft<br />

hinterlässt. Und er tut dies umso stärker, je<br />

mehr die Wirtschaft sich globalisiert. Denn<br />

die Globalisierung der Wirtschaft hat paradoxerweise<br />

nicht nur eine Bedeutungszunahme<br />

von Regionen zur Folge. Sie verweist<br />

jede regionale Wirtschaft darüber<br />

hinaus in verschärfter Weise auf das Arbeitskräftepotential,<br />

das ihr zur Verfügung<br />

steht. Denn dort, <strong>und</strong> nur dort, liegen die<br />

dauerhaften Wettbewerbsvorteile einer<br />

Wirtschaft. Daran hat die Globalisierung<br />

nichts verändert, im Gegenteil: Sie hat mit<br />

der immer einfacheren Verbreitung von<br />

Technologien <strong>und</strong> den Möglichkeiten, fast<br />

überall auf der Welt billig fertigen zu lassen,<br />

da<strong>für</strong> gesorgt, dass schwer kopierbare<br />

Wettbewerbsvorteile an Bedeutung gewannen.<br />

Und diese liegen vor allem in den<br />

Qualitäten, den Qualifikationen, dem Wissen<br />

<strong>und</strong> den Kompetenzen der Arbeitskräfte.<br />

Die vergleichsweise geringe Mobilität<br />

8<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

des Faktors Arbeit schlägt hier zu Buche.<br />

Deswegen wird mit jedem demographischen<br />

Wandel auch die Wettbewerbsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> Innovationskraft einer Region<br />

gr<strong>und</strong>legend verändert.<br />

Dabei sind die Folgen des demographischen<br />

Wandels in Deutschland heute<br />

bereits überall spürbar. Und sie sind es im<br />

Saarland in verschärfter Weise. Der Anteil<br />

der älteren Bevölkerung hat hier überproportional<br />

zugenommen, während jener der<br />

jüngeren Bevölkerung deutlich abgenommen<br />

hat. Und auch die saarländische Wirtschaft<br />

hat bis heute große Schwierigkeiten,<br />

die älteren Arbeitskräfte mit ihren großen<br />

Erfahrungen, guten Qualifikationen <strong>und</strong><br />

Kompetenzen in hinreichender Weise zu<br />

integrieren. Der Beitrag von Martina<br />

Morschhäuser handelt genau von diesen<br />

Problemen <strong>und</strong> welche Lösung sie b<strong>und</strong>esweit<br />

in unterschiedlichen Unternehmen<br />

erfahren. Mit ihren <strong>und</strong> anderen Ausführungen<br />

zu diesem Thema wird klar, wie sehr<br />

man lebenslanges Lernen heute ernst<br />

nehmen muss <strong>und</strong> wie schwer dies den Unternehmen<br />

- entgegen mancher Verlautbarungen<br />

- tatsächlich fällt.<br />

Auch in diesem Aspekt zeigt sich, wie<br />

eng Globalisierung <strong>und</strong> demographischer<br />

Wandel verknüpft sind <strong>und</strong> wie sehr sozialwissenschaftliche<br />

Expertise vonnöten ist,<br />

um Struktur in das Geflecht einer globalisierten<br />

Welt <strong>und</strong> Licht in das Dickicht der<br />

damit verb<strong>und</strong>enen sozialen Verwerfungen<br />

in den unterschiedlichen Regionen zu<br />

bringen. Die ISO-Mitteilungen sollen dazu<br />

anregen, diese Aufgabe gemeinsam anzugehen<br />

<strong>und</strong> wichtige Forschungsperspektiven<br />

<strong>und</strong> Forschungsergebnisse zum Thema<br />

werden zu lassen. Sie sollen helfen, in<br />

einen noch intensiveren Dialog mit befre<strong>und</strong>eten<br />

Wissenschaftlern, Förderern


Markus Pohlmann: Editorial<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

<strong>und</strong> Experten aus der Praxis zu treten, damit<br />

zentrale Problemlagen rechtzeitig erkannt<br />

<strong>und</strong> die Mittel zu ihrer Bearbeitung<br />

diskutiert werden können. Denn gerade<br />

die wissenschaftliche Forschung ist auf einen<br />

regen Dialog mit Experten aus der<br />

Praxis angewiesen, will sie ihre „Tuchfühlung“<br />

mit gesellschaftlichen Problemlagen<br />

<strong>und</strong> ihre „Kulturbedeutsamkeit“ nicht verlieren.<br />

▪<br />

PD Dr. Markus Pohlmann,<br />

Wissenschaftlicher Leiter ,<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

e-mail: pohlmann@iso-institut.de<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 9


Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

Warum das baden-württembergische Produktionsmodell dem toskanischen<br />

überlegen ist 1<br />

10<br />

Vorbemerkungen<br />

Der Vergleich der industriellen Distrikte<br />

im so genannten „Dritten Italien“ mit<br />

dem Produktions- <strong>und</strong> Innovationsmodell<br />

Baden-Württembergs ist nichts Neues. Ich<br />

will dem Bekannten auch nichts Neues hinzufügen.<br />

Ich will das Bekannte vielmehr in<br />

einen anderen Bezugsrahmen einordnen<br />

<strong>und</strong> zeigen, dass das Theorem „industrieller<br />

Distrikt“ anschlussfähig an die neue ökonomische<br />

Orthodoxie des Neoliberalismus2 1 Wertvolle Hinweise <strong>und</strong> Anregungen verdanke ich<br />

Ingrid Drexel <strong>und</strong> Günter Bechtle, die als intime<br />

Kenner der italienischen Produktionsverhältnisse<br />

ausgewiesen sind.<br />

2 Unter Neoliberalismus verstehe ich ein kohärentes<br />

Ideengebäude, das in den letzten Jahren auf allen<br />

Dimensionen gesellschaftlicher Wirklichkeit<br />

hegemonial geworden ist <strong>und</strong> unübersehbare<br />

Spuren hinterlassen hat. Auf der Makroebene von<br />

Gesellschaft manifestiert es sich im Rückzug des<br />

Staates aus zahlreichen bislang ihm obliegenden<br />

Funktionen (Privatisierung <strong>und</strong> Deregulierung) <strong>und</strong><br />

in seiner Transformation vom Sozial- zum Wettbewerbsstaat.<br />

Auf der Mesoebene artikuliert es sich<br />

als das „Schleifen von <strong>Institut</strong>ionen“ <strong>und</strong> als „Entbettung“<br />

des ökonomischen Prozesses. Auf der<br />

Mikroebene tritt es uns entgegen als „Vermarktlichung“,<br />

„Dezentralisierung“ <strong>und</strong> „Flexibilisierung“<br />

des Betriebes. Auf der individuellen Ebene schließlich<br />

äußert es sich als Feier nutzenmaximierenden<br />

<strong>und</strong> konkurrenten Handelns. Der Mensch wird zum<br />

Unternehmer seiner Existenz, der auf die Selbstsorge<br />

statt auf den Schutz durch die Gemeinschaft<br />

verwiesen wird. Der Impetus des Neoliberalismus<br />

ist „revolutionär“. Er will alle Verhältnisse umwerfen,<br />

in denen die Ökonomie „sozial gebändigt“<br />

(Habermas) wird, er will den Kapitalismus „entfesseln“.<br />

Seine ideologische Wirkungsmacht, die weit<br />

über die „üblichen Verdächtigen“ hinausreicht,<br />

resultiert aus der Umcodierung der Kapitalismuskritik<br />

(Bürokratie, Hierarchie, Zentralisierung, Arbeitsteilung,<br />

Entfremdung etc.) in eine Kritik der sozialen<br />

Einhegung des ökonomischen Prozesses. Der<br />

Neoliberalismus zieht im Namen der individuellen<br />

Freiheit <strong>und</strong> mit dem Gestus des echten Reformers<br />

gegen alles ins Feld, was sich dem „Imperialismus<br />

der Ökonomie“ (Bourdieu) in den Weg stellt. Sein<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Josef Reindl<br />

ist, während das ökonomische Cluster Baden-Württembergs<br />

kaum im globalen ökonomischen<br />

Mainstream <strong>und</strong> im Netzwerk-<br />

Paradigma zu verorten ist.<br />

Ich möchte als theoretische Folie<br />

den folgenden Ausführungen zwei konträre<br />

Denkfiguren bzw. Erklärungsmodelle <strong>für</strong><br />

regionalen ökonomischen Erfolg <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

eine hohe regionale Innovationskraft unterlegen.<br />

Die erste Denkfigur3 nenne ich verstreute<br />

Produktion. Mit ihr wird ein Produktions-<br />

<strong>und</strong> Innovationsregime gekennzeichnet,<br />

das vom Betrieb in das Territorium, die<br />

Region, den Weltmarkt oder im Extremfall<br />

den Cyberspace diff<strong>und</strong>iert, das die Einheit<br />

der unternehmerischen Tätigkeit (Kapitalbeschaffung<br />

- Entwicklung - Produktion -<br />

Vermarktung) auflöst <strong>und</strong> stattdessen die<br />

ökonomischen Funktionen voneinander<br />

isoliert <strong>und</strong> sie in neuer Form rekombiniert.<br />

Die Signatur der verstreuten Produktion ist<br />

das Netzwerk. Ihre Innovationskraft schöpft<br />

sie aus dem verteilten Wissen der zerstreu-<br />

marktradikales Projekt ist nach einem Jahrzehnt<br />

postmoderner Dekonstruktion noch einmal ein utopischer<br />

Entwurf, der auf dem „ges<strong>und</strong>en Menschenverstand“<br />

des „homo oeconomicus“ aufsetzt.<br />

Darin, in der Verknüpfung von Vision <strong>und</strong><br />

common sense liegt seine Anziehungskraft begründet.<br />

3 Ähnlichkeiten dieser Denkfigur bestehen mit<br />

Negris Konzept der „zerstreuten Produktion“. Im<br />

Unterschied zu Negri beschränke ich mich auf die<br />

ökonomische <strong>und</strong> kulturelle Dimension dieses Konzepts.<br />

Negris politische Emphase des Modells <strong>und</strong><br />

seine Deduktion der „zerstreuten Produktion“ aus<br />

den Kämpfen der italienischen Arbeiterklasse<br />

kann ich beim besten Willen nicht teilen. Man<br />

muss wohl Operaist sein, um jede „fait social“ in<br />

ein Produkt des Klassenkampfes auflösen zu können.<br />

Vgl. Negri u.a. (1998)


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

ten Akteure, aus dem umherschweifenden<br />

Geist, der nicht in eine bestimmte Form zu<br />

pressen ist. Ihr ökonomischer Erfolg wird in<br />

Verbindung gebracht mit dem Konzept<br />

der flexiblen Spezialisierung <strong>und</strong> mit der<br />

drastischen Reduzierung von Transaktionskosten:<br />

Jeder macht das, was er am besten<br />

kann <strong>und</strong> auf diese Weise fügen sich<br />

die Beiträge der einzelnen zu einem Optimum<br />

zusammen. Arnold Picot schaut hinter<br />

den verstreuten Produzenten ebenso<br />

hervor wie die neuerdings in Ungnade gefallen<br />

Analysten, die jeder „virtuellen Innovation“<br />

<strong>und</strong> jedem schnittigen, auf seine<br />

Kernkompetenz reduzierten Unternehmen<br />

die Bestnoten ausgestellt haben. Radikale<br />

Outsourcing-Konzepte, die Chimäre des<br />

„virtuellen Unternehmens“, der Wintelismus4<br />

<strong>und</strong> die Netzwerk-Innovation - all diese<br />

Topoi modernen Wirtschaftens, die uns<br />

in den 90er Jahren so nachhaltig in ihren<br />

Bann gezogen haben, gehören zum<br />

Dunstkreis dieses Diskurses.<br />

Die zweite Denkfigur nenne ich fokussierte<br />

Produktion. Sie zeichnet sich dadurch<br />

aus, dass der gesamte ökonomische<br />

Prozess der Warenproduktion nicht nur unter<br />

der strategischen Ägide des Einzelkapitals<br />

abläuft, sondern der Tendenz nach<br />

auch operativ vom Einzelkapital gehandelt<br />

wird. Die materiellen <strong>und</strong> die geistigen Ressourcen<br />

werden unter einem Dach gebündelt<br />

<strong>und</strong> angewandt. Insourcing, eine<br />

hohe Wertschöpfungstiefe, ein breites Leistungsportfolio<br />

sowie ein differenziertes <strong>und</strong><br />

interdisziplinäres Kompetenzprofil sind die<br />

Markenzeichen der fokussierten Produktion.<br />

Sie weist nicht notwendigerweise eine<br />

hierarchische Signatur auf, sie kann sogar<br />

höchst netzwerkartig <strong>und</strong> dezentral struktu-<br />

4 Vgl. zum Wintelismus Lüthje (1998)<br />

riert sein. Doch dies sind Variationen <strong>und</strong><br />

Adaptionen an gewandelte Umwelten, sie<br />

kündigen keinen Bruch des zentripetalen<br />

Gr<strong>und</strong>musters an, keine Auflösung von<br />

Grenzen <strong>und</strong> keine „Desorganisation der<br />

Organisation“. Die fokussierte Produktion ist<br />

trotz aller Modernisierung, die sie in den<br />

letzten Jahrzehnten erfahren hat, im Prinzip<br />

konservativ. Sie will vereinnahmen <strong>und</strong><br />

nicht teilen, sie will anlagern <strong>und</strong> nicht von<br />

Fall zu Fall mieten oder kaufen, sie will das<br />

Ihre zusammenhalten <strong>und</strong> nicht abstoßen.<br />

Sie besteht auf der Wertschöpfungskette<br />

<strong>und</strong> sie will sie nicht durch ein Wertschöpfungsnetzwerk<br />

eintauschen. Der Urantrieb,<br />

der hinter der fokussierten Produktion steht,<br />

ist die Angst vor der Abhängigkeit oder positiv<br />

formuliert das Vertrauen in die eigene<br />

Stärke.<br />

I. Die industriellen Distrikte<br />

des „Dritten Italiens“<br />

I.1 Wahrheit <strong>und</strong> Mythos<br />

Der Diskurs über die regionale Einoder<br />

die globale Entbettung der Ökonomie<br />

hat besonderen Auftrieb durch die Rezeption<br />

der italienischen Distrikt-Debatte<br />

erfahren. 5 Aus der Emilia Romagna, dem<br />

Veneto, der Toskana <strong>und</strong> den Marken erreichte<br />

uns die frohe Botschaft eines kooperativen,<br />

solidarischen, vernetzten, territorial<br />

integrierten, klein- <strong>und</strong> mittelbetrieblich<br />

strukturierten <strong>und</strong> erfolgreichen Kapita-<br />

5 Die wichtigsten theoretischen Gewährsleute <strong>für</strong><br />

das Theorem der „industriellen Distrikte“ sind italienische<br />

Soziologen, Historiker <strong>und</strong> Ökonomen:<br />

Bagnasco, Becattini, Bellandi, Dei Ottati, Trigilia<br />

<strong>und</strong> vor allem Brusco. Piore <strong>und</strong> Sabel haben mit<br />

ihrem theoretischen Ansatz der flexiblen Spezialisierung<br />

auf diesen Autoren aufgesetzt <strong>und</strong> deren<br />

Erkenntnisse sehr „amerikanisch“ (burschikos <strong>und</strong><br />

eklektizistisch) in Besitz genommen <strong>und</strong> benutzt.<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 11


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

lismus. Die Nachrichten aus dem Süden Europas<br />

hörten sich an, als ob dort eine Alternative<br />

zur gleichmacherischen <strong>und</strong><br />

raumunterwerfenden Politik des transnationalen<br />

Kapitals existiere, als ob regionale<br />

<strong>und</strong> lokale Traditionen, Identitäten <strong>und</strong> Milieus<br />

das Substrat einer eigenständigen<br />

Wirtschaftsweise bildeten. Was hat es auf<br />

sich mit den „distretti industriali“?<br />

Zunächst einmal muss man konstatieren,<br />

dass sie kein Phantasma sind. Es gibt<br />

sie wirklich <strong>und</strong> es gibt sie in einer großen<br />

Anzahl. Die damit befassten Forscher zählen<br />

in den fraglichen Regionen zwischen 50<br />

<strong>und</strong> 65 solcher Distrikte, in denen pro Distrikt<br />

zwischen 5.000 <strong>und</strong> 30.000 Beschäftigte<br />

tätig sind. Sie sind mithin kein Randphänomen,<br />

sondern ein wesentlicher Bestandteil<br />

der italienischen Ökonomie, ja nicht<br />

wenige sagen, dass vor allem dieses Segment<br />

die Stärke der italienischen Wirtschaft<br />

ausmacht.<br />

Was kennzeichnet nun einen industriellen<br />

Distrikt, was macht ihn gegenüber<br />

anderen industriellen Verdichtungsräumen<br />

unverwechselbar? Stark vereinfacht gesagt<br />

verfügt der industrielle Distrikt über<br />

drei zentrale Charakteristika: a) er ist eine<br />

kleinräumige Agglomeration vieler Firmen,<br />

die um ein Hauptprodukt gruppiert sind<br />

<strong>und</strong> <strong>für</strong> den gleichen Endmarkt arbeiten;<br />

b) er verkörpert ein Produktionsmodell, das<br />

über zwischenbetriebliche Arbeitsteilung<br />

den Produktionsprozess hochgradig zerlegt<br />

<strong>und</strong> ihn durch zwischenbetriebliche Austauschprozesse<br />

wieder zusammenfügt; c)<br />

er besitzt eine Kultur, die zwischen den zerstreuten<br />

Produzenten Gemeinschaft stiftet<br />

<strong>und</strong> die im Produktionsmodell angelegten<br />

zentrifugalen Kräfte in Schach hält. Erst<br />

wenn diese drei Merkmale gegeben sind,<br />

kann man von einem industriellen Distrikt<br />

12<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

sprechen. Schauen wir uns diese Merkmale<br />

<strong>und</strong> ihr Zusammenspiel etwas näher an,<br />

um die Substanz, den Kern des industriellen<br />

Distrikts herauszudestillieren.<br />

Vergleichsweise unspektakulär ist der<br />

Umstand, dass eine große Anzahl von<br />

meist kleinen Firmen in einer abgegrenzten<br />

Region angesiedelt ist <strong>und</strong> <strong>für</strong> den gleichen<br />

Markt produziert. Solche Verdichtungen<br />

finden wir häufig in der Geschichte<br />

der Industrialisierung. Die Industrialisierung<br />

hat ja nicht gleichmäßig den Raum durchdrungen,<br />

sondern sie hat auf bestimmten<br />

materiellen (Bodenschätze, Rohstoffe,<br />

Wasserkraft etc.) <strong>und</strong> immateriellen (Handwerkstraditionen,<br />

vererbte Fertigkeiten<br />

etc.) Bedingungen, die regional unterschiedlich<br />

ausgeprägt sind, aufgesetzt.<br />

Bemerkenswerter ist schon der hohe Grad<br />

an Monostrukturierung in den italienischen<br />

Distretti. Während sich anderswo die Industriestruktur<br />

peu à peu diversifiziert hat,<br />

bleiben die Distretti in ihrer Produktausrichtung<br />

weitgehend homogen. Sie spielen die<br />

Karte der Spezialisierung exzessiv aus.<br />

Das Produktionsmodell der industriellen<br />

Distrikte ist eine virtuose Orchestrierung<br />

der flexiblen Spezialisierung. Eine Vielzahl<br />

von autonomen Einzelfirmen bringt durch<br />

ihr Zusammenspiel eine kollektive Effizienz<br />

hervor, die der organisierten Effizienz eines<br />

Großbetriebs mindestens ebenbürtig ist.<br />

Das Erfolgsgeheimnis dieses Produktionsmodells<br />

liegt in der extremen Zergliederung<br />

des Wertschöpfungsprozesses in<br />

kleinste Produktionsschritte, die von untereinander<br />

konkurrierenden Phasenfirmen<br />

(„stage firms“) ausgeführt werden. Es existieren<br />

quasi Märkte <strong>für</strong> einzelne Produktionsabschnitte,<br />

die es den Endproduzenten<br />

(„final firms“) erlauben, eine hohe Flexibilität<br />

bei gleich bleibenden Kosten zu reali-


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

sieren. Eine vitale Ökonomie mit hoher Flexibilität,<br />

einer hohen Wachstumsdynamik<br />

<strong>und</strong> einer hohen Produktivität tritt uns gegenüber,<br />

in der auf der Basis eines Gr<strong>und</strong>produktes<br />

spezialisierte Know-how–Träger<br />

ihre Stärken ausspielen <strong>und</strong> ein Ensemble<br />

assoziierter Produzenten hervorbringen, die<br />

ihren Zusammenhang durch sozial eingehegte<br />

Marktprozesse herstellen. Die Dynamik<br />

des Distrikts entsteht einerseits durch<br />

die so genannte „Knospung“; das sind<br />

Ausgründungen von Unternehmen durch<br />

Facharbeiter <strong>und</strong> Techniker mit dem Ziel,<br />

Nischen im Wertschöpfungsprozess zu besetzen,<br />

die noch vakant sind. Solche Knospungen<br />

sind auch der wichtigste Innovationspfad<br />

im Distrikt. Die Neugründer versuchen,<br />

mit einem neuen Teilprodukt oder<br />

mit einer neuen Technologie Fuß im Netzwerk<br />

zu fassen. Andererseits existiert ein<br />

Bestreben der so genannten Phasenfirmen,<br />

ihre marginale Position im Wertschöpfungsprozess<br />

zu verlassen <strong>und</strong> es den „final<br />

firms“ durch eigenen Marktauftritt nachzutun.<br />

Wie auch immer, im „industrial district“<br />

herrscht eine ständige Bewegung, ein<br />

Wechsel der Positionen im Wertschöpfungsprozess,<br />

ein Kommen <strong>und</strong> Gehen. Für<br />

den Außenstehenden grenzt es an ein<br />

W<strong>und</strong>er, dass diese voraussetzungsvolle<br />

Konstruktion funktioniert: dass die Koordination<br />

so vieler Vor-, Zwischen- <strong>und</strong> Endproduzenten,<br />

eingeschlossen die Handelsgesellschaften,<br />

die Heimarbeiter <strong>und</strong> die<br />

Ausrüster, klappt, dass das Machtgefälle,<br />

das zwischen den „final firms“, die exklusiven<br />

Zugang zum externen Markt haben<br />

<strong>und</strong> die von daher die Produkte konzipieren<br />

<strong>und</strong> die Preise machen, <strong>und</strong> den „stage<br />

firms“ nicht in ausbeuterischer Manier<br />

genutzt wird, dass kein Hauen <strong>und</strong> Stechen<br />

zwischen den Firmen ausbricht, „dass nicht<br />

ein Kapitalist viele totschlägt“, sondern die<br />

kooperative Komponente - das Helfen, das<br />

Ausleihen, das ein Auge zudrücken bei Lieferproblemen,<br />

das mehr machen, als vereinbart<br />

worden ist - die Oberhand über die<br />

kompetitive Komponente behält. Die Ursache<br />

da<strong>für</strong>, dass der Distrikt <strong>für</strong> alle eine<br />

„regionale Dividende“ abwirft <strong>und</strong> kein<br />

Mechanismus der wechselseitigen Übervorteilung<br />

<strong>und</strong> Ausnutzung ist, besteht in<br />

der sozialen Überformung der Austauschprozesse.<br />

Man tritt gewissermaßen in eine<br />

ökonomische <strong>und</strong> soziale Beziehung ein.<br />

Der Andere - ob jetzt Unternehmer oder<br />

Arbeiter - ist nicht nur Personifikation des<br />

Kapitals oder der Arbeit, er ist gleichzeitig<br />

der Mensch XY, den man aufgr<strong>und</strong> der lokalen<br />

Verortung oder aufgr<strong>und</strong> einer gemeinsamen<br />

Geschichte kennt. Diese Nähe<br />

hat die Entstehung eines informellen Regelwerks,<br />

eines Geschäftskodexes oder eines<br />

„ökonomischen Sittengesetzes“ begünstigt,<br />

das das Handeln der Akteure beeinflusst.<br />

Wir sind damit bei einem entscheidenden<br />

Aspekt <strong>für</strong> das Verständnis des industriellen<br />

Distrikts: der Kultur, die immer<br />

auch eine historische Komponente hat. Es<br />

ist das gemeinsame Selbstverständnis der<br />

Bewohner des Distrikts, das geteilte Schicksal<br />

<strong>und</strong> es sind mentale Dispositionen <strong>und</strong><br />

kulturelle Ressourcen, die auf das Handeln<br />

der ökonomischen Akteure einwirken. Die<br />

kulturelle Mitgift der Region ist es, die den<br />

industriellen Distrikt à la Italia ausmacht. In<br />

allen Distrikten hat seit langem eine bestimmte<br />

Handwerkstradition existiert, auf<br />

deren Gr<strong>und</strong>lage eine kleine <strong>für</strong> den lokalen<br />

Markt ausgelegte Industrie entstanden<br />

ist. Ein entscheidendes Wachstum hat diese<br />

Industrie erst erfahren, als das System<br />

der Halbpacht abgeschafft wurde <strong>und</strong> die<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 13


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

ehemaligen Teilpächter in die Fabriken geströmt<br />

sind. Es hat nicht lange gedauert<br />

<strong>und</strong> zahlreiche unter ihnen haben sich<br />

selbstständig gemacht <strong>und</strong> ihren vormaligen<br />

Arbeitgebern zugearbeitet. Dieser Prozess<br />

fiel zusammen mit den Dezentralisierungsbestrebungen<br />

der Fabriken, mit der<br />

Krise des Taylorismus, der zusehends weniger<br />

in der Lage war, die gewandelten<br />

K<strong>und</strong>enbedürfnisse zu befriedigen. Exemplarisch<br />

kann man dies z.B. in der Textilregion<br />

von Prato studieren. 6 Die ehemaligen<br />

Teilpächter haben häufig zunächst in den<br />

großen Fabriken des Nordens gearbeitet,<br />

sich dort in den Fabrikkämpfen der 60er<br />

<strong>und</strong> 70er Jahre radikalisiert <strong>und</strong> entweder<br />

aus freien Stücken oder gezwungenermaßen<br />

der Großindustrie den Rücken gekehrt.<br />

Zurück in ihrer Ursprungsregion haben sie<br />

zum Unternehmertum von unten beigetragen<br />

<strong>und</strong> die Kooperation der Produzenten<br />

mitinitiiert. Sie sind - wie es Negri sagt - zu<br />

„politischen Unternehmern“ geworden,<br />

haben auf die Kommunen eingewirkt, damit<br />

diese in dem mit „kollektiven Gütern“<br />

unterversorgten Italien eine distriktangepasste<br />

Infrastruktur (Finanzierungsinstitutionen,<br />

Ausbildung, Verkehrswege, unternehmensnahe<br />

Dienstleistungen) aufbauten.<br />

Nicht wenige haben in einer Doppelrolle<br />

als Unternehmer <strong>und</strong> Kommunalpolitiker<br />

agiert. 7 All diese Prozesse fanden überwiegend<br />

in Regionen statt, in denen<br />

Kommunisten <strong>und</strong> Sozialisten die politische<br />

<strong>und</strong> kulturelle Hegemonie besaßen, in denen<br />

die Werte der Solidarität <strong>und</strong> Kooperation<br />

bis ins Alltagsleben diff<strong>und</strong>ierten. Und<br />

es waren Regionen, die von der herrschenden<br />

DC systematisch vernachlässigt<br />

6 Vgl. dazu Dei Ottati (1998)<br />

7 Auf diese Zusammenhänge macht sehr eindringlich<br />

Negri (1998) aufmerksam.<br />

14<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

wurden. Sie lenkte die Gelder in den großbetrieblich<br />

strukturierten Norden <strong>und</strong> sie<br />

vergrub sie im Mezzogiorno. Dem „roten<br />

Gürtel“ blieb nichts anderes als sich selbst<br />

zu helfen <strong>und</strong> sein endogenes Potential zu<br />

entwickeln. Die industriellen Distrikte sind<br />

- so gesehen - die Frucht einer kollektiven<br />

Anstrengung, der Armut <strong>und</strong> Rückständigkeit<br />

zu entrinnen. Sie tragen vielleicht auch<br />

deshalb den Stempel eines anderen Industriemodells,<br />

in dem das Unternehmertum<br />

von unten, der Kleinbetrieb, die vertikale<br />

funktionale Verflechtung <strong>und</strong> die horizontale<br />

soziale Assoziation entscheidende<br />

Parameter sind. Da man den Großbetrieb<br />

entweder nicht wollte oder ihn nicht kriegen<br />

konnte, aber seine positiven ökonomischen<br />

Effekte unübersehbar waren, hat<br />

man ihn als Ensemble von aufeinander bezogenen<br />

Kleinfirmen entworfen <strong>und</strong> man<br />

hatte so neben dem Spezialisierungsvorteil<br />

auch noch den Flexibilitätsgewinn. Die<br />

ganze Region ist so ein „korporativer Akteur“<br />

geworden. Diese Konstruktion war<br />

machbar, weil man über ein kulturelles Setting<br />

verfügte, das dieses zergliederte Gebilde<br />

von im Raum zerstreuten Produzenten<br />

quasi automatisch steuerte <strong>und</strong> koordinierte.<br />

Um es noch einmal auf den Punkt zu<br />

bringen: Entscheidend <strong>für</strong> das Verständnis<br />

der italienischen industriellen Distrikte ist der<br />

Nexus zwischen Produktionsmodell <strong>und</strong> Kultur.<br />

Nur die Kultur - die Anerkennung des<br />

Anderen, der Verzicht, aus einer strategisch<br />

besseren Position Vorteile zu schlagen,<br />

die Reziprozität im Handeln (das „do<br />

ut des“), das wechselseitige Vertrauen, die<br />

Bereitschaft zu außervertraglichen Sonderleistungen,<br />

die Verlässlichkeit informeller<br />

Absprachen, das Teilen von Informationen,<br />

kurzum das Ausbalancieren der privaten


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

Sonderinteressen mit den kollektiven Distriktinteressen-<br />

bewahrt das spezifische Produktionsmodell<br />

im Distrikt davor, eine ganz<br />

gewöhnliche Ausbeutungsmaschinerie<br />

<strong>und</strong> ein ganz gewöhnlicher Mechanismus<br />

des Preis- <strong>und</strong> Lohndumpings, der Verlagerung<br />

der Risiken zu den schwächeren Gliedern<br />

in der Kette zu werden. Vertrauen ist<br />

die Gr<strong>und</strong>lage des Ganzen <strong>und</strong> Vertrauen<br />

ist hier eine elementare Prämisse <strong>für</strong> das<br />

Funktionieren des Produktionsmodells.<br />

I.2 Schattenseiten<br />

Der Industriedistrikt ist - reflektiert man<br />

seine Funktionsweise <strong>und</strong> seine Voraussetzungen<br />

- ein sehr verletzliches Gebilde. Ehe<br />

ich darauf zu sprechen komme, wie er sich<br />

heute darstellt, ob er erodiert oder stabil<br />

geblieben ist, möchte ich noch auf einige<br />

immanente Probleme des Distrikts zu sprechen<br />

kommen, die gewöhnlich unter den<br />

Tisch gekehrt werden, die aber ebenso zu<br />

ihm gehören wie die emphatisierten moralökonomischen<br />

Bestände.<br />

Antonio Negri hat gesagt, der „industrielle<br />

Distrikt ist nicht der Eingang zum<br />

Himmel“. Er ist ein sehr irdisches Gebilde<br />

<strong>und</strong> er hat deshalb neben seinen Sonnenauch<br />

die Schattenseiten.<br />

Ich habe bisher noch nichts zu den<br />

Produkten gesagt, die in den industriellen<br />

Distrikten hergestellt werden. Es sind überwiegend<br />

Consumer-Produkte, die an den<br />

Endverbraucher gehen wie Schuhe, Kleider,<br />

Textilien, Schmuck, Brillen, Möbel, Keramik.<br />

Es handelt sich also um Produkte der<br />

Leichtindustrie. Eine Ausnahme sind Produkte<br />

des Maschinenbaus, die einer eingehenderen<br />

Untersuchung bedürften. 8 Ich<br />

8 Der italienische Maschinenbau, in Europa der einzige<br />

ernst zu nehmende Konkurrent des deutschen<br />

Maschinenbaus, ist in seiner organisatori-<br />

lasse sie jetzt außen vor. Italien ist im Gegensatz<br />

zu anderen entwickelten Industriestaaten<br />

besonders stark in diesen traditionellen<br />

arbeitsintensiven Leichtindustrien.<br />

Die Gründe hier<strong>für</strong> liegen sicherlich z.T. in<br />

der Designführerschaft der Italiener <strong>und</strong> in<br />

der intelligenten Organisation der arbeitsintensiven<br />

Produktion. Doch gleichermaßen<br />

spielt hier die günstige Kostenstruktur<br />

der Unternehmen eine Rolle. Die Unternehmen<br />

hinterziehen in großem Maße<br />

Steuern, das italienische Finanzministerium<br />

schätzt, dass knapp 30% der Erträge am<br />

Fiskus vorbei erwirtschaftet werden. Sie<br />

mobilisieren weiterhin in großem Stil die<br />

Ressourcen der Schattenwirtschaft. Nach<br />

seriösen Schätzungen italienischer <strong>Institut</strong>e<br />

arbeiten etwa 300.000 – 400.000 Beschäftigte<br />

allein in der Textil- <strong>und</strong> Bekleidungswirtschaft<br />

schwarz. Das Gros der Firmen in<br />

den Leichtindustrien sind Kleinbetriebe, deren<br />

Arbeitskosten um 25% niedriger liegen<br />

als die in Mittel- <strong>und</strong> Großbetrieben. Zudem<br />

sind viele dieser Unternehmen gewerkschaftsfrei,<br />

es gelten keine Tarife, Überst<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> Samstags- <strong>und</strong> Sonntagsschichten,<br />

die an der Tagesordnung sind,<br />

werden schwarz abgerechnet. Es würde<br />

an ein W<strong>und</strong>er grenzen, wenn die Klein<strong>und</strong><br />

Kleinstbetriebe der industriellen Distrikte,<br />

die den Löwenanteil der Einzelfirmen<br />

ausmachen, nicht zu diesen Methoden<br />

greifen würden. Gerade im Akt der Firmengründung<br />

sind die Überarbeit der Familie<br />

<strong>und</strong> die Schwarzarbeit von Verwand-<br />

schen Gestalt netzförmig ausgelegt. Allerdings<br />

handelt es sich dabei nicht um ein fluides, sondern<br />

um ein fest verdrahtetes Netz, das größtenteils<br />

aus Ausgründungen der Mutterfirmen besteht.<br />

Die befre<strong>und</strong>eten Zulieferer können sich darauf<br />

verlassen, dass sie nicht durch Dritte substituiert<br />

werden <strong>und</strong> die fokalen Firmen können darauf<br />

vertrauen, dass die Lieferanten exklusiv <strong>für</strong> sie arbeiten.<br />

Vgl. dazu Bechtle (1999) <strong>und</strong> Drexel<br />

(2002).<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 15


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

ten oft unverzichtbar, um ein kleines Kapital<br />

zu akkumulieren. Wenn man zudem um<br />

die chronischen Finanzprobleme vieler Firmen<br />

weiß - ein Effekt des defizitären italienischen<br />

Kreditsystems -, dann nimmt es<br />

nicht w<strong>und</strong>er, dass die Distriktökonomie<br />

auch eine „economia diffusa“ ist. Da diese<br />

Praxis aber ubiquitär ist, tangiert sie nicht<br />

die gr<strong>und</strong>sätzliche Distriktsolidarität. Doch<br />

irgendjemand zahlt den Preis: <strong>und</strong> das ist<br />

der gering verdienende Arbeiter <strong>und</strong> der<br />

italienische Staat.<br />

Ein zweites kritisches Moment ist das<br />

Machtgefälle, das zwischen dem Endproduzenten<br />

<strong>und</strong> Vermarkter <strong>und</strong> der Phasenfirma<br />

existiert. Der Endproduzent, die „final<br />

firm“, hat exklusiven Zugang zum externen<br />

Markt, er beobachtet die Trends am Weltmarkt,<br />

konzipiert die geplanten Produkte,<br />

legt den Preis fest, kauft die Rohstoffe <strong>und</strong><br />

vergibt die Arbeiten an die Subunternehmer.<br />

Der Phasenproduzent ist nur in einem<br />

winzigen Ausschnitt dieses Gesamtprozesses<br />

beteiligt. Er ist darauf angewiesen, dass<br />

der Endproduzent das Produkt auch mit<br />

ihm bespricht, dass er ihn in die Preisgestaltung<br />

einbezieht, ja dass er ihm den Auftrag<br />

überhaupt gibt. Da auf einer Produktionsstufe<br />

immer viele Phasenproduzenten existieren<br />

- es ist leicht, eine Phasenfirma zu<br />

gründen <strong>und</strong> es gibt einen ungebrochenen<br />

Trend zur Selbstständigkeit - <strong>und</strong> da<br />

der Produktionsschritt i.d.R. nicht komplex<br />

<strong>und</strong> von daher leicht austauschbar ist, hat<br />

der Phasenproduzent kein ökonomisches<br />

Pf<strong>und</strong> in der Hand. Er braucht das Wohlwollen<br />

des Endproduzenten, der ihm natürlich<br />

die Bedingungen diktieren kann: Lieferzeit,<br />

Qualität, Preis. Zwar behaupten die<br />

Chronisten der industriellen Distrikte, dass<br />

die Phasenproduzenten durch Innovationskonkurrenz<br />

an die Aufträge kämen,<br />

16<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

doch der andere Weg, das Preis- <strong>und</strong> damit<br />

Lohndumping, dürfte nicht weniger selten<br />

vorkommen. Aus dieser misslichen objektiven<br />

Situation heraus ist auch das<br />

Bestreben vieler Phasenproduzenten zu erklären,<br />

möglichst viele Endproduzenten als<br />

K<strong>und</strong>en zu akquirieren, mehrere Produktionsabschnitte<br />

in der Firma zu konzentrieren<br />

oder gar mit einem eigenen Teilprodukt<br />

auf den externen Markt zu gehen.<br />

Noch gar nicht thematisiert worden<br />

sind im Kontext der Distriktdebatte die ökologischen<br />

Folgen dieses Produktionsmodells.<br />

9 Der logistische Aufwand der verstreuten<br />

Produktion ist enorm hoch, die<br />

Distrikte stehen permanent im Stau. Die<br />

ungebrochene Dynamik der Distrikte bringt<br />

es weiterhin mit sich, dass immer mehr<br />

Landschaft verzehrt wird, die Distrikte fressen<br />

sich vor allem im Veneto in Gegenden<br />

vor, die vorher unter Naturschutz standen.<br />

Die Abfall- <strong>und</strong> Abwasserprobleme kumulieren<br />

sich, Donna Leons Commissario Brunetti<br />

weiß davon ein Lied zu singen.<br />

Ein letztes Phänomen möchte ich<br />

noch kurz ansprechen, ehe ich zu den Perspektiven<br />

<strong>für</strong> die Distrikte komme. Eine elementare<br />

Erkenntnis der Distrikttheoretiker<br />

ist, dass das Distriktkonzept nicht so einfach<br />

in andere Regionen verpflanzt werden<br />

kann, dass es etwas Idiosynkratisches sei,<br />

das nur innerhalb einer bestimmten Kultur<br />

funktionieren könne. Etliche Akteure der<br />

Distrikte, die vor allem im Veneto zuhause<br />

sind, haben die Skrupulosität der Theoretiker<br />

längst hinter sich gelassen. Der industrielle<br />

Distrikt wird derzeit massenhaft nach<br />

Rumänien, nach Temeschwar, exportiert<br />

<strong>und</strong> es hat sich schon eine ganze Consul-<br />

9 Dies gilt generell <strong>für</strong> die Anhänger des Netzwerk-<br />

Paradigmas, die mit ökonomischer Blindheit geschlagen<br />

zu sein scheinen.


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

ting-Industrie herausgebildet, die ihn in andere<br />

Weltgegenden verkaufen will. Schält<br />

sich dadurch die wahre Natur des industriellen<br />

Distrikts heraus, nämlich ein hochprofitables<br />

<strong>und</strong> kostengünstiges Produktionsmodell<br />

zu sein, das eigentlich keinen<br />

kulturellen Schutzmantel braucht, oder<br />

wird hier die Natur des industriellen Distrikts<br />

pervertiert <strong>und</strong> neoliberal transformiert?<br />

I.3 Perspektiven<br />

Der industrielle Distrikt ist eine lokale<br />

Gemeinschaft, die sich Regeln des Wirtschaftens<br />

<strong>und</strong> des Arbeitens gibt <strong>und</strong> die<br />

sich an diese Regeln hält, weil die räumliche<br />

Nähe soziale Nähe <strong>und</strong> damit auch<br />

ein Sanktionsregime <strong>für</strong> Regelverletzungen<br />

hervorbringt. Wenn fremdes Kapital oder<br />

fremde Arbeitskräfte in großem Maße in<br />

diese geschlossenen Gesellschaften eindringen,<br />

dann droht das Sozialmodell im<br />

industriellen Distrikt zu erodieren. Solche Erosionsprozesse<br />

sind im Moment auf mehreren<br />

Ebenen zu beobachten. 10<br />

In zahlreichen Distrikten ist es zu Konzentrations-<br />

<strong>und</strong> Formierungsprozessen gekommen.<br />

Mehrere Finalproduzenten haben<br />

sich zu Gruppen oder Holdings zusammengeschlossen<br />

<strong>und</strong> strategisch wichtige<br />

Phasenfirmen aufgekauft. Sie haben<br />

ihren ökonomischen Aktionsradius erheblich<br />

erweitert, indem sie Vorprodukte aus<br />

anderen Regionen <strong>und</strong> aus Billiglohnlän-<br />

10 Die Diskussion über den Übergriff des globalen<br />

Kapitalismus auf die Distrikte hat noch gar nicht<br />

begonnen. Um die Distrikt-Theoretiker ist es seit einigen<br />

Jahren merklich still geworden. Meine Informationen<br />

stammen denn auch vor allem aus<br />

Gesprächen mit deutschen <strong>und</strong> italienischen Experten<br />

<strong>und</strong> aus dem Studium italienischer <strong>und</strong><br />

deutscher Zeitungen. Andeutungen über Krisentendenzen<br />

finden sich bereits bei Grigilia (1992).<br />

Man (der Autor eingeschlossen) hat sie aber geflissentlich<br />

überlesen, weil sie das schöne Bild eines<br />

humanen Kapitalismus hätten stören können.<br />

dern zukaufen oder indem sie bestimmte<br />

Produktionsschritte aus dem Distrikt auslagern.<br />

Dies hat vor allem auf den unteren<br />

Wertschöpfungsstufen zu einer Schrumpfung<br />

der Phasenfirmen geführt, die der<br />

Konkurrenz mit den externen Billiganbietern<br />

nicht mehr gewachsen waren. Als Reaktion<br />

darauf haben viele Phasenfirmen ebenfalls<br />

ihr Aktionsfeld erweitert <strong>und</strong> sie liefern<br />

heute auch in andere Regionen. Die Distriktgrenzen<br />

sind so von beiden Seiten gesprengt<br />

worden <strong>und</strong> die „üblichen Preise“<br />

sind ins Rutschen gekommen.<br />

Während über lange Zeiträume hinweg<br />

autochthones Kapital in den Distrikten<br />

vorherrschend war, dringt heute immer<br />

mehr fremdes Kapital ein, wird die Kapitalstruktur<br />

im Distrikt unübersichtlicher <strong>und</strong><br />

anonymer. Auswärtige Kapitalgruppen<br />

versuchen zusehends, die Produktionsnetzwerke<br />

unter ihre Kontrolle zu nehmen<br />

<strong>und</strong> die lose Koppelung der „stage firms“<br />

in eine feste Beziehungsstruktur zu transformieren.<br />

Am weitesten fortgeschritten ist<br />

diese Rückverwandlung der Distrikte in verlängerte<br />

Werkbänke des Großkapitals in<br />

der Bekleidungsindustrie des Veneto. Benetton<br />

beschäftigt dort selber gerade<br />

noch 6.000 Angestellte <strong>und</strong> lässt in zahllosen<br />

kleinen Subunternehmen 50.000 Menschen<br />

<strong>für</strong> sich arbeiten. Die Großindustrie<br />

kommt in den Distrikten wieder ins Spiel,<br />

weil die Gründergeneration langsam ausstirbt<br />

<strong>und</strong> entweder Nachfolgeprobleme<br />

auftreten oder weil die zweite Generation<br />

dem informellen Regelwerk der Distriktgemeinschaft<br />

nicht mehr viel abgewinnen<br />

kann <strong>und</strong> sich stattdessen an modernen<br />

kapitalmarktorientierten Strategien <strong>und</strong> an<br />

professionellen Managementmethoden<br />

ausrichtet. Mit der Informationstechnologie<br />

hat sie zudem ein Rüstzeug an der Hand,<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 17


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

die Informalität der Austauschprozesse<br />

aufzubrechen <strong>und</strong> die verschlungenen<br />

Wege des Produktentstehungsprozesses<br />

transparent zu machen. Dass dieser Informatisierungsprozess<br />

sich im Moment noch<br />

chaotisch ausnimmt <strong>und</strong> auf heftigen Widerstand<br />

stößt, liegt in der Natur der Sache.<br />

Doch er bedroht als solcher bereits<br />

die gewachsene Vertrauensgr<strong>und</strong>lage.<br />

Ein anderer wichtiger Faktor <strong>für</strong> den<br />

Distriktzusammenhalt - der soziale <strong>und</strong> kooperative<br />

Spirit, der durch die Hegemonie<br />

der Linken in den Distrikten befördert wurde<br />

- bröckelt massiv ab. Die Krise <strong>und</strong> der<br />

Niedergang des italienischen Kommunismus<br />

wirkt auf die Werthaltungen in den<br />

Distrikten ein. Es muss zu denken geben,<br />

dass heute die separatistische Lega Nord<br />

die Distrikte als Hort des produktiven, arbeitsamen<br />

Italiens, als Wirkungsstätte der<br />

unternehmerischen Freiheit feiert <strong>und</strong> eine<br />

weitreichende Deregulierung fordert. Sie<br />

bringt den Produktivismus der Distrikte in<br />

Stellung gegen einen bürokratischen, gefräßigen<br />

Staat <strong>und</strong> gegen einen überregulierten<br />

<strong>und</strong> von den Gewerkschaften kontrollierten<br />

Arbeitsmarkt. Bei den Mikro- <strong>und</strong><br />

Kleinunternehmern der Distrikte trifft sie<br />

damit auf offene Ohren.<br />

Schließlich - <strong>und</strong> dies ist vielleicht das<br />

größte Bedrohungsmoment - gehen den<br />

Distrikten die Arbeitskräfte aus. Der massive<br />

Drang zur Unternehmensgründung von unten<br />

wird nicht mehr begleitet von einer<br />

ebenso großen Bereitschaft, sich bei den<br />

Kleinunternehmern zu verdingen. Es<br />

herrscht ein eklatanter Arbeitskräftemangel,<br />

weil die Geburtenrate schon lange eine<br />

der niedrigsten in Europa ist <strong>und</strong> weil<br />

der wenige Nachwuchs die harte Arbeit in<br />

den Distriktfirmen nicht mehr auf sich nehmen<br />

will. Damit funktioniert der Familialis-<br />

18<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

mus als Akkumulationsregime nicht mehr<br />

<strong>und</strong> damit wird der kompetitive Vorteil der<br />

kleinen Phasenfirmen - relativ niedrige<br />

Löhne, hohe Flexibilität aufgr<strong>und</strong> unkonventioneller<br />

Arbeitszeiten etc. - gefährdet.<br />

Der Ausweg, den die Firmen gehen, besteht<br />

derzeit im Anheuern ausländischer<br />

Arbeitskräfte. Die Extracommunitari, die<br />

viele Italiener am liebsten ins Meer zurücktreiben<br />

würden, sind in den Distrikten<br />

hochwillkommen. In einigen Gegenden<br />

hat das dazu geführt, dass auf bestimmten<br />

Produktionsstufen eine richtiggehende<br />

Ethnisierung der Beschäftigung stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat. 11 Dieses Phänomen wirft im übrigen<br />

ein bezeichnendes Licht auf den qualifikatorischen<br />

Gehalt vieler Arbeiten im<br />

Distrikt <strong>und</strong> es dementiert die romantische<br />

Erzählung vom Industriedistrikt als Territorium<br />

qualifizierter <strong>und</strong> innovativer Arbeit.<br />

Summa summarum ist der Glanz der<br />

industriellen Distrikte als nachahmenswertes<br />

Modell inzwischen verblasst. Die zerstreute<br />

Produktion wird immer weniger<br />

durch die Kultur zusammengehalten, sie<br />

droht zum Spielball anonymer, nicht mehr<br />

durchschaubarer Kapitalmächte zu werden.<br />

So weit ist es - aufs Ganze betrachtet<br />

- noch nicht. Die Distrikte sind in ihrer sozialen<br />

Substanz angekratzt, während ihre<br />

ökonomische Vitalität ungebrochen ist.<br />

Vielleicht ist dies ja ihre Zukunft: ein produktiver<br />

<strong>und</strong> profitabler Mechanismus zu sein,<br />

der nicht mehr der kulturellen Dreingaben<br />

bedarf.<br />

11 Am ausgeprägtesten ist dieser strukturelle Arbeitsrassismus<br />

in der Gegend um Prato, wo die Chinesen<br />

in „sweat shops“ ihre Haut zu Markte tragen.<br />

Wer in diese Gegend kommt, muss schon genau<br />

hinsehen, um die Migranten zu entdecken. Sie<br />

verstecken sich vor der italienischen Gesellschaft.


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

II. BADEN-WÜRTTEMBERG<br />

II.1 Industrieller Distrikt oder<br />

ökonomisches Cluster<br />

Baden-Württemberg ist kein industrieller<br />

Distrikt <strong>und</strong> in Baden-Württemberg<br />

gibt es auch keine industriellen Distrikte. Ob<br />

man den Großraum Stuttgart nimmt, die<br />

Heilbronner Gegend, die Schwäbische<br />

Alb, den Großraum Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg,<br />

nirgendwo ist eine derartige<br />

Monostrukturierung <strong>und</strong> Spezialisierung<br />

der Industrie, ein derartiger Produktbezug,<br />

eine derartige Dominanz des Kleinbetriebs<br />

<strong>und</strong> eine derartige Schließung des<br />

Raums zu sehen wie in den italienischen<br />

Distrikten. Das Territorium spielt wohl eine<br />

Rolle im Sinne der Erzeugung einer „industrial<br />

atmosphere“ 12 , aber es stellt nicht das<br />

F<strong>und</strong>ament <strong>für</strong> eine bestimmte Struktur der<br />

Industrie <strong>und</strong> <strong>für</strong> eine bestimmte Wirtschaftsweise<br />

dar. Die Beziehungen der Unternehmen<br />

gehorchen nicht Raum-, sondern<br />

Branchenparametern. Das Cluster<br />

aus Automobilindustrie, Maschinenbau<br />

<strong>und</strong> Elektro-/bzw. Elektronikindustrie, das<br />

lokal nicht eingrenzbar ist, ist weit mehr<br />

strukturbestimmend als der Raum, in dem<br />

ein Unternehmen zufällig angesiedelt ist.<br />

Ob Daimler in Heilbronn statt in Stuttgart, ZF<br />

in Reutlingen statt in Friedrichshafen, Bosch<br />

in Ulm statt in Stuttgart, Dürr in Singen statt<br />

in Zuffenhausen wäre, würde keinen Unterschied<br />

machen, den Charakter des baden-württembergischen<br />

Wirtschaftsmodells<br />

nicht verändern. Insofern macht es hier<br />

Sinn, ganz Baden-Württemberg als Bezugsgröße<br />

zu nehmen <strong>und</strong> auf dieser<br />

Gr<strong>und</strong>lage das Spezifische des Baden-<br />

12 Der Begriff stammt von Marshall, der zu Unrecht<br />

als Ahnherr des industriellen Distrikts gilt. Vgl. zu<br />

dieser folgenschweren Fehldeutung Reindl (2002).<br />

Württemberger-Produktionsmodells herauszuarbeiten.<br />

Wenn vom baden-württembergischen<br />

Metall- <strong>und</strong> Elektrocluster die Rede<br />

ist, dann heißt das zunächst nicht mehr, als<br />

dass in der Region ein breites industrielles<br />

Wissensf<strong>und</strong>ament sowohl in den Unternehmen,<br />

auf dem Arbeitsmarkt <strong>und</strong> in den<br />

<strong>Institut</strong>ionen vorhanden ist. Diese Konzentration<br />

von „tacit knowledge“ <strong>und</strong> „wissenschaftlichem<br />

Wissen“ reproduziert <strong>und</strong> verstärkt<br />

das Cluster. Dass damit auch Lock-in-<br />

Effekte verb<strong>und</strong>en sein können, ist unbestritten.<br />

Doch Baden-Württemberg hat<br />

gezeigt, dass das Cluster lern- <strong>und</strong> innovationsfähig<br />

ist, was sowohl an der Automobilindustrie<br />

als auch am Maschinenbau zu<br />

studieren ist. Ein wichtiges Moment der<br />

Clusterbildung in Baden-Württemberg ist,<br />

dass sich die daran beteiligten Branchen<br />

nicht vermischen, dass die Grenzen zwischen<br />

ihnen nicht fließend werden. Die Unternehmen<br />

im Cluster sind nicht <strong>für</strong>einander<br />

da, sie verfolgen Zwecke, die weit über<br />

das regionale Cluster hinausgehen. Es gibt<br />

eine gemeinsame Schnittmenge zwischen<br />

Automobilindustrie, Maschinenbau <strong>und</strong> Elektroindustrie<br />

in Form von Lieferbeziehungen<br />

oder auch - was eher selten vorkommt<br />

- in Form von Entwicklungspartnerschaften,<br />

doch darin gehen die Unternehmen<br />

nicht auf. Ihre Vernetzung hält<br />

sich in Grenzen <strong>und</strong> wenn Vernetzung <strong>und</strong><br />

Kooperation, dann sind es entweder strategische<br />

Vernetzungen <strong>und</strong> „antagonistische<br />

Kooperationen“ wie etwa zwischen<br />

Erstausrüstern <strong>und</strong> bestimmten Zulieferern<br />

in der Automobilindustrie (Systempartnerschaften)<br />

- ein anderes Beispiel wäre die<br />

systematische Zusammenarbeit von Anlagenbauern<br />

mit Lieferanten - oder zeitlich<br />

begrenzte <strong>und</strong> punktuelle „komplementä-<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 19


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

re Kooperationen“ wie bei bestimmten<br />

gemeinsamen Entwicklungsprojekten zwischen<br />

Maschinenbauern <strong>und</strong> Elektronikfirmen.<br />

Es ist bezeichnend, dass sich z.B. die<br />

Maschinenbauer viel leichter damit tun,<br />

Joint Ventures mit japanischen Unternehmen<br />

einzugehen als gemeinsame Servicegesellschaften<br />

mit anderen baden-württembergischen<br />

Maschinenbauern in bestimmten<br />

internationalen Vertriebsregionen<br />

zu gründen. Der Erfolg des baden-württembergischen<br />

Clusters basiert mithin mehr<br />

auf der großen Massierung von Unternehmen<br />

<strong>und</strong> damit der Massierung der praktischen<br />

<strong>und</strong> theoretischen industriellen<br />

Kompetenz - Marshall hätte gesagt, die Industriegeheimnisse<br />

liegen hier offen auf<br />

der Straße - als auf dem Austausch, der<br />

Vernetzung, der Kooperation der Unternehmen.<br />

Die Unternehmen operieren<br />

- auch innerhalb der Branchen - nebeneinander,<br />

auf eigenen Teilmärkten <strong>und</strong> in<br />

Nischen, sie kommen sich nicht groß in die<br />

Quere <strong>und</strong> sie profitieren trotzdem vom<br />

ungeheuren Wissens-, Erfahrungs- <strong>und</strong><br />

Technologiepotential der Region.<br />

II.2 Die Selbermacher<br />

Dieser Mangel an horizontalen Austauschbeziehungen<br />

existiert nicht nur im<br />

Verkehr von Unternehmen unterschiedlicher<br />

Branchen, er ist auch innerhalb der<br />

Branche da. Die Innovationsforschung hat<br />

in den 90er Jahren mit Sorge bemerkt, dass<br />

in Baden-Württemberg der Industriebesatz<br />

ungewöhnlich hoch ist, dass die Firmen zuviel<br />

Inhouse-Produktion betreiben, sprich<br />

eine zu hohe Fertigungstiefe aufweisen,<br />

dass sie, wenn sie sich zuliefern lassen, vor<br />

allem „regional sourcing“ bevorzugen,<br />

dass sie zu wenig externe Dienstleistungen<br />

nutzen, ja dass es - gemessen am b<strong>und</strong>es-<br />

20<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

deutschen Durchschnitt - zu wenige unternehmensnahe<br />

Dienstleistungen gebe. Man<br />

deutete diese Selbstbezüglichkeit der Unternehmen<br />

als Innovations- <strong>und</strong> Flexibilitätsblockade,<br />

weil man sich dadurch von<br />

externen Inputs abschneide <strong>und</strong> nur im eigenen<br />

Saft braten würde <strong>und</strong> weil man die<br />

Flexibilitätschancen, die im Outsourcing<br />

lägen, vergeben würde. 13 Tatsächlich ist es<br />

so, dass in den Unternehmen des badenwürttembergischen<br />

Clusters die Philosophie<br />

des schlanken Unternehmens, das in<br />

zwischenbetriebliche Netzwerke eingeb<strong>und</strong>en<br />

ist, nur bedingt gegriffen hat. Die<br />

Unternehmen sind i.d.R. immer noch breit<br />

aufgestellt, sie deuten die Kernkompetenz<br />

sehr weit, sie bestehen auf dem internen<br />

Wertschöpfungsprozess, auf einer eigenen<br />

Produktion <strong>und</strong> sie bauen ihre Dienstleistungsabteilungen,<br />

sofern sie auf den K<strong>und</strong>en<br />

bezogen sind, eher aus als ab. Sie setzen<br />

auf interne <strong>und</strong> nicht auf externe Flexibilität.<br />

Sie wollen den Wertschöpfungsprozess<br />

unter Kontrolle haben. Sie sind die typischen<br />

Selbermacher, die lieber noch ein<br />

paar mal um die Ecke tüfteln, ehe sie wirklich<br />

Hilfe von außen holen. Wo sie sich in<br />

Lieferbeziehungen begeben, da versuchen<br />

sie entweder, den Lieferanten fest an<br />

das Unternehmen zu binden, eine Partnerschaft<br />

einzugehen, in der die Rollen klar<br />

verteilt sind, oder sie sichern sich - wie im<br />

Falle der Automobilindustrie - durch harsche<br />

Konditionen ab. Ein fluides Netzwerk,<br />

wie wir es in den italienischen Distrikten finden,<br />

würde niemand knüpfen wollen. Was<br />

die Unternehmer des Clusters hingegen exzessiv<br />

machen, ist die Herstellung von Pra-<br />

13 Dieses Klagelied wurde am lautesten von Heidenreich<br />

(1992) angestimmt, der den Maschinenbauern<br />

einen eklatanten Rückstand zur Moderne (i.e.<br />

Outsourcing, geringe Wertschöpfungstiefe, Einkauf<br />

von Dienstleistungen, etc.) attestiert hat.


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

xisgemeinschaften mit K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Zulieferern.<br />

14 In ihnen <strong>und</strong> nicht in der in Baden-<br />

Württemberg im Überfluss vorhandenen<br />

Apparatur des Technologie- <strong>und</strong> Wissenstransfers<br />

sehen sie ihre wichtigsten Innovationsquellen.<br />

Wer in diesem Vertrauen auf die eigene<br />

Stärke <strong>und</strong> in dieser sehr selektiven<br />

Kooperationspolitik der Unternehmen eine<br />

Bornierung am Werke sieht, der möge bedenken,<br />

dass Baden-Württemberg das<br />

Land mit den meisten Patentanmeldungen<br />

ist, dass der dort ansässige Maschinenbau<br />

Exportweltmeister ist, dass die Inkorporation<br />

der IT in seine Produkte weitgehend vollzogen<br />

ist, dass die Weltmarktdurchdringung<br />

keine exklusive Angelegenheit weniger Unternehmen,<br />

sondern eine kollektive Erfahrung<br />

ist, dass selbst kleine Unternehmer sich<br />

in die weite Welt aufgemacht haben, um<br />

ihre Produkte zu verkaufen.<br />

Ehe ich zum Resümee komme, noch<br />

eine Bemerkung zur Kultur. Wir haben in<br />

den italienischen Distrikten gesehen, dass<br />

die Kultur des wechselseitigen Vertrauens<br />

eine wesentliche Prämisse <strong>für</strong> das Funktionieren<br />

des Distriktmodells ist. Sie war als<br />

Mitgift der Region da. In Baden-Württemberg<br />

hat Vertrauen lange nicht diese<br />

Bedeutung. Es kann sich einstellen als Resultat<br />

von Erfahrungen, von Begegnungen<br />

<strong>und</strong> von guten Geschäften. Vertrauen hat<br />

z.B. lange in den Beziehungen zwischen<br />

der Automobilindustrie <strong>und</strong> dem Maschinenbau<br />

geherrscht. Wir erleben gerade,<br />

dass dieses Vertrauen aufgekündigt wird,<br />

14 Praxisgemeinschaften sind Gemeinschaften, die<br />

durch die ökonomische Praxis - <strong>und</strong> nicht durch<br />

einen Plan oder einen Kooperationswillen - entstehen.<br />

Firmen finden zueinander, weil sie gute Erfahrungen<br />

miteinander gemacht haben. Das<br />

Schmiermittel von Praxisgemeinschaften sind Personen.<br />

dass die Maschinenbauer wie normale Zulieferer<br />

behandelt werden, dass sie in<br />

Betreibermodelle gepresst werden sollen<br />

etc. 15 Die Maschinenbauer beantworten<br />

diesen Vertrauensentzug nicht gekränkt<br />

<strong>und</strong> er gefährdet auch ihren ökonomischen<br />

Austausch mit der Automobilindustrie<br />

nicht. Sie entwickeln neue Dienstleistungsstrategien,<br />

um ihrer Austauschbarkeit<br />

durch andere zu entgehen. Und sie sagen<br />

Nein zu Betreibermodellen <strong>und</strong> bleiben<br />

trotzdem im Geschäft. Der ökonomische<br />

Prozess hat sich abgekoppelt von kulturellen<br />

Ressourcen. Vertrauen ist ein knappes<br />

Gut geworden, das man sich erarbeiten<br />

muss <strong>und</strong> das immer gefährdet ist. Damit<br />

kann man leben, wenn man nicht abhängig<br />

ist <strong>und</strong> wenn ein starkes institutionelles<br />

Gefüge vor Willkür schützt. Über die baden-württembergischen<br />

<strong>Institut</strong>ionen <strong>und</strong><br />

die kollektiven Güter der hiesigen Arbeitswelt<br />

brauche ich an dieser Stelle nichts sagen,<br />

sie sind sattsam bekannt. 16<br />

III. QUINTESSENZ<br />

Die industriellen Distrikte des „Dritten<br />

Italiens“ sind ein Prototyp der verstreuten<br />

Produktion <strong>und</strong> das baden-württembergische<br />

Cluster ist ein Muster der fokussierten<br />

Produktion. Der Vergleich zwischen<br />

beiden ist natürlich schief, weil in dem ei-<br />

15 Zu den neuesten Entwicklungen in den Beziehungen<br />

zwischen dem Maschinenbau <strong>und</strong> seinen<br />

K<strong>und</strong>en vgl. Reindl (2002) <strong>und</strong> Grewer; Reindl<br />

(2003).<br />

16 Die trotz aller Deregulierung immer noch bestehende<br />

Dichte des <strong>Institut</strong>ionengeflechts, das um<br />

den kapitalistischen Arbeitsprozess in Deutschland<br />

gelegt ist, dringt am deutlichsten bei einem Vergleich<br />

mit anderen hoch entwickelten Kapitalismen<br />

ins Bewusstsein. Vgl. dazu etwa Regini (1998),<br />

der einen deutsch-italienischen <strong>Institut</strong>ionenvergleich<br />

anstellt.<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 21


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

nen Falle die Leichtindustrie vorherrscht<br />

<strong>und</strong> im anderen Falle die Investitionsgüterindustrie<br />

mit hochtechnologischen Produkten.<br />

Deshalb war meine Fragestellung<br />

auch nicht, was ist besser, sondern welches<br />

Modell ist anschlussfähig <strong>für</strong> neoliberale<br />

Unternehmens- <strong>und</strong> Wirtschaftskonzepte.<br />

In der neoliberalen Doktrin ist der Betrieb<br />

tendenziell ein Ärgernis bzw. ein notwendiges<br />

Übel. Was die Neoliberalen verstört,<br />

ist das Eigenleben der Betriebe, die<br />

Schwierigkeit, alle betriebliche Prozesse<br />

den Marktgesetzen zu subsumieren. Sie<br />

haben keinen Begriff des Betriebes, er interessiert<br />

sie auch nicht. Sie ärgern sich, dass<br />

durch ihn die grenzenlose Mobilität der<br />

Produktionsfaktoren <strong>und</strong> damit eine adäquate<br />

Allokation von Kapital <strong>und</strong> Arbeit<br />

behindert wird. Dem „reibungslosen Kapitalismus“<br />

steht die Erdenschwere des Betriebs<br />

im Wege: seine Bindung von Kapital,<br />

seine internen Arbeitsmärkte, seine Selbsterhaltungsaufwendungen,<br />

seine Rückstellungen<br />

<strong>und</strong> Reserven. Der Betrieb ist die<br />

Reibung <strong>und</strong> deshalb plädieren sie da<strong>für</strong>,<br />

ihn - wo immer möglich - zu dekonstruieren.<br />

Das schlanke Unternehmen, die Konzentration<br />

auf Kernkompetenzen, radikales<br />

Outsourcing, Business reengineering, die<br />

Deregulierung der Arbeit, der Arbeitskraftunternehmer<br />

<strong>und</strong> was dergleichen mehr<br />

an solchen Konzepten grassiert, sind in diesem<br />

Kontext zu lesen. Wenn sich der Betrieb<br />

als notwendiges Übel schon nicht vermeiden<br />

lässt, dann soll er so weit als<br />

möglich dem Markt anverwandelt werden,<br />

sollen Betriebsprozesse zu Marktprozessen<br />

werden.<br />

Die verstreute Produktion der industriellen<br />

Distrikte verkörpert eine Hardware,<br />

die den Neoliberalen gefallen könnte. Sie<br />

22<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

besitzt viele Ingredienzien, die man zu einem<br />

marktradikalen Cocktail mischen<br />

kann. Dem im Wege stand bislang eine<br />

Software, die aus einer anderen kulturellen<br />

Tradition kommt. Eine Software kann freilich<br />

in diesen schnelllebigen Zeiten rasch<br />

veralten. Der Neoliberalismus hält in Italien<br />

ein aggressives neues Angebot bereit: die<br />

Kultur des Unternehmertums <strong>und</strong> des Erfolgs,<br />

dem sich alles andere unterzuordnen<br />

hat. Es gibt Anzeichen, dass diese Offerte<br />

in den Distrikten auf Zuspruch stößt.<br />

Das baden-württembergische Modell<br />

ist in seiner Substanz immer noch das<br />

Gegenprogramm zum neoliberalen Konstrukt.<br />

Seine Hardware ist wenig anfällig <strong>für</strong><br />

betriebliche Dekonstruktionsprozesse. Sie ist<br />

kompakt <strong>und</strong> robust, das Cluster wirkt wie<br />

eine Festung, die dem Netzwerkparadigma<br />

nur kontrolliert <strong>und</strong> selektiv Einlass gewährt.<br />

Das Modell ist zwar relativ unflexibel<br />

auf dem Markt der neuen Organisationskonzepte,<br />

aber es ist in hohem Maße imstande,<br />

den neuen Herausforderungen auf<br />

den Märkten zu begegnen.<br />

Ich komme zum Schluss <strong>und</strong> noch<br />

einmal auf meinen provokanten Titel zurück.<br />

Ich kann mir kein Urteil erlauben, welches<br />

der beiden Modelle ökonomisch erfolgreicher<br />

ist. Der Erfolg von Ökonomien<br />

hängt von so vielen Faktoren ab. Ich wage<br />

auch keine Prognose, welches Modell länger<br />

leben wird. Ich bin kein Zukunftsforscher.<br />

Doch einer Sache bin ich mir sicher:<br />

Wenn es stimmt, dass es in den entwickelten<br />

Kapitalismen immer stärker auf das<br />

Wissen <strong>und</strong> die Humanressourcen ankommt,<br />

dann hat die fokussierte Produktion<br />

die besseren Karten. Sie muss die Humanressourcen<br />

pflegen <strong>und</strong> entwickeln,<br />

will sie ihrem Prinzip des Vertrauens in die<br />

eigenen Kräfte treu bleiben. Ein ähnlich


Josef Reindl: Industrielle Distrikte oder Branchencluster?<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

starker Antrieb fehlt in der verstreuten Produktion,<br />

die darauf vertraut, das Wissen<br />

kaufen zu können.<br />

LITERATUR<br />

▪<br />

Josef Reindl,<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter,<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

e-mail: reindl@iso-institut.de<br />

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ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003 23


Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit: Die Pflegeinfrastruktur im Blickpunkt<br />

Fragen der Qualität in der Pflege<br />

werden vor allem seit Einführung der Pflegeversicherung<br />

intensiv diskutiert. In der<br />

Öffentlichkeit findet das Thema immer<br />

dann Aufmerksamkeit, wenn die Medien<br />

über Mängel <strong>und</strong> Missstände berichten,<br />

während die Diskussion unter Experten <strong>und</strong><br />

unmittelbar Beteiligten sich vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

der bestehenden Qualitätsprobleme<br />

an den relevanten Bestimmungen<br />

des Elften Buches Sozialgesetzbuch bzw.<br />

des Heimgesetzes orientiert.<br />

Weitere gesetzliche Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> die Sicherung <strong>und</strong> Weiterentwicklung<br />

der Pflegequalität hat der Gesetzgeber mit<br />

dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz geschaffen.<br />

Mit Wirkung vom 1. Januar 2001<br />

wurde das Elfte Kapitel: „Qualitätssicherung.<br />

Sonstige Regelungen zum Schutz der<br />

Pflegebedürftigen“ in das SGB XI eingefügt.<br />

Darin wird die besondere Verantwortung<br />

der Träger der Pflegeeinrichtungen<br />

gestärkt. Sie sind verpflichtet, sich an Maßnahmen<br />

zur Qualitätssicherung zu beteiligen<br />

<strong>und</strong> in regelmäßigen Abständen die<br />

erbrachten Leistungen <strong>und</strong> deren Qualität<br />

nachzuweisen. Gleichzeitig werden die<br />

Möglichkeiten zur Leistungs- <strong>und</strong> Qualitätskontrolle<br />

erweitert. Dem Medizinischen<br />

Dienst der Krankenversicherung werden<br />

beispielsweise umfassendere <strong>und</strong> zudem<br />

konkret geregelte Zugangsrechte eingeräumt<br />

<strong>und</strong> die Zusammenarbeit mit der<br />

staatlichen Heimaufsicht wird koordiniert.<br />

Wird von Pflegequalität gesprochen,<br />

so lässt dies in der Regel zuerst an die unmittelbare<br />

Pflegeleistung gegenüber dem<br />

24<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Franz Brandt<br />

Pflegebedürftigen denken <strong>und</strong> in zweiter<br />

Linie auch an die personellen, räumlichen<br />

<strong>und</strong> sonstigen Voraussetzungen einer qualitativen<br />

Pflege. Sie wird auf die einzelne<br />

Einrichtung <strong>und</strong> damit auf das (vertragliche)<br />

Verhältnis zwischen Kostenträger <strong>und</strong><br />

Leistungserbringer bzw. zwischen Leistungserbringer<br />

<strong>und</strong> K<strong>und</strong>en bezogen. Dass dies<br />

nicht ausreicht, wird bereits aus der Tatsache<br />

deutlich, dass jede Pflegeeinrichtung,<br />

jeder Pflegedienst Bestandteil eines regionalen<br />

Versorgungssystems ist, das sich unter<br />

anderem durch eine angemessene Differenzierung<br />

<strong>und</strong> vor allem durch die Koordinierung<br />

seiner Versorgungsangebote<br />

auszeichnen sollte.<br />

Dies lenkt den Blick auf eine weitere<br />

Dimension von Pflegequalität <strong>und</strong> sie wird<br />

im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen<br />

stehen. Es geht dabei in erster Linie um<br />

die Qualität des Gesamtversorgungssystems.<br />

Auf sie zielt, wie aus den zugr<strong>und</strong>e<br />

liegenden Richtlinien deutlich wird, das bereits<br />

1991 gestartete „Modellprogramm zur<br />

Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger“:<br />

„Zur Lösung der drängenden<br />

Probleme im Pflegebereich ist die modellhafte<br />

Erprobung einer leistungsfähigen,<br />

zahlenmäßig ausreichenden <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Versorgungsstruktur mit ambulanten<br />

Diensten, teilstationären <strong>und</strong> stationären<br />

Einrichtungen erforderlich, um den<br />

ständig wachsenden Bedarf sachgerecht<br />

abzudecken“ (Ziffer 2.1). Dieser ständig<br />

wachsende Bedarf ist Folge der demographischen<br />

Entwicklung. Sie führt dazu, dass<br />

- nach Berechnungen des DIW - die Zahl


Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2020<br />

um etwa eine Million <strong>und</strong> damit im Vergleich<br />

zu 1999 um 50% zunehmen wird.<br />

Auch die Notwendigkeit, möglichst lange<br />

mit dem gesetzlich festgelegten Beitragssatz<br />

in der Pflegeversicherung (1,7%) auszukommen,<br />

forciert die Bemühungen um<br />

eine Pflegeinfrastruktur, die - neben anderen<br />

Voraussetzungen - auch Effizienz gewährleistet.<br />

Das Modellprogramm steht in einem<br />

unmittelbaren Zusammenhang mit der<br />

Pflegeversicherung. Es soll die Pflegeversicherung<br />

<strong>und</strong> ihre praktische Umsetzung<br />

konzeptionell durch geeignete Modellvorhaben<br />

begleiten <strong>und</strong> unterstützen. Der<br />

Deutsche B<strong>und</strong>estag hat <strong>für</strong> das Modellprogramm,<br />

das vom ISO-<strong>Institut</strong> wissenschaftlich<br />

begleitet wird, zwischen 1991<br />

<strong>und</strong> 2001 über 350 Millionen Euro zur Verfügung<br />

gestellt, mit denen etwa 450 Modellvorhaben<br />

gefördert worden sind.<br />

Das Modellprogramm ist bereits 1991<br />

<strong>und</strong> damit vor der „heißen Phase“ der politischen<br />

Diskussion über die Ausgestaltung<br />

des Gesetzes <strong>und</strong> lange vor dem eigentlichen<br />

Gesetzgebungsverfahren angelaufen.<br />

Dieser zeitliche Vorsprung macht deutlich,<br />

dass mit ihm Zielsetzungen verb<strong>und</strong>en<br />

worden sind, die als weitgehend unabhängig<br />

von den konkreten Bestimmungen<br />

des geplanten Gesetzes angesehen wurden.<br />

Der Ausbau der Pflegeinfrastruktur<br />

gewann vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Gesetzesvorhabens<br />

eine besondere Bedeutung.<br />

Sie musste, sollten Pflegebedürftige <strong>und</strong><br />

pflegende Angehörige optimal von den<br />

Leistungen des neuen Gesetzes profitieren,<br />

bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Die<br />

quantitative <strong>und</strong> qualitative Weiterentwicklung<br />

der Pflegeinfrastruktur, in der <strong>für</strong><br />

jeden Pflegebedürftigen die seinem Hilfebedarf<br />

entsprechenden Leistungen wohnortnah<br />

<strong>und</strong> in ausreichender Kapazität zur<br />

Verfügung stehen, war das gr<strong>und</strong>legende<br />

Ziel dieses Modellprogramms. Dieser Ausbau<br />

konnte nicht flächendeckend erfolgen.<br />

Vielmehr sollten die modellhaft geschaffenen<br />

Angebote <strong>und</strong> Strukturen als<br />

Vorbild <strong>und</strong> damit als Entscheidungs- <strong>und</strong><br />

Planungshilfe dienen. Sie sollten „Wegbereiter<br />

sein <strong>für</strong> eine moderne, wirtschaftlich<br />

ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> zukunftsweisende Pflegeinfrastruktur“.<br />

Ein Eindruck von den „drängenden<br />

Problemen im Pflegebereich“ <strong>und</strong> von jenen<br />

Defiziten, die ein Modellprogramm erforderlich<br />

machten, vermittelt der „Bericht<br />

der B<strong>und</strong>esregierung zu Fragen der Pflegebedürftigkeit“<br />

von 1984. Er verweist unter<br />

anderem auf fehlende Einrichtungen<br />

<strong>für</strong> Tages- <strong>und</strong> Kurzzeitpflege, auf fehlende<br />

oder unzureichende rehabilitative Bemühungen,<br />

auf die geringe Ausrichtung der<br />

ambulanten Dienste auf Pflegebedürftige,<br />

auf mangelnde Aktivierung, Mobilisierung<br />

sowie soziale <strong>und</strong> kulturelle Betreuung von<br />

Pflegeheimbewohnern <strong>und</strong> auf fehlende<br />

Angebote <strong>für</strong> jüngere Pflegebedürftige.<br />

Aufgabe des Modellprogramms war<br />

es, über die Modellförderung die Entwicklung<br />

einer adäquaten Pflegeinfrastruktur zu<br />

unterstützen <strong>und</strong> zu initiieren. Da<strong>für</strong> waren<br />

sehr unterschiedliche Modellinputs oder<br />

Modellmaßnahmen zu berücksichtigen.<br />

Denn es ging <strong>und</strong> geht nicht nur um die<br />

Beseitigung der in der B<strong>und</strong>esrepublik bestehenden<br />

Versorgungslücken, sondern<br />

auch darum, das vorhandene Pflegeangebot<br />

zu „modernisieren“ <strong>und</strong> „zukunftsweisende<br />

Ansätze“ zu erproben. Diese im<br />

„Zweiten Bericht über die Entwicklung der<br />

Pflegeversicherung“ genannten Zielsetzun-<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

25


Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

gen korrespondieren sehr stark miteinander,<br />

so dass sich eine Beschreibung der<br />

Modellinhalte <strong>und</strong> Modellansätze am Beispiel<br />

dieser Begriffe nicht anbietet. Die Förderung<br />

von Kurzzeit- <strong>und</strong> Tagespflegeplätzen<br />

ist einerseits ein Beseitigen von Defiziten,<br />

sie stellt zweitens, da die Anbindung<br />

an ein Pflegeheim dessen Struktur <strong>und</strong><br />

Charakter verändert, eine Modernisierung<br />

einer <strong>Institut</strong>ion dar <strong>und</strong> drittens wird mit<br />

der Förderung zukunftsweisender Maßnahmen<br />

gleichzeitig immer eine Lücke geschlossen<br />

<strong>und</strong> ein Angebot modernisiert.<br />

Die Modellinhalte lassen sich besser<br />

am Beispiel jener Gr<strong>und</strong>sätze darstellen,<br />

die im Ersten Kapitel des SGB XI formuliert<br />

sind. So soll primär auf jene Modellansätze<br />

hingewiesen werden, die auf eine Stärkung<br />

des häuslichen Versorgungspotentials<br />

zielen, die den Vorrang von Prävention<br />

<strong>und</strong> medizinischer Rehabilitation stützen<br />

oder die erforderliche Vernetzung sichern.<br />

Das Pflege-Versicherungsgesetz verlangt<br />

eine Koordinierung der den Pflegebedürftigen<br />

zur Verfügung stehenden Hilfen<br />

<strong>und</strong> im Einzelfall ein nahtloses <strong>und</strong> störungsfreies<br />

Ineinandergreifen der verschiedenen<br />

Leistungen. Dem hat das Modellprogramm<br />

in besonderer Weise Rechnung<br />

getragen. Durch unterschiedliche Ansätze<br />

soll im Rahmen der Modellförderung sichergestellt<br />

werden, dass sich Pflegebedürftige<br />

<strong>und</strong> Angehörige ausreichend über<br />

das Hilfeangebot informieren können, dass<br />

Beratungsangebote zur Verfügung stehen<br />

<strong>und</strong> dass die Inanspruchnahme der Hilfen<br />

<strong>und</strong> deren Organisation bis hin zu einem<br />

umfassenden Case Management unterstützt<br />

werden. Pflegeüberleitungsmodelle,<br />

die an der Schnittstelle zwischen Krankenhaus<br />

<strong>und</strong> nachstationärer Versorgung ansetzen,<br />

erlauben eine Aussage darüber,<br />

26<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

wie eine ausreichende Versorgungskontinuität<br />

zu gewährleisten <strong>und</strong> gleichzeitig die<br />

Qualität der nachstationären Versorgung<br />

zu sichern ist. Auch Kurzzeitpflege, die als<br />

Abklärungs- <strong>und</strong> Rehabilitationsphase genutzt<br />

wird, kann im Einzelfall zur Sicherstellung<br />

eines bedarfsgerechten Hilfesettings<br />

angesehen werden <strong>und</strong> ist als Vernetzungselement<br />

zu verstehen.<br />

Vor allem ist auf die so genannten<br />

Regionalmodelle zu verweisen, in denen<br />

oberhalb der Ebene des einzelnen Anbieters<br />

oder Dienstes die Verbesserung der<br />

regionalen Zusammenarbeit im Vordergr<strong>und</strong><br />

steht. Es geht darum, über eine<br />

Koordinierungs- oder Leitstelle regionale<br />

Kooperationsstrukturen aufzubauen <strong>und</strong><br />

die beteiligten Dienste darin einzubinden.<br />

Eine weitere Aufgabe, aber auch schon<br />

Ergebnis der verbesserten Kooperation, ist<br />

die konzeptionelle Weiterentwicklung des<br />

Hilfesystems.<br />

Eine Vielzahl von Modellen soll ferner<br />

Erkenntnisse darüber vermitteln, auf welche<br />

Weise der SGB XI-Gr<strong>und</strong>satz „Vorrang<br />

der häuslichen Pflege“ zu realisieren ist.<br />

Zum einen stehen hierbei die ambulanten<br />

Pflegeanbieter im Vordergr<strong>und</strong>, wobei die<br />

Modellinputs auf die Verbesserung der Zusammenarbeit,<br />

die Einbindung in regionale<br />

Vernetzungsstrukturen, die Ergänzung des<br />

Leistungsangebotes, die Spezialisierung auf<br />

Zielgruppen mit besonderen Anforderungen,<br />

auf die Qualifizierung der Mitarbeiter<br />

<strong>und</strong> auf die Qualitätssicherung zielen.<br />

Präventive <strong>und</strong> rehabilitative Maßnahmen<br />

entsprechen sowohl dem in § 5<br />

SGB XI festgeschriebenen Vorrang von<br />

Prävention <strong>und</strong> medizinischer Rehabilitation<br />

als auch, soweit nicht Pflegeheimbewohner<br />

betroffen sind, dem Vorrang der<br />

häuslichen Pflege. Durch geeignete Maß-


Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

nahmen soll der Eintritt von Pflegebedürftigkeit<br />

verhindert werden oder bei bereits<br />

eingetretener Pflegebedürftigkeit soll diese<br />

überw<strong>und</strong>en oder eine Verschlimmerung<br />

vermieden werden. Die Reihe der Rehabilitationsmaßnahmen<br />

im Modellprogramm<br />

setzt ein mit Koordinierungsmodellen, die<br />

niedergelassene Therapeuten in die Vernetzungsaktivitäten<br />

einbeziehen <strong>und</strong> den<br />

Informationsaustausch zwischen niedergelassenen<br />

Ärzten, Therapeuten <strong>und</strong> Pflegekräften<br />

verbindlicher gestalten. Ferner werden<br />

durch Einbindung von Therapeuten in<br />

ein Überleitungsteam, in einen ambulanten<br />

Dienst, in eine Tagespflegeeinrichtung<br />

oder in eine stationäre Einrichtung Versorgungsdefizite<br />

beseitigt <strong>und</strong> gleichzeitig das<br />

Bewusstsein da<strong>für</strong> geschärft, dass rehabilitative<br />

Bemühungen auch <strong>für</strong> ältere <strong>und</strong><br />

pflegebedürftige Menschen sinnvoll <strong>und</strong><br />

Erfolg versprechend sind. Maßstäbe hat<br />

das Modellprogramm insofern gesetzt, als<br />

es die ersten mobilen Rehabilitationsmodelle<br />

- wobei hier unter Rehabilitation ein<br />

integriertes, unter ärztlicher Verantwortung<br />

durchgeführtes Komplexangebot - in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik initiiert <strong>und</strong> gefördert hat.<br />

Dass das Pflege-Versicherungsgesetz<br />

den Vorrang der häuslichen Pflege betont,<br />

bedeutet nicht, <strong>und</strong> darin wird bereits in<br />

der Begründung des Gesetzentwurfes hingewiesen,<br />

dass „stationär erbrachte Pflege-<br />

<strong>und</strong> Betreuungsleistungen als weniger<br />

human einzustufen sind“. Folgerichtig spielt<br />

auch die stationäre Pflege im Modellprogramm<br />

eine wichtige Rolle. Die verschiedenen<br />

Ansätze lassen sich zwei Bereichen<br />

zuordnen. Erstens ging es um eine angemessene<br />

Differenzierung der stationären<br />

Pflegeinfrastruktur, zweitens um die Gestaltung<br />

der „Lebenswelt Pflegeheim“.<br />

Das Pflegeheim soll ein Wohn- <strong>und</strong><br />

Lebensraum sein, „in dem Menschen, die<br />

nicht oder nicht mehr in ihrer Familie oder<br />

in ihrer eigenen Wohnung betreut werden<br />

können, einen neuen Mittelpunkt ihres Lebens<br />

finden“. Die Förderung überwiegend<br />

kleinerer, wohnortnaher Einrichtungen, die<br />

spezifische Strukturierung des Wohnbereichs,<br />

die Einbeziehung von Gemeinschafts-<br />

<strong>und</strong> Therapieräumen, die Ergänzung<br />

durch weitere Angebote wie Tagespflege,<br />

Kurzzeitpflege, ambulanten Diensten,<br />

Beratungsstellen <strong>und</strong> offene Hilfen sollen<br />

den Charakter der <strong>Institut</strong>ion Pflegeheim<br />

verändern <strong>und</strong> sie zu einer offenen, in<br />

die Gemeinde integrierten Einrichtung werden<br />

lassen.<br />

Dass bei den Maßnahmen im stationären<br />

Sektor die gerontopsychiatrisch Erkrankten<br />

eine besondere Rolle spielen, ergibt<br />

sich aus der Tatsache, dass ihre Zahl<br />

infolge der demographischen Entwicklung<br />

erheblich zunehmen wird <strong>und</strong> deshalb<br />

adäquate, zukunftsweisende Lösungen zu<br />

suchen sind. Von daher hat sich das Modellprogramm<br />

nicht nur im stationären Bereich<br />

- u.a. mit der Förderung von Hausgemeinschaften,<br />

mit integrativen <strong>und</strong> segregativen<br />

Ansätzen, mit auf Demenzkranke<br />

zugeschnittenen Maßnahmen wie Therapiegärten<br />

usw., sondern auch im ambulanten<br />

<strong>und</strong> teilstationären Bereich mit dieser<br />

Zielgruppe befasst. Mit der Förderung<br />

von Modellen zur Unterstützung pflegender<br />

Angehöriger, mit gerontopsychiatrischen<br />

Verb<strong>und</strong>modellen - Vernetzung der regionalen<br />

Dienste <strong>und</strong> Einrichtungen <strong>für</strong> gerontopsychiatrisch<br />

Erkrankte -, mit Tagespflegeeinrichtungen<br />

<strong>und</strong> mit der Erprobung<br />

neuer, im ambulanten Bereich angesiedelter<br />

Wohnformen wie Wohngemeinschaften<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

27


Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

soll der Vorrang der häuslichen Pflege gestützt<br />

werden.<br />

Die Förderung von Einrichtungen <strong>für</strong><br />

gerontopsychiatrisch Erkrankte trägt ebenso<br />

zu der o.g. Differenzierung der (stationären)<br />

Pflegeinfrastruktur bei wie die Berücksichtigung<br />

von jüngeren Pflegebedürftigen,<br />

Schwerstpflegebedürftigen, Behinderten,<br />

Sterbenden oder - bezogen auf den<br />

ambulanten Sektor - pflegebedürftigen Migranten.<br />

Der Grad der Differenzierung <strong>und</strong><br />

Spezialisierung des Gesamtversorgungssystems<br />

ist ein wichtiges Kriterium <strong>für</strong> dessen<br />

(Struktur-)Qualität.<br />

Zusammenfassend lässt sich feststellen,<br />

dass mit den im Modellprogramm geförderten<br />

Maßnahmen in einer fiktiven<br />

Modellregion eine Pflegeinfrastruktur entwickelt<br />

worden ist, die sich durch Qualität<br />

<strong>und</strong> Effektivität auszeichnet, den im SGB XI<br />

vorgegebenen Gr<strong>und</strong>sätzen entspricht<br />

<strong>und</strong> vor allem auch Lösungen <strong>für</strong> die sich<br />

in Zukunft verschärfenden Probleme aufzeigt.<br />

Es ist wichtig, dass das Modellprogramm<br />

seiner Funktion als Wegbereiter gerecht<br />

wird, dass die Erfahrungen aus <strong>und</strong><br />

mit dem Modellprogramm, mit den unterschiedlichen<br />

Ansätzen genutzt <strong>und</strong> umgesetzt<br />

werden. Wenn hier von Erfahrungen<br />

gesprochen wird, so deutet dies an, dass<br />

der vorliegende sehr globale Überblick auf<br />

Umsetzungsprobleme oder auf weniger erfolgreiche<br />

Ansätze nicht eingehen konnte.<br />

Darüber hinaus darf nicht vergessen werden,<br />

dass die geförderten Modelleinrichtungen<br />

nicht repräsentativ <strong>für</strong> die Pflegeeinrichtungen<br />

in der B<strong>und</strong>esrepublik sind<br />

<strong>und</strong> dass die Bemühungen um eine - hier<br />

auf die Einzeleinrichtung <strong>und</strong> auf die direkte<br />

Dienstleitung bezogene - Qualitätsverbesserung<br />

forciert werden müssen.<br />

28<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Das ISO-<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Sozialwirtschaft</strong> e.V. begleitet das<br />

Modellprogramm seit 1991, zunächst im<br />

Auftrag des B<strong>und</strong>esarbeitsministeriums, seit<br />

1999 - nachdem die Zuständigkeit <strong>für</strong> die<br />

Pflegeversicherung auf dieses Ministerium<br />

übertragen wurde - im Auftrag des B<strong>und</strong>esministeriums<br />

<strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heit (<strong>und</strong> Soziale<br />

Sicherung). Die Zahl von über 450 geförderten<br />

Modellen macht deutlich, dass sich<br />

eine wissenschaftliche Begleitung Herausforderungen<br />

gegenübersieht, die sich<br />

deutlich von jenen unterscheiden, die bei<br />

der Begleitung eines oder weniger Maßnahmen<br />

zu bewältigen sind. Eine formative<br />

Prozessevaluation ist nur ansatzweise, bis zu<br />

einer bestimmten Ebene oder in ausgewählten<br />

Fällen möglich. Die Modellevaluierung<br />

zielt auf eine Auswertung der Modellinputs<br />

im Sinne einer Erfolgs- oder Wirkungskontrolle,<br />

wobei die mit dem Modell<br />

verknüpften Zielsetzungen den Maßstab<br />

bilden. Der Vergleich zwischen unterschiedlich<br />

strukturierten Maßnahmen, zwischen<br />

Modellen mit vergleichbarer Zielsetzung,<br />

steht im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Die Evaluierungsergebnisse sind<br />

Gr<strong>und</strong>lage jener Aufgabe der Wissenschaftlichen<br />

Begleitung, die insbesondere<br />

in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung<br />

gewonnen hat. Es geht um die Beratung,<br />

wobei zwischen der Beratung von<br />

(potentiellen) Modelleinrichtungen <strong>und</strong><br />

der Politikberatung zu unterscheiden ist.<br />

Der Beratungsbedarf <strong>und</strong> die Beratungsinhalte<br />

<strong>und</strong> damit auch die Beratungsintensität<br />

verändern sich sukzessive. Dominiert<br />

zunächst die Umsetzung der Modellkonzeption,<br />

treten später andere Probleme<br />

<strong>und</strong> Zielsetzungen in den Vordergr<strong>und</strong>. Es<br />

geht dann primär um eine Verbesserung<br />

der (Struktur- bzw. Prozess-)Qualität, d.h.


Franz Brandt: Alter <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

neue Angebotselemente, interne Umstrukturierungen,<br />

Öffentlichkeitsarbeit oder die<br />

regionale Vernetzung werden zu Beratungsthemen.<br />

Mit dem Transfer ihrer Ergebnisse<br />

nimmt die Wissenschaftliche Begleitung<br />

auch eine politikberatende Funktion wahr.<br />

Neben den Sachstands- <strong>und</strong> Ergebnisberichten<br />

unterstützen Kurzexpertisen, Handlungsempfehlungen<br />

<strong>und</strong> nicht zuletzt modell-<br />

oder themenspezifische Diskussionen<br />

das Ministerium bei der Wahrnehmung unterschiedlicher<br />

Aufgaben. Die Bandbreite<br />

reicht von modell(programm)relevanten<br />

Aktivitäten bis zur Berücksichtigung von<br />

Modellergebnissen bei Gesetzesvorhaben<br />

oder bei sonstigen Aufgaben.<br />

▪<br />

Franz Brandt,<br />

Wissenschaftlicher Leiter des Forschungsbereichs<br />

„Alterns-, Versorgungs-<br />

<strong>und</strong> Problemgruppenforschung“,<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

e-mail: brandt@iso-institut.de<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

29


„Und dann geht einem spätestens beim Pflegefokus das Licht auf.“<br />

Zur Alltagsrelevanz eines Verfahrens zur Beurteilung der Pflegewirkung<br />

1<br />

30<br />

1. Handlungsbedarf bei Pflegeplanung<br />

<strong>und</strong> -dokumentation<br />

Die im Rahmen der Pflegeversicherung<br />

geforderte systematische Pflegeplanung<br />

<strong>und</strong> -dokumentation stellte viele Alten-<br />

<strong>und</strong> Pflegeheime vor große Probleme.<br />

Zwar gibt es mittlerweile sowohl eine Fülle<br />

von Mappen <strong>und</strong> Formularen, die verschiedene<br />

Anbieter auf den Markt gebracht<br />

haben, als auch zahlreiche Schulungsangebote,<br />

die sich theoretisch <strong>und</strong><br />

praktisch mit dieser Thematik auseinandersetzen,<br />

dennoch beklagen Vertreter/innen<br />

des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung<br />

(MDK) auch heute noch,<br />

dass die Pflegeplanungen <strong>für</strong> die konkrete<br />

pflegerische Arbeit kaum von Relevanz<br />

sind: „Man trifft oft auf Pflegeplanungen,<br />

die sind ein halbes Jahr oder ein Jahr alt.<br />

Da wird dann zwar gesagt, wir haben uns<br />

das zwischendurch angeschaut, aber das<br />

1 Dieser Beitrag stützt sich auf die Ergebnisse einer<br />

explorativen Studie, die im Auftrag des Caritasverbandes<br />

<strong>für</strong> die Diözese Eichstätt durchgeführt<br />

wurde. Koautor der Veröffentlichung „Der Pflegefokus.<br />

Ein Verfahren zur Beurteilung der Pflegewirkung<br />

<strong>und</strong> seine Umsetzung“ ist der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

des Verbandes, Matthias<br />

Helfrich, der das Verfahren „Pflegefokus“ konzipiert<br />

hat. Im Mittelpunkt der Untersuchung in vier<br />

ausgewählten Altenheimen standen die sozialen<br />

Veränderungsprozesse, die die Umsetzung des<br />

Pflegefokus impliziert. Dabei konzentrierte sich die<br />

Datenerhebung in Form von leitfadengestützten<br />

Interviews auf die Perspektive der Mitarbeiter/innen,<br />

die Sicht der Bewohner/innen ist nur<br />

vermittelt eingeflossen. Externe Einschätzungen<br />

des Pflegefokus lieferten Expertengespräche mit<br />

Vertreterinnen <strong>und</strong> Vertretern des Medizinischen<br />

Dienstes der Krankenversicherung.<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Maria Zörkler<br />

ist nirgendwo vermerkt. Und wenn man<br />

dann genau nachfragt, hat sich der Zustand<br />

vom Patienten doch geändert, ohne<br />

dass das dann ausdrücklich vermerkt wurde.“<br />

Die schriftlichen Auswertungen der<br />

Qualitätsprüfungen des MDK belegen,<br />

dass die praktische Umsetzung des Pflegeprozesses<br />

nicht mit den gestiegenen Anforderungen<br />

Schritt halten kann <strong>und</strong> die<br />

Pflegedokumentation als zentrale Gr<strong>und</strong>lage<br />

<strong>für</strong> eine kontinuierliche, fachgerechte<br />

<strong>und</strong> geplante Pflege häufig Mängel aufweist.<br />

2 Auch wissenschaftliche Untersuchungen<br />

kommen zu dem gleichen<br />

Schluss. Als Ursachen <strong>für</strong> die Qualitätsdefizite<br />

werden neben dem fehlenden Prozessverständnis<br />

Formulierungsschwierigkeiten,<br />

unzureichende Schulung <strong>und</strong> ein unpraktikabler<br />

Aufbau des Dokumentationssystems<br />

genannt. 3<br />

An dieser „Schwachstelle“ setzt der<br />

Pflegefokus an. „Warum läuft es mit der<br />

Pflegeplanung in der Praxis so schwer?“<br />

<strong>und</strong> „Wie gelingt es, den gesamten Pflegeprozess<br />

im Alltag umzusetzen?“ waren<br />

die Ausgangsfragen, die sich der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

<strong>und</strong> Leiter<br />

2 vgl. Brucker, Uwe: Qualitätssicherung im stationären<br />

Bereich aus der Sicht des Medizinischen Dienstes<br />

der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS)<br />

Essen, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-<br />

Stiftung, Abt. Arbeit <strong>und</strong> Sozialpolitik (Hg.): Qualitätssicherung<br />

in der Pflege, Bonn 1999. S. 57ff.<br />

3 vgl. Höhmann, Ulrike, u.a.: Die Bedeutung des<br />

Pflegeplanes <strong>für</strong> die Qualitätssicherung in der<br />

Pflege. Hrsg. vom B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Arbeit<br />

<strong>und</strong> Sozialordnung, Bonn 1996; Flumeri, Di, u.a.:<br />

Pflegedokumentationen entsprechen nicht den<br />

Anforderungen: www.pflegenet. com


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

des Referates „Qualität <strong>und</strong> Bildung im<br />

Pflegebereich“ beim Caritasverband <strong>für</strong><br />

die Diözese Eichstätt stellte. Im Rahmen eines<br />

Qualitätsmanagementprozesses nach<br />

DIN ISO 9001 war deutlich geworden, dass<br />

in den 19 stationären Einrichtungen des<br />

Verbandes insbesondere die Dokumentation<br />

der Pflegemaßnahmen noch zu<br />

verbessern war. Auch mit der Pflegeplanung,<br />

bei der die Ziele pflegerischen Handelns<br />

formuliert <strong>und</strong> mit den tatsächlich erreichten<br />

Ergebnissen verglichen werden,<br />

gab es noch wenig Erfahrungen. Vor diesem<br />

Hintergr<strong>und</strong> hat der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

ein eigenes Verfahren<br />

zur Beurteilung der Pflegewirkung in stationären<br />

Einrichtungen entwickelt, den Pflegefokus.<br />

Dazu wurde u.a. ein gesondertes<br />

Dokumentationsformular entworfen, das es<br />

ermöglicht, verschiedene Schritte des Pflegeprozesses<br />

konzentriert zu bündeln. Die<br />

Methode des Pflegefokus sieht vor, dass<br />

bei der Pflege einer Bewohnerin oder eines<br />

Bewohners die als notwendig erachteten<br />

Maßnahmen in regelmäßigen Abständen<br />

überprüft sowie Veränderungen festgehalten<br />

werden. Dabei sind drei Gr<strong>und</strong>prinzipien<br />

zu berücksichtigen: die Beobachtung<br />

muss 1. aufmerksam, 2. gezielt<br />

<strong>und</strong> 3. systematisch erfolgen. Alle Mitarbeiter/innen,<br />

die <strong>für</strong> eine bestimmte Zeit<br />

während einer Schicht Bewohner/innen<br />

solchermaßen in den Blick nehmen bzw.<br />

„fokussieren“, sollten bereit sein, sich intensiv<br />

mit der Person der/des Betreuten zu befassen<br />

<strong>und</strong> vor allem auch das eigene<br />

Handeln in dieser Beziehung mit zu reflektieren.<br />

Die pflegerische Tätigkeit ist daher<br />

als eingeb<strong>und</strong>en in ein Prozessgeschehen<br />

zu sehen, das immer wieder neu gemeinsam<br />

mit anderen kommunikativ „ausgehandelt“<br />

wird.<br />

2. Zur Implementierung des<br />

Pflegefokus<br />

Gerade in einer Zeit, in der sich Pflegende<br />

bei Neuerungen oftmals als fremdbestimmt<br />

erleben, ist es besonders wichtig,<br />

dass bei der Einführung von Maßnahmen<br />

<strong>und</strong> Instrumenten deren Sinnhaftigkeit <strong>für</strong><br />

die Pflegepraxis erkennbar wird. Auf diesen<br />

Sachverhalt weisen Expert/innen immer<br />

wieder hin. 4 Die Entstehung des Pflegefokus<br />

gründet sich u.a. im Erleben eines solchen<br />

Mangels an Bedeutung. Mit Hilfe dieses<br />

Konzeptes soll die Pflegeplanung in der<br />

täglichen Arbeit an Wert gewinnen <strong>und</strong><br />

vornehmlich die Beurteilung der Pflegewirkung<br />

als einer von verschiedenen Schritten<br />

des Pflegeprozesses fester Bestandteil des<br />

pflegerischen Handelns werden. Im Unterschied<br />

zu vielen anderen Vorgaben, mit<br />

denen sich Pflegekräfte konfrontiert sehen,<br />

wurde der Pflegefokus aus dem pflegerischen<br />

Alltag heraus als Reaktion auf die<br />

Unzufriedenheit mit der Pflegeplanung<br />

entwickelt. Zwar war der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

des Verbandes als<br />

treibende Kraft aktiv, aber von Beginn an<br />

waren insbesondere auch die leitenden<br />

Pflegekräfte in den Ausformungsprozess<br />

konstitutiv mit eingeb<strong>und</strong>en. Die entscheidende<br />

Gestaltungsidee <strong>für</strong> ein Pflegeplanungsblatt<br />

kam sogar aus einem der Pflegeteams.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> waren<br />

gute Voraussetzungen <strong>für</strong> eine breite Akzeptanz<br />

des Pflegefokus gegeben.<br />

Aus allen vier in die Untersuchung<br />

einbezogenen Einrichtungen haben Mitarbeiter/innen<br />

verschiedene Fortbildungskur-<br />

4 vgl. u.a. Garms-Homolová, Vjenka; Niehörster,<br />

Gabriele: PflegeDokumentation: auswählen <strong>und</strong><br />

erfolgreich anwenden in Pflegeeinrichtungen,<br />

Hannover 1997<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

31


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

se des Diözesancaritasverbandes besucht,<br />

die entweder ausschließlich den Pflegefokus<br />

zum Thema hatten oder ihn in anderen<br />

Zusammenhängen als Teilaspekt behandelten.<br />

So wurde z.B. in einer Veranstaltung<br />

<strong>für</strong> alle Mitarbeiter/innen der Heime der<br />

Pflegefokus unter dem Titel „Beobachten<br />

will gelernt sein“ vorgestellt. Das Konzept<br />

war auch Gegenstand im Rahmen einer<br />

Fortbildungsreihe <strong>für</strong> Pflegehilfskräfte in der<br />

stationären Altenpflege. Alle Fortbildungsangebote<br />

- zeitlich <strong>und</strong> regional gestreut -<br />

wurden rege nachgefragt. Sowohl Fachals<br />

auch Hilfskräfte können daher als Multiplikator/innen<br />

tätig werden <strong>und</strong> stehen ihren<br />

Kolleg/innen <strong>für</strong> Nachfragen zur Verfügung.<br />

Dass dies nicht nur ein theoretischer<br />

Anspruch ist, sondern auch im Alltag praktiziert<br />

wird, geht aus den Interviews hervor,<br />

bei denen auch Mitarbeiter/innen befragt<br />

wurden, die nicht direkt an einer Fortbildungsveranstaltung<br />

beteiligt gewesen waren.<br />

Selbst Pflegekräfte, die den Neuerungen<br />

skeptisch gegenüberstanden, konnten<br />

sich nach <strong>und</strong> nach mit der Idee anfre<strong>und</strong>en,<br />

wie eine Bereichsleitung berichtet:<br />

„Auch Mitarbeiter, die immer dagegen<br />

moniert haben, haben auf einmal gesagt,<br />

das ist ja eigentlich ganz toll.“<br />

Unabdingbar <strong>für</strong> den Erfolg des Pflegefokus<br />

war <strong>und</strong> ist die kontinuierliche Begleitung<br />

<strong>und</strong> Unterstützung durch den<br />

Qualitätsmanagementbeauftragten. Dabei<br />

präsentiert er das Konzept nicht als<br />

starres Schema, das den Einrichtungen autoritär<br />

übergestülpt wird, sondern Anregungen<br />

<strong>und</strong> Kritik der Mitarbeiter/innen<br />

werden stets aufgenommen <strong>und</strong> wertgeschätzt.<br />

Die Pflegekräfte erleben sich daher<br />

selbst als Agierende, weil sich die Ausgestaltung<br />

des Pflegefokus auch an ihren<br />

Verbesserungsvorschlägen orientiert <strong>und</strong><br />

32<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

sie den Nutzen direkt überprüfen können.<br />

Dies ist speziell bei individuellen Fallberatungen<br />

möglich, die der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

anbietet. Ganz besonders<br />

schätzen es die Mitarbeiter/innen,<br />

dass der Pflegefokus gezielt auch ihrer Entlastung<br />

dienen soll <strong>und</strong> nicht nur bestimmten<br />

pflegefachlichen <strong>und</strong>/oder ordnungspolitischen<br />

Auflagen Genüge getan wird:<br />

„Uns war das geforderte Ausmaß der Pflegeplanungen<br />

zu umfangreich, zu zeitintensiv.<br />

Durch die jetzigen Änderungen <strong>für</strong> den<br />

Caritasverband sind die Planungen viel<br />

kompakter <strong>und</strong> nicht so aufwendig.“ Das<br />

neue Konzept wurde so vor allem <strong>für</strong> die<br />

Leitungskräfte zu „ihrer“ Angelegenheit.<br />

„Den Pflegefokus hat uns niemand vorgeschrieben,<br />

das ist wirklich eine Selbstentwicklung,<br />

die von innen heraus kam, nicht<br />

von außen als Druck“, beschreibt es eine<br />

Bereichsleitung.<br />

Trotz dieser Identifikation mit dem<br />

„Produkt“ Pflegefokus wird von Phasen berichtet,<br />

in denen die Umsetzung des Verfahrens<br />

ins Stocken geraten ist, sei es, weil<br />

äußere Einflüsse, wie z.B. ein Umbau, den<br />

normalen Arbeitsablauf gestört haben, sei<br />

es, dass durch akute personelle Engpässe<br />

der Pflegefokus in der Reihenfolge der unbedingt<br />

zu erledigenden Tätigkeiten nicht<br />

als vordringlich angesehen wurde. Es hat<br />

sich gezeigt, dass gerade in oder nach<br />

solchen Zeitabschnitten externe Hilfestellung<br />

durch den Qualitätsmanagementbeauftragten<br />

vonnöten ist, um den Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeitern die Relevanz eines<br />

funktionierenden Pflegefokus wiederum<br />

vor Augen zu führen. Auch die Studie<br />

des ISO-<strong>Institut</strong>s wurde von den Einrichtungen<br />

als Chance zur Intensivierung ihrer<br />

Bemühungen wahrgenommen. Die Interviews<br />

<strong>und</strong> die dadurch geförderte bewuss-


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

te Auseinandersetzung mit dem Konzept<br />

rückten den Pflegefokus eine Zeit lang in<br />

den Mittelpunkt.<br />

Im Rahmen des Qualitätsmanagementprozesses<br />

ist der Pflegefokus in regelmäßigen<br />

Abständen auch Gegenstand<br />

von Audits, in denen zum einen die vorliegenden<br />

Pflegedokumentationen als Bewertungsgr<strong>und</strong>lage<br />

herangezogen werden.<br />

Zum anderen finden ausführliche Gespräche<br />

mit den Heim-, Gesamtbereichs<strong>und</strong><br />

Bereichsleitungen über den Pflegefokus<br />

statt, die den Stand der Umsetzung, die<br />

Probleme <strong>und</strong> die Zielerreichung zum Thema<br />

haben.<br />

3. Auswirkungen des Pflegefokus<br />

auf den Arbeitsalltag<br />

der Pflegekräfte<br />

Im Zusammenhang mit den gr<strong>und</strong>legenden<br />

Fragestellungen der Studie, die<br />

auf die durch den Pflegefokus angeregten<br />

<strong>und</strong> mitgestalteten Veränderungsprozesse<br />

abzielten, wurde in den Interviews mit Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeitern der vier<br />

Heime auch der allgemeine Stellenwert<br />

dieses Konzeptes <strong>für</strong> die Pflegearbeit thematisiert.<br />

Vor allem in Antworten auf die<br />

Fragen: „Was würden Sie sagen, wenn Sie<br />

jemandem, der oder die noch nichts vom<br />

Pflegefokus gehört hat, erklären müssten,<br />

was das ist? Wie würden Sie Fremden beschreiben,<br />

was Sie beim Pflegefokus tun?“<br />

wird die Vielfalt der Facetten deutlich, die<br />

der Einsatz des Pflegefokus impliziert. Vier<br />

Beispiele sollen dies belegen. Dabei stammen<br />

die Aussagen nicht von Führungskräften,<br />

die es qua Leitungsfunktion gewöhnt<br />

sind, Alltagshandeln zu strukturieren, in seinen<br />

Bedingungen zu reflektieren <strong>und</strong> auf<br />

den Begriff zu bringen. Vielmehr wurden<br />

hier bewusst Darstellungen von Pflegehelferinnen<br />

<strong>und</strong> Pflegehelfern ausgewählt:<br />

„Jeder Bewohner, wenn er kommt,<br />

wird bei uns erst mal ein paar Tage eben<br />

angeschaut, wie sein Zustand ist, was er<br />

kann, was er nicht kann, in welchen Bereichen<br />

man unterstützend pflegen kann.<br />

Und das setzt man sich als Ziele, dass man<br />

da eben unterstützt. Und mit dem Pflegefokus<br />

kann ich recht einfach überprüfen,<br />

ob ich Ziele erreicht habe, ob man die<br />

Pflege umstellen muss, um das Ziel zu erreichen.<br />

Also dass man eben noch individueller<br />

dem Bewohner es angenehm machen<br />

kann, <strong>und</strong> aber auch aktivierend.“ (Pflegehelfer,<br />

Haus D)<br />

„Der Sinn ist ganz einfach, dass man<br />

den Bewohner besser beobachtet, dass<br />

man weiß, auf was man achten soll, was<br />

man bei diesem bestimmten Bewohner zu<br />

machen hat, weil jeder hat ja seine spezielle,<br />

seine eigene Pflege. Und diese Kontrolle<br />

durch den Pflegefokus ist dazu gut zum<br />

Schauen, ob sich was verändert hat, z.B.<br />

ob der noch selbstständig essen kann oder<br />

ob er es jetzt nicht mehr kann, ob er noch<br />

selbstständig laufen kann oder ob er jetzt<br />

mehr mit dem Rollstuhl fährt, <strong>und</strong> das, was<br />

sich eben verändert hat, dann einzutragen,<br />

damit die anderen das dann auch<br />

wissen.“ (Pflegehelferin, Haus B)<br />

„Man schaut, wie sich der Mensch<br />

morgens verhält beim Pflegen, ob er noch<br />

irgendwas selber machen kann, man gibt<br />

ihm vielleicht mal einen Waschlappen selber<br />

in die Hand, bevor man wäscht,<br />

schaut, ob da noch irgendwas da ist, dann<br />

kann ich schon meine erste Notiz machen.<br />

Oder man lässt ihn aufstehen <strong>und</strong> der Stuhl<br />

ist dann nass, hoppla, da muss jetzt irgendwas<br />

verändert werden, entweder<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

33


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

man macht mehrere Toilettengänge, oder<br />

wenn die Toilettengänge quasi über die<br />

Kraft des Bewohners dann hinausgehen<br />

würden, dass man dann eine andere Einlage<br />

einlegt.“ (Pflegehelfer, Haus C)<br />

„Da kann ich eigentlich nur sagen,<br />

dass es bei uns eben Formulare gibt, die<br />

wir ausfüllen, wo der Bewohner schon beobachtet<br />

wird, was er alles kann oder selber<br />

noch kann, was wir eventuell machen<br />

müssen. Und das muss auf diesem Plan<br />

eben erfasst werden, damit auch ein Kollege,<br />

der einfach da reinschaut, sagen<br />

kann, nach dem, was da drauf steht, könnte<br />

das der- oder diejenige sein. Dass das<br />

ein anderer erfassen kann. Und dass es<br />

auch <strong>für</strong> uns irgendwo eine Erleichterung<br />

ist, dass man sagt, oh, da schau ich jetzt<br />

heute noch mal nach, wie war das jetzt,<br />

kann der jetzt eigentlich selber. Da geh ich<br />

einfach mal hin <strong>und</strong> schau mal in das Blatt<br />

rein. Oder der Kollege fragt, wie war das<br />

jetzt, <strong>und</strong> dann kann man sagen, schau<br />

halt nach, das müsste da drinstehen.“<br />

(Pflegehelferin, Haus D)<br />

In den vier Textstellen steht das<br />

handlungsleitende Prinzip der Beobachtung<br />

im Vordergr<strong>und</strong>, d.h. die Tatsache,<br />

dass die Bewohner/innen beim Pflegefokus<br />

in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken<br />

sollen, bestimmt das Verständnis <strong>für</strong> das<br />

Pflegefokus-Verfahren. Selbstständigkeit<br />

<strong>und</strong> Individualität werden als dominierende<br />

Zielvorgaben hervorgehoben, die eine<br />

„unterstützende“ Pflege - in der Balance<br />

zwischen „angenehm machen“ <strong>und</strong> „aktivieren“<br />

- prägen. Als konstitutives Element<br />

ist auch die Wahrnehmung von Veränderungen<br />

zu sehen, deren Dokumentation<br />

die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> eine systematische Überprüfung<br />

der Pflegewirkung darstellt.<br />

Dass diese Art des Wissenstransfers die<br />

34<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

kommunikative Verständigung mit Kolleg/innen<br />

beeinflusst, sie sogar erleichtern<br />

kann, wird als weiterer wesentlicher Faktor<br />

angeführt.<br />

Für alle bei der Untersuchung Befragten<br />

ist der Pflegefokus in vielerlei Hinsicht<br />

bedeutsam <strong>für</strong> ihre Arbeit - <strong>und</strong> wird nicht<br />

nur als von außen herangetragene Anforderung,<br />

sondern auch als Hilfe erlebt. Es<br />

liegt in der Natur der Sache, dass dabei<br />

die Vorteile <strong>für</strong> die Pflegeplanung besonders<br />

betont werden.<br />

3.1 Größere Akzeptanz<br />

von Pflegeplanung<br />

Im Gegensatz zu anderen Pflegeplanungsbögen,<br />

die teilweise fast ausschließlich<br />

offene Antwortmöglichkeiten vorsehen<br />

oder mit fest vorgegebenen Inhalten, die<br />

angekreuzt werden können, überfrachtet<br />

sind, ist das vom Qualitätsmanagementbeauftragten<br />

neu gestaltete Pflegeplanungsblatt<br />

<strong>für</strong> die Pflegekräfte nach ihren<br />

Angaben gut handhabbar. Das klar gegliederte<br />

Schema mit den angebotenen<br />

Abkürzungen <strong>und</strong> Reduktionen (so können<br />

z.B. die Ziele anhand einer Legende nur als<br />

Zahl eingetragen werden) setzt <strong>für</strong> viele<br />

Mitarbeiter/innen die Hemmschwelle herab,<br />

sich an die Erstellung einer Pflegeplanung<br />

heranzuwagen. „Dadurch, wie die<br />

Formblätter vorgegeben sind, habe ich<br />

schon einmal Anhaltspunkte, nach denen<br />

ich mich richten kann. Jetzt ist die Pflegeplanung<br />

übersichtlicher gegenüber dem,<br />

was wir in der Schule gelernt haben“, sagt<br />

eine jüngere Pflegefachkraft. Auch von älteren<br />

Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern,<br />

bei deren Ausbildung die Pflegeplanung<br />

noch nicht Bestandteil des Curriculums war<br />

<strong>und</strong> die sich diese Thematik „nebenbei“


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

erarbeiten mussten, wird diese Art des Dokumentierens<br />

bevorzugt.<br />

Das in Zusammenhang mit dem Pflegefokus-Verfahren<br />

entwickelte Instrument<br />

greift u.a. auf die begrifflichen Vorgaben<br />

des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung<br />

zurück <strong>und</strong> macht so <strong>für</strong> die<br />

Mitarbeiter/innen von Anfang an die Implikationen<br />

ihrer Eintragungen erkennbar. Die<br />

schriftlichen Ausführungen sind daher<br />

auch aus diesem Gr<strong>und</strong> nicht nur „Prosa“,<br />

die keine Relevanz <strong>für</strong> den Alltag hat, sondern<br />

sie knüpfen an eine Wirklichkeit an,<br />

die oft als Bedrohung empf<strong>und</strong>en wird: die<br />

Einstufungspraxis des MDK. Das Formular<br />

belegt zum einen, dass die Einstufungen<br />

eine reale Gr<strong>und</strong>lage haben, zum anderen<br />

wird der Zusammenhang zwischen Ziel<br />

<strong>und</strong> Maßnahme - im wahrsten Sinne des<br />

Wortes - auf einen Blick deutlich.<br />

Trotz der von allen konstatierten Erleichterungen<br />

fällt es aber nach wie vor<br />

einigen Mitarbeiter/innen schwer, passende<br />

<strong>und</strong> aussagekräftige Formulierungen zu<br />

finden. Dabei sind es in der Mehrzahl Pflegehilfskräfte,<br />

die offen ihre Probleme mit<br />

dem Schreiben zugeben: „Das Schreiben<br />

ist <strong>für</strong> mich eher schwer, also wie ich das<br />

Ganze übersetzen soll, damit die anderen<br />

es auch verstehen“. Aber auch <strong>für</strong> Fachkräfte<br />

ist die Schreibarbeit manchmal<br />

noch ein notwendiges Übel. Dies gilt vor<br />

allem, wenn sich die Situation einer Bewohnerin<br />

oder eines Bewohners gravierend<br />

verschlechtert, so dass sie bzw. er<br />

bettlägerig wird: „Dann muss man vom ersten<br />

bis zum letzten Punkt alles umschreiben,<br />

da muss man ganz neu überlegen<br />

<strong>und</strong> kann sich nicht an anderen Eintragungen<br />

orientieren, das ist dann schon<br />

nicht einfach.“<br />

Spezielle Probleme bei der schriftlichen<br />

Niederlegung der Planungsschritte<br />

haben die ausländischen Mitarbeiter/innen<br />

bzw. diejenigen, deren Muttersprache<br />

nicht deutsch ist. Diese Situation findet sich<br />

in allen vier Einrichtungen. Die Bereichsleitungen<br />

versuchen, Ängste u.a. dadurch zu<br />

nehmen, dass sie die Bedeutung von korrekter<br />

Orthographie <strong>und</strong>/oder Grammatik<br />

abschwächen: „Ich sage immer, es ist egal,<br />

ob das jetzt grammatikalisch oder von<br />

der Rechtschreibung her perfekt ist, Hauptsache<br />

man weiß, worum es geht.“ Dennoch<br />

bleibt bei vielen eine Scheu davor,<br />

Blößen zu zeigen <strong>und</strong> eventuell dem Spott<br />

anderer ausgesetzt zu sein. Aufgr<strong>und</strong> des<br />

zunehmenden Personalmangels auf dem<br />

Pflege-Arbeitsmarkt ist die Wahrscheinlichkeit<br />

hoch, dass in absehbarer Zeit nicht nur<br />

über AB- oder BSHG-Maßnahmen Ausländer/innen<br />

als Arbeitskräfte in die Heime<br />

kommen, sondern dass mittelfristig Mitarbeiter/innen<br />

aus anderen Ländern angeworben<br />

werden müssen, d.h. dass sich die<br />

Zahl nicht deutsch sprechender Pflegekräfte<br />

erhöhen wird. Diese sind dann bei Pflegeplanung<br />

<strong>und</strong> Pflegefokus in besonderer<br />

Weise auf die Unterstützung ihrer Kolleg/innen<br />

angewiesen.<br />

Obwohl sich die Mitarbeiter/innen<br />

nach wie vor nicht immer gerne an die<br />

Schreibarbeit machen, sehen sie jetzt<br />

deutlich deren Nutzen <strong>für</strong> die Pflege. „Für<br />

mich hat die Pflegeplanung jetzt einen<br />

anderen Stellenwert. Jetzt ist sie aktuell <strong>und</strong><br />

mir ist klar, warum ich sie schreibe“ - formuliert<br />

es eine Altenpflegerin. Und eine<br />

Pflegehilfskraft zieht folgendes Fazit: „Dadurch,<br />

dass ich auf dem Pflegeplanungsblatt<br />

<strong>und</strong> allgemein in der Pflegedokumentation<br />

alles nachlesen kann, bin ich besser<br />

informiert“. Während eine Befragung von<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

35


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

30 Pflegekräften aus anderen stationären<br />

Einrichtungen in Bayern im Rahmen einer<br />

Fortbildungsveranstaltung ergab, dass diese<br />

die Pflegeplanung <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Arbeitsschritte oftmals als unüberwindbaren<br />

Berg vor sich sehen <strong>und</strong> sie<br />

zu über 60% als „Zeitfresser“ bewerten5 ,<br />

überwiegen bei den Mitarbeiterinnen <strong>und</strong><br />

Mitarbeitern in den vier Caritas-Altenheimen<br />

klar die positiven Assoziationen, ja<br />

einige betonen sogar die Zeitersparnis, die<br />

sich durch eine gut strukturierte <strong>und</strong> regelmäßig<br />

kontrollierte Pflegeplanung ergibt.<br />

Das einheitliche, <strong>für</strong> alle verbindliche<br />

Vorgehen liefert aktuelle Informationen,<br />

die jede Mitarbeiterin <strong>und</strong> jeden Mitarbeiter<br />

in den Stand versetzen, sich schnell ein<br />

Bild über den Zustand der Bewohner/innen<br />

zu machen: „Wenn es eingetragen ist im<br />

Pflegeplanungsblatt, brauche ich nur dort<br />

nachzuschauen, <strong>und</strong> muss nicht Dokumentationsunterlagen<br />

von Monaten rauskramen<br />

<strong>und</strong> die durcharbeiten.“<br />

Durch die regelmäßige Überprüfung<br />

der Zielerreichung beim Pflegefokus wird<br />

das Planungsgeschehen rückgeb<strong>und</strong>en<br />

an die tägliche Arbeit. Dies wird nach Ansicht<br />

der Mitarbeiter/innen insbesondere<br />

durch den Aufbau des Pflegeplanungsblattes<br />

zusammen mit der Verfahrensanweisung<br />

<strong>für</strong> Änderungen möglich. Während<br />

früher die Bögen schnell unübersichtlich<br />

wurden, „so dass es mühsam war, das<br />

nachzulesen“, ist jetzt nachvollziehbar, wer,<br />

wann, was <strong>und</strong> in welchem Bereich geändert<br />

hat. Darüber hinaus gewährleistet das<br />

von den Bereichsleitungen organisierte<br />

zeitliche Ablaufschema, „dass alle einmal<br />

5 Die Befragung fand statt im Rahmen eines Seminars<br />

zum Thema „Auf dem Prüfstand: der Pflegefokus“<br />

in der Katholischen Akademie <strong>für</strong> Berufe im<br />

Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialwesen in Bayern e.V., Regensburg.<br />

36<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

drankommen“. Allein schon diese formalen<br />

Hilfestellungen führten zu einer stärkeren<br />

Einsicht in die Sinnhaftigkeit von Pflegeplanung.<br />

Die Pflegekräfte können jetzt eben in<br />

einem Blick erfassen, „ob das der- oder<br />

diejenige sein kann“, wie eine Pflegehelferin<br />

aus Haus D in ihrer Beschreibung des<br />

Pflegefokus herausgestellt hat. Auch Aussagen<br />

wie „Da geh ich einfach mal hin<br />

<strong>und</strong> schau mal in das Blatt rein“ oder - an<br />

Kolleg/innen gerichtet - „Schau halt nach,<br />

das müsste da drin stehen“ belegen beispielhaft<br />

die Alltagsrelevanz der Pflegeplanung.<br />

Wie der Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

in seinem Konzeptentwurf vermutete,<br />

ist es vor allem die durch die systematische<br />

Kontrolle gewährleistete Aktualität<br />

der Inhalte, die die Pflegekräfte über-<br />

zeugt. 6<br />

3.2 Erhöhte Sensibilität <strong>für</strong> eine<br />

individuelle Ausrichtung der Pflege<br />

In verschiedenen Studien ist belegt,<br />

dass die Generation der jetzigen Bewohner/innen<br />

im Altenheim nicht daran gewöhnt<br />

ist, eigene Wünsche zu äußern. 7<br />

Bewohner/innen, die selbstbewusst die<br />

Rahmenbedingungen ihrer Pflege mit bestimmen,<br />

sind die Ausnahme. Auch bei gesondert<br />

durchgeführten Befragungen, die<br />

die Bewohnerzufriedenheit ermitteln sollen,<br />

ist die Scheu oft groß, Kritikpunkte <strong>und</strong><br />

Verbesserungsvorschläge zu nennen. Der<br />

„K<strong>und</strong>enorientierung“, die sich viele Einrichtungen<br />

in ihren Qualitätsmanagement-<br />

6 vgl. Helfrich, Matthias: Im Mittelpunkt des Interesses,<br />

in: Altenpflege 24(1999)6: 38 - 39; Helfrich,<br />

Matthias: Das Pflegekonzept „Pflegefokus“ richtet<br />

den Blick auf das Hier <strong>und</strong> Jetzt, in: Deutscher Caritasverband<br />

(Hg.): Caritas 2000. Jahrbuch des<br />

Deutschen Caritasverbandes, Freiburg 2000: 219 -<br />

225<br />

7 vgl. u.a. Sachweh, Svenja: „Schätzle hinsitze!“.<br />

Kommunikation in der Altenpflege, Frankfurt a.M.<br />

1999


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

Handbüchern vorgenommen haben, fehlt<br />

daher oftmals die Basis. Hier hat sich gezeigt,<br />

dass die Arbeit mit dem Pflegefokus<br />

die Möglichkeit bietet, ganz konkret im Alltagsgeschehen<br />

auf die Bedürfnisse <strong>und</strong> individuellen<br />

Vorlieben von Bewohnerinnen<br />

<strong>und</strong> Bewohnern aufmerksam zu werden.<br />

Die Begegnung, der direkte Austausch zwischen<br />

Mitarbeiter/in <strong>und</strong> Bewohner/in als<br />

Informationsquelle <strong>für</strong> die im Rahmen des<br />

Qualitätsmanagementprozesses geforderte<br />

kontinuierliche Verbesserung kann somit<br />

einen höheren Stellenwert gewinnen.<br />

Denn innovative Qualitätssicherung „setzt<br />

nicht erst ein, wenn die Heimaufsicht einen<br />

Mangel festgestellt oder wenn sich ein Bewohner/Mieter<br />

beschwert hat, sondern sie<br />

muss als wesentlicher Faktor in die tägliche<br />

Routine der Wohn-Pflege-Gruppe integriert<br />

sein.“ 8<br />

Eines der Caritas-Altenheime hat den<br />

Tag, an dem während der Pflege eine Bewohnerin<br />

oder ein Bewohner beim Pflegefokus<br />

beobachtet wird, in besonderer Weise<br />

konzeptionell definiert. „Der Pflegefokustag<br />

soll <strong>für</strong> unsere Bewohner etwas ganz<br />

besonderes sein. An diesem Tag sollen sie,<br />

so wie an einem Geburtstag, in den Mittelpunkt<br />

des Geschehens gerückt werden!“<br />

heißt es in einem Informationsblatt, auf<br />

dem die Verfahrensschritte zur Durchführung<br />

des Pflegefokus festgehalten sind.<br />

Den Pflegekräften wird durch die Assoziation<br />

„Geburtstag“ zum einen die individuelle<br />

Persönlichkeit <strong>und</strong> Geschichte der Bewohnerin/des<br />

Bewohners vor Augen geführt,<br />

zum anderen legt sie eine Zäsur im<br />

Arbeitsablauf nahe. Der Pflegefokus an einem<br />

solchen „Geburtstag“ endet im Unterschied<br />

zu den anderen Häusern dann<br />

8 Behr, Renate, u.a.: Vom Pflegeheim zum Altenwohnhaus,<br />

Frankfurt a.M. 1995: 41<br />

auch nicht nach der Übergabe vom Frühdienst<br />

an den Spätdienst, sondern umfasst<br />

gleichermaßen die Beobachtungen des<br />

Spät- <strong>und</strong> Nachtdienstes.<br />

In allen Häusern sind die Mitarbeiter/innen<br />

beim Pflegefokus dazu aufgefordert,<br />

noch vorhandene Fähigkeiten der<br />

Bewohner/innen neu zu gewichten. Sowohl<br />

die Unterstützung von Unselbstständigkeit<br />

durch das Personal als auch die<br />

Wirkung von prophylaktischen Maßnahmen,<br />

die eingesetzt werden, um der<br />

schleichenden Abnahme von Kompetenzen<br />

zu begegnen, lassen sich - so der einhellige<br />

Tenor - jetzt leichter nachweisen.<br />

Für die Pflegekräfte wird offensichtlich,<br />

dass „aktivierende <strong>und</strong> potentialfördernde<br />

Pflege ... nicht nur von dem Engagement<br />

<strong>und</strong> Willen der MitarbeiterInnen abhängig<br />

/ist/, sondern ... eine Systematik <strong>und</strong> geeignete<br />

Hilfsmittel“ 9 erfordert. Sie ermöglichen<br />

es, den Erfolg von Pflegemaßnahmen<br />

auf der Basis von dokumentierten Informationen<br />

zu bewerten <strong>und</strong> <strong>für</strong> alle<br />

transparent zu machen. Diese Daten bleiben<br />

allerdings in der Regel auf die einzelne<br />

Bewohnerin oder den einzelnen Bewohner<br />

bezogen, eine übergreifende systematische<br />

Analyse von Pflegeverläufen wird in<br />

den Caritas-Altenheimen nicht gemacht.<br />

Der Pflegefokus ist nach Angaben<br />

der Befragten vor allem <strong>für</strong> die Bewohner/innen<br />

von Bedeutung, deren Zustand<br />

sich - dem Anschein nach - lange Zeit nicht<br />

verändert hat. Denn auch ohne besondere<br />

Auffälligkeiten wird ihre pflegerische<br />

Versorgung in einem Zeitraum von vier bis<br />

sechs Wochen überprüft. Sie können dadurch<br />

nicht „vergessen“ werden oder „einfach<br />

so mitlaufen“: „Jede/r kommt immer<br />

9 Garms-Homolová, V. (1997): 9<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

37


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

wieder dran“ - dieser Satz einer Bereichsleitung<br />

ist daher auch eine prospektive Qualitätsgarantie.<br />

„Der Pflegefokus hilft uns,<br />

beim Bewohner Veränderungen zu bemerken.<br />

Oder man hat es bemerkt, aber<br />

nicht in die Pflegeplanung eingetragen.<br />

Und dann geht einem spätestens beim<br />

Pflegefokus das Licht auf“, beschreibt eine<br />

andere Mitarbeiterin die positiven Auswirkungen<br />

dieses Verfahrens.<br />

Während manche Pflegekräfte die<br />

Bewohner/innen - soweit es das Krankheitsbild<br />

zulässt - ganz gezielt befragen,<br />

betonen andere, dass sie sich während<br />

des Pflegefokus still konzentrieren. Gerade<br />

die spezielle Form der bewussten Präsenz<br />

regt nach Angaben der Mitarbeiter/innen<br />

dazu an, die Bewohner/innen in ihrer individuellen<br />

Persönlichkeit wahrzunehmen,<br />

sich auf Aussagen, Stimmung <strong>und</strong> Befindlichkeit<br />

des jeweiligen Gegenübers einzulassen.<br />

„Der Pflegefokus zwingt mich dazu<br />

zu überlegen, wie ich in meiner Arbeit<br />

noch ein Stück weit individueller werden<br />

könnte. Also es bleibt auf keinen Fall bei so<br />

einem Einheitsbrei“ - diese Aussage einer<br />

Altenpflegerin steht stellvertretend <strong>für</strong> viele.<br />

Je sensibler die Pflegekräfte <strong>für</strong> die<br />

individuellen Bedürfnisse der Bewohner/innen<br />

werden, desto häufiger kommt es<br />

auch außerhalb des im Pflegefokus-Konzept<br />

vorgeschlagenen Zeitrahmens zu Änderungen<br />

der Pflegeplanung. Altgewohnte<br />

Praktiken werden auf ihre Passform überprüft.<br />

Die auf dem Pflegeplanungsblatt<br />

vorgegebenen Formalisierungen, die als<br />

Hilfestellung gedacht sind, werden dann<br />

teilweise aufgebrochen, um durch eine individuelle<br />

Wortwahl den spezifischen Besonderheiten<br />

stärker Rechnung tragen zu<br />

können. Für engagierte Pflegekräfte ist es<br />

gerade dieses „Mitdenken bei der Arbeit“,<br />

38<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

das die pflegerische Tätigkeit <strong>für</strong> sie interessant<br />

macht. Sie erleben die Notwendigkeit<br />

des flexiblen Agierens nicht als Belastung,<br />

sondern als Chance, immer wieder<br />

neu kreative Anteile im Pflegealltag zu<br />

entdecken. Für diese Mitarbeiter/innen<br />

sind selbstbewusste Bewohner/innen, die<br />

ihre Wohn- <strong>und</strong> Pflegesituation mit bestimmen<br />

wollen, nicht „aufwendig“, sondern<br />

sie fordern im Gegenteil dazu heraus,<br />

die kommunikativen Elemente bei Pflegeplanung<br />

<strong>und</strong> Pflegefokus immer im Blick zu<br />

behalten.<br />

3.3 Medium zwischen Pflegefach-<br />

<strong>und</strong> Pflegehilfskräften<br />

Während vor der Implementierung<br />

des Pflegefokus oft nur die Bereichs- <strong>und</strong><br />

Schichtleitungen die Pflegeplanungen geschrieben<br />

<strong>und</strong> sie manchmal quasi „im Paket<br />

abgearbeitet“ haben, sollen jetzt sukzessive<br />

alle Mitarbeiter/innen in diesen Arbeitsschritt<br />

integriert werden. In diversen<br />

Schulungsmaßnahmen sind explizit auch<br />

Pflegehilfskräfte mit dem Pflegefokus-Verfahren<br />

vertraut gemacht worden. Die<br />

Zweiteilung von Pflege - eine Minderheit<br />

plant <strong>und</strong> organisiert, die Mehrheit führt sie<br />

aus - wird dadurch zumindest ein Stück<br />

weit aufgehoben.<br />

Die meisten der Pflegefachkräfte be<strong>für</strong>worten<br />

das Miteinbeziehen der Helfer/innen<br />

<strong>und</strong> sehen darin eine Bereicherung <strong>für</strong><br />

die Datensammlung beim Erstellen des<br />

Pflegefokus. „Die sehen oft viel mehr als<br />

wir“ bringt es eine Mitarbeiterin auf den<br />

Punkt. Es sind eben in erster Linie die Hilfskräfte,<br />

die in der Gr<strong>und</strong>pflege tätig sind<br />

<strong>und</strong> von daher auch kontinuierlich die<br />

meisten Informationen über die <strong>für</strong> den<br />

Pflegefokus wichtigen Bereiche erhalten.<br />

Das Pflegefachpersonal hingegen ist zu-


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

sätzlich auch mit dem umfangreichen Arbeitspaket<br />

der behandlungspflegerischen<br />

Maßnahmen befasst, die ihrerseits gesonderte<br />

Dokumentationsschritte in der Vor<strong>und</strong><br />

Nachbereitung verlangen. Positiv wird<br />

auch gewertet, dass jetzt immer mehr Mitarbeiter/innen<br />

durch eigene Erfahrungen<br />

nachvollziehen können, „was es heißt zu<br />

schreiben“. Durch die im Konzept des Pflegefokus<br />

vorgeschlagene Organisation ist<br />

die Arbeit eben auf mehreren Schultern<br />

verteilt. Die systematische Aktualisierung<br />

von Pflegeplanungsinhalten kann daher<br />

zeitnah erfolgen <strong>und</strong> in den Pflegealltag<br />

integriert werden. Die zeitliche Überbelastung<br />

einer kleinen Gruppe von Pflegefachkräften,<br />

die ausschließlich <strong>für</strong> diesen Bereich<br />

zuständig waren, hat sich verringert.<br />

Einige Stimmen gibt es aber auch,<br />

die voller Skepsis sind, ob die Helfer/innen<br />

überhaupt Schreibarbeit leisten können.<br />

Dabei reicht die Palette der angegebenen<br />

Gründe <strong>für</strong> diese Einschätzung vom vermuteten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichen Unvermögen bis zur<br />

angenommenen Überforderung. Die Bedenken<br />

überwiegen in den Einrichtungen,<br />

in denen eher medizinorientiert gearbeitet<br />

wird <strong>und</strong> die allgemeine Gesprächskultur<br />

durch traditionelle Prozessabläufe geprägt<br />

ist. In den anderen Häusern wird zwar auch<br />

darauf hingewiesen, dass den Helferinnen<br />

<strong>und</strong> Helfern das Schreiben schwer fällt,<br />

aber das vorhandene Potential, das unterstützt<br />

<strong>und</strong> kommunikativ erschlossen werden<br />

muss, ist viel stärker im Blick.<br />

Für die meisten der befragten Pflegehilfskräfte<br />

bedeutet die Arbeit mit dem<br />

Pflegefokus eine Aufwertung ihrer Tätigkeit.<br />

Die Ergebnisse ihrer Beobachtungen werden<br />

aufgenommen, ihre Einschätzungen<br />

von Pflegesituationen sind gefragt. Die Helfer/innen<br />

fühlen sich mehr <strong>und</strong> mehr ein-<br />

bezogen in die Aushandlungsprozesse über<br />

den „richtigen“ Weg bei der Pflege<br />

von Bewohnerinnen <strong>und</strong> Bewohnern. Dabei<br />

gab es zunächst durchaus Irritationen<br />

bei einigen Fachkräften, die dieser neuen<br />

Zuschreibung von Mitspracherechten mit<br />

Argwohn begegneten. Da hieß es dann<br />

schon einmal: „´Warum will die jetzt da<br />

auch noch etwas sagen, die hat jetzt drei<br />

Jahre nichts gesagt, <strong>und</strong> jetzt kommt sie<br />

daher <strong>und</strong> sagt, ich bin der Meinung,<br />

dass.`“ In solchen Situationen stärkt die<br />

Helfer/innen das Wissen um den Rückhalt<br />

bei der verantwortlichen Leitung, die auf<br />

die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter/innen<br />

setzt. Die Pflegehilfskräfte brauchen diese<br />

Art der ideellen Unterstützung aber nicht<br />

nur, um sich im Team behaupten zu können,<br />

sondern sie fördert auch generell die<br />

Motivation, sich an diesen Arbeitsbereich<br />

heranzuwagen. „Das Vertrauen seitens<br />

meiner Vorgesetzten tut mir gut <strong>und</strong> das<br />

spornt auch an“, betont eine Mitarbeiterin.<br />

Insbesondere die Helfer/innen, die einen<br />

Fortbildungskurs zum Pflegefokus-Verfahren<br />

besucht haben, werden auch im Team als<br />

„Expert/innen“ wahrgenommen <strong>und</strong> bestätigt.<br />

Der Pflegefokus fungiert dabei quasi<br />

als vermittelndes Element zwischen Pflegefach-<br />

<strong>und</strong> Pflegehilfskräften.<br />

Trotz der erfahrbaren Kompetenzerweiterung<br />

herrscht bei vielen aber auch<br />

noch Scheu vor der Verantwortung, die<br />

durch das Praktizieren des Pflegefokus übernommen<br />

wird. Der Umgang mit Verantwortung<br />

kann wie der Umgang mit<br />

Stress als Herausforderung oder als Bedrohung<br />

erlebt werden. Ganz allgemein löst in<br />

der Pflege die Übernahme von Verantwortung<br />

oft negative Assoziationen aus, im<br />

Sinne der Erwartung einer Bestrafung <strong>für</strong><br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

39


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

eine Handlung. 10 Auch <strong>für</strong> das Pflegefachpersonal<br />

in den vier Caritas-Altenheimen ist<br />

Verantwortung zumeist unter haftungsrechtlichen<br />

Gesichtspunkten ein Thema,<br />

da die jeweilige Schichtleitung die letztendliche<br />

Verantwortung <strong>für</strong> die Einträge in<br />

das Pflegeplanungsblatt trägt. Allerdings<br />

zeigt sich, dass ein konstruktives <strong>und</strong> angstfreieres<br />

Erleben von Verantwortung sowohl<br />

bei Pflegefach- als auch bei Pflegehilfskräften<br />

durch die innerbetriebliche Fortbildung<br />

<strong>und</strong> die fachliche Begleitung des Qualitätsmanagementbeauftragten<br />

gefördert<br />

wird. Über die Anerkennung <strong>und</strong> Wertschätzung<br />

von Seiten der Leitungskräfte<br />

hinaus erwachsen dem Pflegepersonal<br />

dadurch neue „Möglichkeitsspielräume“,<br />

die die Eigenkompetenz steigern. 11 Nicht<br />

zuletzt aber ist ein Klima des Vertrauens<br />

<strong>und</strong> der Offenheit im Team eine wichtige<br />

Voraussetzung, um im lebendigen Diskurs<br />

tragfähige Verantwortungsmuster einüben<br />

zu können.<br />

3.4 Positive Impulse <strong>für</strong> die<br />

Kommunikationskultur<br />

Durch die Implementierung des Pflegefokus<br />

ist in allen vier Einrichtungen ein<br />

Diskurs angeregt worden. Der Pflegefokus<br />

hat im wahrsten Sinne des Wortes <strong>für</strong> Gesprächsstoff<br />

gesorgt. Dabei kommt den<br />

Gesamtbereichs- <strong>und</strong> Bereichsleitungen<br />

eine besonders herausragende Rolle zu:<br />

Sie haben maßgeblichen Einfluss auf die<br />

Art <strong>und</strong> Weise des Umgangs mit dem Pflegefokus<br />

<strong>und</strong> auf die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Kommunikationsprozesse. Sind sie engagierte<br />

Multiplikator/innen, werden immer<br />

10 vgl. Tewes, Renate: Pflegerische Verantwortung.<br />

Eine empirische Studie über pflegerische Verantwortung<br />

<strong>und</strong> ihre Zusammenhänge zur Pflegekultur<br />

<strong>und</strong> zum beruflichen Selbstkonzept, Bern 2002<br />

11 vgl. Tewes, R. (2002): 325 ff.<br />

40<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

mehr Pflegende dazu motiviert, alle Schritte<br />

des Pflegeprozesses zu beachten <strong>und</strong><br />

sich mit Kolleg/innen darüber auszutauschen.<br />

Auch in anderen Untersuchungen<br />

wird die Bedeutung der Leitungskräfte <strong>für</strong><br />

die in einer Einrichtung oder einem Bereich<br />

vorherrschenden Formen der Pflegekultur<br />

hervorgehoben. 12 Sie sind es, die die institutionellen<br />

<strong>und</strong> pflegefachlichen Rahmenbedingungen<br />

„über-setzen“ in den Pflegealltag<br />

<strong>und</strong> zusammen mit der Heimleitung<br />

das Gesamtbild des Hauses prägen.<br />

Der Pflegefokus kann vor allem in<br />

den Häusern neue Impulse geben, in denen<br />

noch wenig beteiligungsorientierte<br />

Formen des Umgangs entwickelt sind.<br />

Denn das Konzept setzt auf das Einbeziehen<br />

aller Mitarbeiter/innen in das Planungsgeschehen<br />

<strong>und</strong> lässt ihnen Raum <strong>für</strong><br />

eigene Entscheidungen. Auch diejenigen<br />

Leitungskräfte in den Caritas-Altenheimen,<br />

die eher einem traditionell-hierarchischen<br />

Modell der Arbeitsorganisation anhängen,<br />

sind durch den Pflegefokus dazu angehalten,<br />

sich mit partnerschaftlichen Organisationsformen<br />

auseinanderzusetzen. Denn<br />

nur ein kooperativer Führungsstil ermöglicht<br />

eine größere Autonomie des Einzelnen im<br />

Team. 13 Zwar braucht es zum Gelingen des<br />

Verfahrens klare organisatorische Vorgaben<br />

von Seiten der Leitung <strong>und</strong> auch gezielte<br />

Kontrollen, aber es ist - wie bereits<br />

erwähnt - insbesondere das Vertrauen in<br />

die Fähigkeiten <strong>und</strong> das Entwicklungspotential<br />

der Mitarbeiter/innen, das die Pflegekräfte<br />

dazu bringt, sich in diesem Ar-<br />

12 vgl. u.a. Dunkel, Wolfgang: Pflegearbeit - Alltagsarbeit.<br />

Eine Untersuchung der Lebensführung von<br />

AltenpflegerInnen, Freiburg im Breisgau 1994<br />

13 vgl. Sowinski, Christine: Dokumentation <strong>und</strong> Planung<br />

als Mittel der Kooperation <strong>und</strong> Kommunikation.<br />

In: Berghaus, Helmut C., u.a. (Hg.): Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Kooperation in der Altenhilfe. Reihe<br />

thema 155, Köln 2000: 12


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

beitsfeld zu engagieren. Wenn die Pflege<br />

von der Leitung nicht als gemeinschaftliche<br />

Aufgabe gesehen <strong>und</strong> der offene<br />

Meinungsaustausch nicht explizit gefördert<br />

wird, ziehen sich die Mitarbeiter/innen<br />

auch wieder aus einer gemeinsamen Verantwortung<br />

zurück <strong>und</strong> fühlen sich bei<br />

Pflegeplanung <strong>und</strong> Pflegefokus nur als Zuträger/innen<br />

von Informationen.<br />

Obwohl der Pflegefokus nur von einer<br />

Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter im<br />

„normalen“ Arbeitsablauf erstellt wird, führt<br />

sein Einsatz dennoch dazu, dass sich<br />

Kommunikationsstrukturen verändern, die<br />

Zusammenarbeit in den Vordergr<strong>und</strong> rückt:<br />

„Also das passiert jetzt schon mehr <strong>und</strong><br />

mehr, dass das keine Einzelaktionen sind,<br />

sondern dass man da andere mit einbindet,<br />

sich schon ein bisschen berät <strong>und</strong><br />

nachfragt: ´Hast du noch irgend etwas gesehen,<br />

ist dir noch etwas aufgefallen?`<br />

oder ´Was meinst denn du, was könnte<br />

man da noch machen?`“ In allen Interviews<br />

wird berichtet, dass die jeweilige<br />

Schichtleitung als Ansprechpartner/in zur<br />

Verfügung steht <strong>und</strong> sich - wenn gewünscht<br />

- mit der „Pflegefokus-Mitarbeiterin“<br />

oder dem „Pflegefokus-Mitarbeiter“<br />

über die vorgef<strong>und</strong>ene Lage austauscht.<br />

Insbesondere bei der Einweisung in das<br />

Pflegefokus-Verfahren wird auch die bisherige<br />

Pflegeplanung <strong>für</strong> die Pflege eines/r<br />

Bewohners/in gemeinsam durchgegangen<br />

<strong>und</strong> anschließend festgelegt, was an diesem<br />

Tag bei der Gr<strong>und</strong>pflege besonders zu<br />

beobachten ist. Aber es ist eben nicht nur<br />

die verantwortliche Pflegefachkraft, die<br />

um Rat gefragt wird, sondern auch die<br />

Meinungen anderer Kolleg/innen werden<br />

eingeholt. So wird es „mehr <strong>und</strong> mehr“ ein<br />

gemeinsames Bemühen, das einen formal<br />

zugewiesenen Expertenstatus ein Stück<br />

weit relativiert.<br />

Die zuständige Mitarbeiterin oder der<br />

zuständige Mitarbeiter stellt die Ergebnisse<br />

der Beobachtungen beim Pflegefokus zumeist<br />

in der Übergabe vom Früh- zum Spätdienst<br />

vor. Bereits diese Situation bricht das<br />

übliche Kommunikationsmuster von Übergaben<br />

in stationären Einrichtungen auf.<br />

Denn in der Regel spielt sich die Übergabe<br />

„häufig nur als Informationsaustausch<br />

zwischen den LeiterInnen der Schichten<br />

ab, die anderen hören mehr oder weniger<br />

aufmerksam zu.“ 14 Auch die Inhalte der<br />

Absprachen erfahren durch den Pflegefokus<br />

eine Erweiterung. Sind es sonst oft nur<br />

Körperpflege <strong>und</strong> medizinische Versorgung,<br />

die zum Thema gemacht werden,<br />

kommen beim Pflegefokus bei vorliegenden<br />

Veränderungen auch die psychische<br />

Situation der Bewohner/innen, ihr<br />

Tagesablauf, ihre sozialen Kontakte zur<br />

Sprache. Einige Mitarbeiter/innen berichten,<br />

dass die Gespräche in den Übergaben<br />

ganz allgemein „inhaltsreicher“,<br />

„sachlicher“ <strong>und</strong> „zielgerichteter“ geworden<br />

sind. Während früher die beobachteten<br />

Veränderungen meist „unsortiert“ weitergegeben<br />

wurden, dienen jetzt die Strukturvorgaben<br />

des Pflegeplanungsblattes zur<br />

Orientierung.<br />

Beim Austausch über die Effektivität<br />

der vereinbarten pflegerischen Maßnahmen<br />

werden nach Angaben der Befragten<br />

oft die negativen Beispiele hervorgehoben,<br />

also das, was nicht funktioniert hat,<br />

während die Erfolge eher als selbstverständlich<br />

betrachtet werden <strong>und</strong> weniger<br />

Beachtung finden. Dieses Verhaltensmuster<br />

findet sich in der Pflege häufig, denn<br />

14 Koch-Straube, Ursula: Fremde Welt Pflegeheim.<br />

Eine ethnologische Studie, Bern 1997: 127<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

41


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

- so eine Mitarbeiterin - „irgendwie ist es so<br />

eine Pflegementalität, dass man sich nur<br />

immer das Negative bewahrt“. Um den<br />

positiven Ergebnissen mehr Gewicht in den<br />

Diskussionen, aber auch in den Wirkungen<br />

zu geben, werden unterschiedliche „Strategien“<br />

angewandt: zunehmend wird<br />

auch hier auf Transparenz („ich will alle<br />

darüber informieren“) <strong>und</strong> Partizipation<br />

(„ich will möglichst viele daran teilhaben<br />

lassen <strong>und</strong> sie mit in die Verantwortung<br />

einbeziehen“) gesetzt. Es hat sich erwiesen,<br />

dass auf diese Art <strong>und</strong> Weise erfolgreiche<br />

Prozesse verstetigt werden können <strong>und</strong> ihre<br />

Akzeptanz zunimmt.<br />

In allen Einrichtungen wird betont,<br />

dass das individuelle Wohlbefinden der<br />

Bewohner/innen Maßstab allen pflegerischen<br />

Handelns ist. Welche Konsequenzen<br />

die praktische Umsetzung dieser Maxime<br />

haben kann, zeigte sich vor allem in einem<br />

Haus, in dem in den Interviews ganz offen<br />

auch unterschiedliche normative Vorstellungen<br />

von einer „guten“ Pflege angesprochen<br />

wurden. Differenzen zwischen<br />

den Mitarbeiter/innen treten zum Beispiel<br />

dann auf, wenn pflegerische Leitlinien mit<br />

den Wünschen der Bewohner/innen kollidieren.<br />

„Können geplante Pflegemaßnahmen<br />

auf Wunsch des Bewohners eingeschränkt<br />

werden, ohne den körperlichen<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand zu gefährden?“<br />

„Wann akzeptiere ich, dass eine Bewohnerin<br />

im Bett liegen bleiben möchte, <strong>und</strong><br />

nicht - aktiviert <strong>und</strong> mobilisiert - im Rollstuhl<br />

an einer tagesstrukturierenden Maßnahme<br />

teilnimmt?“ - über solche <strong>und</strong> ähnliche Fragen<br />

wird im Rahmen der Erstellung des<br />

Pflegefokus kontrovers diskutiert. Dabei<br />

verpuffen die mündlich ausgetragenen<br />

Auseinandersetzungen nicht ins Leere,<br />

sondern finden ihren Niederschlag in den<br />

42<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Einträgen auf dem Pflegeplanungsblatt,<br />

die <strong>für</strong> alle Mitarbeiter/innen offen legen,<br />

welcher Weg eingeschlagen wird. Erst diese<br />

Dokumentation bietet die Möglichkeit,<br />

an den Vereinbarungen anzuknüpfen <strong>und</strong><br />

einen erneuten Diskussionsprozess einzuleiten.<br />

Durch das schriftliche Festhalten von<br />

Zustandsdaten <strong>und</strong> pflegerischen Maßnahmen<br />

herrscht eine größere Verbindlichkeit<br />

<strong>für</strong> die Mitarbeiter/innen, denn<br />

„das, was auf dem Pflegeplanungsblatt<br />

steht, wird gemacht“. Diese Sicherheit,<br />

dass sich alle an die Vorgaben halten müssen,<br />

ermöglicht es auf der anderen Seite<br />

aber auch, <strong>für</strong> einen bestimmten Zeitraum<br />

„Dinge auszuprobieren“, Neuerungen<br />

Raum zu geben <strong>und</strong> nicht immer nur auf<br />

dem Althergebrachten zu beharren. Wenn<br />

es darum geht, innovativen Ansätzen zum<br />

Durchbruch zu verhelfen, kommen auch<br />

kleine „Tricks“ zur Anwendung, wie eine Altenpflegerin<br />

berichtet: „Also ich habe es<br />

jetzt einfach so gemacht, dass ich den<br />

anderen meine Ideen so verkaufe, als wären<br />

sie darauf gekommen“. Gerade auch<br />

um Widerständen bei Kolleg/innen, die<br />

sich von alten Gewohnheiten nicht trennen<br />

wollen, zu begegnen, wird der Pflegefokus<br />

als hilfreich angesehen, da durch ihn<br />

Vorgehensweisen <strong>und</strong> ihre Auswirkungen in<br />

der zeitlichen Abfolge belegt sind <strong>und</strong> somit<br />

eine wichtige Argumentationsgr<strong>und</strong>lage<br />

darstellen.<br />

Handlungsweisen können getestet<br />

bzw. die flexible Vorgehensweise <strong>für</strong> einen<br />

bestimmten Zeitraum festgelegt werden,<br />

um dann erneut über die Situation zu beraten,<br />

zu überlegen, was sich bewährt hat,<br />

<strong>und</strong> definitiv zu entscheiden. „Also ich gehe<br />

jetzt auch alternative Methoden an, wo<br />

ich sage, wir probieren es eine Woche


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

lang, <strong>und</strong> dann schauen wir noch mal,“ so<br />

eine Mitarbeiterin. Eine f<strong>und</strong>ierte, aktuelle<br />

Pflegeplanung liefert ganz offensichtlich<br />

die Basis, auf der Mut zum innovativen<br />

Handeln wachsen kann. „Da entwickelt<br />

sich jetzt vielleicht dann was“ - diese Hoffnung,<br />

die eine Pflegefachkraft äußert, bezieht<br />

sich daher nicht nur auf die eingetragenen<br />

Modifikationen im Pflegeplanungsblatt,<br />

sondern auch auf die Veränderungen<br />

in den Köpfen der Mitarbeiter/innen,<br />

die weniger starr nach Schema F arbeiten,<br />

sondern mehr <strong>und</strong> mehr die Bewohner/innen<br />

<strong>und</strong> sich selbst als Akteure in einem<br />

prozesshaften Geschehen wahrnehmen.<br />

Denn auch eine „gute“ Beobachtung<br />

liefert nur Daten <strong>für</strong> diesen Moment,<br />

ist keine Abbildung des „ganzen“ Menschen.<br />

So bleibt ein permanenter Anspruch,<br />

„dranzubleiben“. Der Pflegefokus<br />

fordert dazu auf.<br />

3.5 Bewusste Präsenz<br />

Der Pflegefokus stellt <strong>für</strong> die Mitarbeiter/innen<br />

eine Gelegenheit dar, sich die<br />

Situation der jeweiligen Bewohner/innen<br />

bewusst vor Augen zu führen. Zwar verweisen<br />

die Pflegekräfte darauf, dass sie auch<br />

in ihren sonstigen Arbeitsvollzügen versuchen,<br />

achtsam <strong>und</strong> konzentriert zu sein.<br />

Beim Pflegefokus wollen sie diesem Anspruch<br />

aber in besonderer Weise gerecht<br />

werden. Dabei sind ihrer Meinung nach vor<br />

allem die beiden ersten Prinzipien des<br />

Pflegefokus-Verfahrens (1. aufmerksame<br />

<strong>und</strong> 2. gezielte Beobachtung) hilfreich.<br />

Die Pflegefokus-Prinzipien greifen Traditionen<br />

auf, die auch aus der christlichen<br />

Mystik15 <strong>und</strong> dem Buddhismus16 bekannt<br />

15 vgl. Haas, Alois M.: Mystik als Aussage. Erfahrungs-,<br />

Denk- <strong>und</strong> Redeformen christlicher Mystik. 2. Auflage,<br />

Frankfurt a.M. 1997<br />

sind. So heißt es z.B. bei Meister Eckhart, einem<br />

Mystiker aus dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert:<br />

„Das ist das Jetzt der Ewigkeit, wo die Seele<br />

in Gott alle Dinge neu <strong>und</strong> frisch <strong>und</strong><br />

gegenwärtig erkennt, <strong>und</strong> mit der Lust, die<br />

ich jetzt gegenwärtig habe.“ 17 Die Aussage<br />

eines buddhistischen Lehrers bezieht<br />

die Haltung des bewussten Präsent-Seins<br />

auch auf seine soziale Wirkung: „Wenn die<br />

Kraft der Achtsamkeit <strong>und</strong> des mitfühlenden<br />

Zuhörens in dir ist, kann deine Gegenwart<br />

eine heilende <strong>und</strong> beruhigende Wirkung<br />

auf andere ausüben.“ 18 Im Konzeptentwurf<br />

zum Pflegefokus werden diese spirituellen<br />

Dimensionen nicht gesondert hervorgehoben,<br />

aber in der Praxis zeigte sich,<br />

dass darin ein weiteres Potential liegt, das<br />

ausbaufähig ist. Zum einen kann die Betonung<br />

des gegenwärtigen Augenblicks, die<br />

Besinnung auf das Hier <strong>und</strong> Jetzt noch<br />

stärker <strong>und</strong> gezielter als mentale Technik<br />

eingesetzt werden, zum anderen ist durch<br />

entsprechende Verweise auch eine Rückbindung<br />

an christliche Leitbilder möglich.<br />

Die Mitarbeiter/innen sind auf der Suche<br />

nach Angeboten, die ihnen dabei helfen,<br />

dem Gefühl des ständigen Zeitdrucks, des<br />

Nur-noch-Funktionierens begegnen zu können,<br />

<strong>und</strong> die dazu beitragen, ihr Handeln<br />

eingeb<strong>und</strong>en in einen sinnstiftenden Gesamtkontext<br />

zu erleben. Das können Meditationsr<strong>und</strong>en<br />

sein, wie sie bereits in einer<br />

Einrichtung stattfinden. Das kann das Einüben<br />

<strong>und</strong> Vertiefen der beiden ersten<br />

Pflegefokus-Prinzipien in internen Fortbildungen<br />

sein.<br />

16 vgl. Thich Nhat Hanh: Schritte der Achtsamkeit.<br />

Eine Reise zu den Quellen des Buddhismus. 3. Auflage,<br />

Freiburg, Basel, Wien 2000<br />

17 Meister Eckhart: Deutsche Predigten. Eine Auswahl,<br />

Stuttgart 2001: 85<br />

18 Thich Nhat Hanh (2000): 67<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

43


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

Insbesondere das Prinzip der aufmerksamen<br />

Beobachtung lässt die Mitarbeiter/innen<br />

an Ideale <strong>und</strong> Leitbilder anknüpfen,<br />

die sie u.a. zur Aufnahme einer<br />

pflegerischen Arbeit bewogen haben. Sich<br />

einlassen auf die Bewohner/innen, sie ernst<br />

nehmen in ihren Anliegen, <strong>für</strong> den Moment<br />

Da-sein mit ihnen - das umsetzen zu können<br />

<strong>und</strong> im Moment des Pflegefokus zu<br />

vertiefen, ist <strong>für</strong> alle Befragten ein wesentlicher<br />

Aspekt, der zu ihrer Arbeitszufriedenheit<br />

beiträgt. Besonders hervorgehoben<br />

wird eine solche Betrachtungsweise in den<br />

Häusern, die gezielt jene konzeptionellen<br />

Möglichkeiten des Pflegefokus in den Vordergr<strong>und</strong><br />

stellen. Alltägliches bewusst <strong>und</strong><br />

mit voller Achtsamkeit zu erleben, alles,<br />

was geschieht, offen <strong>und</strong> ohne Vor-Urteil<br />

zu beobachten - diese Haltung führt dazu,<br />

dass automatische Abläufe unter einem<br />

anderen Blickwinkel betrachtet <strong>und</strong> Schritt<br />

<strong>für</strong> Schritt „entautomatisiert“ werden. Die<br />

Pflegekräfte berichten, dass sie beim Pflegefokus<br />

bislang unbekannte Details entdecken<br />

- bei den Bewohnerinnen <strong>und</strong> Bewohnern,<br />

aber auch bei ihrem eigenen<br />

Tun. Der routinisierte Pflegealltag wird aufgebrochen<br />

<strong>und</strong> Raum geschaffen <strong>für</strong><br />

spannende, überraschende Momente.<br />

Die im Pflegefokus-Konzept formulierten<br />

Prinzipien tragen so dazu bei, neben<br />

den funktionalen Anteilen in der Pflege das<br />

Beziehungsgeschehen als qualitätssicherndes<br />

Element wahrzunehmen <strong>und</strong> die Wirkung<br />

pflegerischen Handelns auf die Befindlichkeit<br />

der Bewohner/innen zu reflektieren.<br />

Durch die Implementierung des<br />

Pflegefokus hat sich die Motivation der<br />

Pflegekräfte verändert. Wurde früher die<br />

formale Anforderung des MDK als Hauptgr<strong>und</strong><br />

<strong>für</strong> die Pflegeplanung genannt, so<br />

haben sich nunmehr die Prioritäten ver-<br />

44<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

schoben: „Wir machen die Pflegeplanung<br />

<strong>für</strong> die Bewohner, damit sie sich wohler fühlen,<br />

<strong>und</strong> auch <strong>für</strong> uns als Nachweis, was wir<br />

leisten <strong>und</strong> eventuell noch verbessern müssen“.<br />

Die Orientierung hin zur Bewohnerin<br />

<strong>und</strong> zum Bewohner korrespondiert mit einer<br />

Aufwertung der Mitarbeiterinteressen.<br />

Die gewachsene Sensibilität <strong>für</strong> den Nutzen<br />

einer individuellen Pflege, die durch eine<br />

regelmäßig aktualisierte Pflegeplanung<br />

möglich wird, fördert auch das Bewusstsein<br />

<strong>für</strong> die eigene Kompetenz <strong>und</strong> Professionalität.<br />

Die Mitarbeiter/innen erleben sich<br />

nicht mehr nur als reaktiv Tätige, sondern<br />

als Entscheidungsträger/innen mit Handlungsoptionen.<br />

Was mache ich hier gerade?<br />

Wie gehe ich mit meinem Gegenüber<br />

um? Für welche Form der Unterstützung<br />

entscheide ich mich? Diese Fragen gewinnen<br />

zunehmend auch in der täglichen Arbeit<br />

an Bedeutung. Der selbst-bewusste<br />

<strong>und</strong> selbst-gewählte Beitrag zur Qualität<br />

von Pflege wird transparenter, neue Perspektiven<br />

auf eigene Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Aktionen eröffnen sich.<br />

Die aufmerksame <strong>und</strong> gezielte Beobachtung<br />

als Hintergr<strong>und</strong>folie <strong>für</strong> die Deutung<br />

von Wirklichkeit lässt somit die Pflegehandlungen<br />

in ihrer Ambivalenz aufscheinen.<br />

Eine empathische Ausrichtung auf die<br />

Bewohner/innen ist nur möglich in einem<br />

Kontext, der auch das „Wohlbefinden“<br />

von Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern im<br />

Blick hat.


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

4. Der Pflegefokus als<br />

„Brückenkonstruktion“<br />

Die Untersuchung hat gezeigt, dass<br />

pflegefachliche Standards, ordnungspolitische<br />

Vorgaben <strong>und</strong> Leitbildgr<strong>und</strong>sätze<br />

durchaus auch unter den derzeitigen<br />

Rahmenbedingungen umsetzbar sind bzw.<br />

mit Leben erfüllt werden können. Die kreative<br />

Entwicklung konzeptioneller Strategien<br />

ermöglicht es, Brücken zu schlagen zwischen<br />

theoretischen Anforderungen <strong>und</strong><br />

der Alltagspraxis. Der Pflegefokus ist eine<br />

solche „Brückenkonstruktion“. Er ist <strong>für</strong> die<br />

Mitarbeiter/innen eine Hilfe bei der Pflegeplanung<br />

<strong>und</strong> ihrer kontinuierlichen Aktualisierung.<br />

Der Nutzen eines geplanten Vorgehens<br />

wird durch dieses Konzept immer<br />

wieder erfahrbar. Dabei erleben sich die<br />

Mitarbeiter/innen als eingeb<strong>und</strong>en in ein<br />

Prozessgeschehen, das sie aktiv mitgestalten<br />

können.<br />

Ganz offensichtlich hängt die Umsetzung<br />

des Pflegeprozesses maßgeblich davon<br />

ab, wie dieses Verfahren vermittelt<br />

wird. Der Pflegefokus bietet da<strong>für</strong> zwei<br />

„Stützpfeiler“ an, die die Mitarbeiter/innen<br />

ergreifen können: zum einen verringert das<br />

auch nach dem Kriterienkatalog des MDK<br />

aufgebaute Pflegeplanungsblatt die Hürden<br />

der Formulierung, zum anderen liefert<br />

die Methode des aufmerksamen, gezielten<br />

<strong>und</strong> systematischen Beobachtens Anreize<br />

<strong>für</strong> eine neue Sicht auf den Pflegealltag.<br />

Die regelmäßige Überprüfung der Pflegeplanung<br />

kann quasi als Chance genutzt<br />

werden, um innezuhalten, ein Stück weit<br />

herauszutreten aus einem hektischen Arbeitstag.<br />

Das bewusste Wahrnehmen der<br />

Bewohner/innen im Hier <strong>und</strong> Jetzt, die immer<br />

wieder neu festzulegende Ausrichtung<br />

des pflegerischen Handelns stärken die Ei-<br />

genverantwortung der Pflegekräfte <strong>und</strong><br />

sind Anlass zu verstärkter Reflexion <strong>und</strong><br />

Kommunikation.<br />

Die positive Wirkung von Qualitätssicherungsmaßnahmen<br />

wurde deutlich. Allerdings<br />

kann sich dieser Effekt nur entfalten,<br />

wenn die Einrichtungen dabei konstante<br />

Unterstützung erfahren. Die persönliche<br />

Beratung <strong>und</strong> Anleitung sowie eine<br />

konsequent partizipative Form des Umgangs<br />

mit den Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern<br />

sind wesentliche Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> den Erfolg. Der direkte Nutzen von Pflegeplanung<br />

<strong>und</strong> -dokumentation muss stets<br />

von neuem erkennbar gemacht werden.<br />

Dann gewinnen die dort gesammelten Daten<br />

auch einen anderen Stellenwert <strong>für</strong><br />

das pflegerische Alltagshandeln der Mitarbeiter/innen.<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

▪<br />

Maria Zörkler,<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin,<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

e-mail: zoerkler@iso-institut.de<br />

45


Maria Zörkler: Der Pflegefokus<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

LITERATUR<br />

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Sowinski, Christine: Dokumentation <strong>und</strong> Planung<br />

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Tewes, Renate: Pflegerische Verantwortung. Eine<br />

empirische Studie über pflegerische Verantwortung<br />

<strong>und</strong> ihre Zusammenhänge zur Pflegekultur<br />

<strong>und</strong> zum beruflichen Selbstkonzept, Bern<br />

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Thich Nhat Hanh: Schritte der Achtsamkeit. Eine<br />

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Freiburg, Basel, Wien 2000<br />

Weinhold, Christine: Kommunikation zwischen<br />

Patienten <strong>und</strong> Pflegepersonal. Eine gesprächsanalytische<br />

Untersuchung des sprachlichen<br />

Verhaltens in einem Krankenhaus, Bern u.a.<br />

1997


Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen: Strategien zur Förderung von<br />

Beschäftigungsfähigkeit 1<br />

„Eine besonders signifikante Änderung<br />

der Einstellungen zeigt der Vergleich zweier Alterskohorten<br />

von Pariser Arbeitern, die 1972 <strong>und</strong><br />

1984 in Pension gingen. Angehörige der älteren<br />

Gruppe - befragt 1975 - waren bemüht, sich zu<br />

entschuldigen, wenn sie vor 65 pensioniert worden<br />

waren: Sie seien keineswegs faul, hätten<br />

jedoch keine Arbeit finden können. In der jüngeren<br />

Gruppe - befragt 1987 - entschuldigen<br />

sich dagegen diejenigen, die erst spät ‚in Rente‘<br />

gegangen waren: Sie hätten keineswegs<br />

den Jüngeren Jobs stehlen wollen.“<br />

Josef Ehmer, 1990<br />

(aus: Sozialgeschichte des Alters)<br />

1. Die demographische Herausforderung:<br />

Mehr ältere, weniger<br />

jüngere Erwerbspersonen<br />

Obwohl die Bevölkerung altert <strong>und</strong><br />

die Lebenserwartung kontinuierlich gestiegen<br />

ist, sind ältere Arbeitnehmer <strong>und</strong> Arbeitnehmerinnen<br />

in Unternehmen aktuell<br />

eine eher seltene Erscheinung: Lediglich<br />

ca. 20% der Personen in der Altersgruppe<br />

der 60 – 65-Jährigen sind heute in Deutsch-<br />

1 Bei diesem Artikel handelt es sich um die leicht<br />

überarbeitete Fassung eines gleichnamigen Artikels,<br />

der erschienen ist in: Kistler, E.; Mendius, H.-G.;<br />

Miethe, H. (Hg.): Demographischer Strukturbruch<br />

<strong>und</strong> Arbeitsmarktentwicklung, Broschürenreihe:<br />

Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit, Stuttgart 2002.<br />

Die den Ausführungen zugr<strong>und</strong>e liegenden Forschungsprojekte<br />

wurden gefördert durch das<br />

B<strong>und</strong>esministerium <strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Forschung im<br />

Rahmen der Gesamtstrategie „Öffentlichkeits-<br />

<strong>und</strong> Marketingstrategie demographischer Wandel“<br />

<strong>und</strong> der „Demographie-Initiative“.<br />

Martina Morschhäuser<br />

land erwerbstätig. Und in fast 60% der Betriebe<br />

gibt es nach einer Studie des <strong>Institut</strong>s<br />

<strong>für</strong> Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Berufsforschung sogar<br />

keine Beschäftigten mehr, die älter als<br />

50 Jahre sind (vgl. Leber 2001: 7).<br />

Neben Verrentungen wegen Berufs<strong>und</strong><br />

Erwerbsunfähigkeit2 sind Beschäftigte<br />

in der Vergangenheit vor allem im Rahmen<br />

betrieblicher Personalabbaumaßnahmen<br />

vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.<br />

In vielen Fällen wurden komplette<br />

Jahrgänge von 57- oder gar 51-Jährigen<br />

aus Betrieben ausgegliedert. Diese insbesondere<br />

in Großbetrieben verbreitete Frühverrentungspraxis<br />

erfolgte bislang weitgehend<br />

sozialverträglich, sprich: finanziell gut<br />

abgefedert sowie im Einverständnis der Sozialpartner<br />

<strong>und</strong> der Beschäftigten selbst.<br />

Betriebliche Personalpolitik gegenüber älteren<br />

Arbeitnehmern beschränkte sich also<br />

in der Vergangenheit im wesentlichen auf<br />

die Ausgestaltung von Frühverrentungsprogrammen.<br />

Zukünftig wird der Anteil Älterer in der<br />

Erwerbsbevölkerung jedoch drastisch steigen,<br />

so dass eine jugendzentrierte Beschäftigungspolitik<br />

- zumindest gesellschaftspolitisch<br />

- immer widersinniger wird.<br />

Folgende Entwicklungen sind dabei zu berücksichtigen:<br />

2 In 2001 waren 200.579 bzw. 19,7 Prozent aller Rentenneuzugänge<br />

in Deutschland Renten wegen<br />

verminderter Erwerbsfähigkeit. Dabei sind es vor<br />

allem körperlich anstrengende Tätigkeitsfelder,<br />

die mit hohen Erwerbsunfähigkeitszahlen korrelieren,<br />

während es sich bei Berufen mit vorrangig<br />

kognitiven Anforderungen <strong>und</strong> hohem Sozialprestige<br />

genau umgekehrt verhält (vgl. Morschhäuser<br />

2003).<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

47


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

Der Anteil Älterer wächst: Während<br />

die Anzahl <strong>und</strong> der Anteil junger Arbeitskräfte<br />

auf Gr<strong>und</strong> der seit den 70er Jahren<br />

niedrigen Geburtenzahlen rückläufig ist,<br />

kommt die „Baby-Boom“-Generation in die<br />

Jahre (vgl. Abb. 1). Die heute ca. 35- 45-<br />

Jährigen sind die bei weitem personenstärkste<br />

Alterskohorte in der Erwerbsbevölkerung,<br />

<strong>und</strong> auch in vielen Betrieben bilden<br />

sie die am stärksten besetzte Altersgruppe<br />

(„gestauchte“ betriebliche Altersstrukturen).<br />

Dieser Tatbestand stellt <strong>für</strong> Unternehmen<br />

gegenwärtig kaum ein Problem<br />

dar, weil die Beschäftigten mittleren<br />

Alters unter Innovations- <strong>und</strong> Leistungsgesichtspunkten<br />

die Aktivposten sind. Denkt<br />

man die Entwicklung jedoch nur ein paar<br />

Jahre weiter <strong>und</strong> lässt den „Berg an Mittelalten“<br />

durch die Jahrgänge wandern, so<br />

sind in absehbarer Zeit die Älteren die<br />

quantitativ bedeutendste Beschäftigungs-<br />

48<br />

60. Geburtstag:<br />

Geburtenzahl<br />

1.200.000<br />

900.000<br />

600.000<br />

300.000<br />

2006<br />

0<br />

1940 1946 1950 1960 1970 1980 1990 1999<br />

Geburtsjahrgänge<br />

Abb.1: Die Geburtsjahrgänge von 1946 bis 1999 in Deutschland<br />

(Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2000)<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

2010 2020 2030 2040 2050 2059<br />

gruppe. Schon 2010 wird es mehr über 45-<br />

Jährige als unter 35-Jährige im Erwerbspersonenpotential<br />

geben (Naegele 2001).<br />

Frühverrentungsmöglichkeiten verringern<br />

sich: Seit Mitte der 90er Jahre haben<br />

viele Staaten, so auch die B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland, die Anreize <strong>für</strong> einen<br />

vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand verringert.<br />

3 Es kann davon ausgegangen werden,<br />

dass weitere politische Weichenstellungen<br />

„weg von der Frühverrentung“ folgen<br />

werden, insbesondere wenn die geburtenstarken<br />

Jahrgänge in das rentennahe<br />

Alter kommen. Heute schon werden<br />

Forderungen nach einer Anhebung des<br />

Rentenalters erhoben. Ein vorzeitiger Berufsaustritt<br />

wird <strong>für</strong> die zukünftig Älteren mit<br />

3 In Deutschland wurden beispielsweise die Altersgrenzen<br />

zum Renteneintritt angehoben <strong>und</strong> Rentenabschläge<br />

bei einem früheren Rentenbezug<br />

eingeführt.


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

beträchtlichen finanziellen Nachteilen verb<strong>und</strong>en<br />

sein. Viele von ihnen werden zudem<br />

wegen eines späteren Berufseinstiegs<br />

<strong>und</strong> diskontinuierlicher Erwerbsverläufe<br />

weniger Rentenbeitragsjahre nachweisen<br />

können, so dass sie gezwungen sein werden,<br />

länger erwerbstätig zu sein. „Der<br />

Traum von ‚ich werde 55 <strong>und</strong> kann dann<br />

nach Hause gehen“, so ein Betriebsrat, „ist<br />

ausgeträumt“.<br />

Während die über 50-Jährigen zukünftig<br />

also einen sehr viel größeren Anteil<br />

der Erwerbspersonen stellen werden als<br />

heute, werden sie zugleich aller Voraussicht<br />

nach später aus dem Berufsleben<br />

ausscheiden. Dabei sind schon in der Vergangenheit<br />

manche Betriebe bzw. Belegschaften<br />

deutlich gealtert. Dies gilt beispielsweise<br />

<strong>für</strong> viele ostdeutsche Unternehmen:<br />

Auf Gr<strong>und</strong> der in den neuen B<strong>und</strong>esländern<br />

flächendeckend erfolgten<br />

Vorruhestandsregelungen nach der Wende<br />

bei gleichzeitig drastischem Personalabbau<br />

<strong>und</strong> der Abwanderung junger Arbeitskräfte<br />

sind die Altersstrukturen dort<br />

oftmals noch kompakter <strong>und</strong> disproportioneller<br />

als in westdeutschen Unternehmen -,<br />

keineswegs selten sind die 40- bis 50-Jährigen<br />

in den Belegschaften weitgehend<br />

unter sich (vgl. Lippert; Astor; Wessels 2001).<br />

Der „demographische Ernstfall“ steht<br />

jedoch in der Breite sowohl in Deutschland<br />

als auch in anderen europäischen Ländern<br />

erst noch bevor. Die wirklichen demographischen<br />

Herausforderungen stellen sich<br />

erst nach dem Jahr 2010, einem Zeitpunkt,<br />

ab dem sich das Erwerbspersonenpotential<br />

insgesamt zudem merklich verringern<br />

wird (vgl. Fuchs; Thon 1999). Die zentrale<br />

Frage ist, ob die „Baby-Boomer“, die zukünftig<br />

auch als „Ältere“ das Gros der Erwerbspersonen<br />

stellen werden, den Ar-<br />

beitsanforderungen der Zukunft gewachsen<br />

sein werden. Angesichts der künftigen<br />

Altersstruktur unserer Bevölkerung sollten<br />

damit bereits heute gerade die geburtenstarken<br />

mittelalten Jahrgänge im Blickfeld<br />

stehen, die gemeinhin schon 15 bis 20 Erwerbsjahre<br />

hinter sich, - voraussichtlich aber<br />

noch ebenso viele Arbeitsjahre vor sich<br />

haben. Um ihre Leistungsfähigkeit zu sichern<br />

<strong>und</strong> um zu verhindern, dass die<br />

schon existierenden Missmatch-Probleme<br />

auf dem Arbeitsmarkt - Fachkräftemangel<br />

bei gleichzeitig weit mehr als vier Millionen<br />

Arbeitsuchenden - zukünftig in noch weit<br />

größerem Ausmaß auftreten, müssen heute<br />

schon die richtigen Weichen gestellt<br />

werden.<br />

2. Lösungsstrategie „Weiterbildung“:<br />

nur eine Seite<br />

der Medaille<br />

„Der Großvater Bal Bahadur Karki in Nepal<br />

(85) hat im vierzehnten Anlauf seine Abiturprüfung<br />

geschafft. Seine Augen sind so<br />

schlecht, daß jemand ihm die Fragen vorlesen<br />

mußte. ‚Ich wollte meinen Kindern <strong>und</strong> Enkelkindern<br />

zeigen, dass es nichts gibt, was nicht zu<br />

schaffen ist, wenn du dich nur richtig anstrengst“,<br />

sagte Karki. Der nahe dem Mount Everest<br />

lebende Vater von sechs Kindern würde<br />

gerne Pädagogik studieren, berichteten Zeitungen.“<br />

Frankfurter R<strong>und</strong>schau, 8.8.2001<br />

Als eine der aussichtsreichsten Strategien<br />

zur Sicherung der langfristigen Beschäftigungsfähigkeit<br />

von Arbeitnehmern<br />

<strong>und</strong> Arbeitnehmerinnen gilt die berufliche<br />

Weiterbildung (vgl. Frerichs; Naegele 1996,<br />

Schemme 2001). Mit der Qualifikation<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

49


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

wachsen gemeinhin auch Einsatz- <strong>und</strong> Beschäftigungsmöglichkeiten.<br />

Angesichts der<br />

demographischen Herausforderungen forderte<br />

die EU-Kommission die Mitgliedstaaten<br />

schon in den Jahren 1999 <strong>und</strong><br />

2000 auf, Maßnahmen zur beständigen<br />

Qualifizierung im Sinne einer Politik des „aktiven<br />

Alterns“ zu ergreifen. Ebenso orientieren<br />

der Rat der Europäischen Union sowie<br />

die UNECE-Ministerkonferenz darauf, mehr<br />

<strong>für</strong> die berufliche Weiterbildung zu tun, um<br />

die Erwerbsbeteiligung Älterer zu erhöhen4 .<br />

Was die formale Ausgangsqualifikation<br />

der unterschiedlichen Altersgruppen in<br />

unserer Bevölkerung anbelangt, so hat hier<br />

in den vergangenen Jahrzehnten ein deutlicher<br />

Angleichungsprozess stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Nach einer IAB-Untersuchung (Reinberg;<br />

Hummel 2001) hat sich dabei gerade die<br />

Qualifikation der mittleren Altersgruppe der<br />

35- bis 49-Jährigen im Zeitraum zwischen<br />

1976 bis 1998 deutlicher als in jeder anderen<br />

Alterskohorte erhöht, so dass diese im<br />

Jahr 1998 - unter dem Aspekt des Ausbildungsabschlusses<br />

- die „am besten qualifizierte<br />

Altersgruppe“ bildet. Und selbst Personen<br />

im Alter zwischen 50 <strong>und</strong> 64 Jahren<br />

sind nach den statistischen Berechnungen<br />

„heute im Gegensatz zu früher kaum noch<br />

schlechter qualifiziert als die 25- bis 34-<br />

Jährigen“(ebd., S. 5).<br />

Die formale Ausgangsqualifikation<br />

bildet jedoch nur eine Facette im Qualifikationsprofil<br />

Erwerbstätiger. Wichtiger ist<br />

die Frage, ob Kenntnisse <strong>und</strong> Kompetenzen<br />

mit den Beschäftigungsjahren auf einem<br />

aktuellen Stand gehalten <strong>und</strong> erweitert<br />

werden. Da sich die Qualifikationsan-<br />

4 Vgl. die vom Rat der Europäischen Union im Februar<br />

2002 verabschiedeten Leitlinien <strong>für</strong> beschäftigungspolitische<br />

Maßnahmen sowie den von der<br />

UNECE-Ministerkonferenz im September 2002 verabschiedeten<br />

Weltaltenplan.<br />

50<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

forderungen in unserer Arbeitswelt ständig<br />

erhöhen <strong>und</strong> immer schneller verändern,<br />

reicht das in der Erstausbildung erworbene<br />

Know-how nur <strong>für</strong> eine immer geringer<br />

werdende berufliche Zeitspanne, <strong>und</strong> es<br />

bedarf beständiger Weiterbildung, um im<br />

Berufsleben qualifiziert zu bleiben. So allgemein<br />

formuliert, besteht zu diesem<br />

Sachverhalt ein breiter gesellschaftlicher<br />

Konsens, der in der Formel vom lebenslangen<br />

Lernen seinen programmatischen<br />

Ausdruck findet.<br />

Wie ist es mit der Fähigkeit bestellt,<br />

(lebenslang) zu lernen <strong>und</strong> sich immer<br />

wieder auf Neues ein- <strong>und</strong> umzustellen?<br />

Nimmt diese naturgemäß mit dem Alter<br />

ab? „Wenn ich einen Betrieb habe“, so ein<br />

Firmenchef, „<strong>und</strong> ich habe die Möglichkeit,<br />

einen 30-Jährigen einzustellen, da<br />

werde ich keinen 50-Jährigen einstellen.<br />

Das ist normal. Da muss man nicht drüber<br />

reden“. Und er begründet seine Haltung<br />

mit „der größeren Bereitschaft Jüngerer,<br />

sich weiterzubilden.“ In Kontrast zu dieser<br />

Alltagserfahrung belegen wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse jedoch, dass die Qualifizierungsfähigkeit<br />

Älterer nicht von dem Alternsprozess<br />

als solchem, sondern natürlich5<br />

in hohem Maße von der Berufsbiographie<br />

<strong>und</strong> den im Erwerbsverlauf gestellten<br />

Anforderungen <strong>und</strong> ausgeübten Tätigkeiten<br />

abhängt. Konzentriert sich die Arbeit<br />

von Beschäftigten beispielsweise jahrzehn-<br />

5 Aus gerontologischer Sicht hat die Plastizität der<br />

Nervenzellen, die <strong>für</strong> Lernvorgänge wesentlich ist,<br />

„über den gesamten Lebenslauf hinweg Bestand“<br />

<strong>und</strong> „die Nervenzellen zeichnen sich gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

<strong>und</strong> in allen Lebensaltern durch eine hohe Veränderungskapazität<br />

(oder Lernfähigkeit) aus“ (Kruse<br />

2000: 74). Die Umstellungsfähigkeit <strong>und</strong> die Geschwindigkeit<br />

der Informationsverarbeitung gehen<br />

allerdings im mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter<br />

bei mangelnden Anregungen in der<br />

Umwelt <strong>und</strong> eingeschränkten Aktivitäten zurück<br />

(ebd., S. 73).


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

telang auf bestimmte Verfahren oder Arbeitsvorgänge,<br />

so kann dies „dazu führen,<br />

dass die ursprünglich vorhandene Qualifikationsbreite<br />

<strong>und</strong> Lernfähigkeit zum Teil erheblich<br />

beeinträchtigt wird“ (Frerichs;<br />

Naegele 1998: 240). Haben sich Arbeitnehmer<br />

über viele Jahre hinweg an ganz<br />

bestimmte Tätigkeiten gewöhnt, so lässt<br />

auch ihr Zutrauen nach, sich in neue Aufgabengebiete<br />

einzuarbeiten <strong>und</strong> sie entwickeln<br />

Widerstände gegenüber neuen<br />

Anforderungen. Für Koller <strong>und</strong> Plath (2000:<br />

112) sind langzeitig ausgeführte Tätigkeiten,<br />

in denen es nichts zu lernen gibt, die<br />

„größte Leistungs- <strong>und</strong> Lernbarriere <strong>für</strong> Ältere“,<br />

da dadurch über das Verlernen bereits<br />

erworbener Fähigkeiten hinausgehend sogar<br />

das Lernen verlernt werde (Disuse-<br />

Effekt bzw. Verschleiß durch Routine).<br />

Anders verhält es sich, wenn die<br />

Lernfähigkeit <strong>und</strong> das Umstellungsvermögen<br />

auf Gr<strong>und</strong> kognitiver Herausforderungen<br />

<strong>und</strong> beruflicher Wechsel im Arbeitsleben<br />

trainiert werden. So sind z.B. gerade in<br />

hoch qualifizierten Berufsfeldern mit hohen<br />

Entscheidungsspielräumen <strong>und</strong> vielfältigen<br />

Arbeitsaufgaben vergleichsweise viele Ältere<br />

erwerbstätig - man denke etwa an<br />

Manager oder Professoren -, ohne dass<br />

diesen gemeinhin eine geringe Lernfähigkeit<br />

oder -bereitschaft zugeschrieben wird.<br />

Nach Aussage eines Projektmanagers aus<br />

einem Maschinenbaubetrieb haben ältere<br />

Meister neue Arbeitsanforderungen in diesem<br />

Betrieb im Zuge der Einführung von<br />

Gruppenarbeit <strong>und</strong> organisatorischer Umstrukturierungen<br />

teilweise weitaus besser<br />

bewältigt als jüngere: „Wir haben alte<br />

Meister, die kurz vor der Pensionierung stehen,<br />

... die haben einen unvorstellbaren<br />

Wandlungsprozess mitgemacht <strong>und</strong> sind<br />

heute Meister in der Gruppenarbeit. Wir<br />

haben ganz junge Meister, die sich gerade<br />

ihr Königreich aufgebaut hatten, die wollen<br />

sich jetzt nicht reinreden lassen!“ Und er<br />

erklärt die Entwicklungsfähigkeit der Älteren<br />

damit, „dass viele von ihnen früher auf<br />

See [waren]. Sie haben Berufswechsel <strong>und</strong><br />

Brüche in ihrer Karriere gehabt - vielleicht<br />

ist es ihnen aus diesem Gr<strong>und</strong> leichter gefallen<br />

als den jüngeren Kollegen“.<br />

Haben Arbeitnehmer im Verlauf ihres<br />

Erwerbslebens die Fähigkeit ausgebildet,<br />

sich immer wieder neue Kenntnisse anzueignen,<br />

so könnten sich ihnen - gerade auf<br />

Gr<strong>und</strong> der zunehmenden Kurzlebigkeit von<br />

Wissen - gr<strong>und</strong>sätzlich auch verbesserte<br />

Chancen bieten, sich in neue Aufgabenbereiche<br />

einzuarbeiten: Das in der Berufsausbildung<br />

erworbene Fachwissen verliert<br />

gegenüber dem learning on the job<br />

an Bedeutung <strong>und</strong> der mögliche Qualifikationsvorsprung<br />

junger Arbeitskräfte wegen<br />

eines in der Erstausbildung erworbenen aktuelleren<br />

Fachwissens schwindet immer<br />

früher. In Fällen qualifizierter Berufsausübung<br />

beklagen Unternehmensvertreter<br />

keineswegs eine mangelnde Leistungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> Qualifikation älterer Arbeitnehmer.<br />

Vielmehr <strong>für</strong>chten sie umgekehrt<br />

eher den Know-how-Verlust, wenn diese<br />

Älteren das Unternehmen verlassen <strong>und</strong><br />

sind bestrebt, sie möglichst lange im Betrieb<br />

zu halten. 6<br />

Je qualifizierter Erwerbstätige eingesetzt<br />

sind, desto eher nehmen sie auch an<br />

Weiterbildungsmaßnahmen teil (vgl. Kistler;<br />

Schönwälder 2001). Die Tatsache, dass es<br />

6 Im Zuge des demographischen Wandels erhöht<br />

sich sukzessive auch die Anzahl der aus dem Erwerbsleben<br />

austretenden älteren Arbeitnehmer.<br />

Von daher gewinnen - gerade in qualifizierten Beschäftigungsbereichen<br />

- effektive Formen des<br />

Know-how-Transfers zwischen Alt <strong>und</strong> Jung an<br />

Stellenwert.<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

51


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

sich bei dem überwiegenden Anteil betrieblicher<br />

Weiterbildungsmaßnahmen um<br />

Anpassungsqualifizierung handelt (vgl.<br />

Weiß 2000), verdeutlicht, dass die Teilnahme<br />

an solchen Maßnahmen entscheidend<br />

mit der Anforderungsdynamik im Arbeitsprozess<br />

zusammenhängt. Umgekehrt laufen<br />

institutionalisierte Weiterbildungsmaßnahmen<br />

- unter beruflichen Gesichtspunkten<br />

- dann ins Leere, wenn das Gelernte im<br />

Anschluss nicht in die Arbeit eingebracht<br />

werden kann <strong>und</strong> die Qualifizierung den<br />

Lernenden keine beruflichen Entwicklungsperspektiven<br />

eröffnet. Von daher bedarf<br />

es einer Integration von Arbeit <strong>und</strong><br />

Lernen bzw. einer Personalentwicklungsplanung,<br />

die Weiterbildung <strong>und</strong> Personaleinsatz<br />

strategisch miteinander verzahnt.<br />

Die Anforderung an Beschäftigte jeden Alters,<br />

lebenslang zu lernen, muss um die<br />

Gestaltung lern- <strong>und</strong> entwicklungsförderlicher<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Beschäftigungsstrukturen<br />

ergänzt werden (Morschhäuser 1999a).<br />

52<br />

3. Ansatzpunkte einer zukunftsorientierten<br />

Arbeits- <strong>und</strong><br />

Personalpolitik<br />

„Es gibt also im Leben des gelernten Arbeiters<br />

einen kritischen Wendepunkt, eine Art<br />

Majorsecke, wenn ich so sagen darf. Ist es ihm<br />

im 40. Jahre noch nicht gelungen, emporzusteigen,<br />

so ist ein allmähliches Herabsinken<br />

schwer zu vermeiden.“<br />

Heinrich Herkner, 1911<br />

(aus: Schriften des Vereins <strong>für</strong> Sozialpolitik)<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Lernförderliche Arbeitsgestaltung<br />

Wie können Arbeit <strong>und</strong> Lernen miteinander<br />

verknüpft <strong>und</strong> die Lernfähigkeit<br />

sowie die berufliche Weiterentwicklung der<br />

Beschäftigten gefördert werden? Ein Ansatz<br />

besteht in den schon lange bekannten<br />

Konzepten der Arbeitsgestaltung, die<br />

darauf abzielen, Arbeitsinhalt <strong>und</strong> Entscheidungsspielräume<br />

der Beschäftigten<br />

- unterstützt durch begleitende Weiterbildungsmaßnahmen<br />

- auszuweiten <strong>und</strong> damit<br />

ihr Qualifikationsspektrum <strong>und</strong> ihre<br />

Einsatzbreite zu vergrößern (job enlargement,<br />

job enrichment).<br />

Entgegen eines immer wieder festgestellten<br />

Trends steigender Qualifikations<strong>und</strong><br />

Flexibilitätsanforderungen kann nach<br />

Bosch (2000: 5) auf Gr<strong>und</strong> einer Sek<strong>und</strong>ärauswertung<br />

deutscher <strong>und</strong> europäischer<br />

Erhebungen belegt werden, dass in<br />

Deutschland „der Anteil wenig lernförderlicher<br />

Arbeitsplätze zunimmt, <strong>und</strong> ... an den<br />

Arbeitsplätzen, die Lernen ermöglichen, im<br />

Unterschied zu den skandinavischen Ländern<br />

<strong>und</strong> den Niederlanden, zu wenig in<br />

die begleitende Weiterbildung investiert<br />

wird.“ Von daher kann keineswegs vorausgesetzt<br />

werden, dass sich die Arbeitsaufgaben<br />

in Produktions- <strong>und</strong> Dienstleistungsbereichen<br />

quasi im Selbstlauf in eine lernförderliche<br />

Richtung entwickeln. Angesichts<br />

dieser Ausgangslage plädiert Bosch<br />

da<strong>für</strong>, dass die Lernförderlichkeit von Arbeit<br />

über eine innovative Arbeitsgestaltung<br />

verbessert werden solle <strong>und</strong> stellt fest, dass<br />

„die Arbeitsgestaltung, die in den 70er <strong>und</strong><br />

80er Jahren sehr stark unter dem Aspekt<br />

des Belastungsabbaus (Humanisierung der<br />

Arbeit) diskutiert wurde, wieder an Bedeutung<br />

[gewinne]“ (ebd. S. 25).<br />

Essentieller Bestandteil einer lernförderlichen<br />

Arbeitsgestaltung sind Arbeits-


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

zeitregelungen, die Freiräume zum arbeitsbegleitenden<br />

Lernen schaffen. So wurde<br />

bspw. schon vielfach festgestellt, dass prinzipiell<br />

vorhandene Möglichkeiten des Arbeitsplatzwechsels<br />

bei Gruppenarbeit aufgr<strong>und</strong><br />

mangelnder Weiterbildungszeiten<br />

nicht ausgeschöpft werden <strong>und</strong> sich dadurch<br />

qualifikationseinengende Spezialisierungen<br />

in Teams herausbilden. Für den Bereich<br />

angelernter Tätigkeiten kommt in diesem<br />

Zusammenhang dem jüngst bei der<br />

Volkswagen AG abgeschlossenen Tarifvertrag<br />

zur Qualifizierung <strong>für</strong> das Projekt „5000<br />

x 5000“ eine Pilotfunktion zu: Vereinbart<br />

wurde hier u.a. eine fortdauernde prozessorientierte<br />

Qualifizierung von drei St<strong>und</strong>en<br />

pro Woche im Rahmen eines arbeitsplatznahen<br />

Lernstattkonzepts. Zugleich haben<br />

die Beschäftigten einen Anspruch auf einen<br />

individuellen Entwicklungs- <strong>und</strong> Qualifizierungsplan.<br />

Aber auch bei höher qualifizierten<br />

Tätigkeiten können definierte bzw. reservierte<br />

Weiterbildungszeiten dabei helfen,<br />

dem Sog des Tagesgeschäftes etwas entgegenzusetzen<br />

<strong>und</strong> sich gezielt zukunftsrelevante<br />

neue Kenntnisse <strong>und</strong> Verfahren<br />

anzueignen. Anstelle kollektiv geregelter<br />

Qualifizierungszeiten ist hier allerdings eher<br />

ein vorausschauendes individuelles Zeitmanagement<br />

erforderlich. Für umfangreichere<br />

Aneignungsprozesse sind schließlich<br />

weiterreichende Arbeitszeitregelungen<br />

<strong>und</strong> neue Lebensarbeitszeitkonzepte wichtig<br />

(z.B. Langzeit- bzw. Lernzeitkonten,<br />

„Qualifizierungssabbaticals“, phasenweise<br />

Teilzeitarbeit zur beruflichen Weiterbildung).<br />

Entwicklungsplanung im<br />

Erwerbsverlauf<br />

Nicht alle Tätigkeiten können lernrelevant<br />

gestaltet werden. Und auch qualifizierte<br />

Arbeit kann mit erheblichen Vereinseitigungen<br />

<strong>und</strong> einer Verengung von Fähigkeiten<br />

sowie Burn-out-Gefahren verb<strong>und</strong>en<br />

sein, wenn es sich um sehr spezifische<br />

<strong>und</strong> anstrengende Arbeitsaufgaben handelt,<br />

die über viele Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte<br />

hinweg ausgeübt werden. Berufliche Weiterentwicklung<br />

ist häufig daran geb<strong>und</strong>en,<br />

dass unterschiedliche Betätigungsfelder<br />

<strong>und</strong> Positionen im Verlauf des Erwerbslebens<br />

eingenommen werden.<br />

Gerade <strong>für</strong> die geburtenstarken<br />

Jahrgänge, die zukünftig länger erwerbstätig<br />

sein werden bzw. müssen als die heute<br />

ältere Generation, sehen die beruflichen<br />

Entwicklungsperspektiven keineswegs rosig<br />

aus: So bieten sich beispielsweise alleine<br />

schon auf Gr<strong>und</strong> der Personenstärke dieser<br />

Generation weniger klassische Aufstiegsmöglichkeiten;<br />

zudem haben sich Karrierewege<br />

im Zuge neuer Organisationskonzepte<br />

wie lean production oder lean management<br />

in der Vergangenheit deutlich<br />

verringert.<br />

Eine von Jasper, Rohwedder <strong>und</strong><br />

Duell (2001) durchgeführte Fragebogenerhebung<br />

zu Bedingungen innovativen Handelns<br />

in vier kleinen <strong>und</strong> mittelständischen<br />

ostdeutschen Unternehmen aus unterschiedlichen<br />

Branchen kommt zu folgenden<br />

Ergebnissen: Im Vergleich zu den Jüngeren<br />

(bis 35 Jahre) <strong>und</strong> Älteren (ab 46<br />

Jahre) sind die Beschäftigten mittleren Alters<br />

(36 bis 45 Jahre) besonders unzufrieden<br />

in ihrer Arbeit, was von den Befragten<br />

auf zwei Faktoren zurückgeführt wird: „Erstens<br />

sind die Mittelalten höher qualifiziert<br />

<strong>und</strong> zu wenig entsprechend ihrer Qualifika-<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

53


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

tion am Arbeitsplatz gefordert. ... Zweitens<br />

sehen die Mittelalten zu wenig Aufstiegsoder<br />

Entwicklungsmöglichkeiten <strong>für</strong> sich ...<br />

Zugleich sind die Mittelalten jene, von denen<br />

Anleitung <strong>und</strong> Unterstützung gegenüber<br />

den Jüngeren erwartet werden. Ihre<br />

eigene Entwicklung jedoch stagniert. So<br />

gelangen die Mittelalten fast unbemerkt in<br />

die Rolle einer unzufriedenen betrieblichen<br />

‚Sandwichgeneration‘“ (ebd., S. 56 - 57).<br />

Während die „Baby-Boomer“ in ihrer Ausbildungsphase<br />

in den 70er <strong>und</strong> 80er Jahren<br />

von der Bildungsexpansion profitiert haben<br />

<strong>und</strong> die vergleichsweise höchste Ausgangsqualifikation<br />

vorweisen können, geraten<br />

viele von ihnen nun in eine Phase beruflicher<br />

Stagnation.<br />

Da klassische Karrierewege immer<br />

mehr Personen dieser Altersgruppe nicht<br />

mehr offen stehen, wird die systematische<br />

<strong>und</strong> gezielte Planung neuer „alternsgerechter“<br />

Laufbahnen im Sinne lernrelevanter<br />

Positionswechsel <strong>und</strong> „horizontaler“<br />

Fachkarrieren zu einer wichtigen Gestaltungsaufgabe.<br />

Während entsprechende<br />

Konzepte schon sehr lange in der Wissenschaft<br />

diskutiert werden (vgl. Dohse; Jürgens;<br />

Russig 1982, Behrens 1994), stößt die<br />

Umsetzung der Modellvorstellungen in der<br />

betrieblichen Praxis jedoch an vielfältige<br />

Barrieren (vgl. Morschhäuser 1999b): Maßnahmen<br />

müssen sich nachweisbar <strong>und</strong> in<br />

kurzen Zeiträumen „rechnen“. Das Tagesgeschäft<br />

dominiert <strong>und</strong> reagiert wird zumeist<br />

erst dann, wenn „die Probleme auf<br />

dem Tisch liegen“. Präventive zukunftsorientierte<br />

Qualifizierungsmaßnahmen finden<br />

daher selten statt. Und Personalentwicklung<br />

ist, sofern sie überhaupt in Firmen als<br />

explizite Aufgabe wahrgenommen wird,<br />

ganz überwiegend an junge High Potentials<br />

adressiert. Gerade die Beschäftigten-<br />

54<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

gruppen, bei denen am häufigsten Einsatzprobleme<br />

mit dem Älterwerden auftreten,<br />

sind dagegen in der Regel ebenso<br />

wenig einbezogen wie ältere Arbeitnehmer<br />

oder gar Arbeitnehmerinnen.<br />

Andererseits hat das Thema „demographischer<br />

Wandel“, nachdem es lange<br />

nahezu ausschließlich in Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Politik behandelt wurde, auf betrieblicher<br />

Ebene gerade erst die Wahrnehmungsschwelle<br />

erreicht. Manche Unternehmensvertreter<br />

registrieren, dass die Ressource<br />

„Arbeitskraft“, präziser: „junge hoch qualifizierte<br />

Arbeitskraft“ knapp, die Belegschaften<br />

älter <strong>und</strong> der Erhalt von Employability<br />

der nicht mehr so jungen Beschäftigten<br />

wichtiger werden. Das B<strong>und</strong>esministerium<br />

<strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong> Forschung hat in diesem<br />

Zusammenhang im Jahr 2002 eine „Demographie-Initiative“<br />

gestartet, in deren<br />

Rahmen mehr als 120 Betriebe der Metall<strong>und</strong><br />

Elektrobranche sowie Handwerksfirmen<br />

Konzepte einer alternsgerechten Arbeits-<br />

<strong>und</strong> Personalpolitik entwickeln <strong>und</strong><br />

umsetzen. Von daher gibt es eine Reihe<br />

von Unternehmen, die - teilweise angestoßen<br />

durch weitere öffentlich geförderte<br />

Projekte - Ansätze einer Personalentwicklungsplanung<br />

<strong>für</strong> langjährig beschäftigte<br />

Mitarbeiter erprobt oder entsprechende<br />

Vorhaben konkret geplant haben:<br />

Kompass-Training: Eine Mitarbeiterbefragung<br />

bei der SIEMENS AG im Zentralbereich<br />

Technik führte - ähnlich wie die<br />

von Jasper u.a. durchgeführten Erhebungen<br />

- zu dem Ergebnis, dass gerade die<br />

Beschäftigten zwischen 40 <strong>und</strong> 50 Jahren,<br />

die den größten Teil der Belegschaft ausmachen,<br />

besonders unzufrieden mit ihrer<br />

beruflichen Situation sind. Das Unternehmen<br />

habe sich, so der Kommentar des


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

Personalleiters Horst Harenberg, wie die<br />

meisten anderen Firmen, in den vergangenen<br />

Jahren vor allem auf die Nachwuchsentwicklung<br />

konzentriert. Nun habe<br />

man gemerkt, dass Personalentwicklung<br />

verstärkt auch auf Beschäftigte mittleren<br />

<strong>und</strong> höheren Alters bezogen werden müsse,<br />

um deren Beschäftigungsfähigkeit zu<br />

erhalten. Deshalb wurde ein spezielles Angebot<br />

<strong>für</strong> über 40-jährige Mitarbeiter unter<br />

dem Titel „Kompass-Training“ entwickelt.<br />

Dabei handelt es sich um Workshops, die<br />

zunächst mittels Erfahrungsaustausch <strong>und</strong><br />

Reflexion bei den Orientierungen der Beschäftigten<br />

selbst ansetzen <strong>und</strong> diesen helfen<br />

sollen, sich beruflich zu verorten <strong>und</strong><br />

sich ggf. neue Ziele in der Arbeit zu setzen.<br />

Der Erfolg dieser Maßnahme ist zugleich<br />

daran geb<strong>und</strong>en, dass die Führungskräfte<br />

auf entwickelte Veränderungsabsichten<br />

der Teilnehmer offen <strong>und</strong> unterstützend reagieren<br />

<strong>und</strong> es betrieblicherseits prinzipiell<br />

möglich ist, die Position zu wechseln oder<br />

neue Arbeitsaufgaben wahrzunehmen.<br />

Rotationskonzept: Angesichts einer<br />

absehbaren drastischen Alterung der Belegschaft<br />

<strong>und</strong> mit dem Ziel, die Produktivität<br />

auch mit einem deutlich höheren Anteil<br />

älterer Arbeitnehmer in der Zukunft zu sichern,<br />

entwickelte die VEAG Vereinigte<br />

Energiewerke AG Ende der 90er Jahre ein<br />

neues Konzept der Personalenwicklung.<br />

Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass<br />

die Mehrzahl sowohl der Angestellten wie<br />

auch der Facharbeiter im Alter von 30 bis<br />

35 Jahren „das eigentliche Laufbahnende“<br />

erreichen <strong>und</strong> Positionswechsel danach<br />

kaum mehr stattfinden. „Vereinfacht<br />

dargestellt heißt dies“, so der damalige<br />

Personalleiter, „dass <strong>für</strong> eine Dauer von 30<br />

bis 35 Jahren die gleiche Tätigkeit ausge-<br />

übt wird“. Um Routineeffekte einzugrenzen,<br />

die Lernfähigkeit <strong>und</strong> Flexibilität zu fördern<br />

<strong>und</strong> „Reserven zu mobilisieren“, wurde ein<br />

Rotationskonzept ausgearbeitet, das ab<br />

einem Lebensalter von 35 Jahren jeweils<br />

alle fünf Jahre einen Wechsel in eine andere<br />

Position vorsieht, wobei die Beschäftigten<br />

da<strong>für</strong> teilweise vorhandene Kenntnisse<br />

einbringen <strong>und</strong> teilweise neu qualifiziert<br />

werden müssen. Für ausgewählte Arbeitsbereiche<br />

<strong>und</strong> insbesondere <strong>für</strong> Führungskräfte<br />

wurde dieses Modell auch umgesetzt.<br />

Im Zuge umfangreicher betrieblicher<br />

Umstrukturierungsmaßnahmen <strong>und</strong><br />

erhöhten Kostendrucks, verb<strong>und</strong>en mit einem<br />

starken Personalabbau (Fusion zu Vattentall<br />

Europe), wurden die Maßnahmen<br />

dann jedoch nicht weiter forciert. Bei den<br />

Beschäftigten lösten die Wechselangebote<br />

zudem im Rationalisierungskontext Verunsicherungen<br />

<strong>und</strong> Ängste um ihre Arbeitsplatzsicherheit<br />

aus.<br />

Neue Entwicklungswege: In Anbetracht<br />

eines wahrgenommenen Fachkräftemangels<br />

auf dem regionalen Arbeitsmarkt<br />

<strong>und</strong> einem gleichzeitig rückläufigen<br />

Bedarf an un- <strong>und</strong> angelernten Arbeitskräften<br />

plant die SICK AG zur Zeit ein Pilotprojekt,<br />

das auf die Erschließung <strong>und</strong> Weiterentwicklung<br />

interner Mitarbeiterressourcen<br />

<strong>und</strong> Kompetenzentwicklung setzt: Langjährig<br />

Beschäftigten aus dem Montagebereich<br />

- Frauen wie Männern - soll die Möglichkeit<br />

einer berufsbegleitenden Weiterbildung<br />

zu Industriemechanikern <strong>und</strong> Bürokaufleuten<br />

angeboten <strong>und</strong> ihnen damit<br />

qualifizierte Einsatzperspektiven im Unternehmen<br />

eröffnet werden. Dieses Konzept<br />

richtet sich explizit an Un- <strong>und</strong> Angelernte;<br />

es ist geschlechts- <strong>und</strong> generationenübergreifend<br />

angelegt <strong>und</strong> beinhaltet von<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

55


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

vornherein eine Verzahnung umfangreicher<br />

Qualifizierungsmaßnahmen mit neuen<br />

Personaleinsatzstrategien <strong>und</strong> Arbeitszeitregelungen.<br />

Während die Firma bereit ist,<br />

unterstützende zeitliche <strong>und</strong> organisatorische<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen, ist<br />

jedoch noch unklar, ob sich die örtliche<br />

Arbeitsverwaltung finanziell an den geplanten<br />

Maßnahmen beteiligen wird.<br />

Die betrieblichen Beispiele veranschaulichen<br />

innovative Strategien der Entwicklungsplanung<br />

<strong>für</strong> Erwerbstätige mittleren<br />

Alters, mittels derer die Lern- <strong>und</strong> Leistungsfähigkeit<br />

langfristig erhalten <strong>und</strong> gefördert<br />

werden kann. Damit solche Konzepte<br />

tatsächlich in berufliche Weiterentwicklung<br />

münden <strong>und</strong> um sie zu verbreiten<br />

<strong>und</strong> nachhaltig abzusichern, bedarf es jedoch<br />

weitergehender Überlegungen <strong>und</strong><br />

flankierender Maßnahmen. Besondere Anstrengungen<br />

sind nötig, um An- <strong>und</strong> Ungelernten<br />

in gering qualifizierten Tätigkeitsfeldern<br />

Entwicklungswege zu eröffnen. Und<br />

nicht allen Beschäftigten können lernförderliche<br />

Positionswechsel im Sinne einer alternsgerechten<br />

Laufbahngestaltung angeboten<br />

werden. Aber es können betriebliche<br />

„Möglichkeitsräume“ <strong>für</strong> Neuorientierungen<br />

in Arbeit <strong>und</strong> Beruf überprüft <strong>und</strong><br />

erweitert werden, die von den Beschäftigten<br />

wiederum wahrgenommen <strong>und</strong> eingefordert<br />

werden müssen. Zugleich gilt es, individuelle,<br />

betriebliche <strong>und</strong> überbetriebliche<br />

Aktivitäten aufeinander abzustimmen<br />

<strong>und</strong> miteinander zu verzahnen.<br />

Weiter stellt sich die Frage, welche<br />

staatlichen Unterstützungsangebote geeignet<br />

<strong>und</strong> notwendig sind, damit Beschäftigte<br />

sich selbst bzw. Betriebe ihr Personal<br />

zukunftsorientiert beruflich weiterentwickeln<br />

können. In diesem Kontext sind neue<br />

arbeitsmarktpolitische Konzepte gefragt,<br />

56<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

mittels derer eine zukunftsorientierte Weiterbildung<br />

<strong>und</strong> der Erwerb von Kompetenzen<br />

<strong>für</strong> neue Aufgabenfelder auch der<br />

nicht arbeitslosen Erwerbspersonen gefördert<br />

werden können. Conditio sine qua<br />

non einer erfolgreichen lebensbegleitenden<br />

Qualifizierungspolitik ist schließlich<br />

- gerade auch angesichts zunehmend diskontinuierlicher<br />

Erwerbsverläufe - eine betriebliche<br />

Einstellungspolitik, bei der vor allem<br />

die individuelle Kompetenz zählt <strong>und</strong><br />

„Alter“ nicht von vornherein ein Negativkriterium<br />

darstellt.<br />

▪<br />

Dr. Martina Morschhäuser,<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin,<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

e-mail: morschhaeuser@iso-institut.de


Martina Morschhäuser: Integration von Arbeit <strong>und</strong> Lernen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

LITERATUR<br />

Behrens, J.: Der Prozeß der Invalidisierung - das<br />

demographische Ende eines historischen Bündnisses,<br />

in: Behrend, C. (Hg.): Frühinvalidität - ein<br />

Ventil des Arbeitsmarktes? Berufs- <strong>und</strong> Erwerbsunfähigkeitsrenten<br />

in der sozialpolitischen Diskussion,<br />

Berlin 1994: 105 - 135<br />

Bosch, G.: Betriebliche Reorganisation <strong>und</strong><br />

neue Lernkulturen. Graue Reihe des <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong><br />

Arbeit <strong>und</strong> Technik 2000-09, Gelsenkirchen 2000<br />

Dohse, K.; Jürgens, U.; Russig, H.: Die gegenwärtige<br />

Situation älterer Arbeitnehmer im Beschäftigungssystem<br />

- Einführung in die Probleme, in:<br />

Dohse, K.; Jürgens, U.; Russig, H. (Hg.): Ältere<br />

Arbeitnehmer zwischen Unternehmensinteressen<br />

<strong>und</strong> Sozialpolitik, Frankfurt/M. 1982:. 9 - 60<br />

Frerichs, F.; Naegele, G.: Schlußfolgerungen<br />

<strong>und</strong> Empfehlungen <strong>für</strong> die verbesserte Integration<br />

älterer Arbeitnehmer im Betrieb, in: Frerichs,<br />

F. (Hg.): Älterer Arbeitnehmer im Demographischen<br />

Wandel - Qualifizierungsmodelle <strong>und</strong><br />

Eingliederungsstrategien, Münster 1996: 221 -<br />

235<br />

Frerichs, F.; Naegele, G.: Strukturwandel des Alters<br />

<strong>und</strong> Arbeitsmarktentwicklung – Perspektiven<br />

der Alterserwerbsarbeit im demographischen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftsstrukturellen Wandel, in:<br />

Clemens, W.; Backes, G. (Hg.): Altern <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />

Opladen 1998: 237 - 256.<br />

Fuchs, J.; Thon, M.: Potentialprojektion bis 2040.<br />

Nach 2010 sinkt das Angebot an Arbeitskräften.<br />

IAB Kurzbericht, Nr. 4, 1999<br />

Hilpert, M.; Kistler, E.; Wahse, J.: Demographischer<br />

Wandel, Arbeitsmarkt <strong>und</strong> Weiterbildung,<br />

in: Zeitschrift „Arbeit <strong>und</strong> Beruf“, 9/ 2000<br />

Jasper, G.; Rohwedder, A.; Duell, W.: Alternde<br />

Belegschaft <strong>und</strong> Innovativität: Herausforderungen<br />

an das Innovations- <strong>und</strong> Personalmanagement,<br />

in: Astor, M.; Jasper, G. (Hg.): Demographischer<br />

Wandel als Wachstumsbremse oder<br />

Chance? – Innovations- <strong>und</strong> Personalstrategien<br />

in den neuen B<strong>und</strong>esländern. Broschürenreihe<br />

Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit, Stuttgart<br />

2001: 35 - 63<br />

Kistler, E.; Schönwälder, T.: Die alternde Gesellschaft<br />

in Deutschland <strong>und</strong> in der Europäischen<br />

Union erzwingt ein lebenslanges Lernen, in: LebensLangesLernen.<br />

Expertisen zu Lebenslangem<br />

Lernen – Lebensarbeitszeiten - Lebensweiterbildungskonten.<br />

Schriftenreihe der Senatsverwaltung<br />

<strong>für</strong> Arbeit, Soziales <strong>und</strong> Frauen,<br />

Band 44, Berlin 2001: 29 - 68<br />

Koller, B.; Plath, H.-E.: Qualifikation <strong>und</strong> Qualifizierung<br />

älterer Arbeitnehmer, in: MittAB 1/2000:<br />

112 - 125<br />

Kruse, A.: Psychologische Beiträge zur Leistungsfähigkeit<br />

im mittleren <strong>und</strong> höheren Erwachsenenalter<br />

- eine ressourcenorientierte Perspektive,<br />

in: von Rothkirch, Ch. (Hg.): Altern <strong>und</strong> Arbeit:<br />

Herausforderung <strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />

Berlin 2000: 72 - 87<br />

Leber, U.: Ältere – ein Schatz muß gehoben<br />

werden. IAB Materialien, Nr. 2/ 2001: 6 - 7<br />

Lippert, I.; Astor, M.; Wessels, J.: Demographischer<br />

Wandel <strong>und</strong> Wissenstransfer im Innovationsprozess,<br />

in: Astor, M.; Jasper, G. (Hg.): Demographischer<br />

Wandel als Wachstumsbremse<br />

oder Chance? - Innovations- <strong>und</strong> Personalstrategien<br />

in den neuen B<strong>und</strong>esländern. Broschürenreihe:<br />

Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit,<br />

Stuttgart 2001: 10 - 34<br />

Morschhäuser, M.: Ges<strong>und</strong> bis zur Rente? Ansatzpunkte<br />

einer alternsgerechten Arbeits- <strong>und</strong><br />

Personalpolitik, in: Badura, B.; Schellschmidt, H.;<br />

Vetter, Ch. (Hg): Fehlzeiten-Report 2002, Demographischer<br />

Wandel. Herausforderung <strong>für</strong><br />

die betriebliche Personal- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspolitik,<br />

Berlin 2003: 59 - 71<br />

Morschhäuser, M.: Gr<strong>und</strong>züge altersgerechter<br />

Arbeitsgestaltung, in: Gussone, M.; Huber, A.,<br />

Morschhäuser, M.; Petrenz, J.: Ältere Arbeitnehmer.<br />

Altern <strong>und</strong> Erwerbsarbeit in rechtlicher,<br />

arbeits- <strong>und</strong> sozialwissenschaftlicher Sicht,<br />

Frankfurt/M. 1999a: 101 - 185<br />

Morschhäuser, M.: Alternsgerechte Arbeit: Gestaltungsaufgabe<br />

<strong>für</strong> die Zukunft oder Kampf<br />

gegen Windmühlen?, in: Behrens, J.; Morschhäuser,<br />

M.; Viebrok, H.; Zimmermann, E.: Länger<br />

erwerbstätig - aber wie?, Opladen 1999b: 19 -<br />

70<br />

Naegele, G.: Demografischer Wandel <strong>und</strong> Erwerbsarbeit<br />

im Alter, in: Fuchs, G.; Renz, Ch.<br />

(Hg.): Altern <strong>und</strong> Erwerbsarbeit. Workshopdokumentation.<br />

Arbeitsbericht der Akademie <strong>für</strong><br />

Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg,<br />

Nr. 201, Stuttgart 2001: 5 - 21<br />

Reinberg, A.; Hummel, M.: Bildungsexpansion in<br />

Westdeutschland. Stillstand ist Rückschritt. IAB<br />

Kurzbericht, Nr. 8, 2001<br />

Schemme, D. (Hg.): Qualifizierung, Personal-<br />

<strong>und</strong> Organisationsentwicklung mit älteren Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeitern, Bonn 2001<br />

Weiß, R.: Wettbewerbsfaktor Weiterbildung – Ergebnisse<br />

der Weiterbildungserhebung der Wirtschaft.<br />

Reihe „Beiträge zur Gesellschafts- <strong>und</strong><br />

Bildungspolitik“, Nr. 242, Köln<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

57


ISO-NEWS – Neuere Forschungsvorhaben / Kurzcharakterisierung<br />

58<br />

„Demographie-Initiative“<br />

In diesem „Praxis-Projekt“, das das<br />

ISO zusammen mit dem VDMA durchführt,<br />

werden in 50 Betrieben des Maschinenbaus<br />

Aktivitäten zur Bearbeitung des demographischen<br />

Wandels initiiert <strong>und</strong> begleitet.<br />

Das ISO ist dabei Impulsgeber,<br />

Wegbegleiter <strong>und</strong> Dokumentator der Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> Resultate des Gesamtprozesses.<br />

Ziel des Vorhabens ist es, eine kontextuelle<br />

Deskription der betrieblichen Projekte<br />

zu leisten sowie daraus abgeleitet ein<br />

erfahrungsgesättigtes k<strong>und</strong>enzentriertes<br />

Handlungs- <strong>und</strong> Beratungskonzept zu entwickeln.<br />

Gefördert durch das B<strong>und</strong>esministerium<br />

<strong>für</strong> Bildung <strong>und</strong><br />

Forschung auf der Gr<strong>und</strong>lage des<br />

Rahmenkonzepts „Innovative<br />

Arbeitsgestaltung – Zukunft der<br />

Arbeit“<br />

Laufzeit: Januar/2002 – Juni/2003<br />

Projektleitung <strong>und</strong> -bearbeitung:<br />

Dr. Martina Morschhäuser<br />

Josef Reindl<br />

▪<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

Diversity Management <strong>und</strong><br />

Öffnung betrieblicher<br />

Teilarbeitsmärkte<br />

Im Rahmen der von der EU im Programm<br />

„EQUAL“ geförderten saarländischen<br />

Entwicklungspartnerschaft „Perspektive<br />

2000/20+X“ bezieht sich dieses arbeitsmarktpolitische<br />

Teilprojekt auf die<br />

Analyse unternehmensspezifischer Rekrutierungs-<br />

<strong>und</strong> Auswahlverfahren, um Formen<br />

struktureller Benachteiligung offen zu<br />

legen, die den so genannten „Problemgruppen“<br />

des Arbeitsmarktes den Zugang<br />

zu den betrieblichen Teilarbeitsmärkten erschweren.<br />

Ziel ist es, das Personalmanagement<br />

in ausgewählten Betrieben im Sinne<br />

der EQUAL-Ziele zu sensibilisieren, um<br />

gemeinsam neue Wege <strong>für</strong> die Arbeitsmarktintegration<br />

von Arbeitslosen zu finden.<br />

Das Projekt beinhaltet die Ingangsetzung<br />

einer selbstreflexiven Personalpolitik,<br />

indem Elemente eines Diversity Managements<br />

übertragen werden sowie die Eruierung<br />

des externen Integrations- <strong>und</strong> Unterstützungsbedarfs<br />

der Unternehmen im Umgang<br />

mit Bewerbern aus benachteiligten<br />

Arbeitsmarktgruppen.<br />

Gefördert durch das B<strong>und</strong>esministerium<br />

<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Arbeit aus Mitteln des Europäischen<br />

Sozialfonds im Rahmen<br />

der Gemeinschaftsinitiative EQUAL<br />

Laufzeit: Mai/2002 - Juli/2004<br />

Projektleiter: Hans Günter Grewer


ISO-News - Neuere Forschungsvorhaben<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

Netzwerk <strong>für</strong> alternsgerechte<br />

Arbeit (NETAB)<br />

Im Teilprojekt von ISO werden – gemeinsam<br />

mit einem Pilotunternehmen –<br />

Maßnahmen zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit<br />

älterer Mitarbeiter entwickelt<br />

<strong>und</strong> wissenschaftlich begleitet. Unter<br />

anderem werden neue Personaleinsatzkonzepte<br />

<strong>für</strong> „Leistungsgewandelte“ erprobt<br />

<strong>und</strong> Möglichkeiten einer alternsgerechten<br />

Weiterentwicklung der im Werk<br />

praktizierten Gruppenarbeit ausgelotet.<br />

Das Netzwerk NETAB bildet das Forum, um<br />

gewonnene Erfahrungen <strong>und</strong> Erkenntnisse<br />

zur Förderung älterer Arbeitnehmer im europäischen<br />

Kontext auszutauschen.<br />

Gefördert durch das B<strong>und</strong>esministerium<br />

<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Arbeit aus Mitteln des Europäischen<br />

Sozialfonds im Rahmen<br />

der Gemeinschaftsinitiative EQUAL<br />

Laufzeit: Mai/2002 – Juni/2005<br />

Projektleitung <strong>und</strong> -bearbeitung:<br />

Dr. Martina Morschhäuser<br />

Volker Hielscher<br />

▪<br />

Ältere Arbeitnehmer am<br />

Arbeitsmarkt<br />

Ziel dieses Projektes ist die Erstellung<br />

eines „Good Practice-Kompendiums“, in<br />

dem Informationen zum demographischen<br />

Wandel in der Erwerbsbevölkerung <strong>für</strong> die<br />

Zielgruppe „Betriebspraktiker“ aufbereitet<br />

<strong>und</strong> betriebliche Handlungsansätze zur<br />

Nutzung <strong>und</strong> Förderung der Potentiale älterer<br />

Mitarbeiter systematisch dargestellt<br />

werden.<br />

Gefördert von der Bertelsmann-Stiftung<br />

im Rahmen des EU-Projektes<br />

„Proage - Facing the challenge of<br />

demographic change“<br />

Laufzeit: Oktober/2002 - Mai/2003<br />

Projektleitung <strong>und</strong> -bearbeitung:<br />

Dr. Martina Morschhäuser<br />

Achim Huber <strong>und</strong> Peter Ochs<br />

▪<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

59


ISO-News - Neuere Forschungsvorhaben<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

60<br />

Teilhabe behinderter Menschen<br />

<strong>und</strong> betriebliche Praxis<br />

Konzeptionen <strong>und</strong> Arbeitsmaterialien<br />

zum neuen Recht behinderter<br />

Menschen <strong>für</strong> die Bildungsarbeit mit<br />

betrieblichen Interessenvertretungen<br />

Ausgehend von den Regelungen des<br />

neuen SGB IX erarbeitet das Projekt gr<strong>und</strong>legende<br />

Beiträge <strong>für</strong> die Bildungsarbeit,<br />

um Schwerbehindertenvertretungen, Betriebs-<br />

<strong>und</strong> Personalräte <strong>für</strong> Anforderungen<br />

in den Aufgabenbereichen Integration,<br />

Rehabilitation <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitssicherung<br />

zu qualifizieren. Arbeitsschwerpunkte des<br />

Projekts umfassen:<br />

▫ Konzeption <strong>und</strong> Ausarbeitung von Seminarmodulen<br />

<strong>und</strong> Arbeitsmaterialien, Erprobung<br />

in Seminarveranstaltungen, Aufbereitung<br />

<strong>für</strong> die laufende Bildungsarbeit;<br />

▫ begleitende empirische Recherchen in<br />

der betrieblichen <strong>und</strong> überbetrieblichen<br />

Praxis;<br />

▫ Information <strong>und</strong> Qualifizierung von Multiplikatoren<br />

<strong>und</strong> Referenten; Vernetzung<br />

mit betrieblichen <strong>und</strong> außerbetrieblichen<br />

Akteuren (durch Projekt-Website, Arbeitstagungen).<br />

Kooperationsprojekt des ISO-<strong>Institut</strong>s<br />

mit IG Metall, Vorstandsverwaltung <strong>und</strong><br />

Verdi, B<strong>und</strong>esverwaltung<br />

Zuwendungsgeber: BMGS, Beirat <strong>für</strong><br />

die Teilhabe behinderter Menschen<br />

(Ausgleichsfonds)<br />

Laufzeit: Februar/2003-Januar/2006<br />

Projektleiter: Achim Huber<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

⇒ Kurzberichte zu bereits länger<br />

laufenden oder bereits abgeschlossenenForschungsvorhaben<br />

können unter unserer<br />

Homepage:<br />

www.iso-institut.de<br />

eingesehen werden.<br />


ISO-News – Veröffentlichungen 2003 - 2002<br />

Grewer, Hans Günter; Josef Reindl (2003):<br />

„Allein auf Systemgeschäft <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

zu setzen ist dummes Zeug.“ - Der deutsche<br />

Maschinenbau zwischen Sachgut- <strong>und</strong> Dienstleistungsorientierung,<br />

in: NN (Hg.): Moderne<br />

Dienstleistungsarbeit. Mythos <strong>und</strong> Realität, Berlin:<br />

edition sigma (i.E.)<br />

Hielscher, Volker (2003): Flexible Work and<br />

Work-Life-Balance: Potential or Contradiction?,<br />

in: Bechmann, Gotthard; Bettina-Johanna<br />

Krings; Michael Rader (eds.): Across the divide.<br />

Work, Organization and Social Exclusion in the<br />

European Information Society, Frankfurt a.M.:<br />

161 - 171: edition sigma<br />

Kirchen-Peters, Sabine (2003): Liaisonmodell:<br />

Unterstützung durch Profis, in: krankenhausumschau<br />

72(2003)3: 182 - 184<br />

Kirchen Peters, Sabine (2003): Beraten <strong>und</strong><br />

qualifizieren. Ein saarländisches Projekt formuliert<br />

Arbeitshilfen zur besseren Versorgung demenzkranker<br />

Menschen, in: Häusliche Pflege<br />

12(2003)4: 32 - 35<br />

Morschhäuser, Martina (2003): Ges<strong>und</strong> bis<br />

zur Rente? Ansatzpunkte einer alternsgerechten<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Personalpolitik, in: Badura, Bernhard;<br />

Henner Schellschmidt; Christian Vetter<br />

(Hg.): Fehlzeiten-Report 2002. Demographischer<br />

Wandel. Herausforderung <strong>für</strong> die betriebliche<br />

Personal- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspolitik, Berlin u.a.<br />

2003: 59 - 71: Springer Verlag<br />

Pohlmann, Markus (2003): Zur Effektivität<br />

kommerzieller Beratungsleistungen in der ostdeutschen<br />

Strukturkrise, in: Betriebswirtschaftliche<br />

Forschung <strong>und</strong> Praxis (i.E.)<br />

Pohlmann, Markus; Hans Günter Grewer<br />

(2003): Dienstleistungsarbeit im Zeichen von<br />

Vermarktlichung <strong>und</strong> neuer Leistungsorientierung,<br />

in: NN (Hg.): Moderne Dienstleistungsarbeit.<br />

Mythos <strong>und</strong> Realität, Berlin: edition sigma<br />

(i.E.)<br />

Pohlmann, Markus (2003): Die Entwicklung<br />

Ostasiens Revisited, in: Leviathan (i.E.)<br />

Blass, Kerstin; Franz Brandt; Petra Essig u.a.<br />

(2002): Das BMGS-Modellprogramm: Impulse <strong>für</strong><br />

eine moderne Pflegeinfrastruktur. Abschlussbericht<br />

zur Modellphase 1998 bis 2001, Saarbrücken:<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

Blass, Kerstin (2002): Der Außenseiter mit Zukunft.<br />

Eine Untersuchung zeigt: Als Solitärangebot<br />

schließt Kurzzeitpflege effektiv Lücken im<br />

Versorgungssystem, in: Altenheim 3(41) 2002: 18<br />

- 22<br />

Hielscher, Volker (2002): Personalpolitik im<br />

Experten-Engpaß. Betriebliche Strategien zwischen<br />

Marktabhängigkeit <strong>und</strong> Eigenverantwortung,<br />

Berlin: edition sigma<br />

Hielscher, Volker (2002): Wer klug ist, investiert<br />

langfristig, in: Mitbestimmung 48(2002)5: 56<br />

- 58<br />

Hielscher, Volker; Eckart Hildebrandt (2002):<br />

Leben <strong>und</strong> Arbeiten in der atmenden Fabrik -<br />

die Folgewirkungen flexibler Arbeitszeitmuster<br />

<strong>für</strong> die Lebensführung der Beschäftigten, in:<br />

Mückenberger, Ulrich; Marcus Menzl (Hg.): Der<br />

Global Player <strong>und</strong> das Territorium, Opladen: 39 -<br />

58: leske+ budrich<br />

Huber, Achim (2002): Strategien zur alternsgerechten<br />

Gestaltung von Gruppenarbeit - Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

<strong>und</strong> Qualifizierung. Handlungshilfe<br />

zur Durchführung betrieblicher<br />

Workshops mit Vorgesetzten <strong>und</strong> Mitarbeitern,<br />

Broschürenreihe „Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit“,<br />

Stuttgart: IRB Verlag<br />

Huber, Achim (2002): Betriebliche Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

im Kontext alternsgerechter Gestaltung<br />

von Gruppenarbeit, in: Morschhäuser,<br />

Martina (Hg.): Ges<strong>und</strong> bis zur Rente, Broschürenreihe<br />

„Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit“,<br />

Stuttgart: IRB Verlag<br />

Huber, Achim (2002): Lernen, was (noch)<br />

nicht im Gesetz steht. Zur Weiterbildung von betrieblichen<br />

Interessenvertretern <strong>und</strong> –vertreterinnen<br />

der schwerbehinderten Beschäftigten, in:<br />

Heinz, Walter R.; Hermann Kotthoff; Gerd Peter<br />

(Hg.): Lernen in der Wissensgesellschaft. Dort-<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

61


ISO-News - Veröffentlichungen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

m<strong>und</strong>er Beiträge zur Sozial- <strong>und</strong> Gesellschaftspolitik,<br />

Band 37, Münster: 64 - 77: LIT-Verlag<br />

Huber, Achim; Wolfgang Trunk (2002): Arbeit<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit im Betrieb, Band 2: „Strategien<br />

zur Integration behinderter Menschen im Arbeitsleben“,<br />

Saarbrücken: ISO-<strong>Institut</strong><br />

ISO-<strong>Institut</strong> (Hg.) (2002): Auslaufmodell Pflegeheim?<br />

Die Zukunft der stationären Pflege <strong>und</strong><br />

innovative Ansätze im BMG-Modellprogramm.<br />

Dokumentation der Fachtagung des ISO-<br />

<strong>Institut</strong>s vom 3. bis 5. Juni 2002 in Bonn, Saarbrücken:<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

Kirchen-Peters, Sabine (2002): Qualifizierung<br />

professionell Pflegender <strong>und</strong> Hilfen <strong>für</strong> pflegende<br />

Angehörige. Verbesserung der Hilfen <strong>für</strong><br />

Demenzkranke im Landkreis Saarlouis, Saarbrücken:<br />

Landkreis Saarlouis<br />

Kirchen-Peters, Sabine u. Mitarb. v. Monika<br />

Brehm <strong>und</strong> Patrick Hemm (2002): Gerontopsychiatrischer<br />

Konsiliar- <strong>und</strong> Liaisondienst des Gerontopsychiatrischen<br />

Zentrums Kaufbeuren. Ein<br />

Modellvorhaben zur Verbesserung der Versorgung<br />

gerontopsychiatrisch Erkrankter im Allgemeinkrankenhaus,<br />

Zwischenbericht, Saarbrücken:<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

Matthäi, Ingrid (2002): Executive education -<br />

zur Elite(n)bildung in internationalen Unternehmen,<br />

in: Heinz, Walter R.; Hermann Kotthoff;<br />

Gerd Peter (Hg.): Lernen in der Wissensgesellschaft.<br />

Dortm<strong>und</strong>er Beiträge zur Sozial- <strong>und</strong> Gesellschaftspolitik,<br />

Band 37, Münster: 78 - 91: LIT-<br />

VERLAG<br />

Morschhäuser, Martina (2002): Betriebliche<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung angesichts des demographischen<br />

Wandels, in: Morschhäuser, Martina<br />

(Hg.): Ges<strong>und</strong> bis zur Rente. Konzepte ges<strong>und</strong>heits-<br />

<strong>und</strong> alternsgerechter Arbeits- <strong>und</strong><br />

Personalpolitik, Broschürenreihe: Demographie<br />

<strong>und</strong> Erwerbsarbeit, Stuttgart 2002<br />

Morschhäuser, Martina (2002): Integration<br />

von Arbeit <strong>und</strong> Lernen: Strategien zur Förderung<br />

von Beschäftigungsfähigkeit, in: Kistler, Ernst;<br />

Hans Gerhard Mendius (Hg.): Demographischer<br />

Strukturbruch <strong>und</strong> Arbeitsmarktentwicklung, Broschürenreihe:<br />

Demographie <strong>und</strong> Erwerbsarbeit,<br />

Stuttgart 2002: 101 - 111<br />

Morschhäuser, Martina; Eva Schmidt (2002):<br />

Beteiligungsorientiertes Ges<strong>und</strong>heitsmanage-<br />

62<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

ment angesichts alternder Belegschaften, Stuttgart:<br />

IRB Verlag<br />

Morschhäuser, Martina (Hg.) (2002): Ges<strong>und</strong><br />

bis zur Rente. Konzepte ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> alternsgerechter<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Personalpolitik,<br />

Stuttgart: IRB Verlag<br />

Pohlmann, Markus (2002): Der Kapitalismus<br />

in Ostasien. Südkoreas <strong>und</strong> Taiwans Wege ins<br />

Zentrum der Weltwirtschaft, Münster: Westfälisches<br />

Dampfboot<br />

Pohlmann, Markus (2002): Wirtschaftsentwicklung,<br />

Management <strong>und</strong> Unternehmensorganisation:<br />

Südkorea <strong>und</strong> Taiwan im interkulturellen<br />

Vergleich, in: Köllner, Patrick (Hg.): Sozialwissenschaftliche<br />

Koreaforschung, Hamburg<br />

Pohlmann, Markus (2002): Management,<br />

Organisation <strong>und</strong> kapitalistische Entwicklung:<br />

Südkorea <strong>und</strong> Taiwan im interkulturellen Vergleich,<br />

in: Schmidt, Rudi; Hans-Joachim Gergs;<br />

Markus Pohlmann (Hg.): Managementsoziologie.<br />

Themen, Desiderate, Perspektiven, München<br />

<strong>und</strong> Mering: 209 - 226: Rainer Hampp Verlag<br />

Pohlmann, Markus (2002): Management,<br />

Organisation <strong>und</strong> Sozialstruktur – Zu neuen Fragestellungen<br />

<strong>und</strong> Konturen der Managementsoziologie,<br />

in: Schmidt, Rudi; Hans-Joachim<br />

Gergs; Markus Pohlmann (Hg.): Managementsoziologie.<br />

Themen, Desiderate, Perspektiven,<br />

München <strong>und</strong> Mering: 227 - 245: Rainer Hampp<br />

Verlag<br />

Pohlmann, Markus (2002): Organisationsberatung<br />

in der Krise: Veränderungschancen<br />

durch Beratung?, in: Zeitschrift Führung+Organisation,<br />

71(2002)5: 291 - 299<br />

Pohlmann, Markus (2002): Organisationsentwicklung<br />

<strong>und</strong> Organisationsberatung im Zeichen<br />

reflexiver Modernisierung, in: Gruppendynamik<br />

<strong>und</strong> Organisationsberatung, 33 (2002)3:<br />

339 - 353<br />

Pohlmann, Markus (2002): Die Desorganisation<br />

des südkoreanischen Wirtschaftsmodells.<br />

Auf den sozialstrukturellen Spuren der neuen<br />

Mittelklasse in Südkorea, in: Köllner, Patrick<br />

(Hg.): Korea Jahrbuch 2002, Hamburg<br />

Pohlmann, Markus (2002): Der Weg nach PI-<br />

SA. Zur Organisationsentwicklung in Schulen<br />

<strong>und</strong> einigen sozialwissenschaftlichen Hinter-


ISO-News – Veröffentlichungen<br />

__________________________________________________________________________________________<br />

gründen der Ergebnisse der PISA-Studie, Schriften<br />

der GEW Niedersachsen, Lüneburg<br />

Pohlmann, Markus (2002): Der Beitrag der<br />

Organisationsberatung zur Entwicklung der Organisation,<br />

in: Arbeit 11(2002)4: 329 - 343<br />

Reindl, Josef (2002): Vom Produzenten zum<br />

Dienstleister: Irrweg oder Perspektive?, in: Leviathan,<br />

30(2002)1: 93 - 112<br />

Reindl, Josef (2002): Das Wachstum industrieller<br />

Dienstleistungen – Dienst am K<strong>und</strong>en oder<br />

„Amerikanisierung“ der Produktion?, in: WSI-<br />

Mitteilungen, 55(2002)9: 510 - 516<br />

Schmidt, Rudi; Hans-Joachim Gergs; Markus<br />

Pohlmann (Hg.) (2002): Managementsoziologie.<br />

Themen, Desiderate, Perspektiven, München<br />

<strong>und</strong> Mering: Rainer Hampp Verlag<br />

Zörkler, Maria; Matthias Helfrich (2002): Der<br />

Pflegefokus. Ein Verfahren zur Beurteilung der<br />

Pflegewirkung <strong>und</strong> seine Umsetzung, Saarbrücken:<br />

ISO-<strong>Institut</strong><br />

▪<br />

ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

63


ISO-News – Veröffentlichungen<br />

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ISO-Mitteilungen Nr. 1/April 2003<br />

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